Samstag 13.2.2016, 20 Uhr Tafelhalle My Illness is the Medicine I Need Werke von Johann Sebastian Bach, Thomas Larcher und Max Reger Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit der Tafelhalle. Das ensemble KONTRASTE wird gefördert durch die Stadt Nürnberg, den Bezirk Mittelfranken und den Freistaat Bayern. Johann Sebastian Bach (1685-1750) Triosonate G-Dur BWV 1038 für Flöte, Violine und Continuo Largo Vivace Adagio Presto Johann Sebastian Bach Chaconne aus der Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004 für Violine solo mit der begleitenden Klavierstimme von Robert Schumann Thomas Larcher (*1963) „My Illness is the Medicine I Need“ für Sopran, Violine, Violoncello und Klavier (2002) My illness is the medicine I need I think I will stay here until I die Eat and sleep I like it when people ask me the time I don’t know why I’m here Once they give you an injection Pause Max Reger (1873-1916) Romantische Suite op. 125 arrangiert für Kammerensemble von Arnold Schönberg und Rudolf Kolisch Notturno Scherzo Finale Barbara Cole Walton Sopran Anke Trautmann Flöte Thomas Sattel Klarinette Pawel Zalejski Violine I Charlotta Eß Violine II Julia Barthel Viola Cornelius Bönsch Violoncello Rolf Schamberger Kontrabaß Dunja Robotti Klavier & Stefan Danhof Klavier Gunther Rost & Stjepan Molnar Harmonium Ralf Waldner Cembalo Thomas Witte Moderation „My Illness is the Medicine I need“ „My illness is the medicine I need“ – ist dies ein Konzert über psychische Erkrankungen? Geht es um die vieldiskutierte Beziehung zwischen künstlerischer Kreativität und Krankheit? Gar um die Frage der Nähe von musikalischem Genie und Wahnsinn? Nein, dies ist in erster Linie ein Konzert mit spannender, interessanter und schöner Musik! Und doch bilden obige Themen eine Art Grundierung des Abends, denn: Im Zentrum von Thomas Larchers Komposition stehen Äußerungen von Psychiatriepatienten; die Depressionen und der Alkoholismus des Komponisten Max Reger sind bekannt; Robert Schumann endete bekanntlich in der Psychiatrie – Fakten, die beim Hören ihrer Musik bewusst oder unbewusst präsent sind, auch wenn die konkrete Musik davon nichts erzählt. Doch am Anfang des Konzerts steht der psychisch kerngesunde Johann Sebastian Bach – für Reger „Anfang und Ende aller Musik". Johann Sebastian Bach – Kapellmeister und Kantor Spitzenpositionen für Musiker waren zu Bachs Zeiten im Thüringer Raum entweder Kapellmeister an einem Fürstenhof, was finanziell und künstlerisch attraktiv war, aber auch unsicher, oder man war beamteter Kirchenmusiker, Kantor, in einer der bedeutenden Städte der Region, in vielerlei Hinsicht abhängig, mit weniger Geld, aber relativ sicherer Stellung. Johann Sebastian Bach hat bekanntlich beides praktiziert und dabei die jeweiligen Vor- und Nachteile gründlich erfahren müssen. Heute dominiert in unserem Bach-Bild eindeutig der Leipziger Thomaskantor, der fromme Schöpfer geistlicher Werke. Doch es gibt den anderen, sozusagen weltlichen Bach, der in seiner ersten Lebenshälfte, überwiegend an Fürstenhöfen wirkend, den Großteil seiner Orgelkompositionen, weltliche Kantaten, die Brandenburgischen Konzerte und die Werke für Violine und Cello solo geschaffen hat. Triosonate BWV 1038 Im 17. Jahrhundert kam häusliche Instrumentalmusik in Mode. Ganz besonders beliebt waren die Triosonaten – ein etwas irreführender Name, da diese Stücke nicht unbedingt von drei Spielern aufgeführt werden. Die zwei gleichberechtigten Soloinstrumente, etwa eine Flöte und eine Violine, werden von einem oder mehreren Generalbass-Instrumenten begleitet. Bei Bachs Triosonate BWV 1038, aus seiner Leipziger Kantorenzeit, handelt es sich um lebendige, abwechslungsreiche Musik für Flöte, Violine