Wie sieht die „Quadratur des Kreises“ in der Praxis aus?

MN
Anwaltsrecht
Anwaltsrecht
Der Regierungs- und Fraktionsentwurf schafft
vier neue Typen von Anwältinnen und Anwälten* **
Der Syndikusanwalt hat eine Doppelstellung inne. Er ist einerseits Angestellter und andererseits Rechtsanwalt. Soweit es um das Anstellungsverhältnis geht, kann er allerdings seine Eigenschaft als Rechtsanwalt nicht abstreifen, aber diese Eigenschaft ändert nichts daran,
dass das Arbeitsverhältnis von dem Prinzip der Über- und Unterordnung beherrscht wird. Die BRAO vermochte nicht in bestehende Arbeitsverträge einzugreifen, und schreibt auch für nach ihrem Erlass
abgeschlossene Verträge keinen neuen Arbeitsvertragstypus vor, der
den Syndikusanwalt und seinen Dienstherrn etwa gleichgeordnet
stellt. Wenn man, wie das die BRAO getan hat, die Institution des Syndikusanwalts bejaht, muss man auch dem gerecht werden, dass der
Syndikusanwalt zwei Arbeitsbereiche hat, nämlich einen arbeitsvertraglich gebundenen und einen als freier Anwalt.
Rechtsanwältin Dr. Susanne Offermann-Burckart, Grevenbroich
Bundestag und Bundesrat sind mit einem parallelen Regierungs- und einem Fraktionsentwurf der CDU/CSU- und
SPD-Fraktion zur Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte in die Sommerpause gegangen. Das Anwaltsblatt hat
den Gesetzentwurf in drei Beiträgen einem Check unterzogen. In diesem Beitrag stellt die Autorin die Änderungen im
anwaltlichen Berufsrecht vor (siehe zum Sozialrecht Schafhausen, AnwBl 2015, 643 und zum Arbeitsrecht Schuster,
AnwBl 2015, 646).
A. Einleitung
Ein im März-Heft 2015 des Anwaltsblatts veröffentlichter Beitrag der Verfasserin setzte sich mit dem Eckpunktepapier des
Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz
zur Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte auseinander und attestierte diesem, so etwas wie die Quadratur des
Kreises geschaffen (oder geschafft) zu haben (AnwBl 2015,
202). Man war gespannt, wie es gelingen würde, die Eckpunkte in Gesetzesform zu gießen.
Inzwischen liegt nach dem Referentenentwurf auch der
Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des
Rechts der Syndikusanwälte vor. Der folgende Beitrag, der
auf einem Kurzvortrag beim diesjährigen Deutschen Anwaltstag basiert, beschäftigt sich in einer ersten Tour d́Horizon mit den berufsrechtlichen Auswirkungen der geplanten
Änderungen. Dabei soll es nicht um eine kritische Würdigung, sondern um eine möglichst neutrale Analyse gehen,
die allerdings auch einige Probleme aufzeigt.
B. Die Ausgangssituation
Es ist hier nicht der Ort, nochmals die ganze traurige Geschichte der Situation der Syndikusanwälte, der Entscheidungen des
Bundessozialgerichts vom 3. April 20141 und ihrer weitreichenden Konsequenzen zu repetieren. Zum besseren Verständnis
der folgenden Ausführungen ist nur noch einmal festzuhalten,
dass sich die Aufgabe, die der Gesetzgeber dankenswerterweise lösen will, im Wesentlichen aus § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI
ergibt. Die „sperrig“ formulierte Norm lautet:
Von der Versicherungspflicht werden befreit Beschäftigte und selbstständig Tätige für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit,
wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf
Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen
Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (Berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft
gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer
sind, ... [Hervorhebung der Autorin]
Wie sieht die „Quadratur des Kreises“ in der Praxis aus?, Offermann-Burckart
Über diese kategorische Sichtweise konnte – dies hat das
BSG unmissverständlich klargemacht – auch die von der
Deutschen Rentenversicherung (DRV) und der Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen
(ABV) entwickelte Vier-Kriterien-Theorie nicht hinweghelfen.
Deshalb schlägt die Bundesregierung in ihrem Entwurf (S. 1)
– ausgehend von dem berufsrechtlichen Ansatz der Urteile
des Bundessozialgerichts – eine Lösung vor, „die eine statusrechtliche Anerkennung der Tätigkeit als Syndikusanwalt in
einem Unternehmen als Rechtsanwalt vorsieht, dabei aber
bestimmte Einschränkungen vornimmt“. Dabei soll im Hinblick auf das Befreiungsrecht von der Rentenversicherungspflicht „weitestgehend der bisherige Status quo aufrechterhalten bleiben“.
C. Die „Palette“ künftiger Rechtsanwalts-Typen
Nach den Vorstellungen der Bundesregierung soll es künftig
verschiedene „Typen“ von Rechtsanwälten geben, nämlich
9
den „normalen“ (gelegentlich auch als „Kanzleianwalt“
bezeichneten) Rechtsanwalt, der zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist, keinen Zweitberuf ausübt und entweder Einzelkämpfer ist oder als freier Mitarbeiter, Angestellter oder Gesellschafter mit anderen Rechtsanwälten oder mit anderen
Rechtsanwälten und Angehörigen eines sozietätsfähigen Berufs zusammenarbeitet
9
den Syndikusrechtsanwalt, der nur Angestellter eines
nicht-anwaltlichen Arbeitgebers ist und für diesen Arbeitgeber anwaltlich tätig wird
9
den Syndiusrechtsanwalt (wie zuvor), der zusätzlich noch
als „normaler“ Rechtsanwalt zugelassen ist und der im Rahmen seiner „normalen“ Anwaltstätigkeit Einzelkämpfer ist
oder als freier Mitarbeiter, Angestellter oder Gesellschafter
mit anderen Rechtsanwälten oder mit anderen Rechtsanwäl*
Der Beitrag geht zurück auf einen Vortrag der Autorin in einer Sonderveranstaltung auf
dem 66. Deutschen Anwaltstag in Hamburg am 12. Juni 2015.
** Der folgende Beitrag gibt die persönliche Auffassung der Autorin wieder. Er beruht auch
auf Erfahrungen, die die Autorin im Rahmen der anwaltlichen Beratung und Vertretung in
Fragen des Befreiungsrechts gesammelt hat.Er bezieht sich – soweit nicht ausdrücklich
auf den Referentenentwurf verwiesen wird – auf den Regierungsentwurf, wie er auf der
Homepage des BMJV (www.bmjv.de) veröffentlicht ist.
1
AnwBl. 2014, 854 = NJW 2014, 2743 m. Anm. Offermann-Burckart, NJW 2014, 2683.
2
BGH NJW 1961, 219.
AnwBl 8 + 9 / 2015
633
Aufsätze
Wie sieht die „Quadratur
des Kreises“ in der
Praxis aus?
Für Rechtsanwälte bedeutet dies, dass sie nur dann von der
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung
befreit werden, wenn sie nicht nur Rechtsanwälte sind, also
die Zulassung zur Anwaltschaft haben, sondern auch als beziehungsweise wie Rechtsanwälte tätig werden. Der Befreiung von Syndikusanwälten steht – wie das Bundessozialgericht unmissverständlich festgestellt hat – de lege lata die
sog. Doppelberufs- oder Zweiberufe-Theorie des BGH2 entgegen, die da lautet:
MN
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I. Der „normale“ Nur-Rechtsanwalt
Für den „normalen“ Nur-Rechtsanwalt gelten gegenüber der
bisherigen Rechtslage keine Besonderheiten. Allerdings präzisiert § 46 Abs. 1 BRAO-E, dass Rechtsanwälte „ihren Beruf
als Angestellte solcher Arbeitgeber ausüben (dürfen), die als
Rechtsanwälte, Patentanwälte oder rechts- oder patentanwaltliche Berufsausübungsgesellschaften tätig sind“.
Nach geltendem Recht ist die „Kanzlei-Angestelltentätigkeit“ eines Rechtsanwalts nicht ausdrücklich, sondern nur
mittelbar geregelt. So bestimmt § 59 a Abs. 1 S. 1 BRAO, dass
„Rechtsanwälte sich mit Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer und der Patentanwaltskammer, mit Steuerberatern,
Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und vereidigten
Buchprüfern zur gemeinschaftlichen Berufsausübung im
Rahmen der eigenen beruflichen Befugnisse verbinden (dürfen).“ Und eine denkbare Form der „gemeinschaftlichen Berufsausübung“ ist eben auch die Tätigkeit als Angestellter in
einer Anwaltskanzlei oder in einer gemischten Anwalts- und
z. B. Steuerberaterkanzlei.3
Trotz des „weiten“ Wortlauts von § 59 a Abs. 1 S. 1 BRAO
gilt die Einschränkung, dass ein Rechtsanwalt, der in einer
Kanzlei angestellt ist, deren Gesellschafter zwar sämtlich Angehörige eines sozietätsfähigen Berufs (also etwa Steuerberater, vereidigte Buchprüfer oder Wirtschaftsprüfer), aber nicht
(auch) Rechtsanwälte sind, nicht Angestellter (also zur „gemeinschaftlichen Berufsausübung“ Verbundener) im Sinne
von § 59 a Abs. 1 S. 1 BRAO (und nunmehr von § 46 Abs. 1
BRAO-E), sondern Angestellter eines nicht-anwaltlichen Arbeitgebers und damit Syndikus(rechts)anwalt ist. Ein solcher
Anwalt darf im Rahmen seines Anstellungsverhältnisses
nicht anwaltlich tätig werden und juristische Dienstleistungen nur in dem Umfang erbringen, der dem Arbeitgeber gestattet ist. Bei dem in einer reinen Steuerberaterkanzlei angestellten Rechtsanwalt sind das diejenigen juristischen
Nebenleistungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit
der Steuerberatung stehen, sich also auf eine Haupttätigkeit
mit steuerlicher oder betriebswirtschaftlicher Zielsetzung beziehen.4
Manch einer wird sich noch an die Diskussionen im Vorfeld der Verabschiedung des Rechtsdienstleistungsgesetzes
(RDG) – das an die Stelle des früheren Rechtsberatungsgesetzes getreten ist – erinnern. Hier wurde lange die sogenannte
„Erfüllungsgehilfen-Lösung“ favorisiert. Nach einem bis zum
Schluss in allen Gesetzentwürfen enthaltenen § 5 Abs. 3
RDG-E sollte jedermann ohne Einschränkung die Erbringung von Rechtsdienstleistungen gestattet werden, wenn er
sich nur seinerseits zu diesem Zweck einer hierfür qualifizierten natürlichen oder juristischen Person, also insbesondere eines Rechtsanwalts, bediente.5 Erst kurz vor Abschluss
des Gesetzgebungsverfahrens wurde die Idee fallengelassen.
