Interview mit Stefanie Berg

INTERVIEW
Psychische
­Erkrankungen auf dem
­Vormarsch – Gerade
junge Arbeitnehmer
sind betroffen!
Stefanie Berg ist Inhaberin von Alada –
Kommunikation mit Empathie. Gemeinsam mit Helga Kampherm, Fachberaterin
für klinische Sozialarbeit, entwickelte
sie das Konzept „Kranke Psyche im
Betrieb“. Sie berät kleine, mittlere und
Großunternehmen, wie sie psychische
Erkrankungen ihrer Mitarbeiter erkennen und möglichst
präventiv angehen. (Kontakt: [email protected])
„
Ich mache auch die Erfahrung, dass
jüngere Arbeitnehmer sich zu Beginn
ihres Berufslebens sehr allein gelassen
fühlen. Früher waren die Einheiten in
Unternehmen kleinzelliger. Da gab es
den Lehrmeister, die gute Seele, die
Mutter des Betriebs.
“
Seite 6 n DER SANDWICH MANAGER
2.
1.
Frau Berg, psychische
Krankheiten sind welt­
weit auf dem Vormarsch.
Macht unser Leben,
macht die Arbeit die
Menschen psychisch
krank?
Stefanie Berg: Arbeit und Leben
machen nicht per se krank. Viele
Menschen leben gern und gehen
auch gern zur Arbeit. Allerdings
hat sich der Zeitdruck im Vergleich zu früher enorm erhöht:
Früher hatten Sie 30 Minuten
Zeit, einen Brief zu schreiben,
heute schaffen Sie eine E-Mail in
2 Minuten, während Sie parallel
mitbekommen, dass 2, 3 weitere Anfragen in der Pipeline sind.
Das heißt, wir haben eine hohe
Verdichtung von Arbeitsprozessen. Menschen reagieren darauf
ganz unterschiedlich: Die eine
Gruppe findet das Tempo gut und
blüht geradezu auf, die zweite
Gruppe arrangiert sich irgendwie
und die dritte Gruppe kommt damit gar nicht zurecht.
Fest steht, dass psychische
Krankheiten laut Studie der WHO
in Zukunft die häufigste Ursache
für Fehlzeiten am Arbeitsplatz
sein werden. In den letzten 12
Jahren sind psychische Erkrankungen um 80 % gestiegen. Die
WHO geht davon aus, dass 2020
psychische Erkrankungen an
erster Stelle für arbeitsbedingte
Fehlzeiten stehen. Das Problem
wird sich verschärfen. Wegsehen
nützt nichts.
Nach jüngsten Studien
der Deutschen Angestell­
ten Krankenasse (DAK)
und der Techniker Kran­
kenkasse (TK) ist zwar
der Krankenstand 2010
nicht gestiegen, aber
immer häufiger werden
vor allem auch jüngere
Arbeitnehmer aufgrund
psychischer Beschwer­
den krankgeschrieben.
Worauf führen Sie dies
zurück?
Stefanie Berg: Ich mache auch
die Erfahrung, dass jüngere Arbeitnehmer sich zu Beginn ihres
Berufslebens sehr allein gelassen fühlen. Früher waren die Einheiten in Unternehmen kleinzelliger. Da gab es den Lehrmeister,
die gute Seele, die Mutter des
Betriebs. Heute fehlt vielfach der
Ansprechpartner – große Unternehmen versuchen, dies durch
Mentoren-Programme teilweise
wieder wettzumachen. Allerdings gibt es das auf der unteren
oder mittleren Ebene selten.
Der Vorgesetzte als Ansprechpartner ist meist heillos
überfordert. Er hat kaum Zeit für
die Mitarbeiterführung. Ich halte
es für wichtig, dass Chefs ihren
Führungskräften dafür mehr Zeit
einräumen. Es wäre zum Beispiel
sinnvoll, wenn das Führen von
Mitarbeitern in den Zielvereinbarungen verankert würde, zum
Beispiel mindestens 10–20 %
ihrer Arbeitszeit für Gespräche
mit Mitarbeitern zu verwenden.
