Kenner der Zukunft Der Leipziger Managementtrainer und Trendforscher Sven Gábor Jánszky, 42, leitet das Institut 2b AHEAD Think Tank, in dem Wissenschaftler und Strategieberater gemeinsam arbeiten und in dem sich jährlich 250 Innovationschefs versammeln. In seinem Buch „Das Recruiting-Dilemma“ beschreibt der Forscher die weit reichenden Folgen des Fachkräftemangels. Trendforscher Sven Gábor Jánszky prophezeit Beschäftigten eine goldene Zukunft 20 A R B E I T S W E LT E N INTERVIEW Alles fordern, alles kriegen Der umgedrehte Arbeitsmarkt 2025 – Zukunftsforscher Sven Gábor Jánszky sagt voraus: Die Unternehmen werden sich bei den Arbeitern bewerben müssen Herr Jánszky, haben Sie in Ihrem Leben schon einmal eine Bewerbung geschrieben? Das habe ich tatsächlich, direkt nach meinem Studium. Aber es war eine Proforma-Bewerbung auf eine Stelle als Jugendredakteur bei der ARD. Alles war schon zuvor geregelt. Glauben Sie, dass es in zehn Jahren noch Bewerbungen geben wird? Es wird Gespräche geben, aber unter anderen Vorzeichen. Ich glaube, dass die Unternehmen sich bei den Mitarbeitern bewerben werden. Foto: Wolf Heider-Sawall für FOCUS-Magazin Warum das? Wir haben es beim Arbeitsmarkt mit einer reinen Marktwirtschaft zu tun, die nach Angebot und Nachfrage funktioniert. Bisher hatten wir zu wenige Jobs für zu viele verfügbare Arbeitskräfte. Das Ergebnis war Massenarbeitslosigkeit. In den nächsten zehn Jahren wird sich der Arbeitsmarkt umdrehen. Auf absehbare Zeit wird es immer zu wenig Menschen geben für die vielen Jobs. Warum ist Vollbeschäftigung für die Unternehmen ein Horrorszenario? Weil sie zu einer ganz wesentlichen Neuerung führt. Die Menschen werden bald begreifen, dass sie nach einem Jobverlust am nächsten Tag fünf FOCUS-SPEZIAL oder mehr neue Angebote haben. 30 bis 40 Prozent der Beschäftigten werden auf diese Weise mittelfristig zu Projektarbeitern werden. Sie sind für eine befristete Zeit, vielleicht zwei oder drei Jahre, bei einem Unternehmen angestellt und verlassen danach ihr Projekt – oder sogar das Unternehmen. Die Firmen kostet das richtig Geld, weil sie sich immer wieder neu um diese Hochqualifizierten bemühen müssen. Welche Gruppe bereitet die größten Probleme? Nicht so sehr die Hochschulabsolventen. Uns fehlen vor allem die etwas überdurchschnittlich ausgebildeten, die klassischen Fachkräfte. Zwar wird die Frauenförderung und die Zuwande- „Die Urangst vor der Arbeitslosigkeit verfliegt allmählich“ Sven Gábor Jánszky rung qualifizierter Arbeitskräfte einiges auffangen. Trotzdem werden in zehn Jahren zwei bis fünf Millionen dieser Fachkräfte fehlen. Wie müssen wir uns den modernen Projektarbeiter vorstellen? Als jemanden, dessen Leben sich nicht mehr in den herkömmlichen drei Lebensphasen Ausbildung, Arbeit, Rente abbilden lässt. Die modernen Patchwork-Biografien sind vielfältiger und umfassen deutlich mehr Lebensphasen. Projektarbeiter befinden sich zumeist in einer sehr flexiblen und mobilen Lebensphase. Sicherheit, Status und Geld zählen nicht so sehr. Dafür die persönliche Herausforderung, der Wert und Sinn eines Jobs und das Team. Die Urangst vor der Arbeitslosigkeit verfliegt allmählich. Wir gehen heute von etwa 1,3 Millionen Projektarbeitern aus, in zehn Jahren könnten es zehnmal so viele sein. Das klingt hübsch, aber läuft es nicht häufig auf eine prekäre Beschäftigung von Tagelöhnern ohne soziale Absicherung hinaus? Natürlich wird es auch die Situation geben, wo sich freie Anbieter nicht richtig absichern. Aber Projektarbeiter verdienen meist gut genug, um ihr eigenes 21 INTERVIEW Schicksal stärker in die Hand zu nehmen. In dieser Gruppe wird sich der überwiegende Teil außerhalb des gesetzlichen Systems gut absichern. ten. Niemand will 25 Jahre lang Urlaub machen. Die Politik scheut sich vor der Aussage, dass die Menschen in Zukunft erst ab 75 in Rente gehen werden. Sie gelten als Verfechter des Studiums für alle. Was entgegnen Sie jenen, die vor einem Akademisierungswahn warnen? Im Moment ist die