und Basso continuo, auch wenn das Werk – zwar von Bachs Hand, aber ohne seinen Namen überliefert – einige Rätsel aufgibt. Das Stück weist nämlich genau denselben Bass auf wie die frühere Violinsonate BWV 1021. Hat sich Bach bei einem Auftragswerk so die Arbeit erleichtert, oder waren bei den Solostimmen möglicherweise Bachs Schüler am Werk? Man weiß es nicht. Die kurz zuvor entwickelte, mehrteilige Traversflöte war in der galanten Gesellschaft äußerst beliebt. Auch die Gattung der Sonate für Melodieinstrumente mit Cembalo-Begleitung war damals neu, und Bach experimentierte mit der Form. Im einleitenden Largo werden die beiden Teile nicht einfach wiederholt, beim zweiten Mal werden die Stimmen von Flöte und Violine neu geführt und rhythmisch geschärft. Es folgt ein kurzes, motivisch ausgeprägtes Vivace. Die sich immer mehr fortspinnende Melodie des Adagio erinnert deutlich an den Satz Gute Nacht, o Wesen aus Bachs Motette Jesu, meine Freude. Im Presto entfaltet sich auf kunstvolle Weise eine komprimierte dreistimmige Fuge. Die berühmte Chaconne – geschätzt und gefürchtet Bach vermerkte auf dem Titelblatt des Autographs seiner Sei Solo a Violino senza Basso accompagnato das Jahr 1720. Sie entstanden also zu der Zeit, als er Kapellmeister und Kammermusikdirektor am Hofe Leopolds von Anhalt-Köthen war. Solowerke „senza basso“ waren ungewöhnlich. Die fehlende Begleitung und Bassunterstützung wurde durch Techniken wie Akkordgriffe oder latente Mehrstimmigkeit in der Komposition ausgeglichen. Unter den sechs Sonaten und Partiten für Violine solo nimmt die Partita d-Moll zweifellos eine Sonderstellung ein, schon wegen der alle Dimensionen sprengenden abschließenden Chaconne, einem Variationswerk über einem ostinaten Bass. Durch die Wiederholung der viertaktigen Basslinie entsteht ein in sich geschlossenes, achttaktiges Thema, das in der dreiteiligen Abfolge von Moll-Dur-Moll kühn variiert wird. Bachs Chaconne wurde über die Jahrhunderte hinweg bewundert, auch wegen ihrer enormen spieltechnischen Anforderungen. Johannes Brahms schrieb an Clara Schumann: „Die Chaconne ist mir eines der wunderbarsten, unbegreiflichsten Musikstucke. Auf ein System, fur ein kleines Instrument, schreibt der Mann eine ganze Welt von tiefsten Gedanken und gewaltigsten Empfindungen. Hätte ich das Stuck machen, empfangen können, ich weiß sicher, die ubergroße Aufregung und Erschutterung hätten mich verruckt gemacht.“ In neuerer Zeit wurde von der Musikwissenschaftlerin Helga Thoene die Hypothese vertreten, dass Bach die d-Moll-Partita und speziell die Chaconne als „klingendes Epitaph“ für seine verstorbene erste Frau komponiert habe. Ansatzpunkt ist die traurige Tatsache, dass Bach, im Juli 1720 ahnungslos mit seinem Fürsten von einem Aufenthalt aus Karlsbad zurückkehrend, seine Frau Maria Barbara als tot und begraben erfahren musste. Hinweise für die „Epitaph-Theorie“ gäben die Motive aus endzeitlichen, auf das Sterben bezogenen Chorälen, die Bach in der Partita versteckt habe. Schumanns Klavierbegleitungen Mit der öffentlichen Aufführung der Solo-Sonaten und -Partiten hatten Geiger bis weit ins 19. Jahrhundert nicht viel im Sinn. Der Leipziger Gewandhaus-Konzertmeister Ferdinand David weigerte sich noch 1839, im Rahmen der Leipziger „Historischen Concerte“ im Gewandhaus die Chaconne aus der Partita d-Moll vorzutragen. Erst als Felix Mendelssohn eine Klavierbegleitung hierzu schrieb, war er zur Aufführung bereit: „Er spielte ein Stuck aus jenen Sonaten fur Violine solo von denen jemand einmal verkehrt genug geäußert, es ließe sich keine andere Stimme dazu denken, was denn Mendelssohn-Bartholdy in bester Weise dadurch widerlegte, dass er sie auf dem Flugel accompagnirte, und so wundervoll zwar, dass der alte ewige Cantor seine Hände selbst mit im Spiele zu haben schien.