Hinzu kommt, dass die sozia­
len Netzwerke in Unternehmen
instabil geworden sind. Man geht
heute nicht mehr nach der Arbeit
noch zusammen ein Bier trinken
– jeder ist froh, wenn er endlich
nach Hause kommt. Schnell richten sich viele Scheuklappen auf,
und jeder schaut zunächst auf
sich selbst, auf seinen sicheren
Arbeitsplatz.
3.
4.
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6.
Woran erkennen Sie, dass
die Psyche von Mitarbei­
tern krank ist? Was sind
die häufigsten Erkrankun­
gen?
Gehen Betriebe proaktiv
mit dem Thema psychi­
sche Erkrankungen oder
Sucht um oder sind Ge­
spräche darüber tabu?
Was können Vorgesetzte
tun, wenn sie vermuten,
dass die Psyche einiger
Mitarbeiter krank ist?
Was kann eine Führungs­
kraft noch heute tun,
wenn sie vermutet, dass
ein Mitarbeiter psychisch
krank ist?
Stefanie Berg: Die häufigsten
Erkrankungen sind Angstzustände und Depressionen. Die Bandbreite reicht von leichten bis hin
zu sehr schweren Erkrankungen,
das heißt bis zu den Fällen, in
denen Menschen nur schwer
wieder gesund werden können.
Auffällig ist, dass die Rate der
psychisch Erkrankten im Dienstleistungsbereich am höchsten ist
– dazu zählen Lehrer, Erzieher,
Menschen, die im Gesundheitswesen und der Krankenpflege
arbeiten, aber auch aus Unternehmen der Branchen Energie,
Wasser, Bergbau. Hier spielt
offensichtlich der Kulturwandel
hinein. Gerade vielen Kumpels
im Bergbau ist es offensichtlich
schwergefallen, den Zerfall ihrer
alten Arbeitswelt unter Tage zu
verkraften.
Stefanie Berg: Viele Unternehmen haben erkannt: Es geht
nicht immer nur höher, weiter,
schneller. Mir fällt auf, dass
vielfach über das Thema aber
nicht mit den Betroffenen geredet wird. Leidet die Psyche,
bekommt der Mitarbeiter oft
vorschnell ein Etikett aufgedrückt und wird zu den Experten abgeschoben. Jeder hat mal
eine schlechte Zeit, manchmal
genügt ein Ansprechpartner, der
zuhören kann.
Stefanie Berg: Ich erlebe, dass
viele Führungskräfte Angst vor
dem Thema psychische Erkrankungen haben. Hier hilft es,
eine Art Erste-Hilfe-MaßnahmenKatalog im Team zu entwickeln.
Diesen kann die Führungskraft
dann zur Hand nehmen, wenn
sie meint, dass Mitarbeiter psychische Probleme haben. Noch
besser ist es, im Vorfeld das
Arbeitsklima so zu gestalten,
dass am Arbeitsplatz psychische
Spannungen nicht auftreten
und sich festsetzen. Hier spielt
die Kommunikation untereinander die wichtigste Rolle.
Stefanie Berg: Sich mit dem
Thema beschäftigen und im Fall
des Falles Hilfe holen – am besten von außen. Aber zunächst
mal: Hingehen, wenn Menschen
sich verändern und nachfragen:
Wie geht es dir? Was ist los? Vorsicht: Es geht nicht darum, eine
Diagnose zu stellen! Das kann
kein Vorgesetzter. Zuhören ist der
erste Schritt.
„
Das heißt, wir haben eine hohe Verdichtung von
Arbeitsprozessen. Menschen reagieren darauf ganz
unterschiedlich: Die eine Gruppe findet das Tempo
gut und blüht ­geradezu auf, die zweite Gruppe arran­
giert sich irgendwie und die dritte Gruppe kommt
damit gar nicht zurecht.
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