mozart - Münchner Philharmoniker

MOZART
10. Serenade »Gran Partita«
Requiem
»Ave verum«
MEHTA, Dirigent
ERDMANN, Sopran
VON DER DAMERAU, Mezzosopran
SCHADE, Tenor
FISCHESSER, Bass
PHILHARMONISCHER
CHOR MÜNCHEN
Dienstag
22_03_2016 20 Uhr
Donnerstag
24_03_2016 20 Uhr
Samstag
26_03_2016 19 Uhr
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WOLFGANG AMADÉ MOZART
Serenade für 12 Bläser und Kontrabass B-Dur KV 361
»Gran Partita«
1. Largo – Allegro molto
2. Menuetto – Trio I – Trio II
3. Adagio
4. Menuetto. Allegretto – Trio I – Trio II
5. Romance. Adagio – Allegretto – Adagio
6. Tema con variazioni
7. Finale. Rondo. Allegro molto
WOLFGANG AMADÉ MOZART
Requiem für Soli, Chor, Orgel und Orchester d-Moll KV 626 (Fragment)
1. Introitus: Requiem aeternam (Adagio)
2. Kyrie: Kyrie eleison (Allegro)
3. Sequenz: Dies irae (Allegro assai) – Tuba mirum (Andante) –
Rex tremendae – Recordare – Confutatis (Andante) – Lacrimosa
(Gespielt werden nur die von Mozart skizzierten und von Franz Xaver Süßmayr
vervollständigten Sätze 1–3 bis zum Takt 8 des Lacrimosa.)
WOLFGANG AMADÉ MOZART
»Ave verum corpus« KV 618
ZUBIN MEHTA
Dirigent
MOJCA ERDMANN
Sopran
OKKA VON DER DAMERAU
Mezzosopran
MICHAEL SCHADE
Tenor
CHRISTOF FISCHESSER
Bass
PHILHARMONISCHER CHOR MÜNCHEN
Einstudierung: Andreas Herrmann
118. Spielzeit seit der Gründung 1893
VALERY GERGIEV, Chefdirigent
PAUL MÜLLER, Intendant
Das wohl berühmteste Mozart-Portrait von Barbara Krafft 1819 angefertigt
Wolfgang Amadé Mozart: »Gran Partita«
3
Ares und
Aphrodite
WOLFGANG STÄHR
WOLFGANG AMADÉ MOZART
(1756–1791)
Serenade für 12 Bläser und Kontrabass
B-Dur KV 361
»Gran Partita«
1. Largo – Allegro molto
2.Menuetto – Trio I – Trio II
3.Adagio
4. Menuetto. Allegretto – Trio I – Trio II
5. Romance. Adagio – Allegretto – Adagio
6. Tema con variazioni
7. Finale. Rondo. Allegro molto
ENTSTEHUNG
Mozart, seit 1781 als »freier Künstler« in
Wien beheimatet, komponierte die B-DurSere­nade KV 361 in der ungewöhnlichen Besetzung mit je zwei Oboen, Klarinetten,
Bassett­hörnern und Fagotten, vier Hörnern
und einem Kontrabass offenbar 1783/84 für
ein Konzert, eine »Musikalische Akademie«,
seines Freundes, des Klarinettisten Anton
Stadler. Die Serenade gehört in die Tradition
der reinen Bläsermusik, der »Harmonie«, wie
sie damals genannt wurde, zu der Mozart
auch ein Sextett und zwei Oktette beitrug.
Überdies wurden im Wien des späten 18.
Jahrhunderts viele »Hits« aus seinen neuesten Opern »auf die Harmonie gesetzt«.
URAUFFÜHRUNG
LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN
Geboren am 27. Januar 1756 in Salzburg;
gestorben am 5. Dezember 1791 in Wien.
Am 23. März 1784 in Wien im Rahmen einer
von Mozarts Freund und (Freimaurer-)
Logen­bruder Anton Stadler organisierten
»Musika­lischen Akademie«; allerdings wurden damals im Wiener National-Hoftheater,
dem alten Burgtheater, aus zeitlichen Gründen nur vier der insgesamt sieben Sätze
musiziert.
Wolfgang Amadé Mozart: »Gran Partita«
4
MOZARTS MUSIKALISCHE
DIALEKTIK
Harmoniemusik – der Begriff klingt wie ein
Pleonasmus, ein »weißer Schimmel« oder
»alter Greis«. Jedenfalls nach dem Maßstab der Musiker von ehedem. Denn in
vergan­genen Zeiten wurde Musik als eine
Wissenschaft begriffen, »geschickte und
angenehme Klänge klüglich zu stellen, richtig an einander zu fügen, und lieblich he­
raus zu bringen, damit durch ihren Wollaut
Gottes Ehre und alle Tugenden befördert
werden«: So steht es im »Vollkommenen
Capellmeister«, einem wegweisenden Lehrwerk des 18. Jahrhunderts. Und so verstand auch M
­ ozart seine Kunst, erklärtermaßen, als er schrieb, dass »die leidenschaften, heftig oder nicht, niemal bis zum
Eckel ausge­drücket seyn müssen, und die
Musick auch in der schaudervollsten lage,
das Ohr niemalen beleidigen, sondern doch
dabey vergnügen muß, folglich allzeit Musick bleiben Muß«.
Und deshalb blieb gerade Wolfgang Amadé
Mozart allzeit das Vergnügen der Theologen, ihr Lieblingskomponist und Kronzeuge, da seine Musik, allen Widrigkeiten des
menschlichen Alltags zum Trotz, die Harmonie der Schöpfung reflektiert, wenn
nicht gar unter Beweis stellt. »Was ich Ihnen danke, ist schlicht dies, daß ich mich,
wann immer ich Sie höre, an die Schwelle
einer bei Sonnenschein und Gewitter, am
Tag und bei Nacht guten, geordneten Welt
versetzt finde«, bekannte Karl Barth 1955
in einem imaginären Dankesbrief an Mozart. »Mit Ihrer musikalischen Dialektik im
Ohr kann man jung sein und alt werden,
arbeiten und ausruhen, vergnügt und traurig sein, kurz: leben.« Und nicht anders als
seinerzeit der protestan­tische Theologe
Karl Barth begründet der emeritierte
Papst Benedikt XVI. seine geradezu existentielle Liebe zu Mozarts Musik: »Das
Dasein ist nicht verkleinert, nicht falsch
harmonisiert. Nichts von seiner Schwere
und Größe ist ausgelassen, aber alles zu
einer Ganzheit geworden, in der wir die Erlösung auch des Dunklen unseres D
­ aseins
spüren und das Schönsein der Wahrheit
vernehmen, an dem wir so oft zweifeln
möchten. Die Freude, die Mozart uns
schenkt und die ich in der Begegnung mit
ihm immer wieder spüre, beruht nicht auf
dem Auslassen eines Teils der Wirklichkeit,
sie ist Ausdruck einer höheren Wahrnehmung des Ganzen.« Der Papst und der Protestant, konfessionell hochgradig verschieden, aber als bekennende Mozartianer zweifellos eines Geistes, berufen sich
auf »Gottes gute Schöpfung« – und beleben damit zugleich den ursprünglichen,
den antiken Begriff der Harmonie als einer
Vermittlung der Gegensätze: Sonne und
Gewitter, Tag und Nacht, in Mozarts »Harmoniemusik« vereint, versöhnt und aufgehoben. Nicht von ungefähr gilt die Harmonia
in der griechischen Sage als Tochter des
Ares und der Aphrodite, des rohen Kriegsgottes und der schaumgeborenen Schönheit.
AUF STRASSEN UND PLÄTZEN
Ja, Mozart komponierte »Harmoniemusik«.
Doch diese Feststellung hält nicht nur
theologischer, sondern auch musikologischer Überprüfung stand. Denn »Harmoniemusik« – oder auch einfach nur »Harmonie« – so nannten Mozarts Zeitgenossen
ein reines Bläserensemble, Hörner kombiniert mit Holzbläsern, prinzipiell paarweise
besetzt und zum weithin schallenden Spiel
unter freiem Himmel bestimmt. Ihren Ursprung nahm die »Harmonie« (ausgerechnet !) beim Militär, wenn ein Sextett den
Wolfgang Amadé Mozart: »Gran Partita«
5
Marsch blies oder ein Oktett hoch zu Ross
die Parade übertönte: Krieg und Kunst, Armee und Anmut, musikalisch versöhnt –
Ares und Aphrodite. Allerdings gab die
schöne Tochter »Harmonie« bald friedlicheren Aktivitäten den Vorzug, gastierte bei
Hofe und im Gasthof, mischte sich unters
Volk und glänzte vor gekrönten Häuptern.
Auf Straßen und Plätzen konkurrierten
Hornisten, Fagottisten und Oboisten um
die Gunst des Publikums, sie musizierten
sogar in Wirtshäusern zum Amüsement der
versammelten Zecher. Andererseits erklang die »Harmoniemusik«, insbesondere
die allerorten beliebten Opernpotpourris,
auch in Schlössern und Adelspalästen, als
Tafelmusik für verwöhnte Aristokraten.
Zum Beispiel für Mozarts Don Giovanni, der
sich, kurz vor der Höllenfahrt, von einem
Bläseroktett aufspielen lässt, während er
den Fasan verspeist und dem Rotwein zuspricht: »I suonatori cominciano a suonare«, heißt es lakonisch im Libretto.
