Rovaniemi ist spektakulär Nördlichste Universität Europas, größte Stadt Europas, offizielle Heimat des Weihnachtsmanns. Was auf dem Papier nach viel klingt, entpuppt sich auch in der Realität als spektakulär. Rovaniemi heißt diese ominöse Megastadt, mit 60.000 Einwohnern vom städtischen Leben her allerdings eher eine Kleinstadt (größte Europas nur flächenmäßig… ;)). Die Natur ist hier ein Traum, und verändert sich mit einer ungekannten Geschwindigkeit von Tag zu Tag. Das liegt an der nördlichen Lagekurz vor dem Polarkreis. Das bedeutet neben dem kulturellen Austausch und dem Studium im Ausland Schnee, Kälte, Polarlichter, Lagerfeuer, Mitternachtssonne, Rentier-Rennen in der Innenstadt, Eisschwimmen, Tannen wohin das Auge reicht, Santa Claus, Skifahren, beeindruckende Himmel, und natürlich soziale Aktivitäten (Partys im Schnee!). Ich bin Anfang Januar hier angekommen, als wir rund 4,5 Stunden Tageslicht hatten; Mitte Mai sind es dann 20. Komplett Schneefrei habe ich die Stadt nicht kennen gelernt, wenngleich jetzt, wo sich der Mai dem Ende zuneigt, nur noch einzelne Schneehaufen zu sehen sind. Es wird hier mitunter tatsächlich relativ kalt, mehr als 30 Grad minus sind drin. Das hat natürlich Konsequenzen für das Leben hier, es findet oft um ein Feuer herum statt. Rovaniemi bietet eine Vielzahl von Feuerstellen, wunderbar idyllisch im verschneiten Tannenwald gelegen und mit Vorräten ausgestattet, Holz suchen muss also niemand. Wer zwischen zehn und 12 Uhr abends loszieht hat die besten Chancen auf Polarlichter (bis ca. Ende März realistischerweise), wegen denen ich teilweise jeden zweiten Wochentag auf Safari gegangen bin. Man täuscht sich, Polarlichter sind kein allzu regelmäßiges Phänomen, ich hatte eine handvoll mal das Vergnügen. Aber wenn man starke Polarlichter zu Gesicht bekommt, dann kann man die Augen gar nicht mehr von ihnen lassen. Zu recht ist man dann auch schnell mit dem halben Erasmus Dorf unterwegs. Diese winterlichen Verhältnisse bieten sehr viel. Ich glaube niemand hat die Wintermonate hier als langweilig empfunden. Klar, nach zwei Monaten in denen die Temperatur nicht über minus fünf klettert wünscht man sich gelegentlich Sonne und Wärme, aber unter dem Strich ist das vernachlässigbar; man wird von der Natur großzügig für die kleineren Entbehrungen entschädigt. Und wer sich bewusst entscheidet zum Polarkreis zu ziehen, der weiß ja auch in etwa worauf er/sie sich einlässt. Und wer nicht, nun, dann kann man es ja immer noch versuchen schätzen zu lernen, das fällt nicht schwer. Die Erasmus Studenten hier sind keine Einsiedler, und wer lieber jeden Tag Party möchte wird auch dazu die Möglichkeit finden: Vielleicht in kleinerem Umfang als an anderen Ort der Welt, aber dafür kann man sich eben abwechselnd wildromantisch um ein Lagerfeuer versammeln und auf Polarlichter hoffen. Das Leben in Finnland ist selbstverständlich nicht nur wegen der natürlichen Gegebenheiten anders als in Deutschland. Obwohl geographisch nicht weit entfernt, hat sich eine durchaus verschiedene Kultur von der unsrigen entwickelt. Relativ markant ist beispielsweise der Umstand, dass Schweigen in Finnland gesellschaftlich anerkannt und geschätzt ist. Das es schwer ist, Finnen kennenzulernen, ist nur begrenzt richtig. Gelegentlich sollte man vielleicht etwas eher bereit sein den ersten Schritt zu machen. In dem Fall wird man oft damit belohnt, sehr herzliche und hilfsbereite Menschen kennenzulernen. Finnischer Humor ist darüber hinaus großartig und hebt Sarkasmus