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Tages-Anzeiger – Mittwoch, 16. März 2016
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Tages-Anzeiger – Mittwoch, 16. März 2016 «Bencic muss nur mit
dem Druck klarkommen»
In der Heimat von Lara Gut
Der Franzose Patrick Mouratoglou, der Serena Williams seit 2012 zu acht GrandSlam-Titeln geführt hat, glaubt, dass die Ostschweizerin die Nummer 1 wird.
Mit Patrick Mouratoglou
sprach René Stauffer
Indian Wells
Belinda Bencic hat drei von vier
Partien verloren, seit sie in den
Top 10 steht. Könnte das einen
Zusammenhang haben?
Aber sicher. Wie es auch logisch ist, dass
es Angelique Kerber seit ihrem Sieg in
Melbourne nicht mehr läuft. Aus einem
einfachen Grund: Die Erwartungen der
Spielerin, des Umfelds und der Presse
sind gestiegen. Man spielt nicht mehr,
um zu erobern, sondern um das Terrain
zu verteidigen. Das ist völlig anders.
Flavia Cattaneo sagt: «Jede Lehrerin wünscht sich eine Schülerin wie Lara.»
Wie kann sie die Situation meistern?
Sie braucht Zeit. (überlegt) Eine Regel
gibt es nicht, denn das spielt sich im
Hirn der Spielerin ab. Es hängt mit dem
Vertrauen zusammen, mit dem Ego, mit
vielen Parametern. Es muss ihr gelingen,
dass alles zusammenspielt. Wenn der
Druck grösser ist als normal, muss auch
das Vertrauen grösser werden. Wenn
der Druck zu gross wird, kommt es normalerweise nicht gut heraus. Das sieht
man oft. Aber es gab ja auch Schweizer,
die lernten, gut mit Druck zu leben –
Martina Hingis und Roger Federer.
Wird es auch Bencic gelingen?
Ich denke schon. Ich habe eine sehr
hohe Meinung von ihr, ihrem Spiel und
ihrer Mentalität. Sie ist schon sehr stark.
Sie sagten in einem Interview, dass
sie einmal die Nummer 1 wird.
Das stimmt. Sie hat das Potenzial dazu.
Allerdings ist es nicht gut, dass ich das
sage – weil ich dadurch die Erwartungen
noch steigere und sie zusätzlich unter
Druck gesetzt wird. Aber sie weiss ja:
Alle erwarten von ihr, dass sie zeigt, eine
Top-10-Spielerin zu sein, dass sie weiter
aufsteigt und die Nummer 1 wird.
Das Plakat neben dem Heiligen: Lara Guts Präsenz im Heimatdorf.
Cousin und Schiedsrichter Luca Gut.
Stiftungsgründer Luca Cereghetti.
Was würden Sie ihr raten?
Ich bin nicht ihr Coach und kenne sie
nicht gut genug. Aber einen Rat hätte
ich: Lies nicht die Presse, schütze dich
so gut wie möglich vor den Erwartungen, die die Leute in dich setzen. Dass
dies geschieht, ist normal. Sie muss nur
mit dem Druck klarkommen, dann wird
sie sich weiter verbessern. Aber wenn
man nicht aufpasst, kann man rasch in
einen Teufelskreis geraten.
Der Ort, an dem alles begann: Comano, unweit von Lugano gelegen auf 500 Metern über Meer. In dieser noblen Gegend lebt die Familie Gut. Fotos: Valeriano Di Domenico
Stolz auf ihre Lara
Die ehemalige Lehrerin, ihr Cousin und ein Stiftungsgründer erzählen, wie sie Lara Gut, die Gesamtweltcupsiegerin, wahrnehmen.
Sie reden über ihre grosse Passion, schwärmen von ihren Charakterzügen und nerven sich über Kritiker. Eine Spuren suche von René Hauri und Marco Keller
Die Sonne lässt das kleine Dorf erstrahlen. Es liegt an einem steilen Hang. Der
Kirchturm lugt aus dem Mosaik von
Steinhäusern hervor. Der Himmel ist
stahlblau. Die Sonnenstube der Schweiz
macht ihrem Namen alle Ehre.