“ Dies schrieb Robert Schumann in der „Allgemeinen Musikalischen Zeitung“, er hatte die Aufführung miterlebt, war begeistert und – machte sich selbst ans Werk. Er schuf Klavierbegleitungen zu den Bach´schen Sonaten und Partiten für Solovioline und Solocello. Diese reinen Solostücke galten damals als Übungsstücke für den Unterricht, nicht als Konzertliteratur. Erst mit Klavierbegleitung wurden sie für den Konzertsaal tauglich. Schumanns Arrangements dienten also zunächst aufführungspraktischen Zwecken, zeugen aber zugleich von seiner intensiven Beschäftigung mit Bachs Harmonik und Kontrapunktik. Schumann schuf seine Klavierbegleitungen zu den Violinsonaten von Johann Sebastian Bach in einer Zeit wachsender Depressionen und Misserfolgen als Dirigent. Im Jahr danach begann sein Gang in die Geisteskrankheit. Detaillierte ärztliche Protokolle aus seiner Zeit in der psychiatrischen Anstalt Bonn-Endenich dokumentieren das tragische Ende eines großen Geistes. Schumann in Endenich – Veröffentlichung der Krankenakten In dieser Anstalt wurde Schumann in den letzten zwei Jahren seines Lebens von Dr. Franz Richartz behandelt. Die von ihm und einem Assistenzarzt geführten Krankenakten waren lange Jahre im Besitz des Komponisten Aribert Reimann, der die Unterlagen von seinem Onkel, einem Nachfahren von Dr. Richartz, erhalten hatte, mit der Auflage, diese auf Grund der ärztlichen Schweigepflicht niemals zu veröffentlichen. Reimann gewährte zunächst Peter Härtling Einblick in die Berichte – in dessen Roman „Schumanns Schatten“ sind die Eindrücke literarisch verarbeitet –, und übergab sie dann Ende der 80er Jahre der RobertSchumann-Forschungsstelle. Deren Leiter Bernhard R. Appel veröffentlichte vor etwa zehn Jahren „Robert Schumann in Endenich (1854-1856) – Krankenakten, Briefzeugnisse und zeitgenössische Berichte“, ein wissenschaftliches Lesebuch über die letzten zwei Jahre Schumanns. Appel stellte die Krankenberichte in einen zeitlichen Zusammenhang mit zahlreichen – zum Teil bislang unveröffentlichten – Briefen und anderen Zeugnissen. Als unwiederbringlich verloren gelten allerdings Schumanns eigene Aufzeichnungen aus der Zeit. Man erfährt, dass Schumann Briefe schrieb, Noten studierte und Klavier spielte, bis in die letzten Tage arbeitete und Besuche von Freunden und Clara Schumann empfing – es bestätigt sich das Bild einer nach Kräften sorgenden und mitleidenden Gattin. All dies wird durch die nüchternen Berichte der beiden Ärzte Richard und Peters flankiert. Es wird ebenso sachlich über Stuhlgang und Einläufe berichtet wie über pathologische Sinnestäuschungen und nächtelange Schreianfälle. Der letzte Eintrag vor seinem Tod in Auszügen: „29. Juli 1856. War von gestern Mittag an ruhig, auch während der Nacht, nahm von seiner Frau ein paar Theelöffel Fruchtgelée und etwas Wein, heute Morgen freiwillig einige Löffelchen Gelée. Urinirte ins Bett. Abends starkes Schleimrasseln. Der Puls 120. Athmungen 44. Fast kein Zähneknirschen ... Beim heutigen Besuch seiner Frau freundlich, dieselbe anlächelnd. Bleiches Aussehen. Bei der Visite starkes Schleimrasseln. 