„200“: Strafen und Bessern am Rhein 1815/2015. Impressum Editorial

Ausgewählte Literatur zum Thema
Falk Bretschneider, Martin Scheutz und Alfred Stefan Weiß (Hg.):
Personal und Insassen von „Totalen Institutionen“ – zwischen
Konfrontation und Verflechtung Leipzig: Leipziger Universitätsverlag2011.
Maximiliane Friedrich: John Howard und die Strafvollzugsreformen in Süddeutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert.
Frankfurt/Main u.a.: Peter Lang 2013.
Wilfried Küper: Carl Joseph Anton Mittermaier. Symposium 1987
in Heidelberg – Vorträge und Materialien. Heidelberg 1988.
Thomas Nutz: Strafanstalt als Besserungsmaschine. Reformdiskurs und Gefängniswissenschaft 1775-1848. München 2001.
Mario Da Passano (Hg.): Europäische Strafkolonien im 19. Jahrhundert. Deutsche Übersetzung von Thomas Vormbaum. Berlin
2006.
„200“: Strafen und Bessern am Rhein
1815/2015.
03.09.2015 – 27.10.2015
Präsentiert wird die Ausstellung im Eingangsbereich der Universitäts- und Stadtbibliothek.
Universitäts- und Stadtbibliothek Köln
Universitätsstraße 33
50931 Köln-Lindenthal
Öffnungszeiten: Mo – Fr 9 - 24 Uhr, Sa und So
9 - 21 Uhr; Eintritt frei.
Petra Recklies-Dahlmann: Religion und Bildung, Arbeit und Fürsorge. Die Rheinisch-Westfälische Gefängnisgesellschaft 18261850. Essen 2001.
Lars Hendrik Riemer (Hg.): Das Netzwerk der „Gefängnisfreunde“. Karl Josef Anton Mittermaiers Briefwechsel mit europäischen Strafvollzugsexperten. 2. Bände. Frankfurt/Main 2005.
Desirée Schauz: Strafen als moralische Besserung. Eine Geschichte der Straffälligenfürsorge 1777-1933. München 2008.
Desirée Schauz/Sabine Freitag (Hg.): Verbrecher im Visier der Experten – Kriminalpolitik zwischen Wissenschaft und Praxis im 19.
und frühen 20. Jahrhundert. Stuttgart 2007.
Frank Zadach-Buchmeier: Integrieren und ausschließen. Prozesse
gesellschaftlicher Disziplinierung: Die Arbeits- und Besserungsanstalt Bevern. Hannover 2003.
Editorial
Das Archiv der Universität zu Köln ist Schatzkammer für mehr als 100 Jahre Kölner Wissenschafts- und Hochschulgeschichte. Hier werden
aber nicht nur Akten aus Verwaltung und Lehre
aufbewahrt, sondern auch vielfältige Sammlungen, die in der Vergangenheit für Forschungszwecke von Instituten angelegt wurden. Dazu
gehört auch die 2012 vom Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht (ISS) an das Archiv
abgegebene Sammlung von mehr als 100
Druckschriften des 18. und 19. Jahrhunderts zur
Gefängnisreform – ein einzigartig dastehender
Bestand!
Bestände im Universitätsarchiv Köln
Spiegel der Entwicklung des Strafvollzugs
Impressum
Zugang 796: Reste der Direktionsbibliothek des Kölner Strafgefängnisses
Herausgeber:
Universität zu Köln, Universitätsarchiv
Zugang 796/II: Sammlungsbestand Kölner Gefängnisse.
Der Weg vom Strafvollzug der 1815 endenden
napoleonischen Epoche bis in das Jahr 2015 ist
lang. Aber schon vor 200 Jahren wurden Fragen
formuliert, mit denen sich Kriminologie, Strafvollzug und Rechtspolitik bis heute zu befassen
haben:
Zugang 823: Kriminologisches Institut, 1936-1960.
Text und Gestaltung: Dr. Andreas Freitäger
Druck: Hausdruckerei der Universität zu Köln
Auflage: 1.000 Exemplare
September 2015
Kompetenzzentrum – Schatzhaus – Geschichtsort
Der Strafvollzug in der Bundesrepublik steht
unter dem verfassungsrechtlichen Gebot der
Resozialisierung und Wiedereingliederung der
Haftentlassenen in ein möglichst eigenverantwortlich gestaltetes und geführtes Leben. Das
19. Jahrhundert pflegte die Ziele des Strafvollzugs als „Strafen“ und „Bessern“ zu beschrei-
ben, und, wo letzteres nicht möglich erschien,
die Gesellschaft möglichst lange vor den Kriminellen zu schützen.