Es geht den Hügel hoch, die Strassen
werden schmaler, Schneehaufen deuten
an, dass der Winter auch hier bis vor
kurzem Einzug gehalten hat. Manche
Gärten liefern Hinweise darauf, dass das
nicht ­irgendein idyllisches Dorf im Tessin ist. Es hat eine berühmte Tochter.
Grosse Plakate haben sie auf ihren Wiesen auf­gestellt, abgebildet ist Lara Gut,
die ­Gesamtweltcupsiegerin dieses Winters. Aufgewachsen hier, in Comano, unweit von Lugano, auf 500 m über Meer.
Dass eines der Plakate bei der Pfarrkirche aufgehängt wurde, direkt neben
dem Bild eines Heiligen, dürfte mehr
Zufall sein, als einen symbolischen Wert
haben. Stolz aber sind die meisten hier.
Schülerin Lara war «brillant»
Eine, die das besonders ist, wohnt gleich
neben der Kirche. Das Haus mit dem grossen Garagentor ist imposant, wie die meisten Bauten hier, es ist eine noble G
­ egend.
Die Frau mit den langen schwarzen Haaren öffnet die Tür, setzt sich an den Tisch
in der Stube. Vor der grossen Fensterfront
liegt ein Rebberg. Jetzt ­beginnt Flavia Cat-
taneo zu reden. Enthusiastisch, impulsiv,
die Hände erzählen mit, die Augen strahlen. Sie erinnert sich gerne zurück an die
Zeit, als Lara Gut bei ihr in die 4. und
5. Klasse ging. Cattaneo ist Lehrerin, seit
38 Jahren, immer schon in diesem
2000-Seelen-Dorf. Und dieses Mädchen,
das ist ihr besonders in Erinnerung geblieben. Sie beschreibt es mit Wörtern wie
«sehr intelligent» oder gar «brillant», sagt,
«sie war in allen Fächern gut», im Lesen,
im Schreiben, im Geschichtenerzählen,
im Rechnen, im Zeichnen.
Und ja: Auch die Musik soll ihr gelegen
haben und die Sprachen, die schon immer eine grosse Rolle spielten in ihrem
Leben. Mutter Gabriella Almici ist Italienerin, lebte aber im Jura, die Eltern von
Vater Pauli sind Deutschschweizer. Lara
Gut spricht fliessend Italienisch, Französisch und Deutsch. Englisch ­beherrscht
sie ebenso, etwas Spanisch auch.
Cattaneo meint kurzum: «Sie war eine
beispielhafte Schülerin. Eine, die jede
Lehrerin gerne in ihrer Klasse hat.»
Es sprudelt nur so aus ihr heraus, sie
erzählt vom starken Charakter des Mädchens, «sie war sehr entschlossen, hatte
klare Vorstellungen und ihren eigenen
Kopf». Ihre Stärken habe sie dann am
meisten gezeigt, wenn es um selbstständige Arbeiten ging. «Sie brauchte keine
Gruppe zur Unterstützung. Sie weiss,
Nur eine?
Okay, Serena Williams ist noch aussergewöhnlicher. Aber Hingis hat unglaubliche
Qualitäten, sie ist einzigartig mit dem
Spielverständnis, mit ihrer Liebe für das
Tennis, die ist phänomenal. Selbst im
Einzel hätte sie noch Top-50-Niveau.
was sie will», sagt Cattaneo. Es sind
Eigenschaften, die sich heute noch zeigen, die Teil ihres Erfolgs sind. Dass sie
auch aneckt, weiss Cattaneo, «aber das
ist eben Lara», meint sie. «Sie sagt, was
sie zu sagen hat. Und das ganz unverblümt.» Sie mag ihre direkte Art.
«Das ist eben
Lara. Sie sagt,
was sie zu sagen
hat. Und das ganz
unverblümt.»
