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§ 1 Einleitung
Florian und Marie Wilke, ein deutsches Ehepaar, versuchen seit Jahren vergeblich,
ein Kind zu bekommen, um ihr Familienglück perfekt zu machen. Doch bei einer
ärztlichen Untersuchung wurde festgestellt, dass Marie zwar gesunde, befruchtungsfähige Eizellen besitzt, sie jedoch aufgrund eines Gebärmutterdefekts nicht in
der Lage ist, ein Kind auszutragen. Das Paar denkt über eine Adoption nach, doch in
Deutschland stehen zu wenige Neugeborene zur Vermittlung zur Verfügung. Marie
und Florian wollen unbedingt ein Baby, das erst wenige Monate alt ist. An einem
bereits mehrere Jahre alten Kleinkind oder gar einem launischen Teenager haben sie
kein Interesse. Auch eine Auslandsadoption gestaltet sich als äußerst schwierig. Das
langwierige, komplizierte Adoptionsverfahren mit all seinen bürokratischen und
rechtlichen Hürden, geknüpft an nahezu endlose Wartezeiten und die umfassende
Überprüfung der Bewerber auf Herz und Nieren durch die Adoptionsbehörden,
schrecken das Paar ab.
Deprimiert und entmutigt haben Marie und Florian sich bereits (beinahe) damit
abgefunden, ihr künftiges Leben nur in trauter Zweisamkeit zu verbringen, als
Florian beim Surfen durchs Internet an einem verregneten Sonntag plötzlich eine
interessante, hoffnungsfrohe Entdeckung macht: Zauberwort „Leihmutter“. Das
auf Leihmutterschaft spezialisierte Kinderwunschzentrum „BioRevolution“ wirbt
in der Ukraine mit dem Slogan „Babyglück leicht gemacht“. Hohe Erfolgsquoten bei
der künstlichen Befruchtung und keine Wartezeiten – abgesehen von der neunmonatigen Schwangerschaft – werden garantiert, um das Familienglück perfekt zu
machen. Versprochen wird den Wunscheltern ein Kind, dessen rechtliche Eltern
sie sind und das von einer Leihmutter ausgetragen wird, wobei die Eizellen und
das Sperma der Wunscheltern für die künstliche Befruchtung verwendet werden.
Ein genetisch eigenes Kind – das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Und das
zu einem „Gesamtpaketpreis“ von 30.000,- € – ein Preis, den das Ehepaar Wilke
durchaus bereit ist, zur Erfüllung ihres lang gehegten Kinderwunsches zu zahlen.
Mit wenigen Mausklicks hat das Paar im World Wide Web schnell recherchiert,
dass die Leihmutterschaft in Deutschland nicht erlaubt ist. In der Ukraine handelt es
sich dagegen um eine durchaus legale, auch von Ausländern vermehrt in Anspruch
genommene Methode. Aufgeregt und euphorisch nehmen sie sofort mit dem Kinderwunschzentrum in Kiew Kontakt auf. Ihnen werden Fotos und Kurzprofile von
potentiellen Leihmüttern übermittelt.
Kurze Zeit später fliegen Marie und Florian voller Aufregung in die Ukraine,
um dort die von ihnen ausgewählte Leihmutter Liliana kennenzulernen sowie alle
notwendigen Formalien zu erledigen. Florian, Marie und Liliana schließen einen
von den Anwälten des Kinderwunschzentrums vorbereiteten Standardvertrag ab,
der insbesondere festlegt, dass Liliana das Baby nach der Geburt Florian und Marie
überlassen wird. Sie allein sollen die rechtlichen Eltern des Kindes sein.
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Danach geht alles ganz schnell. Es werden die erforderlichen ärztlichen Untersuchungen und Maßnahmen durchgeführt und schließlich wird die künstliche
Befruchtung mit Florians Sperma und Maries Eizellen eingeleitet. Liliana ist schon
bald darauf schwanger.
Zurück in Deutschland sind Marie und Florian zufrieden. Sie haben ein gutes
Gefühl bei der Sache, alles kam ihnen in der Ukraine sehr professionell vor. Sie
haben regelmäßig E-Mailkontakt mit Liliana, die ihnen Ultraschallbilder zusendet
und sie über die ersten Wochen ihrer Schwangerschaft auf dem Laufenden hält. Im
zweiten Monat ihrer Schwangerschaft heiratet Liliana spontan ihre Jugendliebe
Igor. Florian und Marie freuen sich für Liliana und schicken ihr die besten Glückwünsche zur Hochzeit.
