Dörfer zwischen Tradition und Erneuerung im Land

Irmelin Küttner
Kurzfassung des Fachvortages vom 22. Mai 2015 in Heiligengrabe für die
Jugendbauhütte Berlin/Brandenburg der Deutschen Stiftung Denkmalschuitz
Dörfer zwischen Tradition und Erneuerung im Land Brandenburg
1. Bauliche Überlieferungen seit dem Mittelalter bis in die Gegenwart
Wesentliche Elemente der Kulturlandschaften in Brandenburg gehen auf den
hochmittelalterlichen Landesausbau zurück – auf Grundrisse und Bauwerke von Dörfern
und Städten im 12. und 13. Jh. Damals etablierten sich neue Herrschaftsstrukturen und
Kirchenorganisationen. Straßennetz und Parzellenstruktur märkischer Ortskerne hielten sich
bis ins 20. Jh.
Kirchen sind die am besten überlieferte mittelalterliche Baugattung. Es gibt über 800
Zeugnisse in Brandenburg, die sich für die Erforschung von historischen Bauprozessen
eignen. Von den mittelalterlichen Klosteranlagen gibt es nur noch wenige aussagefähige
Überlieferungen, z. B. Heiligengrabe, Chorin, Neuzelle oder Mühlberg.
Bedeutende Objekte des märkischen Burgenbaus liegen in den Nachbarländern von
Brandenburg. Besondere Vertreter in der Mark ergeben Ziesar, Rabenstein, Fürstlich Drehna
und Wiesenburg. Seit dem 15. Jh. entwickelten sich aus den Burgen Schlösser als
repräsentative Wohnsitze der Feudalherrschaft. Wichtige Bauten des 16. Jh. befinden sich in
der Niederlausitz: in Fürstlich-Drehna, Großmehlen, Lindenau und Dobrilugk. Für den
Renaissance-Ausbau kleiner Adelssitze seien die Gutshäuser Demerthin, Badingen und
Freyenstein genannt.
Das Kurfürstentum Brandenburg-Preußen war nach dem Dreißigjährigen Krieg im
Vergleich zu England und Frankreich ein rückständiges Agrarland, das über die Hälfte seiner
Bevölkerung verloren hatte. Erst nach einem halben Jahrhundert konnten die Verwüstungen
und Zerstörungen der Dörfer überwunden werden. Am Wiederaufbau der ländlichen
Gemeinden waren maßgeblich die Landesherren sowie adlige und kirchliche Grundherren
beteiligt.
Durch
einen
staatswirtschaftlich
bestimmten
Merkantilismus
mit
Manufakturgründung und Maßnahmen der Besiedlung menschenarmer Gebiete wurden
Strukturverbesserungen erreicht, die zum wirtschaftlichen Aufstieg der Dörfer um 1700 und
im frühen 18. Jh. führten.
Neue Gutsherrschaften überzogen das Land, beispielhaft Groß Rietz, Hoppenrade,
Kossenblatt, Martinkirchen, Meseberg, Prötzel oder Wiepersdorf.
Die vom Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688) und König
Friedrich Wilhelm I. von Preußen (1688-1740) eingeleitete Einwanderungspolitik Ende des
17. Jh. bis in die erste Hälfte des 18. Jh. war darauf gerichtet, den Mangel an Kapital und
Arbeitskräften in der Kur- und Neumark zu kompensieren. Auf den Domänen erfolgten
Ansiedlungen von Zuwanderern mit Niederländern und Friesen in der Prignitz und
Uckermark, mit Schweizern in Potsdam-Mittelmark, Ostprignitz-Ruppin und Potsdam, mit
Hugenotten, Pfälzern, Württembergern, Sachsen, Mecklenburgern und Böhmen in der
gesamten Mark Brandenburg.
Die Wiederbesetzung wüstgefallener und verödeter Dorf- und Hofstellen hatte eine belebende
Wirkung auf die Landwirtschaft und das Gewerbe. Neue Wirtschafts- und Berufszweige
entstanden, z. B. Meiereien in Oberhavel, Tuchmacher- und Porzellanmanufakturen,
Glashütten und Ziegeleien in der Uckermark und in Ostprignitz-Ruppin.