Wechselbereitschaft deutscher Arbeitnehmer noch vergleichsweise moderat. Warum gehen Sie davon aus, dass Fluktuation zum Standard wird? Ganz einfach weil die Nachfrage größer ist als das Angebot an guten Mitarbeitern. Die Machtposition des Beschäftigten ist deutlich gewachsen, das spüren viele Unternehmen schon jetzt. Was bedeutet das für das Personalmanagement? Die Manager müssen lernen, dass sich die Unternehmen bei den Mitarbeitern bewerben müssen und nicht umgekehrt. Das geht nicht über eine HR-Abteilung, sondern direkt über die Führungskräfte und deren persönliche Netzwerke. Es wird Unternehmen geben, die sehr professionell mit der Flexibilität der Mitarbeiter umgehen. Sie ziehen Mitarbeiter an und geben sie nach einer gewissen Zeit wieder frei – allerdings ohne sie aus dem Auge zu verlieren. Wir nennen sie die „Fluiden Unternehmen“. Andere Firmen, vor allem der Mittelstand und Arbeitgeber in der Provinz, können von diesen Projektarbeitern kaum profitieren. Diese Unternehmen werden versuchen, die Mitarbeiter über besondere Fürsorge fest an sich zu binden. Um im Wettbewerb um fähige Mitarbeiter nicht abgehängt zu werden, bauen diese „Caring Companies“ Bindungen in das soziale Umfeld des Mitarbeiters auf. Sie pflegen ein Corporate Life mit Angeboten für Wohnen, Familienplanung, Bildung und Gesundheit. Der Betriebskindergarten oder die Schule für Mitarbeiterkinder zählt dazu ebenso wie eine eigene Pflegeeinrichtung für die Großeltern. Allen Gegenmaßnahmen zum Trotz prognostizieren Sie ein massives Recruiting-Dilemma. Welche Aufgabe kommt der Politik zu? Sie muss sich vor allem von alten Denkdogmen verabschieden. Die Rente ab 63 ist völlig kontraproduktiv. Die Menschen wollen und sollen länger arbei22 „An unseren Unis lernen die Studenten einen Faktenkanon. Das ist aus einer alten Zeit“ Sven Gábor Jánszky Da einfache Arbeiten zunehmend automatisiert werden, brauchen die Menschen für die Jobs der Zukunft ein Studium, das die Kompetenz vermittelt, nicht nur komplizierte Prozesse zu beherrschen, sondern auch die Vorgänge zu reflektieren und Dinge in Frage zu stellen. Leider erfüllt das Studium dies bei Weitem nicht. An unseren Unis lernen die Studenten einen Faktenkanon. Das ist aus einer alten Zeit, in der es noch wertvoll war, Wissen im Kopf zu haben. Computer können das aber besser als Menschen. Wichtig ist, dass die Akademiker die Verbindung zwischen den Fakten herstellen können. Auch die Grundvorstellung, dass wir am Beginn unseres Lebens einen Abschluss machen, der für den Rest des Lebens reicht, ist Quatsch. Ein Studienabschluss gilt maximal für die nächsten zehn Jahre, dann muss man wieder neu lernen. Studium muss ständiges Weiterbilden sein, und zwar nicht in zweitägigen Incentive-Seminaren, sondern in richtig langen Lernabschnitten. Was können die Fachkräfte der Zukunft von den Unternehmen verlangen? Sie können alles verlangen – und werden es auch kriegen. Wenn sie sich dauerhaft an die Firma binden wollen, können sie eine anspruchsvollere Schulausbildung für die Kinder durchsetzen oder eine Doppelhaushälfte für eine günstigere Miete. In puncto Weiterbildung können die Mitarbeiter erwarten, dass das Unternehmen ihnen in gewissem Abstand ermöglicht, etwa an einer Universität ihr Wissen aufzufrischen. Die Projektarbeiter werden das gleiche von ihren Headhuntern erwarten, deren Berufsbild sich ebenfalls mehr in die Rolle eines Agenten entwickeln wird. Wie im Profi-Fußball wird es für die wertvollen Projektarbeiter diesen persönlichen 360-GradManager geben, der einen Vertrag mit dem Mitarbeiter abschließt und dessen Marktwertsteigerung garantiert. ■ INTERVIEW: BARBARA ESSER / HERBERT WEBER FOCUS-SPEZIAL Foto: Wolf Heider-Sawall für FOCUS-Magazin A R B E I T S W E LT E N ENTDECKE WAS NEUES: FREE MEN S WORLD Das Abenteuermagazin Reportagen, die neue Horizonte öffnen Bilder, die Sehnsucht wecken Abenteuer, die jeder erleben kann JETZT IM HANDEL www.freemensworld.de
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