EINE SERENADE UNTER FREUNDEN
Von Spekulationen und – vielleicht sogar
liebgewonnenen – Legenden heißt es Abschied zu nehmen, wenn es um die Werkgeschichte der Mozart’schen ­B -Dur-Serenade
KV 361 (370a) geht. Diese unorthodox
­b esetzte »Harmonie« entstand nicht in
München, wie einmal angenommen, war
folglich auch nicht auf die vielgerühmten
Bläser der Münchner Hofkapelle zugeschnitten und kann deshalb auch nicht als
Komposition mit spürbarer Nähe zum
»Idomeneo« interpretiert werden. Die
Vermutung, dass ursprünglich zwei unabhängige Serenaden zu einer neuen verschränkt worden seien, ist nach genauer
Überprüfung der originalen Handschrift
nicht aufrechtzuerhalten. Die so sympathische Vorstellung, die Serenade habe Mo-
zarts Hochzeits­essen umspielt, hat Con­
stanze Mozarts zweiter Ehemann, der
­dänische Diplomat Georg Nikolaus Nissen,
aus unbekannten Motiven in Umlauf gebracht. Der überaus vertraute Titel »gran
Partitta« schließlich stammt nicht von
­Mozart, er wurde nach seinem Tod in bislang nicht identifizierter, auffallend kalli­
graphischer Schrift hinzugefügt, frühestens 1792, spätestens 1799.
Die erste überlieferte Erwähnung der Serenade, die höchstwahrscheinlich zugleich
das Datum der Uraufführung benennt, findet sich in einer Anzeige des »Wienerblättchen« vom 23. März 1784: »Musikalische
Akademie. Heut wird Herr Stadler der ältere in wirklichen Diensten Sr. Majestät des
­Kaisers, im k.k. National-Hoftheater eine
musikalische Akademie zu seinem Vortheil
geben, wobey unter anderen gut gewählten
Stücken eine große blasende Musik von
ganz besonderer Art, von der Composition
des Hrn. Mozart gegeben wird.« In diesem
Konzert kam es – wohl aus Gründen der
­L änge – lediglich zur Wiedergabe von vier
Sätzen der B-Dur-Serenade (einiges
spricht für eine Auswahl der Sätze 1, 2, 5
und 7), so jedenfalls hat es ein Zeitzeuge
aus der Erinnerung dokumentiert. Sollte
dieses Konzert tatsächlich der Serenadenkomposition als Anlass gedient haben,
müsste das Werk nicht als ein Unikum, ein
isoliertes Experiment mit einer durch vierfache Hörner, ­Bassetthörner und Kontrabass unkonven­tionell erweiterten »Harmoniemusik« verstanden werden. Es wäre
vielmehr bestens geeignet, Mozarts ausgeprägt kombinierfreudigen Umgang mit
Bläsern in der Zeit von 1783 bis 1785 zu
bestätigen: Mit den Klarinettisten Anton
und Johann Stadler und den böhmischen
Bassetthornspielern Anton David und Vincent Springer war er von Musikern umge-
Wolfgang Amadé Mozart: »Gran Partita«
6
ben, die neuartige klang­liche Versuche ermöglichten und inspirierten.
EIN KONZERT FÜR
DREIZEHN SOLISTEN
Eröffnet wird die B-Dur-Serenade für zwölf
Bläser und Kontrabass mit einer feier­
lichen »Largo«-Einleitung: Ein Ankündi­
gungsmotiv im Tutti, dessen Wiederholungen von Überleitungsfiguren der solistisch
exponierten Klarinette verbunden werden
(möglicherweise gleich am Anfang eine Reverenz an den Musikerfreund und Logenbruder Anton Stadler), findet eine zurückhaltende, nachdenkliche Fortsetzung, ehe
mit zunehmender Verbreiterung sich das
ganze Klang­spektrum entfaltet. Nach einem erneuten zeremoniellen Tutti beginnt
das bewegliche Wechselspiel der Instrumente, »Allegro molto« überschrieben.
Zwei Menuette, an zweiter und vierter
Stelle der Satzfolge, bezeugen – neben der
Vielsätzigkeit – die Vorgeschichte der
schwer definierbaren Sere­nadenform, die
wesentlich auf die barocken Suiten mit ihren stilisierten Tänzen zurückweist. Das
erste der beiden Trios im zweiten Satz ist
ausschließlich den Klarinetten und Bassetthörnern vorbehalten – vielleicht ein
weiteres Indiz für die zeitliche Nachbarschaft zu den experimentellen Bläserstücken zwischen 1783 und 1785. Die zwei
Trios des vierten Satzes unterscheiden
sich mit atemberaubendem Kontrast: Während das erste durch unvermuteten, beinahe erschreckenden Ernst aus dem Rahmen der Konvention fällt, verbreitet das
zweite die Gemütlichkeit einer behäbigen
Tanzweise.
Im dritten Satz, dem bewegenden »Adagio«, verdichtet Mozart ostinate Figuren
(von »Begleitung« mag man gar nicht reden) zu einem Klanggeflecht, aus dem sich
die hochexpressiven Phrasen der Oboe, der
Klarinette und des Bassetthorns wie
selbstverständlich herauslösen. Denkbar
verschiedene Ausdruckswelten begegnen
sich in der »Romance«, dem fünften Satz:
Die elegische Ruhe des »Adagio«, die von
der Coda noch vertieft wird, umrahmt einen verspielten und leicht grotesken
»Allegretto«-­Teil. Die sechs Variationen
des vorletzten Satzes offenbaren eine
Phantasie der Klang­farben und der Instrumentation, die auch nach zwei – auf dem
Gebiet der Orchestrierung wahrlich nicht
enthaltsamen – Jahrhunderten verblüffen
muss. Am Ende des Werkes steht ein kurzes
Finalrondo, das von einem sich schier überstürzenden und geradezu explosiven Re­
frain vorangetrieben wird: ein idealer
»Rausschmeißer« und zugleich ein Phänomen konzertanter Virtuo­sität der dreizehn
Solisten.
Wolfgang Amadé Mozart: »Gran Partita«
7
Opus summum
et ultimum
VERA BAUR
WOLFGANG AMADÉ MOZART
(1756–1791)
Requiem für Soli, Chor, Orgel und Orchester
d-Moll KV 626 (Fragment)
1. Introitus: Requiem aeternam (Adagio)
2. Kyrie: Kyrie eleison (Allegro)
3. Sequenz: Dies irae (Allegro assai) – Tuba
mirum (Andante) – Rex tremendae – Recordare – Confutatis (Andante) – Lacrimosa
Gespielt werden nur die von Mozart skizzierten und von Franz Xaver Süßmayr vervollständigten Sätze 1-3 bis zum Takt 8 des
Lacrimosa.
LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN
Geboren am 27. Januar 1756 in Salzburg;
gestorben am 5. Dezember 1791 in Wien.
ENTSTEHUNG
Mozart begann die Arbeit an seinem Requiem wahrscheinlich Anfang Oktober
1791, musste sie aber mehrere Male zugunsten anderer Verpflichtungen unterbrechen. Da ihn ab dem 20. November eine
(zuletzt tödliche) Krankheit ans Bett fesselte, konnte Mozart sein letztes Werk
nicht mehr vollenden. Er scheint aber vom
Krankenbett aus die Fortführung der Komposition mit seinem Schüler Franz Xaver
Süßmayr besprochen zu haben; zumindest
geht dies aus einem Brief Süßmayrs vom
8. Februar 1800 an den Verlag Breitkopf &
Härtel hervor, wo es heißt: »Endlich kam
dieses Geschäft an mich, weil man wusste,
daß ich noch bey Lebzeiten Mozarts die
schon in Musik gesetzten Stücke öfters mit
ihm durchgespielt und gesungen, daß er
sich mit mir über die Ausarbeitung dieses
Werkes sehr oft besprochen und mir den
Gang und die Gründe seiner Instrumen­
tirung mitgetheilt hatte.«
URAUFFÜHRUNG
Am 2. Januar 1793 in Wien »im Jahn’schen
Saale« (im Rahmen eines von Baron Gottfried van Swieten veranstalteten Benefizkonzerts zugunsten von Mozarts Witwe
Constanze und ihren beiden Söhnen).
Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«
8
Jedem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne, jedem Ende, könnte man mit Blick
auf das Schaffen großer Komponisten ergänzen, jedoch weit mehr. Mit mystischer
Verzückung fühlt sich die Nachwelt vor allen zu jenen Werken ihrer Idole hingezogen,
die ihre letzten sind. Von Bachs »Kunst der
Fuge«, über Beethovens letzte Streichquartette und Tschaikowskys »Pathétique«
bis zu Bruckners »Neunter« und Mahlers
»Zehnter«: Den letzten Worten eines Komponisten wird stets die besondere Bedeutung der vermeintlich gespürten Todes­
nähe, der ahnungsvoll formulierten Essenz
eines ganzen schöpferischen Lebens beigemessen. Von allen letzten Werken der Musikgeschichte jedoch hat keines die Hinterbliebenen und Nachgeborenen so beschäftigt, so fasziniert und verzaubert wie Mozarts Requiem, sein Fragment gebliebenes
opus summum et ultimum, dessen Vollendung der Tod ihm und der Menschheit unerbittlich verweigerte.
