69. Internationale Bergische Kunstausstellung 28. 08. - 08. 11. 2015 Internationaler BERGISCHER KUNSTPREIS 2015 GESTIFTET VON DER National- BANK AG Zum Ende der Ausstellung vergibt die Stadt-Sparkasse Solingen den traditionellen Publikumspreis 69. Internationale Bergische Kunstausstellung 2 | 3 Impressum Ausstellung und Katalog Gisela Elbracht-Iglhaut, Rebecca Duopou, Karl-Heinz Richter Kunstmuseum Solingen Wuppertaler Str. 160, 42653 Solingen www.kunstmuseum-solingen.de Ausstellungssekretariat, Koordination Astrid Geithe, Wolfgang Limbach Ausstellungstechnik Dieter Hartnick, Christian Lange, Manfred Sehn Lektorat Renate Höller, Karl-Heinz Richter Texte / Redaktion Audioguides Rebecca Duopou, Renate Höller, Karl-Heinz Richter Textbeiträge Christian Aberle, Soya Arakawa, Gisela ElbrachtIglhaut, Susanne Figner, Vite Joksaite, Radek Krolczyk, Doris Krystof, Jari Ortwig, Arne Reimann, Karl-Heinz Richter, Stefan Vicedom, Katharina Zanolari Frotografen Jonas Gerhard und die beteiligten Künstlerinnen und Künstler Umschlagbilder © Matthias Wollgast Grafische Gestaltung Komotzki Design, Wuppertal Druck Druckhaus Fischer, Frank Fischer GmbH Auflage 300 Exemplare ISBN 978-3-936295-13-9 69. Internationale Bergische Kunstausstellung 4 | 5 Vorwort Der Internationale Bergische Kunstpreis ist eine der bedeutendsten Auszeichnungen für die zeitgenössische Kunst der Moderne. Seine Wirkung strahlt weit über Nordrhein- Westfalen hinaus. Es ist für die NATIONALBANK – trotz veränderter zinspolitischer Rahmenbedingungen für die Kreditwirtschaft - Freude und Privileg zugleich, als verlässlicher Partner diesen Preis aufs Neue auszuloben. Matthias Wollgast ist in diesem Jahr derjenige, den die Jury als Preisträger ausgewählt hat. Für seine Installation „The shared Oasis of the Gift Shop“ erhält er den 69. Internationalen Bergischen Kunstpreis. In ihr präsentiert der Künstler sowohl eigene Arbeiten als auch andere Gegenstände wie Künstlerbücher oder Postkarten. Der Titel, einem Zitat Douglas Couplands entlehnt, steht für das zweipolige Modell eines abstrakten Raumes. Wollgast überträgt das konzeptionell von Boris Groys entwickelte Theorem des Raumes valorisierter Kultur auf den konkreten Raum eines Museums. Dabei steht der valorisierte, aufgewertete Raum dem „profanen Raum“ gegenüber. So werden profane Dinge aufgewertet, umgekehrt aber auch valorisierte Gegenstände entwertet und trivialisiert. Die regelmäßige Ausschreibung des Internationalen Bergischen Kunstpreises der NATIONAL-BANK ist ein Beweis für die nicht nur singulär ausgeprägte Motivation, sondern die gelebte Nachhaltigkeit unserer kulturellen und gesellschaftlichen Aktivitäten. Der Schwerpunkt unserer Förderung im Bereich Kunst bezieht sich – unabhängig von der Internationalen Bergischen Kunstausstellung – auf Schüler und Lehrer der Düsseldorfer Kunstakademie. Denn als eine durch die Christliche Gewerkschaftsbewegung gegründete und seit 1922 in Essen beheimatete, bundesweit führende, konzernunabhängige Regionalbank fühlen wir 69. Internationale Bergische Kunstausstellung 6 | 7 uns dem Land Nordrhein- Westfalen und seinen Menschen in besonderer Weise verbunden. Unser Erfolg ist untrennbar mit der gesunden Entwicklung des wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Umfeldes verknüpft. Mit unserem kulturellen und gesellschaftlichen Engagement in und für Nordrhein-Westfalen verstehen wir uns als Teil eines Ganzen, dessen Elemente ineinandergreifen und sich gegenseitig in vielfältiger Weise beeinflussen. Zugleich ist es die gelebte Nachhaltigkeit einer der führenden Regionalbanken in der Bundesrepublik Deutschland zum Wohle ihrer Heimat. Dr. Thomas A. Lange Vorsitzender des Vorstandes NATIONAL-BANK Aktiengesellschaft 69. Internationale Bergische Kunstausstellung 8 | 9 Sparkasse. Gut für die Kultur in Solingen. Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher, „Alle Kunst ist der Freude gewidmet, und es gibt keine höhere und ernsthaftere Aufgabe als die, Menschen zu beglücken.“ Diese historischen Worte Friedrich Schillers beschreiben den Sinn kultureller Ereignisse in heutiger Zeit aktueller denn je. Als regional tätiges Kreditinstitut ist die Stadt-Sparkasse Solingen eng verbunden mit der Klingenstadt. Kunst und Kultur wirken sich positiv auf die Erhaltung der Lebensqualität unserer Stadt aus. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, durch unser kulturelles Engagement einen Beitrag dazu zu leisten, denn uns liegen die Menschen, die hier leben, am Herzen. Die gesamte Sparkassen-Finanzgruppe fördert Kunst und Kultur in allen Regionen Deutschlands und ist mit ihrer jährlichen Fördersumme von rund 150 Mio. Euro der größte nichtstaatliche Kulturförderer Deutschlands. Bereits zum 69. Mal zeigen Künstlerinnen und Künstler – mit Bezug zum Bergischen Land – wie kreativ, facetten- und ideenreich ihre Kunst ist. Wir freuen uns, wieder ein Teil der Internationalen Bergischen Kunstausstellung zu sein und zeichnen die beliebteste Künstlerin oder den beliebtesten Künstler zum Ende der Ausstellung mit dem Publikumspreis der Stadt-Sparkasse Solingen über 1.500 Euro aus. Sie entscheiden mit ihrer Stimmkarte, wer diese Auszeichnung erhalten soll. Wir wünschen Ihnen viel Freude beim Rundgang durch die Ausstellung! Stefan Grunwald Vorstandsvorsitzender der Stadt-Sparkasse Solingen 10 | 11 69. Internationale Bergische Kunstausstellung Jury Teilnehmer Dr. Thomas A. Lange Vorsitzender des Vorstandes der NATIONAL-BANK AG Soya Arakawa Gisela Elbracht-Iglhaut Stellvertretende Direktorin, Kunstmuseum Solingen Dan Dryer (Jörg Koslowski und Astrid Piethan) Elodie Evers Kuratorin, Kunsthalle Düsseldorf Damaris Kerkhoff Kay Heymer Leiter Moderne Kunst, Stiftung Museum Kunstpalast Düsseldorf Dr. Doris Krystof Kuratorin, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf Hans-Willi Notthoff