Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
MOZART!
SCHWERPUNKT
GESCHWISTER
Das unsichtbare Band –
PRIVILEG MUSIKGESCHWISTER
Der Duopartner sitzt mit am Frühstückstisch –
GESCHWISTER IN DER MUSIKFORSCHUNG
»Soundcheck« und mehr – Die Klavierschwestern
KATIA UND MARIELLE LABÈQUE
MOZART-ORT MUMBAI:
© Marco Borggreve
Wie Zarin und Zubin Mehta
die Klassik in Indien etablieren
Ansporn durch die Älteren –
TABEA ZIMMERMANN und RICO GULDA
e­ rzählen von ihrer Kindheit
UNSERE EMPFEHLUNGEN –
Bücher und CDs
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EDITORIAL
mit der vorliegenden Ausgabe möchten wir das Phänomen der musikalischen Geschwister beleuchten. Immer wieder lassen sich im Verlauf der Musikgeschichte Konstellationen verfolgen, bei denen aus
einem Elternhaus gleich mehrere eigenständige musikalische Begabungen hervortreten. Eine sehr prominente Ausprägung in diesem
Sinne stellt sicherlich die Bachfamilie mit den komponierenden und
musizierenden Bach-Söhnen dar. Aber natürlich denken die Mozart­
ianer sofort auch an Wolfgang und Nannerl. Im Rahmen der Europa­
reise 1763 gastieren beide noch miteinander als Wunder­kinder an
den europäischen Höfen und Nannerl tritt gleichberechtigt neben
ihrem Bruder auf. Am Anfang der Reise wird das Nannerl sicher
Mühe gehabt haben, sich aus dem Schatten des Bruders zu lösen.
Vater Leopold stellt aber in Frankfurt erleichtert fest: »Die Nannerl
leidet nun durch den Buben nichts mehr, indem sie so spielt, daß
alles von ihr spricht, und ihre Fertigkeit bewundert.« Die »Bewunderung« verteilt sich in den frühen Jahren immer noch auf beide ­Kinder
und stolz kann Leopold aus Paris berichten: »Meine Kinder machen
hier fast alles zum Narren.« Trotzdem ist dem Nannerl als Frau in
ihrer Zeit keine gleichberechtigte Entwicklung vergönnt, obwohl
sogar nachgewiesen werden konnte, dass Leopold methodisch beide
Geschwister gleich ausbildete. Schon in London wird 1764 / 1765
deutlich, dass sich die Linien und das Rollenverständnis ausein­
anderentwickeln. Wolfgang schreibt seine ersten Symphonien,
während Nannerl Kopistendienste für ihren kleineren Bruder verrichten muss. Rückblickend können wir feststellen, dass die Geschichte
der musizierenden Geschwister
auch ein Stück weit eine Geschichte der Emanzipation aus
festgefügten
Rollenschemata
ist. Nannerl kann in jener Zeit
im Gegensatz zu ihrem Bruder
noch nicht an eine eigene Kar­
riere denken. Aber schon ein
halbes Jahrhundert später wendet sich das Blatt. Mit Fanny Mendelssohn und Clara Wieck treten
verstärkt auch Künstlerinnen auf die Podien und konzertieren, ohne
in Verruf zu kommen. Geschwister bekommen allmählich bei gleicher Begabung auch gleiche Entwicklungschancen. Heute bewundern wir im Konzertbetrieb Geschwisterpaare wie die Labèques oder
die Widmanns und nehmen ihre Auftritte als Selbstverständlichkeit
hin. Zugleich aber umweht die musizierenden Geschwister wie zu
Mozarts Zeiten immer noch eine besondere Aura, die auf den Zu­
hörer einen eigenen Reiz ausübt.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre!
Ihr
THOMAS WEITZEL, Präsident der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Abdruck des Manuskripts mit freundlicher Genehmigung G. Henle Verlag | KV-331, 1. und 2. Satz
DOKUMENT
Fundstück
Wer hätte geglaubt, dass man tatsächlich noch Original­-Hand­schriften
von Mozart finden kann? Und dann noch von einem seiner berühmtesten Werke? Balász Mikusi, dem Leiter der Musiksammlung der
­Ungarischen Nationalbibliothek, ist das gelungen: Im September vergangenen Jahres informierte er die staunende Welt­öffentlichkeit, dass
er wesentliche Teile des 1. und 2. Satzes von ­Mozarts Klaviersonate
KV 331 (mit dem »Rondo alla turca«) in ­seinen Beständen gefunden
hatte. Bislang war nur ein Blatt mit Teilen aus dem Rondo erhalten.
Auf Grundlage dieser Quelle hat nun der Henle-Verlag eine revidierte Ausgabe der Sonate erstellt: Und tatsächlich klingt die eine
oder andere Stelle hier anders als gewohnt. Es lohnt also, sich wieder
mal ans Klavier zu setzen … ❙
2Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
© Stadt Augsburg
Liebe Mitglieder der DMG, liebe Crescendo-Leser,
GESCHWISTER
© Felix Broede
Gemeinsames Aufwachsen sorgt
für gleiche Wellenlänge: Lea (Geige) und Esther
Birringer (Klavier) treten, wie viele musikalische
Geschwister, mit Vorliebe zusammen auf.
Das
­unsichtbare
Band
Privileg Musikgeschwister
Von Dr. Stefanie Bilmayer-Frank
Speculum humanae salvationis, Hs2505, Seite 42v
Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt
Die Bachs, die Mozarts, die Mendelssohns – die Musik­geschichte ist voll davon: Musikgeschwister. Zugegeben, Wolfgang und Nannerl sind
wohl das berühmteste Beispiel. Auch auf die Bach- und Haydn-Brüder würde man wohl auf Anhieb noch kommen und natürlich auf F
­ elix
­Mendelssohn-Bartholdy und seine Schwester Fanny. Die Mozart-­Zeitgenossen Anton und Karl Stamitz sind dagegen schon weniger g­ eläufig.
Dass auch Mozarts Klarinetten-Faktotum ­Anton Stadler einen Bruder hatte, ist jedoch weitgehend unbekannt. Sein Name war Johann
­Nepomuk Stadler und als Klarinettist war er bei den ­Zeitgenossen nicht minder bekannt als sein Bruder Anton.
Ein Brüderpaar als Erfinder der
Musik
Wer in der Musikgeschichte
weit genug zurückreist, der
stößt auf ein Brüderpaar, das sogar für die Erfindung der Musik
verantwortlich sein soll.
Im Speculum humanae salva­
tioni, einer christlichen Er­bau­
ungs-­
Schrift aus dem s­päten
Mittel­
alter, heißt es: »Jubal
und Tubal­
kain waren die Söh­
ne des Lamech und die Erfin­
Erfinder der Musik:
der der Schmiedekunst und der
Jubal & Tubalkain
Musik. Als nämlich Tubalkain
mit ­Hilfe von Hämmern Töne hervorbrachte, da erfand Jubal aus dem
Klang der Hämmer Melodien«. Wer sich hier allzu deutlich an die
Erzählung von Pythagoras in der Schmiede erinnert fühlt, dem sei
recht gegeben: Tatsächlich überlagern sich hier zwei unterschied­
liche Überlieferungs­traditionen: Einerseits die antike Legende von
­Pythagoras von Samos, andererseits die biblische Überlieferung.
Auch dort findet das Bruderpaar Erwähnung: Im Buch Genesis wird
Jubal als Stammvater aller Zither- und Flötenspieler beschrieben,
sein Halbbruder Tubal-Kain als Urvater aller Schmiede.
Aktuelle Forschung
Weniger in den Untiefen antiker und biblischer Erzählungen als
vielmehr anhand einer aktuell laufenden Studie beschäftigt sich die
Musik­psychologin und -pädagogin Dr. Franziska Olbertz mit der
Thematik von Geschwistern in der Musik. Ihr an der Universität
Osnabrück angesiedeltes Forschungsprojekt ist deutschlandweit das
Einzige, das sich auf wissenschaftlicher Ebene mit der Thematik auseinandersetzt. In dieser Ausgabe von Mozart! stellen wir es unter dem
Titel »Brüderchen, komm spiel mit mir!?« auf den Seiten 6 – 7 ausführlich vor.
Fleiß statt Gene
Eine ganz andere Frage, die wiederum Dr. Bettina Harder zufolge
nach wie vor kontrovers diskutiert wird, ist nach wie vor die nach
Genmaterial oder Sozialisation. Die Psychologin forscht an der Universität Erlangen-Nürnberg auf dem Gebiet der Hochbegabung.
»Gegen die Genetik wird häufig argumentiert, dass die Experten,
die auf internationalem Niveau Leistungen bringen, zuvor sehr lange Lernkarrieren hinter sich haben.« Als sogenannte 10 000-Regel
ist dieses Phänomen in der Forschung bekannt und wurde nicht
nur in der Musik sondern fachgebietsunabhängig festgestellt. Sind
Wunder­kinder also gar nicht genetisch auf Erfolg programmiert,
sondern einfach nur fleißig?
Genie: angeboren oder anerzogen?