Bei den Bauernhäusern dominierte das giebelständige Märkische Mittelflurhaus, das bereits
im 16. Jh. nachweisbar ist und bis in das 19. Jh. als Geschoss- und Ständerbau Verbreitung
fand. Erhalten hat sich der inzwischen aussterbende Haustyp u.a. in Lichtenberg, Hakenberg
und Wuschewier. Eine Sonderform stellt das Giebellaubenhaus dar. Das um 1740 errichtete
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Wohnstallhaus in Pillgram mit bogenförmig bebeilten Kopfbändern an der Vorlaube gehört zu
den ältesten Überlieferungen.
Das Mitteldeutsche Ernhaus. Entstammt dem 17.-19. Jh. Der am häufigsten vorkommende
Fachwerk- oder Massivbau mit dem Zugang an der Traufseite, bestehend aus einer Wohnund Stallzone, und ist beispielsweise in Rehfeld von 1728 erlebbar.
Die dritte ländliche Hausform in Brandenburg - das Niederdeutsche Hallenhaus - ein
Wohnstallscheunenhaus, ist in der Westprignitz beheimatet, z. B. in Mödlich und Besandten.
Unter Friedrich II. (Friedrich dem Großen) (1712-1786) entwickelte sich nach 1740 die
Gelegenheitskolonisation seiner Vorväter zu einer systematischen Siedlungsplanung. Sie
diente der militärischen und wirtschaftlichen Konsolidierung des preußischen Staates. Träger
der Peuplierung waren die Kriegs- und Domänenkammern. Unter Friedrich II. fanden bei
erfolgreicher Kolonistenanwerbung in Preußen 400 000 Einwanderer in 1 340 ländlichen
Kolonien eine neue Heimat, davon in der Mark Brandenburg 74 000 Exulanten in 480
Ortschaften. Die herausragenden Leistungen der friderizianischen Zeit sind umfängliche
Meliorationen und Kanalbauten, die Weiterentwicklung der Bodensysteme, die Einführung
neuer Kulturpflanzen und Verbesserungen in der Viehwirtschaft.
Das reglementierte Aufbauprogramm für Neubürger in der zweiten Hälfte des 18. Jh.
vermittelt noch heute eine große Vielfalt von sozial differenzierten Dorf-, Hof- und
Hausformen nach den Erfordernissen des preußischen Agrarstaates in Anpassung an
topografische Bedingungen. Neben den Neugründungen von Dörfern waren
Lückenbebauungen und Erweiterungen alter Ortskerne charakteristisch. Die Dörfer besaßen
eine strenge Symmetrie im Erscheinungsbild, noch gut erkennbar z. B. in Neulietzegöricke.
Bei den Büdner-, Bauern-, Handwerker- und Arbeitersiedlungen handelte es sich um
farbenfrohe stroh- oder schilfgedeckte Lehmfachwerk-, Block-, Feldstein- und Ziegelbauten.
Die landesherrlichen Bauordnungen forderten eine zweckmäßige, holzsparende und
feuersichere Bauweise. Noch zahlreich vorhanden sind friederizianische Siedlungen im
Oderbruch, im Spree- und Havelgebiet. Die unter Anleitung von Bauinspektoren und
Landbaumeistern gegründeten Kolonien begegnen als Anger- und Straßendörfer, seltener als
Rundlinge und Rundplatzdörfer. Die Siedlungen dokumentieren keine ethnischen
Bautraditionen der Zuwanderer. Eine Vielzahl barocker Dorfkirchen gehörte zum Programm
friderizianischer Kolonisierung, z. B. in Zernikow, Altbarnim oder Wuschewier.