Künstler, Düsseldorf Jens Buhl Gesine Grundmann Matthias Leeck Kevin Pawel Matweew Nina Nowak Julian Öffler Max Schulze Matthias Wollgast (69. Internationaler Bergischer Kunstpreis) Künstlerinnengruppe: Claudia Barth, Agnes Scherer, Alison Yip 69. Internationale Bergische Kunstausstellung 12 | 13 Begründung der Jury Matthias Wollgast erhält den 69. Internationalen Bergischen Kunstpreis der NATIONAL-BANK für seine Installation: The shared Oasis of the Gift Shop aus dem Jahr 2014. Matthias Wollgast thematisiert mit seiner mehrteiligen Installation verschiedene Aspekte der Kunstgeschichte, Theorien des Kunstbegriffes, Fragen nach der Präsentation von Kunst und Überlegungen zu deren Kommerzialisierung. Die komplexe Auseinandersetzung auf verschiedenen Ebenen wird in einem Museumsshop präsentiert, der keiner ist: Der inszenierte Raum erweist sich als durchdachte Installation, die eigene Kunstwerke neben approbiierten Exponaten präsentiert. Die Idee des Werkes steht für Wollgast immer über dem Kunstwerk und seiner handwerklichen Ausführung. Die theoretischen Überlegungen, die der Betrachter teilweise nachvollziehen muss, verbinden intelligent und vielschichtig kunsthistorische, kunsttheoretische, ästhetische und philosophische Betrachtungsweisen. Die Grenzen zwischen Sein und Schein, Original und Fälschung werden aufgehoben und verschmelzen zu einem tiefgründigen Gefüge. Gisela Elbracht-Iglhaut 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | Soya Arakawa 14 | 15 Soya Arakawa Biografie 1984 geboren in Hamamatsu-shi, Japan 2003-2007 Deploma Kanazawa College of Art, Major in Sculpture, Japan 2008 Artist in residence in Taipei Artist village, Taipei 2009-2011 Gasthörerstudium bei Prof. Rita McBride an der Kunstakademie Düsseldorf Seit 2011 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Rita McBride Preise und Stipendien 2014 2. Platz: Hogan Lovels Kunstförderpreis Lebt und arbeitet in Krefeld www.tacolv.com 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | Soya Arakawa Projekt Cicciolino, 2013 Fotos, Holz, Rahmen, Maße variabel 16 | 17 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | Soya Arakawa „Im Jahr 2037 sterbe ich, weil mich ein Bär verspeist.“ Das ist ein Satz aus meiner fiktiven Biografie, die ich im Rahmen einer Installation 2011 ausgestellt habe. Diese Arbeit thematisiert existenzielle Fragen nach meinem Künstler-Dasein. Ich frage mich immer, wie ich als Künstler überleben kann, wie ich vielleicht sogar als Künstler glücklich werde. Ein Mann, der in der Nähe von Hannover wohnt und dort bekannt ist als „Vater der Bären“, weil er mit dressierten Tieren arbeitet, verstand diesen Satz folgendermaßen: Wenn mich ein Bär frisst und damit „in sich aufnimmt“, finde ich zu einer Harmonie mit der Natur. Das bedeutet für mich eine neue Interpretation der möglichen Vision meines Todes. Soya Arakawa Soya Arakawa (1984-2037), geboren am 12. Mai 1984 in Hamamatsu-shi neben dem Verteidigungsstützpunkt in Hamamatsu. Sein Vater war Architekt und Keramikkünstler. So entdeckte Soya sehr früh seine Liebe zum Material Ton. In Kindesjahren litt er an schwerem Asthma und war deshalb häufig ans Bett gefesselt. Diese Zeit nutzte er zum intensiven 18 | 19 Lesen. In der Oberschule zeichnete er viel, fertigte Skulpturen aus Ton und praktizierte Zen-Meditation. 2007 absolvierte er die Kunsthochschule. Nach dem Abschluss ging er nach Taipei, um an einem Artist in Residence Projekt teilzunehmen. Im Jahr 2009 kam er nach Deutschland und studierte an der Kunstakademie Düsseldorf. 2011 hatte er dann eine spektakuläre Einzelausstellung. Es folgten weitere Ausstellungen in Deutschland sowie in England, Frankreich, Österreich, den Niederlanden, Belgien und in den USA. In dieser Zeit präsentierte er seine wohl bekanntesten Arbeiten wie “Comedy show”, “Big star?” und “No Concept”. In die USA zog er 2018, wo er konzentriert an seinen Werken arbeitete. Dort entstanden Arbeiten wie “Gold Rush Shock”, “American Size” und “Knock Back”. Am 18. Januar 2037 wurde er beim Wandern in den Rocky Mountains von einem Bären angefallen und verspeist. Sein letzter Wille war, dass es niemals eine Retrospektive über ihn geben solle. Dennoch gab es 2038 mehrere große Retrospektiven, besonderes in Deutschland, in den USA und Japan. 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | JENS BUHL JENS BUHL Biografie 1965 geboren in Köln-Altstadt Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Dieter Krieg Lebt und arbeitet in Düsseldorf www.jensbuhl.de 20 | 21 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | JENS BUHL Ohne Titel, 2015 Öl, Acryl auf Multiplexplatte / ausgesägte Formen 75 x 100 cm 22 | 23 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | JENS BUHL 24 | 25 Malen als offener Denkprozess Die Malerei von Jens Buhl zeigt ein vielfältiges Repertoire an bildnerischen Möglichkeiten, das Form, Farbe, Linie, überlegte Bildtektonik und Format umreißt. Die aus dem Malgrund ausgesparten, unterschiedlich großen Kreise unterbrechen den Malgrund (Multiplexoder Sperrholzplatten) in seiner dreidimensionalen Geschlossenheit. Damit erhält das Bildvokabular einen zusätzlichen, skulpturalen Akzent, wenngleich in seiner geöffneten, geringfügigen Tiefe kaum wahrnehmbar. Denn die einzeln oder zu mehreren ausgesparten Kreisöffnungen unterbrechen den Malgrund, werden zu einem malerischen Gestaltungsmittel, markieren durch ihre Schattenbildung, evoziert durch Lichteinfall, eine optische Unterbrechung, die innerhalb des Farbauftrags und deren flächenhafter Organisation tektonische Akzente setzt. Die so entstandene Tiefenwirkung erfährt eine permanent sich verändernde Oberflächenstruktur durch wechselnden Lichteinfall. Variierende Oberflächenschichten entstehen durch Duktus, Farbnuancen und Aussparungen im Bildträger. Die Kreisöffnungen, mitunter diagonal in