LEGENDENBILDUNG UND
MYSTIFIZIERUNG
Die Legenden, die sich um dieses Werk von
der Zeit seiner Entstehung an rankten,
sind, nicht zuletzt durch Miloš Formans
genialen – historisch aber unhaltbaren –
Film »Amadeus« von 1984, allgemein bekannt. Der mysteriöse »anonyme« Auftrag,
übermittelt durch einen »grauen Boten«,
Mozarts Krankheit, seine angebliche Behauptung, er schreibe das Requiem für sein
eigenes Begräbnis, bis hin zu der Vergiftungstheorie – all dies hat nicht dazu
beigetragen, dass die Entstehungsumstände des Requiems nüchtern betrachtet wurden. Dabei gibt es wenig Anlass, die Dinge
zu mystifizieren. Mozarts Totenmesse war
ein Auftragswerk wie andere Werke seines
letzten Lebensjahres auch, die »Deutschen
Tänze« etwa oder »La clemenza di Tito«.
Dass der Besteller unerkannt bleiben wollte, scheint Mozart nicht sonderlich irritiert
zu haben, der Auftrag war finanziell vielversprechend, und auch künstlerisch dürfte ihn die Möglichkeit, ein repräsentatives
Werk im hohen Kirchenstil zu komponieren,
sicherlich sehr gereizt haben – war doch die
geistliche Musik, die ihm immer besonders
am Herz gelegen hatte, während seiner Wiener Jahre mangels passender Aufführungsmöglichkeiten fast völlig in den Hintergrund
getreten. So nahm Mozart den Requiem-­
Auftrag an und erfüllte ihn – wie er es in
jedem anderen Fall auch tat – auf der Höhe
des Stils und der Höhe seiner persönlichen
Meisterschaft.
TRAGISCHER ZUFALL
DER MUSIKGESCHICHTE
Mozarts Requiem wäre auch dann unsterblich geworden, wenn es seinem Schöpfer
vergönnt gewesen wäre, es zu vollenden
und weiterzuleben. Dass Mozart über der
Arbeit an seiner Totenmesse erkranken und
sterben würde, dürfte ihm, zumindest zu
Beginn der Komposition, selbst kaum in den
Sinn gekommen sein. Noch Mitte Novem­­ber 1791, knapp drei Wochen vor seinem
Tod, schlug er in der »Kleinen Freimaurer-­
Kantate« KV 623, seinem letzten vollendeten Werk, für das er die Arbeit am Requiem
für kurze Zeit unterbrach, einen ganz und
gar unbekümmerten und heiteren Ton an.
Auch dies lässt schwerlich darauf schließen,
dass er zu diesem Zeitpunkt glaubte, seine
Totenmesse für sich selbst zu schreiben.
Nein: Mozarts Tod nach der Niederschrift
der ersten acht Takte des »Lacrimosa« seines Requiems ist nichts weiter als ein tragischer Zufall der Musikgeschichte – ein
nicht allzu unwahrscheinlicher dazu, war
doch der Tod für einen Menschen des 18.
Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«
9
Joseph Lange: Constanze Mozart kurz nach der Eheschließung am 4. August 1782
Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«
10
Jahrhunderts (zumal vor der Erfindung des
Penizillins) eine allgegenwärtige Bedrohung. Woran Mozart genau gestorben ist
– rheumatisches Fieber, chronisches Nierenleiden oder eine akute Infektion –, wird
sich wohl nie mehr definitiv klären lassen.
Sicher ist, dass ihm mit den damals verfügbaren medizinischen Mitteln nicht mehr –
oder besser: noch nicht – geholfen werden
konnte. Natürlich haben sich im Zusammenhang mit Mozarts Requiem Dinge zugetragen, die nicht ganz dem Rahmen des Alltäglichen entsprachen – so vor allem die etwas
ungewöhnlichen Umstände des Auftrags
und der kommerzielle Ehrgeiz, den Mozarts
Witwe Constanze bezüglich der »Vermarktung« des letzten Werkes ihres Mannes an
den Tag legte.
EIN EITLER AUFTRAGGEBER…
Im Sommer 1791 bestellte Franz von Walsegg,
ein musikliebender Graf, der auf Schloss
Stuppach am Semmering residierte, über
einen Mittelsmann bei Mozart eine Totenmesse für seine im Februar verstorbene
Gemahlin. Er gewährte eine großzügige Anzahlung und stellte die Bedingung, äußerste Verschwiegenheit zu wahren und, was
ihn selbst betraf, zur Gänze anonym zu
bleiben. Er hatte nämlich vor, das fertige
Requiem abzuschreiben und bei der geplanten Aufführung im Rahmen der Gedenkmesse für die Gräfin als sein eigenes Werk auszugeben – ein eitler Schwindel, den er auch
mit anderen fremden Partituren häufig
trieb und den seine Musiker unter Vortäuschung respektvoller Anerkennung geduldig mitspielten. Tatsächlich erhielt der
adlige Hochstapler 1792 aus den Händen
Constanzes ein vollständiges Manuskript
des Requiems und ließ Mozarts Werk als
Schöpfung des »Conte Walsegg« am 14. Dezember 1793 zu Ehren seiner toten Gattin
in der Neuklosterkirche in Wiener Neustadt
aufführen. Dass das Werk keineswegs ausschließlich aus der Feder Mozarts stammte,
ahnte er nicht, ebenso wenig dass es bereits ein knappes Jahr zuvor, nämlich am 2.
Januar 1793, im Rahmen eines in Wien veranstalteten Konzerts zugunsten der Witwe
Mozarts und ihrer Kinder erklungen war,
und zwar expressis verbis als Requiem von
Wolfgang Amadé Mozart. Was war geschehen ?
…UND EINE
GESCHÄFTSTÜCHTIGE WITWE
Sehr rasch nach Mozarts Tod hatte Con­
stanze begriffen, dass sie, wenn sie die
ausstehende zweite Hälfte des Requiem-­
Honorars erhalten wollte, dem Auftrag­
geber ein f­ ertiges Werk übermitteln musste – und zwar möglichst eines, das an der
alleinigen ­
Autorschaft Mozarts keinen
Zweifel ließ. Damit nahm der zweite Betrug
im Zusammenhang mit Mozarts Requiem
seinen Anfang. Constanze hatte beschlossen, das Werk von fremder Hand ergänzen
zu lassen und vorzugeben, Mozart habe es
noch vor seinem Tod selbst vollendet.
Schon am 21. Dezember übergab sie das
Fragment an Mozarts Schüler Joseph ­Eybler,
der zwar mit der Vervollständigung der fehlenden Instrumentalstimmen begann, aber
ganz offenbar davor zurückschreckte, die
Sätze, zu denen Mozart in seinem Autograph keine Eintragungen hinterlassen hatte, neu zu schreiben. So nahm er von dem
Auftrag recht bald wieder Abstand und gab
Constanze die Partitur zurück. Danach
dürfte für kurze Zeit der mit der Familie
Mozart ­befreundete Komponist Abbé Maximilian Stadler im Spiel gewesen sein, bis
sich Anfang des Jahres 1792 Franz Xaver
Süßmayr, ein weiterer Schüler und enger
Vertrauter Mozarts, der Sache annahm und
Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«
11
das Requiem innerhalb der ersten Jahreshälfte 1792 komplettierte. Constanze band
die Manuskriptseiten von Mozart mit denen
Süßmayrs zusammen und konnte sie, da die
Handschriften kaum zu unterscheiden waren, dem Grafen von Walsegg – dessen Incognito inzwischen gelüftet war – als angebliches Original Mozarts überreichen. Ihr
Geschäftssinn war allerdings so ausgeprägt,
dass sie keine Bedenken hatte, gleichzeitig
Kopien von dem Gemeinschaftswerk anfertigen zu lassen und diese auch an anderer
Stelle als Werk Mozarts anzubieten – womit
sie nicht nur die Forderung des Auftraggebers nach alleinigen Aufführungsrechten
missachtete, sondern auch den Anteil Süßmayrs unterschlug. Erst acht Jahre nach
Mozarts Tod, 1799, räumte sie in einem
Brief an den Verlag Breitkopf & Härtel, der
sich ebenfalls eine Kopie des Werkes erhandelt hatte und den Erstdruck vorbereitete,
einen gewissen Anteil Süßmayrs an der Vollendung des Requiems ein – ein Anteil, auf
den Süßmayr wenig später, ebenfalls in einem Brief an Breitkopf & Härtel, unmissverständlich Anspruch erhob.