auf ein ganz neues Level. Wer Interesse mitbringt, behaupte ich, wird auch finnische Freunde finden. Finnisch-internationale Kontakte werden beispielsweise auch mit einem Matching-Programm gefördert. Ein paar der gängigeren Vorurteile beziehen sich darauf, dass Finnen den ganzen Tag in der Sauna verbringen und Kaffee trinken anstatt zu schlafen, und beide sind wahr. Alkoholkonsum dagegen ist nicht exzessiv, wenngleich man in der Innenstadt auch relativ gut gefüllte Kneipen antreffen kann, und Rovaniemi hat innerhalb Finnlands die höchste Kneipendichte. Manche veranstalten Events, Beer-Pong Turniere, platonisches Speed-Dating, Open-stage Abende für Amateur Performances und vieles mehr. Es gibt meines Erachtens auffallend viele nicht-alltägliche Veranstaltungen. Clubs sind vorhanden, aber nur zu besonderen Anlässen rappelvoll. Ist auch mal nett, dass man zum Tanzen richtig Platz hat. Wer die kombinierte finnische Erfahrung will macht Party in der Sauna (bitte Vorsicht walten lassen für den Kreislauf!). Und wenn Sauna, nehmt die Gelegenheit wahr und kühlt euch im Eiswasser oder im Schnee ab! Im Schnee zwischen den Saunagängen herum zu rollen ist unfassbar cool! Kommen wir zur Uni. Die hat eine überschaubare Größe, allerdings gibt es zwei in der Stadt, was die Studentendichte nach oben schnellen lässt. Das System unterscheidet sich vom deutschen, Kurse werden blockweise gegeben und haben stark variierende Präsenzanteile. Unter dem Strich kann man sich selbst aussuchen, wann man wie viel Zeit investiert und hat auf der anderen Seite einen erhöhten logistischen Aufwand, alles unter einen Hut zu bringen. Die Kurse selbst sind meistens sehr gut, auch weil die Gruppengröße in meinem Fall mit einer Ausnahme nie über zehn Teilnehmern lag und entsprechend interaktiv gearbeitet wird. Kursteilnehmer werden eher auf Augenhöhe behandelt, und Professor*innen sind auch außerhalb der Veranstaltungen für eine inhaltliche Diskussion zu sprechen. Die Betreuung ist wirklich gut. Probleme gibt es mit der Auswahl an Kursen, denn es sind nicht überragend viele verfügbar. Mitunter werden Kurse abgesagt, weil zu wenige Teilnehmer Interesse angemeldet haben. Die Bibliothek ist gut ausgestattet. Für Kunst und Design Studenten gibt es zwei andere Campus, die sind auch nicht um die Ecke, aber zumindest nach Poykkölä soll es ein schöner Weg sein. Die Studentenkultur in Finnland ist außergewöhnlich. Events haben es sich in sich, wie viele Erstiwochen mit erhöhtem Schwierigkeitsgrad, nur für alle und regelmäßig. Man kann viel Spaß haben, sollte vielleicht Toleranz mitbringen weil sich Dinge mitunter seltsam entwickeln, speziell Rallys durch die Stadt involvieren Nacktheit (auch bei -15) und Alkohol. Im Sitsit wird gesungen und Peinlichkeiten gefrönt, weil die Hemmschwelle für deutsche Verhältnisse wirklich niedrig ist. Unter dem Strich muss man solche Events nicht mögen, aber für die eine oder andere Geschichte sind sie allemal gut. Urlaub in Rovaniemi ist eine Überlegung wert, aber ehrlich gesagt würde ich für Rovaniemi selbst nicht mehr als fünf Tage empfehlen, falls eure Freunde keine riesigen Finnland-Fans sind. Die Stadt selbst ist einfach langweilig, Schneemobiltouren (100€ +), HuskySchlittenfahrten, etc. sind super cool, aber teuer. Hütten außerhalb der Stadt sind erschwinglich und vermitteln ein tolles Flair, weil wildromantisch im Wald gelegen und mit Sauna ausgestattet. Norwegen ist von den Nachbarländern womöglich ein sehr attraktives Ziel. Als Erasmusstudent hat