LEIBNIZ | ERNÄHRUNG Speisen wie zur Steinzeit Wovon unsere Vorfahren sich ernährten und was wir daraus bis heute lernen, darüber forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an mehreren Leibniz-Instituten. 30 Zooarchäologe Lutz Kindler mit einem alten Freund und Forschungsobjekt, dem Neandertaler 10.000 Jahren, so zu zeigen, dass der heutige Besucher sich in ihnen wiederentdeckt“, beschreibt Lutz Kindler, Zooarchäologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter in Monrepos, das Konzept des Hauses. In der Ausstellung des im Sommer 2014 wiedereröffneten Museums wird aus vier Blickwinkeln heraus die Geschichte der menschlichen Ernährung beleuchtet: der öko- logischen, die aufzeigt, dass Menschen Teil eines regional unterschiedlichen Nahrungsnetzes sind; der energetischen, die die Verwertbarkeit der Nahrung und den menschlichen Stoffwechsel thematisiert; der technologischen, die zeigt, wie die paläolithische Küche aussah und mit welchen Waffen gejagt wurde; und schließlich der strategischen, bei der es Fotos: Nicole Viehöver/MONREPOS (2) Waldpilze, Wildkräuter, Beeren, Fleisch, genau gesagt Wild: Aus diesen Zutaten kreiert Koch Sven Laschinski vom Bistro „Heimathirsch“ auch an diesem Abend wieder im Museum Monrepos ein schmackhaftes Menü. Wie stets ist es etwas ganz Besonderes, denn es orientiert sich am Speiseplan unserer Vorfahren aus der Altsteinzeit, dem Paläolithikum. Die Gerichte werden beim „Paläo-Abend“ serviert. Dieser findet zweimal im Monat im Archäologischen Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution, so der vollständige Namen, statt. Die Idee ist: Forschung erlebbar machen. Und das mit allen Sinnen. Das Abendessen ist dabei Teil des prähistorischen Erlebnisses. Zu vor werden die Gäste exklusiv von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern durch eine Ausstellung geleitet; denn zu dieser Zeit ist das Museum für die Öffentlichkeit bereits geschlossen. „Wir versuchen, die Menschen des Paläolithikums – also der Altsteinzeit – von vor 2,5 Millionen Jahren bis vor rund 3/2015 LEIBNIZ | ERNÄHRUNG Koch Sven Laschinski vom MuseumsBistro „Heimathirsch“ arbeitet bei den Paläo-Abenden mit den Zutaten unserer Urahnen. 3/2015 31 LEIBNIZ | ERNÄHRUNG um die soziale Organisation der Nahrungsbeschaffung geht. Aus den vier Perspektiven ergibt sich ein Gesamtbild, das uns die Ernährung in der Steinzeit nahe bringt. So erfahren etwa die Besucherinnen und Besucher, wie der Mensch vor etwa 40.000 Jahren lernte, das Spektrum seiner Nahrungsquellen zu erweitern, und auch Vögel, Hasen und Kaninchen verzehrte. „Hier erkennen wir den heutigen Menschen gut wieder: Schließlich konsumieren wir nach wie vor auch eine große Bandbreite von Tieren“, resümiert Lutz Kindler. Proteinreich und fett Die Paläo-Abende liegen voll im Trend. Was bei „Jägers und Sammlers“ auf den Tisch kam, das ist en vogue. Die vielen Kochbücher, Sendungen, Restaurants, die mit dem Slogan „Essen wie in der Steinzeit“ werben, zeugen davon. Und: Der moderne Mensch will sich gesünder, regionaler, möglichst auch nachhaltiger ernähren und Lebensmittel wie Milchprodukte und Getreide eher vermeiden. Steinzeitkost also, denn der Altsteinzeit-Mensch lebte von dem, was er fand oder erjagen konnte. Ackerbau und Viehzucht waren noch kein Thema. Aßen aber unsere Vorfahren wirklich gesünder als wir? Und wie nah Geschirrkultur im Wandel der Zeit Kunst für die Suppe. Die Keramik expertin Silvia Glaser mit einem heute nicht mehr allgemein gebräuchlichem Geschirr. 