Kurz danach lässt Florian sich von der Firma, für die er tätig ist, in eine Niederlassung des Unternehmens in Kiew für eineinhalb Jahre versetzen. Florian und Marie
möchten nicht, dass ihr Bekanntenkreis erfährt, dass sie eine Leihmutter engagiert
haben. Sie wollen daher so tun, als hätte Marie in der Ukraine das Kind selbst zur
Welt gebracht. Nach eineinhalb Jahren wollen sie dann gemeinsam mit dem Kind
zurück nach Deutschland und dort ein ganz normales Familienleben führen.
Bald darauf halten Florian und Marie in einem Krankenhaus in Kiew überglücklich die kleine Sophia in ihren Armen, ein gesundes Mädchen, das dieselben Augen
wie Marie und die Nase von Florian hat. Nach dem ukrainischen Recht sind Florian
und Marie die rechtlichen Eltern von Sophia. Dementsprechend erhalten sie eine
ukrainische Geburtsurkunde, in der sie als Eltern von Sophia vermerkt sind. Liliana
wird darauf nicht namentlich genannt. Alles scheint perfekt. Als sie am Ende ihres
eineinhalbjährigen Aufenthalts den Heimweg nach Deutschland antreten wollen,
wenden sie sich mit der Geburtsurkunde an die deutsche Botschaft vor Ort, um einen Kinderreisepass für Sophia zu beantragen. Als die zuständige Konsularbeamtin
von der Leihmutterschaft erfährt, verweigert sie die Ausstellung eines Passes mit
dem Hinweis darauf, dass in Deutschland die Leihmutterschaft nicht erlaubt sei.
Liliana und Igor seien die rechtlichen Eltern des Kindes und nicht das Ehepaar Wilke, so die Konsularbeamtin. Dies stößt auf Unverständnis bei dem Ehepaar Wilke.
Die Beantragung eines Passes bei den ukrainischen Behörden scheitert ebenfalls.
Konträr zu der Rechtsauffassung der deutschen Konsularbeamtin argumentieren die
ukrainischen Beamten, dass das Kind von den deutschen Wunscheltern abstammt.1
Wie ist die Rechtslage? Welchen familienrechtlichen Status hat die kleine Sophia?
Wer sind ihre rechtlichen Eltern: Florian und Marie Wilke oder die Leihmutter
Liliana und ihr Ehemann Igor? Ist die Geburtsurkunde in Deutschland anzuerkennen? Welches Recht findet auf die Abstammung Anwendung? Welche Staatsangehörigkeit hat Sophia erworben: Die deutsche oder die ukrainische? Wurde die
Ausstellung der Reisedokumente zu Recht in der deutschen Botschaft verweigert?
1 Sachverhalt fiktiv.
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Welche Rechtswirkungen kommen dem zwischen Marie, Florian und Liliana abgeschlossenen Vertrag zu? Können Marie und Florian Sophia adoptieren?
Fragen über Fragen, die die Behörden und Gerichte in Deutschland – aber auch
in anderen Ländern sowohl innerhalb als auch außerhalb Europas – in letzter Zeit
zunehmend beschäftigen. Während lange Zeit für ungewollt kinderlose Paare eine
(Auslands-)Adoption als die letzte Möglichkeit angesehen wurde, ein Kind zu haben,
ist im Laufe der Jahre und im Zuge der Fortschritte in der Reproduktionsmedizin
die Leihmutterschaft als neue, zunehmend in Anspruch genommene Alternative
hinzugekommen.
