Call for Papers DAAD-Doktorandenkonferenz 2015 Was lehrt die Geschichte? Zur gesellschaftlichen, politischen und diplomatischen Relevanz historischer Analogien am Beginn des 21. Jahrhunderts Internationale Konferenz für Doktoranden und fortgeschrittene Masterstudierende mit Forschungsvorhaben an DAAD-geförderten Zentren 2015 Duitsland Instituut Amsterdam 8.-13. Dezember 2015 Abstract Thema der interdisziplinären Konferenz sind die zahlreichen und oft widersprüchlichen Referenzen auf die „Lehren der Geschichte“, die in aktuellen innen-, außen- und sicherheitspolitischen Debatten eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Gerade in den Jahren 2014 und 2015, in denen an eine ganze Reihe von historischen Ereignissen erinnert wurde und wird (Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Ende des Kalten Krieges), wendet sich der öffentliche Blick zur Orientierung in vielen europäischen Ländern der Geschichte zu. Die Tagung wird sich dieser Thematik auf zweierlei Weise nähern: Einerseits sollen die Akteure, Inhalte und Dynamiken derartiger Debatten beschrieben, analysiert und miteinander verglichen werden. Andererseits sind die Teilnehmer eingeladen, über (akademische) Strategien, Ressourcen und Methoden nachzudenken, die als Grundlage für eine wissenschaftlich reflektierte, historische „Politikberatung“ dienen könnten. Als Gastreferenten werden Experten aus dem akademischen Bereich, der Publizistik sowie der politischen und diplomatischen Praxis teilnehmen. Besondere Aufmerksamkeit gibt es im Programm für die regionale und globale Varianz der Diskurse über die aus der Geschichte zu ziehenden „Lehren“, denn gerade an den DAAD-geförderten Zentren betrachten Akademiker unterschiedlicher Herkunft mit unterschiedlichen Aktualisierungsbedürfnissen die Geschichte Deutschlands und Europas. Format • Die fünftägige Doktorandenkonferenz wird ca. 20 Teilnehmer aus den verschiedenen DAAD-geförderten Zentren zum Austausch und zur Vernetzung in Amsterdam zusammenzubringen. Aus jedem der Zentren kann in der Regel mindestens ein Vertreter teil-nehmen. Entscheidend sind jedoch die akademische Eignung und die Qualität der Bewerbung. • Die Teilnehmer vertreten verschiedene Fachdisziplinen. Sie sind Doktoranden oder fortgeschrittenen MA-Studenten. Die endgültige Teilnehmerauswahl erfolgt durch die Tagungsleitung in Rücksprache mit dem DAAD. • Die Teilnehmer stellen auf der Konferenz in Kurzvorträgen ihre eigenen Forschungsprojekte vor. Tagungssprache ist vornehmlich Deutsch, wobei auch englischsprachige Bei-träge akzeptiert werden. Teilnehmer sollten daher zumindest über gute passive Deutschkenntnisse verfügen. • Das Programm wird federführend vom Duitsland Instituut Amsterdam betreut. Einige etablierte Wissenschaftler aus dem Zentrennetzwerk werden ebenfalls Seminare leiten. • Die Unterkunft für die Dauer der Tagung wird vom DAAD mit Mitteln des Auswärtigen Amtes bereitgestellt. Reisekosten werden bei erfolgter Konferenzteilnahme in Anlehnung an das Bundesreisekostengesetz (BRKG) erstattet. Das Abschließen einer Reiseversicherung wird empfohlen, die anfallenden Kosten können jedoch nicht erstattet werden. Call Nachwuchswissenschaftler der Deutschland- und Europastudien aus dem Netzwerk der DAAD-Zentren sind herzlich eingeladen, sich um die Teilnahme an der Doktorandenkonferenz zu bewerben. Wir sammeln Beiträge und case studies zu den folgenden Teilthemen: • • • • Zur Rhetorik des Lernens: Historische Analogien als identitäts- und orientierungsstiftende Elemente öffentlicher Diskurse und erinnerungskultureller Debatten Zur Politik der Lehren: Historische Analogien als Argument in politischen Meinungsbildungsprozessen in konkreten politischen Krisen/Entscheidungssituationen Zur Praxis des Vergleichs: Angewandte historische Analogieziehung in diplomatischen, legislativen und