MOZARTS VOLLENDER
Wie groß ist der Anteil Franz Xaver ­Süßmayrs
an Mozarts Requiem tatsächlich ? Diese
Frage beschäftigt Musikliebhaber und Forscher bis auf den heutigen Tag, und zumindest den Laien beschleicht ein leichtes
Unwohlsein bei dem Gedanken, sich mit
­
Liebe und Ehrfurcht einer Musik hinzugeben, die Mozart, in einigen Teilen, so vielleicht gar nicht geschrieben hätte. So wurde vor allem darüber spekuliert, wie nah
Süßmayr mit seinen Ergänzungen den
künst­lerischen Vorstellungen des Lehrers
gekommen ist, ob es ihm gelungen ist, sich
die musikalische Gedankenwelt Mozarts so
sehr zu Eigen zu machen, dass man das
vollendete Werk ohne allzu große Einschränkung als eine Schöpfung Mozarts
betrachten und verehren darf. Halten wir
uns zunächst an die nüchternen Tatsachen,
die die erhaltenen Manuskripte offenbaren:
Mozart hinterließ von seiner Totenmesse
nur einen vollständig ausgeführten Satz,
das Introitus »Requiem aeternam«; zumindest der ergreifende Eröffnungssatz also
ist authentischer Mozart. Die folgende »Kyrie«-Fuge, die sechs Teile der »Sequenz«
– das grimmige »Dies irae«, das »Tuba mirum« mit dem großen Posaunen-Solo, das
eherne »Rex tremendae«, das innig-beseelte »Recordare«, das aufwühlende »Confutatis« und die unbeschreiblichen ersten
acht Takte des »Lacrimosa« – sowie die
zwei Sätze des »Offertoriums«, das flehentliche »Domine Jesu« und das trostvolle »Hostias«, lagen dagegen nach Mozarts
Tod nur im vierstimmigen Vokalsatz mit
beziffertem Bass sowie Hinweisen zur Orchestrierung und zu einzelnen Instrumentalmotiven vor. Alle übrigen Sätze des Requiems – das »Sanctus«, »Benedictus«,
»Agnus Dei« und die »Communio« – fehlten
völlig und wurden von Süßmayr komplett
neu geschrieben.
ORCHESTRIERUNG UND
NEUKOMPOSITION
Während Süßmayr also im Falle der fragmentarisch erhaltenen Sätze in erster Linie
als Instrumentator gefordert war, hatte er
im Fall der fehlenden Teile eine weit schwierigere Aufgabe zu bewältigen. Inwieweit er
dabei auf Entwürfe oder mündliche Erläuterungen Mozarts zurückgreifen konnte, an
dessen Krankenbett er wachte und mit dem
er in den letzten Wochen und Tagen häufig
über das Requiem sprach, entzieht sich unserer Kenntnis. Immer wieder war im Zusammenhang mit den nachkomponierten
Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«
12
Die Besprechung des Requiems in der »Allgemeinen Musikalischen Zeitung«,
in der erstmals – 1801 ! – Süßmayrs Name genannt wird
Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«
13
Teilen des Requiems von gewissen »Zettelchen« die Rede, auf denen Mozart weitere
Ideen notiert haben soll und die Constanze,
nach dem Bericht des Abbé Stadler, Süßmayr nach Mozarts Tod übergeben habe. Es
ist also nicht auszuschließen, dass sich
Süßmayr durchaus auf konkrete Hinweise
stützen konnte. Auf jeden Fall war es ein
geschickter und der Sache dienlicher
Schachzug von Süßmayr, an zwei Stellen
seiner Neukomposition Musik, die bereits
von Mozart vorlag, wieder aufzugreifen,
»um dem Werk«, wie er selbst schrieb,
»mehr Einförmigkeit zu geben«: Die Communio »Lux aeterna« knüpft an das »Requiem aeternam« des Beginns an, und die
anschließende »Cum sanctis«-Fuge entspricht der »Kyrie«-Fuge. Auf diese Weise
spannen Mozart’sche Originalklänge einen
Bogen über das ganze Werk. Überhaupt hat
sich Süßmayr streng an die von Mozart entworfene Klanglichkeit gehalten: Die noch
vom Komponisten selbst festgelegte Instrumentierung mit ihrem charakteristisch
dunkel und warm gefärbten Ton – mit Bassetthörnern, Fagotten, Trompeten, Posaunen, Pauke, Streichern und Orgel, aber ohne
Flöten, Oboen, Klarinetten und Hörner – hat
Süßmayr an keiner Stelle geändert oder
erweitert, auch hat er alle Motive, die Mozart in Skizzen andeutete, verwendet.
betreute. Und auch der Herausgeber der
»Neuen Mozart-Ausgabe«, Leopold Nowak,
beantwortet die Frage, ob es Süßmayr
­möglich war, »seine eigene Schreibweise zu
vergessen« und »ein anderer [zu] werden«,
zurückhaltend positiv: »Mit aller gebotenen Vorsicht sei hier die Meinung vertreten,
dass dies Süßmayr bei der Vollendung von
Mozarts Requiem gelang.« Bei aller Kritik,
die Süßmayrs Bearbeitung wegen ihrer angeblichen Schwächen bei der Fortführung
Mozart’scher Motive und vor allem in den
von Süßmayr neu geschriebenen Teilen im
Fachurteil schon immer aushalten musste
und wahrscheinlich auch weiterhin aushalten muss, steht jedoch eines außer Zweifel:
Ohne Süßmayr – so äußerte sich einmal
Bernhard Paumgartner – wäre Mozarts
Fragment niemals »zur lebendigen Anschaulichkeit des Kunstwerks emporgestiegen«;
dafür, dass es schon 13 Monate nach Mozarts Tod aufgeführt werden konnte und die
»Daseinskraft der endgültigen Schöpfung«
erreicht habe, müsse die Nachwelt Süßmayr
für immer dankbar sein.
»DASEINSKRAFT DER
ENDGÜLTIGEN SCHÖPFUNG«
Alles in allem wird man wohl zu dem Schluss
kommen müssen, dass Süßmayr ein treuer
Anwalt seines Lehrers war, dass er die aufrichtige Absicht verfolgte, in Mozarts Sinne
zu handeln. »Er hat die Anlage Mozart’s
sorgsam kopirt und sie mit soviel Fleiß wie
Pietät ergänzt«, befand einst kein Geringerer als Johannes Brahms, der die Edition des
Requiems für die »Alte Mozart-Ausgabe«
Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«
14
»Requiem«
I. INTROITUS
Requiem aeternam dona eis, Domine: et
lux perpetua luceat eis. Te decet hymnus,
Deus, in Sion, et tibi reddetur votum in
Jerusalem: exaudi orationem meam,
ad te omnis caro veniet.
I. INTROITUS
Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, und das
ewige Licht leuchte ihnen. O Gott, Dir
gebührt ein Loblied in Zion, Dir erfülle
man sein Gelübde in Jerusalem. Erhöre
mein Gebet; zu Dir kommt alles Fleisch.
II. KYRIE
Kyrie, eleison.
Christe, eleison.
Kyrie, eleison.
II. KYRIE
Herr, erbarme Dich unser.
Christus, erbarme Dich unser.
Herr, erbarme Dich unser.
III. SEQUENZ
Dies irae, dies illa
Solvet saeclum in favilla:
Teste David cum Sibylla.
III. SEQUENZ
Tag der Rache, Tag der Sünden,
Wird das Weltall sich entzünden,
Wie Sibyll’ und David künden.
Quantus tremor est futurus,
Quando judex est venturus,
Cuncta stricte discussurus !
Welch’ ein Graus wird sein und Zagen,
Wenn der Richter kommt, mit Fragen
Streng zu prüfen alle Klagen !
Tuba mirum spargens sonum
Per sepulcra regionum,
Coget omnes ante thronum.
Laut wird die Posaune klingen,
Durch der Erde Gräber dringen,
Alle hin zum Throne zwingen.
Mors stupebit et natura,
Cum resurget creatura,
Judicanti responsura.
Schaudernd sehen Tod und Leben
Sich die Kreatur erheben,
Rechenschaft dem Herrn zu geben.
Liber scriptus proferetur,
In quo totum continetur,
Unde mundus judicetur.
Und ein Buch wird aufgeschlagen,
Treu darin ist eingetragen
Jede Schuld aus Erdentagen.
Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«
15
Judex ergo cum sedebit,
Quidquid latet, apparebit:
Nil inultum remanebit.
Sitzt der Richter dann zu richten,
Wird sich das Verborg’ne lichten;
Nichts kann vor der Strafe flüchten.
Quid sum miser tunc dicturus ?
Quem patronum rogaturus,
Cum vix justus sit securus ?
Weh ! Was werd’ ich Armer sagen ?
Welchen Anwalt mir erfragen,
Wenn Gerechte selbst verzagen ?
Rex tremendae majestatis,
Qui salvandos salvas gratis,
Salva me, fons pietatis.
König schrecklicher Gewalten,
Frei ist Deiner Gnade Schalten:
Gnadenquell, lass’ Gnade walten !
Recordare, Jesu pie,
Quod sum causa tuae viae:
Ne me perdas illa die.
Milder Jesus, wollst erwägen,
Dass Du kamest meinetwegen,
Schleud’re mir nicht Fluch entgegen.
Quaerens me, sedisti lassus:
Redemisti Crucem passus:
Tantus labor non sit cassus.
Bist mich suchend müd’ gegangen,
Mir zum Heil am Kreuz gehangen,
Mög’ dies Müh’n zum Ziel gelangen.
Juste judex ultionis,
Donum fac remissionis
Ante diem rationis.
Richter Du gerechter Rache,
Nachsicht üb’ in meiner Sache,
Eh’ ich zum Gericht erwache.
Ingemisco, tamquam reus:
Culpa rubet vultus meus:
Supplicanti parce, Deus.
