Predigt - Kirche im WDR

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Hörfunkgottesdienst –Übertragung
Fronleichnam 2015
Predigt Kaplan Michael Berentzen
Fazenda da Esperança, Xanten
Liebe Gemeinde hier in der Klosterkapelle und an den Radiogeräten!
Das Leben ist häufig so komplex, dass wir versuchen – wo wir eben können – es in feste
Formen zu lenken, denn das ist entlastend. Ein einfaches Beispiel: Was haben Sie heute
Morgen gefrühstückt? Wahrscheinlich im Großen und Ganzen das gleiche wie gestern
und vorgestern. Menschen richten sich eben ein in Gewohnheiten. Jeden Morgen neu
entscheiden zu müssen, wann ich aufstehe, das wäre doch zu anstrengend; genau wie
immer wieder Uhrzeit und Bestandteile des Frühstücks festzulegen. Vom Tagesrhythmus
über die Art und Weise, wie ich unterschiedliche Menschen begrüße: Der Alltag ist
bestimmt von vielen kleinen Ritualen. Manches hat sich dabei eingespielt, manches sich
bewusst festgesetzt.
Die Suche nach festen Strukturen und vertrauten Rahmenbedingungen reicht hinein bis
in die menschliche Seele und in zutiefst persönliche Fragen: Was kann mir helfen, damit
Beziehungen gelingen? Und noch persönlicher gefragt: Wer oder was prägt mich? Bin
ich überhaupt der, der ich sein möchte – oder jemand, den andere so gerne hätten?
Möchte ich die Fragen nicht verdrängen, brauchen sie einen festen Ort, wo sie gestellt
werden dürfen und einen Raum, wo ich Antworten erwarten kann. Von einem solchen Ort
haben die beiden biblischen Texte gesprochen. Im Buch Exodus übermittelt Mose dem
Volk Rechtsvorschriften – die Vorstellungen Gottes, wie Leben im Miteinander gelingen
kann. Und was tut Mose danach? Er besiegelt die Übergabe mit einem Ritus. Er errichtet
einen Altar, bringt ein Brandopfer dar und bestätigt mit dem Blut des Opfertieres das
Einwilligen des Volkes, die göttlichen Vorschriften zu befolgen.
Auch im Evangelium hören wir davon, wie ein Ritus entsteht: Die Feier der Eucharistie.
Jesus knüpft dabei an den Ritus aus dem Buch Exodus an, in dem auch er mit Blut
etwas besiegelt. Er bindet seine Hingabe für die Menschen an sein eigenes Blut, daran,
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dass er alles für die Menschen gibt, dass er nichts zurückgehalten hat, selbst sein
eigenes Leben nicht.
Jesus weiß um die erhaltende und Halt gebende Wirkung von Riten. Aber er weiß auch
um die Gefahr, dass Riten zur hohlen Form werden. Was nützt das Opfer eines Tieres,
wenn ich selber nicht bereit bin etwas von mir für andere zu opfern?
Was aber könnten Rituale – gerade religiöse Rituale – heute noch bedeuten? Stehen sie
nicht immer in der Gefahr, ausgehöhlt zu sein? Andersherum gefragt: Haben sie die
Kraft, mich persönlich herauszufordern, vielleicht sogar zu prägen?
Wie steht es zum Beispiel um die Verehrung der Hostie, dem gegenwärtigen Gott in der
Gestalt des Brotes am heutigen Fronleichnamsfest? Ist es willkommene Möglichkeit,
meinen Glauben einmal groß zu zeigen, wo ich doch sonst im Alltag Jesus nicht so einen
exponierten Platz einräume? Was ist in meinem Leben anders, weil ich an die
Gegenwart Gottes darin glaube?
Fronleichnam rückt den Ritus der Eucharistie in besonderer Weise in den Mittelpunkt und
hält uns Christen vor Augen: Gott selber bleibt nicht teilnahmslos, er kommt mir nahe.
Dieser Ritus möchte nicht Form bleiben, er möchte mich formen. Und wenn ich mich
darauf einlasse, verändert das mein Leben.
Welche Wirkkraft die Beziehung zu Jesus tatsächlich entfalten kann, wird hier auf der
Fazenda da Esperança, dem „Landgut der Hoffnung“ sichtbar.
Es ist eine franziskanische Lebensgemeinschaft, die vor über 30 Jahren in Brasilien aus
dem Leben einiger engagierter Mitglieder einer katholischen Kirchengemeinde entstand
und seit fast genau sechs Jahren hier in der Nähe von Xanten eine Niederlassung
gefunden hat. Eine der Aufgaben ist es, Menschen aus Krisensituationen aufzufangen.
Konkret leben einige Drogenabhängige hier auf dem Landgut zusammen mit Menschen
die dieser geistlichen Gemeinschaft angehören. Im Miteinander gilt es, alte
Gewohnheiten aufzugeben und neue Rituale zu finden. Die Erfahrung zeigt hier:
Menschen können ihr Leben neu gestalten, selbst aus einer so starken Prägekraft wie
der Droge, finden viele in ein selbstbestimmtes Leben zurück.
Über die zwei Jahre, in denen ich hier immer wieder zu Gast sein darf, habe ich zu vielen
der Menschen eine sehr persönliche Beziehung aufgebaut. Darin hat mich vor allem
beeindruckt, in welcher Weise viele ihr Leben um-formen, manchmal sogar auf den Kopf
stellen lassen und welch große Bereitschaft dazu sie selber mitbringen.
Für mich wird hier in besonderer Weise sichtbar, wie wirksam und konkret Gottes
verwandelnde Kraft sein kann, wenn ich sie wirken lasse. Denn solch eine Wandlung bis
hinein in gefestigte Persönlichkeitsstrukturen kann keiner aus eigener Kraft leisten. Diese
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Kraft wird hier geschenkt: In den festen Formen des Gebets und des täglichen
Bibelteilens. In der neuen Art der Beziehung untereinander, die Misstrauen durchbricht
und den Anderen ganz konkret zu lieben sucht. Und eben auch in der Messfeier, die hier
regelmäßig gefeiert wird. Nicht als äußere oder hohle Form, sondern als Ausdruck und
Fundament des alltäglichen Miteinanders. Für mich und viele andere Besucher des
Landgutes sind die Bewohner daher echte Zeugen dafür, dass Gottes Kraft verwandeln
kann. Sogar mich.
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