Über Métros und Grèves „Die Fremden erkennt man daran, dass sie oben, schon auf dem letzten Absatz der Métrotreppe, sich nicht mehr auskennen, sie verlieren sich nicht wie die Pariser aus der Métro übergangslos in das Straßenleben. [...]“ Dieses aus meinem Reiseführer geklaute Zitat von Franz Kafka beschreibt die Wichtigkeit der Pariser Métro ziemlich genau. Als Austauschstudentin an der Sorbonne zählte ich selbstverständlich bald nicht mehr zu den Fremden, sondern konnte wie eine Einheimische meinen Weg außerhalb des Untergrundes fortsetzen. Aber wenn man erst mal mit der Métro fahren kann, kommt man eigentlich überall an, und Métrofahren ist einfach. Kein Haus ist weiter als 500 Meter von einer Station entfernt, der Plan der 14 Linien lässt sich leicht lesen, da jede Linie durch eine andere Farbe gekennzeichnet ist. Für Unter-26-Jährige gibt es die Carte Imagine R, mit der man das ganze Jahr alle Busse, RER und Métros innerhalb von Paris nutzen kann. Man kann sie für verschiedene Zonen beantragen, aber wer in Paris wohnt und studiert, benötigt normalerweise nur die Zonen 1 und 2. In den Schulferien ist die Karte dann sowieso für alle Zonen gültig. Als ich mich in Paris etwas eingelebt hatte und besser auskannte, begann ich, auch die Busse für mich zu entdecken. Die sind zwar oft ziemlich voll, aber dafür sieht man mehr Tageslicht und kann während der Fahrt die Stadt bewundern. Empfehlen kann ich die Linie 38, die sich für mich persönlich angeboten hat, um vom MétroKnotenpunkt Châtelet zur Sorbonne („Les Ecoles“) zu gelangen. Außerdem kann man die Strecke zwischen der Sorbonne und dem Centre Malesherbes mit dem Bus verschönern, wenn man denn genug Zeit hat. Dazu fährt man von „Les Ecoles“ bzw. „Saint-Michel“ mit der Linie 21 oder 27 bis zum Gare St. Lazare, von wo aus es nur noch ein kurzes Stück mit der Métro bis nach „Malesherbes“ ist. So weit, so gut. Problematisch wird es erst, wenn – meistens im November – die Saison des französischen Volkssportes beginnt: La grève. Auch in Deutschland immer beliebter und durch die Medien weit verbreitet, hat diese Sportart doch in Frankreich immer noch ihre Spitzensportler. Besonders bei den Verkehrsbetrieben... So war es also auch während meines Paris-Aufenthaltes eines schönen Novembertages bzw. einer schönen Novemberwoche so weit und nichts ging bzw. fuhr mehr. Von den Métros, die zu Stoßzeiten etwa minütlich fahren, fuhren nur noch einzelne, manche Linien gar nicht. Bei den Bussen sah es ähnlich aus. Nachdem ich schon einen Tag zu Hause geblieben war, wollte ich es eines Abends versuchen, in die Uni zu schaffen, um einen wichtigen Kurs nicht zu verpassen. Von meiner Linie, der 11, fuhr eine von drei Bahnen. Diese Information erhält man immerhin, im Internet und auch auf den Bildschirmen, die in jeder Métro-Station hängen. So konnte ich also bis Châtelet fahren und von da aus den Rest zu Fuß gehen. Auch das brachte der Streik mit sich: Es war traumhaft! Es war schon dunkel draußen, die Lichter der Stadt leuchteten und es war zwar sehr kalt, aber die Luft war klar und winterlich-warm eingepackt war es wunderschön, über die Seine-Brücke zu spazieren und in der Ferne den Eiffelturm glitzern zu sehen. Der wichtige Kurs war so wichtig, weil er extra für uns eingerichtet worden war und an dem Tag zum ersten Mal statt fand. Leider mussten die vier Leute, die erschienen waren, nach einer halben Stunde den Raum verlassen, weil die gesamte Uni wegen der aktuellen Studentenstreiks evakuiert wurde... Nach einem gemeinsamen Abendessen mit ein paar Kommilitonen begab ich mich wieder auf den Heimweg. Schade nur, dass mittlerweile gar keine 11 mehr fuhr. An einer der Stationen sprach mich aber ein Mädchen an, das in die gleiche Richtung musste wie ich und wir lernten ein weiteres Mädchen kennen, das sogar genau das gleiche Ziel hatte wie ich. Gemeinsam beschlossen wir, ein Taxi zu teilen. Da die Wahrscheinlichkeit aber gering war, mitten in der Stadt beim Métrostreik ein freies Taxi zu finden und um etwas Geld einzusparen, wollten wir erst ein Stück mit zwei anderen Linien, die wenigstens noch ab und an fuhren, schon mal in die richtige Richtung fahren. Das ging auch; wir waren zwar „écrasées comme des sardines“, aber das schockt die Pariser gar nicht, wenn sie sich die Nasen an der Scheibe plattdrücken. Als wir schließlich in Belleville ankamen, hielt ich mit einer meiner Begleiterinnen nach Taxis Ausschau. Es war natürlich kein freies in Sicht, also setzten wir uns zu Fuß in Bewegung. Trotz der Befürchtung, noch Stunden unterwegs zu sein, genoss ich wieder die klare Winterluft. Nach ein paar Metern (aufwärts übrigens) konnte meine Begleiterin doch tatsächlich ein freies Taxi anhalten, das uns nach Hause bringen sollte! Es brachte uns dann noch ein bisschen weiter als gewünscht, weil es sich sonst für den Fahrer nicht gelohnt hätte, aber immerhin... Nach drei Stunden war ich endlich zu Hause! Und das alles für eine halbe Stunde, in der ich den Namen der Dozentin erfahren hatte und den Titel des Buches, das ich mir kaufen konnte, aber nicht musste. Die Entscheidung, am nächsten Tag wieder zu Hause zu bleiben, war dennoch nicht einfach, denn meistens fand der Unterricht trotz Streik statt (auch wenn nur eine Person anwesend war) und man wollte nur so wenig wie möglich verpassen. Wir waren also wohl alle froh, als der Streik beendet war und man wieder unbehelligt mit Métro und Bus verkehren und sicher sein konnte, abends wieder nach Hause zu kommen. Im Gegensatz zu Bonn kann man sich in Paris sogar auf die Durchsagen der Haltestellen verlassen, was besonders im Bus sehr hilfreich ist. Nicht in allen Métros werden die Stationen angesagt, aber sie sind immer eindeutig durch ihre große Schrift an den Wänden der Stationen zu erkennen. Doch die etwas moderneren Bahnen mit Ansage waren für uns deutschen Neulinge ein kleines, besonderes Highlight. Eine meiner und die Lieblingsstation vieler anderer war und ist immer noch „Havre-Caumartin? – Havre-Caumartin!“.
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