30. Juli 1856: Gestern um 1 Uhr Mittags 60 Athmungen, Puls kaum fuhlbar. Starb um 4 Uhr Nachmittags“ Mit den Krankheitsursachen befassen sich medizinhistorische Stellungnahmen, welche auch die These einer Syphilis-Infektion im Jahr 1831 aufgreifen, auf die schon Schumanns frühere Tagebücher Hinweise liefern („das Frenulum gebissen“). Schumann sei also wie viele seiner Zeitgenossen an den Spätfolgen der Syphilis zugrunde gegangen. Doch gibt es auch andere Meinungen. Letztlich spricht viel für ein Zusammenwirken vieler Faktoren. Schon Schumanns Arzt hielt ja die Erkrankung nicht für eine spezifische Geisteskrankheit, sondern für einen Verfall der Organisation und Kräfte des gesamten Nervensystems. Anmerkung: Der Komponist Wilhelm Killmayer thematisierte Schumanns Psychiatrieaufenthalt in einem Werk: Schumann in Endenich. Der Komponist Thomas Larcher „Eine der prägnantesten kompositorischen Persönlichkeiten innerhalb der europäischen Musikszene“, schrieb die „Neue Zeitschrift für Musik“ über den 51-jährigen österreichischen Komponisten. Thomas Larcher wurde in seiner Jugend zunächst als Pianist bekannt, er spielte unter der Leitung bekannter Dirigenten, doch zunehmend widmete er sich dem Komponieren. Daneben gründete er das im Bereich der neuen Musik renommierte Festival „Klangspuren“, das er auch längere Zeit leitete, und das Kammermusik-Festival „Musik im Riesen“ in den SwarovskiKristallwelten in Wattens/Tirol. Heute pendelt der umtriebige Künstler zwischen seinem Komponier-Refugium in den Tiroler Bergen und den großen Konzertpodien der Welt. Er wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt erhielt er 2014 den Stoeger-Preis der Kammermusik-Gesellschaft des Lincoln Center New York, den mit 25.000 US-Dollar höchstdotierten Preis im Bereich der Kammermusik. In der Würdigung hieß es: „Als Komponist hat Thomas Larcher sowohl in großen als auch in kleinen Formaten Außergewöhnliches vollbracht. Besondere Anerkennung gebührt ihm für sein Werk im Bereich der Kammermusik, dieser so hoch konzentrierten Kunstform, für die seine grenzenlose klangliche Vorstellungskraft so trefflich geeignet ist. Seine Musik ist zutiefst kommunikativ und gleichzeitig doch kompromisslos und beinhaltet damit zwei essentielle Merkmale einer ungebrochenen Lebendigkeit der kammermusikalischen Tradition." Es sei schwer, die Musik des Komponisten festzunageln, schrieb der Kritiker der BBC anlässlich einer Aufführung von Werken Larchers. Damit ist etwas für Larcher sehr Wesentliches gesagt: Er lässt sich nicht auf einen „Personalstil“ fixieren, er ist offen, experimentierfreudig und neugierig, keiner „Schule“ verpflichtet. Doch bei aller Experimentierfreude ist ihm wichtig, den Zuhörer dabei mitzunehmen: „Viele moderne Komponisten haben ein Misstrauen gegen die grundlegenden Dinge im Menschen entwickelt. Dagegen komponiere ich an. Musik muss vom Körper verstanden werden.“ Das ensemble KONTRASTE hat bereits mehrfach Werke des Komponisten aufgeführt, 2014 die Komposition Kraken für Klavier, Violine und Cello und zuletzt 2015 Die Nacht der Verlorenen nach Gedichten von Ingeborg Bachmann – ein „Wunderland schwindelerregender und außergewöhnlicher Klänge“, wie die Londoner „Times“ schrieb. My Illness is the Medicine I Need Schon vor über einem Jahrzehnt demonstrierte Larcher mit dem Zyklus My Illness Is The Medicine I Need für Sopran und Klaviertrio sein starkes Interesse am Komponieren für die Singstimme. Die Texte entnahm der Komponist dem Magazin „Colors“ – ein Produkt der „Denkfabrik“ des Benetton-Konzerns –, dessen Heft 47 mit dem Titel „Madness/Follia“ Reportagen über Nervenheilanstalten auf der ganzen Welt enthält. Nach Larcher geben die ausgewählten Texte die Realität aus der Sicht von Patienten wieder, es sind Bruchstücke, Splitter aus einer anderen Welt: „Diese Sätze sind von starker innerer Kraft, erheben aber nicht den Anspruch, ein umfassendes Bild dieser Menschen zu vermitteln. Vielmehr erscheinen stroboskopartig Fetzen aus deren Welt.