Auch die aktuelle Situation lässt allerdings genug Raum
für eine breite „Grauzone“, weil Mitbewerber und Rechtsanwaltskammern kaum die Möglichkeit haben, festzustellen,
ob ein Rechtsanwalt, der auf dem Briefbogen einer interprofessionellen Berufsausübungsgemeinschaft erscheint, tat634
AnwBl 8 + 9 / 2015
sächlich Gesellschafter oder aber bloßer „Schein-Sozius“ und
in Wirklichkeit nur Angestellter oder freier Mitarbeiter ist.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass der
Regierungsentwurf, anders als noch der Referentenentwurf,
in § 46 Abs. 1 BRAO-E jetzt auch ausdrücklich solche Arbeitgeber erwähnt, die als Patentanwälte oder patentanwaltliche
Berufsausübungsgesellschaften tätig sind. Damit wird dem
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Januar
20146 Rechnung getragen, in dem ausdrücklich klargestellt
wird, dass Patentanwälte ebenso wie Rechtsanwälte Organe
der Rechtspflege sind und einem Berufsrecht unterliegen,
das demjenigen der BRAO nachgezeichnet ist. Allerdings ist,
wie in der Begründung zu § 46 Abs. 1 BRAO-E (S. 30) ausdrücklich festgestellt wird, von bei Patentanwälten angestellten Rechtsanwälten die auf die in der PAO genannten
Rechtsgebiete eingeschränkte Beratungs- und Vertretungsbefugnis der Patentanwälte zu beachten.
Zu den in § 46 Abs. 1 BRAO-E ausdrücklich benannten
rechts- oder patentanwaltlichen „Berufsausübungsgesellschaften“ gehören Gesellschaften bürgerlichen Rechts, Partnerschaftsgesellschaften in ihren beiden Erscheinungsformen, Rechtsanwalts-GmbHs, Rechtsanwalts-AGs und alle
„sonstigen rechtsfähigen Formen gemeinschaftlicher Berufsausübung“. Umfasst sind monoprofessionelle und interprofessionelle Gesellschaften, die dem anwaltlichen Berufsrecht
unterliegen.
II. Der Syndikusrechtsanwalt
Der Syndikusrechtsanwalt wird eine eigene beziehungsweise
eigenständige Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erhalten
und mit besonderen Rechten und Pflichten ausgestattet sein,
die zum Teil denen eines „normalen“ Rechtsanwalts entsprechen, zum Teil aber auch von diesen abweichen.
1. Die Zulassungsvoraussetzungen im Überblick
§ 46 Abs. 2 BRAO-E sieht vor:
Angestellte anderer als der in Absatz 1 genannten Personen oder Gesellschaften üben ihren Beruf als Rechtsanwalt aus, sofern sie im Rahmen ihres Anstellungsverhältnisses für ihren Arbeitgeber anwaltlich tätig sind (Syndikusrechtsanwälte). Der Syndikusrechtsanwalt bedarf
zur Ausübung seiner Tätigkeit nach Satz 1 der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 46 a.
Die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erhält auf Antrag
derjenige, der zusätzlich zu den für jeden Rechtsanwalt geltenden Voraussetzungen folgende Merkmale aufweist:
(1) Es besteht ein Anstellungsverhältnis zu einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber. Nicht-anwaltliche Arbeitgeber sind
zum Beispiel Unternehmen der freien Wirtschaft, Verbände
oder auch Angehörige eines sozietätsfähigen Berufs im Sinne
von § 59 a BRAO (also etwa Steuerberater oder Steuerberatungsgesellschaften, vereidigte Buchprüfer, Wirtschaftsprüfer – siehe oben).
(2) Der Betreffende muss anwaltliche Tätigkeit ausüben,
was voraussetzt
9
seine fachliche Unabhängigkeit
9
seine Eigenverantwortlichkeit
3
Vgl. hierzu nur Hartung, in: Henssler/Prütting, Kommentar zur BRAO, § 59 a BRAO
Rdn. 162 ff.
4
Vgl. hierzu nur Koslowski, in: Gehre/Koslowski, Kommentar zum StBerG, § 33 StBerG
Rdn. 15 unter Hinweis auf § 5 Abs. 1 RDG.
5
Vgl. hierzu Krenzler, in: Krenzler, Kommentar zum RDG, § 5 RDG Rdn. 12.
6
AnwBl. 2014, 270 = NJW 2014, 613.
Wie sieht die „Quadratur des Kreises“ in der Praxis aus?, Offermann-Burckart
Aufsätze
ten und Angehörigen eines sozietätsfähigen Berufs zusammenarbeitet
und schließlich
9
den Rechtsanwalt, der einen Zweitberuf ausübt, also bei
einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber tätig ist, ohne Syndikusrechtsanwalt zu sein.
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2. Die Zulassungsvoraussetzungen im Detail
Um eine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt zu erhalten,
muss der bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber angestellte Volljurist beziehungsweise Assessor bestimmte Voraussetzungen erfüllen.
a) Fachliche Unabhängigkeit
Der Begriff der „fachlichen Unabhängigkeit“ ist in § 46 Abs. 4
S. 1 BRAO-E negativ definiert. Fachlich unabhängig ist nicht,
„wer sich an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige
Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen“. Unternehmensinterne ComplianceRegelungen, die keine unmittelbaren fachlichen Bezüge aufweisen, sondern den Verhaltenskodex im Unternehmen
festschreiben, sind – wie im Begründungstext (S. 31) ausdrücklich hervorgehoben wird – nicht als „unternehmensinterne Vorgaben“ anzusehen, die eine Tätigkeit als
Syndikusrechtsanwalt ausschließen. Die fachliche Unabhängigkeit ist vertraglich und tatsächlich zu gewährleisten.
Bei der Forderung nach fachlicher Unabhängigkeit handelt es sich übrigens nicht um ein Novum im Anwaltsrecht.
§ 59 f Abs. 4 BRAO schreibt auch jetzt schon für Geschäftsführer, Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigte einer
Rechtsanwaltsgesellschaft mit beschränkter Haftung vor,
dass ihre Unabhängigkeit bei der Ausübung ihres Rechtsanwaltsberufs zu gewährleisten ist und Einflussnahmen der
Gesellschafter, namentlich durch Weisungen oder vertragliche Bindungen, unzulässig sind.
Bei der Auslegung des Begriffs „fachliche Unabhängigkeit“ kann man deshalb auch auf die Überlegungen zurückgreifen, die der Gesetzgeber seinerzeit bei Schaffung des
§ 59 f BRAO angestellt hat. In der entsprechenden amtlichen
Begründung7 heißt es hierzu:
Dem verantwortlichen Rechtsanwalt muss – im Verhältnis zu den Gesellschaftern und zu etwaigen an der Geschäftsführung Beteiligten –
dasselbe Maß an Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit zustehen wie
einem Anwaltssozius. Das bedeutet nicht, dass jegliche Arten von
Weisungen schlechthin unzulässig wären. Ebenso wie bei anderen beruflichen Zusammenschlüssen – etwa in einer Partnerschaft oder
BGB-Gesellschaft – kann es in Rechtsanwaltsgesellschaften vorkommen, dass die Berufskollegen für die Berufsausübung Vorgaben machen. Dies ist beispielsweise gerechtfertigt, wenn es darum geht, besonders haftungsgefährdendes und sonst berufswidriges Verhalten
des Kollegen zu unterbinden. Inwieweit solche Vorgaben mit dem Gebot der Unabhängigkeit der anwaltlichen Berufsausübung in Einklang
stehen, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Eine Grenzziehung zwischen zulässigen und der anwaltlichen Unabhängigkeit zuwiderlaufenden Vorgaben war bisher nicht Gegenstand einer gesetzlichen Regelung und ist auch für die Rechtsanwaltsgesellschaft mit
beschränkter Haftung nicht erforderlich.
Henssler8 fordert in diesem Zusammenhang das Maß an Unabhängigkeit, „das in ähnlicher Form auch für jeden angestellten Anwalt gilt“.
Der „heutige“ Gesetzgeber formuliert (S. 33 des Regierungsentwurfs), aus dem Begriff „fachlich unabhängig“ (und
dem Begriff „eigenverantwortlich“) ergebe sich, dass der Syndikusrechtsanwalt fachlich weisungsfrei (und in eigener VerWie sieht die „Quadratur des Kreises“ in der Praxis aus?, Offermann-Burckart
antwortung) handele und im Rahmen der Rechtsberatung
und Rechtsvertretung in erster Linie den Pflichten der BRAO
unterworfen sei „und die arbeitsrechtlichen Weisungsbefugnisse des Arbeitgebers dahinter zurückstehen“. Hierdurch
werde jedoch nicht „jegliches Weisungsrecht des Arbeitgebers“ ausgeschlossen.
b) Eigenverantwortlichkeit
Die Forderung nach eigenverantwortlich auszuübender Tätigkeit in § 46 Abs. 3 BRAO-E bedeutet, dass der Syndikusrechtsanwalt grundsätzlich von seinem Arbeitgeber für fehlerhafte Beratung und Vertretung haftungsrechtlich in
Anspruch, also in Regress genommen werden kann. Konsequenz dieser Forderung ist, dass auch der Syndikusrechtsanwalt (natürlich) verpflichtet ist, eine Berufshaftpflichtversicherung zu unterhalten (siehe hierzu näher unter
Ziff. B.II.7.f).
c) Inhaltliche Anforderungen an die Tätigkeit
Bei der Umschreibung der „prägenden Merkmale“ der anwaltlichen Tätigkeit eines Syndikusrechtsanwalts in § 46
Abs. 3 Nr. 1 bis 4 BRAO-E knüpft der Gesetzgeber hinsichtlich der „Inhalte“ bewusst und ausdrücklich an die alte VierKriterien-Theorie (Rechtsberatung, Rechtsentscheidung,
Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung)9 an.