die Fläche des Malgrundes gesetzt, assoziieren auf Grund ihres unterschiedlichen Umfangs Dynamik, räumliche Entfernung, geben dem Bildgefüge ein visuelles Risiko, das sich widersprüchlich im Spannungsfeld zwischen tatsächlicher Raumtiefe und imaginärem Raumkonstrukt, Schattenbildung durch Streiflicht, ansiedelt. Dem Betrachter bietet sich eine Bildsituation, deren Entstehungsprozess nahezu „logisch“ lesbar erscheint. Der überlegte Duktus unterstützt diese visuell provozierte Raumtiefe eklatant, denn Buhls variierende Auftragsmethode demonstriert unterschiedliche Gestik, deren Oberfläche zwischen pastos-reliefartiger, gleichmäßig aufgetragener oder diaphaner Faktur changiert. Die so entstandene Oberfläche akzentuiert beispielsweise die Kreisränder in der Raumbildung, je nach Farbenverwendung beziehungsweise Farbenverteilung. Hier stellt sich die Frage, wie kommt Farbe überhaupt warum wohin. Wo beginnt das Bild, das Malen – mit dem ersten Strich oder mit der im Laufe des Malprozesses am Rand des Malgrundes abgestrichenen Farbmasse? Fügt sich ein aleatorischer Farbabstrich mit dem überlegten Pinselstrich zur „organisierten“ Bildstruktur? Buhls Malerei deckt Flächen ab, kreiert reliefartige Strukturen, sprüht kompositionelle Linien, setzt kontrastreiche Oberflächenstrukturen. Die Farben der Palette reichen von hellen, kalten bis zu warmen oder stumpfen Nuancen. Bild-Erfindungen entstehen 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | JENS BUHL anscheinend nicht nur zufällig, sondern auch strikt kognitiv, sie lassen ständig alternierende Ideen zu. Die so entstandene Oberfläche, je nach mehr oder weniger starkem Duktus, akzentuiert die Ränder der ausgesparten Kreise, lässt sie farbig hervortreten oder „untergehen“. Eine spannungsreiche Bildreflexion erlaubt dies immer. So kommt das Spiel mit der Raumillusion auf einen Punkt, ruft es einerseits hervor, negiert es andererseits, akzentuiert es optisch oder lässt es visuell verschwinden. Der Standpunkt des Betrachters und „passendes“ Licht erlauben ein variationsreiches Bilderlebnis, das niemals endgültig ist. Der Zusammenklang von Material und Technik findet zu einer Bildkonzeption, deren morphologische Erscheinung fasziniert, die den tradierten Rahmen der konventionellen Einheit von einheitlichem Malgrund und sorgsam aufgetragener Ölmalerei aufbricht. Buhls Werke sind nie mystisch, sind keine „Raum - Stillleben“, sie leben in der Gegenwart, sind lebendig, bleiben gegenwärtig. Karl-Heinz Richter 26 | 27 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | DAN DRYER 28 | 29 DAN DRYER (Astrid Piethan und Jörg Koslowski arbeiten seit 2000 als Künstler zusammen) Biografie | ASTRID PIETHAN 1973 geboren in Mönchengladbach 1999 Diplom Visuelle Kommunikation bei Prof. Wilhelm Schürmann, FH Aachen 1999 -2004 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Magdalena Jetelova Biografie | JÖRG KOSLOWSKI 1970 geboren in Laatzen 1999 Diplom Visuelle Kommunikation bei Prof. Ivo Decovic, FH Aachen 1999 -2004 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Magdalena Jetelova PREISE UND STIPENDIEN 2005 Reisestipendium der Staatskanzlei NRW und der Iftopia Kulturstiftung Seoul Südkorea 2012 Reisestipendium der Staatskanzlei NRW für Mexiko Reiseförderung IFA 2012 Gewinner des „Space-Art-Award“ 2014 Preisträger „Horizont-Raum“ der Freunde der artothek Köln Astrid Piethan und Jörg Koslowski leben und arbeiten in Köln. www.dan-dryer.de 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | DAN DRYER „Isabelle“, 2011 Video Installation, Länge 35 min , HD-Video 30 | 31 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | DAN DRYER 32 | 33 „Isabelle“ Vor dem Hintergrund der Subjekt-Objekt-Trennung werden wir, indem wir über uns selbst nachdenken, zum anderen, ebenso verhält es sich mit dem Blick in den Spiegel, der zwischen Selbstvergewisserung und Ich-Abspaltung eine Art Schizophrenie hervorbringt: „Das, was wir denken, von dem wir sprechen, ist stets ein anderes als wir, ist das, worauf wir, die Subjekte, als auf ein Gegenüberstehendes, die Objekte, gerichtet sind. Wenn wir uns selbst zum Gegenstand unseres Denkens machen, werden wir selbst gleichsam zum anderen und sind immer zugleich als ein denkendes Ich wieder da, das dieses Denken seiner Selbst vollzieht, aber doch selbst nicht angemessen als Objekt gedacht werden kann, weil es immer wieder die Voraussetzung jedes Objektgewordenseins ist. Wir nennen diesen Grundbefund unseres denkenden Daseins die SubjektObjekt-Spaltung. Ständig sind wir in ihr, wenn wir wachen und bewusst sind.“ Mit dem Blick in den Spiegel erkennt sich das Subjekt als Objekt. Eine solche Fähigkeit dient Forschern als Zeichen für ein Ich-Bewusstsein, das den meisten Tieren im Gegensatz zum Menschen fehlt. Verstand und Erfahrung sagen uns zudem, dass es das Spiegelbild nur in Abhängigkeit zu unserem wirklichen Ich gibt, doch können wir das Gegenteil wirklich ausschließen? Mit der Videoinstallation Isabelle befindet sich der Betrachter in einer ungewöhnlichen Situation: Auf einem Flachbildschirm an der Wand fokussiert ihn der Blick einer Frau. Ihr ausschnitthaftes Gesicht ist in einem Handspiegel zu sehen, den sie, wie in der Videoprojektion zu erkennen ist, selbst hält. Unserer Erfahrung nach müsste der Standpunkt des gespiegelten Subjekts dort sein, wo der Betrachter bzw. die Kamera positioniert ist. Die Quelle des Spiegelbildes scheint so paradoxer Weise zu fehlen, was eben jeglicher Erfahrung widerspricht. Den Gesichtszügen des Spiegelbildes nach zu urteilen, liest und interpretiert das abwesende Subjekt sein Ebenbild, was die Situation in ihrer Absurdität steigert. Wo die Abspaltung des Ich in Form einer Spiegelung normalerweise als klärender Moment der Selbstvergewisserung und Selbsterkenntnis dient, pervertiert sie hier zum absoluten Irritationsmoment. Empirische