exekutiven Zusammenhängen (Parteien, Ministerien, NATO etc.) Zum Lernen des Lernens: Anregungen für den Umgang mit historischen Präzedenzen Bewerbung • Zur Bewerbung gehören eine Projektskizze (max. 400 Worte), biographische Angaben und einen Hinweis auf das DAAD-Zentrum, an dem der Kandidat/die Kandidatin angebunden ist. Bitte reichen Sie alle Unterlagen in deutscher Sprache ein. • Bewerbungen sollen bis zum 31. August 2015 per Email geschickt worden an: Dr. Krijn Thijs, Duitsland Instituut Amsterdam: [email protected] Outline Die klassische Frage nach den „Lehren aus der Geschichte“ wurde in der vergangenen Zeit mit unerwarteter Dringlichkeit neu gestellt. Bei einer Gedenkstunde in Polen zum Kriegsausbruch vor 75 Jahren verband der deutsche Bundespräsident die politische Lage der Gegenwart direkt mit der Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges 1939. Mit Blick auf den Konflikt in der Ukraine mahnte Joachim Gauck, dass diese Geschichte lehre, dass man Aggressoren nicht geben solle, was sie verlangten – denn dies vergrößere nur ihren Hunger. Gauck verwies implizit auf das Münchener Abkommen von 1938 und warnte vor den möglicherweise fatalen Konsequenzen einer erneuten Appeasement-Politik. Die Rede wurde kontrovers rezipiert, gerade auch unter Historikern, und in der Diskussion wurde vor allem diskutiert, ob Gauck hier in angemessener Weise auf ein historisches Beispiel verwiesen hatte, ob nicht eher die Eskalationsdynamik des Jahres 1914 Referenzpunkt seiner Rede hätte sein sollen, oder ob er sich vielmehr auf Deutschlands Rolle als Brückenbauer zwischen Russland und Westeuropa hätte beziehen sollen. Tenor der Debatte war jedoch eine grundsätzliche Skepsis gegenüber einer derartig expliziten Indienstnahme historischer Ereignisse zur Einordnung einer gegenwärtigen politischen Krise. Einige Wochen später ging Gauck auf die Kritik ein, indem er etwas differenzierter darauf verwies, dass die Kenntnis der Geschichte „uns“ doch mindestens dazu anhalte, in Szenarien und Alternativen zu denken und die möglichen Folgen politischen Handelns gründlich zu erörtern. Die Frage nach den historischen Analogien und den „Lehren“ aus der Geschichte spielt nicht nur in aktuellen politischen Krisen und Debatten eine große, oft aber nur ephemere Rolle, sondern sie ist auch in unterschiedlichen Fachdisziplinen immer wieder mehr oder weniger intensiv erörtert worden – in der zeithistorischen Essayistik, in politikwissenschaftlichen und politikgeschichtlichen Studien ebenso wie in Arbeiten zur europäischen Integration, zu internationalen Beziehungen und zu Deutschlands Rolle in Europa und der Welt. Es ist ein Anliegen der Doktorandenkonferenz, den Teilnehmern einen multidisziplinären Überblick über diese Forschungen zu verschaffen. Das Forschungsfeld der historischen Argumentationsweisen reicht dabei vom konkreten außenpolitischen policy und decision making hin zu innenpolitischen Debatten über Demokratie, Integration oder Datenschutz. Im Grunde gibt es kaum aktuelle Herausforderungen, denen nicht mit dem einen oder anderen Verweis auf historische Erfahrungen und Präzedenzen begegnet wird. Dabei erfüllen diffuse Referenzen wie konkrete Analogien ganz unterschiedliche Funktionen: Sie sollen gegenwärtige Ereignisse und Konstellationen erklären, sollen je nach Standpunkt meinungsbildend wirken oder konkrete politische Entscheidungen vorbereiten, legitimieren bzw. kritisieren und delegitimieren. Diese Beobachtungen nimmt die Konferenz zum Ausgangspunkt, um historische Analogieschlüsse einmal systematisch und interdisziplinär ins Zentrum der Betrachtungen zu rücken. Dabei wird sie entscheidend dadurch geprägt, dass die aus den DAAD-Zentren anreisenden Studierenden und Wissenschaftler ihre jeweils eigenen Fragen, Frageweisen und Erkenntnisinteressen mitbringen. Aus dieser multiperspektivischen