“ Larcher über die Komposition: „Die Texte werden stark nach musikalischen und strukturellen Vorgaben „instrumentalisiert“. Manchmal wird auch – im Schönberg'schen Sinne – gegen den Text komponiert. Demgemäß ist die Stimme in diesem Zyklus nur eines von vier Instrumenten ... Die Sängerin spricht oft mit und zu sich selbst. Sie sucht (den Texten entsprechend) sich selbst, sie ertastet sich ihre eigene Realität. Das hat zur Folge, dass die Stimme kaum espressivo oder mit exaltiertem Ausdruck eingesetzt wird, sondern meist in einem fahlen Ton verharrt, der den Texten Raum gibt. Sie ist in diesen Passagen nur ein Auslöser von Prozessen, welche sich dann in den anderen Instrumenten entladen." Das Werk fand viel Anerkennung, hier einige Sätze aus Besprechungen: „Dieser zarten Musik ist ihr eigenständiger Ausdruck wichtiger als eine avantgardistische Kompositionstechnik“ ... „Das Nichtwegkommen von einzelnen Tönen wird geradezu illustrativ in My Illness Is the Medicine I Need (2002), wo Larchers Kunst der Wiederholung mit ergreifender Schlichtheit und Poesie sich den Selbstaussagen psychisch Kranker widmet.“ ... „keine „Vertonung“, sondern subtile klanglich-suggestive Annäherung, Aufreißen seelischer Innenräume …" Max Reger – der Außenseiter Max Reger hatte kein einfaches Leben, denn er war kein einfacher Mensch. Vielmehr war er, glaubt man zeitgenössischen Schilderungen, eine zerrissene Persönlichkeit mit hochgestimmten, äußerst schaffensstarken, aber auch depressiven und selbstkritischen Phasen, voller Intellektualität aber auch rustikaler Derbheit. Sein lebenslanger Alkoholismus ist legendär. Aufgewachsen ist Reger in der oberpfälzischen Stadt Weiden. Nach einem Besuch der Bayreuther Festspiele beschloss der Fünfzehnjährige Komponist zu werden, gegen den Widerstand des Vaters. Zehn Jahre später, nach Studium und Lehrtätigkeiten, erlitt Reger als Folge von Militärdienst und beruflichen Rückschlägen einen nervlichen und physischen Zusammenbruch und kehrte 1898 ins Elternhaus zurück, hochverschuldet, alkoholabhängig und krank. In dieser Phase vertiefte er sich ganz ins Komponieren von Orgelmusik. Drei Jahre später, einigermaßen wiederhergestellt, zog er nach München. Hier, als BrahmsAnhänger musikalisch in Gegenposition zur vorherrschenden „Neudeutschen Schule“, blieb Reger zunächst heftig umstritten, obwohl er als Interpret eigener Werke zunehmend gefragt war und auch im Ausland gefeiert wurde. 1907 folgte er einem Ruf ans Konservatorium in Leipzig, 1911 wurde er Leiter der berühmten Meininger Hofkapelle. Eine exzessive Konzerttätigkeit, die Komponieren nur noch in der Sommerpause zuließ, führte Anfang 1914 zum Zusammenbruch und zur Aufgabe des Meininger Amts. Vom Kriegsdienst befreit – der 1. Weltkrieg hatte angefangen – begann er mit seiner Vaterländischen Ouverture und fast gleichzeitig mit einem monumentalen Requiem für die Gefallenen, das er aber abbrach. Nach einer letzten anstrengenden Konzertsaison 1914/15 starb Reger nach einem Herzanfall am 11. Mai 1916 – gerade einmal 43 Jahre alt. In seinem Hotelzimmer lagen aufgeschlagen die Korrekturabzüge seiner Motette Der Mensch lebt und bestehet nur eine kleine Zeit. Max Reger ist einer der großen Komponisten des beginnenden 20. Jahrhunderts, er war seinerzeit genauso berühmt wie Richard Strauss. Weil er aber bewusst seinen ganz eigenen Weg suchte, blieb er Außenseiter in der Musikszene – bis heute. Seine Musik ist zugleich vorwärts und rückwärts gerichtet, sie steht zwischen Tradition und Modernismus, sie ist sehr dicht und komplex, harmonisch anspruchsvoll, schwierig zu spielen und zu hören. Er war immer umstritten, Hindemith beispielsweise nannte ihn „den letzten Riesen in der Musik“, Strawinsky fand ihn „ebenso abstoßend wie seine Musik“. So ist es noch heute, es dürfte kaum einen anderen Komponisten geben, über den die Meinungen ein Jahrhundert nach dem Tod immer noch auseinandergehen. Eine Romantische Suite nach Joseph