und logische Erklärungsansätze geraten in Widerstreit. Denn wo es kein Subjekt gibt, kann auch die Abwesenheit des Objekts nicht bewiesen werden. Jari Ortwig 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | GESINE GRUNDMANN 34 | 35 GESINE GRUNDMANN Biografie 1974 1995-2005 2001-2002 2005 2007-2010 2012-2014 2014-2015 geboren in Köln Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Rosemarie Trockel, Prof. Tony Cragg und Prof. Hubert Kiecol MA Fine Art, Goldsmiths College, London, Great Britain Meisterschülerin bei Prof. Rosemarie Trockel Lehrauftrag für Freie Kunst an der HBK Braunschweig Lehrauftrag für Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf Lehrauftrag für Praxis der zeitgenössischen Kunst an der Ruhrakademie Schwerte Stipendien und Preise 2001 2002 2004-2008 2007 2007-2009 2008-2009 2008 2009-2010 2011 2012 2013 DAAD Stipendium für Großbritannien Auslandsstipendium der Kunststiftung NRW Atelierstipendium des Kölnischen Kunstvereins Künstlerstipendium der Kunststiftung NRW Dorothea-Erxleben-Stipendium, HBK Braunschweig Tel Aviv Stipendium der Kunststiftung NRW, Bronner Stiftung, Artist Studios und des Goethe Instituts Tel Aviv Peter-Mertes-Stipendium, Kunstverein Bonn Erwine Steinblum Stipendium, Sylt und Südafrika Projektstipendium der Kunststiftung NRW Arbeitsstipendium der Stiftung Kunstfonds Ida-Gerhardi-Förderpreis Lebt und arbeitet in Köln www.gesinegrundmann.com 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | GESINE GRUNDMANN I Serenade, 2014 Trennscheibe (Ø 35 cm), Siebdruck, Glas, Nussbaumholz, drehbare Aufhängung 58 x 48 x 3 cm 36 | 37 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | GESINE GRUNDMANN 38 | 39 Wie kommt die Musik auf die Schallplatte ? Handgeblasene Mundstücke – einige Gedanken zu “I Serenade” von Gesine Grundmann. Nun, beim Schallplatten-Schnitt schneidet ein Stichel, der in einen Schreiber montiert ist, eine rund laufende Rille in eine blanke, rotierende Scheibe. Entsprechend des beaufschlagten Tonsignals moduliert der Stichel die Rille in einer zum Signal proportionalen Bewegung. Später, beim Abspielen, liest der Tonabnehmer über die Nadel diese in die Rille eingeschriebene Struktur. Das ist das übliche Procedere. Doch auch Gesine Grundmann’s zur 14“LP abgewandelte Flexscheibe ließe sich, trotz Übergröße, durchaus auf einem Plattenspieler abspielen, so wie eigentlich jedes einigermaßen flache Objekt mit einem Loch in der Mitte. Der Sound, der durch die mit feinen Gesteinspartikeln beschichtete Kunststoffoberfläche entstünde, gefiele wohl dem „Minister für Kratzen, Kreischen und Dröhnen“ aus einem frühen LUSTIGEN TASCHENBUCH von Walt Disney, unter dessen Regie alle möglichen Störgeräusche erzeugt und in alle Welt transportiert werden. I Serenade ist geradezu eine Allegorie für Klang und Musik als Gesamtheit, jedoch: Die Pseudo-Platte befin- det sich in einem Schrein. Sie ist nicht als Trägerin eines Soundpiece, sondern als “bildhauerische Druckgrafik“ konzipiert, wie die Künstlerin selbst sagt – und somit als Objekt visuell räumlichen Erlebens. Ich schaue beispielsweise durch Glas durch ein Loch in einem Kreis in einem Kreis in einem Rechteck auf eine Ausstellung. Grundmann erweitert durch zwei siebgedruckte, kreisförmig monochrome Farbflächen den ursprünglichen, nahezu ausschließlich unbunten Farbakkord der Flexscheibe um die zweite und dritte Grundfarbe. Die Scheibe verleibt sie, quasi als Intarsie, einer von zwei Glasscheiben in einem Holzrahmen gehaltenen dritten Glasplatte ein und montiert den Rahmen derart an die Wand, dass er um 180 Grad geklappt, also immer neu arrangiert / arretiert werden kann. Im Extrem ist also nur eine Seite der Arbeit zu sehen; in den Raum gerichtet, verursacht sie mitunter einen geradezu monumentalen Schatten. Der Raum, den das Kunstwerk beansprucht, wenn es ihn auch unmöglich permanent als Ganzes einnehmen kann, ist ihm gedanklich immer zuzugestehen, als Territorium des Halbkreises. Letzte Frage, angesichts des Titels “I Serenade”: Wer singt? Gesine? Das Werk? Ich? Wir alle? Und für wen? – Wer weiß... Christian Aberle 68. Internationale Bergische Kunstausstellung | DAMARIS KERKHOFF 40 | 41 DAMARIS KERKHOFF Biografie 1987 geboren in Münster 2011-2014 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf Meisterschülerin bei Prof. Rosemarie Trockel Preise und Stipendien Werner Deutsch Preis für junge Kunst 2014, Museum Kunsthaus Kleve Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes Lebt und arbeitet in Köln 68. Internationale Bergische Kunstausstellung | DAMARIS KERKHOFF Ohne Titel, Installationsansicht (Detail), 2015 Collagen, Zeichnungen und C-Prints hinter Plexiglas, C-Prints auf Aluminium Plexi-Kästen: 60 x 80 x 6,5 cm, 30 x 40 x 3,5 cm / C-Prints auf Aluminium, ungerahmt, Spiegelklebeband: 15 x 11,25 cm, 15 x 20 cm / Foto: Jonas Gerhard 42 | 43 68. Internationale Bergische Kunstausstellung | DAMARIS KERKHOFF Damaris Kerkhoff arbeitet mit räumlichen Installationen, die verschiedene Medien wie Fotographie, Zeichnung und Skulptur integrieren und Bezüge schichten, die von Kunstgeschichte über Politik bis hin zu Mediendiskursen reichen. Ihre Arbeiten verhandeln zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen einer digitalen und analogen Ästhetik und untersuchen, wie eine Bilddefinition im 21. Jahrhundert aussehen könnte. Kunstkataloge, Modemagazine oder Werbung dienen als Materialfundus, aus dem gefundene Bilder mit der Kamera des Mobiltelefons abfotographiert oder alternativ direkt aus dem Internet übernommen und in verschiedenen Druckverfahren auf Papier übertragen werden. Bilder werden als mobile Einheiten sowohl in ihrer Bedeutung als auch in ihrem Besitz verstanden, was auch durch die Tatsache verdeutlicht wird, dass dieselben Motive in verschiedenen Arbeiten eingesetzt werden. Damit wird eine