Die vier Kriterien sind in den Gesetzestext „eingestreut“:
Rechtsberatung und Rechtsvermittlung seien, so heißt es in
der Begründung (S. 31), in § 46 Abs. 2 BRAO-E10 und § 46
Abs. 3 Nr. 1 u. 2 BRAO-E11 eingeflossen. Das Kriterium der
Rechtsgestaltung sei in § 46 Abs. 3 u. 4 BRAO-E12 enthalten
und dasjenige der Rechtsentscheidung werde in § 46 Abs. 4
BRAO-E13 abgebildet.
Insgesamt ist die Ausfüllung der (vier) Kriterien etwas
vage geraten, zum Teil geschieht sie (wie in § 46 Abs. 4
BRAO-E) sogar nur indirekt. Dies gibt Anlass zu der Hoffnung, dass die Einordnung der Tätigkeit für einen nicht-anwaltlichen Arbeitgeber als „anwaltlich“ künftig nicht mehr
daran scheitern wird, dass ein einzelnes der vier Tätigkeitsmerkmale nicht erfüllt ist. Bekanntlich sind in der Vergangenheit Befreiungsanträge häufig deshalb zurückgewiesen
worden, weil die Rentenversicherung eines von vier Kriterien
(besonders häufig die Rechtsentscheidung und auch die
Rechtsgestaltung) verneinte. Auch wenn der Gesetzgeber auf
die Vier-Kriterien-Theorie rekurriert, stellt er grundsätzlich
auf die übergeordneten Tätigkeiten der Rechtsberatung und
Rechtsvertretung ab, wodurch sich der Kreis zu § 3 Abs. 1
7
BT-Drucks. 13/9820, S. 15.
8
In: Henssler/Prütting, aaO, § 59 f BRAO Rdn. 26.
9
Vgl. hierzu näher Jung, in: Offermann-Burckart, Anwaltsrecht in der Praxis, § 15
Rdn. 14 ff.; Jung/Horn, KammerMitteilungen RAK Düsseldorf, 2010, 317 ff.; Prossliner,
KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 2011, 326, 327 ff.; Horn, NJW 2012, 966; Offermann-Burckart, MDR 2013, 1197, 1198.
10 „... sofern sie im Rahmen ihres Anstellungsverhältnisses für ihren Arbeitgeber anwaltlich
tätig sind ...“
11 „...
1. die Prüfung von Rechtsfragen, einschließlich der Aufklärung des Sachverhalts, sowie
das Erarbeiten und Bewerten von Lösungsmöglichkeiten,
2. die Erteilung von Rechtsrat,
...“
12 „...
3. die Ausrichtung der Tätigkeit auf die Gestaltung von Rechtsverhältnissen, insbesondere durch das selbstständige Führen von Verhandlungen, oder auf die Verwirklichung von Rechten und
4. die Vertretungsbefugnis nach außen.“
13 „Eine fachlich unabhängige Tätigkeit im Sinne des Absatzes 3 übt nicht aus, wer sich an
Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. ...“
AnwBl 8 + 9 / 2015
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Aufsätze
9
ein Tätigkeitsspektrum, das die Prüfung von Rechtsfragen (einschließlich der Aufklärung des Sachverhalts), das Erarbeiten und Bewerten von Lösungsmöglichkeiten, die Erteilung von Rechtsrat, die Gestaltung von Rechtsverhältnissen
(insbesondere durch das selbstständige Führen von Verhandlungen) sowie die Verwirklichung von Rechten umfasst
9
seine Vertretungsbefugnis nach außen.
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d) Vertretungsbefugnis nach außen
Eine weitere eigenständige Voraussetzung, durch die zugleich teilweise auch das Kriterium der Rechtsgestaltung (siehe oben) abgebildet sein soll, ist die in § 46 Abs. 3 Nr. 4
BRAO-E geforderte Vertretungsbefugnis nach außen.
Im berufsrechtlichen Schrifttum, so heißt es in der Begründung (S. 34), sei es für eine rechtsanwaltliche Tätigkeit
anerkannt, dass selbst dann, wenn im Innenverhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt vereinbart worden sei,
dass der Rechtsanwalt keine Erklärungen gegenüber Dritten
für seinen Mandanten abgebe, solche Erklärungen im
Außenverhältnis wirksam seien und den Mandanten verpflichten könnten. Hingegen setze das Merkmal der „Vertretungsbefugnis nach außen“ nicht voraus, dass der Syndikusrechtsanwalt eigene unternehmerische Entscheidungen
treffe. Der Gesetzgeber spricht hier die schwierigen Themen
„Anscheinsvollmacht“ und „Vertreter ohne Vertretungsmacht“ an, ohne konkret zu sagen, was gemeint ist. Es geht
ganz offensichtlich nicht um rechtsgeschäftliche Vertretung
(Prokura etc.). Aber auch die Forderung nach der Befugnis
zur Wahrnehmung rechtlicher Angelegenheiten gegenüber
Dritten erscheint als sehr weitgehend, zumal diese Befugnis
bei dem von einem Mandanten beauftragten „normalen“
Rechtsanwalt – je nach Ausgestaltung des Auftrags und der
Vollmacht – nicht zwingend und bei dem bei einem „normalen“ Rechtsanwalt (nur) angestellten Rechtsanwalt praktisch
niemals gegeben ist. Der Gesetzgeber konzediert ja selbst,
dass zwischen Mandant und Rechtsanwalt vereinbart werden
kann, dass der Anwalt keine Erklärungen gegenüber Dritten
abgibt. Warum an dieser Stelle der Syndikusrechtsanwalt mit
weitergehenden Kompetenzen ausgestattet sein muss als der
„normale“ Rechtsanwalt, erschließt sich nicht.
Immerhin soll es ausreichen, dass Syndikusrechtsanwälte
nach außen die Befugnis zur Vertretung haben, „auch wenn
sie tatsächlich von dieser Befugnis keinen Gebrauch machen,
etwa weil sie ausschließlich im Bereich der Vertragsgestaltung oder der Beratung der Unternehmensleitung tätig sind“.
Aber auch hier stellt sich sogleich wieder die Frage, warum
jemand, der aufgrund des Zuschnitts seiner Tätigkeit nur intern agiert, überhaupt über eine wie auch immer geartete
Vertretungsbefugnis nach außen verfügen soll.
e) Gesamtschau
Die im Vorhergehenden dargestellten Merkmale fachliche
Unabhängigkeit, Eigenverantwortlichkeit, der Vier-KriterienTheorie entsprechendes Tätigkeitsspektrum und Vertretungsbefugnis nach außen müssen kumulativ vorliegen, wobei § 46 Abs. 3 BRAO-E die positive Umschreibung der
„anwaltlichen Tätigkeit“ des Syndikusrechtsanwalts vornimmt und – von der Gesetzessystematik her nicht ganz be636
AnwBl 8 + 9 / 2015
friedigend – § 46 Abs. 4 BRAO-E dann noch einmal näher
umschreibt, wann eines der geforderten Merkmale, nämlich
die fachliche Unabhängigkeit, nicht vorliegt beziehungsweise
wie sie zu gewährleisten ist.
Praktische Schwierigkeiten werden sich in Zukunft – so
wie dies auch in der Vergangenheit der Fall war – bei der Einordnung solcher Beschäftigungsverhältnisse ergeben, die
zwar auch, aber nicht ausschließlich dem anwaltlichen Bereich zuzuordnen sind. Der Gesetzgeber (S. 22) trifft hierzu
einige Aussagen, die ihrerseits wiederum auslegungsfähig
sind. Er verweist zunächst auf eine „zunehmende Verrechtlichung der Lebensverhältnisse im Sinne einer rechtlichen
Durchdringung nahezu aller Lebensbereiche“. Diese Verrechtlichung betreffe vor allem wirtschaftliche, aber auch medizinische, psychologische oder technische Tätigkeiten mit
der Folge, dass kaum eine berufliche Betätigung ohne rechtliches Handeln und entsprechende Rechtskenntnisse möglich sei oder ohne rechtliche Wirkung bleibe. Folgerichtig
heißt es dann weiter, die Übertragung anwaltsfremder Aufgaben stehe der Annahme einer anwaltlichen Tätigkeit nicht
entgegen, wenn die anwaltsfremden Aufgaben in einem engen inneren Zusammenhang mit der rechtlichen Beistandspflicht stünden und auch rechtliche Fragen aufwerfen könnten. Zur Abgrenzung der anwaltlichen Tätigkeit von
sonstigen Tätigkeiten bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber sei auf „den Kern und den Schwerpunkt der Tätigkeit“
abzustellen. Die anwaltliche Tätigkeit müsse im Rahmen des
Anstellungsverhältnisses die „qualitativ und quantitativ ganz
eindeutig prägende Leistung“ des angestellten Rechtsanwalts
sein.
Und außerdem: Durch die Verwendung des Begriffs „prägen“14 solle dem Umstand Rechnung getragen werden, dass
der „ganz eindeutige Schwerpunkt“ der im Rahmen des Anstellungsverhältnisses ausgeübten Tätigkeiten und der bestehenden vertraglichen Leistungspflichten im anwaltlichen Bereich liegen müsse. Umgekehrt werde eine anwaltliche
Tätigkeit nicht bereits dadurch ausgeschlossen, dass im Rahmen des Anstellungsverhältnisses in geringem Umfang andere Aufgaben wahrgenommen würden (S. 34).
Die noch im Referentenentwurf (S. 32) enthaltene präzise
Formulierung, dass eine Tätigkeit, „die lediglich zu 50 Prozent anwaltlich ist“, diese Voraussetzung nicht erfülle, fehlt
im Regierungsentwurf. Aus der 50-Prozent-Regelung hätte
man unter Umständen schließen können, dass 51 Prozent
anwaltlicher Tätigkeit schon ausreichen, wohingegen die jetzt
übrig gebliebene Formulierung, dass „in geringem Umfang“
andere Aufgaben wahrgenommen werden dürfen, eher an
eine deutlich ungünstigere Gewichtung (vielleicht 75 Prozent
: 25 Prozent oder auch 90 Prozent : 10 Prozent?) denken lässt.
