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Die intensive Tierproduktion ist seit einigen Jahren in das Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik
geraten, getragen vor allem von Tier- und Umweltschutzorganisationen, aber zunehmend
auch von Vertretern aller politischen Parteien und auch von Wissenschaftlern, wie der
Bericht des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundeministerium für Ernährung
und Landwirtschaft Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung gezeigt hat.
Dabei wird zumeist der Eindruck erweckt, als ob die dort geäußerten Vorbehalte gegen die
Erzeugung tierischer Lebensmittel in intensiven Haltungsformen von einem Großteil der
Gesellschaft mitgetragen werden und damit die gesellschaftliche Akzeptanz nicht mehr
gegeben ist.
Angesichts dieser Situation stellten sich einige Fragen:

Wie hoch ist der Anteil in der Bevölkerung, der einer intensiven Tierproduktion
ablehnend gegenübersteht?

Auf welcher statistischen Grundlage haben Tierschützer, Politiker und Medien die
Feststellung getroffen, dass dies beim überwiegenden Teil der Bevölkerung der Fall
ist?

Welche Ergebnisse zeigen unsere umfangreichen Befragungen von Besuchern von
großen Tierhaltungsanlagen mit intensiver Geflügelhaltung in großen Beständen?

Welches sind die Ursachen für die offensichtliche Diskrepanz zwischen dem in den
Medien transportierten Meinungsbild und den empirisch erhobenen
Befragungsergebnissen?
Die Transparenzoffensive
Im September 2012 wurde ein wissenschaftliches Projekt an der Universität Vechta
gestartet, das sich zum Ziel setzte, die Einstellung von Besuchern zur intensiven
Geflügelproduktion zu erfassen, denen die Möglichkeit gegeben wurde, solche Betriebe zu
besichtigen und sich ein eigenes Bild von den Haltungsformen zu verschaffen. Dabei
konnten sie, versehen mit einer entsprechenden Schutzkleidung zur Vermeidung der
Übertragung von hochinfektiösen Geflügelkrankheiten auf die wertvollen Tierbestände, die
Stallanlagen betreten. Sie erhielten während der Besichtigung vom Landwirt oder auch dem
betreuenden Hoftierarzt Zusatzinformationen zur Größe der Bestände, dem Alter der Tiere,
den Produktionsbedingungen, ggf. aufgetretenen Erkrankungen und dem Einsatz von
Antibiotika sowie zu wirtschaftlichen Grunddaten, z.B. den Produktionskosten und den
Gewinnmargen. Nach der Besichtigung wurden weitere Informationen zur Struktur der
deutschen Geflügelhaltung, dem Selbstversorgungsgrad mit Geflügelerzeugnissen, dem ProKopf-Verbrauch von Eiern und Geflügelfleisch sowie zu Außenhandelsbeziehungen mit
diesen Gütern von den Wissenschaftlern bereitgestellt.
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Der Verfasser ist Prof. em. und Wissenschaftlicher Leiter des Wissenschafts- und Informationszentrums Nachhaltige
Geflügelwirtschaft (WING) der Universität Vechta
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Zwischen September 2012 und Dezember 2014 wurden in Niedersachsen und einigen
südlich angrenzenden Landkreisen in Westfalen bereits 29 Betriebe für die Öffentlichkeit
zugänglich gemacht. Dabei handelte es sich um Legehennen-, Mastputen- und
Hähnchenbestände. Insgesamt nutzten über 7000 Besucher die Gelegenheit, sich einen
persönlichen Eindruck von den Haltungsformen zu verschaffen. Insgesamt beteiligen sich z.
Z. über 90 Geflügelhalter in Niedersachsen an diesem Projekt. Ihre Stallanlagen werden im
Verlaufe der nächsten vier Jahre der Öffentlichkeit für eine Besichtigung zur Verfügung
stehen.
Die Besucher wurden im Rahmen des wissenschaftlichen Projektes vor und nach dem
Stallbesuch bezüglich ihrer Einstellung zur intensiven Geflügelhaltung befragt, um
auftretende Veränderungen in der Bewertung zu erfassen. Dabei sollte vor dem Stalleintritt