Sicht werden folgende zwei Themenkomplexe als duales Programm – einer beobachtend-analytischen Diskursanalyse und einer engagiert-intervenierenden (historischen) „Politikberatung“ – behandelt: 1) In welchen Kontexten entstehen historische Vergleiche, wer artikuliert sie in welchen Formaten und Medien, mittels welcher Strategien und Sprechweisen? Wie entfalten sie ihre Wirkung und wie funktioniert das Analogisieren genau im Spannungsfeld zwischen öffentlicher Meinungsbildung und politischer Entscheidungsfindung? Welche Rolle spielen die unterschiedlichen Akteure – Politiker, Journalisten, Zeitzeugen (die das „Früher“ noch kennen), Wissenschaftler/„Experten“ und Intellektuelle? Auf welches historisches Wissen wird wie zurückgegriffen? Welche Bedeutung haben geschichts- und politikwissenschaftliche Fachliteratur, interne Expertisen oder popkulturelle Medien wie Literatur, Film, social media? Dabei wird die Herkunft und lokale Expertise der zu erwartenden Teilnehmer eine ganze Reihe von spannenden Einzelfällen einbringen können: In Asien fragt man sich beispielsweise, wie und was man von der bis heute als friedenssichernd erachteten EU-Integration über die Lösung tief sitzender regionaler Konflikte lernen kann; in Korea schaut man mit unterschiedlichen Fragen und Erwartungen auf die Teilung und Wiedervereinigung Deutschlands; und weltweit wird die Geschichte der deutschen „Vergangenheitsbewältigung“ als Vorbild für kritische Versöhnung studiert. 2) Zweitens soll die Tagung erörtern, wie der Verweis auf historische Ereignisse aus akademischer Warte aussehen sollte, welche Fragen und Fähigkeiten zu einer sinnvollen „Applikation“ von Geschichte führen, die nicht nur der Logik eines bestimmten politischen Kalküls gehorchen, sondern als gewissen wissenschaftlichen Standards angemessen gelten dürfen. Grundsätzliche „Lehren“ aus der Geschichte lassen sich häufig recht unzweideutig postulieren, wie etwa die These, dass der deutsche Antimilitarismus nach 1945 die Erfahrungen zweier Weltkriege widerspiegelte. Aber angewandt auf konkretes politisches Handeln wird deutlich, wie beliebig historische Ereignisse aktualisierbar sind und wie widersprüchlich die daraus ableitbaren politischen Handlungsweisen sein können. Das „Nie wieder Krieg“ oder „Nie wieder Auschwitz“ nach 1945 ist 1999 sowohl für als auch gegen die UN-mandatslose Intervention der NATO gegen Serbien zitiert worden. Deutschlands Rolle im sogenannten Krieg gegen den Terror oder im Ukraine-Konflikt erachten die Einen als zu zögerlich, die Anderen als zu aggressiv, wobei beide Seiten auf dasselbe geschichtliche Erbe deutscher Verbrechen verweisen. Was genau die Aussagen „wir haben gelernt“ und „historische Verantwortung wahrnehmen“ beinhalten sollten, wie man zu einer von Parteiund Interessenpolitik relativ distanzierten Definition von „Lehren“ und „Verantwortung“ kommen kann und welche Strategien, Ressourcen und Methoden geeignet sind, um den nach „Lehren“ suchenden Blick in die Geschichte zu strukturieren, sollen die Tagungsteilnehmer an konkreten, aktuellen Fallbeispielen untersuchen. Dabei geht es um konstruktive, kreative Anwendung ihres vorhandenen akademischen Wissens und dessen Übersetzung in politische Hintergrundinformationen und Handlungsalternativen. Im Austausch mit Experten aus Deutschland, den Niederlanden und darüber hinaus, die am politischen decision-making beteiligt sind oder waren und sich dabei auch auf eigene oder fremde akademische Expertise stützen, sollen die Nachwuchswissenschaftler sowohl die Vielfalt der bestehenden Praxis kennenlernen als auch zu eigenen engagiert-intervenierenden, aus ihrer eigenen Expertise schöpfenden Stellungnahmen angeregt werden. Gefördert vom Deutschen Akademischen Austauschdienst mit Mitteln des Auswärtigen Amtes.
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