Bildökonomie beschrieben, 44 | 45 welche Bedeutung nicht mehr am Einzelbild festmacht, sondern auf die Interaktion zwischen Bildern und ihrer Handhabung legt. Die Idee, ein Bild nicht zu fixieren, sondern es im Gegenteil mobil zu halten, ist auch zentral in der Behandlung des Bildmotivs. Ihre Collagen kombinieren die gefundenen Aufnahmen mit performativen Aktionen und mit abstrakten Zeichnungen, die einen phänomenologischen Ansatz verfolgen – sie regen eine physische Reaktion im Betrachter an. Damit verknüpft ist eine prozessorientierte Arbeitsweise, in welcher die Entwicklung der Arbeiten genauso zentral ist wie das Endergebnis. Präsentiert werden die Werke in Plexiglaskästen oder Rahmen, die durch ihre gesonderte Tiefe einen Objektcharakter annehmen, der dem Gezeigten aus der virtuellen Welt Volumen gibt und eine Rückübersetzung in die physische Welt vornimmt. Susanne Figner 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | MATTHIAS LEECK MATTHIAS LEECK Biografie 1988 geboren in Wermelskirchen 2008-2015 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf 2015 Meisterschüler bei Prof. Didier Vermeiren Lebt und arbeitet in Wuppertal www.matthias-leeck.com 46 | 47 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | MATTHIAS LEECK Bildsynthese, 2015 48 | 49 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | MATTHIAS LEECK 50 | 51 Fotografie und Bildhauerei im neuartigen Dialog Die aktuellen künstlerischen Arbeiten von Matthias Leeck beruhen auf einem neuartigen Zusammenspiel von Fotografie und Bildhauerei, das die Werke zu Inkunabeln einer neuen Kunstentwicklung macht: Der junge Künstler geht dabei von selbstgefertigten Fotografien aus, deren Helligkeitswerte mithilfe eines mathematischen Verfahrens in ein Höhenprofil übersetzt wird. Dieses Höhenprofil wird in einem weiteren Schritt mit Hilfe einer CNC-Fräse in eine dreidimensionale Skulptur oder ein Relief übersetzt. Die CNC-Technik (CNC steht für Computerized Numerical Control, übersetzt: rechnergestützte numerische Steuerung) ermöglicht das 3D-Fräsen, mit dem komplizierte 3D-Konturen erzeugt werden können. In Leecks Arbeiten findet in medialer Hinsicht ein höchst origineller Wechsel von analoger Fotografie, die in ein digitales Bild und in einem weiteren Schritt in eine digitale Skulptur übersetzt wird, um abschließend durch den Prozess des Fräsens erneut eine analoge Gestalt zu erhalten, statt. Die plastischen Werke, die der an der Düsseldorfer Kunstakademie in der Klasse von Prof. Didier Vermeiren ausgebildete Bildhauer auf diese Weise erzielt, stellen die Wahrnehmung des Betrachters immer wieder auf die Probe. Insbesondere wenn die dreidimensionalen Bildwerke mit den ihnen vorausgehenden Fotografien im Zusammenhang wahrgenommen werden können. Bei einer Arbeit wie „o.T.“ von 2014 ist der fotografierte Wald bedingt noch in der Struktur des Reliefs wiederzufinden. Vorrangig wird im Relief jedoch die im zweidimensionalen Foto nur als Fiktion bestehende Tiefenräumlichkeit in eine reale Raumschichtung übersetzt. So eng der formale Zusammenhang zwischen Fotografie und bildhauerischem Werk einerseits ist, so eigenständig ist letzteres andererseits doch auch in seiner Erscheinung: Die fließenden konkaven und konvexen Formen, die in unterschiedlichen Höhenprofilen aufeinandertreffen und wieder auseinanderlaufen, können, ja müssen als eine eigenständige bildhauerische Gestalt(ung) wahrgenommen werden. Einen ganz eigenen Reiz für den Betrachter dürfte die Umsetzung der aktuell geplanten Arbeiten besitzen, in denen das Hell/Dunkel des fotografierten Waldes in dreidimensionale Skulpturen übersetzt werden soll, die aufgrund ihrer Größe um- und durchschritten werden könnten. Prof. Dr. Guido Reuter 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | KEVIN PAWEL MATWEEW 52 | 53 KEVIN PAWEL MATWEEW Biografie 1978 geboren in Köln 2001-2003 Ausbildung zum Mediengestalter Bild und Ton 2006-2010 Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe (Vordiplom) 2012 Meisterschüler bei Prof. Marcel Odenbach 2010-2013 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Marcel Odenbach (Diplom) Preise und Stipendien 2009 Preis der Gesellschaft zur Förderung der Kunst und Medientechnologie 2013 Stipendium der Kunststiftung NRW, Künstlerdorf Schöppingen Lebt und arbeitet in Köln www.matweew.com 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | KEVIN PAWEL MATWEEW Die Grenzen des Sagbaren, 2015 Videoinstallation / ohne Ton / Loop 54 | 55 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | KEVIN PAWEL MATWEEW 56 | 57 SWASTIKA (Glücksbringer) Dass in unserer Gegenwart öffentlich zirkulierenden Bildern eine bewusstseinsstiftende Rolle zukommt, mag in Anbetracht der Omnipräsenz von Bildmedien zunächst wie eine banale Anmerkung anmuten. Nichtsdestotrotz zeigt sich die Frage, nach welchen Paradigmen aktuelle Medienregime agieren und weshalb an ihren Rändern bestimmte Bilder einer wirksamen Unsichtbarkeit unterworfen werden, nach wie vor als ergiebiges Indiz gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen. Anhand des Einsatzes subtil beobachtender Dokumentarstrategien, aber auch durch die gezielte Setzung minimaler Eingriffe in bereits vorhandene Bild- und Medienmuster, nähert sich der Künstler Kevin Pawel Matweew diesem Komplex auf unterschiedlichen Ebenen an. Endlosschleife und hypnotische Wirkung der Projektion auf grundlegende Problemfelder einer rationalen Perspektivierung der nationalsozialistischen Gehalte, so stellt sich zugleich eine fortführende Erkenntnisdimension ein. Denn gerade die durch Matweews Eingriff initiierte Transformation des wohlbekannten Symbols in ein neues ästhetisches Phänomen führt dem Betrachter unmittelbar vor Augen, dass historische Embleme und die ihnen beiwohnenden Traumata keineswegs durch Praxen der Tabuisierung und Kategorisierung