Sozialforscher sieht Flüchtlinge als letzte Chance für ländlichen Raum | Manuskript Sozialforscher sieht Flüchtlinge als letzte Chance für ländlichen Raum Bericht: Björn Menzel, Alexander Ihme Bürgermeister Andreas Brohm unterwegs zu neuen Mitbürgern. Flüchtlinge und ihre Helfer legen hier am Rande von Tangerhütte einen Garten an. Die Aktion auf dem privaten Grundstück hat Manfred Hain organisiert. Er ist Mitglied im Netzwerk „Neue Nachbarn“. Das hat der Bürgermeister ins Leben gerufen. Die Familien aus Afghanistan und Syrien haben große Anbaupläne. Wassermelonen anbauen. Manfred Hain, Netzwerk Neue Nachbarn Tangerhütte Wie du gesagt hast. Letztes Mal, hat dein Vater ja für so einen Großbauern da gearbeitet. Und die Kinder haben dann immer mitgeholfen, praktisch. Und deswegen kennt er sich natürlich gut aus und ist auch rasend schnell. Hier gärtnern 15 von zurzeit 47 Flüchtlingen in Tangerhütte. Ob alle Asyl bekommen, ist unklar. Brohm will sie unbedingt als Einwohner halten. Denn für seine Stadt ergeben sich mit den neuen Familien, seiner Meinung nach, nur Vorteile. Andreas Brohm, Bürgermeister Tangerhütte (parteilos) Also wir können unsere Kita leichter ausbauen, die Schulen sanieren, die Kaufkraft erhöhen wir und die Einwohnerzahlen bleiben stabil. Tangerhütte hat zwischen 1995 und 2015 ungefähr ein Viertel seiner Einwohner verloren. Das Durchschnittsalter liegt auf dem Land in Sachsen-Anhalt bei 55 Jahren. Viele Häuser stehen leer. Andreas Brohm meint, allein Zuzug hilft. Und der funktioniert im Moment am besten durch die Flüchtlinge. Deshalb will er ihnen den Ort schmackhaft machen. In der Kleingartenanlage am Stadtrand, trifft Andreas Brohm nur auf Zustimmung. Frau Gärtner und Bürgermeister Das sind drei Flüchtlingsfamilien aus Tangerhütte. Ah, das ist aber gut. Die möchten da hinten was anbauen weil, der eine Vater ist Bauer in Afghanistan gewesen. Und die möchten einfach raus aus den Wohnhäusern. Das ist doch schön, ja. Zwei Gärten weiter freut sich ein Freizeitbauer darüber, mal wieder jüngere Leute zu sehen. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 1 Sozialforscher sieht Flüchtlinge als letzte Chance für ländlichen Raum | Manuskript Gärtner im Garten Mich stört das nicht. Nicht im Geringsten Ist doch alles alt. Alte Leute hier drüben über 80, ich werde 78. Na was soll man noch? Für Andreas Brohm ist klar, ohne neue Einwohner von außen droht der Gemeinde eine katastrophale Zukunft. Ein Szenario, das auch wissenschaftlich belegt ist. Sozialforscher Andreas Siegert hat das in einer Studie zur Demographie im ländlichen Raum ermittelt. Es geht ums Eingemachte. Dr. Andreas Siegert, Sozialforscher, Universität Halle Im ländlichen Raum sehen wir, dass Trink- und Abwasserkosten dramatisch steigen, wir sehen das Schulen geschlossen werden, das Vereine keine attraktiven Mannschaften mehr zusammenstellen können, überhaupt keine Mannschaften mehr zusammenstellen können. Das ganze Sportarten im ländlichen Raum geschlossen werden. Kultureinrichtungen werden geschlossen. Den ländlichen Gemeinden droht wegen fehlender Einwohner der finanzielle Kollaps. Bereits jetzt drücken hohe Schulden. Tangerhütte geht es da nicht anders. Besondere Sorgen bereitet Andreas Brohm die Städtisches Wohnungsgesellschaft, die mit hohem Leerstand kämpft. Und der kostet. Andreas Brohm, Bürgermeister Tangerhütte (parteilos) Den Block hier drüben könnten wir eigentlich leerziehen, stilllegen… Dann können wir feststellen, dass die Einnahmen stetig in den kommenden Jahren