Syndikusanwälte in kleineren Unternehmen und Verbänden
können ein Lied davon singen, dass sie zwar einerseits in hohem Maße allzuständig und damit unabhängig sind, dass sie
dabei vielfach aber auch die Rolle des „Mädchens für alles“
spielen – eine Rolle, die zwar in großem Umfang anwaltliche
Tätigkeiten, aber in einem mindestens ebenso großen Umfang auch rein geschäftliche, organisatorische und strukturelle Aufgaben umfasst.
Syndikusrechtsanwalt ist auch der Angestellte (nicht: der
Gesellschafter) eines Angehörigen eines sozietätsfähigen Be14 § 46 Abs. 3 BRAO-E:
„Eine anwaltliche Tätigkeit im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 liegt vor, wenn das Anstellungsverhältnis durch folgende fachlich unabhängig und eigenverantwortlich auszuübende Tätigkeiten sowie durch folgende Merkmale geprägt ist: ... .“
Wie sieht die „Quadratur des Kreises“ in der Praxis aus?, Offermann-Burckart
Aufsätze
BRAO schließt, der den Rechtsanwalt als den „berufenen unabhängigen Berater und Vertreter“ umschreibt.
Insgesamt darf man schon jetzt gespannt sein auf die Kasuistik, die sich zu den verschiedenen Tätigkeitsmerkmalen
herausbilden wird. Es bleibt zu hoffen, dass die regionalen
Rechtsanwaltskammern sich hier auf weitgehenden Gleichlauf werden verständigen können. Eine Hilfserwägung könnte dabei etwa die Frage sein, ob das Tätigkeitsspektrum, das
ein bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber angestellter
Rechtsanwalt abdeckt, auch als Gegenstand eines „Beratervertrags“ zwischen einem niedergelassenen Rechtsanwalt
und dem Arbeitgeber in Betracht käme.
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3. Zulassung zur Rechtsanwaltschaft
Syndikusrechtsanwalt ist derjenige, dem die zuständige
Rechtsanwaltskammer auf Antrag die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt erteilt (§ 46 a
BRAO-E). Die Zulassung erfolgt tätigkeitsbezogen und setzt
voraus, dass die konkret ausgeübte Tätigkeit den Anforderungen des § 46 Abs. 2 bis 5 BRAO-E entspricht (§ 46 a Abs. 1
S. 1 Nr. 3 BRAO-E; siehe hierzu näher oben Ziff. B.II.2.). Bei
mehreren voneinander unabhängigen Anstellungsverhältnissen ist keine gesonderte Zulassung für jedes Anstellungsverhältnis erforderlich (§ 46 a Abs. 1 S. 2 BRAO-E). Auf Antrag
(dessen es allerdings bedarf) ist die Zulassung vielmehr auch
auf neue Tätigkeiten zu erstrecken (§ 46 b Abs. 3 BRAO-E).
Gemäß § 46 a Abs. 2 S. 1 BRAO-E entscheidet die Rechtsanwaltskammer über den Zulassungantrag „nach Anhörung
des Trägers der Rentenversicherung“. Wie sie die Anhörung
im Einzelnen vornehmen, obliegt dabei der pflichtgemäßen
Ermessensentscheidung der regionalen Rechtsanwaltskammern (Regierungsentwurf S. 39). In der Entwurfsbegründung ist ausdrücklich vorgesehen, dass die zuständige
Rechtsanwaltskammer dem Träger der Rentenversicherung
eine angemessene Frist zur Stellungnahme setzen und bei
Fristversäumung ohne die Stellungnahme der Rentenversicherung entscheiden kann. Dadurch wird verhindert, dass
das Zulassungsverfahren von der Rentenversicherung „auf
die lange Bank geschoben“ wird.
4. Bindungswirkung der Kammerentscheidung
Anders als noch der Referentenentwurf sieht der Regierungsentwurf vor, dass „der Träger der Rentenversicherung bei seiner Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 6
Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Abs. 3 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch an die bestandskräftige Entscheidung der Rechtsanwaltskammer nach Satz 1 gebunden (ist)“ (§ 46 a Abs. 2
S. 3 BRAO-E). Dadurch wird verhindert, dass – was nach
dem Referentenentwurf möglich gewesen wäre – die Zulassungsentscheidung der Rechtsanwaltskammer und die Befreiungsentscheidung der Rentenversicherung auseinanderfallen. Das Absehen von einer Bindungswirkung hätte für
den Betroffenen vielfältige Unsicherheiten mit sich gebracht.
So wäre etwa das Szenario denkbar gewesen, dass er bei Ablehnung seines Zulassungsantrags durch die Rechtsanwaltskammer zunächst auf Zulassung hätte klagen müssen und
sodann – nach positiver Entscheidung des AnwaltsgerichtsWie sieht die „Quadratur des Kreises“ in der Praxis aus?, Offermann-Burckart
hofs oder des Anwaltssenats des BGH – noch einmal mit einem negativen Bescheid der Rentenversicherung hinsichtlich
seiner Befreiungsfähigkeit hätte konfrontiert sein können,
der dann wiederum vor den Sozialgerichten anzugreifen gewesen wäre. Dabei wäre in letzter Konsequenz mit allen entsprechenden Folgewirkungen auch denkbar gewesen, dass
der Anwaltssenat des BGH das Vorliegen anwaltlicher Tätigkeit anders eingeschätzt hätte als das Bundessozialgericht.
Ein solches Szenario bleibt der Anwaltschaft nun erspart.
Der „Preis“ für die Bindungswirkung ist ein eigenes Klagerecht des Trägers der Rentenversicherung, dem – wie dem
Antragsteller – gegen die Entscheidung der Rechtsanwaltskammer „Rechtsschutz gemäß § 112 a Absatz 1 und 2
zu(steht)“. Von Kritikern wurde dies bereits als Eingriff in die
anwaltliche Selbstverwaltung abgelehnt, doch muss man sich
vergegenwärtigen, dass – da Rechtsschutz für alle Beteiligten
natürlich zu gewährleisten ist – die Alternative eben in der
zuvor beschriebenen Zweigleisigkeit mit ihren sehr viel gravierenderen Unzuträglichkeiten bestanden hätte.
Problematisch ist allerdings, dass die Rechtsmittel nach
§ 112 a Abs. 1 und 2 BRAO, für die gemäß § 112 c Abs. 1
BRAO die Vorschriften der VwGO entsprechend gelten, aufschiebende Wirkung haben (in manchen Bundesländern ist
sogar noch ein Vorverfahren erforderlich), was dazu führen
kann, dass die Rentenversicherung die Zulassung des Betroffenen als Syndikusrechtsanwalt für längere Zeit blockiert.
Die aufschiebende Wirkung sollte deshalb entfallen, was
nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO ohne weiteres festgeschrieben werden könnte.
5. Tätigkeitswechsel
Der Syndikusrechtsanwalt verliert seinen Status, wenn er den
Arbeitgeber und/oder den Tätigkeitsbereich verändert und
danach nicht mehr die Kriterien des § 46 BRAO-E erfüllt. Das
Problem gebrochener Rentenbiographien ist damit auch
nach neuem Recht nicht gelöst. Es gilt eine strenge Anzeigepflicht nach § 46 b Abs. 4 S. 1 BRAO-E, die neben die Anzeige-, Auskunfts- und Vorlagepflichten des § 56 BRAO und des
§ 24 BORA („unbeschadet“) tritt.
Der Gesetzgeber differenziert dabei zwischen
9
jeder tätigkeitsbezogenen Änderung des Arbeitsvertrags
(wozu auch die Aufnahme eines neuen Arbeitsverhältnisses
gehört) (§ 46 b Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BRAO-E) und
9
jeder wesentlichen Änderung der Tätigkeit innerhalb des
Anstellungsverhältnisses (§ 46 b Abs. 4 S. 1 Nr. 2 BRAO-E),
also zwischen nach außen erkennbaren und rein internen
Änderungen.
Die im Referentenentwurf (S. 32) noch enthaltene Einschränkung, dass „eine vorübergehende Abordnung zu anderen Tätigkeiten“ für die Syndikustätigkeit unschädlich sei,
findet sich in der Begründung zum Regierungsentwurf nicht
mehr. Hier taucht jetzt die Klarstellung auf, dass eine wesentliche Tätigkeitsänderung (Nr. 2) etwa bei einem Wechsel von
der Rechts- in die Personalabteilung anzunehmen sein könne, nicht hingegen, wenn bei einer gleichbleibend unabhängig rechtsberatenden Tätigkeit innerhalb derselben Rechtsabteilung lediglich ein anderes Rechtsgebiet bearbeitet
werde. Hier werden sich – insbesondere für die Rechtsanwaltskammern – in der Zukunft schwierige Detailfragen
stellen. Die „Kontakte“ zwischen Syndikusrechtsanwälten
und ihrer Heimatkammer werden künftig deutlich zahlreicher sein als in der Vergangenheit.
AnwBl 8 + 9 / 2015
637
Aufsätze
rufs. Die Befugnis des Syndikusrechtsanwalts zur Rechtsberatung und -vertretung erstreckt sich in diesem Fall auch
auf die Beratung und Vertretung Dritter, wobei sich der Umfang der Beratungsbefugnis nach der Beratungsbefugnis des
Arbeitgebers richtet (Regierungsentwurf S. 37). Das gilt –
worauf oben unter Ziff. B.I. bereits hingewiesen wurde –
auch heute schon. Der bei einem Steuerberater oder einer
Steuerberatungsgesellschaft angestellte Rechtsanwalt ist Syndikusanwalt beziehungsweise Anwalt mit Zweitberuf, muss
dementsprechend eine Freistellungserklärung seines Arbeitgebers vorlegen und darf nur außerhalb seines Anstellungsverhältnisses rechtsberatend und -vertretend tätig werden. Er
„verhilft“ nicht dem Steuerberater oder der Steuerberatungsgesellschaft dazu, den eigenen Tätigkeitsbereich auf allgemeine Rechtsberatung (also solche Rechtsberatung, die
nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Steuerberatung steht) auszudehnen.