In nachfriederizianischer Zeit vom Ende des 18. Jh. bis zur Reichseinigung 1871 kam die
staatlich gelenkte Binnenkolonisation zum Erliegen. Der Zusammenbruch Preußens 1806
durch die napoleonischen Kriege begünstigte die Entwicklung einer feudal-bürgerlichen
Gesellschaftsordnung, welche den Aufschwung von Landwirtschaft, Gewerbe und Industrie
bewirkte. Der gewaltige Umbruch von Wirtschafts- und Sozialstrukturen im 19. und 20. Jh. –
bedingt durch Industrialisierung und Rationalisierung, Entfaltung des Verkehrswesens,
Gebiets- und Verwaltungsreformen und neue Bedürfnisse an die gebaute Umwelt - brachten
einen Schwund überlieferter ländlicher Siedlungs-, Flur- und Hausformen. Seit 1800 erfolgten
kaum Neugründungen von Dörfern, dafür massenhafter Aus- und Wiederaufbau
bestehender Ortschaften und Ortsteile, die durch Kriege und verheerende Brände zerstört
waren. Groß Breese ist ein solches Zeugnis aus der Mitte des 19. Jh. mit 50 Bauerngehöften
aus Typen- und Doppelwohnhäusern mit Wirtschaftsgebäuden in Ziegelfachwerk. Neue
bäuerliche Hofstellen bzw. Ersatzanlagen entstanden z. B. in Arnsnesta, Karwe und
Kolochau. Zahlreich errichtet wurden im Verlauf des 19. Jh. Kirchen, Pfarr- und
Spritzenhäuser, Dorfkrüge, Schulen, Schmieden, Gutsbetriebe und Tagelöhnerhäuser,
ergänzt durch Revierförstereien wie in Rottstiel und Kleinbahnhöfe an Nebenstrecken.
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Das heutige Erscheinungsbild der brandenburgischen Dörfer wird weitgehend von der
Bebauung nach 1871 bis in das erste Drittel des 20. Jh. geprägt. Ehemalige Guts- und
Bauerngemeinden wurden z. T. zu Industriedörfern und Arbeiterwohnstandorten
umfunktioniert. In nie gekanntem Umfang erfolgte in den Städten und ländlichen
Randgebieten der Aufbau gesellschaftlicher Bauten, Einrichtungen der Bildung, Kultur,
Versorgung, Gesundheit und Erholung, Industrie- und Verkehrsbauten. Es war die Zeit des
Stilpluralismus vom Historismus und den Reformströmungen beeinflussten Heimatschutzund Jugendstil bis klassische Moderne.
Bei den Herrenhäusern und Schlossbauten überwogen Umbauten und Erweiterungen von
Überlieferungen als repräsentative Landsitze für das Bürgertum, ergänt durch Villen und
Landhäuser. Trauständige Massivbauten mit historisierten Fassaden finden sich bei den
bäuerlichen Wohn- und Funktionsbauten - stattliche Wirtschaftsgebäude und
Produktionsstätten in Fachwerk- oder Ziegelbauweise.
Die Agrarwirtschaft in der Zeit des Nationalsozialismus hatte in Vorbereitung eines Krieges
eine autarke Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Rohstoffen zu
gewährleisten. Mit dem „Gesetz über die Neubildung des deutschen Bauerntums“ und dem
„Reichserbhofgesetz“ von 1933 wurden die Groß- und Mittelbauern als Oberschicht im Dorf
gestärkt und an das NS-Regime gebunden. Den Landarbeitern wurde ein „Aufstieg durch
Siedlung in den Ostgebieten“ versprochen. Die Frauen und Zwangsarbeiter bildeten seit den
1930er Jahren bis 1945 das Rückgrat in der Land- und Kriegswirtschaft. Die Provinz
Brandenburg nahm einen führenden Platz in der Kriegsindustrie und Agrarwirtschaft ein.
Die Architektur des Nationalsozialismus erfasste alle Lebensbereiche der Bevölkerung.
Ausdrucksstark die monumentale und neoklassizistische Staats- und Parteiarchitektur in
Stahl- und Eisenbetonkonstruktion mit Werksteinverkleidungen bei den öffentlichen
Gebäuden, Industrie- und Kulturbauten, der „Heimatschutzstil“ in Form von Fachwerk-,
Ziegel- und Putzbauten bei Villen, Land-, Ein- und Mehrfamilienhäusern, Bauerngehöften,
Schulen, Ambulanzen, Postämtern, Gaststätten, Jugendherbergen und Freizeitstätten, der
sachlich-funktionalistische Stil in Anlehnung an das Neue Bauen bei Ingenieurs-, Industrieund Verkehrsbauten, Kasernen usw.
