Rolf Theobold „Freude nicht trotz, sondern im Leid" Predigt über Phil

Rolf Theobold
„Freude nicht trotz, sondern im Leid"
Predigt über Phil. 4, 4-7
20. Dez. (4. Advent), 11.00 Pauluskirche
Liebe Gemeinde!
Der Predigttext für heute steht im Brief des Paulus an die
Philipper. Dort heißt es:
4
Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage
ich: Freuet euch! 5 Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! 6 Sorgt euch um nichts, sondern in
allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit
Danksagung vor Gott kundwerden! 7 Und der Friede Gottes,
der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und
Sinne in Christus Jesus.
Freuet euch im Herrn allewege... Mir fällt dazu ein Spruch
eines Kabarettisten ein, der sagte: „Freude – ist nur ein
Mangel an Information.“ Gut, jener Kabarettist spielt auch
eine depressive Kunstfigur, oder ist womöglich wirklich
depressiv. Aber vielleicht hat er ja dennoch Recht.
Wenn wir uns in dieser Welt umschauen, sei es nah, sei es
fern, gibt es da nicht viele Dinge, die uns die Freude
verderben? Ich will jetzt hier nicht anfangen, solche Dinge aufzuzählen, sonst gerät die Predigt ins Lamentieren.
Außerdem bin ich überzeugt, dass jedem von uns genug
einfällt, das eine unbeschwerte Freude zumindest nicht
gerade leicht macht. Oft reicht schon der morgendliche
Blick in die Zeitung.
Und manchmal frage ich mich, ob es uns nicht tatsächlich
besser geht, wenn wir einen „Mangel an Information“ haben? Hat jener depressive Kabarettist nicht Recht? Um
sich zu freuen, muss man vieles ausblenden? Oder, um es
mit Brian zu sagen: „Always look on the bright sight of liErstellt von Rolf Theobold 151220Pr(Freude im Leid, Phil. 4, 4-7) Seite 1 von 5
ve!“. (Blicke immer auf die schönen Seiten des Lebens.).
Manchmal ist das tatsächlich ein gutes Rezept. Ich kann
durchaus entscheiden, ob ich ein Glas als halb voll oder
als halb leer betrachte. Und manchmal ist es auch ratsam,
den Blick ganz bewusst auf die schönen Dinge im Leben
zu lenken, anstatt sich an den schmerzlichen und negativen Dingen immer und immer wieder aufzureiben.
Aber manchmal geht es eben nicht. Zum Beispiel, wenn
man im Gefängnis sitzt und durchaus Grund hat, um sein
Leben zu fürchten. So wie Paulus, als er diese Zeilen
schreibt.
Paulus befindet sich ein einer Situation, die er nicht einfach schönreden kann. Das Gefängnis ist nicht halb voll
oder halb leer, er sitzt drin, und zwar ganz. Ob es einen
Ausweg gibt, weiß er nicht. Und dennoch schreibt er diese Zeilen.
Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich:
Freuet euch!
Es ist also keine Freude, die darauf beruht, dass er den
Blick auf die eher angenehmen Seiten des Lebens richtet.
Es ist eine Freude, die darauf beruht, dass er seinen Blick
auf eine tiefere Seite des Lebens lenkt, eine Seite, die tiefer ist, als alles Leid. Er richtet seinen Blick auf Gott. Mitten im Leiden, von dem er ja nicht einfach absehen kann,
mitten im Leiden hat er dennoch den Blick frei auf etwas,
das größer ist als sein Leiden. Hieraus bezieht er seine
Freude, und auch seine Güte, die er im Leiden offensichtlich nicht verliert. Das empfiehlt er auch den Menschen,
die sich um ihn Sorgen machen.
Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich:
Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der
Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen
Erstellt von Rolf Theobold 151220Pr(Freude im Leid, Phil. 4, 4-7) Seite 2 von 5
lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor
Gott kundwerden!
Im Vertrauen auf die Nähe Gottes, kann Paulus mitten im
Leiden sich ganz Gott anvertrauen. Sein Blick fixiert sich
nicht auf das Leiden. Aber nur auf die schönen Seiten des
Lebens zu blicken, das hilft in seinem Fall nicht mehr.
Wenn er dennoch sich nicht von seinem Leiden gefangen
nehmen lassen will, bleibt nur noch ein Blickwinkel für
ihn offen, der Blick zu Gott. Im Vertrauen auf diesen Gott
findet er eine tiefe Freude und bewahrt sich seine
menschliche Güte – nicht trotz allen Leidens, sondern mitten in allem Leid.