MN
Anwaltsrecht
6. Rechte des Syndikusrechtsanwalts
a) Beratung und Vertretung des Arbeitgebers
Der Syndikusrechtsanwalt darf nur in Bezug auf die Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers beratend und vertretend tätig werden. Zu den Rechtsangelegenheiten des Arbeitgebers
sollen gemäß § 46 Abs. 5 BRAO-E auch gehören
9
Rechtsangelegenheiten innerhalb verbundener Unternehmen (im Sinne des § 15 AktG)15
9
erlaubte Rechtsdienstleistungen des Arbeitgebers gegenüber seinen Mitgliedern
9
erlaubte Rechtsdienstleistungen des Arbeitgebers (zum
Beispiel eines Steuerberaters) gegenüber Dritten.
Es wird hier also der Typus eines „Rechtsanwalts“ geschaffen, der nicht der „berufene ... Berater und Vertreter in
allen Rechtsangelegenheiten“ ist, sondern dessen Aktionsradius sich unter Umständen – je nach Ausprägung des
Arbeitsverhältnisses – auf die anwaltliche Beratung und Vertretung einer einzigen Person beschränkt. Ein Syndikusrechtsanwalt, der mehr will, muss gleichzeitig die Zulassung
als „normaler“ Rechtsanwalt beantragen.
b) Vertretungsbefugnisse
aa) Der Syndikusrechtsanwalt darf seinen Arbeitgeber vertreten in
(1) allen zivil- und arbeitsrechtlichen Verfahren sowie in
Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit ohne Anwaltszwang
Das entspricht der aktuellen Rechtslage. Anders als jetzt
darf der Angestellte sich aber „Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt)“ nennen und muss nicht mehr nur als „Mitarbeiter“
seines nicht-anwaltlichen Arbeitgebers agieren.
(2) allen verwaltungs-, finanz- und sozialgerichtlichen
Verfahren sowie in Verfahren vor Schiedsgerichten
Dies ist aktuell nach § 46 Abs. 1 BRAO nicht möglich.
(3) Straf- und Bußgeldverfahren, soweit der Arbeitgeber
nicht als Beschuldigter oder Einziehungsbeteiligter, sondern
zum Beispiel als Geschädigter und Nebenkläger am Verfahren beteiligt ist
Auch dies ist nach geltendem Recht nicht möglich.
bb) Spiegelbildlich zu dem zuvor Gesagten gilt, dass der
Syndikusrechtsanwalt seinen Arbeitgeber nicht vertreten darf
(1) vor den Landgerichten, Oberlandesgerichten und
dem Bundesgerichtshof in zivilrechtlichen Verfahren und
Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sofern Anwaltszwang herrscht (die Parteien oder die Beteiligten sich also
durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen oder vor638
AnwBl 8 + 9 / 2015
gesehen ist, dass ein Schriftsatz von einem Rechtsanwalt unterzeichnet sein muss)
(2) vor den in § 11 Abs. 4 S. 1 ArbGG genannten Gerichten (Landesarbeitsgericht, Bundesarbeitsgericht), sofern es
sich bei dem Arbeitgeber nicht selbst um einen vertretungsbefugten Bevollmächtigten im Sinne des § 11 Abs. 4 S. 2
ArbGG (also zum Beispiel eine Gewerkschaft) handelt
(3) in Straf- oder Bußgeldverfahren, die sich gegen den
Arbeitgeber oder dessen Mitarbeiter richten, als deren Verteidiger oder Vertreter
cc) Eine wichtige Neuerung ergibt sich dadurch, dass Syndikusrechtsanwälte, die zugleich als „normale“ Anwälte zur
Rechtsanwaltschaft zugelassen sind, ihren Arbeitgeber auch
vor den Landgerichten, Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof in zivilrechtlichen Verfahren und in Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit mit Anwaltszwang sowie
vor den in § 11 Abs. 4 S. 1 ArbGG genannten Gerichten als
„normaler“ Rechtsanwalt vertreten dürfen. Dies gilt nach derzeitiger Einschätzung selbst in Angelegenheiten, mit denen
sie zuvor schon im Rahmen ihrer Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt befasst waren. Denn die Beschränkungen des
§ 45 BRAO gelten nicht, weil der Rechtsanwalt, der zuvor als
Syndikusrechtsanwalt mit einer Angelegenheit befasst war
(oder umgekehrt), nicht „außerhalb seiner Anwaltstätigkeit“
tätig geworden ist. Selbstverständlich muss der Syndikusrechtsanwalt gegenüber dem Arbeitgeber nach RVG abrechnen, wenn er ihn als „normaler“ Anwalt vertritt.
Die beschriebene Öffnung gilt in Straf- oder Bußgeldverfahren grundsätzlich nicht. Hier gilt sie allerdings dann,
wenn das Straf- oder Bußgeldverfahren keinen Unternehmensbezug aufweist, einem Mitarbeiter des Unternehmens
zum Beispiel eine Trunkenheitsfahrt zur Last gelegt wird,
ohne dass es sich bei dieser um eine Dienstfahrt gehandelt
hätte.
Es ist erstaunlich (Stichwort: Quadratur des Kreises) wie
geradezu „sang- und klanglos“ der Gesetzgeber die bisherigen Vertretungsbeschränkungen des Syndikusanwalts, die
bislang gar nicht beziehungsweise – etwas fadenscheinig –
mit der Gefahr von Interessenkollisionen begründet werden,16 fallenlässt. Die Erweiterung der Vertretungsbefugnisse
eines Syndikusrechtsanwalts, der neben seiner Tätigkeit als
Syndikusrechtsanwalt auch als „normaler“ Rechtsanwalt tätig
ist, werden in der Begründung zum Regierungsentwurf als
„verfassungsrechtlich geboten“ (S. 24) beziehungsweise als
„aus verfassungsrechtlichen Gründen zulässig“ (S. 45) bezeichnet.
c) Legal privileges
aa) Dem Syndikusrechtsanwalt steht zu
9
ein Zeugnisverweigerungsrecht im Zivilprozess (§ 383
Abs. 1 Nr. 6 ZPO)
9
daraus abgeleitet das Recht, einer gerichtlichen Anordnung zur Urkundenvorlegung nicht nachzukommen (§ 142
Abs. 2 ZPO).
bb) Dagegen steht ihm nicht zu das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Etwas anderes gilt
nur dann, wenn der Syndikusrechtsanwalt Angestellter eines
Berufsträgers (zum Beispiel eines Wirtschaftsprüfers, vereidigten Buchprüfers, Steuerberaters oder Steuerbevollmäch15 Diese Regelung entspricht § 2 Abs. 3 Ziff. 6 RDG, wonach die Erledigung von Rechtsangelegenheiten innerhalb verbundener Unternehmen nicht unter den Begriff der Rechtsdienstleistung fällt. Vgl. Offermann-Burckart, in: Krenzler, aaO, § 2 RDG Rdn. 167.
16 Vgl. hierzu Offermann-Burckart, AnwBl 2015, 202, 206.
Wie sieht die „Quadratur des Kreises“ in der Praxis aus?, Offermann-Burckart
Aufsätze
Allerdings obliegt die Frage, ob eine Tätigkeitsänderung
wesentlich ist (und daher bei Vorliegen der Voraussetzungen
des § 46 a BRAO-E eine Erstreckung der Zulassung beziehungsweise andernfalls deren Widerruf zu erfolgen hat), allein der Prüfung und Entscheidung durch die zuständige
Rechtsanwaltskammer. Eine (nochmalige) Involvierung des
Trägers der Rentenversicherung ist an dieser Stelle nicht vorgesehen. Die Rentenversicherung hat auch kein Rechtsmittel
für den Fall, dass sie eine ihr (zufällig) bekannt gewordene
Tätigkeitsänderung anders als die Rechtsanwaltskammer als
wesentlich einstuft und dabei zugleich auch noch von einem
Wegfall der Zulassungs- und Befreiungsvoraussetzungen
ausgeht. Die Rentenversicherung kommt erst (wieder) ins
Spiel, wenn die Kammer Wesentlichkeit annimmt und die
Zulassung entsprechend erstreckt.
MN
Anwaltsrecht
d) Praktische Erfahrungen aus der Syndikustätigkeit
In der Begründung zum Regierungsentwurf (S. 19 f., 25)
wird klargestellt, dass die praktischen Erfahrungen, die der
Syndikusrechtsanwalt im Rahmen seiner Angestelltentätigkeit erwirbt, also die Fälle, die er bearbeitet, zu berücksichtigen sind
9
beim Erwerb einer Fachanwaltsbezeichnung (§ 43 c Abs. 1
S. 1 BRAO in Verbindung mit § 5 Abs. 1 FAO)17
9
nach § 6 Abs. 2 Nr. 1 BNotO für die Bestellung als Notar18
9
nach § 11 Abs. 1 S. 1 EuRAG für die Zulassung eines europäischen Rechtsanwalts zur Rechtsanwaltschaft.19
7. Pflichten des Syndikusrechtsanwalts
a) Mitgliedschaft in der Rechtsanwaltskammer
Der Syndikusrechtsanwalt ist Pflichtmitglied der örtlich für
ihn zuständigen Rechtsanwaltskammer (§ 46 a BRAO-E in
Verbindung mit § 12 Abs. 3 BRAO).
b) Anzeigepflichten
Er unterliegt den Anzeige-, Auskunfts- und Vorlagepflichten
eines „normalen“ Rechtsanwalts gemäß § 56 Abs. 3 BRAO
und § 24 BORA. Darüber hinaus muss er gemäß § 46 b Abs. 4
BRAO-E der zuständigen Rechtsanwaltskammer die bereits
unter Ziff. B.II.5. dargestellten Veränderungen anzeigen.