Das Baugeschehen auf dem Lande erfolgte 1933-1944 mehr sporadisch. Landschaftsbezogene
und bodenständige Muster- und Versuchssiedlungen entstanden für Neubauern, z. B. in
Staffelde, Dannhof und Luggendorf, für Mitglieder von NSDAP-Organisationen, z. B. in
Mehrow. Ein Netz von Kleinsiedlungen aus Familienhäusern mit variierenden
Fassadengestaltungen durchdrangen die Regionen, stellvertretend seien Ahrensfelde und
Kleinmachnow erwähnt.
Mit der Schlacht um Berlin wurde die Mark Brandenburg zum Austragungsraum der
Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Westlich der Oderlinie und längs der Seelower Höhen
wurden zu 60 bis 90 Prozent die Dörfer zerstört.
In der Nachkriegsgesellschaft gewann die Ernährungssicherung eine überragende
Bedeutung. Die Landwirtschaft bildete eine Schlüsselstellung. Mit der Bodenreform von
1945/46 und entschädigungslose Enteignung der Nationalsozialisten, Kriegsverbrecher und
Großgrundbesitzer begann eine schrittweise Umgestaltung der Verhältnisse auf dem Lande. In
Brandenburg erfasste die Bodenreform 41 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Ein
Drittel des Bodenfonds ging in das Eigentum des Staates über und ermöglichte Gründungen
von Volkseigenen Gütern, Betrieben der Landwirtschaft und Forst. Der größte Teil der
enteigneten Flächen wurde an landarme Bauern, Landarbeiter, Flüchtlinge und Umsiedler
verteilt. Der Befehl Nr. 209 von 1947 der Sowjetischen Militäradministration sah für
Brandenburg 10 000 Neubauerngehöfte vor. Die angestrebten Naturbauweisen stießen
regional auf Schwierigkeiten, sodass ein Teil der benötigten Baustoffe aus Ruinen und
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Abbruchbauten gewonnen wurde. Vordergründig dienten Schlösser und Herrenhäuser als
Abrissobjekte. Die meisten der 500 Schlösser und Herrenhäuser in Brandenburg wurden
nach 1945 zu Neubauernstellen, Wohnungen, Kinder- und Altersheimen, Krankenhäusern,
Kultur- und Erholungsstätten umgenutzt und neu erschlossen, was den historischen Bestand
weiter verschliss. Ausgewiesen die Objekte in Rheinsberg, Bienenwalde, Demerthin,
Wiepersdorf und Prötzel.
Für verschiedene Betriebsgrößen der Landwirtschaft kamen 1946 bis 1955 kostensparend
Typenserien von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden zum Einsatz. Mehrheitlich entstanden
Eindachgehöfte in Ziegel-, Fachwerk-, Lehm- und Plattenbauweise, verbreitet die Baureihen
„Brandenburg“ und „Selbsthilfe“.
Mit der Gründung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) und der sich
vollziehenden Umstellung vom bäuerlichen Kleinbetrieb zum genossenschaftlichen
Großbetrieb Mitte der 1950er bis in die 1960er Jahre erfolgte ein neuer Abschnitt in der
gesellschaftlichen Entwicklung auf dem Lande. Ohne moderne Baumethoden wie die
Masten-, Skelett- oder Montagebauweise mit großformatigen Hohlblocksteinen oder
Leichtbetonplatten war die Massenproduktion von landwirtschaftlichen Bauten bis zum Ende
der DDR nicht zu bewerkstelligen. Spezialisierung und Kooperation in der Landwirtschaft
erforderten zur Effektivitätssteigerung immer größere Bauvolumen für die Pflanzen- und
Tierproduktion. Viele klein- und mittelbäuerliche Stallungen und Scheunen aus dem 18.
bis 20. Jh. waren durch die neuen ökonomischen und arbeitsorganisatorischen Strukturen in
der DDR-Zeit Leerstand, Verfall und Abriss ausgesetzt.