Lehrerin Flavia Cattaneo
Das Haus der Guts liegt nur zwei Gehminuten entfernt weiter oben im Dorf.
Noch immer kommt Lara Gut ab und zu
vorbei, die grosse Büchersammlung der
ehemaligen Lehrerin hat es ihr angetan.
Immer wieder habe sie welche ausleihen
wollen, erzählt die 58-Jährige. So war das
auch im letzten Sommer. «­ Bevor sie ins
Training nach Südamerika reiste, holte
sie fünf neue Bücher ab», sagt C
­ attaneo.
Natürlich sieht aber auch sie Lara Gut
selten, manchmal in der Turnhalle des
Schulhauses, wo sie schon als Kind am
Wochenende mit ihrem Vater trainierte –
wo ihre Mutter zudem Turnlehrerin war.
Bevor sie zurückfährt in die Schule,
der Nachmittagsunterricht beginnt bald,
kommt Cattaneo doch noch etwas in den
Sinn, was sie früher ärgerte. «Wenn ihr
Vater vorbeikam und fragte, ob Lara am
Freitagnachmittag fehlen könne, weil sie
am nächsten Tag ein Rennen fahre. Davon
war ich nicht begeistert», sagt sie. «Aber
dann habe ich mir gesagt: Dieses Mädchen wird eines Tages weit kommen.»
Es ist früher Nachmittag. In einem
­Industriegebiet am Rande von Bellinzona
steht ein grosser weisser Komplex. Hier
arbeitet Luca Gut, ein Cousin von Lara.
Der Mann mit dem kantigen Gesicht, der
hier als Elektroingenieur angestellt ist, erzählt zu Beginn eine Anekdote. Vor etwa
15 Jahren sei es gewesen, beginnt er also,
am Weihnachtstag, an dem sich die ganze
Familie Gut jeweils zum Mittag­essen trifft.
In Airolo hatte sie sich verabredet, nahe
einer Skipiste. «Es war ein hässlicher Tag,
es windete, es schneite, keinen Hund
hätte ich vor die Tür ­gejagt», erzählt er.
Lange mussten sie warten auf Gabriella
und Pauli Gut, auf Lara und ihren Bruder
Ian. «Sie kamen im Skianzug und in Skischuhen», sagt Luca Gut. «Sie meinten:
‹Es ist wunderschön, es hat keine Leute
auf der Piste.›» Nach dem Essen habe Lara
gesagt: «Das war toll, jetzt ­gehen wir aber
wieder Ski fahren.»
Luca Gut muss schmunzeln. «Von
klein auf war Skifahren ihre grosse Passion.» Er teilte diese nicht, widmete sich
dem Fussball und tut das noch heute.
Der 32-Jährige ist Schiedsrichter – auf
hohem Niveau. 113 Challenge-League­
Spiele hat er gepfiffen, auch schon 6 Partien in der Super League. Er sieht Parallelen zwischen seiner Tätigkeit und der
von Lara Gut. «Die Leute sehen bei uns
nur die Spitze des Eisbergs, aber nicht
die ganze Arbeit dahinter», sagt er. Er
schaut die Rennen wann immer möglich.
«Ist es gut gelaufen, gratuliere ich ihr per
SMS, wenn nötig, tröste ich sie», sagt er.
Das Unverständnis des Cousins
Wenn sie sich sehen, versucht er aber, so
wenig wie möglich über ihren Beruf zu
reden. «Sie muss ja sonst schon viele Fragen dazu beantworten» sagt er. Dass sie
selbst in der Heimat kritisiert wird, damit
hat Luca Gut «Mühe». Er sagt: «Es tut mir
weh. In der Schweiz verlangen wir sehr
viel. Jetzt haben wir doch ein nettes, sympathisches Mädchen, das Gesamtweltcupsiegerin ist, und wir kritisieren i­ mmer
noch.» Er jedenfalls sei «sehr stolz» auf
seine acht Jahre jüngere Cousine.