Seufzend steh’ ich schuldbefangen,
Schamrot glühen meine Wangen,
Lass’ mein Bitten Gnad’ erlangen.
Qui Mariam absolvisti,
Et latronem exaudisti,
Mihi quoque spem dedisti.
Hast vergeben einst Marien,
Hast dem Schächer dann verziehen,
Hast auch Hoffnung mir verliehen.
Preces meae non sunt dignae:
Sed tu bonus fac benigne,
Ne perenni cremer igne.
Wenig gilt vor Dir mein Flehen,
Doch aus Gnade lass’ geschehen,
Dass ich mög’ der Höll’ entgehen.
Inter oves locum praesta,
Et ab haedis me sequestra,
Statuens in parte dextra.
Bei den Schafen gib mir Weide,
Von der Böcke Schar mich scheide,
Stell’ mich auf die rechte Seite.
Confutatis maledictis,
Flammis acribus addictis:
Voca me cum benedictis.
Wird die Hölle ohne Schonung
Den Verdammten zur Belohnung,
Ruf’ mich zu der Sel’gen Wohnung.
Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«
16
Oro supplex et acclinis,
Cor contritum quasi cinis,
Gere curam mei finis.
Schuldgebeugt zu Dir ich schreie,
Tief zerknirscht in Herzensreue,
Sel’ges Ende mir verleihe.
Lacrimosa dies illa,
Qua resurget ex favilla
Judicandus homo reus.
Tag der Tränen, Tag der Wehen,
Da vom Grabe wird erstehen
Zum Gericht der Mensch voll Sünden !
Huic ergo parce, Deus.
Lass’ ihn, Gott, Erbarmen finden.
(An dieser Stelle des Requiemtextes bricht
Mozarts Komposition ab.)
Die letzten Takte des Lacrimosa in Mozarts Handschrift
Wolfgang Amadé Mozart: »Requiem«
17
Seraphische
Schönheit
MICHAEL KUBE
WOLFGANG AMADÉ MOZART
(1756–1791)
»Ave verum corpus« KV 618
TEXTVORLAGE
Der Text des spätmittelalterlichen Reim­
gebets »Ave verum corpus« stammt aus der
Sequenz »In honorem SS. Sacramenti« und
taucht ab etwa 1300 in vielen religiösen
Liedsammlungen auf. Als möglicher Textdichter wird in einer Quelle aus dem 14.
Jahrhundert Papst Innocenz IV. genannt.
ENTSTEHUNG
Die auf den 17. Juni 1791 datierte und am
folgenden Tag von Mozart in sein autographes Werkverzeichnis eingetragene Komposition entstand während eines kurzen
Besuchs in Baden bei Wien, wo sich seine
Frau Constanze, abseits der Großstadt,
auf die Geburt ihres sechsten (!) Kindes
vorbereitete. Mit der nur 46 Takte umfassenden Motette bedankte sich Mozart beim
­Badener Chorleiter Anton Stoll für dessen
vielfache organisatorische Hilfe.
LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN
Geboren am 27. Januar 1756 in Salzburg;
gestorben am 5. Dezember 1791 in Wien.
URAUFFÜHRUNG
Vermutlich am 23. Juni 1791 in Baden bei
Wien (im Rahmen der jährlichen Fronleichnamsprozession).
Wolfgang Amadé Mozart: »Ave verum corpus«
18
MOZARTS LIEBLINGSFACH
Im Gegensatz zum reglementierten Dienst
in der Salzburger Hofkapelle bot sich für
Mozart in Wien ein vergleichsweise breites
wie offenes Betätigungsfeld – und dies aus
seiner Sicht auch ohne die ökonomische
Absicherung durch eine feste Anstellung.
Zudem konnte er sich in der Donaumetro­
pole ganz auf das Klavier konzentrieren,
das sich in adeligen und bürgerlichen Kreisen größter Beliebtheit erfreute: »Hier ist
doch gewiß das Klavierland !«, berichtet
er in einem Brief vom 2. Juni 1781 dem
besorgten Vater. Damit aber vollzog sich
auch ein entscheidender Wandel hinsichtlich der schöpferischen Aktivitäten, in deren Zentrum fortan Konzerte, Kammermusik und Sonaten standen. Entsprechend
komponierte Mozart in den letzten zehn
Jahren seines Lebens kaum mehr Kirchenmusik – und was vorliegt, ist auf eigenartige Weise nur fragmentarisch: sowohl die
offenbar groß angelegte, auf eigene Initiative hin begonnene Messe c-Moll KV 427,
in der sich stilistisch Mozarts Begegnung
mit der M
­ usik Georg Friedrich Händels widerspiegelt, wie auch im Requiem KV 626,
das bekanntermaßen ein Auftragswerk des
Grafen Franz von Walsegg ist.
Die Entstehung weiterer Werke verhinderten über mehrere Jahre die strengen josephinischen Reformen, die kaum mehr
einen Anlass zu solemner Kirchenmusik
boten. Dazu passt auch eine wohl von Con­
stanze vermittelte Einschätzung, die sich
in der 1798 in Prag gedruckten Mozart-­
Biographie von Franz Xaver Niemetschek
findet: »Kirchenmusik war das Lieblingsfach Mozarts. Aber er konnte sich demselben am wenigsten widmen.« Noch ausführlicher berichtet Georg Nikolaus Nissen
1828: »Mozart’s liebste Unterhaltung war
Musik; wenn ihm daher seine Gemahlin eine
recht angenehme Ueberraschung an einem
Familienfeste machen wollte, so veranstaltete sie im Geheim die Aufführung
e iner neuen Kirchen-Composition von
­
­Michael oder J
­ oseph Haydn.« Vor diesem
Hintergrund erscheinen zahlreiche Fragmente (darunter auch das gewichtige
Kyrie c-Moll KV 341) wie auch Mozarts im
Frühjahr 1791 eingereichte Bewerbung
um die Nachfolge des ernsthaft erkrankten Leopold Hofmann, K
­ apellmeister am
Stephansdom, nur konsequent. Zurecht
verwies er dabei darauf, dass er »auch im
kirchenstyl ausgebildete känttnisse« hätte. Doch während sich Hofmanns Gesundheit wieder erholte, starb Mozart am Ende
des Jahres, noch bevor er das ihm zugesprochene Amt antreten konnte.
KLEINOD MIT WIRKUNG
In diesem Kontext betrachtet, erscheint
die kleinformatige Motette »Ave verum
corpus« nicht mehr bloß als ein in ihrer
Art vollendetes singuläres Gelegenheitswerk. Vielmehr gibt sie einen Eindruck von
Mozarts kompositorischer Souveränität,
auch mit einem vordergründig beschränkten technischen Aufwand einen musikalischen Verlauf zu gestalten, der in seiner
schlichten, nahezu volkstümlichen Andacht auch noch 120 Jahre nach seiner
Entstehung unmittelbar anrührt. Erreicht
wird dies durch einen weitgehend homophon fortschreitenden, in Viertaktgruppen gegliederten Chorsatz, der erst zu
Beginn des fünften Verses (»Cujus latus
perforatum« – Dessen durchbohrte Seite)
in verhaltener, ehrfürchtiger Erregung
harmonisch ausgreift. Nur mit Streichern
und Orgel begleitet, kommt die Komposition ohnehin mit einer einzigen dynamischen
Vorschrift aus (sotto voce).
Wolfgang Amadé Mozart: »Ave verum corpus«
19
Joseph Lange: Mozart am Klavier (unvollendetes Portrait, 1789)
Wolfgang Amadé Mozart: »Ave verum corpus«
20
Neuerdings wird vermutet, Mozart habe
sich bei seinem »Ave verum corpus« an
der ebenfalls für das Fronleichnamsfest
geschriebenen Sequenz »Lauda Sion salvatorem« von Michael Haydn aus dem Jahre 1775 orientiert – ein Werk, von dem
Mozart tatsächlich im März 1783 eine
­Kopie aus Salzburg anforderte, um es in
den jeden Sonntag im Hause des Barons
van Swieten stattfindenden »Musikalischen Übungen« zur Aufführung zu bringen; ob er es freilich auch noch Jahre später in Baden greifbar hatte, darf bezweifelt werden. Mozarts Kompo­sition erfreute sich jedenfalls schon im 19. Jahrhundert
einer anhaltenden Beliebtheit. So stellte
Franz Liszt in seiner sakral gestimmten
Klavierkomposition »À la Chapelle Sixtine«
das Werk dem legendären »Miserere« von
Gregorio Allegri (1582–1652) gegenüber,
und Pjotr Iljitsch Tschaikowsky nahm es in
seine »Mozartiana«-­Suite (1887) unter der
Überschrift »Preghiera« (Gebet) auf.
GESANGSTEXT
Ave verum Corpus
natum de Maria Virgine.
Vere passum, immolatum
in cruce pro homine.
Cujus latus perforatum
unda fluxit et sanguine.
Esto nobis praegustatum
in mortis examine.
Sei gegrüßt, wahrer Leib,
geboren von Maria, der Jungfrau.
Der wahrhaft litt und geopfert wurde
am Kreuz für den Menschen.
Dessen durchbohrte Seite
von Wasser floss und Blut.
Sei uns Vorgeschmack
in der Prüfung des Todes.