Nur so wird die Rechtsanwaltskammer in die Lage versetzt,
zu überprüfen, ob der Syndikusrechtsanwalt die Anforderungen nach § 46 BRAO-E durchgängig erfüllt. Erfüllt er sie
nicht mehr, ist die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt ganz
oder teilweise zu widerrufen. Eine Zulassung als „normaler“
Rechtsanwalt bleibt von diesem Widerruf unberührt. Etwas
anderes gilt nur für den Fall, dass die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt aus einem Grund widerrufen wird, der
auch die „normale“ Zulassung tangiert (z. B. Vermögensverfall, schwerwiegende Erkrankung). In einem solchen Fall
sind beide Zulassungen zu widerrufen. Es ergehen gesonderte Widerrufsbescheide, gegen die auch gesondert Rechtsmittel einzulegen ist.
c) Kanzleipflicht
Auch Syndikusrechtsanwälte sind gemäß § 27 BRAO verpflichtet, eine Kanzlei zu unterhalten. Das gilt mit der Maßgabe, dass die regelmäßige Arbeitsstätte als Kanzlei gilt
(§ 46 c Abs. 4 S. 1 BRAO-E). Ist der Syndikusrechtsanwalt zugleich als „normaler“ Rechtsanwalt zugelassen, muss er hierfür eine gesonderte Kanzlei errichten und unterhalten (§ 46 c
Abs. 4 S. 2 BRAO-E). Daraus ergibt sich für den auch „normal“ zugelassenen Syndikusrechtsanwalt gegenüber der heutigen Situation eine Erschwernis. Es ist künftig nicht mehr
möglich, die Kanzlei (ausschließlich) beim Arbeitgeber einzurichten. Allerdings ist diese derzeit durchaus gängige Praxis ohnehin im Hinblick auf § 59 a Abs. 3 BRAO „grenzwertig“. Denn wer seine Kanzlei in den Räumen des
Arbeitgebers einrichtet, begründet letztlich eine BürogemeinWie sieht die „Quadratur des Kreises“ in der Praxis aus?, Offermann-Burckart
schaft mit dem Arbeitgeber, deren Zulässigkeit (eigentlich)
davon abhängt, dass der Arbeitgeber Rechtsanwalt oder Angehöriger eines sozietätsfähigen Berufs im Sinne von § 59 a
Abs. 1 S. 1 BRAO ist.
d) Besonderes elektronisches Anwaltspostfach
Der Syndikusrechtsanwalt muss auch ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) haben (§ 31 a BRAO20). Wie
sich aus dem Begründungstext (S. 48) ergibt, muss der Syndikusrechtsanwalt, der zugleich als „normaler“ Anwalt zugelassen ist, ein gesondertes besonderes elektronisches Anwaltspostfach haben. Für ihn sind also zwei Postfächer – und
sofern er mehrere Syndikustätigkeiten ausübt, sogar noch
weitere – einzurichten.
e) Berufsbezeichnung
Der Syndikusanwalt/die Syndikusanwältin muss die Berufsbezeichnung „Rechtsanwalt (Syndikusrechtsanwalt)“ beziehungsweise „Rechtsanwältin (Syndikusrechtsanwältin)“ führen (§ 46 a Abs. 4 Nr. 2 BRAO-E). Im Referentenentwurf war
noch die isolierte Bezeichnung „Syndikusrechtsanwalt“ beziehungsweise „Syndikusrechtsanwältin“ vorgesehen.
f) Berufshaftpflichtversicherung
Da der Syndikusrechtsanwalt eigenverantwortlich tätig wird,
also dem Arbeitgeber wie einem Mandanten haftet, soll er
wie jeder „normale“ Rechtsanwalt eine Berufshaftpflichtversicherung unterhalten müssen, die den Anforderungen des
§ 51 BRAO genügt (§ 46 a Abs. 4 Nr. 1 BRAO-E in Verbindung mit § 12 Abs. 2 2. Hs. BRAO). Eine Ausnahme soll nur
dann gelten, wenn der Arbeitgeber für den Syndikusrechtsanwalt eine Haftpflichtversicherung unterhält, die den Anforderungen von § 51 BRAO entspricht.21
Kritiker wenden ein, der Zwang, eine ausreichende Berufshaftpflichtversicherung zu unterhalten, könne sich prohibitiv
auswirken, weil Haftungsrisiken namentlich für in großen
Unternehmen beschäftigte Syndikusrechtsanwälte so unüberschaubar seien, dass sie gar nicht zu tragbaren Konditionen
versichert werden könnten. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass § 46 c Abs. 3 BRAO-E den § 52 BRAO von der Anwendbarkeit auf Syndikusrechtsanwälte ausnimmt, was bedeutet, dass zwischen Syndikusrechtsanwalt und Arbeitgeber
Haftungsbeschränkungen ohne die in der BRAO vorgesehenen Einschränkungen vereinbart werden können.
Der Gesetzgeber hält den Abschluss und das Aufrechterhalten einer Berufshaftpflichtversicherung durch den Syndikusrechtsanwalt „zur Wahrung der Vermögensinteressen
Dritter und der Unabhängigkeit des Syndikusrechtsanwalts“
für erforderlich (S. 42). Die Einschränkung des § 52 BRAO in
Bezug auf die Tätigkeit als Syndnikusrechtsanwalt trage aber
17 Ein entsprechender Vorschlag zur Änderung bzw. Ergänzung von § 5 Abs. 4 FAO, den
der Ausschuss 1 der Fünften Satzungsversammlung unterbreitet hatte, war seinerzeit
zurückgenommen und nicht weiterverfolgt worden, nachdem absehbar war, dass sich im
Plenum der Satzungsversammlung hierfür keine Mehrheit würde finden lassen.
18 Hier stellt sich allerdings die Frage, wie die Forderung nach einem Tätigsein für
„verschiedene“ Auftraggeber erfüllt werden kann.
19 Für europäische Rechtsanwälte besteht – wie sich aus dem Verweis auf § 4 BRAO ergibt
– die Möglichkeit einer Zulassung als Syndikusrechtsanwalt übrigens nicht. Insofern ergibt sich ein Widerspruch zu § 6 Abs. 1 EuRAG, der unter anderem einschränkungslos
auf den Dritten Teil der BRAO verweist und dementsprechend noch geändert werden
muss.
20 Tritt am 1.1.2016 in Kraft.
21 Mit der Frage, ob auch für Syndikusrechtsanwälte die Grundsätze gelten, die das BAG
zum Thema „gefahrgeneigte Arbeit“ entwickelt hat, wird sich ausführlich der Beitrag von
Schuster, AnwBl. 2015, ... beschäftigen.
AnwBl 8 + 9 / 2015
639
Aufsätze
tigten) ist, für den ein eigenes Zeugnisverweigerungsrecht
gilt (§ 53 a Abs. 1 StPO).
Für den Syndikusrechtsanwalt gelten auch nicht
9
die Beschlagnahmefreiheit nach § 97 Abs. 1 bis 3 StPO
9
das Abhörungs- und Aufzeichnungsverbot nach § 100 c
Abs. 6 StPO
9
das Verbot der Durchführung von Ermittlungsmaßnahmen (§ 160 a StPO).
MN
Anwaltsrecht
g) Berufsrechtliche Pflichten
Der Syndikusrechtsanwalt unterliegt denselben berufsrechtlichen Pflichten wie jeder „normale“ Rechtsanwalt.
Dazu zählen insbesondere
(1) die Pflicht zur Wahrung der Unabhängigkeit (§ 43 a
Abs. 1 BRAO), die in der Gesetzesbegründung (S. 44) als
Pflicht des Syndikusrechtsanwalts ausdrücklich erwähnt wird
(2) die Pflicht zur Verschwiegenheit (§§ 203 StGB, 43 a
Abs. 2 BRAO, 2 BORA)
Der Syndikusrechtsanwalt, der ein Geheimnis aus seinem
„anwaltlich geprägten“ Tätigkeitsbereich offenbart, verstößt
also nicht nur gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten, sondern auch gegen Berufsrecht. Unter Umständen macht er
sich sogar strafbar.
(3) das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen
(§§ 356 StGB, 43 a Abs. 4 BRAO, 3 BORA)
Das Interessenkollisions-Verbot kann (Stichwort: Sozietätswechsler-Situation) erhebliche Bedeutung erlangen, wenn
ein Syndikusrechtsanwalt innerhalb derselben Branche einen
Arbeitsplatzwechsel vornimmt (zum Beispiel ein Syndikusrechtsanwalt aus der Vertragsabteilung eines Autokonzerns in
die Vertragsabteilung eines Zulieferbetriebs wechselt, der in
intensiven Geschäftsbeziehungen zu dem Autokonzern
steht). Dabei stellt sich auch die interessante Frage, ob die Syndikusrechtsanwalts-Kollegen eines den Arbeitsplatz wechselnden Syndikusrechtsanwalts (im abgebenden Unternehmen
und/oder im aufnehmenden Unternehmen) „infiziert“, also
ebenfalls kollisionsbefangen sind. Wenn man die ausnahmslose Geltung des Berufsrechts auch für Syndikusrechtsanwälte ernst nimmt, kann diese Frage – mit den hierzu allgemein
diskutierten Imponderabilien – nur bejaht werden.
(4) das Verbot der Umgehung des Gegenanwalts (§ 12
BORA)
Ist die Gegenseite anwaltlich vertreten, kann der Syndikusrechtsanwalt sich nicht mehr auf den Standpunkt zurückziehen, er selbst handele ja nur als Mitarbeiter seines Arbeitgebers.
(5) besondere Darlegungs- und Informationspflichten bei
Inkassodienstleistungen (§ 43 d BRAO)
(6) die Pflicht zur Entgegennahme ordnungsgemäßer
Zustellungen (§ 14 BORA)
640
AnwBl 8 + 9 / 2015
(7) das Verbot erfolgsabhängiger Vergütung (§ 49 b Abs. 2
S. 1 BRAO), das der Gesetzgeber als „vor allem“ zu benennende Grundpflicht, der auch Syndikusrechtsanwälte unterliegen, erwähnt (S. 44), ohne darzulegen, was hier konkret
gemeint ist
Soll es dem Syndikusrechtsanwalt etwa verwehrt sein, mit
seinem Arbeitgeber Prämien auszuhandeln? Wie vertrüge
sich das mit arbeitsrechtlichen Überlegungen?
(8) Bestimmte Berufspflichten, insbesondere die Pflicht
zur Übernahme von PKH- und Beratungshilfe-Mandaten,
gelten (beziehungsweise passen) für den Syndikusrechtsanwalt nicht (§ 46 c Abs. 3 BRAO-E).