Ein Verfechter dieser These ist der ungarische Pädagoge ­László Polgár
(*1946). Wolfgang Amadé Mozart und seine Schwester ­Nannerl hatten ihm zufolge ihre musikalischen Wunderkind-­Erfolge weniger den
Genen als vielmehr der außerordentlichen musikalischen Förderung
durch ihren Vater Leopold zu verdanken. Um seine These zu untermauern, startete Polgár in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts ein spektakuläres Experiment. Sein Ziel war es, den Beweis zu
erbringen, dass Genies nicht als solche geboren werden, sondern, dass
sie dazu gemacht werden. Als ­Disziplin wählte er nicht die Musik,
sondern Schach, wohl nicht zuletzt deshalb, weil sich Erfolge hier objektiver messen lassen. Über eine Zeitungs­annonce suchte er zunächst
eine ­Partnerin. Zusammen mit Klára Alberger hatte László Polgár
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft3
GESCHWISTER
Wir sind alle potentielle Mozarts
Ließe sich Polgárs Experiment auf die Musik übertragen? Ist das
Beispiel Mozart vielleicht sogar der historische Präzedenzfall? Verweist Polgár doch explizit auf die Familie Mozart als Muster für sein
Experiment. Die Qualitäten Leopold Mozarts als Musikpädagoge
sind unbestritten. Sein 1756 veröffentlichter Versuch einer gründlichen Violinschule gilt als musikpädagogisches Referenz­
werk. Zudem sicherte er seinen Kindern Wolfgang
Amadé und Maria Anna nicht nur die denkbar
beste musikalische Ausbildung, sondern
sorgte sich zudem um die professionelle
Vermarktung ihres musikalischen Talents. Als Tourmanager kümmerte
er sich um Reiserouten, Postkutschen und Übernachtungsmöglichkeiten und verschaffte den
Geschwistern Konzert- und
Auftrittsmöglichkeiten.
Das Kuriosum »musizieren­
de Geschwister« tat das
Übrige, der Erfolg der
­
Wunderkinder gab ­Leopold
recht: In den 60er-Jahren
des 18. Jahrhunderts sind
die Klatschspalten voll mit
Nachrichten über die beiden
Wunderkinder.
Innige Ge­schwister­bande, wie hier
bei Wolfgang Amadé und »Nannerl«
Mozart haben etwas unschuldiges.
Johann Sebastian Bach und die vier seiner Söhne,
die ihn selbst als Komponisten zeitweise an Ruhm übertrafen:
Carl Philipp Emanuel, Johann Christian, Wilhelm Friedemann,
Johann Christoph der Jüngere
Die musikalische Muttersprache ist dieselbe
Konzertierende Geschwister sind damals wie heute ein Faszinosum.
Katia und Mareille Labèque, Renaud und Gautier Capuçon, Ferhan
und Ferzan Önder, Baiba und Lauma Skride, die Liste ließe sich
mühe­los weiterführen. In der Musik sind die eigenen Geschwister als
Sparrings-Partner ideal: Sie sind Ansporn und Konkurrenz zugleich
und ihre Kritik ist unverhohlen und ehrlich. »Meine Schwester ist
meine schärfste Kritikerin«, sagt die Pianistin Esther Birringer über
ihre Schwester Lea. Beide verfolgen ihre individuellen Karrieren als
Geigerin und Pianistin, stehen aber auch gerne zusammen
auf der Bühne. Das Zusammenspiel mit der eigenen
Schwestern ist Ester Birringer zufolge anders als
mit fremden Kammermusikpartnern, vor
allem aber einfacher: »Wir sparen uns immer die Kennenlern-Phase und können
gleich eine Stufe höher ansetzen. In
anderen Besetzungen muss man
immer erst die Menschen kennenlernen und ihren musikalischen Stil.« Den musikalischen
Stil des Gegenübers kennen
zu lernen, das heißt seine
musikalische Muttersprache
zu lernen. Für Geschwister
ist diese oftmals die Gleiche.
Den eigenen Bruder oder die
eigene Schwester zum Kammermusikpartner zu haben
ist deshalb vor allem eins: ein
Privileg. ❙
Schon damals ließen sie sich daher
noch viel besser ver­markten als etwa
ein geglücktes Vater-Sohn-­Verhältnis.
4Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Wolfgang Amadé und Nannerl Mozart © Internationale Stiftung Mozarteum
s­chließlich drei Töchter: Zsuzusa, Zsófia und Judit. Mit
einem ausgeklügelten Stundenplan und vielen Stunden
Training sollten die Mädchen zu Schach-Genies erzogen
werden. Tatsächlich zählen alle drei zu den international
erfolgreichsten Schachspielerinnen aller Zeiten. Dennoch
sieht Dr. Bettina Harder das Experiment kritisch. Der genetische Faktor sei bei Polgárs Experiment dennoch nicht ausgeschlossen, da es sich bei den drei Mädchen um seine eigenen Kinder handelte.
Empfehlungen
CDs
CDs
­Phrasierung, Dynamik und
Agogik, mit extremen Tempi,
aber immer glasklar und präzise bis ins kleinste Detail. Bei
Currentzis ist der Mozart der
»Così fan tutte« aufmüpfig,
»abgedreht«, wild, ja rebellisch, aber auch unendlich
zärtlich und innig. Fabelhaft
wie das Ausnahmeensemble
MusicAeterna spielt. Auch das
Wolfgang Amadeus Mozart:
junge Sängerensemble überCosì fan tutte. Simone ­Kermes,
zeugt ausnahmslos mit leichMalena Ernman, Christopher
ten, beweglichen Stimmen. Last
Naltman, Kenneth Tarver, Anna
but not least: C
­ urrentzis PrimaKasyan, Konstantin Wolff. Music­
donna, La Stupenda nuova
Aeterna, Teodor Currentzis (Lei­
­Simone ­Kermes, längst nicht
tung). SONY 88843095832
mehr nur »Crazy Queen of Baroque« besticht mit ihrer Fior­
Von der wahren Mozart-­ diligi einmal mehr als beseelte
Schokolade spricht Theodor
Stimmakrobatin von höheren
Currentzis im Begleitbuch seiGnaden. Die Aufnahme aus
ner »Così fan tutte«-Gesamt­
der östlichsten Millionenstadt
einspielung. Man stutzt, wo er
Europas kurz vor dem Ural, wo
doch Mozart alles andere als
für ­Currentzis die utopischste
schokoladig musizieren läßt.
­Musikertruppe Europas in­
Dann fügt er hinzu, er meine
stalliert wurde, dreht allen Aneine Art halluzinogener Schobetern altehrwürdiger Mozart­
kolade. Eh bien! Dennoch
tradi­tion eine Nase. Mag sein,
klingt sein Mozart eher nach
­Currentzis geht zu weit. Unter
»Sex on the Beach«, »Bloody
die Haut geht sein Mozart alleMary« oder »Captain’s Cockmal.
tail«. Champagner wäre noch
Dieter David Scholz
viel zu harmlos als Metapher
für seinen radikal unkonventionellen, leidenschaftlichen Zugang zu Mozart. Dieser Mozart
ist alles andere als »schön«.
Aber ist das Stück, das mit den
Moralvorstellungen seiner Zeit
abrechnet, schön? Eine bitterböse, gnadenlose Verkleidungs- und PartnertauschKomö­
die voller schwarzem
Humor, die nichts weniger als
Mozart: Piano Concertos Nos.
»eine Revolution in der Liebe«
20 and 21 (arr. Ignaz Lachner).
propagiert. Currentzis dirigiert
Alon Goldstein (Piano) und das
das Stück denn auch hochmaFine Arts Quartet mit Rachel
nieriert, mit Lust an Über­
Calin (Kontrabass). Naxos 2015
treibung, Gefühlsüberschwang,
(8.573398)
voller Überraschungen in
Bearbeitungen von Sinfonien,
Solokonzerten und Favorit­
num­mern aus Opern für kammermusikalische Besetzungen
erfreuten sich großer Beliebtheit beim privat musizierenden
Bürgertum zu Beginn des 19.
Jahrhunderts. Für den alltäglichen Gebrauch entstanden,
sind die subtilen Bearbeitungen Ignaz Lachners von Mozarts Klavierkonzerten heute
nahezu vergessen; das Fine
Arts Quartet, ergänzt um die
Kontrabassistin Rachel Calin,
stellt zusammen mit dem Pianisten Alon Goldstein erstmals
eine Einspielung vor.
Die Bearbeitungen wirken wie
ein kammermusikalisches Auskundschaften der Partituren
Mozarts. Die Aufnahmen bestechen dabei durch die feinsinnige
klangliche Gestaltung der ›kommunikativen‹ Verzahnung von
Orchester bzw. Quintett und
Soloklavier, die den Klavierkonzerten Mozarts einen besonderen Reiz gibt.
Bei aller kammermusikalischen
Intimität gelingt es den Musikern jedoch nicht immer, sich
von der Klangvorstellung des
»Originals« zu lösen, was gerade den entwickelnden musikalischen Teilen der Kopfsätze
einen bisweilen gezwungenen
und um das Sinfonische bemühten Charakter verleiht.
Michaela Kaufmann
Mozart: Die Entführung aus
dem Serail. Diana Damrau,
Anna Prohaska, Rolando Villazón, Paul Schweinester, Franz-­
Josef Selig, Thomas Quasthoff,
­Chamber Orchestra of Europe,
­Annick Nézet-Séguin. Deutsche
Grammophon, 0289 479 4064 7 2
Freunde kulinarischer Opern­
aufnahmen
werden
froh­
locken, denn die Sänger auf
dieser Aufnahme gehören
zu den großen Stars derzeit:
Diana Damrau bietet eine
­
nahezu perfekte Konstanze
auf, Anna Prohaska singt das
Blondchen einmal wohl­
tuend
klar und unzickig. Wunderschön und etwas zahnlos wirkt
der ­Osmin von Franz-­Josef
­Selig; die Grausamkeiten glaubt
man ihm hier nicht. Rolando
Villazóns Stimme ist für Belmonte sicherlich ungewöhnlich, fasziniert aber; während
der leichte Pedrillo des jungen
­Tenors Paul Schweinester etwas blass bleibt.
Trotz dieser b
­eeindruckenden
Sängerriege ist der w
­irkliche
Star der Aufnahme indes das
leichtfüßige Chamber ­Orchestra
of Europe, von Yannick Nézet-­
Séguin strukturbetont und mit
gut durchdachten, betonten
Tempowechseln dirigiert. Er
lässt die instrumentale Stimmbehandlung vielerorts deutlich
heraustreten und die Bläser
funkeln wundervoll bei »Es
lebe die Liebe«. Dass keine
Dialoge mit aufgenommen
wurden, mag für Freunde der
Kulinarik schön sein, ist für
den Opern-Hörer aber unbefriedigend.