Die Reise geht weiter, nach Agno am
Luganersee. Dort wartet in einem Büro
Luca Cereghetti. Dieser gründete 2011
­zusammen mit einem Freund die Stiftung
Greenhope, die sich für den Kampf gegen
Kinderkrebs einsetzt. Partner sind der
HC Davos, Mountainbiker Ralph Näf oder
eben Lara Gut. Sie war die Erste überhaupt, die zusagte. «Das gab uns eine
­Extraportion Motivation», sagt Cereghetti.
500 000 Leute auf Facebook
Und als sie Aufkleber mit dem Logo der
Stiftung druckten, habe die 24-Jährige
sofort einen gewollt. Er ziert seither
ihren Helm. Ein Exemplar hat auch
­C ereghetti, er zeigt es nicht ohne Stolz.
Überhaupt ist er angetan von Guts Engagement. Im letzten Jahr organisierten sie
erstmals einen Lara-Gut-Day. Cereghetti
erzählt: «Lara und ihre Mutter hatten die
Idee, ihre Kleidung von Olympia und
WM zu versteigern. 3000 Franken
­kamen zusammen.» Mit dem Gesamtweltcupsieg erhofft er sich einen zusätzlichen Schub, «auf Facebook folgen ihr
500 000 Leute, uns nur 2400», sagt er.
Flavia Cattaneo, die temperamentvolle Lehrerin, Luca Gut, der pfeifende
Cousin, und Luca Cereghetti, der sich
für krebskranke Kinder einsetzt: Sie alle
verbindet etwas anderes mit der besten
Skifahrerin des Winters 2015/16. Eine
Gemeinsamkeit aber haben sie: Sie alle
sind stolz auf ihre Lara.
Finale Kampf um kleine Kugeln
Obwohl die Gesamtweltcupsieger feststehen,
Lara Gut und – zum fünften Mal in Serie –
Marcel Hirscher, kommt es in der Finalwoche
in St. Moritz noch zu einigen Entscheidungen.
Selbst Verletzte dürfen sich Hoffnungen auf
den Gewinn kleiner Kristallkugeln machen.
Lindsey Vonn, die gestern Abend ins Ober­
engadin reiste, wird heute den Preis als beste
Abfahrerin erhalten. Ob sie auch die Super-GWertung gewinnt, zeigt sich morgen – Gut hat
19 Punkte Rückstand. Im Riesenslalom kommt
es zum Duell zwischen Eva-Maria Brem und
Viktoria Rebensburg. Die Slalomkugel hat
Frida Hansdotter auf sicher, und die Kombina­
tionswertung gewinnt Wendy Holdener.
Auch bei den Männern ist der stärkste
Abfahrer ein Verletzter: Aksel Svindal. Im
Super-G gibt es noch sechs Kandidaten –
theoretisch hätte auch Carlo Janka noch die
Chance auf den Triumph. Hirscher ist der
beste Riesenslalom-, Henrik Kristoffersen der
beste Slalomfahrer. Die Kombination gewann
Alexis Pinturault. (rha)
Weltcupfinale in St. Moritz
Heute Abfahrt Männer (10.00), Frauen (11.30)
Morgen Super-G Männer und Frauen
Freitag Teamevent Samstag Slalom Frauen, Riesenslalom Männer
Sonntag Riesenslalom Frauen, Slalom Männer
Ist es ein Vorteil für sie, dass sie aus
einem kleinen Land kommt, wo der
Rummel nicht so gross ist?
Auf jeden Fall. Andererseits ist der
Druck auch in der Schweiz gross – weil
man dort gewohnt ist, Nummer-1-Spieler
und Grand-Slam-Sieger zu ­haben. Alles
andere ist nicht gut genug.
Was denken Sie über ihr Umfeld?
Ich weiss nicht genau, wie es organisiert
ist. Aber es scheint zu funktionieren.
Omnipräsente Väter gibt es im Frauentennis viele. Solange die Beziehung zwischen Vater und Tochter gut ist, sehe ich
kein Problem. Es funktionierte ja auch
bei den Williams-Schwestern sehr gut.