man die Chance Finnland besser kennenzulernen, ein Trip nach Sankt Petersburg ist spannend (und bei Einreise per Schiff 72 Stunden visafrei). Das Baltikum ist auch gut zu erreichen, und soll wirklich schöne Ecken haben (Tallinn, Riga,..).Von Finnland braucht man keine architektonischen Wunder und altehrwürdigen Städte zu erwarten, vom Stil ist das eher pragmatisch. Nichtsdestotrotz ist das Land faszinierend! Wohin man sich dann auf den Weg macht ist am Ende eben eine Interessenfrage (und speziell für Norwegen vielleicht auch eine Geldfrage). Apropos, nach Finnland fahren um zu sparen ist einfach eine blöde Idee. Allerdings ist das Leben auch nicht lächerlich teuer, Unterkunft ist für 200 Euro zu haben, Mittagessen in der Uni ist richtig stark und mit 2,60€ günstig. Im Supermarkt kann sich ärgern, oder man verliert einfach sein Kostenempfinden und dann ist es erträglich. Insidertipps: Zieht ins Wohnheim Kuntotie! Das liegt komplett abseits von allem, aber die Stimmung hier ist richtig gut. Damit nimmt auch in Kauf, dass man keine Finnen als Nachbarn hat. Das ist schade, aber unter praktischen Gesichtspunkten nicht einfach zu vermeiden. Und wenn ihr dann schon mal hier seid, holt euch ein Fahrrad! In die Stadt sind es drei Kilometer, zur Uni 3,5. Kann man auch mit durch den Schnee fahren, macht Spaß. Auf Rücktrittbremse achten, die Griff-Bremsen frieren bei -20. Ernsthaft, holt euch ein paar Winterschuhe und vielleicht eine Skihose. Es wird kalt. Wenn ihr ins Wohnheim einzieht werdet ihr nicht viel vorfinden, kein Besteck, Gläser, Gardinen, Bettwäsche, keine Decke und kein Kissen, kein Kochtopf und keine Pfanne, keine Schreibtischlampe. Mit ein bisschen Glück kann man etwas übernehmen von Vormietern. Wenn ihr finnisch sprechen wollt, lernt es vor dem Auslandsaufenthalt. Super schwierig, da reichen zwei Kurse (die laufen über 3 Wochen, von daher kann man mehrere in einem Semester schaffen) zu quasi nichts. NIEMALS den Fluss zwischen den Brücken überqueren, die Strömung verhindert, dass das Eis dick genug wird. Richtung Uni kann man auch (Einheimische vorher fragen!) über den gefroren Fluss stapfen, links von der alten Eisenbahnbrücke her. Wenn ihr den ganzen Tag müde seid, das Zahnfleisch blutet und ihr ansatzweise depressiv werdet: versucht mal Vitamin D Pillen, danach geht es euch mit einiger Wahrscheinlichkeit wieder besser. Geldautomaten sind mit Visa kostenfrei (DKB Konto ist gut) und regelmäßig; wer Bargeld vergessen hat kann auch jeden Pfennig mit Karte zahlen. Finnland ist sicher, Kriminalität ist nicht weiter bekannt und unangenehme Begegnungen sind selten, sogar aufdringliche Betrunkene hören manchmal eher zu anstatt selbst zu reden. Fahrrad würde ich abschließen, aber ansonsten braucht man sich hier nicht viele Sorgen machen. Die Garderobe in der Universität ist offen und anonym, aber mir ist kein Fall bekannt wo Jacken abhanden gekommen wären. Und: Wenn ihr im September hierhin kommt ist dieser Bericht hier nur bedingt akkurat!! Wer von Januar bis Mai kommt, lasst euch gesagt sein, dass viele Kurse im April enden und viele eurer neu gewonnen Freunde das Land schon vor Ende Mai verlassen werden oder Urlaub machen. Wer bis Juni bleibt muss sich ab 1.Juni eine neue Bleibe suchen, denn das (AusländerKurzzeit-)Wohnheim Kuntotie 3 und 5 schließt am 31. Mai für Studenten alle seine Tore. Wenn ihr noch nicht komplett abgeschreckt seid, ab nach Rovaniemi, an den Polarkreis nach Finnland!
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