Jutta Toelle
Unsere Buchempfehlungen
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Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft5
MUSIKPSYCHOLOGIE
Brüderchen, komm spiel mit mir!?
Geschwisterforschung ist eine neue Disziplin in der
­Musikwissenschaft. An der Universität Osnabrück
gibt es eine Spezialistin dafür.
Sie ist mehr durch Zufall darauf gestoßen.
von Dr. Sven Scherz-Schade
Immer an Heilig Abend sollten sie miteinander musizieren. Für die stolzen Eltern gab es in genau diesem Moment wohl nichts Schöneres,
wenn ihre Kinder – zwei Brüder, vier Jahre Altersabstand, der größere Cello und der jüngere Geige – an Weihnachten gemeinsam zum Instrument griffen. Wenigstens an Weihnachten sollte es klappen. Denn ansonsten war das familiäre »Duette spielen« bei den beiden, als sie so
zwölf und acht Jahre alt waren, stets mit Spannungen verbunden. »Der Pipikram ist mir viel zu einfach«, blökte der Ältere, prompt gefolgt
von einem »Männo, ich bin halt noch nicht so gut« des Jüngeren. Darauf folgte in der Regel das vermeintlich gute Zureden der Eltern. Der
Ältere wurde gemahnt, dass auch die einfachen Weihnachtslieder sauber und korrekt gespielt sein wollen. Dem Jüngeren machte man Mut,
sich eben ein bisschen anzustrengen. Das ging mal gut, mal schlecht, mal endete es in Streit und Tränen.
Ein ganz neues Thema in der Forschung
Die Musikpsychologin Franziska Olbertz von der Universität Osnabrück kennt solche und ähnliche Geschichten zu Genüge. Seit mehreren Jahren ist sie dran am »Geschwisterthema«, wie sie sagt. Schon
bei den Untersuchungen zu ihrer Dissertation, die sich der musikalischen Hochbegabung widmete, war sie immer wieder darauf ge­
stoßen. Schwestern oder Brüder spielen für den musikalischen Werdegang eines Menschen eine wichtige Rolle. Sei es, dass Geschwister
einander Vorbild sein wollen, sei es, dass sie in Konkurrenz stehen
und sich voneinander abgrenzen. Mitunter sind Geschwister dafür
ausschlaggebend, dass jemand Musik zu seinem Beruf macht. Umgekehrt sind sie manchmal auch Schuld daran, dass jemand überhaupt nicht mehr musiziert. Wobei: ganz so vereinfacht lassen sich
die Biografien in aller Regel nicht erfassen. Die Zusammen­hänge
sind komplex. Und genau darum geht es. »In der Allgemeinen
­Psychologie ist das Geschwisterthema sehr verbreitet und es gab
auch einen wissenschaftlichen Boom«, sagt Franziska Olbertz. »In
der Musikpsychologie allerdings wurde dazu lange nicht geforscht.«
Mit dem Geschwister-Forschungsprojekt am Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik an der Universität Osnabrück will sie diese
Lücke füllen. Die Idee hierzu entstand 2009 an der HfMDK (Hochschule für Musik und Darstellende Kunst) Frankfurt am Main in einem
anderen Forschungsprojekt, das sich »musikalischen Selbst­konzepten«
widmete: Im Vordergrund stand hier die psychologische Frage, wie
sich Menschen auf musikalischem Gebiet verorten, zu welchem
Musik­geschmack sie neigen und welche musikalische Interessen und
Fähigkeiten sie haben. Im Team mit anderen Wissenschaftlern führte
Franziska Olbertz damals zahlreiche Interviews mit Probanden, wobei auch die Genese jener Selbstkonzepte hinterfragt wurde, etwa frei
nach dem Strickmuster: Was glauben Sie, weshalb Sie diese und nicht
andere Musik mögen? »Ohne dass wir konkret danach gefragt hatten,
kamen dabei über 40 Prozent auf ihre Geschwister zu sprechen«, sagt
Franziska Olbertz. »Das hat mich neugierig gemacht.« Oft untersucht
die Musikpsychologie zwar familiäre Einflüsse auf musikalische Biographien, jedoch konzentriert sich die Fragestellung dabei meist auf
die Eltern-Kind-Beziehungen oder die Dreiecks-Beziehung zwischen
Eltern, Musiklehrer und Kind. Geschwister allerdings werden in der
Forschungsliteratur höchstens mal benannt oder zufällig entdeckt.
Geschwister als Bezugsgröße: Vormachen, nachahmen, abgrenzen
Franziska Olbertz war diejenige aus der Forschungsgruppe, die das
Geschwisterthema systematisch weiterverfolgte, als sie vor vier Jahren
in Osnabrück das Projekt startete. In einer ersten Befragung klopfte
sie offen formuliert den Einfluss bestimmter Geschwistererfahrungen
bei Musikstudierenden ab, also bei jungen Erwachsenen, die sich beruflich – ob auf Lehramt, Instrumentalpädagogik oder Orchesterfach
oder Solist – für die Musik entschieden haben. Die Probanden wurden gebeten, sich an Kindheit und Teenagerzeit zu erinnern. Aus den
Antworten konnte Franziska Olbertz vier Kategorien, so genannte
»Beziehungskontexte«, ableiten: Entweder erinnern sich Probanden
erstens an ein gleichrangiges Miteinander, wie sie sich die Geschwister
wechselseitig beim Musizieren, Singen oder Üben motiviert haben.
Probanden können sich zweitens in einem Blickwinkel erinnern, wie
sie sich an ihrem Geschwister orientiert haben oder drittens, wie sie
selbst für ihr Geschwister als Orientierungsgröße dienten. Oder aber
viertens: Die Erinnerung ist von der Unterscheidung oder Abgrenzung vom Geschwister geprägt. »Natürlich gibt es innerhalb dieser
Kate­gorien Überschneidungen«, sagt Franziska Olbertz und spricht
aus eigener Erfahrung: »Ich war immer gleichzeitig Vorbild und Nachahmer.« Olbertz hat eine ältere und eine jüngere Schwester, hat selbst
6Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
Geige gelernt und ist später zur Bratsche gewechselt. Insofern ist ihr
auch der »Abgrenzungsmodus« vertraut. Die von ihr entwickelten
»Beziehungskontexte« sind keine starren Rollen; es sind wissenschaftliche Hilfsgrößen, mit denen sich die psychologischen Zusammen­
hänge analytisch beschreiben lassen. In einer weiteren Studie befragte
sie 102 Personen – wiederum Musikstudierende, diesmal nicht mehr
offen, sondern standardisiert, um quantitative Aussagen treffen zu
können. Ein relativ banales Ergebnis lautet, dass sich ältere Geschwister häufiger in der Vorbildrolle wiederfinden. Ein spannenderes
­Ergebnis heißt: Das Bedürfnis nach Abgrenzung ist größer, wenn der
Alters­abstand kleiner ist.
Wird einer zum gefeierten »Star«, springt der andere ab
Aus ihren Befragungen kennt sie geradezu ganz klassische Abgrenzungen. Ein Geschwister vertieft die musikalische Laufbahn,
übt mehr, hat zunehmend Erfolg und feiert Auftritte, während das
­andere Geschwister irgendwann entscheidet, nicht mehr auf dem
gleichen Feld kämpfen zu wollen und sich einem anderen Gebiet
widmet, sei es Fußball, bessere Schulnoten, Malen oder Zeichnen,
was auch immer – nur nicht Musik, wo es sich mit seinem erfolg­
reichen Geschwister direkt messen lassen muss.
Ungeheuerlich viele Faktoren wirken auf die musikalischen Entwicklungsprozesse eines Menschen ein und es gibt sicherlich viele
Geschwister, die mit geringem Altersabstand sehr wohl in Eintracht miteinander musikalisch groß geworden sind. Olbertz’ Ergebnis stellt all die Eintracht keinesfalls in Zweifel. Das Ergebnis
besagt nicht, dass bei einem kleinen Altersabstand auch ein großes
Abgrenzungs­bedürfnis vorhanden sei. Das nicht. Aber wenn eine
Abgrenzungsbemühung vorhanden ist, dann ist sie umso größer, je
geringer der Altersabstand ist.
alle Fotos © Peter Michielsen
Geschwisterliches
­Musizieren in der Praxis:
Emilia und Florens
Matthes haben bei der
Vorbereitung eines
gemeinsamen Auftritts
oft altersgemäß heftige
Auseinandersetzungen,
­deren Auslöser aber
nichts unmittelbar mit
der Musik zu tun haben.
Wenn allerdings das
Konzert bevorsteht,
verstehen sie sich »blind«,
können unglaublich
harmonisch miteinander
musizieren, ihre unterschiedlichen Charaktere
­verschmelzen zu einem
lebendigen ­musikalischen
Ereignis. Auch zu
dritt, mit der jüngsten
­Schwester ­Cleophea
(siehe kleines Bild),
gelingt das Musizieren
wie selbst­verständlich.
Alle drei sind sie erfolgreiche Jugend-Musiziert-­
Teilnehmer.