zu bändigen sind, sondern einer dynamischen Reflexionsform bedürfen, welche die zum Lehrstück geronnene Geschichte samt ihrer Zeichen bisweilen als unbenannte Bilder zurück in unsere Gegenwart wirft. So folgt seine 2015 realisierte Arbeit „Die Grenzen des Sagbaren“ solchen Aspekten, indem sie die historisch hoch konnotierte, aber durch ein Gesetzesverbot gleichermaßen tabuisierte Hakenkreuzflagge als bildliches Operationsfeld aufgreift. Die Trägheit des menschlichen Auges taktisch einbeziehend, versetzt Matweew das im kollektiven Bewusstsein starr eingebrannte Hakenkreuz dabei in eine stete Rotationsdynamik, im Zuge derer sich das Emblem zunehmend in einer optischen Illusion aufzulösen scheint. Verweisen zirkuläre Stefan Vicedom 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | NINA NOWAK NINA NOWAK Biografie 1984 geboren in Poznań, Polen 2011-2012 Studium an der Royal Danish Academy of Fine Arts Copenhagen, Dänemark, bei Prof. Martin Erik Andersen 2009-2015 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Tal R und Prof. Richard Deacon 2015 Meisterschülerin bei Prof. Richard Deacon Preise und Stipendien 2013 Miloslav Chlupáč-Stipendium, Salzburg, Österreich 2014 Art & Technology: Diabas Master Class, Olofström, Schweden Nominiert für das Stipendium der Märkischen Kulturkonferenz 2015 „Plastik in kleinem Format“, Iserlohn Lebt und arbeitet in Düsseldorf www.ninanowakportfolio.de 58 | 59 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | NINA NOWAK Doublebind: Play for 2, 2015 Stahl, Onyx, Handzahnstange, Euphorbia milli ca.180 x 110 x 80 cm 60 | 61 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | NINA NOWAK A: Wenn ich nur über Schmetterlinge reden würde, um einem Konflikt aus dem Weg zu gehen – das ist ja genau das, was dir überhaupt nicht entspricht - ohne Konflikt nehme ich dich nicht ernst. Es kann zu viel sein, so dass man sich auch total nervt, aber wenn dann versucht, sozusagen so eine Art kindische Harmonie herzustellen – B: Haben wir das? A: Mit mir nicht, weil ich kann gar nicht so. Ich hasse das, ich bin wie ich bin, verstehste. Wenn ich das nicht direkt sage, dann passiert es bei mir immer unterschwellig, zum Beispiel mit meinen Witzen, dass ich sozusagen hintenrum dann eigentlich das, was ich direkt artikulieren möchte und nicht kann, oder nicht gehört wird – B: Das heißt der Witz mit dem – A: Immer mit allem versaut ist. B: Mmm. A: Ein Stück weit. 62 | 63 A. und B. scheinen auf eine seltsame Art auf einander angewiesen zu sein. Der in der Bahn aufgenommene Gesprächsfetzen passt zu Nowaks Skulptur „Doublebind: Play for 2“ und erinnert an die Unterhaltung der Helden aus Becketts Theaterstück „Endspiel“: Der blinde, nicht laufen könnende Hamm und der sehende, nicht sitzen könnende Clov. In ihrer Bewegung beschränkt, leben sie in einem muffigen Raum in einer paradoxen Zweisamkeit. Nowaks Arbeit besteht aus einem Stein, einer Pflanze und einer Stahlkonstruktion. Der Stein hat eine anziehende, fast hautglatte Oberfläche, die Pflanze ist stachelig und giftig. Sie ruhen nebeneinander und bilden eine widersprüchliche Idylle. Die Stahlkonstruktion hat eine Funktion: Durch die Betätigung des Hebels lässt sich der Abstand zwischen Pflanze und Stein regulieren. Im Stein selber bietet sich ein Körperabdruck dar. Aber die Proportionen des Objekts stellen eine unmögliche ergonomische Bedienbarkeit für einen Einzelnen dar. Die Stahlkonstruktion lässt sich nur zu zweit bedienen. In dieser Arbeit kommt Nowaks Fähigkeit, alltäglichen Objekten eine zwischenmenschliche Existenz zu verleihen zum Vorschein. Christusdorn und Onyx verweisen 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | NINA NOWAK durch ihre Materialität und Ästhetik auf typische Artefakte einer deutschen Wohnung der 60er Jahre. In der gegebenen Kombination wirken sie seltsam vertraut, beinahe witzig. Trotzdem harmonieren sie überraschenderweise. Statt sich zu bewegen, scheinen sich Stein und Pflanze in ihrem pseudokonflikthaften Stillstand latent zu ärgern. Bei der Betrachtung dieser metaphorischen Koexistenz, fällt es schwer, nicht an Hamm und Clov oder auch an die Absurdität menschlicher Kommunikation im Alltag zu denken und ein bisschen zu schmunzeln. Vite Joksaite 64 | 65 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | JULIAN ÖFFLER 66 | 67 JULIAN ÖFFLER Biografie 1985 geboren in Soest 2007-2009 Hochschule für Künste, Ottersberg, Freie Kunst bei Prof. Hermanus Westendorp 2009-2015 Hochschule für Künste Bremen, Freie Kunst bei Prof. Andree Korpys und Prof. Markus Löffler seit 2015 Hochschule für Künste Bremen, Freie Kunst bei Achim Bitter PREISE UND STIPENDIEN 2012 H.-A. Brockmeyer Reisestipendium seit 2012 Studienstiftung des deutschen Volkes 2014 Videokunstförderpreis Bremen Lebt und arbeitet in Bremen www.julianoeffler.de 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | JULIAN ÖFFLER Reise nach Kiew, 2014 Video, 23:46 min 68 | 69 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | JULIAN ÖFFLER 70 | 71 Der Kunststudent Julian Öffler hat sich gemeinsam mit seiner Kommilitonin Irene Strese zu Beginn dieses Jahres auf den Weg nach Kiew begeben. Beide studieren in Bremen in der Klasse der bekannten Videokünstler Andree Korpys und Markus Löffler. Politische Themen stehen hier auf der Tagesordnung. verliert Öffler kein einziges Wort. Obwohl ihn Strese, die die Kamera hält, pausenlos mit Fragen malträtiert. „Was machst Du hier?“, „Bist Du ein politischer Künstler?“, „Kannst Du hier etwas bewirken?“, „Fühlst Du Dich jetzt besser?