Wolfgang Amadé Mozart: »Ave verum corpus«
21
Zubin
Mehta
DIRIGENT
ihn 1981 zum Music Director auf Lebenszeit
ernannte, 1978 des New York Philharmonic
Orchestra, dem er insgesamt 13 Jahre als
Music Director vorstand, und 1985 des Musikfestivals »Maggio Musicale Fiorentino«,
wo er regelmäßig Opernproduktionen und
Konzerte dirigiert.
Zubin Mehta wurde 1936 in Bombay / Indien
geboren und wuchs in einer musikalischen
Familie auf. Nach zwei Semestern Medizinstudium konzentrierte er sich ganz auf die
Musik und nahm bei Hans Swarowsky an der
Wiener Musikakademie Dirigierunterricht; in
der Folge gewann er den Dirigierwettbewerb
von Liverpool und den Sergej Koussewitzky-­
Wettbewerb in Tanglewood. Im Alter von 25
Jahren hatte Zubin Mehta bereits die Wiener und Berliner Philharmoniker dirigiert.
Als Music Director leitete er das Montreal
Symphony Orchestra (1961–1967) und das
Los Angeles Philharmonic Orchestra (1962–
1978). 1977 wurde Zubin Mehta Chefdirigent des Israel Philharmonic Orchestra, das
Sein Debüt als Operndirigent hatte Zubin
Mehta bereits 1963 in Montreal gegeben;
seitdem dirigierte er u. a. an der Metropo­
li­tan Opera New York, an der Wiener Staats­
oper, am Londoner Royal Opera House Covent Garden, am Mailänder Teatro alla Scala und bei den Salzburger Festspielen.
1998 bis 2006 war Zubin Mehta General­
musik­direktor der Bayerischen Staatsoper,
deren Ehrenmitglied er heute ist. 2006
eröffnete er den Palau de les Arts Reina
Sofia in Valencia und leitete dort bis 2014
das jährliche Festival del Mediterrani.
Zubin Mehta trägt den »Arthur NikischRing« und den Ehrenring der Wiener Philharmoniker; in Würdigung seiner außerordentlichen Verdienste um die Münchner
Philharmoniker ernannte ihn das Orchester
2004 zum ersten Ehrendirigenten seiner
Geschichte.
Die Künstler
22
Mojca
Erdmann
Okka von der
Damerau
SOPRAN
MEZZOSOPRAN
Die in Hamburg geborene Sopranistin Mojca
Erdmann studierte Violine und Gesang in
Köln. Gastengagements führten sie u. a. an
die Opernhäuser von New York, Mailand,
Paris, Madrid, Wien und Stuttgart. In der
Titelpartie von »Lulu« war sie u. a. an der
Staatsoper Unter den Linden in Berlin und
der Nederlandse Opera in Amsterdam zu
erleben. Zu ihrem Repertoire gehören außerdem Partien wie Pamina (»Die Zauber­
flöte«), Susanna (»Le nozze di Figaro«),
Zerlina (»Don Giovanni«), Marzelline (»Fidelio«) und Despina (»Così fan tutte«).
Seit 2006 gastiert sie bei den Salzburger
Festspielen, etwa in der Titelpartie von
»Zaide«, als Zelmira (»Armida«) und als
Adele (»Die Fledermaus«). Als Interpretin
zeitgenössischer Musiktheaterwerke sang
sie in der Produktion »Takemitsu – My Way
of Life« in Berlin, 2009 bei den Schwetzinger Festspielen die Titelrolle in Wolfgang
Rihms für sie geschriebener Oper »Proserpina« und 2016 bei der Uraufführung von
Miroslav ­Srnkas »South Pole« in München.
Okka von der Damerau, geboren in Hamburg, begann ihr Gesangsstudium in
Rostock und schloss es an der Hochschule
für Musik in Freiburg ab. Von 2006 bis
2010 war sie Ensemblemitglied der
Staatsoper Hannover. Nachdem sie als Erste Magd (»Elektra«) an der Bayerischen
Staatsoper debütierte, ist sie seit der
Spielzeit 2010/11 dort Ensemble­mitglied.
In der aktuellen Spielzeit singt Okka von
der Damerau in München Ulrica in Verdis
»Un ballo in Maschera«, Magdalena in Wagners »Die Meistersinger«, und Abbess in
Prokofjews »Der feurige Engel«. Seit 2013
singt sie in Bayreuth Floßhilde in »Das
Rheingold« sowie die 1. Norn und Floßhilde
in »Götterdämmerung« in Castorfs »Ring«-­
Inszenierung unter dem Dirigat von Kirill
Petrenko. In der Saison 2013/14 debütierte sie sowohl an der Deutschen Oper Berlin
als Floßhilde in »Das Rheingold« unter Sir
Simon Rattle und Donald Runnicles als auch
an der Staatsoper Berlin mit der Partie der
Page in »Salome« unter Zubin Mehta.
Die Künstler
23
Michael
Schade
Christof
Fischesser
TENOR
BASS
Als einer der führenden Tenöre unserer Zeit
gefeiert, gastiert der Deutsch-Kanadier
regelmäßig an den wichtigsten Opernbühnen in Europa und Nordamerika, wie bei den
Salzburger Festspielen, in Hamburg, New
York und Toronto und war u. a. auch an der
Scala, am Covent Garden, in Paris, Barcelona und Amsterdam zu hören. Die Wiener
Staats­oper, wo er in allen Mozart- und
Strauss-­
P artien seines Fachs zu hören
war, ernannte ihn 2007 zum Österreichischen Kammersänger. Mit Nikolaus Harnoncourt verband ihn eine langjährige,
enge Zusammenarbeit. Er widmet sich auch
intensiv der Konzert­
literatur und dem
Liedgesang und hat mit den führenden Orchestern unter so namhaften Dirigenten wie
Abbado, Boulez, Bychkov, Chailly, Gergiev,
Harding, Jansons, Jordan, Muti, Rattle,
Thielemann, Ticciati, Welser-­
M öst und
Young gesungen, was auf zahlreichen Aufnahmen dokumentiert ist. Michael Schade
ist Künstlerischer Leiter der Hapag-­Lloyd
Stella Maris Vocal Competition und der Internationalen Barocktage Stift Melk.
Der Bass Christof Fischesser studierte Gesang bei Martin Gründler an der Hochschule für Musik in Frankfurt am Main. Nach
seinem Erstengagement am Badischen
Staatstheater Karlsruhe wechselte er
2004 an die Staatsoper Berlin. Von 2012
bis 2015 war er Ensemblemitglied am
Opernhaus Zürich, mit dem ihn weiterhin
eine besonders enge Zusammenarbeit verbindet. Christof Fisch­esser gastierte unter
anderem an der W
­ iener Staatsoper, am
Royal Opera House Covent Garden London,
an der Opéra Bastille Paris, dem Teatro
Real in Madrid, der Staatsoper München,
der Komischen Oper Berlin, der Semper­
oper Dresden, der Opéra de Lyon, am
Théâtre du Capitole de Toulouse, an der
Houston Grand Opera, der Lyric Opera
­Chicago sowie den Opernhäusern von Antwerpen, Kopenhagen und Göteborg. Außerdem ist er auf den internationalen Konzertpodien ein gefragter Solist und regelmäßig
bei den wegweisenden Festivals zu Gast,
so z. B. bei den Salzburger Festspielen
oder dem Festival d’Aix-en-Provence.
Die Künstler
24
Andreas
Herrmann
CHORDIREKTOR
chor, daneben zeitweise auch den Madrigalchor der Hochschule, und betreute in dieser Zeit Oratorienkonzerte, Opernaufführungen und a-cappella-Programme aller
musikalischen Stilrichtungen. Pädagogische Erfolge erzielt Herrmann weiterhin mit
der Ausbildung professioneller junger Chordirigenten aus ganz Europa, wie etwa in einem
Spezialworkshop über neue a-cappella-­
Musik.
Der 1963 in München geborene Dirigent
und Chorleiter schloss sein Studium an der
Münchner Musikhochschule mit dem Meisterklassen-Diplom ab. Seine Ausbildung er­gänzte er durch zahlreiche internationale
Chorleitungsseminare und Meisterkurse
bei renommierten Chordirigenten wie Eric
Ericson und Fritz Schieri.
Als Professor an der Hochschule für Musik
und Theater in München unterrichtet An­
dreas Herrmann seit 1996 vorwiegend im
Hauptfach Chordirigieren. Zehn Jahre, von
1996 bis 2006, leitete er den Hochschul-
1996 übernahm Andreas Herrmann als
Chordirektor die künstlerische Leitung des
Philharmonischen Chores München. Mit ihm
realisierte er zahlreiche Einstudierungen
für Dirigenten wie Lorin Maazel, Zubin
Mehta, Christian Thielemann, James Levine, Mariss Jansons, Krzysztof Penderecki,
Manfred Honeck, Andrew Manze, Ton Koop­
man und viele andere. Mit dem Philharmonischen Chor und anderen professionellen
Chören, Orchestern und Ensembles ent­
faltet Herrmann auch über sein Engagement bei den Münchner Philharmonikern
hinaus eine rege Konzerttätigkeit, die auch
CD-Produktionen einschließt. Konzertreisen als Chor- und Oratoriendirigent führten ihn durch Europa, nach Ägypten und in
die Volksrepublik China.