Abgucken und mitmachen
Zwar klingt auch dieses Ergebnis nicht so richtig spektakulär und vermutlich haben bereits – mehr oder weniger intuitiv – Generationen
von Eltern diese Beobachtung an ihren musizierenden Töchtern und
Söhnen gemacht. Doch erstmalig liegen mit den gewonnenen Daten
nun empirische Erkenntnisse vor, die zu musik­pädagogischen Empfehlungen reichen könnten, wobei Olbertz betont, dass das nicht
ihre Aufgabe und Absicht sei. Allein die aktuellen Ergebnisse legten
das nahe. »Ein pädagogischer Rat könnte sein, Kinder mit geringerem Altersabstand verschiedene Instrumente lernen zu ­lassen«, sagt
sie. Eventuell sollte man ihnen sogar Wege in verschiedene Genres
wie Klassik, Jazz oder Pop einräumen, damit sie die musikalische
Mög­lichkeit haben, ihre Identität zum Geschwister abgrenzen und
ent­wickeln zu können. Doch ob solche pädagogischen Ratschläge
sinnvoll sind, hängt wiederum vom grundsätzlichen Bedürfnis des
Kindes ab und vom Erziehungsstil der Eltern.
Das gemeinsame Musizieren an Weihnachten wird übrigens oft
bei Befragungen genannt. Woran das nun liegen mag? Vielleicht
schlicht an der quantitativen Tatsache, dass an Weihachten eben
viel musiziert wird. Oder aber es sind die harmonischen Ansprüche
ans Fest der Familie sehr hoch, so dass Abweichungen davon einem
besonders präsent in Erinnerung bleiben? Ob Geschwister zusammen Hausmusik machen oder nicht, wird in allererster Linie vom
Vorleben und Vormachen der Eltern abhängen, ob sie selbst fröhlich gesungen oder zum Instrument gegriffen haben. Musikalische
­Sozialisation funktioniert bei den Kindern durch Abgucken und
Mitmachen. Wieso, weshalb, warum die einen Geschwister dabei
zum abschreckenden Vorbild, andere aber zum geselligen, motivierenden Spielpartner werden, muss noch erforscht werden. ❙
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft7
INSZENIERUNG
Zauberflöte ohne Flöte und ­Zauber,
aber zauberhaft!
Preisgekrönte Adaption von Mozarts »Zauberflöte« des Ensembles
»Dei Furbi« aus Barcelona zu Gast in der Neuköllner Oper Berlin
von Dieter David Scholz
Als ein »Fenster zu Europa« zeigt die mutige und immer wieder mit erfreulichen Entdeckungen und ­Ausgrabungen
überraschende Neuköllner Oper eine durch Spanien tourende, im deutschsprachigen Raum aber nie gesehene
Off-Produktion der »Zauberflöte« des katalanischen Ensembles »Dei Furbi«, das von der Choreographin und vielseitigen Theaterfrau Emma Beltran 2002 gegründet wurde. Ihre Inszenierung wurde mit dem »Premio Max 2014« als
beste spanische Musiktheater-Inszenierung ausgezeichnet, zu Recht.
Bis heute ist Mozarts »Weltabschiedswerk«, »Die Zauberflöte«, zwar
die meist aufgeführte, aber auch am meisten missverstandene, ja verharmloste Oper. Die Ungereimtheiten des Librettos sind unübersehbar. Interpretatorische Irrgänge sind vorprogrammiert. Was Wunder,
dass die Meinungen über das sich scheinbar nicht recht ins übrige
gesellschaftskritische Œuvre Mozarts einfügende Werk seit je auseinander gingen. Der Mozartforscher Alfons Rosenberg deutete die
Zauberflöte als ein »Mysterienspiel vom Kampf der Urmächte und
von der Erlösung des Menschen«. Der Musikwissenschaftler Alfred
Einstein verklärte es zu einem »Vermächtnis an die Menschheit«.
Goethe immerhin, der Kluge, wusste: Es »gehöre mehr Bildung
dazu, den Wert des Librettos zu erkennen, als ihn abzulehnen«.
Die Zauberflöte: Eine Opera duplex
Helmut Perl hat vor einigen Jahren in seinem wegweisenden Buch
über den »Fall Zauberflöte« einleuchtend klargemacht, daß dieses
Werk nichts weniger als eine radikale Kampfansage an Adel und
­Klerus ist, verschlüsselt in freimaurerischen Symbolen und Chiffren.
Er machte deutlich, daß die meisten herkömmlichen Inter­pretationen
des Werks zu kurz greifen und dechiffrierte das Stück vor dem Hintergrund der Französischen Revolution als gesellschafts­politische
Allegorie, als aufklärerische Parabel. Jan Assmann sah sich daraufhin in seinem Zauberflötenbuch zurecht veranlasst, das Werk eine
»Opera duplex« zu nennen: »außen Volkstheater, Maschinenoper,
Zaubermärchen vom Schikanederschen Typ, innen Mysterium im
Sinne der Freimaurerlehren.« Das darf einfach keiner ignorieren,
der heute die Zauberflöte inszeniert. Die meisten Inszenatoren tun
es trotzdem. Wie viele albern-läppische, hochtrabend-mysterien­
spielhafte oder pseudoägyptisch-nichtsagende Inszenierungen des
Werks hat man schon gesehen, voller unaufgelöster Widersprüche
und ohne tiefere Bedeutung bzw. Aussage. Und beinahe in jede
»Zauberflöten«-Premiere geht man mit ängstlichem Unbehagen:
Was wird da wieder auf mich zukommen!
Das katalonische Ensemble Dei Furbi ignoriert zwar auch ­Helmut
Perls und Jan Assmanns Erkenntnisse, aber es gelingt dem
­Ensemble, jenseits von Kasperliade oder Maschinenkömödie, Ausstattungsstück oder hochtrabender Menschheitsallegorie den Kern
des ­Schikanederschen Volkstheaters zu treffen, jenes »Reinmenschliche«, von dem Richard Wagner in seiner am antiken griechischen
Drama orientierten Dramentheorie immer wieder sprach.
Sechs junge Männer und Frauen stehen in weißen Overalls auf
leerer, schwarzer Bühne, auf der nur ein Spind steht, der aus­
klappbar mal als Fenster, mal als Auftrittstor dient. Den sechs Sing-­
Schauspielern gelingt es, sich nach und nach aus ihren Overalls
schälend, in die sechs wichtigsten Rollen der Oper zu schlüpfen und
sie glaubwürdig zu verkörpern, im Sinne eines »zarzuela­haften«
Volkstheaters, das viel zu tun hat mit südländischem Karneval, mit
Commedia dell’Arte, mit Groteskspiel, Ballett, fast Akrobatik und
Maskenspiel. Nicht einmal ein Orchester benötigt die hochvirtuose
Truppe Dei Furbi, sie singt nach Art der Comedian Harmonists die
Vokal- und Instrumentalmusik Mozarts a cappella, und frei nach
Mozart, versteht sich, in katalanischem Dialekt, arrangiert von
Pacao Viciana und David Costa (Musik). Kein Instrument ertönt,
nicht einmal das Glockenspiel Papagenos oder die Flöte ­Taminos.
Nur Tiergeräusche werden einmal eingesetzt. Im wahrsten Sinn
des Wortes ein »Singspiel«, anrührend, humorvoll, derb und sensibel zugleich, in phantasievollen Kostümen von Ramon Ivars und
Gemma Beltran. David Bofarull gibt den farbprächtigen Kostümen das nötige magische Licht. Ein transparenter weißer ­Schleier
dient mal als Brechtgardine, mal als romantisch-phantastisches
Verschleierungsutensil der Handelnden. Es ist so schlichtes wie
phantasie­volles Verwandlungs- und Körpertheater, das Gemma
Beltran mit ihrem Ensemble entfaltet.
8Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
alle Fotos © Mascares Bis
Mozartglück einmal anders
Wo bleibt die Musik Mozarts, mag man sich fragen? Sie
kommt nur auf einer höheren, je nach Standpunkt tieferen, jedenfalls rudimentären Ebene vor. Am ehesten noch
Tamino singt große Teile seiner Partie. Ein r­espektabler
Tenor gibt ihn als Mischung aus Torero und Ballett­tänzer.
Auch Papageno darf seine Rolle nahezu authentisch,
wenn auch stark gekürzt spielen und singen. Aber es geht
Dei Furbi nicht um traditionelles Musiktheater, es sind
»Variaciones« über »Die Zauber­flöte«, in denen Musik
wie Dramaturgie von Mozarts und Schikaneders »großer
Oper« ironisch thematisiert werden. Die Schlüsselszene
der Produktion ist der Auftritt dreier grotesk kostümierter Zwerge, Karikaturen der drei Knaben, die sich über die
Ideale der Aufklärung lustig machen: Freiheit, Gleichheit,
Brüderlichkeit.
In der Tradition der Wiener, speziell der Schikanederschen Maschinenkomödie, und Zauberoper stehend,
nannte schon Hegel das Stück ein »Machwerk«. Die Diskussionen darüber sind bis heute nicht verstummt. Die
Zauberflötenvariationen des Ensembles Dei F
­ urbi wollen
aber nicht mehr sein als ein volkstümlicher, aufmüpfiger,
skeptischer Kommentar zur eigentlichen »Zauberflöte«
aus der Perspektive des einfachen ­
Volkes, des Volks­
theaters, aus der Perspektive »von unten«, nicht ganz
ernst gemeint, aber gerade deshalb so ehrlich und anrührend. Sie kommen so kurzweilig daher wie ein flüchtiger
Traum. Nach einer Stunde ist er vorüber. Mozart­glück
einmal anders. Eine echte Alternative zu unserem Musik­
theater. Die wohl außergewöhnlichste »Zauberflöten«-­
Produktion, die man derzeit erleben kann. ❙
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft9
Gemeinschaftsprojekt: Yaman Okur (Choreograph),
David Chalmin (Komposition) und Katia & Marielle Labèque (Klavier)
mit der Romeo und Julia-Hommage »Star-Cross’d Lovers«
MUSIKVERMITTLUNG
Augenmerk aufs
junge Publikum!