„Straf- und Correctionsanstalten zu Köln“ –
„Strafanstalt zu Cöln“ – „Gefängnis zu Cöln“ –
„Justizvollzuganstalt Köln“. Die politischen
Systeme änderten sich
in den letzten 200 Jahren in Deutschland
mehrfach. Relativ konstant blieben die volkstümlichen Bezeichnungen für die Kölner Haftanstalt: „Bleche Botz“
für das alte Gefängnis im aufgehobenen Klarissenkloster an der Schildergasse und „Klingelpütz“ für den 1835 errichteten und bis 1969
genutzten Neubau am Eigelstein. Diese Bezeichnung ging auf die damals neu errichtete
JVA im Stadtteil Ossendorf über.
Dieser noch nicht einmal 50 Jahre alte Zweckbau gilt heutigen Anforderungen an den Strafvollzug als nicht mehr genügend. Gleiches galt
auch bei Planung des „Rheinischen Zentralgefängnisses“ an der Straße „Klingelpütz“. Es
sollte die neuesten Erkenntnisse der sich herausbildenden Gefängniswissenschaft umsetzen.
Als Rückspiegel in die Anfangszeit des Kölner
Gefängniswesens kann die in Teilen erhaltene
Bibliothek der Kölner Arrest- und Correctionsanstalten dienen. §
Von Napoleon zu den Preussen
„BLECHE BOTZ“ UND „KLINGELPÜTZ“
Eine der von den Rheinländern nach 1815 geschätzten Errungenschaft von 20 Jahren französischer Herrschaft waren die unter Napoleon erlassenen Gesetzessammlungen auf dem Gebiet des
Straf- und des Zivilrechts. Der Oberlandesgerichtsbezirk Köln blieb bis zur Einführung des
preußischen Strafgesetzbuches (1851) und des
Bürgerlichen Gesetzbuches (1900) Domäne des
„Rheinischen Rechts“: Unter diesem Namen
blieben Code penal und Code civil auch nach
Ende der französischen Herrschaft in Kraft.
Im Bereich der Strafverfolgung wurde das fortschrittliche französische Schwurgerichtsverfahren wurde energisch gegen das 1794 im übrigen
Preußen eingeführte Allgemeine Landrecht verteidigt. Ansonsten wurde im Kölner OLG-Bezirk
die Todesstrafe durch Enthauptung mit der
Guillotine und nicht, wie sonst in Preußen, mit
dem Handbeil vollstreckt – ein Zustand, den erst
die Nationalsozialisten änderten.
In den „Straf- und Correctionsanstalten zu Cöln“
(so die amtliche Bezeichnung der staatlichen
Vollzugseinrichtung nach dem in allen Bänden
eingedruckten Siegel) traf sich ein buntes Völkchen. In dem früheren Klarissenkloster an der
Ecke Schildergasse/Krebsgasse wurden seit 1798
gleichermaßen Straf- und Untersuchungsgefangene, Kinder und Jugendliche wie auch Erwachsene, sowie Bettler, „unsittlich“ lebende Frauen
und – Schuldgefangene eingesperrt.
Die Schuldhaft, eine zivilrechtlich begründete
Freiheitsentziehung gegen unwillige oder säumige Schuldner, gehörte zu den Erbschaften der
französischen Gesetzgebung: „Keine Gesetzgebung hat die Lehre von dem persönlichen Arreste als Vollstreckungsmittel so sehr auf feste
Grundsätze, … zurückgeführt, und ein solches
Detail von gesetzlichen Regeln vorgesehen, als
dies in der französischen Gesetzgebung der Fall
ist.“ (Carl Joseph Anton Mittermaier: Die persönliche Haft als Vollstreckungsmittel im Civilprozesse (Archiv für die civilistische Praxis
14/1831, H. 1, S. 115).
Weil der Zustand der Durchmischung von verschiedenen Formen der Freiheitsentziehung als
nicht tragbar angesehen wurde, entstand der
Plan zum Neubau eines „Rheinischen Zentralgefängnisses“, in dem die verschiedenen Gruppen
separat untergebracht werden konnten. Hier
sollte auch eine „Klassifikation“ der Häftlinge
nach der Schwere ihres Delikts und ihrer Führung
während der Haft durchgeführt werden.