Welche anderen jungen Spielerinnen
könnten an die Spitze stossen?
Garbiñe Muguruza spielt gut. Viele
andere können sich momentan nicht
­
­bestätigen: Madison Keys hat viel Potenzial, aber bestätigt es nicht, wie Sloane
Stephens und Eugenie Bouchard. Auch
einige Russinnen sind stark, vor allem
Darja Kassatkina. Aber Bencic ist ihnen
weit voraus im Ranking. Es gibt eine
schöne Öffnung für sie, eine Bresche. Es
könnte sogar sein, dass sie die nächste
Nummer 1 wird. Die Konstellation ist
Patrick
Mouratoglou (45)
Der Franzose mit
griechischem Vater
führt eine Tennis-­
Akademie in Nizza. Er
betreute vor Williams
u. a. Baghdatis,
Chardy, Dimitrov und
Pawljutschenkowa.
Sprechen wir von Serena Williams.
Was ist das Geheimnis ihrer
­Konstanz, seit Sie mit ihr arbeiten?
Es war mein Ziel, dass sie konstant wird.
Sie kümmert sich auch viel mehr um ihr
Tennis, ist voll dabei, hat Freude zu
­spielen, Matchs zu schauen. Es gibt viele
Gründe. Sie war am Ende ihrer Karriere
angelangt, sah das Ende kommen – und
dann flammte ihr Interesse für das Spiel
neu auf. Wahrscheinlich spielt auch mit,
dass ich sehr motiviert bin, zumindest
sagt sie das. Sie spielt zwar vor allem für
sich, aber ein wenig auch für mich. Und
wenn es läuft, erhält man Lust auf mehr.
Von der Jägerin zur Gejagten:
Belinda Bencic, 19. Foto: Keystone
günstig. Denn keine Spielerin ist im
­Moment wirklich stark, ausser Serena
Williams.
In welche Richtung sollte Bencic ihr
Spiel entwickeln?
Sie macht alles gut, entwickelt sich gut.
Es gibt nichts, das negativ auffällt. Sie
verwendet das Spielsystem von Martina
Hingis, hat die gleiche Stärke – die Rückhand –, nimmt den Ball früh, hat gute
Hände, einen guten Return und eine
gute Aufschlagbewegung. Diesen Schlag
wird sie sicher noch verbessern.
Warum stiessen früher Spielerinnen
wie Hingis, Capriati oder Seles viel
jünger an die Spitze vor?
Weil der internationale Verband eine
­Altersregel einsetzte, um die Entfaltung
der jungen Spielerinnen massiv zu bremsen. Das war ein Irrtum. Man kann nicht
erwarten, dass alle sich im gleichen Alter
entfalten. Die Menschen sind verschieden, einige brauchen länger als andere.
Ist das Frauentennis nicht auch
athletischer geworden?
Das ist ein anderer Aspekt. Er hängt
­damit zusammen, dass die Beläge ver-
«Einen Rat hätte ich: Lies
nicht die Presse, schütze
dich so gut wie möglich
vor den Erwartungen.»
langsamt wurden und die Spielerinnen
körperlich mehr fordern. Früher gab es
mehr schnelle Beläge, auf denen man
mit zwei, drei Schlägen einen Punkt
­gewinnen konnte. Das geht nicht mehr;
man muss viel länger dagegenhalten.
Das gilt sogar noch mehr für die Männer.
Wie lange könnte Bencic brauchen,
um ihr Potenzial auszuschöpfen?
Das kann man nicht sagen. In welchem
Alter war Wozniacki die Nummer 1? Mit
20, 21? Das war bereits ihr Höhepunkt,
dieses Niveau erreichte sie nicht mehr.
Bencic war schon immer sehr frühreif.
Und was halten Sie von Timea
­Bacsinszky, die mit 26 in die Top 10
vorstiess, nach einer Knieverletzung
nun aber etwas zurückfiel?
