Massage in der Sterbebegleitung - warum tue ich das?

Massage in der Sterbebegleitung - warum tue ich das?
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Weil ich gemerkt habe, wie schön es ist, jemand zu haben, bei dem man
einfach sein kann, sich zeigen darf mit allen Gefühlen und Gedanken.
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Weil es den Menschen eine Auszeit ermöglicht, ein Innehalten, Schauen,
Spüren, sich selbst Wahrnehmen.
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Weil manche Menschen auf diese Weise auftanken, Kraft gewinnen.
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Weil ich selbst die Nähe liebe, die Präsenz, die entstehen kann, wenn
jeder Moment zählt.
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Weil ich es als Geschenk empfinde, am Leben anderer ausschnittsweise
teilhaben zu dürfen und das Vertrauen des Gegenüber zu erfahren.
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Weil ich in jeder Begegnung lerne und durch dieses vielen Lehrer gelernt
habe, dass es kein richtig und falsch gibt, sondern nur ganz
unterschiedliche Formen mit den eigenen Gefühlen und Gegebenheiten
umzugehen.
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Weil es toll ist zu sehen, wie jede/r seinen Weg findet und wieviel
Suchen, Klären, Anschauen dabei ist.
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Weil ich lerne Verhalten, das nach außen hin unverständlich scheint
durch die dahinter stehende Geschichte zu verstehen.
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Weil ich bei jedem Menschen das Bemühen sehe, alles so gut wie
möglich zu machen und dabei die unterschiedlichsten Wege kennenlerne.
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Weil ich immer wieder umwerfend ehrliche Antworten auf meine
Nachfragen bekomme.
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Weil Menschen in Extremsituationen sich so auseinandersetzen, ob
innerlich oder äußerlich.
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Weil ich merke, dass die Menschen Vertrauen entwickeln und sich mehr
und mehr trauen, sie selbst zu sein:
wenn sie keine Lust haben zu reden, es nicht zu tun
wenn die Massage zuviel wird, abzubrechen
wenn das vereinbarte Massagegebiet nicht mehr stimmig ist, sich
ein Neues zu wünschen
meine Hände als Unterstützung zu nutzen, sich selbst
wahrzunehmen, kennenzulernen, egal wie sprunghaft die Massage
dabei vielleicht wird
einfach zu schweigen, zu weinen, zu lachen, zu sein, ohne erklären
zu müssen, warum das gerade so ist
sie selbst zu sein .... und gleichzeitig ich selbst sein zu dürfen.
Die Beziehung bekommt eine immer tiefere Ehrlichkeit, immer tieferes
Vertrauen. Und für manche bleibt es auch einfach “nur” eine Massage, nicht
mehr und nicht weniger.
Wohin sich das Ganze entwickelt liegt zum großen Teil am Klienten.
Ich eröffne einen Raum zum Sein, der natürlich auch begrenzt ist durch meine
eigene Befindlichkeit, die ich transparent mache, wenn wir an Grenzen stoßen.
Generell ist der Raum recht groß und wird noch sehr vorsichtig genutzt.
Besonders schön ist es, wenn jemand anfängt zu experimentieren, sich traut
mehr Raum einzunehmen, mehr von sich zu zeigen. Aber das ist nicht das Ziel
meiner Behandlung. Ziel ist es, dass jede/r so sein darf wie er/ sie ist und mit
dem Raum, den ich eröffne machen kann, was er/ sie will.
Gerade Menschen, die scheinbar nichts nehmen, nichts von sich zeigen,
schöpfen den Raum voll aus, indem sie einfach das Tun, was für sie gerade
stimmt. Es gibt für mich kein richtig und falsch, schon gar nicht im
Sterbeprozess. Da geht jeder seinen eigenen Weg und manchmal passen die
Wege gar nicht zusammen und man verletzt sich im Familien- oder
Freundeskreis dabei noch gegenseitig.
Letztlich ist es da hilfreich zu lernen die eigenen Bedürfnisse äußern zu
können, damit jeder weiß, wo der andere steht und Verantwortung für sein
eigenes Leben und seine eigenen Bedürfnisse übernehmen kann, auch wenn
diese nicht mit denen der anderen übereinstimmen.
Meine Erfahrung zeigt, dass ein ehrlicher Umgang zwar oft schwer, aber doch
der klarste Weg ist. Es bleiben weniger Interpretationsmöglichkeiten, Zweifel
und Verzerrungen der Wahrheit nach dem Tod zurück.
Aber es gibt Familien- und Freundeskonstellationen, wo die Kraft nicht mehr
ausreicht, Dinge zu klären. Da ist es gut, wenn man jemand, vielleicht auch
gerade Aussenstehenden, hat, der einen mit allen Gefühlen, Gedanken sein
lässt, ohne zu werten, zu verurteilen, höchstens mal Verständnisfragen stellt,
die vielleicht sogar helfen können, sich selbst besser zu verstehen.