© Nathalie Joffre & Vincent Perrault
Die Schwestern Katia und Marielle Labèque –
und ihre Stiftung zur Musikförderung
von Theodora Mavropoulos
Wenn Pianistin Katia Labèque erzählt, ist es wie ein Strudel an Worten, der einem entgegen schießt – und so spielt die 1950 ­geborene
­Pianistin mit den dunklen wirren Locken auch Klavier: Ungestüm, risikofreudig, emotional. Ganz anders ist da ihre zwei Jahre jüngere
Schwester Marielle. Zwar ähneln sich die beiden äußerlich fast zwillingshaft. Doch Marielle scheint schon auf den zahlreichen Fotos der
beiden, die auf Broschüren, CD-Covers und Internetseiten zu sehen sind, die Zurückhaltendere zu sein. Das ist sie auch beim Klavierspielen:
diszipliniert, weich, beständig. Gemeinsam ergibt dieses ungleiche Geschwisterpaar eines der besten Pianoduos der Neuzeit.
Den richtigen Klavierpartner zu finden, ist schwer
»Wenn wir uns an unseren Instrumenten gegenüber sitzen und spielen, spüre ich, ob meine Schwester müde, traurig oder aufgeregt ist«,
sagt Katia Labèque. Nach all den Jahren des Zusammenspiels höre
man das heraus, erklärt sie. Schon zu Kinderzeiten habe die Mutter versucht, die Schwestern am Klavier zusammenzubringen. »Wir
mochten das damals gar nicht«, erinnert sich Katia. Erst nach dem
Abschluss am Pariser Konservatorium als Solopianistinnen fanden
die Geschwister Labèque am Piano zusammen. Beide schlossen mit
Auszeichnung ab. »Wir konnten uns also erst einmal jede selbst beweisen«, so Katia. Und plötzlich war der Wille da, gemeinsam zu
spielen. »An so eine Karriere hätte aber keine von uns gedacht«, sagt
Katia und scheint auch heute noch erstaunt darüber zu sein. »Es ist
fast wie ein Wunder, dass wir nach all den Jahren immer noch diese
gegenseitige Energie erzeugen.« Sie hält kurz inne. Es sei ja auch ein
Wunder, den wirklich richtigen Lebenspartner, die Liebe des ­Lebens
zu finden. So ähnlich sei das auch mit einem Klavier­partner. Du
kannst nicht erklären, warum es passt – du spürst es einfach, dass
es richtig ist. Man könne musikalisch daran arbeiten, üben, aus­
probieren. »Wenn du aber auf die Bühne gehst, dann ist da entweder
diese Chemie, diese Magie zwischen einem Duo oder eben nicht.«
Bei dem Schwesternpaar hat es gepasst.
Geboren und aufgewachsen sind Katia und Marielle in der Kleinstadt Hendaye in Aquitanien im südlichsten Teil Frankreichs. Die
Musik wurde ihnen in die Wiege gelegt, sagen sie. Denn ihre Mutter
Ada Cecchi, die aus Italien stammt, war selbst Pianistin und einst
Schülerin von Marguerite Long gewesen. Long ist eine der bekanntesten französischen Klavierpädagoginnen des 20. Jahrhunderts,
und war mit Klaviergrößen wie Claude Debussy und Maurice Ravel
befreundet. Auch der Vater der beiden liebte Musik sehr. »Musik war
also ständig um uns herum«, berichtet Katia. »Und so war es für uns
ganz normal, zu musizieren – wie atmen oder essen«, erinnert sie
sich. Noch bevor sie lesen und schreiben lernten, hätten sie ihre ersten Klavierstunden bekommen. Es sei damals Anfang der 60er Jahre
nicht einfach gewesen, sich als Pianistinnen zu behaupten, denn sie
seien ja bloß zwei kleine Mädchen aus der Provinz gewesen. Ihre
Eltern hätten viel dafür geopfert, besonders die gemeinsame Zeit.
Aber sie akzeptierten den Wunsch ihrer Töchter und schickten sie
nach Paris ans Konservatorium.
Im Jahr 1981 kam der Durchbruch: Mit der Aufnahme von G
­ eorge
Gershwins »Rhapsody in Blue« – im Original für zwei Klaviere
komponiert – erreichten die Schwestern die Spitze der Charts und
­wurden sogar mit einer Goldenen Schallplatte ausgezeichnet. Das
war der Auftakt zur internationalen Karriere des Pianoduos. Seitdem
spielen die Labèque-Schwestern weltweit mit bekannten Orchestern
und treten mit Größen wie Sir Simon Rattle auf. »Wir hatten großes
Glück so aufwachsen zu können«, sagt Katia mit warmer Stimme.
Musik vermitteln, weil ihnen selbst soviel gegeben wurde
Deshalb wollen die Schwestern nun etwas zurückgeben. Seit 2005
engagieren sie sich mit ihrer eigenen Stiftung Fondazione KML.
Durch die Stiftung soll Kindern durch unterschiedlichen Projekte
10Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
© Umberto Nicoletti
Die Geschwister Katia und Marielle Labèque und Ansichten ihres
Tonstudios in Rom, das gleichzeitig Sitz der KML-Foundation ist.
Musik nahe gebracht werden. Beide Schwestern haben selbst keine
Kinder. Sie hätten das alles, was ihre Mutter ihnen in der Kindheit
gegeben hat, nicht leisten können, sagen sie. Offen erzählt Katia:
»Irgendwann hieß es, Musik oder Familie. Wir beide entschieden
uns für die Musik.« Diese Entscheidung hätte sie nie bereut. Ja, sie
liebe Kinder und will ihnen das, was sie am besten kann, vermitteln:
Musik! Deshalb organisiere sie so gerne Bildungsprojekte für Kinder
und spiele für sie. So sind die Schwestern zum Beispiel beim renommierten Jugendprojekt Zukunft@BPhil der Berliner Philharmoniker
im Programm für Kinder dabei. Am Leipziger Gewandhaus haben
die Labèques mit »Soundcheck« ein kreatives Projekt zum »­Karneval
der Tiere« von Camille Saint-Saëns gestaltet, und sie sind mit dabei, wenn das renommierte Age of Enlightenment-Orchester sein
Kinder­bildungs- und Familienprogramm zum Besten gibt.
»Die Idee zur Stiftung kam aber vor allem daher, dass wir über­
legten, wie wir junge Künstlerinnen und Künstler bei ihrem Werdegang unterstützen können«, berichtet Katia. Und das was wir tun
ist, verschiedenste Künstler in ihren bereits vorhandenen Projekten
zu vernetzten. Uns geht es dabei gerade um den Mix an Musik­
richtungen und das Mischen von verschiedenen künstlerischen
Disziplinen, wie zum Beispiel Musik und Tanz. Dabei werden auch
Barrieren gesprengt, erzählt Katia. So haben sie für das Projekt »Star
Cross’d Lovers«, dessen Musik David Chalmin komponierte, Tänzer
von der Straße gecastet und auf die Bühne der Pariser Philharmonie
geholt. Das 30-Minuten-Breakdance Ballett, welches im Mai dieses
Jahres seine Premiere hatte, verbindet klassische Musikelemente mit
­Elektro, Minimal und Rock.
musik für sich und wechselte zur E-Gitarre. Beide Musikstile gefielen ihm. »Ich will jüngeren Menschen die Tür zur klassischen Musik
öffnen«, erklärt Chalmin. Durch den Mix der unterschiedlichen
Musikrichtungen könne gezeigt werden, wie nah sich die Stile doch
stehen und wie gut sie einander ergänzen. Und so werde dann vielleicht auch jemand, dem vorher nicht viel an klassischer Musik gelegen hat, neugierig, auch diesen Stil zu entdecken, erklärt ­Chalmin.
»Als ich die Schwestern vor gut 10 Jahren kennenlernte, brachten
sie mich mit anderen Musikern in Kontakt, ich konnte Künstler
kennenlernen und Projektideen angehen.« Auch ein Studio in Paris
stellten sie ihm zur Verfügung. Dadurch konnte der Musiker, Komponist und Produzent sich ausprobieren, durchbrach immer mehr
die Grenzen unterschiedlicher Musikrichtungen und verband sie in
seinen Kompositionen, die auch für Klavierduos bestimmt sind.
Und auch das ist ein Bestreben der Geschwister in Zusammenarbeit
mit ihren Projektteilnehmern: Sie wollen das Komponieren für das
vierhändige Klavierspiel befeuern. »Wir sahen, dass kaum jemand
der jungen Komponisten mehr für Klavierduos schreibt«, berichtet
Katia. Das sei heute nicht populär. Es sei aber auch sehr schwierig
sein Leben dem vierhändigen Klavier zu widmen. »Du verbringst
dann fast dein ganzes Leben mit dieser anderen Person.« Katia l­ ächelt
­leise. Man müsse dem Partner oder der Partnerin schon tief verbunden sein, um das durchzuhalten. Und die heutige Zeit ­ziele vielmehr
auf das Individuelle ab. Die Menschen bauen sich Solokarrieren auf.
Dennoch: Zuallererst geht es ja um die Schönheit der Musik, meint
Katia. »Wenn wir nun also junge Musiker in Projekten der Stiftung
dazu ermutigen, wundervolle Musik für das vier­händige Klavier zu
komponieren – dann ist das vielleicht der Schlüssel dazu, auch in
heutigen Zeiten wieder mehr Klavierduos hervorzubringen.« ❙
Die Schwestern Labèque schaffen Netzwerke
Damit möchten die Schwestern und Chalmin vor allem auch ein
jüngeres Publikum ansprechen. Er selbst wuchs in einer Klassik liebenden Familie auf, lernte Klavierspielen. Mit 14 entdeckte er Rock­
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft11
MOZART-ORT
»Wenn ich nach Indien reise,
dann komme ich nach Hause«
Zubin und Zarin Mehta haben in Mumbai
eine Stiftung für Klassische Musik gegründet
von Oliver Das Gupta
Zubin Mehta ist stolz auf Zarin Mehta. »Er ist der ideale Musik­
manager«, sagt der Dirigent über seinen jüngeren Bruder. Und wenn
Zarin über Zubin redet, klingt das so: »Er ist eine Lichtgestalt, er
besitzt das Performer-Gen.«
Die Mehtas sind ein einzigartiges Brüderpaar in der Welt der klassischen Musik. Zarin Mehta brillierte nach Stationen in Montreal
und Chicago zuletzt als Präsident des New Yorker Philharmonic
­Orchestra. Zubin Mehta gilt als einer größten Orchesterleiter der
Gegenwart. Seit Jahrzehnten arbeitet er mit den wichtigsten Klangkörpern und an namhaften Häusern in aller Welt.
