LEIBNIZ | ERNÄHRUNG um die soziale Organisation der Nahrungsbeschaffung geht. Aus den vier Perspektiven ergibt sich ein Gesamtbild, das uns die Ernährung in der Steinzeit nahe bringt. So erfahren etwa die Besucherinnen und Besucher, wie der Mensch vor etwa 40.000 Jahren lernte, das Spektrum seiner Nahrungsquellen zu erweitern, und auch Vögel, Hasen und Kaninchen verzehrte. „Hier erkennen wir den heutigen Menschen gut wieder: Schließlich konsumieren wir nach wie vor auch eine große Bandbreite von Tieren“, resümiert Lutz Kindler. Proteinreich und fett Die Paläo-Abende liegen voll im Trend. Was bei „Jägers und Sammlers“ auf den Tisch kam, das ist en vogue. Die vielen Kochbücher, Sendungen, Restaurants, die mit dem Slogan „Essen wie in der Steinzeit“ werben, zeugen davon. Und: Der moderne Mensch will sich gesünder, regionaler, möglichst auch nachhaltiger ernähren und Lebensmittel wie Milchprodukte und Getreide eher vermeiden. Steinzeitkost also, denn der Altsteinzeit-Mensch lebte von dem, was er fand oder erjagen konnte. Ackerbau und Viehzucht waren noch kein Thema. Aßen aber unsere Vorfahren wirklich gesünder als wir? Und wie nah Geschirrkultur im Wandel der Zeit Kunst für die Suppe. Die Keramik expertin Silvia Glaser mit einem heute nicht mehr allgemein gebräuchlichem Geschirr. 32 3/2015 LEIBNIZ | ERNÄHRUNG kommen die Menüs der PaläoAbende an den steinzeitlichen Speiseplan wirklich heran? Strategien zum Überleben Fotos: Monika Runge/GNM (2) Für Lutz Kindler greifen solche Fragen zu kurz. Ernährung in der Steinzeit – das hieß vor allem, das Problem der Essensbeschaffung zu lösen. „Hunger“, sagt der Wissenschaftler, „ist ein 3/2015 Ein Blick in die Geschirrschränke moderner Haushalte zeigt es: Saucieren und schwere Fleischplatten werden hierzulande immer seltener gekauft. Auch die gute alte Suppenterrine lebt höchstens als Dekoration weiter. Denn die traditionelle deutsche Küche mit Suppe, Braten, Sauce und Kartoffeln befindet sich längst auf dem Rückzug. „Das Geschirr bildet nicht nur unsere Vorstellungen vom Essen ab, sondern zeigt auch, wie unsere Kultur sich insgesamt wandelt“, erklärt Silvia Glaser, Leiterin der Sammlung „Gewerbemuseum und Design“ am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Dies war offenbar schon in der Steinzeit so. Die Neandertaler waren Nomaden, die ihrer Jagdbeute hinterher zogen. Sie trugen allenfalls Faustkeile und Klingen aus Stein oder Gerätschaften aus Holz und Knochen mit sich. Gekocht wurde in Erdmulden aus festgestampftem Lehm, die man manchmal mit einem Stück Leder auskleidete. Mit Hilfe heißer Steine konnten in solchen Gruben Flüssigkeiten erwärmt werden. Und selbst im Mittelalter seien kaum mehr als ein großer Topf und Holzbretter auf den Tisch gekommen, berichtet die Keramikexpertin. Das Besteck — Bratspießgabel und Messer — brachte brachte jeder Gast selbst mit. Mit der Re- zentraler Motor der menschlichen Entwicklung.“ Dass tierisches Eiweiß und Fett prächtige Energielieferanten sind, wussten offenbar schon frühe menschenartige Wesen. Bereits 3,4 Millionen Jahre alte Tierknochen aus Dikiia in Äthiopien tragen Schnittspuren von Steinmessern. Nahezu gleich alt sind die ältesten Steinartefakte aus Lomekwi am Turkanasee in Kenia. Um Tiere erlegen zu können, die größer, stärker und schnel- Deckelterrine aus Steingut (18. Jahrhundert) naissance wurden die Materialien dann wertvoller und vielfältiger. So mussten sich einfache Leute zwar weiter mit Holzgeschirr begnügen, aber das Bürgertum nutzte Becher und Teller aus Zinn. Und der Adel speiste aus Silbergeschirr. Mit dem zunehmenden Einfluss der französischen Küche setzte sich im Barock und Klassizismus schließlich eine opulente Geschirrkultur mit wertvollen Porzellanen und kunstvollen Dekors durch. Die erlesenen Speisen sollten angemessen präsentiert werden. Die großen Service mit mehreren hundert Teilen sind bis heute erhalten. Sie wurden an Deutschlands Höfen von Mitte des 18. Jahrhunderts an gesammelt. Das Geschirr war und blieb stets Ausdruck des Zeitgeistes – auch im 20. Jahrhundert. So kamen mit den Gastarbeitern aus Italien nicht nur Pizza und Pasta ler waren als unsere Vorfahren, mussten die Steinzeitmenschen Strategien entwickeln: So gingen sie in der Gruppe jagen und fertigten geeignete Waffen. Die Entwicklung des menschlichen Soziallebens sowie erste technische Innovationen waren also direkt mit der Nahrungsmittelbeschaffung verknüpft. Zudem entwickelten unsere Vorfahren im Zuge der Evolution einen für die Jagd geeigneten Körperbau: Die Beine wurden länger, der nach Deutschland, sondern in den 1970er Jahren auch übergroße Teller: „Hersteller von Geschirrspülmaschinen mussten ihre Geschirrkörbe in den Spülmaschinen vergrößern, damit die neuen Pizzateller auch hineinpassten“, weiß Glaser. Der Asientrend der 1980er und 90er Jahre hingegen brachte kleine Platten und Schalen in eher puristischem Stil ins Esszimmer. Im schnelllebigen 21. Jahrhundert, in der die Rolle der Familie sich verändert und immer mehr Frauen berufstätig sind, Allergien sich häufen und Menschen sich ganz unterschiedlichen Ernährungsformen öffnen, beobachtet die Expertin nun vor allem zwei Trends: Zum einen investierten Frauen wie Männer immer weniger Zeit in einen kunstvoll gedeckten Tisch. Kaffeebecher, Frühstücksbrett und Müslischale lösten morgens das alte Frühstücksgedeck ab. Zum Mittagessen kämen immer mehr Gratins, Aufläufe und Suppen „aus einem Topf“ auf den Tisch. Zum anderen individualisierten sich Essgewohnheiten immer weiter. Fleischlos, getreidelos, kohlenhydratarm, vegan oder glutenfrei: „Die Palette dessen, was Menschen heute auftischen, wird immer größer“, berichtet Glaser. Dementsprechend bunt werde auch das Geschirr kombiniert – selbst zu besonderen Anlässen. 33
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