Pressemitteilung zum - Deutsche Gesellschaft für

Schlaganfall durch Verschluss der Wirbelsäulenarterien: Stent oder
Medikation?
Berlin, 2. Juli 2015 – Arteriosklerotische Engstellen in den beiden kleineren Hirnarterien rechts
und links der Wirbelsäule sind bisweilen Auslöser von Schlaganfällen in hinteren
Gehirnregionen. Solche Vertebralisstenosen können zwar von Neuroradiologen durch das
Setzen von Stents behandelt und die Arterien damit für den Blutfluss ins Gehirn offengehalten
werden. Allerdings musste jüngst eine niederländische Studie vorzeitig abgebrochen werden,
weil sich bald zeigte, dass diese interventionelle Therapie keine Vorteile gegenüber einer
optimalen konservativen Therapie mit Medikamenten besitzt. Die Arbeit sorgt für
Diskussionsstoff: Bei näherer Betrachtung zeigen sich aber deutliche Mängel im Studiendesign.
So bleiben zahlreiche Fragen offen, die in weiteren Studien geklärt werden müssen, erklären die
Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und
die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR). Trotz des negativen Ausgangs ist diese
Form der endovaskulären Therapie nicht abgeschrieben. Experten diskutieren, warum sie eine
Behandlungsoption bleibt.
Das Blut gelangt nicht allein über die beiden großkalibrigen Halsschlagadern ins Gehirn. Zwei
kleinere Arterien (A. vertebralis), die beiderseits der Wirbelsäule verlaufen, versorgen wichtige hintere
Abschnitte des Gehirns wie das Kleinhirn, den Hirnstamm, das Zwischenhirn und das zentrale
Sehzentrum. Ist eine Arteria vertebralis verengt oder blockiert, kann dies einen Schlaganfall auslösen.
Seit einigen Jahren ist es möglich, diese Engstellen durch einen Stent zu beseitigen, der entweder von
der Leiste aus oder über eine Arterie des Arms bis in die Wirbelarterie vorgeschoben wird. Die
verbesserte Durchblutung und die Abdeckung der Arteriosklerose durch den Stent sollen die Patienten
vor einem erneuten Schlaganfall schützen.
Deutlich höheres Risiko durch Stents im Vergleich zur medikamentösen Therapie
Diese Behandlung ist für die Betroffenen nicht ohne Risiken, wie die jetzt in der Fachzeitschrift
Lancet Neurology veröffentlichte Studie Vertebral Artery Stenting Trial (VAST) zeigt: Bei drei der
insgesamt etwa 50 mit einem Stent versorgten Patienten kam es innerhalb von 30 Tagen zu einem
Herzinfarkt, Schlaganfall oder einer tödlichen Gefäßerkrankung (Komplikationsrate: 5 Prozent). Bei
zwei dieser drei Patienten handelte es sich allerdings um intrakranielle Stenosen, also Gefäßverengung
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in unmittelbarer Nähe des Gehirns, bei denen bereits aus anderen Studien ein erhöhtes
Behandlungsrisiko bekannt ist. In der Vergleichsgruppe gab es lediglich ein einziges Ereignis (1
Prozent). Die Vergleichsgruppe erhielt keine Gefäßstütze, aber eine optimale medikamentöse
Therapie. Das niederländische Forscherteam hatte Patienten mit einem leichten Schlaganfall oder der
Vorstufe TIA (Transitorische ischämische Attacke) untersucht. Die Beschwerden gingen bei allen
Patienten auf eine Verengung in einer Wirbelarterie zurück.
„Ein gewisses Risiko durch die Katheterbehandlung war bekannt“, sagt Professor Dr. med. Joachim
Röther, Chefarzt der Neurologischen Abteilung der Asklepios Klinik Altona in Hamburg und
Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG): „Dieses Risiko sollte jedoch durch
einen späteren Schutz vor weiteren Schlaganfällen wieder wettgemacht werden.“ Doch hierfür liefert
die Studie keine Anzeichen. In den ersten drei Jahren nach der Stent-Behandlung erlitten sieben
Patienten (12 Prozent) erneut einen Schlaganfall. In der Kontrollgruppe waren es nur vier Patienten (7
Prozent).
Studienlage zur Schlaganfalltherapie mit Stents
Zweifel an dem Nutzen der Stent-Behandlung kamen bereits vor vier Jahren auf, als es in einer USAmerikanischen Studie (SAMMPRIS) nach dem Stenting von intrakraniellen Stenosen zu vermehrten
Schlaganfällen kam und eine Vorbeugung künftiger Schlaganfälle nicht erkennbar war. „In
SAMMPRIS war die Behandlung nicht auf die Beseitigung von Stenosen in der Arteria vertebralis
beschränkt. Die meisten Stents wurden in intrakraniellen Ästen der Halsschlagader platziert“, erläutert
Professor Hans-Christoph Diener, Direktor der Klinik für Neurologie am Uniklinikum Essen und
Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Außerdem sei ein Stent verwendet
worden, der aus heutiger Sicht veraltet ist.