Die Brüder sind in ihrem Naturell verschieden. Zubin ist ein Entertainer, ein Superstar. Zarin ist zurückhaltender, ein Macher im Hintergrund. Doch beide lieben seit ihrer Jugend Kricket, beide verließen früh die Heimat und beide haben dieselbe Frau geheiratet.
Nachdem Zubins erste Ehe auseinander gegangen war, verliebte sich
Zarin in seine geschiedene Schwägerin.
Die Geschichte der Mehta-Brüder ist auch deshalb so außergewöhnlich, weil sie in einem Land begann, in dem westliche klassische
­Musik bis heute wenig populär ist: Indien.
Der Vater: Musikliebender Autodidakt
In der Metropole Bombay, dem heutigen Mumbai, kamen sie zur
Welt: Zubin 1936 und Zarin zwei Jahre später. Das parsische Elternhaus war wohlhabend, vor allem aber war es ungewöhnlich: »Schon
bevor Zarin und ich das Sprechen gelernt haben, hörten wir klassische Musik«, sagt Zubin Mehta heute.
Vater Mehli Mehta (1908–2002) war beseelt von Schumann, Brahms
und Mozart. Als junger Mann hatte er die raren indischen Gast­
spiele von europäischen Musikern wie Jascha Heifetz besucht und
war hingerissen. Mehta arbeitete zwar anfangs noch als Buchhalter,
widmete aber sein Leben bald vollends der klassischen Musik. In
der damaligen Kolonie Britisch-Indien fehlte es an jeglicher musika­
lischer Infrastruktur. So schuf er seine eigene, nachdem er sich das
Geigenspiel selbst beigebracht hatte.
Schon vor der Geburt der Söhne gründete Mehli Mehta das Bombay
Symphony Orchestra und später noch ein Streichquartett. Mit ihm
musizierten in Bombay ansässige Briten, Amerikaner und jüdische
Emigranten, nur vereinzelt auch Inder. Nicht sehr professionell,
aber leidenschaftlich klangen die Pioniere der klassischen Musik auf
dem Subkontinent.
Geprobt und unterrichtet wurde im Elternhaus der Mehtas, während im Zimmer nebenan die Kinder Hausaufgaben erledigten. »Sie
sehen, wir wurden früh indoktriniert«, sagt Zarin und lacht dabei.
Zubin erinnert sich, welchen Klängen er damals besonders gerne
gelauscht hat: Mozarts Jagdquartett und Mendelssohns Oktett op.20.
Gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs dampfte Vater Mehli
­Mehta mit einem der ersten Schiffe nach London, um sein Geigenspiel zu professionalisieren und Orchestererfahrung zu sammeln.
Später ging er in die USA und gründete in Los Angeles die American
Youth Symphony, die er als Dirigent zum Blühen brachte.
In Kalifornien setzten sich Mehli und seine Frau Tehmina zur Ruhe,
vor wenigen Jahren sind sie dort hochbetagt verstorben. ­
Vater
­Mehta war enttäuscht, wie wenig er in seinem Geburtsland erreicht
hatte. Seine Konzerte in Bombay seien fast ausschließlich nur von
Nicht-Indern besucht worden, beklagte er. Es traf ihn, dass »die
westliche klassische Musik bei den Indern nicht die gleiche Begeis­
terung auslöste wie bei ihm selbst«, erinnert sich Sohn Zarin.
Es ist in der Tat verblüffend, wie wenig die »Weltsprache« der westlichen Klassik in Indien bis heute angekommen ist – vor allem im
Vergleich zu anderen asiatischen Staaten wie Japan, China und Südkorea. Nach der Unabhängigkeit 1948 blieben vielen Dinge in der
größten Republik der Welt sehr britisch, gerade was die Verwaltung
und das Bildungssystem betrifft. Selbst die zweite Hauptverkehrssprache ist bis heute Englisch. Doch bei der Musik dominieren jenseits des Bollywood-Pops die traditionellen Ragas.
Das liegt unter anderem daran, dass der Multivölkerstaat Indien
über eine äußerst vielfältige, aktive Kulturszene verfügt, die von den
Menschen geschätzt und gelebt wird. Die Gesellschaft ist seit jeher
konservativ geprägt. Man pflegt Jahrtausende alte Bräuche, Tradi­
tionen, Tänze und Musik. Das blieb auch während der britischen
Kolonialherrschaft so. »Wir waren kein assimiliertes Land«, sagt
­Zubin Mehta.
Die Inder haben ihre eigene »Klassik«
Die indische Klassik hat sich zu einem komplexen System ent­
wickelt, deren Vertreter an die universelle Anziehungskraft glauben.
Von der gleichen Wirkmächtigkeit der eigenen Klassik ist auch der
Westen überzeugt. Es gab Versuche, eine Synthese zwischen den beiden musikalischen Welten herzustellen. Zubin Mehta etwa hat mit
dem berühmten Sitar-Spieler Ravi Shankar musiziert. Doch Bruder
Zarin hat Zweifel, ob beide Systeme kompatibel sein können: »Beide
Welten für sich sind so stark und unabhängig.«
Mehli Mehtas Vision war es, dass im reichen Garten der indischen
Kultur auch die westliche Klassik ihren Platz findet. Die Ent­
täuschung des Vaters war der Ansporn für seine erfolgreichen Söhne.
Schon zu Lebzeiten des Vaters gründeten sie in Mumbai die ­Mehli
Mehta Music Foundation (MMMF).
12Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
alle Fotos © Privatbesitz Metha
oben: Eine Kindheit in Indien,
in einem ­musikalischen Haus
links: Zubin (2. v. l.) und Zarin Mehta (re.)
mit ihren Eltern
Seit 1995 ermöglicht die S
­ tiftung Schülern klassischen Musik­
unterricht. Lehrer, die teilweise aus dem Ausland engagiert sind,
bringen den Kindern bei, Geige, Klavier und andere Instrumenten
zu spielen oder auch im Chor zu singen. Die Stiftung veranstaltet
Konzerte, unlängst sogar ein Kindergastspiel in Japan.
Besonders gern spielen die Schüler Kompositionen von Mozart.
Möglicherweise ist er sogar ein Schlüssel, um weitere Herzen in Indien zu erobern. »Ohne Mozart kann kein Mensch leben, der klassische Musik liebt«, sagt Mehta, »es ist unmöglich.« Und Zarin meint:
»Ich glaube, es gibt kein Publikum der Welt, das an Mozart nicht
Gefallen findet.« Nur müsse man diese Musik eben erst unter die
Menschen bringen.
Der Weg der westlichen Klassik in Indien mag beschwerlich sein, doch
Zubin Mehta ist optimistisch: »Wir fangen klein an.« Momentan sind
die Unterrichtsräume der MMMF in zwei großzügigen Apartments
eines Wohnhauses untergebracht. »Unser Traum ist es, eine echte
Schule zu bauen – ein richtiges Konservatorium«, sagt Zubin.
Die Stiftung holt Weltstars nach Indien
Es sind vor allem Frauen, die dafür sorgen, dass es voran geht. Sie
engagieren sich für die Stiftung – und das ehrenamtlich. Die Mehta-­
Brüder helfen meist aus der Ferne: Zarin sammelt Spenden und
Zubin organisiert immer wieder glanzvolle Auftritte von Künstlern
und Klangkörpern von Weltformat zugunsten der Stiftung in Indien.
So spielten dort die Wiener Philharmoniker, das Bayerische Staatsorchester und das Israel Philharmonic Orchestra; der Geiger Itzhak
Perlman und Placido Domingo kamen, und Daniel Baren­
boim
­setzte sich für seinen alten Studienfreund Zubin an den ­Flügel.
So kommt Indien zu westlicher Klassik auf höchstem Niveau. Und
durch die Stiftungsarbeit könnte sich in Indien eine lebendige
Klassik­szene etablieren – ganz so, wie es sich Mehli Mehta so sehnlich wünschte: »Mein Bruder und ich wollen, dass Vaters Traum
weiter­geht«, sagt Zubin. Das Interesse bei den Kindern ist da – und
bei dem Dirigenten die Hoffnung, dass sich Ausnahmetalente zeigen, so wie das bei ihm selbst der Fall war.
Schon früh begann bei Zubin und Zarin die Liebe zu der Musik,
die ihr Vater zelebrierte. Als Kinder hörten sie immer wieder seine
Platten, und der Ältere sprang bei Violinkonzerten für den Vater als
Hilfsdirigent ein, wenn der den Solopart spielte.
Die berufliche Zukunft der Söhne sahen die Eltern allerdings nicht
in der Musik. Zarin sollte Buchhalter werden, Zubin begann, Medizin zu studieren. Ganze zwei Semester hielt er es aus. Dann durfte
er – mit Erlaubnis seiner Eltern – doch die Musik zu seiner Lebensaufgabe machen. Mit 18 reiste Zubin Mehta nach Wien, wo schon
ein Cousin Klavier studierte. Dort lernte er nicht nur Musiktheorie,
Klavier und Bass, sondern auch die deutsche Sprache, die ihn bis­
weilen wie einen Wiener klingen lässt. Für Zubin entfaltete sich hier
die klassische Musikwelt noch einmal neu: Opern waren ihm bis dahin fremd, und den Klang großer Orchester kannte er nur von den
kratzenden Schellackplatten seines Vaters.
