Geschichten vom Wein, der Raubeine zärtlich macht

High-Tech in Labor und Produktion: Steuerzentrale des
H.-F.-von-Melle-Vertragsweingutes „Familia Martinez
Bujanda“ im spanischen Rioja
Geschichten vom
Wein, der Raubeine
zärtlich macht
Ein Lübecker Weinhändler widersteht
dem Trend zur Schnelllebigkeit und
bringt seinen Weinen das Sprechen bei.
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Seit sechs Jahrtausenden kultivieren Menschen Wein und
versuchen, seine geschmacklichen Eigenschaften zu verfeinern. Die alten Griechen huldigten diesem besonderen
Saft und benannten einen eigenen Gott für ihn: Dionysos,
den Gott des Rausches, den Gott der Extase. Heute wird
Wein rund um die Welt angebaut und konsumiert, jährlich
229 Millionen Hektoliter, Tendenz steigend. Die Lübecker
dominierten über Jahrhunderte den Weinhandel im nordischen Raum, obwohl hier gar keine Trauben wachsen.
rer des traditionsreichen Lübecker Familienunternehmens
von Melle. Er spricht aus Erfahrung, denn er weiß, dass
eine professionelle Beratung das A und O beim Weinkauf
sind, dass aber letzten Endes jeder auf seinen eigenen Gaumen hören und „hinschmecken“ muss, ob ihm der Wein
zusagt oder nicht. Die Önologen, die hier verkosten, sind
international geschult. Sie gurgeln auf einer Messe durchschnittlich 300 Weine, um das Richtige fürs Handelshaus
auszuwählen.
„Natürlich kann man schnell einen Wein im Supermarkt
kaufen. Aber bei uns erfährt der Kunde Geschichten über
den Wein – und lauscht den Geschichten, die der Wein
selber erzählt“, sagt Heinz Püplichhuisen, Geschäftsfüh-
Diese Önologen erzählen einem beispielsweise auch gern,
was es mit dem „Lübecker Rotspon“, einem ihrer Weine, auf sich hat: Die Bezeichnung „Rotspon“ kommt aus
dem Plattdeutschen und bedeutet „roter Span“, also ro-
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tes Holz des Fasses, in dem Rotwein gelagert wird. Es ist
immer französischer Wein, der lose, das heißt in Fässern
oder Tanks, nach Lübeck gelangt – früher auf dem Seewege, heute per LKW. Hier wird er gepflegt, gelagert und auf
Flaschen abgefüllt. Als 1806 Napoléons Soldaten Lübeck
besetzten und die Weinkeller plünderten, fanden sie den
Lübecker Roten besser als den heimischen. War es die Ostseeluft, die sein ausdrucksstarkes Aroma ausmachte? Oder
die Lagerung in Lübecks unterirdischen Weinlabyrinthen?
Oder der rote Span?
Eine andere Önologen-Geschichte geht auf den Ursprung
des „Rotspons“ ein. Sie handelt vom strengen Lübecker
Kaufherrn Thomas Fredenhagen (1627-1709), der als erster den Salzladungen aus Frankreich Wein beilud und
seinem Küfer den Auftrag erteilte, für die Lübecker einen Wein herzustellen, der sich im Geschmack von den
französischen Abfüllungen unterscheiden sollte: „Der
Rotwein, den wir brauchen, der muss in uns eingehen als
eine tiefe Glut, die unsere Rauheit lindert, unsere Härte mildert, uns zärtlich macht gegen das Leben und die
Menschen. Ja das ist’s: Zärtlichkeit muss er geben!“ Daraufhin verteilte der Küfer die Fässer in verschiedenen
Kellern, temperierte sie alle unterschiedlich und kostete
viel, um die rechte Zeit zu erkennen, wann der Wein auf
Flaschen gefüllt werden könne. Dem Küfer gelang das
Erwünschte, er schuf einen Wein, der Karriere machte,
eben jenen „Lübecker Rotspon“. Eine Kreation hat von
Melle dem alten Herrn gewidmet, sie heißt „Cuvée Fredenhagen“.
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Eine ganz eigene Geschichte erzählt das traditionsreiche
Giebelhaus, in dem sich eine der Von-Melle-Verkaufsstellen befindet: Die alten Mauern verschweigen allerdings,
dass die Weine heute nicht mehr in den unterirdischen Gewölben lagern. Die gesamte Weinlagerung und -abfüllung
findet in einer modernen Kellerei statt. Ähnlich wie in den
französischen Châteaux und spanischen Fincas, zu denen
die Melle-Weinkenner regelmäßig fahren, wird die Weinpflege wie in einem High-Tech-Labor überwacht: Computer werten Temperatur, Ablagerung und Klarheit aus. Und
die Komposition einer Cuvée, einer Mischung verschiedener Rebsorten, findet im Reagenzglas statt. Nur das Abschmecken verlangt die geschulte Zunge des Önologen und
Kellermeisters.
Die allerneueste Weingeschichte geht übrigens so: Es war
einmal ein Sommelier-Weltmeister, er hieß Del Monego
und probierte für den Fachverband für Bordeaux-Weine unendlich viele Rotweine, hundert an der Zahl. Als er
jedoch vom „Lübecker Rotspon – Appellation Bordeaux
Contrôlée“ gekostet hatte, da war es um seine Sinne geschehen, und er wusste sofort, dass dieser unter den Besten zu
platzieren sei. Und wenn er nicht gestorben ist, so trinkt er
ihn vielleicht noch heute gemeinsam mit Präsident Jaques
Chirac, der im Jahre 2004 Lübeck besuchte und eine Flasche Rotspon überreicht bekam. – Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte, die man sich ja demnächst mal
von einem Spezialisten persönlich erzählen lassen könnte
– am besten bei einem guten Tropfen, der ganz für sich
selbst spricht.
(AK)
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