Das historische Bauernhaus behielt vergleichsweise noch lange Zeit seine Funktion und
wurde den veränderten Bedürfnissen seiner Bewohner angeglichen. Die für Mitglieder der
LPG neu errichteten Wohnungen in Ein-, Zwei-, Reihen- oder Mehrfamilienhäusern mit
Nebengebäuden in den Regionen zeigten wenig Anpassung an historische Bauweisen.
Der infrastrukturelle Ausstattungsgrad der Dörfer konzentrierte sich auf potentielle
Produktionsstandorte wie Podelzig, Kruge und Kienitz. In Anknüpfung an die Tradition der
preußischen Landbaukunst, an Leitbilder des Werkbundes und der Heimatschutzbewegung
ergaben die öffentlichen Bauten der 1950er und 1960er Jahre neue staatlich verordnete
Gebäudetypen. Das Kulturhaus als Mittelpunkt in den Hauptdörfern besaß ein typisiertes
Raumprogramm und Funktionsschema. Das reformierte einheitliche Schulsystem führte zur
Ablösung der einklassigen Dorfschule. Die neu errichteten Gebäude zeichneten sich anfangs
noch durch eine individuelle Architektur aus, welche Einflüsse des traditionellen Bauens
ausdrücken, u.a. die ehemalige Zentralschule von 1952 in Heiligengrabe. Seit 1958 kamen
Entwürfe der Berliner Bauakademie zum Tragen - Typenprojekte für Grund-, Zehn- und
Zwölfklassenschulen. Bauten des Gesundheitswesens dienten der Sicherstellung einer
gleichmäßigen medizinischen Versorgung der Landbevölkerung. Die Landambulanzen als
kleinste Einheit poliklinischer Einrichtungen waren mit Facharztstellen und Schwestern für
einen Einzugsbereich bis 7.500 Einwohner eingerichtet. Die ersten Gebäude von 1951-55
stehen in Letschin, Heckelberg und Müncheberg.
2. Denkmalpflege in der DDR-Zeit
Die Vielfalt der denkmalpflegerischen Aufgaben nach dem Zweiten Weltkrieg erforderte eine
einheitliche Orientierung. Das tradierte Verständnis vom Denkmal als Kunstwerk trat in den
Hintergrund zugunsten kulturgeschichtlicher Kriterien und ideologischer Prämissen der
Bewertung überlieferter Bausubstanz.
Seit den 1960er Jahren erlangten in der Bau- und Erbepflege die überlieferten Bauten auf
dem Lande mehr Aufmerksamkeit. Die Anstrengungen zur Überwindung von Kriegsschäden
war ausgerichtet auf künstlerisch und hauslandschaftlich wertvolle Dorfkirchen, Klöster,
Burgen, Schlösser und Herrenhäuser, auf kulturhistorisch aussagefähige Pfarr-, Bauern-,
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Handwerker- und Bürgerhäuser, auf bisher unberücksichtige Landarbeiterkaten,
Schnitterkasernen, Landgasthöfe und Spritzenhäuser.
Der Bauzustand dörflicher Volksarchitektur war bis zur politischen Wende von
mittelmäßiger bis schlechter Qualität. Da die Werterhaltung und Sicherungsmaßnamen oft die
finanziellen Möglichkeiten der Rechtsträger und Nutzer überstiegen - regionaltypische
Baumaterialien wie Holz, Ziegel oder Schiefer nicht ausreichend zur Verfügung standen, weil
die heimischen Naturbaustoffe für Devisen in die Bundesrepublik exportiert wurden - kamen
immer häufiger neue Baumarktprodukte für Altbauten zur Anwendung..