Um dies zu begründen, genügt es allerdings nicht, nur
darauf zu verweisen, dass Syndikusrechtsanwälte gegenüber
ihrem Arbeitgeber nicht nach RVG abrechnen (dürfen) (siehe
hierzu näher sogleich). Nach den Ausführungen in der Entwurfsbegründung verträgt sich eine solche Übernahmepflicht mit der Tätigkeit eines ausschließlich nach § 46 a
BRAO-E zugelassenen Syndikusrechtsanwalts schon deshalb
nicht, weil dessen anwaltliche Tätigkeit nach § 46 Abs. 5
BRAO-E auf die Beratung und Vertretung des Arbeitgebers
beschränkt sei (S. 47). Auch diese Argumentation springt
letztlich zu kurz, weil durchaus Fälle denkbar sind (zum Beispiel der des in Vermögensverfall geratenen Einzel-Steuerberaters mit einem angestellten Syndikusrechtsanwalt), in denen darüber nachzudenken wäre, ob es in Verfahren, die der
Syndikusrechtsanwalt für seinen Arbeitgeber führen darf,
wirklich noch vertretbar ist, gleichwohl einen niedergelassenen Rechtsanwalt im Wege der Prozesskostenhilfe beizuordnen und so die Allgemeinheit mit eigentlich unnötigen Aufwendungen zu belasten.
h) Abrechnungsverhalten
Der Syndikusrechtsanwalt ist nicht berechtigt und verpflichtet, nach RVG abzurechnen (§ 1 Abs. 2 S. 1 RVG-E).
III. Der auch als „normaler“ Rechtsanwalt zugelassene
Syndikusrechtsanwalt
Hier ergeben sich – abgesehen von der doppelten Zulassung
– gegenüber dem unter Ziff. B.II. Dargestellten keine Unterschiede.
1. Grundsätzliches
Zusammengefasst gilt, dass der Syndikusrechtsanwalt mit
„zweiter“ Anwaltszulassung
9
weitergehende Vertretungsbefugnisse als der Syndikusanwalt heute hat, weil er den nicht-anwaltlichen Arbeitgeber
außerhalb des Anstellungsverhältnisses auch umfassend gerichtlich vertreten darf
9
eine Berufshaftpflichtversicherung (oder auch zwei Versicherungen) unterhalten muss, die zu 100 Prozent die Syndikusrechtsanwaltstätigkeit (diesen Bereich kann auch der
Arbeitgeber übernehmen) und zu 100 Prozent die „normale“
Anwaltstätigkeit abdeckt
9
als „normaler“ Rechtsanwalt eine eigene, weitere Kanzlei
unterhalten muss
9
als „normaler“ Rechtsanwalt ein eigenes, weiteres besonderes elektronisches Anwaltspostfach unterhalten muss.
2. Unvereinbarkeit der Syndikustätigkeit?
Daneben gilt außerdem (natürlich) § 7 Nr. 8 BRAO (beziehungsweise § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO), was bedeutet, dass
Wie sieht die „Quadratur des Kreises“ in der Praxis aus?, Offermann-Burckart
Aufsätze
dem Umstand Rechnung, dass das Interesse des Arbeitgebers an einem Schadensausgleich durch den Syndikusrechtsanwalt beziehungsweise dessen Versicherung im Rahmen des bestehenden Anstellungsverhältnisses anders zu
bewerten sei als das Interesse eines Mandanten im Rahmen
eines Einzelauftrags; der Arbeitgeber sei daher nicht in gleicher Weise schutzwürdig. So bestehe zwischen Arbeitgeber
und Syndikusrechtsanwalt bei Abschluss des Anstellungsvertrags regelmäßig ein größeres Verhandlungsgleichgewicht
als zwischen (Syndikus-)Rechtsanwalt und Mandant bei Begründung eines Einzelmandats. Zudem könne es für den Arbeitgeber, der den Syndikusrechtsanwalt nach § 46 c Abs. 4
Nr. 1 BRAO-E mitversichern oder im Innenverhältnis dessen
Versicherungsprämie übernehmen wolle, wirtschaftlich interessant sein, dem Syndikusrechtsanwalt Haftungserleichterungen einzuräumen, die sich vorteilhaft auf die Höhe der
Versicherungsprämie auswirkten. Vor diesem Hintergrund
sollten im Verhältnis zum Arbeitgeber individualvertragliche
Haftungsbegrenzungen im Rahmen der allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen (zum Beispiel des § 276 Abs. 3 BGB)
zulässig sein (S. 47).
MN
Anwaltsrecht
Wie sieht die „Quadratur des Kreises“ in der Praxis aus?, Offermann-Burckart
sprechungen jederzeit von ihrem Dienstplatz entfernen (dürfen), ohne im Einzelfall eine Erlaubnis hierfür einholen zu
müssen, selbst wenn anwaltliche Termine mit dienstlichen
Terminen kollidieren“.25
IV. Der „normale“ Rechtsanwalt mit Zweitberuf
Bei aller Euphorie über den Regierungsentwurf darf eine
Spezies nicht vergessen werden: der Rechtsanwalt mit Zweitberuf. Angesichts der Anforderungen, die an den Syndikusrechtsanwalt gestellt werden, wird es – nicht wenige – Unternehmens- und Verbandsjuristen geben, die zwar über eine
„normale“ Anwaltszulassung verfügen, aber nicht Syndikusrechtsanwälte sind beziehungsweise werden können. Es sind
dies diejenigen Unternehmens- und Verbandsjuristen (mit
Anwaltszulassung), die nicht die Anforderungen von § 46
BRAO-E erfüllen, also nicht anwaltlich geprägt und/oder
nicht unabhängig und/oder nicht eigenverantwortlich tätig
sind und/oder keine Vertretungsbefugnis nach außen haben.
Die Gesetzesbegründung (S. 31) benennt exemplarisch
den juristisch ausgebildeten Mitarbeiter (zum Beispiel Sachbearbeiter), der weisungsgebunden rechtliche Sachverhalte
prüft und anhand unternehmensinterner Vorgaben entscheidet.
Auch für diese Gruppe gilt (natürlich) weiterhin § 7 Nr. 8
BRAO (beziehungsweise § 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO), das heißt
es muss die Vereinbarkeit der Tätigkeit mit dem Anwaltsberuf geprüft werden, was unter anderem die Vorlage einer
Freistellungserklärung (siehe oben) erfordert.
Übrigens ist kein bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber angestellter „Volljurist“ verpflichtet, sich als Syndikusrechtsanwalt zulassen zu lassen. Wem die Befreiung von der
Rentenversicherungspflicht egal ist und wer die Syndikusrechtsanwalts-Zulassung nicht will, weil er zum Beispiel
nicht den berufsrechtlichen Regeln unterworfen sein will,
kann auch weiterhin als „einfacher“ Unternehmens- oder
Verbandsjurist mit oder ohne Zulassung als „normaler“
Rechtsanwalt tätig sein. Daraus ergibt sich – wie dies ja auch
bislang nicht der Fall ist – kein Verstoß gegen das RDG.
C. Aufgabe der Doppelberufstheorie?
Vor dem Hintergrund der Ausführungen zu dem alten und
nach wie vor existierenden Typus des Rechtsanwalts mit
Zweitberuf stellt sich die Frage, ob durch den Gesetzentwurf
– wie von der Bundesregierung formuliert (S. 21) – wirklich
die sogenannte Doppelberufs- oder Zweiberufe-Theorie aufgegeben wird. Wie gezeigt, ändert sich bei denjenigen Unternehmens- und Verbandsjuristen, die nicht Syndikusrechtsanwalt sind, aber über eine Anwaltszulassung verfügen,
gegenüber dem heutigen Rechtszustand praktisch nichts. Sie
sind auch weiterhin Rechtsanwälte mit Zweitberuf.
In der Gesetzesbegründung wird formuliert, die Aufgabe
der Doppelberufstheorie bedeute nicht, dass die Ausübung
zweier oder mehrerer Berufe nebeneinander ausgeschlossen
werde, sondern lediglich, dass der Begriff des Syndikusrechtsanwalts nicht mehr zwingend die Ausübung zweier Be22 BVerfGE 87, 287 = AnwBl. 1993, 120 = NJW 1993, 317 = BRAK-Mitt. 193, 50.
23 Allerdings könnte die Unabhängigkeit (§ 43 a Abs. 1 BRAO) des Syndikusrechtsanwalts
in Gefahr sein.
24 Vgl. etwa BGHZ 33, 266, 268 = NJW 1961, 216.
25 So der Vorschlag der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf für eine entsprechende Passage
in der „Freistellungserklärung“.
AnwBl 8 + 9 / 2015
641
Aufsätze
nach wie vor festgestellt werden muss, dass die Angestelltentätigkeit, also die Syndikusrechtsanwaltstätigkeit mit der Anwaltstätigkeit vereinbar ist. Die Beschränkungen, die hier
ganz grundsätzlich für Rechtsanwälte bestehen, müssen natürlich auch für Syndikusrechtsanwälte gelten, die eine zusätzliche „normale“ Zulassung erhalten beziehungsweise behalten wollen. Das Bundesverfassungsgericht schließt in
seiner Zweitberufs-Entscheidung vom 4. November 199222
die Vereinbarkeit von (insbesondere kaufmännisch-erwerbswirtschaftlichen) Tätigkeiten mit dem Anwaltsberuf aus,
wenn Interessenkollisionen naheliegen, weil etwa ein kaufmännischer Beruf die Möglichkeit bietet, Informationen zu
nutzen, die aus der rechtsberatenden Tätigkeit stammen. Solchen Gefahren zu wehren, sei im Interesse der Rechtspflege
und des Ansehens der Rechtsanwaltschaft geboten und auch
erkennbares Ziel entsprechender Berufswahlbeschränkungen.
Für „reine“, also ausschließlich als Syndikusrechtsanwälte zur Anwaltschaft zugelassene Syndikusrechtsanwälte stellt
sich hierbei die spannende Frage, ob auch für sie die von der
Rechtsprechung entwickelten Beschränkungen hinsichtlich
der Unvereinbarkeit einer Tätigkeit gelten. Konkret geht es
dabei etwa darum, ob ein Nur-Syndikusrechtsanwalt zum
Beispiel im Finanzdienstleistungsbereich tätig sein darf,
wenn zu seiner Tätigkeit (und sei es auch nur in geringerem
Umfang) auch die Vermittlung von Finanzprodukten gehört.