Er erfährt einen Trost, den später ein Liederdichter in folgende Worte fasste: „In dir ist Freude in allem Leide...“
Und fährt fort: "Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet, wird
ewig bleiben..." (eg 398).
Dieses Vertrauen, diese Hoffnung, diese Freude ist – mit
weltlichen Augen gesehen – vielleicht nicht begründbar
und erscheint manchem vielleicht auch nicht vernünftig.
Wäre es nicht vernünftiger, sich von seinen Freunden einen Kuchen mit einer eingebackenen Feile bringen zu
lassen? Wäre es nicht sinnvoller, nach einer Ausbruchmöglichkeit zu suchen, statt auf Gott zu vertrauen?
Aus weltlicher Sicht mag manchmal das tiefe Gottvertrauen unvernünftig sein. Das weiß Paulus auch. Und dennoch
kann gerade in diesem Gottvertrauen uns eine Freude
zuwachsen, die stärker ist als alles Leid. Es kann in uns
einen Frieden entstehen lassen, den wir mit allen strategischen und auch psychologischen Möglichkeiten nicht
erreichen, den tiefen Frieden Gottes. Und eben diesen
Frieden Gottes, der unsere vernünftigen Möglichkeiten
übersteigt, den wünscht Paulus auch seinen Schwestern
und Brüdern, an die er schreibt.
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Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Paulus hat diesen Frieden offensichtlich empfunden – mitten im Gefängnis, und ohne zu wissen, ob er mit dem Leben davon kommt. Wir Leser wissen, was Paulus damals
nicht wissen konnte: er kam wieder frei. Aber es gibt
auch Zeugen des Glaubens, wie Dietrich Bonhoeffer, die
nicht wieder frei kamen, die aber in so tiefem Frieden in
den Tod gegangen sind, dass selbst seine Henker davon
beeindruckt waren. Vermutlich ist auch Paulus am Ende
seines Leben so gestorben.
Ich will nicht sagen, dass es leicht fällt, mitten im Leiden
diesen Frieden Gottes zu finden, der in uns eine solche
tiefe Freude erweckt. Aber es wäre falsch, von dieser
Hoffnung zu schweigen. Denn es kann sein, dass wir sie
brauchen, diese Hoffnung, spätestens dann, wenn es nicht
mehr ausreicht, nur auf die schönen Seiten des Lebens zu
blicken.
Es ist durchaus in Ordnung, dem Leben die positiven Seiten abzugewinnen, und nicht immer nur das Negative zu
sehen. Es soll auch heitere Tage in unserem Leben geben, keine Frage. Aber vielleicht kann man das Leben in
guten und schweren Tagen insgesamt leichter nehmen,
wenn man weiß, egal was passiert, ich bin und bleibe in
Gottes Hand.
Ich möchte zum Schluss noch einen Gedanken Martin Luthers zitieren, der mir zu diesem Thema ganz gut zu passen scheint.
„Was für eine große und mächtige Sache ist es um einen
Christen, der glaubt. Ihm müssen auch Tod, Sünde und
Teufel weichen. Denn er fängt schon hier in dieser Zeit
das ewige Leben an. Das macht Christus, Gottes Sohn, an
welches Wort er glaubt. Darum sollte ein Christ in diesem
Erstellt von Rolf Theobold 151220Pr(Freude im Leid, Phil. 4, 4-7) Seite 4 von 5
Reim 'Ich lebe, und weiß nicht wie lange, ich sterbe, weiß
auch nicht wann, ich fahr' von dannen, weiß nicht wohin,
mich wundert's, dass ich so fröhlich bin.' die letzten zwei
Verse ändern und mit fröhlichem Mund und Herzen so
reimen: 'Ich fahr' und weiß gottlob wohin, mich wundert's,
dass ich so traurig bin.' (zitiert aus Luther Brevier zum 28. Nov.)
Vielleicht könnte man jenem depressiven Kabarettisten,
den ich eingangs erwähnt habe, in diesem Sinne erwidern: „Auch Weltschmerz, Trauer und Verzweiflung ist
womöglich ein Mangel an Information!“ Ein Mangel an
'Information' über Gottes allumfassende Liebe, die wir allerdings nicht mit dem Verstand begreifen, sondern nur
mit dem Herzen, und manchmal eben mitten in allem
Leid.
Amen.
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