Die Künstler
25
Philharmonischer
Chor München
Der Philharmonische Chor München ist einer der führenden Konzertchöre Deutschlands und Partnerchor der Münchner Philharmoniker. Er wurde 1895 von Franz
Kaim, dem Gründer der Münchner Philharmoniker, ins Leben gerufen und feierte
2015 seinen 120. Geburtstag. Seit 1996
wird er von Chordirektor Andreas Herrmann geleitet.
Das Repertoire erstreckt sich von barocken
Oratorien über a-cappella- und chorsym­
phonische Literatur bis zu konzertanten
Opern und den großen Chorwerken der Gegenwart. Das musikalische Spektrum umfasst zahlreiche bekannte und weniger
bekannte Werke von Mozart über Verdi,
Puccini, Wagner und Strauss bis hin zu
Schönbergs »Moses und Aron« und Henzes
»Bassariden«. Der Chor pflegt diese Literatur ebenso wie die Chorwerke der Komponisten Bach, Händel, Mozart, Beethoven,
Schubert, Schumann, Brahms, Bruckner,
Reger, Strawinsky, Orff oder Penderecki.
Er musizierte u. a. unter der Leitung von
Gustav Mahler, Hans Pfitzner, Krzysztof
Penderecki, Herbert von Karajan, Rudolf
Kempe, Sergiu Celibidache, Zubin Mehta,
Mariss Jansons, James Levine, Christian
Thielemann und Lorin Maazel.
In den vergangenen Jahren hatten Alte und
Neue Musik an Bedeutung gewonnen: Nach
umjubelten Aufführungen Bach’scher Passionen unter Frans Brüggen folgte die Ein-
ladung zu den Dresdner Musikfestspielen.
Äußerst erfolgreich wurde auch in kleineren Kammerchor-Besetzungen unter Dirigenten wie Christopher Hogwood und Thomas Hengelbrock gesungen. Mit Ton Koopman entwickelte sich eine enge musikalische Freundschaft, die den Chor auch zu
den »Europäischen Wochen« in Passau
führte. Im Bereich der Neuen Musik war der
Philharmonische Chor München mit seinen
Ensembles bei Ur- und Erstaufführungen
zu hören. So erklang in der Allerheiligen-­
Hofkirche die Münchner Erstaufführung
der »Sieben Zaubersprüche« von Wolfram
Buchenberg unter der Leitung von Andreas
Herrmann. Ende 2014 gestaltete der Chor
die Uraufführung von »Egmonts Freiheit
– oder Böhmen liegt am Meer« unter der
Leitung des Komponisten Jan Müller-­
Wieland.
Der Philharmonische Chor ist ein gefragter
Interpret von Opernchören und setzt nachdrücklich die unter James Levine begonnene Tradition konzertanter Opernaufführungen fort, die auch unter Christian Thielemann mit großem Erfolg gepflegt wurde.
Zu den CD-Einspielungen der jüngeren Zeit
zählen Karl Goldmarks romantische Oper
»Merlin«, die 2010 den ECHO-Klassik in der
Kategorie »Operneinspielung des Jahres
– 19. Jahrhundert« gewann, und eine Aufnahme von Franz von Suppés »Requiem«,
die für den International Classical Music
Award (ICMA) 2014 nominiert wurde.
Die Künstler
26
Die Philharmoniker
als Botschafter
tschechischer und
polnischer Musik
GABRIELE E. MEYER
Am 14. Oktober 1893 begann die philharmonische Orchestergeschichte in München
mit der Wiedergabe von Smetanas Ouvertüre zu »Die verkaufte Braut«. Dieses Stück
sowie die Tondichtungen »Die Moldau« und
»Vyšehrad« aus »Má Vlast« gehörten über
viele Jahre ebenso zum Standardrepertoire
wie Antonín Dvořáks Cellokonzert op. 104.
Gerne wurden auch die beiden Klavierkonzerte von Frédéric Chopin aufs Programm
gesetzt, ergänzt durch das Konzert-Allegro
A-Dur in einer Bearbeitung von Jean Louis
Nicodé für Klavier und Orchester. Andere
polnische und tschechische Komponisten
wurden meist nur einmal vorgestellt. Zu
­ihnen zählten Mieczysław Karłowicz, Emil
Młynarski, Ignacy Paderewski, Karol Szymanowski und Henri Wieniawski sowie Josef
Suk und Jaromír Weinberger. Eine Ausnahme
bildete Leoš Janáček, von dem innerhalb
kurzer Zeit gleich drei Werke zu hören waren.
Sehr viel später setzte man aus politisch-­
ideologischen Gründen fast ausschließlich
auf kroatische Komponisten wie Krešimir
Baranović, Jakov Gotovac, Boris Papandopulo und Josip Slavenski.
Wie unterschiedlich heute zum klassischen
Kanon zählende Werke erstmals aufgenommen wurden, zeigen zwei Beispiele. Kaum zu
glauben: Am 16. April 1904 wurde Ignacy
Paderewskis in München noch unbekanntes
Klavierkonzert op. 17 mit wesentlich größerem Beifall bedacht als Schumanns »selten
gehörtes« Konzert op. 54; andererseits aber
stieß Dvořáks Symphonie »Aus der Neuen
Welt« bei ihrer ersten Aufführung am 5. Januar 1898 zunächst auf indignierte Ablehnung. So ließ die »Münchner Post« verlauten,
dass man anstelle der »neuen amerikanischen, bei den Yankees patentirten Unterhaltungs- und Plantagen-Symphonie des
vielstrebenden Herrn Dvorak« lieber einen
zeitgenössischen deutschen Tondichter wie
Richard Strauss gehört hätte. Die »Münchner Neuesten Nachrichten« bekrittelten die
»dummpfiffige Lustigkeit« des zweiten, national gefärbten Themas (Kopfsatz), die motivische Kleinteiligkeit »und alle möglichen,
mit äußerster Finesse in Szene gesetzten
Instrumentaleffekte des langsamen Satzes,
der durch seine Länge allerdings doch sehr
ermüdend wirkt«. Das verhältnismäßig origi-
Slawische Musik in München
27
Konzertankündigung für den 6. März 1930 mit der Münchner Erstaufführung
der »Glagolitischen Messe« von Leoš Janáček durch die Münchner Philharmoniker
Slawische Musik in München
28
nelle Scherzo lehnte sich ihrer Meinung nach
zu sehr an den gleichartigen Satz aus der
»Harold«-Symphonie von Berlioz an. Und
auch dem effektvoll aufgebauten Finale
sprach der Kritiker keine besondere Originalität zu. Als Bereicherung der symphonischen Literatur, so sein Fazit, könne man das
Werk jedenfalls nicht bezeichnen.
Janáčeks 1926 entstandene »Sinfonietta«
erklang in München zum ersten Male am
1. März 1929. Nur ein knappes Jahr später
folgte unter der Leitung von Adolf Mennerich die Orchester-Rhapsodie »Taras Bulba«,
schließlich, am 6. März 1930, im Rahmen der
»Woche Neuer Musik«, die »Glagolitische
Messe«. Vier Tage vor der Aufführung ver­
öffentlichten die »Münchner Neuesten Nach­
richten« eine ausführliche Einführung, erstaunlich in ihrer detaillierten Beschreibung
der einzelnen Teile, gepaart mit viel Einfühlungsvermögen in die stilistischen Besonderheiten des Werks. Gleichwohl rea­gierten
Konzertbesucher und Pressevertreter ob der
Auslegung des Messetextes teilweise irritiert, ungeachtet der Tatsache, dass sie das
satztechnisch geniale Können, die phänomenal temperamentvolle Schaffenskraft,
die den 72-jährigen Komponisten diese
großartige Schöpfung vollbringen ließ,
durchaus anerkannten. Der stürmische Beifall in der ausverkauften Tonhalle galt zuvörderst der ausgezeichneten Leistung aller
Ausführenden, dem Chor, »der die enormen
Schwierigkeiten schon hinsichtlich Treff­
sicherheit und Intonation hervorragend bewältigte«, den Philharmonikern, »die alles
gaben, was der Dirigent an Klang und Ausdruck von ihnen forderte« und dem ausgezeichneten Organisten. Einhelliges Lob gab
es auch für die Solisten, vor allem für Julius
Patzak.
Auch für das Konzert am 5. Januar 1938,
das im Rahmen des deutsch-polnischen
Kulturaustausches stattfand, gab es einen
Vorbericht, der Bezug nimmt auf ein vorausgegangenes, äußerst erfolgreiches Konzert
in Polen. Der Dirigent Adolf Mennerich war
Anfang Dezember 1937 in Begleitung des
philharmonischen Solocellisten Hermann
von Beckerath nach Posen gereist und hatte mit dem dortigen Symphonieorchester
musiziert. »Die Hauptstadt der Bewegung«,
so hieß es, »hält es nun für eine Ehrenpflicht, auch den polnischen Gästen einen
würdigen Empfang zu ihrem Konzert zu bereiten und dabei ihrem Dank für die außerordentliche herzliche Aufnahme der deutschen Künstler in Polen Ausdruck zu geben«.