Eichendorff Reger komponierte das dreisätzige Werk 1912, inspiriert von drei Gedichten des Romantikers Joseph von Eichendorff: Nachtzauber, Elfe und Adler. Daraus wurden bei Reger zunächst Notturno – Mondnacht in Thuringen, Scherzo – Elfentanz und Elfenspuk, Finale – Helios, Sonnenaufgang. Reger in einem Brief: „Das ganze Werk nach Gedichten von Eichendorff als „Programm“! Ich habe ja bei meinen Leipziger Fahrten (er unterrichtete dort), wenn ich auf der nächtlichen Heimreise durch den Thuringer Wald fahre, so recht Gelegenheit, Thuringer Mondnacht kennen zu lernen.“ In der endgültigen Fassung verzichtete Reger aber auf diese plakativen Bezeichnungen und wählte stattdessen die nüchtern klingende Abfolge Notturno – Scherzo – Finale. Er verstand sich eben nicht als Programmmusiker, der die Gedichtinhalte musikalisch nachmalen würde – auch wenn ihre Ausdrucksmomente und tragenden Stimmungen kompositorisch umgesetzt und in Klang transferiert werden. Und doch bestand Reger darauf, dass die drei Gedichte unbedingt mit ins Programm kommen müssten, er meinte, ohne sie wäre das Werk „total unverständlich“. Der Beginn des Notturno lässt fast impressionistisch an die Stimmung von Debussys Prélude à l'après-midi d'un faune denken, doch geht Reger ganz anders mit Form und Melodie um, bei ihm wird nichts wiederholt, ohne variiert und entwickelt zu werden. Die träumerische Atmosphäre des Gedichts ist wunderbar eingefangen, es gibt sogar Stellen, die man als lautmalerisch empfinden könnte. Und in den Posaunen mehrfach das B-A-C-H-Motiv! Beim Scherzo, mit im nächtlichen Wald herumtollenden Elfen und Kobolden ist das Vorbild, Mendelssohns Sommernachtstraum-Musik, nicht fern. Doch Regers Version des traumhaften Geschehens ist wesentlich ruhiger und gebändigter. Das Finale beginnt wie das Notturno, so schafft Reger einen zyklischen Zusammenhang. Doch dann geht es mit intensivierter Bewegung dem Höhepunkt zu, die Sonne geht auf – am Schluss strahlendes E-Dur. Zur Aufführung gelangt eine Version für Kammerorchester, die 1920 von Arnold Schönberg und seinem Schüler Rudolf Kolisch erstellt und in Konzerten von Schönbergs „Verein für musikalische Privataufführungen“ in Wien mehrfach aufgeführt wurde. Im Kreis um Schönberg schätzte man Reger als progressiven Komponisten! Texte für Programmheft und Moderation: M.&.R. Felscher Texte zu My Illness Is the Medicine I Need My illness is the medicine I need. Meine Krankeit ist die Medizin, die ich brauche. I think I’ll stay here until I die, I’m tired of life. Ich denke, ich werde hier bleiben bis ich sterbe, ich bin des Lebens mude. I don’t like freedom. The world frightens me. Ich mag Freiheit nicht. Die Welt erschreckt mich. Eat and sleep. Eat and slep. The monotony here kills you. Essen und schlafen. Essen und schlafen. Die Eintönigkeit hier bringt dich um. I like it when people ask me the time. It’s almost a conversation. Ich mag es, wenn mich Leute nach der Zeit fragen. Das ist beinahe schon eine Unterhaltung. I don’t know why I’m here. I’ve no idea. Ich weiß nicht, warum ich hier bin. Ich habe keine Ahnung. I think people are brought here to be killed. Ich glaube, man bringt die Menschen hierher um sie zu töten. I’m scared to death. Ich ängstige mich zu Tode. Death will come to me covering all my body. And I will be silent forever. Der Tod wird kommen und meinen ganzen Körper bedecken. Und ich werde fur immer still sein. Once they give you an injection you instantly stop hearing voices. Wenn sie dir eine Spritze geben, hörst du sofort keine Stimmen mehr. Barbara Cole Walton, Sopran Die kanadische, auf Vancouver Island aufgewachsene Sopranistin Barbara Cole Walton studierte an der University of Victoria, British