“ Da Öffler nicht antwortet, verbleiben die Fragen beim Zuschauer. Damals stand der Majdan im Zentrum des öffentlichen Interesses – zumindest in Deutschland. Öffler und Strese begaben sich an den Ort, an dem sich Profiboxer, Rollstuhl fahrende Oligarchinnen und Wehrmachtsfans die Hände reichten. Gleichzeitig schien es so, als würde auf dem Majdan gerade die Zukunft Europas verhandelt. Was hatten die beiden Künstler dort verloren? Nichts. Und deshalb diese Reise. Kunst soll politisch sein. So ziehen heute viele Künstler los und machen irgendwas Politisches. Politische Kunst ist ein Reklamewort. Öffler macht sich darüber lustig. Was soll er auch bewirken? Als deutscher Künstler auf dem Majdan? Und auf welche Seite sollte er sich schlagen? Wer sind hier die Guten? Öffler weckt Erwartungen bei den Gutmenschen unter den Kunstinteressierten. Und enttäuscht sie. Er weiß nicht, was er in Kiew verloren hat. Wichtig ist nur, dass er da ist. Knapp 24 Stunden lang. Die er mit Nichtstun verbrächte. Wenn seine Mitreisende ihn ließe. Man sieht Öffler auf seiner Fahrt, erst im Zug, dann im Flugzeug, schließlich im Taxi. Sein Ziel: ein bekanntes Hotel am Majdan. Kiews erste Adresse. Zu Zeiten der Unruhen haben sich einzig ein paar Journalisten dort eingenistet – und die beiden Künstler. Irgendwann sieht man Öffler im Bademantel und mit Sonnenbrille auf dem Balkon des Hotels. Dann öffnet er eine Flasche Krimsekt und grinst. Während des gesamten Films Radek Krolczyk 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | Max Schulze 72 | 73 Max Schulze Biografie 1977 geboren in Herdecke 1999 Beginn des Studiums an der Kunstakademie Düsseldorf 2004 Meisterschüler bei Prof. Jörg Immendorff 2005 Akademiebrief der Kunstakadmie Düsseldorf 2006 -2013 Herausgeber des Künstlermagazins schwarzweiss-eins/-zwei/-drei/-vier 2007-2009 Lehrauftrag im Fachbereich Freie Kunst/ Malerei im ersten Studienjahr (Orientierungsbereich) an der Kunstakademie Düsseldorf 2013 -2015 Lehrauftrag: Künstlerische Experimente im Siebdruck an der Fachhochschule Düsseldorf und der Bergischen Universität Wuppertal PREISE UND STIPENDIEN 2004 Stipendium des Landes NRW an der Cité Internationale des Arts Paris, Frankreich 2008 Stipendium des Landes NRW, Schloss Ringenberg 2012 Friedrich-Vordemberge-Stipendium für Bildende Kunst der Stadt Köln Reisestipendium des Kulturministeriums NRW (Detroit USA) Lebt und arbeitet in Düsseldorf www.max-schulze.de 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | Max Schulze Ohne Titel, 2014 Acryl, Tusche, Spray auf Leinwand, 200 x 140 cm 74 | 75 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | Max Schulze In Max Schulzes künstlerischer Arbeit finden zwei grundlegend verschiedene Stil- und Bilderwelten zu einer eigenständigen Ausdrucksform, die konträrer kaum sein könnten. Auf der einen Seite stehen seine Arbeiten dem Informel nah und thematisieren den abstrakten Malprozess als solchen, auf der anderen Seite verarbeitet er in seinen Bildern die vereinfachende grafische Darstellungsformen des Comic und lässt in mehr oder weniger gegenständlichen Bildräumen Figuren zu Handlungen antreten, deren Grund oder Verlauf jedoch stets unkenntlich bleiben. Mit verschiedenen experimentellen Methoden des Farbauftrags erforscht Schulze die Grenze zwischen Formauflösung und Formwerdung. Auf großen Formaten lässt er diffuse abstrakte Räumlichkeiten entstehen, in denen sich die unterschiedlichen Mal- und Be- 76 | 77 arbeitungsspuren überlagern. Den Moment des Zufalls, der beispielsweise durch den Einsatz eines mit Farbe gefüllten Feuerlöschers in die Bildstruktur eintritt, wird unterstrichen durch eine gestische Handhabung desselben. In unterschiedlicher Dichte und Farbigkeit entstehen so Farbnebel und -formen, die Schulze im weiteren Verlauf seiner Arbeit malerisch ausdifferenziert. Die gestische Bewegung wird von Schulze mit einem bewussten Moment der Exaktheit kontrastiert, welcher gleichzeitig die Spur im Bildraum entschleunigt. Es ist exakt dieser Moment, der Schulze fasziniert: Der Moment der Entscheidung, der damit einhergehenden Markierung und Zeichensetzung innerhalb einer vielfältigen Umgebung. Katharina Zanolari 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | MATTHIAS WOLLGAST 78 | 79 MATTHIAS WOLLGAST Biografie 1981 geboren in Siegburg 2004 -2011 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf 2011 Akademiebrief 2011-2014 Postgraduales Studium an der Kunsthochschule für Medien Köln PREISE UND PROJEKTE 2010 Kunstpreis Baustelle Schaustell, Essen Pictorale molto male‚ S P W/T, P & E‘, Fotofestival, Antwerpen 2012 Audi Art Award – Neue Fotografie (2. Preis), Düsseldorf The Reality Of The Unbuilt, Haus für Musiker, Raketenstation Hombroich, Neuss 2013 Auslandsstipendium des Kulturamtes Düsseldorf für Moskau (House of Photography) The Reality Of The Unbuilt, Record Release, Kunsthalle Düsseldorf 2015 69. Internationaler Bergischer Kunstpreis der NATIONAL-BANK AG, Kunstmuseum Solingen Lebt und arbeitet in Düsseldorf www.matthias-wollgast.de 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | MATTHIAS WOLLGAST figure no.34, 2014 Silbergelatineabzug (handkoloriert), 55 x 45 cm 80 | 81 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | MATTHIAS WOLLGAST 82 | 83 Legenden „Geschichte ist immer Konstruktion, von einzelnen teils subjektiven Quellen und Überlieferungen geprägt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, vielleicht sogar gespickt mit Manipulationen, Fakes und Fehlinformationen. Bei der Geschichte der Kunst wird dies meiner Meinung nach besonders offensichtlich: sie hätte auch ganz anders ausfallen können.