Er ging nun in die Oper und in den Saal des Wiener Musikvereins
und hörte dort das gängige Klassikrepertoire – unter Dirigenten
wie Karl Böhm und Herbert von Karajan – in voller Pracht. Mozart
habe er eigentlich erst in Wien kennengelernt, erinnert sich Zubin.
»­Mozart in Wien ist das Echteste!«
Ähnliche Offenbarungen erfuhr Zarin fast zur gleichen Zeit. Der
Bruder war zum Studieren nach London geschickt worden, besuchte
dort ebenfalls Konzerte – und war hingerissen wie Zubin. Sein Klarinettenspiel gab er bald auf, doch die Liebe zur Musik wuchs.
Wenn die Brüder gemeinsam in Wien waren, besuchten sie Vorstellungen, so oft es nur ging – und sofern das Geld reichte. »Stehplatz«,
dieses Wort kann Zarin noch heute in deutscher Sprache.
Auch Zarin mochte nicht ohne Musik leben
Nachdem Zubins Weltkarriere begonnen hatte, wurde Zarin Wirtschaftsprüfer bei einer großen Londoner Firma. Sein Hang zur klassischen Musik war jedoch so stark, dass er – ermutigt von ­Zubin
– die Branche wechselte. 1981 wurde er Direktor des Montreal
Symphony Orchestra und nahm dafür hohe finanzielle Verluste in
Kauf. Doch er glänzte als Musikmanager so sehr, dass er seine zweite
­Karriere schließlich in New York mit dem Posten des Präsidenten der
­Philharmonie krönen konnte.
Zarins Lebensmittelpunkt ist Chicago, Zubin lebt in Los Angeles.
Sie sehen sich nicht oft, doch telefonieren regelmäßig. »Vor ein paar
Tagen erst«, erzählt Zubin, »rief ich Zarin an und bat ihn um einen
wichtigen Gefallen.« Der Jüngere kommt besser mit dem Internet zurecht und schaute für seinen Bruder nach, wie ein wichtiges
Kricket-­Spiel ausgegangen war.
So fern beide Brüder Mumbai auch sind, so sehr fühlen sie sich über
die Stiftungsarbeit hinaus ihrem Geburtsland verbunden. Zubin
betont, dass er nach wie vor indischer Staatsbürger sei – und auch
bleibe. Seine kulinarische Liebe zu Currys, Tandoori-Speisen und
Mangos geht so weit, dass er Menschen, die ihm sympathisch sind,
in indische Restaurants schickt, wo bereits bei der Ankunft die Rechnung bezahlt ist.
Bruder Zarin bezweifelt, dass er heute noch dauerhaft in Indien
­leben könnte. »Aber«, sagt er, »wenn ich nach Indien reise, dann
komme ich nach Hause.« ❙
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft13
INTERVIEW
Fragen an RICO GULDA
Rico Gulda ist ein renommierter Pianist, Komponist, Dirigent und CD-Produzent und leitet
den Künstlerischen Betrieb und die Dramaturgie am traditionsreichen Wiener Konzerthaus.
Mit seinem sechs Jahre älteren Halbbruder Paul und Martha Argerich (beide ebenfalls am
Klavier) gab er zahlreiche Konzerte zum Andenken an seinen Vater, den berühmten wie
­unkonventionellen Pianisten und Komponisten Friedrich Gulda. Ricos anderer Halbbruder
David ist Manager im Motorsport.
Ich hatte es dadurch einfach leichter, schon
rein geographisch oder vielleicht auch, weil
ich der Jüngste war. Als ich dann zum Studium nach Wien kam, merkte ich, was für eine
Rolle es da spielte, »der Sohn von Friedrich
Gulda« zu sein.
Was haben Ihre Geschwister zu Ihrer musikali­
schen Laufbahn beigetragen?
Ich bin mit Geschwistern und als Einzelkind
gleichermaßen aufgewachsen. Ich wuchs
bei meiner Mutter Yuko in München auf. In
den Ferien war ich sehr häufig mit meinem
Vater am Attersee, das war sein Sommer­
erholungsort. Dort war dann glücklicher­
weise häufig auch mein Halbbruder Paul zu
Besuch. Ich erinnere mich noch daran, wie
Paul damals an seiner pianistischen Karriere
gearbeitet hat, er hat dort in der Sommerfrische sehr viel geübt. Da hab ich sehr viel
mitgehört und das war sehr an­spornend und
motivierend, und hat mir sehr viel gegeben.
Sie haben dann einen anderen Weg einge­
schlagen als Ihr Bruder. Sie waren zwar auch
als ­
Pianist sehr erfolgreich. Aber heute sind
Sie Musikmanager am Wiener Konzerthaus.
Haben Sie vielleicht in Abgrenzung gegen den
Vater, der eine Legende war und den bereits er­
folgreichen Bruder die künstlerische Laufbahn
nicht so intensiv weiterverfolgt?
Vielleicht, ja. Aber wenn dann, ist das unbewusst abgelaufen und war nicht so eine
rationale Überlegung. Und das stand auch
nicht im Vordergrund – bewusst. Aber was
unbewusst abläuft, das wissen wir ja nicht
(lacht). Bewusst war das mehr getrieben
von eigenen Bedürfnissen. Ich hatte das
Gefühl, dass ich pianistisch viel erreicht
hatte. Ich durfte hier im Konzerthaus mit
den Wiener Philharmonikern auftreten,
das ist schon das Beste vom Besten, was
einem in Österreich passieren kann. Mich
hat es dann immer mehr ins Management
gezogen. Auch aus Interesse. Mein Wirken
hier im Wiener Konzerthaus, da habe ich etwas gefunden, was mir wirklich auch liegt.
Das passt jetzt. Eine bewusste Abgrenzung,
das klingt zu hart, das entspricht nicht meinem Typ. Das hat ja eher etwas aktives. Ich
denke, dass ich eine Menge ­Felder aus der
Nähe betrachtet hab und auch mitgemacht
hab und ich bin jetzt wo angekommen, wo
es gut passt.
❙ Das Interview führte Julika Jahnke.
Haben Sie sich auch mit ihm verglichen?
Also, in einer Familie wie der unsrigen ... der
Vater war ja sowieso unerreichbar und der
ältere Bruder war sechs Jahre älter und auch
viel weiter. Das wusste ich halt damals, der
Vergleich ist offensichtlich gewesen.
Hat Sie die Musik denn einander näher ge­
bracht?
Die Beziehung zum Vater war musikalisch
geprägt, das stand bei ihm im Vordergrund
und das war das, was man mit ihm teilen
konnte oder nicht. Und da der Vater auch
das Bindeglied zwischen mir und meinen
Halbgeschwistern war, gab es auch da diesen starken Fokus auf die Musik, entweder
als verbindendes oder weniger verbindendes Element, wie zum Beispiel bei meinem
älteren Halbbruder David.
Was haben Sie durch diese Geschwisterbezie­
hung zu Ihrem Bruder Paul gelernt?
Ich habe sehr viel durch Beobachtung gelernt. Das jüngere Geschwisterkind beobachtet ja das, was das Ältere erlebt. Bei
mir war das vor allem im Umgang mit dem
Vater von Bedeutung. Und da sind unsere
Wege schon sehr unterschiedlich verlaufen. Das hatte bei meinem Vater vielleicht
auch mit Altersmilde zu tun, ich bin ja der
Jüngste. Aber ich habe einige Konflikte auch
schon antizipierend vermieden. Mein Vater
konnte in konflikthaften Situationen sehr
temperamentvoll und zornig werden.
Stand Ihr Bruder Paul künstlerisch auch stär­
ker unter Druck, durch den erfolgreichen Vater?
Das kann ich nicht sagen, gefühlterweise
vielleicht ja. Aber das müssen Sie ihn selbst
fragen. Der Vater, den mein Bruder erlebt
hat, war jedenfalls ein anderer als der, den
ich erlebt habe. Er hat an ihm andere Phasen miterlebt, auch radikalere. Und: mein
Bruder wuchs in Wien auf. Stellen Sie sich
das mal vor: als Sohn von Friedrich Gulda
in Wien aufzuwachsen. Das war ja etwas
ganz anderes, als wie ich in Deutschland zu
leben. Da war sein Ruhm nicht so zentral.
14Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft
© Erwin Wimmer
(Fast) die ganze Familie
spielt Klavier
INTERVIEW
Die kleine
­Schwester
spielt Bratsche
© Marco Borggreve
Fragen an TABEA ZIMMERMANN
Tabea Zimmermann ist eine weltweit gefragte Solistin, Professorin an der Hochschule für
Musik Hanns Eisler in Berlin und Leiterin der Beethovenwoche in Bonn. Zahlreiche W
­ erke
wurden ihr gewidmet, u. a. von Wolfgang Rihm und György Ligeti. Unter ihren sechs Geschwistern war sie zwar nicht das Nesthäkchen, aber die Jüngste der vier Älteren.
Was haben Ihre Geschwister zu Ihrer musikali­
schen Laufbahn beigetragen?
Extrem viel. Ich hätte nie im Alter von drei
Jahren angefangen, Bratsche zu spielen,
wenn nicht meine drei älteren Geschwister
schon musiziert hätten.
Cello, Klavier und Geige waren durch sie
schon besetzt und andererseits war mein
Wunsch riesig groß, bei den Geschwistern
dabei sein zu können und auch zur Musikschule zu gehen. Ich wollte mitmachen.
Hat Sie das Ihren Geschwistern auch näher ge­
bracht?