Der umfassende Verweis auf § 7 BRAO in § 46 a Abs. 1 S. 1
Nr. 2 BRAO-E legt eine solche Sichtweise nahe. Andererseits
ist zu bedenken, dass der nur seinem eigenen Arbeitgeber
„dienende“ Syndikusrechtsanwalt kaum der Gefahr von Interessenkollisionen unterliegen kann.23 Wünscht ein solcher
Syndikusrechtsanwalt aber auch die „normale“ Zulassung,
kann sich ein entsprechender Versagungs- beziehungsweise
Widerrufsgrund natürlich ergeben. Fälle einer Unvereinbarkeit wegen der ausgeübten Tätigkeit dürften bei Syndikusrechtsanwälten in der Praxis dennoch selten sein, weshalb es
im Wesentlichen um die Frage gehen wird, ob der „normale“
Anwaltsberuf auch in angemessenem Umfang ausgeübt werden kann.
Das Bundesverfassungsgericht führt hierzu in seiner
Zweitberufs-Entscheidung aus, der rechtliche und tatsächliche Handlungsspielraum, der für die Ausübung des Anwaltsberufs unentbehrlich sei, werde vom Bundesgerichtshof
in ständiger Rechtsprechung danach bestimmt, ob dem Berufsbewerber der Freiraum für eine irgendwie nennenswerte
und nicht nur gelegentliche Beratungs- und Vertretungstätigkeit bleibe.24 Dieser konkretisierende Grundsatz sei von dem
gesetzgeberischen Ziel geleitet, ein Mindestmaß an Unabhängigkeit und Professionalität des Rechtsanwalts zu gewährleisten. Er sei dazu geeignet und auch erforderlich, um
den reinen „Feierabend-Anwalt“ auszuschließen und die Berufsbezeichnung des Rechtsanwalts nicht zu einem bloßen
Titel werden zu lassen. Die Zumutbarkeit ergebe sich daraus,
dass die betroffenen Berufsbewerber bereits über einen ausfüllenden und zeitlich belastenden Hauptberuf verfügten, in
der Regel also durch einen Ausschluss vom Rechtsanwaltsberuf weniger hart getroffen würden.
Es wird somit auch weiterhin die von den Kammern „ungeliebten“ Freistellungserklärungen geben, in denen nichtanwaltliche Arbeitgeber den bei ihnen angestellten (Syndikusrechts-)Anwälten – mehr oder weniger wahrheitsgemäß
– bescheinigen, dass sie sich „während der Dienststunden
zur Wahrnehmung etwaiger gerichtlicher Termine und Be-
MN
Anwaltsrecht
D. Zur Reichweite der Vertrauensschutzregelung
des § 231 Abs. 4 b SGB VI-E
Eine der Fragen, die sofort nach Bekanntwerden des Referentenentwurfs heftig diskutiert wurden, war die, ob auch diejenigen zur Anwaltschaft zugelassenen „Alt-Syndizi“, die über
einen gültigen rentenversicherungsrechtlichen Befreiungsbescheid verfügen, gezwungen sind, einen Antrag auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt zu stellen. Die Verfasserin hat
dies schon in ihrem Vortrag am 12. Juni 2015 auf dem
66. Deutschen Anwaltstag verneint und auf § 231 Abs. 4 b
S. 4 SGB VI-E verwiesen, der lautet: „Die Befreiung wirkt jedoch auch für Zeiten vor dem 1. April 2014, wenn für diese
Zeiten einkommensbezogene Pflichtbeiträge an ein berufsständisches Versorgungswerk gezahlt wurden.“ In der Begründung (S. 57) heißt es hierzu, Satz 4 regele, dass die Begrenzung der Rückwirkung der Befreiung auf April 2014
nicht in den Fällen gelte, in denen insbesondere in der Annahme des Bestehens einer gültigen Befreiung seinerzeit nur
einkommensbezogene Pflichtbeiträge zur berufsständischen
Versorgung gezahlt worden seien, nicht jedoch zur gesetzlichen Rentenversicherung. Und: „Hiermit wird umfassend
eine Rückabwicklung der zur berufsständischen Versorgung
entrichteten Beiträge vermieden und im Ergebnis die tatsächliche Beitragszahlung nachträglich legalisiert“.
Gegen einen Zwang für „Alt-Syndizi“, sich als Syndikusrechtsanwalt zulassen zu lassen, sprechen auch die Ausfüh-
rungen der Bundesregierung zum Erfüllungsaufwand für die
Rechtsanwaltskammern. Hier ist eine Fallzahl von circa
4.000 bis 6.000 Anträgen auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt im Jahr (bundesweit) „eingepreist“ und nicht von einer Antragsflut im ersten Halbjahr 2016 die Rede. Es gibt
auch keinen Grund, der einen Unternehmens- oder Verbandsjuristen, dessen Befreiung von der Rentenversicherungspflicht fortgilt, zwänge, die Zulassung als Syndikusrechtsanwalt zu erlangen (siehe oben). Dies könnte im
Einzelfall unter Umständen sogar zu schwierigen Verhandlungen mit dem Arbeitgeber und/oder dazu führen, dass bei
einer Versagung der Zulassung durch die Kammer die Befreiung verloren wäre.
Andererseits wird es Syndikusanwälte geben, die die zusätzlichen Möglichkeiten, die eine Zulassung sowohl als Syndikusrechtsanwalt als auch als „normaler“ Rechtsanwalt
(Stichwort: Möglichkeit der Vertretung des Arbeitgebers als
„normaler“ Rechtsanwalt, Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO etc.) mit sich bringt, nutzen wollen.
Die Auffassung der Verfasserin (also kein Zwang) wird
aktuell auch durch die jüngste Verlautbarung der DRV vom
29. Juni 2015 gestützt, in der es heißt:
„Syndikusanwälte, die bei nicht-anwaltlichen Arbeitgebern arbeiten und für ihre derzeit ausgeübte Tätigkeit über
eine aktuelle Befreiung verfügen, bleiben in dieser Tätigkeit
befreit, solange die übrigen Befreiungsvoraussetzungen
(Pflichtmitgliedschaft in einer Rechtsanwaltskammer und in
einem Versorgungswerk für Rechtsanwälte, Zahlung einkommensgerechter Beiträge) vorliegen. Die betroffenen Personen müssen erst bei einem Wechsel der Tätigkeit ein neues Befreiungsverfahren in Gang setzen. Wer am 31.12.2014
bereits das 58. Lebensjahr vollendet hat und in der Vergangenheit von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen
Rentenversicherung befreit war, bleibt befreit, solange die
oben angeführten Befreiungsvoraussetzungen vorliegen und
eine rechtsberatende Tätigkeit ausgeübt wird.“
Die übrigen sozialversicherungsrechtlichen Fragen werden Gegenstand eines gesonderten Beitrags von Schafhausen27 sein. Auch zu diesen weiteren Fragen äußert sich die
DRV in ihrer erwähnten Verlautbarung vom 29. Mai 2015, in
der es unter anderem heißt, einer Aufrechterhaltung von Widersprüchen und Klagen gegen nach dem 3. April 2014 ergangene Ablehnungsbescheide bedürfe es, um rechtliche
Nachteile zu vermeiden, nicht. Da jeder Fall anders ist, bei einer Klagerücknahme die entstandenen Kosten (insbesondere
die Anwaltskosten) beim Kläger verbleiben und Fälle denkbar
sind, in denen zwar Bestandsschutz besteht, nicht aber gewährleistet ist, dass ein Verfahren auf Zulassung als Syndikusrechtsanwalt zum Erfolg führt, kann hier von vorschnellen Entscheidungen nur dringend abgeraten werden!
Dr. Susanne Offermann-Burckart,
Grevenbroich
Die Autorin ist Rechtsanwältin und Mitglied der 6. Satzungsversammlung.
Leserreaktionen an [email protected].
26 Vgl. die Stellungnahme des DAV von Mai 2015.
27 AnwBl 2015, 643 (in diesem Heft).
642
AnwBl 8 + 9 / 2015
Wie sieht die „Quadratur des Kreises“ in der Praxis aus?, Offermann-Burckart
Aufsätze
rufe, nämlich desjenigen eines ständigen Rechtsberaters in
einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem
bestimmten nicht-anwaltlichen Arbeitgeber und eines zweiten Berufs als freier Rechtsanwalt fordere (S. 21). Richtigerweise wird man allerdings sagen müssen, dass gerade durch
den Gesetzentwurf die Doppelberufstheorie für diejenigen
Anwälte im Anstellungsverhältnis, die nicht die Zulassung
als Syndikusrechtsanwalt haben beziehungsweise erhalten
können, manifestiert wird. Durch das Nebeneinanderstellen
von „normalen“ Rechtsanwälten und Syndikusrechtsanwälten sowie das Erfordernis einer jeweils eigenen Zulassung
wird aus der Doppelberufstheorie letztlich eine Art „Zwei-Anwaltstypen-Theorie“.
Das ist einer der Gründe, warum zum Beispiel der Deutsche Anwaltverein (DAV) und der Bundesverband der Unternehmensjuristen (BUJ) in ihren ersten Stellungnahmen die
eigene zusätzliche Syndikusrechtsanwalts-Zulassung abgelehnt haben. Der DAV hat stattdessen vorgeschlagen, die Frage des Vorliegens anwaltlicher Tätigkeit zum Gegenstand eines eigenen Feststellungsbescheids zu machen, der
gewissermaßen auf der „normalen“ Zulassung zur Rechtsanwaltschaft aufsetzt.26 Hierzu schlägt der DAV folgenden
§ 46 a Abs. 5 BRAO vor: „Wer den Rechtsanwaltsberuf gem.
§ 46 Abs. 6 zugleich selbstständig und nach § 46 Abs. 2
ausübt, bedarf für die letzte Tätigkeit keiner gesonderten Zulassung i. S. von Abs. 2. Er darf die Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt erst dann aufnehmen, wenn die Rechtsanwaltskammer durch Feststellungsbescheid nach Abs. 6 bestätigt
hat, dass die im Rahmen des Anstellungsverhältnisses nach
§ 46 Abs. 2 geschuldete Dienstleistung eine anwaltliche Tätigkeit i.S. von § 46 Abs. 3 u. 4 ist.“