Columbia, und danach in Glasgow, am Royal Conservatoire of Scotland, wo sie nicht nur das Masterstudium in Opernmusik mit Auszeichnung abschloss, sondern auch den Master für Gesang erwarb. Sie war Stipendiatin der „Sylva Gelber Music Foundation“ und des „Canada Council for the Arts“ und wurde von einer Vielzahl weiterer Institutionen gefördert. In Opernaufführungen an der Hochschule sang sie unter anderem die Thérèse in Poulencs Die Bruste des Tiresias, die Lisette in Puccinis La Rondine, Die Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte und den Amore in Monteverdis Il ritorno d'Ulisse in patria. Weitere Rollen: in Rossini-Opern die Isabella in L'inganno felice und die Fanny in La cambiale di matrimonio, beide gesungen bei der RaucousRossini-Company; die „Wild goose“ und Fido in Brittens Paul Bunyan; in einer FAVA-Opera-Produktion die Euridice in Offenbachs Orpheus in der Unterwelt. Sie singt Solo-Partien in Händels Messias, im Requiem von Mozart, in dessen c-Moll-Messe und seiner Krönungsmesse, in Schuberts G-Dur-Messe, in Pergolesis Salve regina in f-Moll und der Missa Brevis von Kodaly. Sie ist engagierte Förderin zeitgenössischer Werke, hat in Workshops für neue Opern der Scottish Opera gesungen, u.a. die Titelrolle in Delia von Tom Cunningham und die Sopran-Rollen in The Doll Behind the Curtain von Amir Mahyar Tafreshipour, dies beim „Rough-for-Opera“-Projekt. Sie war erster Sopran in Matthew Whiteside's Kammeroper für drei Soprane, Puddle Wonderful, beim Sound-Festival für Neue Musik. Barbara Cole Walton sang auf persisch die kanadische Premiere von Tafreshipours In the Dark für Sopran und sechs Klarinetten. Eine kommende Rolle wird die Baucis in Glucks Baucis e Filemone sein. Musikkontraste in Nürnberg – ensemble KONTRASTE für Nürnberg Die Musikszene der Metropolregion ist so vielschichtig wie ihre Bevölkerung, sie lebt von der Vielfalt des Angebots. In dieser lebendigen Musikszene hat sich seit einem Vierteljahrhundert das ensemble KONTRASTE (eK) als „dritte Kraft“ neben der Staatsphilharmonie und den Nürnberger Symphonikern etabliert – als wichtiger Impulsgeber mit eigenem Profil: unkonventionell, spartenübergreifend, mit kontrastreichen Programmen. ensemble KONTRASTE © Stephan Minx KONTRASTE – Klassik in der Tafelhalle Die Magie des Orts, der „genius loci“, die spezielle Atmosphäre ist wichtig für jeden Künstler – unser Ort ist die Tafelhalle: Zeugnis des Untergangs der einstmals großen Nürnberger Schwerindustrie, von der Stadt wieder belebt als Spielort der freien Kulturszene Nürnbergs, heute im Kulturle ben der Stadt fest verankert. Und doch: Die Aura industrieller Geschichte, der Charme des Improvisierten blieb. Kein klassischer Musentempel, aber auch kein alternativer Schuppen. Die Assoziation „jung und frisch“ stellt sich ein, die Nähe (wörtlich, in Metern) zwischen Künstlern und Publikum ist ein unschätzbares Plus. Nur Äußerlichkeiten? Keineswegs. Kultur ist nicht nur das „Was“, sondern auch das „Wo“, das Ambiente, die schwer greifbare Stimmung unter „Gleichgesonnenen“ zu weilen: Das Publikum ist bunt gemischt, keiner Schicht und Altersgruppe zuordenbar, nur durch eines geeint: Offenheit für Unerwartetes und Neues, für alles, was nicht nur „Entertainment“ ist, was den geheimnisvollen „Mehrwert“ hat, der Kultur unverzichtbar macht. Mit konzeptionellen Konzerten, Puppenspiel, Stummfilm, Dichtercafé, durch die Zusammenarbeit mit kreativen Kultur-Schaffenden nimmt die eK-Reihe KONTRASTE – Klassik in der Tafelhalle eine herausragende Po sition im Angebot dieses Spielorts ein. Künstlerisches Niveau ist zwin gend, aber etwas ist absolut verboten: gepflegte Kultur-Langeweile!
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