Die Leihmutterschaft ist insgesamt ein sehr emotionsgeladenes, sensibles Thema,
das unter vielerlei Gesichtspunkten diskussionswürdig ist: So wirft sie bspw. Fragen
in religiöser und ethischer Hinsicht auf.2 Insbesondere aus rechtlicher Sicht liefert
die Leihmutterschaft hinreichend Zündstoff für Diskussionen: Interessant dürfte
insofern die Untersuchung und Würdigung der Leihmutterschaft aus verfassungsrechtlicher Perspektive sein.3 Daneben drängen sich insbesondere familienrechtliche
Fragestellungen auf.4 Weniger offensichtlich und sogar etwas verwunderlich dürfte
die Tatsache sein, dass sich sogar die Finanzgerichte bereits mit der Leihmutterschaft konfrontiert sahen – so hatten Wunscheltern erfolglos versucht, die Kosten
für eine Leihmutter im Ausland als eine außergewöhnliche Belastung i.S.d. § 33
EStG geltend zu machen.5 Auch in einem arbeitsrechtlichen Kontext stellten sich
bereits Fragen: So wurde dem EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens kürzlich die Frage gestellt, ob Art. 1 Abs. 1 und/oder Art. 2 Buchst. c und/
oder Art. 8 Abs. 1 und/oder Art. 11 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 92/85/EWG über
schwangere Arbeitnehmerinnen einer Wunschmutter, die ein Kind im Rahmen
einer Ersatzmuttervereinbarung bekommen hat, Anspruch auf Mutterschaftsurlaub
verschaffen. Dies wurde vom EuGH verneint.6
2 Vgl. dazu Sturm, FS Kühne, 919, 922 ff.; Diel, Leihmutterschaft und Reproduktionstourimus, 35 ff.
3 Vgl. dazu ausführlich Settekorn, Die verfassungsrechtliche Würdigung der Ersatzmutterschaft; Hieb, Die gespaltene Mutterschaft im Spiegel des deutschen Verfassungsrechts, 31 f., 55 ff., 157 ff.; Lehmann, Die In-vitro-Fertilisation und ihre Folgen,
168 ff.; Voss, Leihmutterschaft in Deutschland, 171 ff.; Heun in Bockenheimer-Lucius/
Thorn/Wendehorst (Hrsg.), Umwege zum eigenen Kind, 49 ff.; Schumann in Rosenau (Hrsg.), Ein zeitgemäßes Fortpflanzungsmedizingesetz für Deutschland, 155 ff.;
Merkel-Walther, Ethische und rechtliche Zulässigkeit der Ersatzmutterschaft und
ihre zivilrechtlichen Folgen, 24 ff. Insofern geht es vor allem um das Recht auf Fortpflanzung auf Seiten der Wunscheltern sowie die Menschenwürde des Kindes und
der Leihmutter.
4 Vgl. bspw. speziell zu Unterhaltspflichten bei der Leihmutterschaft Lee, Unterhaltsverpflichtung bei Leihmutterschaft.
5 FG München, BeckRS 2000, 30813399; FG Düsseldorf, DStRE 2003, 1452 ff.
6 EuGH, EuGRZ 2014, 306 ff.; vgl. zu dieser Entscheidung auch Kohler/Pintens, FamRZ
2014, 1498, 1503.
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Gegenstand dieser Arbeit werden grenzüberschreitende rechtliche Sachverhalte
in Bezug auf die künstliche Fortpflanzung mittels einer Leihmutter sein. Es werden
fundierte Lösungsansätze für die bei grenzüberschreitenden Fällen der Leihmutterschaft auftretenden internationalprivat- und internationalverfahrensrechtlichen
Problemkreise erarbeitet. Bereits vor wenigen Jahren wurde in der Literatur prophezeit, dass die Leihmutterschaft „in den nächsten Jahren massive rechtliche Probleme
auf nationaler und internationaler Ebene verursachen [wird]“7. Und genau dies ist
heute der Fall. Die Leihmutterschaft befindet sich in einem nationalen, europä­
ischen und globalen rechtlichen Spannungsfeld. Das Engagieren von Leihmüttern
im Ausland und das oftmals tragische Schicksal der Kinder sorgen vermehrt für
Medienwirbel, wie die – teils äußerst dramatischen – Schlagzeilen in der Presse
beweisen. Hier nur einige Beispiele zur Veranschaulichung:
„Sie kommen aus Europa, Asien und Amerika – Paare, die keine eigenen Kinder bekommen
können, finden in Indien einen blühenden Markt für Leihmutterschaft. Doch was passiert,
wenn ein Baby geboren wird, das plötzlich niemandem mehr gehört?“ 8
„Das Drama eines Kinderwunsches: Die indische Frau, die sie zur Welt gebracht hat, will
die Zwillinge nicht. Die deutschen Eltern, die sie bestellt haben, dürfen sie nicht mit nach
Hause nehmen. Denn in Deutschland ist Leihmutterschaft illegal.“ 9
„Es ist ein neuer Trend im Showbusiness: Leihmütter tragen für Prominente den Nachwuchs aus – das schützt vor Morgenübelkeit und Schwangerschaftsstreifen. Doch wie viel
Maß an Normabweichung gesteht die Gesellschaft Künstlern zu? “10
Restriktive Gesetze zur Leihmutterschaft in ihrem Heimatland lassen Wunscheltern ihren Blick zunehmend ins Ausland richten. Eine Reise um die halbe Welt
zum Wunschkind ist heute keine Besonderheit mehr. Dies ist jedoch oftmals mit
Problemen verbunden, resultierend aus der unterschiedlichen rechtlichen Handhabung bzgl. der Leihmutterschaft. Auf diese Probleme waren und sind weder die
Heimatländer der Wunscheltern noch das Heimatland der Leihmutter vorbereitet.
