1 Kreuzkirche 30.8.2015 3. Mose 19,1-3+13-18+33-34 Liebe Gemeinde, es ist das erste Mal, dass ich Ihnen die Leviten lesen darf. In der alten Predigttextordnung (PTO) kam das 3. Buch Mose, das Buch Leviticus nicht vor. Wir probieren in diesem Jahr ja die, in der Erprobungsphase befindliche neue Predigttextordnung aus – und da ist nun ein Abschnitt aus dem Buch Leviticus enthalten. Aus dem Buch, welches eine Gesetzessammlung, eine Ansammlung von Geund Verboten für das tägliche Leben. Über dem 19. Kapitel steht in der Lutherbibel als Überschrift: Gesetze zur Heiligung des täglichen Lebens. Es ist ja nur ein kleiner Ausschnitt aus einem der 27 Kapitel dieses biblischen Buches. Ohne in das Gottesdienstblatt zu sehen – wie viele davon haben sie sich gemerkt? Wie viele kennen Sie, außer wohl den 10 Geboten. Und wie steht es mit der Einhaltung dieser ganzen Ansammlung von Ge- und Verboten?! 631 sind es aus der Thora, die ins Leben des Orthodoxen Judentums eingegangen sind. Wenn wir das NT mit dazu nehmen, kommen wir auf über 700. Wie sollten wir sie einhalten?! Ich habe einmal ein Buch über einen Selbstversuch gelesen, der vielleicht nicht so ernst gemeint war, wie das Leben eines orthodoxen Juden oder auch Christen – den Menschen aber trotzdem auch verändert hat. Eine kurze Beschreibung: „Stellen Sie sich vor, Sie dürften ein Jahr lang nicht 2 lügen, nicht Ihres Nachbarn iPhone begehren und nicht fluchen. Das geht nicht? Doch, das geht. A.J. Jacobs hat es tatsächlich geschafft, zwölf Monate hindurch die biblischen Gesetze zu befolgen - auch die eigenartigsten. Halleluja! Was ist dran am Buch der Bücher? A. J. Jacobs hat sich entschlossen, der Bibel in einem Selbstversuch auf den Grund zu gehen. Ein Jahr lang will er die biblischen Gesetze so getreu wie möglich befolgen. Er lässt sich einen Bart wachsen, begrüßt den Beginn eines neuen Monats mit einer Widderhorn-Fanfare und versucht, im Central Park Ehebrecher mit Kieseln zu steinigen. Seine Frau Julie ist keineswegs begeistert, aber Jacobs lässt sich nicht beirren. Er trifft fundamentalistische Christen, tanzt mit chassidischen Juden und reist nach Israel. Die letzten Monate sind dem Neuen Testament gewidmet. Trotz vieler merkwürdiger Begegnungen und scheinbar absurder Gesetze versteht A.J. Jacobs allmählich, welcher Sinn hinter dem Buch der Bücher steht. Am Ende des biblischen Jahres ist er zwar nicht gläubig, aber auf jeden Fall klüger: Er ist ein toleranterer Mensch geworden, der sich und anderen mehr Respekt entgegenbringt.“ Also doch alle Gebote einhalten? Oder nur die, die ich und meine Umgebung für wichtig halten?! Oder nur die, die mir passen?! Schon die Kommission für die PTO hat eine Auswahl getroffen. Z.B. haben sie inmitten unseres Textes weggelassen: „Und wenn ihr dem Herrn ein Dankopfer bringen wollt, sollt ihr es so opfern, dass es euch wohlgefällig macht. Ihr sollt es an dem Tag essen, an dem 3 ihr´s opfert und am nächsten Tage. Was aber bis zum dritten Tag übrigbleibt, soll man mit Feuer verbrennen. Wird aber am dritten Tage davon gegessen, so ist es ein Greuel und wird nicht wohlgefällig sein und wer davon isst, muss seine Schuld tragen, weil er das Heilige des Herrn entheiligt hat, und ein solcher Mensch wird ausgerottet werden aus seinem Volk.“ Wir haben keine Opferzeremonien mehr. Zum Glück ist in Europa die Vielweiberei und auch die Sklaverei nicht mehr vorhanden, obwohl wir manchmal nicht wissen, was im Verborgenen doch alles geschieht – von Menschen, die doch mehrere Frauen offen oder im geheimen lieben, bis zu sogenannten Sexsklavinnen, die leider nie alle gefunden werden, um sie zu befreien. Aber – die Gebote, die diese Angelegenheiten betreffen, nehmen wir fast nicht mehr wahr, bis dahin, dass wir zum Glück auch keine Ehebrecher mehr steinigen. Das bedeutet nicht, dass wir einfach mit allem lax umgehen würden. Aber wir dürfen und müssen die Gebote in unsere Zeit hinein sprechen lassen und sie mit unseren Gegebenheiten gemeinsam interpretieren. Auch im Judentum wird ständig um den Umgang mit den Geboten gerungen. Deshalb ging und geht es