32 3/2015 LEIBNIZ | ERNÄHRUNG kommen die Menüs der PaläoAbende an den steinzeitlichen Speiseplan wirklich heran? Strategien zum Überleben Fotos: Monika Runge/GNM (2) Für Lutz Kindler greifen solche Fragen zu kurz. Ernährung in der Steinzeit – das hieß vor allem, das Problem der Essensbeschaffung zu lösen. „Hunger“, sagt der Wissenschaftler, „ist ein 3/2015 Ein Blick in die Geschirrschränke moderner Haushalte zeigt es: Saucieren und schwere Fleischplatten werden hierzulande immer seltener gekauft. Auch die gute alte Suppenterrine lebt höchstens als Dekoration weiter. Denn die traditionelle deutsche Küche mit Suppe, Braten, Sauce und Kartoffeln befindet sich längst auf dem Rückzug. „Das Geschirr bildet nicht nur unsere Vorstellungen vom Essen ab, sondern zeigt auch, wie unsere Kultur sich insgesamt wandelt“, erklärt Silvia Glaser, Leiterin der Sammlung „Gewerbemuseum und Design“ am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Dies war offenbar schon in der Steinzeit so. Die Neandertaler waren Nomaden, die ihrer Jagdbeute hinterher zogen. Sie trugen allenfalls Faustkeile und Klingen aus Stein oder Gerätschaften aus Holz und Knochen mit sich. Gekocht wurde in Erdmulden aus festgestampftem Lehm, die man manchmal mit einem Stück Leder auskleidete. Mit Hilfe heißer Steine konnten in solchen Gruben Flüssigkeiten erwärmt werden. Und selbst im Mittelalter seien kaum mehr als ein großer Topf und Holzbretter auf den Tisch gekommen, berichtet die Keramikexpertin. Das Besteck — Bratspießgabel und Messer — brachte brachte jeder Gast selbst mit. Mit der Re- zentraler Motor der menschlichen Entwicklung.“ Dass tierisches Eiweiß und Fett prächtige Energielieferanten sind, wussten offenbar schon frühe menschenartige Wesen. Bereits 3,4 Millionen Jahre alte Tierknochen aus Dikiia in Äthiopien tragen Schnittspuren von Steinmessern. Nahezu gleich alt sind die ältesten Steinartefakte aus Lomekwi am Turkanasee in Kenia. Um Tiere erlegen zu können, die größer, stärker und schnel- Deckelterrine aus Steingut (18. Jahrhundert) naissance wurden die Materialien dann wertvoller und vielfältiger. So mussten sich einfache Leute zwar weiter mit Holzgeschirr begnügen, aber das Bürgertum nutzte Becher und Teller aus Zinn. Und der Adel speiste aus Silbergeschirr. Mit dem zunehmenden Einfluss der französischen Küche setzte sich im Barock und Klassizismus schließlich eine opulente Geschirrkultur mit wertvollen Porzellanen und kunstvollen Dekors durch. Die erlesenen Speisen sollten angemessen präsentiert werden. Die großen Service mit mehreren hundert Teilen sind bis heute erhalten. Sie wurden an Deutschlands Höfen von Mitte des 18. Jahrhunderts an gesammelt. Das Geschirr war und blieb stets Ausdruck des Zeitgeistes – auch im 20. Jahrhundert. So kamen mit den Gastarbeitern aus Italien nicht nur Pizza und Pasta ler waren als unsere Vorfahren, mussten die Steinzeitmenschen Strategien entwickeln: So gingen sie in der Gruppe jagen und fertigten geeignete Waffen. Die Entwicklung des menschlichen Soziallebens sowie erste technische Innovationen