“ (Matthias Wollgast) Legende 1) Matthias Wollgast (*1981, lebt und arbeitet in Düsseldorf) absolvierte nach seinem Studium an der Kunstakademie Düsseldorf ein zweijähriges Postgraduiertenstudium an der Kunsthochschule für Medien in Köln, das er im Herbst 2014 mit der installativen Arbeit „The shared Oasis of the Gift Shop“ abschloss. Die mit dem Ausstellungsdesigner Edi Winarni entwickelte Inszenierung einer Ladenauslage umfasst Bücher, Poster, kameralose Fotografien und eine Reihe selbst produzierter Postkarten, die gebunden als Buch oder aufgereiht in einer Wandvitrine ausgestellt sind. Wollgast geht bei seiner Bildproduktion auf die Fotografie in ihrem frühesten Entwicklungsstadium zurück. In der Dunkelkammer bringt er auf Folie gezeichnete Motive zum Erscheinen, die wie Wiedergänger der Kunstgeschichte in seinem Laden angeboten werden. Das Postkartenbuch „Figures“ ist in einer Auflage von 200 erschienen, jedes Exemplar versammelt jeweils 10 meist handgezeichnete und fotografisch abgezogene Motive. Legende 2) Für eines der Kartenmotive hat Wollgast auf Franz Xaver Messerschmidts nach 1770 datierte Skulptur „Der Missmuthige“ aus der Serie der von der Kunstgeschichte so genannten Charakterköpfe zurückgegriffen. Der glatzköpfige Typus mit den kleinen Ohren findet sich bei Messerschmidt öfter. Die Büste aus Blei 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | MATTHIAS WOLLGAST (Höhe: 38 cm) gehört zu jenen Messerschmidt-Köpfen, in denen, was bei Wollgast kaum noch zu erkennen ist, ein Band oder ein realer Gegenstand über die Lippen gelegt zu sein scheint. Wiener Wissenschaftler vermuten, dass es sich um einen adaptierten Magneten handelt, wie ihn der Wunderarzt und Freund Messerschmidts Franz Anton Mesmer (1734 -1815) bei seinen Magnetkuren anwandte. Der Magnet im Mund deutet, so vermuten sie, auf eine Erkrankung des Kopfes oder Gehirnes hin, die geschlossenen Augen sollen angeblich den Heilerfolg intensivieren helfen. Franz Xaver Messerschmidt (geb. 1732 oder 1737 in Wiesensteig in Württemberg, gest. 1783 in Preßburg) lernte bei seinem Oheim J. Straub in München sieben Jahre lang, ging dann nach Wien an die Akademie und 1765 nach Rom, wo er Kopien antiker Statuen in Holz schnitzte. * 84 | 85 Was ist ein Bild? Nachahmung und Erfindung, Konzept und Material, Original und Fälschung, Kopie und Replik, - die Antworten auf die seit Platon und Aristoteles im antiken Griechenland gestellte Frage ändern sich, so scheint es, immer schneller. Wollgasts Wiederaufnahmen jonglieren mit jenen historischen Vorgaben und bedienen sich eines weit gesteckten Reservoirs an Figuren, Ideen und Techniken. Die rasante Entwicklung des technisch Machbaren befeuert das Selbstreflexionspotenzial der Künste. Ein Funkenschlag mehr, und die Geschichte der Kunst wäre tatsächlich ganz anders ausgefallen; besteht sie denn nicht ohnehin aus nichts anderem als der Abfolge eben solcher, immer aufs Neue in welchem Medium auch immer entfachter künstlerischer Funken? Siehe antiker Marmor als Holzschnitzerei, siehe Magnetstreifen im Mund als Therapie hirnorganischer Störungen, siehe Kopf aus Blei beziehungsweise Barockskulptur als kameralose Fotografie, und so weiter. Schließlich gelangt das Bild zum Beispiel auf eine einfache Postkarte, die über eine voll verspiegelte Ladentheke aus Wollgasts exzentrischem Gift Shop in die Welt hinausgeht. Doris Krystof 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | KÜNSTLERINNENGRUPPE CLAUDIA BARTH – AGNES SCHERER – ALISON YIP KÜNSTLERINNENGRUPPE CLAUDIA BARTH – AGNES SCHERER – ALISON YIP Biografie | CLAUDIA BARTH 1987 geboren in Herrliberg, Schweiz 2009 -2014 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Rita McBride und Prof. Christopher Williams 2014 Meisterschülerin bei Prof. Rita McBride Lebt und arbeitet in Düsseldorf Biografie | AGNES SCHERER 1985 geboren in Lohr am Main 2005 -2011 Magisterstudium der Kunstgeschichte, Klassische Archäologie und empirischen Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen seit 2010 Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf bei Prof. Peter Doig Lebt und arbeitet in Düsseldorf 86 | 87 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | KÜNSTLERINNENGRUPPE CLAUDIA BARTH – AGNES SCHERER – ALISON YIP 88 | 89 Biografie | ALISON JAYNE YIP 1981 geboren in Calgary, Canada 2003 Studio Residency, School of Visual Arts, New York, USA 2004 Bachelorstudium, Alberta College of Art and Design, Calgary, Canada 2011-2013 Gaststudentin bei Prof. Lucy McKenzie und Prof. Peter Doig seit 2014 Masterstudium bei Prof. Jutta Koether, Hochschule für Bildende Künste, Hamburg Lebt und arbeitet in Vancouver und Hamburg 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | KÜNSTLERINNENGRUPPE CLAUDIA BARTH – AGNES SCHERER – ALISON YIP Aus der Serie: Look at the harlequins! Verdruss, 2015 Fotografie, Maße variabel 90 | 91 69. Internationale Bergische Kunstausstellung | KÜNSTLERINNENGRUPPE CLAUDIA BARTH – AGNES SCHERER – ALISON YIP „Stop moping!“ she would cry: „Look at the harlequins!“ „What harlequins? Where?“ „Oh, everywhere. All around you. Trees are harlequins, words are harlequins. So are situations and sums. Put two things together – jokes,images – and you get a triple harlequin.“ 92 | 93 dank an Wir danken Wir danken der Eugen-Otto-Butz-Kunst-Stiftung, der den Solinger Arztpraxen und Apotheken, die sich an Initiative Art Sponsoring Solingen, der Firma Gunnar unserer Spendenaktion „Damit die Kultur gesund bleibt“ Holz Immobilien Verwaltung, dem Druckhaus Fischer beteiligt haben: und Corinna und Wolfgang Limbach für die finanzielle Unterstützung. Wir danken der Firma Walbusch, Solin- · Augenärztliche Gemeinschaftspraxis Dr. Anitra Breyer-Pacurar und Frank Thomas Müller gen für die Finanzierung des Audioguide-Systems, das · Praxis Dr. Bernhard Jaschke, Orthopädie Ihnen für die 69. Internationale Bergische Kunstaus- · Gemeinschaftspraxis Dr. Stephan Kochen und Dr. Christoph Zenses, Innere Medizin und Angiologie stellung zur Verfügung steht. · Praxis Dr. Dietgard Richter, Kinder- und Jugendmedizin · Gemeinschaftspraxis Dr. Hans-Peter Rolshoven, Dr. Thomas M. Rolshoven, Dr. Sybille Wulf, Augenheilkunde · Elefanten Apotheke, Solingen · radprax, Gesellschaft für Medizinische Versorgungszentren mbH · Solimed e. V.
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