in den jüdischen Lehrhäusern oft sehr lebhaft zu. Nun ist unsere Landeskirche kein jüdisches Lehrhaus, aber auch wir haben in den vergangen Jahren heftig um den Umgang mit der Heiligen Schrift gerungen. Dabei ging es oft um das Grundsätzliche, 4 das Allgemeine, welches sich dann fast nur auf den Umgang mit der Homosexualität konkretisiert hat. Theologisch wird hier das Ringen noch lang nicht zu Ende sein – hoffentlich nie, da wir ja über das Wort Gottes im Gespräch bleiben müssen. Aber dieses Ringen wird sich auch immer an Veränderungen in der Gesellschaft, die es ja zum Glück gibt, orientieren müssen. Wir diskutieren nicht mehr über die Gesetze, über die Sklaverei, und fast niemand wird eine Frau von einer Kanzel in einer Ev. Kirche jagen wollen, mit dem Hinweis von Paulus: „Die Frau schweige in der Gemeinde.“ Und so bin ich der festen Überzeugung dass sich dies auch in der Frage im Umgang mit der Homosexualität immer weiter verändern wird, wenn sogar mit Irland eines der katholischsten Länder die Gleichstellung der verschiedenen Formen des Zusammenlebens beschlossen hat. Aber – wir müssen im Gespräch bleiben. Und – es darf nicht das einzige beherrschende Thema in der theologischen Auseinandersetzung bleiben. Nun doch noch zu einem ganz konkreten Gebot, der durch die Veränderung der PTO nun wie durch ein Wunder ganz aktuell in unsere Zeit spricht. Vielleicht in den letzten Monaten schon zu oft gehört, aber hier nicht zu umgehen: „Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollte ihr nicht bedrücken.“ Er soll bei euch wohnen, wie ein Einheimischer unter euch, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in 5 Ägyptenland. Ich bin der Herr euer Gott. Die nun auf den Druck der aktuellen Ereignisse hin wieder aus dem Boden schießenden Überlegungen zur Änderung des Asylrechtes sollten in unserem christlichen Abendland immer diese Worte bedenken. Das Problem scheint mir ja nicht zu sein, dass es gar nicht ginge mit der Bewältigung der Aufnahme der Geflüchteten. Wir sind aber von der Wucht und Dimension der Ereignisse doch überrascht worden, obwohl es auch absehbar war. Manchmal neigen aber auch wir Deutschen zur Vogel-Strauß-Politik, die hofft, dass ein Ereignis einfach vorüber geht, wenn ich es nur heftig genug ignoriere. Aber jetzt leisten Bundespolizei und BAMF Enormes – es geht wohl auch oft über die Kräfte der Behörden und damit auch der einzelnen Menschen. Ehrenamtliche bringen sich ein, wie man es vor Jahren nicht gedacht hätte. Unsere Gesellschaft wird sich in Teilen ändern – und das muss nicht das Schlechteste sein. Das Gebot in der Thora endet ja noch mit einer Begründung: „Denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland.“ Erinnert euch also an die eigene Geschichte. Lernt aus ihr. So haben es ja die Väter (ich weiß nicht wie viele Mütter es dabei gab) des Grundgesetzes ja auch gesehen mit dem Asylrecht, welches wir auch immer neu interpretieren werden. Uns bleibt in Erinnerung, dass Deutsche, die vom Naziregime verfolgt wurden, oft kein Asyl im Ausland bekamen (Hier schließe 6 ich die Deutschen mit jüdischen Wurzeln bewusst mit ein). Dass die Integration der vielen Flüchtlinge nach dem 2.Weltkrieg zwar eine enorme Leistung war, aber auch mit vielen Ressentiments vor sich ging. Dass die Wanderungsbewegung von Ost nach West nach dem Herbst 89 auch nicht nur auf Gegenliebe stieß. Mit diesem Blick auf die arabisch oder tigrinisch sprechenden Menschen eingehen, oder auch mit dem eigenen Kopf die eigenen Gefühle beobachten, die da ja nicht nur positiv aufwallen. Dazu halten uns auch die Gebote des AT an. Und manchmal müssen wir anderen oder auch selbst wieder neu die Leviten lesen – und sie dann auch auf unser Leben hin anwenden. Im Endeffekt aber wissen wir, dass wir auch da nur teilweise erfolgreich bleiben werden. Unsere falschen Entschlüsse, unser Zaudern, oder auch manchmal unser Wegsehen, können wir nur der Gnade Gottes anempfehlen. Dann bekommen wir auch einen gnädigeren Blick auf das Handeln unserer Mitmenschen. Amen.
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