sinken werden. Wir rechnen zwischen ein bis zwei Prozent Einnahmeverlust jährlich. So. Da muss ich mir aber Gedanken machen, wo kommen neue Mieter her. Wenn Flüchtlinge dazukommen, dann verringert sich diese Kurve. Wir können die Einnahmesituation einer städtischen Wohnungsgesellschaft erheblich verbessern. Für derzeit fünf Flüchtlingswohnungen bekommt die Wohnungsgesellschaft im Jahr 40.000 Euro vom Land Sachsen-Anhalt. Trotz kleinerer Konflikte bei der Mülltrennung haben sich die Anwohner mit den neuen Nachbarn arrangiert. Geld vom Land, das in die Stadtkasse fließt. Was in Tangerhütte in kleinen Schritten funktioniert, stellt andere Kommunen vor Probleme. Ein Beispiel aus Sachsen. Auch im Tausendseelenort Wiederau kämpfen Einwohner mit viel Engagement dafür, Flüchtlinge in ihrem Ort anzusiedeln, stehen aber immer wieder vor großen Hürden. Traugott Fehlberg ist einer derjenigen, der für die Flüchtlinge Wohnungen sucht. Alles andere als einfach. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 2 Sozialforscher sieht Flüchtlinge als letzte Chance für ländlichen Raum | Manuskript Traugott Fehlberg, Pfarrer Königshain-Wiederau Weil manche Vermieter dazu nicht so ein einfaches „Ja“ finden. Aus Angst auch. Und weil andere Vermieter hier wittern, dass da Gewinn herauszuschlagen ist und mit den Mieten sehr hoch gehen. Wir haben hier in Wiederau viele Wohnungen, die aber zu teuer sind, plötzlich, für diesen Zweck. Trotz Engagements viele Probleme - das hört auch Andreas Brohm aus anderen Gemeinden. Doch was ist in Tangerhütte anders? Andreas Brohm, Bürgermeister Tangerhütte (parteilos) Es nützt nichts von oben etwas zu bestimmen, sondern alles das, was wir in Tangerhütte umsetzen kommt ja aus dem Netzwerk neue Nachbarn. Und dabei hilft die Verwaltung bei der Umsetzung. Ich glaube das ist ein gutes System, die Leute da abzufangen, was können wir leisten. Das ist so die Frage, was sind wir im Stande selber zu leisten. Wo findet sich jeder wieder? Wenn man diesen Weg konsequent zu Ende geht, dann könnte das funktionieren. Mit diesem Optimismus versucht er auch bei der Landesregierung zu punkten, denn Bürgermeister Brohm will Fördermittel für die Schulsanierung. Dafür muss er belegen, dass die Grundschule auch noch in 15 Jahren mindestens 60 Schüler hat. Die Flüchtlingskinder können ihm dabei helfen. Sidra aus Syrien ist eins von sechs, die schon jetzt hier lernen. Lehrerin: Fantastisch. Sidra, Mädchen aus Syrien: Lirum, larum, Löffelstiel, wer viel liest, lernt auch viel. Am Nachmittag treffen wir Bürgermeister Andreas Brohm wieder - im Wohngebiet, wo die Asylbewerber leben. Hier auf dem Spielplatz hat niemand etwas gegen sie. Mutter: Stört uns überhaupt nicht, könnten ruhig noch mehr kommen. Auch wenn an diesem Tag niemand etwas Negatives über Flüchtlinge sagt, hier in der Einheitsgemeinde haben am Sonntag rund ein Viertel der Wähler bei der asylkritischen AfD ihr Kreuz gemacht. Das lässt auch den Bürgermeister ratlos zurück. Andreas Brohm, Bürgermeister Tangerhütte (parteilos) Gerade wenn wir heute hier durchgehen und die Situation erleben, wenn wir erleben, was im letzten Dreivierteljahr passiert ist, dann passt das eine nicht mit den Anderen zusammen. Das ist jetzt ‚ne Denksportaufgabe. Hinweis: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf nur für den privaten Gebrauch des Empfängers verwendet werden. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Urheberberechtigten ist unzulässig. 3
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