Seinen Platz erhielt der 1835-1838 errichtete
Neubau an der Straße Klingelpütz auf dem Gelände des in französischer Zeit aufgehobenen
Augustiner-Chorherrenstiftes Herrenleicham.
den. Mit einer großen Anzahl schöner und
heller Räume versehen, scheint die ganze
Anlage einer durch eine doppelte Ringmauer
abgesonderten kleinen Stadt nicht unähnlich, in
welcher für alle nur denkbaren Bedürfnisse des
Lebens reichlich gesorgt ist.“ §
Neu - und schon veraltet?
VON PHILADELPHIA ÜBER LONDON NACH KÖLN
Das Kölner Gefängnis war 1835 nach dem in
Deutschland „noch wenig befolgten amerikanischen Strahlensystem“ des pennsylvanischen
Staatsgefängnisses in Philadelphia geplant und
gebaut worden.
Der 1844/45 errichtete vierte Flügel des Kölner
Gefängnisses war durchaus nach diesen „neuesten gefängniswissenschaftlichen Erkenntnissen“ errichtet: Wenngleich auch hier auf Zwischendecken zugunsten seitlicher Balustraden
und verbindender Treppen verzichtet worden
war, konnte das panoptische System hier nur
eingeschränkt von dem in diesem Trakt diensttuenden Aufsichtspersonal genutzt werden.
Dies kritisierte der Brauweiler
Anstaltsdirektor Ristelhueber –
wichtiger Vertreter der Gefängniswissenschaft im Rheinland – schon 1843 als wenig
effektiv, weil Direktor und
Wachpersonal bei den täglichen Rundgängen dieselben
Wege mehrfach zurücklegen
müßten.
Die „Kölnische Zeitung“ berichtete im Oktober
1838, daß „der Bau unseres nach einem großartigen Maßstabe angelegten neuen Korrektionshauses nunmehr soweit fortgeschritten ist,
daß die Translocierung [Überführung] der Gefangenen aus dem alten in das neue Gebäude
noch im Laufe dieses Monats wird stattfinden
können.“
HUMANER STRAFVOLLZUG ANNO 1838
„Zeugnis ablegend von den humanen Grundsätzen unser väterlich
gesinnten Regierung gegen alle
Klassen der Gesellschaft, darf diese
mit wahrhaft königlicher Freigebigkeit ausgestattete neue Anstalt,
nach dem Urteile
hierzu befähigter
Männer, allen derartigen Instituten
als nachahmenswertes Muster empfohlen wer-
rungsanstalten 3/1843, S. 268). In Pentonville
war ein Wachpersonal sparender panoptischer
Zentralbau errichtet worden, von dem alle Zellentrakte strahlenförmigen abgingen. In diesen
konnten, da die Geschosse nicht durch Deckengewölbe gegeneinander abgeschlossen waren,
alle Hafträume überwacht werden.
Eine Bildpostkarte aus der Zeit um 1910 zeigt
das Tor- und das Direktorwohnhaus des „Klingelpütz“ und den vierstöckigen Einzelzellentrakt, an dessen Ende ein achteckiger Zentralbau mit den Verwaltungsräumen zu erkennen
ist. Dieser war nur durch überdachte Gänge mit
den Hafthäusern verbunden.
„Die Anwesenheit Seiner. Majestät des Königs
in England im Jahre 1842 und die Allerhöchste
Besichtigung des Mustergefängnisses [Pentonville] in London, führte zur definitiven Entschließung über die Organisation unseres Gefängniswesens.“ (Die preußischen Strafhäuser
(Jahrbücher der Gefängniskunde und Besse-
Nach dem Willen des an Fragen des Strafvollzugs interessierten Friedrich Wilhelm IV.
sollte das in Großbritannien „modifizierte
pennsylvanische System bei den von da an zu
errichtenden Strafanstalten zum Grunde gelegt
werden.“ Als ein der ersten Anstalten wurde
daraufhin das neue Gefängnis in Münster errichtet, heute eines der letzten Zeugnisse jener
Zweckbauten. (Jost Schäfer: „... nach dem
Mustergefängnis in London neu zu errichtende
Straf- und Besserungsanstalt“ – Die heutige
Justizvollzugsanstalt in Münster (Westfalen
90/2012, S. 5-38). §