Es fehlt bislang an wirksamen und effektiven rechtlichen Strukturen und Lösungen
auf internationaler Ebene, um diesen Schwierigkeiten zu begegnen.
Vor diesem Hintergrund ist es das Anliegen der vorliegenden Arbeit, nach einer
Grundlegung (§ 2) zunächst die unterschiedliche rechtliche Lage und die problematischen Situationen in einigen ausgewählten Staaten weltweit im Rahmen von
7 Benöhr-Laqueur, Die Hebamme 2009, 84, 86.
8 Schulz, Die Fabrik des Lebens, Der Spiegel 38/2008, 72, abrufbar unter: http://maga
zin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/60135160 (letzter Zugriff 02.01.2016).
9 Spiewak, Verbotene Kinder, DIE ZEIT v. 22.04.2010, Ausgabe Nr. 17, abrufbar unter: http://www.zeit.de/2010/17/Leihmutterschaft/komplettansicht (letzter Zugriff
02.01.2016).
10 Heil, Kinder-Überraschung, FAZ v. 28.01.2011, abrufbar unter: http://www.faz.net/
aktuell/gesellschaft/menschen/leihmuetter-kinder-ueberraschung-1575038.html
(letzter Zugriff 02.01.2016).
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Länderberichten zu verifizieren, um die internationalen rechtlichen Herausforderungen zu verstehen (§ 3). Auf diese Weise soll ein besseres Verständnis für die
Rechtslage in Deutschland geschaffen werden. Auf der Basis der daraus gewonnenen Erkenntnisse sollen sodann die rechtlichen Probleme aufgezeigt werden,
die regelmäßig in grenzüberschreitenden Leihmutterschaftsfällen auftreten, und
zwar im Hinblick auf die Abstammung, die Adoption, die Staatsangehörigkeit, die
Nachbeurkundung im Geburtenregister und den Leihmutterschaftsvertrag (§ 4 bis
einschließlich § 7). In diesem Zusammenhang werden Lösungsvorschläge unterbreitet. Rechtspolitische und -philosophische Aspekte sowie Fragen der Bioethik sollen
dabei größtenteils unberücksichtigt bleiben, es sei denn, sie spielen ausnahmsweise
für den ordre public eine Rolle.
Sodann gilt es, die aktuellen Entwicklungen und Bestrebungen auf europäischer
sowie internationaler Ebene zur Lösung der Probleme und mögliche Entwicklungsperspektiven aufzuzeigen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die vielversprechende Arbeit der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht gelegt
werden (§ 8). Dieser Abschnitt schließt mit einem Plädoyer für ein internationales,
verbindliches Rechtsinstrument, dem das Kindeswohl als tragendes Leitprinzip zugrunde liegt. Ein solches erscheint dringend erforderlich.
Es wird sodann darum gehen, den Begriff des Kindeswohls speziell in internationalen Leihmutterschaftsfällen zu konkretisieren und auszuformen (§ 9).
Abschließend werden fundierte Lösungsansätze und Thesen erarbeitet sowie zusammengefasst dargestellt (§ 10).
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