Ich fand schon immer, dass sie viele gute
Qualitäten hat, und 2015 gelang ihr ein
wichtiger Schritt. Sie ist sehr komplett,
hat ein gutes Spielverständnis und ist
schlau und intelligent. Ihr Variantenreichtum stört viele Spielerinnen.
Sind Sie überrascht, dass Hingis im
Doppel wieder die Nummer 1 ist?
Aber nein. Viele sagen zwar, das Frauentennis sei schwach; da komme eine wie
Clijsters nach zwei Jahren zurück und
gewinne wieder einen Grand Slam. Aber
das stimmt nicht. Was stimmt, ist, dass
dies aussergewöhnliche Spielerinnen
sind. Auch Hingis. So jemanden gibt es
vielleicht einmal pro Jahrhundert.
Nun scheint das Ende wieder weit
weg. Wie lange dominiert sie noch?
Solange sie gesund und so motiviert wie
jetzt ist, wird sie sehr schwer zu entthronen sein. Wie lange, weiss keiner.
Wie reagierte sie darauf, am
US Open 2015 knapp den Grand
Slam verpasst zu haben, mit der
Halbfinalniederlage gegen Vinci?
Sie fühlte sich wie jemand, der in einem
Marathon immer führt und hundert
­Meter vor dem Ziel abgefangen wird. Es
war eine grosse Enttäuschung. Aber
­ihrer Motivation hat es nicht geschadet.
Und was sagen Sie zum Dopingfall
von Maria Scharapowa?
Es ist schade für sie. Denn sie ist eine
der Spielerinnen, die die Stadien füllen.
Sie und Serena sind die zwei grossen
Stars im Frauentennis.
Einige sagen, man müsste ihr alle
Titel wegnehmen.
Das kann man doch nicht! Jemandem,
der zehn Jahre lang ein Medikament
­genommen hat, das erlaubt war, kann
man doch nichts wegnehmen. Dass man
aus einem ethischen Gesichtspunkt sagt,
es sei unmoralisch, etwas zu nehmen,
um die Leistung zu steigern – obwohl es
erlaubt ist –, verstehe ich. Da gibt es verschiedene Sichtweisen. Dass sie hart
­bestraft wird dafür, dass sie er­wischt
wurde, ein verbotenes Produkt eingenommen zu haben, ist normal und wünschenswert. Es ist wichtig, dass die, die
ertappt werden, bestraft werden.
­G erade wenn es grosse Stars sind.
Wie lange sollte die Sperre Ihrer
Meinung nach ausfallen?
Ich bin kein Richter. Ich weiss es nicht.
Noch eine Frage zu Roger Federer:
Er ist die Nummer 3, wird bald 35,
aber denkt noch nicht ans Zurücktreten. Was trauen Sie ihm noch zu?
Solange er motiviert ist und nicht verletzt... Auch ihn gibt es nur einmal pro
Jahrhundert. Für mich ist er der Spieler,
der am besten gespielt hat in der ganzen
Tennisgeschichte. Und es gibt Millionen
von Leuten, die davon träumen, ihn täglich spielen zu sehen, und bereit wären,
ein Ticket zu kaufen, um ihn zu sehen.
Warum sollte er also zurücktreten?
Indian Wells Wawrinkas Chance
Mit einem 6:4, 7:6 (5) über Andrei Kusnezow
(ATP 55) verschaffte sich Stan Wawrinka die
Möglichkeit, erstmals seit 2011 in Indian Wells
die Viertelfinals zu erreichen. Dazu muss er
im Achtelfinal den Belgier David Goffin (18)
schlagen, gegen den er in drei Duellen noch
keinen Satz abgegeben hat; zweimal standen
sie sich in Chennai gegenüber, dazu 2015 in
Wimbledon. Die Partie gegen Kusnezow
(RUS) war wegen Verzögerungen ins zweit­
grösste Stadion verlegt worden. «Abgesehen
von einer Konzentrationslücke im zweiten
Satz spielte ich gut», sagte Wawrinka, der ein
3:5 aufholte. Timea Bacsinszky traf in der
Nacht auf heute auf Darja Kassatkina. (rst)
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