Neben Wagners »Holländer«-Ouvertüre und
Dvořáks »Neunter« stellte Zygmunt Latoszewski zwei in München noch unbekannte
Komponisten vor: Von Mieczysław Karłowicz erklang die romantische Legende
»Stanislaw und Anna Oswiecimowie«, von
Karol Szymanowski dessen Violinkonzert
Nr. 1 op. 35, gespielt von Zdzislaw Jahnke.
Dirigent und Solist wurden nicht nur »hinsichtlich der glänzenden Wiedergabe der
von ihnen gebrachten Stücke« bejubelt,
sondern auch dafür, dass sie zwei neue
Werke ihrer Landsleute mitgebracht hatten. – Der deutsche Überfall auf Polen am
1. September 1939 beendete die »friedliche
Verständigung zwischen den beiden Nationen« abrupt. In der Folge wurde der Anteil
an ausländischer Musik je nach Kriegsverlauf auf ein Mindestmaß reduziert. Von den
slawischen Komponisten blieben am Ende
nur noch die kroatischen übrig.
Slawische Musik in München
29
Donnerstag
31_03_2016 20 Uhr k4
Freitag
01_04_2016 20 Uhr d
Montag
04_04_2016 20 Uhr b
Dienstag
05_04_2016 20 Uhr g4
SERGEJ PROKOFJEW
Symphonie Nr. 1 D-Dur op. 25
»Symphonie classique«
Symphonie Nr. 7 cis-Moll op. 131
ANTON BRUCKNER
Symphonie Nr. 3 d-Moll
(Endfassung 1889)
SERGEJ PROKOFJEW
Symphonie Nr. 1 D-Dur op. 25
»Symphonie classique«
KAROL SZYMANOWSKI
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1
op. 35
SERGEJ RACHMANINOW
»Symphonische Tänze« op. 45
VALERY GERGIEV
Dirigent
VALERY GERGIEV
Dirigent
JANINE JANSEN
Violine
Sonntag
03_04_2016 11 Uhr m
SERGEJ PROKOFJEW
Symphonie Nr. 1 D-Dur op. 25
»Symphonie classique«
KAROL SZYMANOWSKI
Konzert für Violine und Orchester Nr. 1
op. 35
ANTON BRUCKNER
Symphonie Nr. 3 d-moll
(Endfassung 1889)
VALERY GERGIEV
Dirigent
JANINE JANSEN
Violine
Vorschau
30
Die Münchner
Philharmoniker
1. VIOLINEN
Sreten Krstič, Konzertmeister
Lorenz Nasturica-Herschcowici,
Konzertmeister
Julian Shevlin, Konzertmeister
Odette Couch, stv. Konzertmeisterin
Lucja Madziar, stv. Konzertmeisterin
Claudia Sutil
Philip Middleman
Nenad Daleore
Peter Becher
Regina Matthes
Wolfram Lohschütz
Martin Manz
Céline Vaudé
Yusi Chen
Iason Keramidis
Florentine Lenz
2. VIOLINEN
Simon Fordham, Stimmführer
Alexander Möck, Stimmführer
IIona Cudek, stv. Stimmführerin
Matthias Löhlein, Vorspieler
Katharina Reichstaller
Nils Schad
Clara Bergius-Bühl
Esther Merz
Katharina Triendl
Ana Vladanovic-Lebedinski
Bernhard Metz
Namiko Fuse
Qi Zhou
Clément Courtin
Traudel Reich
BRATSCHEN
Jano Lisboa, Solo
Burkhard Sigl, stv. Solo
Julia Rebekka Adler, stv. Solo
Max Spenger
Herbert Stoiber
Wolfgang Stingl
Gunter Pretzel
Wolfgang Berg
Beate Springorum
Konstantin Sellheim
Julio López
Valentin Eichler
Yushan Li
VIOLONCELLI
Michael Hell, Konzertmeister
Floris Mijnders, Solo
Stephan Haack, stv. Solo
Thomas Ruge, stv. Solo
Herbert Heim
Veit Wenk-Wolff
Sissy Schmidhuber
Elke Funk-Hoever
Manuel von der Nahmer
Isolde Hayer
Sven Faulian
David Hausdorf
Joachim Wohlgemuth
Das Orchester
31
KONTRABÄSSE
Sławomir Grenda, Solo
Fora Baltacigil, Solo
Alexander Preuß, stv. Solo
Holger Herrmann
Stepan Kratochvil
Shengni Guo
Emilio Yepes Martinez
Ulrich Zeller
Hubert Pilstl
Mia Aselmeyer
TROMPETEN
Guido Segers, Solo
Bernhard Peschl, stv. Solo
Franz Unterrainer
Markus Rainer
Florian Klingler
FLÖTEN
POSAUNEN
Michael Martin Kofler, Solo
Herman van Kogelenberg, Solo
Burkhard Jäckle, stv. Solo
Martin Belič
Gabriele Krötz, Piccoloflöte
Dany Bonvin, Solo
David Rejano Cantero, Solo
Matthias Fischer, stv. Solo
Quirin Willert
Benjamin Appel, Bassposaune
OBOEN
PAUKEN
Ulrich Becker, Solo
Marie-Luise Modersohn, Solo
Lisa Outred
Bernhard Berwanger
Kai Rapsch, Englischhorn
Stefan Gagelmann, Solo
Guido Rückel, Solo
Walter Schwarz, stv. Solo
KLARINETTEN
Alexandra Gruber, Solo
László Kuti, Solo
Annette Maucher, stv. Solo
Matthias Ambrosius
Albert Osterhammer, Bassklarinette
FAGOTTE
Lyndon Watts, Solo
Jürgen Popp
Johannes Hofbauer
Jörg Urbach, Kontrafagott
HÖRNER
Jörg Brückner, Solo
~eira, Solo
Matias Pin
Ulrich Haider, stv. Solo
Maria Teiwes, stv. Solo
Robert Ross
Alois Schlemer
SCHLAGZEUG
Sebastian Förschl, 1. Schlagzeuger
Jörg Hannabach
HARFE
Teresa Zimmermann, Solo
CHEFDIRIGENT
Valery Gergiev
EHRENDIRIGENT
Zubin Mehta
INTENDANT
Paul Müller
ORCHESTERVORSTAND
Stephan Haack
Matthias Ambrosius
Konstantin Sellheim
Das Orchester
32
IMPRESSUM
Herausgeber:
Direktion der Münchner
Philharmoniker
Paul Müller, Intendant
Kellerstraße 4
81667 München
Lektorat:
Christine Möller
Corporate Design:
HEYE GmbH
München
heber genehmigungs- und
kostenpflichtig.
BILDNACHWEISE
Abbildungen zu Wolfgang
Amadé Mozart: H. C. Robbins Landon, Wolfgang
Amadeus Mozart, Höhepunkte eines Künstlerlebens, München 2005;
Heinz Gärtner, Mozarts
Requiem und die Geschäfte der Constanze M., München / Wien 1986, Max
Becker und Stefan Schickhaus, Wolfgang Amadeus
Mozart, Güterslooh 2005.
Künstlerphotographien:
Wilfired Hösl (Mehta), Felix Broede (Erdmann), Michael Lieb (von der Damerau), Harald Hoffmann
(Schade), Jens Fischesser
(Fischesser).
So entsteht eine zweifache Würdigung Mozarts:
seiner Person und seines
Werks! »Für mich als Synästhetikerin ist das Projekt mit den Münchner
Philharmonikern bisher eines der schönsten Synergien!« (Lea Jade, 2016)
DIE KÜNSTLERIN
TEXTNACHWEISE
TITELGESTALTUNG
Die 1982 geborene Malerin, Komponistin und Synästhetikerin Lea Jade lebt
als freischaffende Künstlerin in München. Dort
studierte sie auch Musikwissenschaften und Kunst.
Nicht nur ein Austausch
zwischen den Künsten war
bisher ihr Anliegen, sondern
auch zwischen Künstlern.
Daher gründete sie 2012
das Atelierhaus »engl« in
München, in dem sie auch
arbeitet.
Wolfgang
Stähr,
Vera
Baur, Michael Kube und
Gabriele E. Meyer schrieben ihre Texte als Originalbeträge für die Programmhefte der Münchner
Philharmoniker. Stephan
Kohler verfasste die lexikalischen
Werkangaben
und Kurzkommentare zu
den aufgeführten Werken.
Künstlerbiographien: nach
Agenturvorlagen.
Alle
Rechte bei den Autorinnen
und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Ur-
Hinter dem Plakat verbirgt
sich ein beinahe 4 qm großes Gemälde, das die Synästhetikerin Lea Jade zu
Mozarts Requiem malte.
Die Künstlerin sieht Farben, wenn sie Klänge hört
und setzt diese in ihren
Klangbildern um. Mozart
erscheint dabei nicht nur
in Farbe. Bei genauerer
Betrachtung tritt auch
sein Gesicht in abstrahierter Form in Erscheinung gebündelt im Logo der
Münchner Philharmoniker!
Gedruckt auf holzfreiem und
FSC-Mix zertifiziertem Papier
der Sorte LuxoArt Samt
Graphik:
dm druckmedien gmbh
München
Druck:
Gebr. Geiselberger GmbH
Martin-Moser-Straße 23
84503 Altötting
Impressum
Raus aus dem Alltag,
rein ins Konzert
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MÜNCHNER PHILHARMONIKER
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’15
’16
DAS ORCHESTER DER STADT