waren also direkt mit der Nahrungsmittelbeschaffung verknüpft. Zudem entwickelten unsere Vorfahren im Zuge der Evolution einen für die Jagd geeigneten Körperbau: Die Beine wurden länger, der nach Deutschland, sondern in den 1970er Jahren auch übergroße Teller: „Hersteller von Geschirrspülmaschinen mussten ihre Geschirrkörbe in den Spülmaschinen vergrößern, damit die neuen Pizzateller auch hineinpassten“, weiß Glaser. Der Asientrend der 1980er und 90er Jahre hingegen brachte kleine Platten und Schalen in eher puristischem Stil ins Esszimmer. Im schnelllebigen 21. Jahrhundert, in der die Rolle der Familie sich verändert und immer mehr Frauen berufstätig sind, Allergien sich häufen und Menschen sich ganz unterschiedlichen Ernährungsformen öffnen, beobachtet die Expertin nun vor allem zwei Trends: Zum einen investierten Frauen wie Männer immer weniger Zeit in einen kunstvoll gedeckten Tisch. Kaffeebecher, Frühstücksbrett und Müslischale lösten morgens das alte Frühstücksgedeck ab. Zum Mittagessen kämen immer mehr Gratins, Aufläufe und Suppen „aus einem Topf“ auf den Tisch. Zum anderen individualisierten sich Essgewohnheiten immer weiter. Fleischlos, getreidelos, kohlenhydratarm, vegan oder glutenfrei: „Die Palette dessen, was Menschen heute auftischen, wird immer größer“, berichtet Glaser. Dementsprechend bunt werde auch das Geschirr kombiniert – selbst zu besonderen Anlässen. 33 LEIBNIZ | LICHT Körper richtete sich auf – gut, um schnell zu laufen und Speere zu werfen. Fleisch gekonnt zerteilen Energie- und Fettlieferanten: 30.000 Jahre alte aufgeschlagene Röhrenknochen. 34 Auch das Zubereiten und Haltbarmachen von Nahrung gehört zu den Fertigkeiten, die unsere Vorfahren im Laufe der Altsteinzeit entwickelten. An einer Fundstelle in Israel wurden vor etwa 800.000 Jahren Damhirsche ausgeweidet. „Die dort an- gewandte Praxis unterscheidet sich nicht von der in heutigen Metzgerbetrieben“, berichtet Kindler. Die ersten Gruben, in denen nahrhaftes Knochenmark ausgekocht wurde, sind 40.000 Jahre alt; und auch Fleischspeisen wurden in paläolithischen Kochstellen zubereitet, wie verschiedene Fundstellen belegen. Tierisches Fleisch war gewiss die wichtigste Nahrungsquelle der Menschen im Paläolithikum, aber nicht die einzige. Ottmar Kullmer, Forscher am Senckenberg Forschungsinstitut in Frankfurt/Main, untersuchte die Kauflächen von steinzeitlichen Backenzähnen. Sein Befund: Unsere Vorfahren nahmen auch viel Pflanzliches zu sich, jeweils in Abhängigkeit der regional-geografischen Gegebenheiten. „Wir haben Zähne verschiedener Jäger- und Sammlergruppen untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass die Zusammensetzung der Ernährung sehr unterschiedlich war: In nördlichen Regionen war der tierische Anteil der Nahrung unserer Vorfahren höher, im Nahen Osten und in mediterranen Regionen wurde vielfältiger gegessen; schlicht, weil es das Angebot hergab – Seafood, Wurzeln, Pflanzen“, berichtet Ottmar Kullmer. Die „extreme Anpassungsfähigkeit“ an die Gegebenheiten ist für den Paläontologen das Entscheidende. Die Menschen kamen im Prinzip überall klar, gleichgültig wie beschränkt das Nahrungsangebot war. An dieser enormen Flexibilität hat unsere kulturelle Entwicklung, insbesondere die Vielfältigkeit der Nahrungsaufbereitung, sicher einen