Die aktuelle Studie VAST konnte wegen eines anderen Studiendesigns und der Anwendung moderner
Stents durchgeführt werden. Als es dann aber zu einem Todesfall nach einer Stent-Behandlung kam,
musste sie doch vorzeitig abgebrochen werden. Die Reaktion der niederländischen Kollegen sei
verständlich, so Professor Diener. Das vorzeitige Ende der Studie habe jedoch dazu geführt, dass die
Frage nach einem Nutzen der Therapie nicht abschließend geklärt werden konnte. Die Indikation für
einen Stent liegt danach nur noch bei Patienten mit distalen hochgradigen Stenosen der Arteria
vertebralis vor, bei denen trotz optimaler medikamentöser Therapie TIAs auftreten, weil der Blutfluss
zum Gehirn eingeschränkt ist, so Professor Diener. Dies ist der Fall, wenn von Geburt an die zweite
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Arteria vertebralis nicht richtig angelegt oder bereits verschlossen ist. TIAs treten bei einer
hochgradigen Einengung der verbliebenen Arterie und Blutdruckabfall auf.
Zahlreiche mögliche Gründe für das schlechte Ergebnis – weitere Studien notwendig
Die Gründe für diese ungünstigen Ergebnisse vermutet Professor Dr. med. Christoph Groden, Leiter
der Abteilung für Neuroradiologie des Universitätsklinikums Mannheim, in der Auswahl der
Patienten: „Eine Katheterbehandlung ist nur bei Patienten mit einem hohen Schlaganfallrisiko
sinnvoll, bei hochgradigen Stenosen und insbesondere wenn die andere Arteria vertebralis auch
betroffen ist“, erläutert der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR). „Eine
Behandlung sollte dann erwogen werde, wenn der Stenosegrad über 70 Prozent liegt, ähnlich wie bei
Stenosen der vorderen Halsschlagader. In der Studie war aber nur eine 50-prozentige Stenose
gefordert. Außerdem sollte man zwischen einer Stenose im Anfangsabschnitt der Wirbelarterie
außerhalb des Gehirns und einer intrakraniellen Stenose – die direkt am Gehirn liegt – unterscheiden.
Diese intrakraniellen Stenosen haben beim Stenting ein erhöhtes Komplikationsrisiko. Solche
Stenosen wurden aber in die Studie auch mit eingeschlossen und waren für zwei der drei
Komplikationen verantwortlich. Die Hälfte der Patienten hatte nur eine TIA, aber keinen Schlaganfall
erlitten. Ein Nachteil war aus Sicht von Professor Groden auch die lange Wartezeit. Nur 28 Prozent
der Patienten wurden innerhalb von 14 Tagen nach einem zerebrovaskulären Ereignis mit Stents
behandelt.
Alle drei Experten hoffen auf weitere Studien, in denen moderne Stents eingesetzt werden. Im Bereich
dieser endovaskulären Therapien habe es in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gegeben, wie in
jüngerer Zeit das Beispiel der Thrombektomie verdeutlicht hat. Daher müssen einige neuere Methoden
einer gründlichen Neubewertung unterzogen werden.
Literatur:
A. Compter, H. B. van der Worp, W. J. Schonewille, J. A. Vos, J. Boiten, P. J. Nederkoorn, M. Uyttenboogaart,
R. T. Lo, A. Algra, L. J. Kappelle; VAST investigators. Lancet Neurology 2015; 14(6): 606-14. doi
10.1016/S1474-4422(15)00017-4
http://www.thelancet.com/journals/laneur/article/PIIS1474-4422%2815%2900017-4/abstract
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Fachlicher Kontakt bei Rückfragen
Prof. Dr. med. Joachim Röther
Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG)
Chefarzt Neurologische Abteilung, Asklepios Klinik Altona, Paul-Ehrlich-Straße 1, 22763 Hamburg
Tel.: +49 (0)40-181881-1401, E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Hans-Christoph Diener
Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN)
Direktor der Neurologischen Universitätsklinik Essen, Hufelandstr. 55, 45122 Essen
Tel.: +49 (0)201-7232460, E-Mail: [email protected]
Prof. Dr. med. Christoph Groden
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR)
Direktor der Abteilung für Neuroradiologie Universitätsklinikum Mannheim, Theodor-Kutzer-Ufer 1-3, 68167
Mannheim, Tel.: +49 (0)621 383-2443, E-Mail: [email protected]
Pressestelle der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft
Tel.: +49 (0)711 8931-380, Fax: +49 (0)711 8931-167, E-Mail: [email protected]
Pressestelle der Deutschen Gesellschaft für Neurologie
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Geschäftsstelle der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie
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