Ich habe keine Erwartungen an die Massage. Es sind einfach klare
Begegnungen im Jetzt und was dabei entsteht ist nicht vorhersagbar. Aber
alles was entsteht ist in Ordnung. Was ich biete ist eine klarer Rahmen, meine
Einfühlungsvermögen und meine Ehrlichkeit und Offenheit.
Ansonsten nehme ich mich erstmal zurück und nehme wahr und pendel mich
dann langsam mit meinem Gegenüber ein, frage nach dem Befinden, den
Bedürfnissen oder biete durch Nachfragen Unterstützung, diese überhaupt zu
erkennen, zu finden - je nachdem, wer vor mir sitzt.
Ich biete keine Lösungen für Probleme, höre wohl aber aufmerksam zu, was
manchmal schon einem Schritt auf dem Weg zur Klärung gleichkommt.
Oft hilft die Massage, sich wieder selbst wahrzunehmen.
In Extremsituationen sind wir oft in unserem Kopf gefangen, der Körper
reagiert zwar, läuft aber eigentlich mehr oder minder unbeachtet/ betäubt
nebenher. Die Berührung holt die Aufmerksamkeit in den Körper und ist
manchmal der erste Impuls, wieder nach sich zu schauen, nach den
Bedürfnissen, die unabhängig von der Auseinandersetzung mit dem Sterben,
gestillt werden wollen, die, beachtet und gepflegt, gute Kraftreserven sein
können.
In Extremsituationen gerät oft alles aus dem Gleichgewicht und hier kann
Massage helfen, das Ungleichgewicht bewusst zu machen, als Voraussetzung,
sich wieder auf den Weg zur eigenen Mitte machen zu können.
Ich massiere z.Z. einmal im Monat ehrenamtlich im Bärenherz (Kinderhospiz)
und da sowohl Eltern, Kinder und Pflegepersonal. Für viele von uns ist das
vielleicht die schwierigste Auseinandersetzung – mit dem Sterben von Kindern
konfrontiert zu werden. Für mich leben die Kinder, bis sie tot sind. Das klingt
vielleicht seltsam, jedoch zeigt es viel meiner Einstellung. Ich begegne in den
Massagen den Kindern, wie sie jetzt, heute, im Moment sind, ganz authentisch.
Außer das ich weiß, dass sie zum Sterben hier sind, ändert sich nichts in der
Begegnung. (Doch, vielleicht nehme ich den Kontakt noch bewusster wahr).
Aber das Thema : “ Das Kind wird demnächst sterben” steht nicht zwischen
uns.
Ich habe keine Angst mich einzulassen, wegen dem Wissen, dass die
Beziehung nicht von langer Dauer sein kann, das Kind bald tot sein wird, ich
mich dann mit meiner Traurigkeit auseinandersetzen werde.
Ich konnte das für mich selbst erfahren, bei einem kleinen Mädchen, das ich
von Geburt bis Tod begleiten durfte. Das Schwierige war für mich nicht der
Umgang mit dem Kind und die dazugehörigen Gefühle, sondern der Umgang
mit dem sozialen Umfeld. Es gab wenig Menschen, bei denen ich einfach sein
konnte, überhaupt den Raum hatte mich selbst in Ruhe und Geborgenheit
wahrzunehmen.
Viele Menschen wollten mir einfach etwas geben, ohne zu fragen, ob ich etwas
brauche, bzw. das brauche, was sie mir geben wollten. Sie waren eher
enttäuscht, wenn ich nicht nehmen wollte oder konnte (zusätzliche Belastung
mit der Enttäuschung der Person auch noch zurecht kommen zu müssen).
Andere waren sehr vorsichtig, unsicher und mir war deren Unsicherheit zuviel,
ich hatte nicht die Ausgeglichenheit ihnen ihre Unsicherheit zu nehmen.
Andere litten unter der Situation, teils, weil die Situation in ihnen Erinnerungen
wachrief, teils einfach so und suchten selber Trost (ich hatte keine Kraft mehr
jemand zu trösten).
Manche gingen mir aus dem Weg (konnte ich gut verstehen, tat trotzdem
weh).
Einige boten mir Hilfe auf Abruf an (teilweise hatte ich keine Kraft anzurufen,
obwohl ich mich über das Angebot sehr gefreut habe).
Und ganz wenige gingen direkt auf mich zu und fragten offen, wie es mir geht
oder nahmen mich offen in den Arm und ich konnte mich ausruhen, ohne mich
abgrenzen zu müssen, konnte weinen, lachen, Quatsch reden, nichts sagen
und fühlte mich angenommen.
Diese Begegnungen waren ein Geschenk!
Und so einen Raum zu kreieren, versuche ich in der Massage. Einen Ort des
Ausruhens, des Sein-Dürfens, einen Ort der Begegnung mit sich selbst und
seinen momentanen Bedürfnissen.