Einen neuen Schwerpunkt stellte die Kategorie technische Kulturdenkmale dar. Besonders
gefährdete Denkmalarten wurden systematisch erforscht und Erhaltungsmaßnahmen
durchgeführt: Anlagen profilbestimmender Industriezweige des Bergbaus und Hüttenwesens
wie Peitz, der Metallverarbeitung wie Eberswalde, der Baustoffindustrie wie Rüdersdorf und
Glindow, der Energieerzeugung wie Plessa und Domsdorf, der Leichtindustrie wie die
Baruther Glashütte, des Verkehrswesens, der Land- und Forstwirtschaft. Alle Denkmalarten
konnten aufgrund ideologischer Hemmschwellen, Fachkräftemangel und fehlender
wirtschaftlicher Kapazitäten nicht gleichmäßig bearbeitet werden.
Das neu verabschiedete Denkmalpflegegesetz von 1975 war eine Chance, Grundsätze und
Aufgabenstellung zielgerichteter in die Praxis umzusetzen. Mit diesem Gesetz als Ausdruck
eines erweiterten Denkmalbegriffs verbesserten sich die Bedingungen für die Einbeziehung
der Denkmale in die Umgestaltung von Städten, Dörfern und Landschaften. Der Zerschlagung
der privaten Handwerksbetriebe in den 1960er Jahren sollten seit den 1970er Jahren
zentralgeleitete Spezialkapazitäten der Denkmalpflege begegnen. Den volkseigenen Betrieben
von 1977 in den Bezirken wurden Bauhütten und Restaurierungswerkstätten angeschlossen.
Der Verfall der historischen Ortskerne war nicht mehr aufzuhalten. Kampagnen wie „Wohnen
im Denkmal“ oder „Ensemble-Denkmalpflege“, „Schöner unsere Städte und Gemeinden –
Mach mit“ zur Rettung und Sanierung historischer Bausubstanz brachten Teilerfolge.
3. Denkmalpflege seit 1991
Das Land Brandenburg ist bis heute noch eine agrarisch geprägte Region, was in den Kreisund Denkmallisten bis 1989 kaum Berücksichtigung fand. Diese Situation änderte sich
fundamental im Zuge der Umstrukturierung und Neuausrichtung der institutionalisierten
Denkmalpflege nach der Wiedervereinigung.
Die Zahl dörflicher Einzeldenkmale ist seit 1991 um ein Vielfaches gewachsen. Die
Beachtung der Vielfalt der Zeugnisse hinsichtlich von Baugattungen und Entstehungszeiten
beruht auf einem neuen Verständnis von Denkmalpflege in der Gesellschaft. Neben
Neueintragungen von Dorfkirchen aus dem 19. Jh. wurden über 200 Dorfkirchen nacherfasst
und nachbegründet. Von den 400 verzeichneten Gutsanlagen sind seit 1991 über 300
Neubegründungen erfolgt.
Die Erfassung des dörflichen Baubestandes wurde zu einem Wettlauf mit der Zeit durch
zunehmenden Leerstand und Verfall sowie durch den Modernisierungsdruck in den
Gemeinden. Oft stellen die Altbauten für die Entwicklung der brandenburgischen
Hauslandschaft wichtige aussagekräftige Beispiele dar oder letzte Vertreter einer Hausform
wie das Vorlaubenhaus in Lüdersdorf. Wegen fehlender Nutzungsalternativen und hoher
Erhaltungskosten sind insbesondere größere Stallgebäude und Scheunen im Bestand stark
gefährdet. 70 Prozent der dörflichen Zeugnisse sind Wirtschaftsgebäude einzelner Epochen.
Hier liegt der Ansatz für Umnutzungen und Ausbauten in Anpassung an neue ökonomische
Verhältnisse und Lebensgewohnheiten der Eigentümer.
Technische Anlagen im Zusammenhang mit der Mechanisierung und Industrialisierung von
Landwirtschaft und Handwerk im 18. und 19. Jh. treffen auf ein großes Interesse der
Öffentlichkeit. Zumeist sind es Vereine und engagierte Einzelpersonen, die eine Eintragung
als Denkmal initiieren und wertvolle Informationen liefern.