In unserer Familie gab es ein spezielles
Cluster, was auch durch eine sehr stark religiöse Ausrichtung und pietistische Gemeinschaft geprägt war. Die Musik war, bei
aller Strenge, die herrschte, der Bereich, der
geistige Freiheit erlaubte. Mit meinen beiden Schwestern habe ich von meinem fünften bis zu meinem zwanzigsten Lebensjahr
Streichtrio gespielt. Und zwar sehr intensiv.
Wir waren sehr eng verbunden, auch als
Partei gegen die Eltern. Unsere ganzen pubertären Krisen und Widersprüche gegen
die Eltern haben wir über die Musik im Trio
ausgefeilt und ausgearbeitet und das hat
uns zusammen­geschworen. Aber natürlich
gab es auch Spannungen. Und die miteinander auszukämpfen, mit Ideen und Überredungskünsten, das mussten wir auch zu
dritt lernen. Das war manchmal heftig.
Was haben Sie durch diese enge Zusammen­
arbeit fürs Leben gelernt?
Unheimlich viel, vielleicht bin ich sogar immer noch dabei zu lernen (lacht). Ich glaube,
dass mein ganzes Verständnis, was Musik
ausmacht, und wie man innerhalb eines
Ensembles kommuniziert, davon extrem
geprägt ist. Und auch der Wunsch, sich in einer gemeinsamen musikalischen Idee indi­
viduell ausdrücken zu können. Die Idee des
Familientrios hat unsere Musikschule damals allerdings nicht nur unterstützt. Weil
sie der Meinung war, wir sind eh zu nah
aufeinander. Wenn heute ein Geschwister­
ensemble zu mir als Lehrerin käme, müsste
ich auch abwägen. Familie und Musik – das
kann auch zu nah werden.
Welche Gefahren sehen Sie darin?
Einseitigkeit. Denn das Spannende ist ja
in allen Auseinandersetzungen, die wir als
Heranwachsende haben, sich mit anderen
Gedanken auseinander zu setzen, andere
Denkweisen akzeptieren zu lernen. Das
habe ich im Geschwistertrio vielleicht nicht
so gut gelernt. Ich bin mit vielen Gedanken
überhaupt erst in meinen Zwanzigern konfrontiert worden, weil das so ein enges Zuhause war.
Musizieren denn Ihre drei eigenen Kinder auch?
Ja, aber lange nicht so zielgerichtet, wie das
bei uns zuhause vorgegeben war und sich
auch ergeben hat. Sie sind sehr musikalisch,
aber ich kann mir gar nicht vorstellen, dass
meine Kinder mal einen Beruf mit Musik
wählen. Auch, weil es natürlich einen Unterschied macht, ob die Eltern Musik machen
oder nicht. Wir hatten in unserer Generation das Glück, dass die Eltern keine Ahnung
hatten und man sich als Kind damit auch
positionieren konnte, dass man sagt: »Das
ist meins, Ihr wisst überhaupt nicht, was ich
da tue, haltet Euch lieber raus.« Das können
meine Kinder mir natürlich nicht sagen und
ich glaube, dass sie sich daher lieber andere
Themen suchen werden.
Gibt es für Sie noch eine andere wichtige
­Facette, wenn Sie an das Musizieren in der Fa­
milie ­denken?
Das ist die Konkurrenz. Ich als Jüngere hab
zum Beispiel in jedem Fall profitiert, aber
ich weiß nicht, ob meine beiden Schwestern
das auch so sehen würden. Ich war einfach
von Anfang an die Erfolgreichste, sicher
auch, weil ich mit der Bratsche auf einem
unbeackerten Feld unterwegs war. Es gab
keine Altersgenossen, die das Instrument
ähnlich gut spielen konnten. Was für meine
Schwestern heftig war, war, dass sie sowohl
die Konkurrenz der Altersgenossen aushalten mussten als auch dieses: »Da kommen
die drei Schwestern Zimmermann und guckt
Euch mal die Kleinste an.« Heute muss ich,
als Lehrerin, auch mitleiden, wenn da Geschwisterkinder unterwegs sind, die so in
Konkurrenz zueinander stehen. Ich wär
manchmal froh gewesen, man hätte mich
auch mal als Mensch gesehen und nicht nur
als die, die so toll Bratsche spielt.
Wer hatte es denn da bei Ihnen am schwersten?
ich glaube, das war meine geigende Schwester. Sie war die erste Stimme im Ensemble,
aber ich als Jüngste hatte immer ne bessere
Idee oder wusste, wie sie etwas anders besser machen könnte. Diese Konkurrenz ist
ein großes Thema in Familien. Ich glaube,
man hat es als Jüngste am einfachsten: Man
lernt aus den Fehler der Größeren gleich mit
und sucht sich so seinen eigenen Weg.
❙ Das Interview führte Julika Jahnke.
Die Seiten der Deutschen Mozart-Gesellschaft15
Empfehlungen
BÜCHER
BÜCHER
mit der ebenfalls reproduzierten
»Arbeitspartitur« vergleichen.
Ein hervorragender Kommentar hilft dabei und unterscheidet
Legenden von Beweisbarem.
Und er erklärt die heraus­
gerissene Ecke auf f. 99 unten:
Hier standen Mozarts letzte je
geschriebene Worte.
Dr. Melanie Wald-Fuhrmann
Wolfgang Amadé Mozart: Requiem KV 626. Faksimile. Kassel:
Bärenreiter 2015, 100 f., 35 S.
»Höchste Authentizität« verspricht der Bärenreiter-Verlag
mit seinen Faksimiles. Und tatsächlich: Wenn man das jüngst
erschienene Faksimile von
­Mozarts Requiem aufschlägt,
ist es, als hielte man Mozarts
Originalhandschrift selbst in der
Hand. Die Farbe und Struktur
des Papiers, sogar seine unregel­
mäßigen Ränder sind ebenso
getreu reproduziert wie die verschiedenen Farben der Tinte von
schwarz bis blassbraun, Flecken,
spätere Einträge und Bibliotheksstempel. Der Verlag knüpft
damit an seine Serie der Mozartschen Opern-Faksimiles an.
Die besondere Aura, die mit
dem Werk verbunden ist, lässt
sich in seinen Quellen wiederfinden: Wer sich einlässt, kann
in der sogenannten »Ablieferungspartitur« (die ­
Constanze
an den Auftraggeber, Graf
Wals­
egg, sandte) erkennen,
dass Süßmayr Mozarts Signatur
fälschte, kann die verschiedenen
Schreiberhände unterscheiden
und die Ablieferungsversion
Robert Maschka: Mozart. Die
Zauberflöte. Kassel: Bärenreiter
2015 (Opernführer kompakt),
134 Seiten
Mit einem Band zur »Zauberflöte« setzt der Bärenreiter-­
Verlag seine Reihe kompakter
Opern-Monographien fort. Der
Aufbau ist im Wesentlichen
vorgegeben: Biographisches zu
Komponist und Librettist, Entstehungsgeschichte, Handlung,
eine musikalische Beschreibung
jeder Nummer, Aufführungsund Rezeptionsgeschichte. Dazu
Steckbriefe der handelnden
Figuren, graphische Verdeut­
lichungen, Tabellen und viele
Bilder. Die Reihe ist also auf
breite Resonanz angelegt.
Robert Maschka fügt sich gut
in dieses Konzept ein, fasst
pointiert zusammen, was man
heute über das Werk weiß und
denkt, und bemüht sich trotz
eines eher lockeren Tonfalls, die
weltanschaulichen Hintergründe, v. a. aber die musikalische
Gestaltung nachvollziehbar zu
machen. Für den Autor spricht
auch, dass er weiß, dass er das
Geheimnis dieses Werks nicht
ergründen kann. Doch er berührt es immerhin.
Dr. Melanie Wald-Fuhrmann
Elisabeth Schmierer: Geschichte des Konzerts. Eine Einführung. Laaber 2015 (Gattungen
der Musik), 231 Seiten
Kompakte Überblicke – nicht
selten mit Mottos wie ›100
Dinge, die man wissen sollte‹
– haben mittlerweile einen soliden Stand auf dem deutschen
Buchmarkt. Was die Klassik betrifft, gibt es Zusammenschauen zur Musikgeschichte oder
zu Instrumenten – und Werkführer, durch die sich Experten
und ­Laien gleicher­maßen in die
Schlag­lichter einer Entwicklung
vertiefen können. Was es bisher
wenig gab – ­
jedenfalls für die
musiktheoretisch nicht so Ver-
sierten –, waren ­
Bücher über
musikalische Gattungen. Daher
ist die neue Reihe Gattungen der
Musik nur zu begrüßen.
Im zweiten Band beschäftigt
sich Elisabeth Schmierer mit der
Geschichte des Instrumentalkonzerts. Dabei konzentriert sie
sich auf die Werke, die typischerweise als Konzert bezeichnet
werden: mehrsätzige Stücke mit
Solo-Tutti-Differenzierung.
Das Buch ist chronologisch aufgebaut und reicht vom späten
17. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Schmierer geht von
Idealtypen der Gattung aus und
zeigt durch Analyse einzelner
Werke, wie vielfältig die Umsetzung ist. Sie untersucht dabei
vor allem die Entwicklungen,
die im Rückblick entscheidend
für die Gattung waren. Mit Vergleichen einzelner Komponisten
knüpft die Autorin Verbindungen zwischen den verschiedenen
Entwicklungsstufen. Die Fach­
begriffe werden in einem Glossar näher erklärt. Notenbeispiele
gibt es keine, so dass der Band
auch ohne Fachkenntnisse verständlich ist.
Wer sich einen Überblick über
die großen Linien der Geschichte
der Gattung verschaffen will, für
den ist der Band also bestens geeignet. So knapp alles dargestellt
ist, gibt es doch viele Verweise auf
die wichtigste Sekundärliteratur,
so dass diese Konzertgeschichte
auch gleich ein guter Einstieg in
die Thematik sein kann.
Janine Wiesecke
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Layout: Esther Kühne
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