erheblichen Anteil. Doch die Biologie unseres Organismus konnte mit der rasanten kulturellen Evolution nicht Schritt halten. Dies zeigt sich etwa am menschlichen Gebiss und Kiefer. Denn es bereitet uns gerade in den Industrienationen mittlerweile große Probleme. „Es herrscht kein Selektionsdruck mehr auf unserem Kauapparat; der Organismus reagiert darauf mit Reduktion. Zahnfehlstellungen und rückgebildete Kiefer gehören deswegen zu den Zivilisationskrankheiten. Unser Organismus ist evolutionär auf die Abnutzung der Zähne einge- Fotos: Sven Tränkner/Senckenberg, Nicole Viehöver/MONREPOS (2) Auf den Zahn gefühlt: Senckenberg- Forscher Ottmar Kullmer analysiert die Kauwerkzeuge unserer Vorfahren. 3/2015 LEIBNIZ | ERNÄHRUNG stellt; indem wir nur noch stark aufbereitete Nahrung zu uns nehmen und unsere Zähne nicht mehr wie in der Steinzeit stark beanspruchen, hebeln wir deren Funktion aus“, sagt Ottmar Kullmer. „Süß“ schmeckt gut — dank der Energiedichte Doch nicht nur was unser Kauwerkzeug betrifft, stehen wir heute noch auf dem Stand unserer Vorfahren; auch unser Geschmackssinn hinkt hinterher. „Unsere Ausstattung mit Geschmacksrezeptoren unterscheidet sich kaum von jener der Menschenaffen, und sie hat sich im Zuge der Menschwerdung nicht weiter verändert. Dabei ist Geschmack ein entscheidender Faktor bei der Auswahl unserer Nahrung“, sagt Maik Behrens vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung; „Süß signalisiert uns: Dieses Lebensmittel enthält wertvolle Kalorien.“ Daran hat sich über die Jahrtausende nichts geändert, obwohl wir heute nicht mühsam über Stunden Beeren sammeln müssen, um uns an deren süßem Geschmack zu erfreuen: Zuckerreiche Lebensmittel gibt es in Hülle und Fülle beim Supermarkt um die Ecke. Grundsätzlich erfüllen die Rezeptoren allerdings noch ihre Funktion. So warnt uns auch bitterer Geschmack wie schon unsere Vorfahren vor Gesundheitsgefahren. Mit bitteren Stoffen plagt jedoch Sven Laschinski seine Gäste nicht, wenn er zum PaläoAbend in Monrepos aufkocht. Sie sollen zwar lernen, was in der Steinzeit gegessen wurde – die Zutaten werden aber selbstverständlich „nach heutiger Raffinesse zubereitet“, sagt Constanze Kamm vom MuseumsMarketing. Während des Essens haben die Besucherinnen und Besucher Gelegenheit, Fragen zur steinzeitlichen Ernährung zu stellen; denn die Wissenschaftler sitzen ebenfalls am Tisch. Der Austausch ist wichtig: „Zum einen macht es Spaß. Zum anderen regen uns die Fragen der Besucherinnen und Besucher zu neuen Perspektiven in der Forschung an; etwa wenn es um die Haltbarmachung von Nahrung geht“, berichtet Forscher Kindler. Das gute Essen spielt im zweiten Teil der Paläo-Abende selbstverständlich die Hauptrolle. Und was kommt heute auf den Tisch? Wildhasenkeule in pikantem Kirsch-Bratenjus, als Dessert Waldbeeren-Apfelragout mariniert mit wildem Waldhonig – das hätte auch unseren Vorfahren geschmeckt. Na dann guten Appetit! WIEBKE PETERS Steinzeit-Menü Die Paläo-Abende im Archäologischen Forschungs zentrum MONREPOS unter dem Motto „Wilde Küche im Schloss der Forscher“ finden etwa ein bis zwei Mal pro Monat freitags um 18 Uhr statt. http://monrepos-rgzm.de/ Steinzeitliche Lebensmittel, serviert im modernen Gewand. 3/2015 35
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