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2005/06 wurde unter der Schirmherrschaft der Ministerien für Wissenschaft, Forschung und
Kultur sowie Landwirtschaftliche Entwicklung, Umwelt und Verbraucherschutz die
Arbeitsgemeinschaft „Historische Dorfkerne im Land Brandenburg“ gegründet, welche
sich Methoden und Lösungswegen zur Bewahrung und Wiederherstellung gewachsener alter
Dorfkerne widmet. Sie sind im besonderen Maße von gesellschaftlichen Veränderungen und
dem fortschreitenden Verlust an Originalsubstanz und historischer Authentizität betroffen.
Das Großunternehmen „Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland“ setzt neben
den Großinventaren und dem Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler Georg Dehio die
Tradition der Dokumentation fort. Seit 1981 erscheint in Westdeutschland die Buchreihe einer
flächendeckenden Erfassung des baulichen Erbes und Denkmalbestandes. Der großformatigen
Publikation wurden länderübergreifend einheitliche Bewertungskriterien in den Richtlinien
der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger, Arbeitsgruppe Inventarisation, zugrunde gelegt.
Es geht um eine sachliche und wissenschaftlich fundierte Präsentation baulicher
Überlieferungen in den Städten und Landkreisen in Text, Bild und Kartenmaterial. Dieses in
Europa einzigartige Werk für Planungs- und Genehmigungsbehörden, Architekten,
Eigentümer und Interessierte wird seit 1994 im Auftrag des Brandenburgischen Ministeriums
für Wissenschaft, Forschung und Kultur durch die Mitarbeiter des Dezernats Inventarisation
an der Landesdenkmalbehörde in Wünsdorf erarbeitet. Bisher erschienen 12 großformatige
Bände Land Brandenburg.
Eine neue Herausforderung bedeutet die Einbindung des Denkmalbestandes in die historisch
gewachsene Kulturlandschaft. Als fachliches Betätigungsfeld hat sie seit den 1990er Jahren
eine Aufwertung erfahren als fundamentaler Handlungsraum für regionale Entwicklungen.
4. Strukturwandel in den ländlichen Räumen
Die Dörfer befinden sich stets im Wandel in Angleichung an veränderte gesellschaftliche
Verhältnisse. Die sozialökonomischen Umbrüche sind mit Wertewandel und Erneuerungen
von Dorfkulturen verbunden. Im Rahmen von Dorferneuerungsplanungen nach 1991
konnten Ortsbilder wiederhergestellt werden mit einem durchsanierten Gebäudebestand,
Neubausiedlungen und modernisierten Verkehrswegen.
Der mit der Wende erfolgte tiefgreifende Strukturwandel in der Landwirtschaft und Industrie
hat die Beschäftigtenzahl auf dem Lande bereits 1991 halbiert. Nach 12 Jahren waren nur
noch 25 Prozent Arbeitskräfte in der Landwirtschaft in Brandenburg tätig. Dörfer ohne
landwirtschaftliche Produktion sind in Ostdeutschland keine Seltenheit mehr. Viele
erwerbsfähige Bevölkerungsgruppen wandern in die verdichteten städtischen Räume ab. Die
peripheren ländlichen Räume, abseits der großen Zentren, entwickeln sich zu
Problemregionen und Verlierern der Transformation und Globalisierung.
In Brandenburg, dem größten ostdeutschen Flächenland, gibt es eine wachsende Zahl
sterbender kleiner Dörfer. 1990 bestanden noch 1793 Gemeinden, nach den
Gemeindegebietsreformen 1995-2004 sind die meisten Dörfer, etwa 76 Prozent, nicht mehr
selbständig in der Statistik aufgeführt. Die ehemals unabhängigen Gemeinden wurden von
1800 auf rund 450 Gemeinden in Brandenburg reduziert. Eine weitere Verwaltungsreform
wird vorbereitet. Die Zusammenschlüsse von Dörfern als Ortsteile von Gemeindeverbänden,
Klein- und Mittelstädten oder Großstädten wie Berlin beschleunigen den
Schrumpfungsprozess, der durch Überalterung und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit
hervorgerufen wird. Überörtliche Orientierung und interkommunale Kooperationen werden
zum Schlüssel von Entwicklungsimpulsen. Gefährdungen der ländlichen Räume erfordern
ressortübergreifende Handlungskonzepte.
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