eine spontane Einschätzung abgegeben werden. Nach dem Stallbesuch und den gegebenen
Zusatzinformationen erfolgte dann eine erneute Befragung mit identischer Fragestellung. Der
Vergleich ermöglichte es, die eingetretenen Veränderungen in der Bewertung der intensiven
Geflügelhaltung durch die Besucher zu erfassen. Insgesamt waren über 4000 verwertbare
Fragebögen für die Auswertung vorhanden, allerdings wurden für die hier präsentierten
Ergebnisse nur gut 2000 Fragebögen herangezogen. Alle Besucher, die über Vorkenntnisse
verfügten oder bereits vorher einen Geflügelstall besucht hatten, wurden von der Auswertung
ausgeschlossen, ebenfalls Besucher unter 18 Jahren, die nicht in einem eigenen Haushalt
lebten. Eine Auswertung der hier nicht berücksichtigten Fragebögen hat gezeigt, dass die
Ergebnisse noch positiver ausfallen würden, wenn sie einbezogen worden wären.
Überraschende Ergebnisse
Die Auswertung der Fragebögen zeigte ein erstes überraschendes Ergebnis. Die Einstellung
der Besucher vor dem Stallbesuch war keineswegs so negativ, wie erwartet worden war,
denn 73,1 % der Besucher zeigten eine offene, erwartungsvolle Einstellung und nur 18,2 %
standen der intensiven Geflügelhaltung skeptisch gegenüber; 8,7 % hatten keine
Vorabmeinung oder gaben keine Auskunft zu ihrer Einstellung (vgl. Abbildung). Dieses
Ergebnis deckte sich nicht mit dem von Tierschutzorganisationen und einigen Medien
veröffentlichten Werten. Auf mögliche Ursachen der Diskrepanz wird später
zurückzukommen sein.
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[%]
81,2
73,1
8,2
kein Gefühl
2,9
k.A.
7,6
negativ
k.A.
VORHER
positiv
3,7
skeptisch
5,0
kein Gefühl
18,2
offen, erwartungsvoll
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
NACHHER
Abbildung: Einstellungen der Besucher zur intensiven Geflügelhaltung vor und nach
dem Stallbesuch, 2013-2014
(Quelle: Heijne und Windhorst 2015)
Bemerkenswert war darüber hinaus, dass die Ergebnisse der Nachbefragung ebenfalls eine
Überraschung brachten, denn der Anteil der positiven Bewertungen stieg auf 81,2 % an, die
negativen Einstellungen gingen auf 8,2 % zurück, kein Meinungsbild gaben 11,1 % der
Stallbesucher ab. Es wurde deutlich, dass die direkte Begegnung mit der intensiven
Geflügelhaltung in Großbeständen keineswegs zu einer stärker ablehnenden Einstellung
geführt hatte, sondern im Gegenteil die Meinung vorherrschte, dass die Haltungsformen mit
den Tierschutzanforderungen vereinbar seien.
Das differenzierte Meinungsbild zeigt charakteristische Unterschiede
Die Fragebögen erlaubten eine getrennte Auswertung nach dem Wohnort, dem Geschlecht
und dem Alter der Besucher. Die dabei gewonnen Ergebnisse sollen kurz erläutert werden.
Die Vermutung bestätigte sich, dass städtische Besucher ohne vorherige Berührung mit der
landwirtschaftlichen Erzeugung von Lebensmitteln der intensiven Geflügelhaltung
skeptischer gegenüberstehen als Bewohner ländlich strukturierter Räume, dass aber die
Vor-Ort-Erfahrung dazu beiträgt, Vorbehalte abzubauen. Der Anteil der skeptischen
Stadtbewohner ging von 22,4 % auf 10,0 % zurück, derjenige der Dorfbewohner von 16,6 %
auf nur noch 6,8 %. Bei dem Vergleich zwischen den Geschlechtern zeigte sich eine
ähnliche Tendenz. Frauen waren vor dem Stallbesuch deutlich kritischer als Männer, nach
dem Stallbesuch war das Niveau der positiven und negativen Einstellungen zu den
Haltungsformen auf fast gleichem Niveau. Während 20,0 % der Frauen vor dem Stallbesuch
eine kritische Haltung aufwiesen, waren es hinterher nur noch 8,2 %, bei den Männern nahm
die kritische Einstellung von 16,3 % auf 7,2 % ab. Allerdings stieg bei beiden Geschlechtern
der Anteil der Besucher, die kein Meinungsbild abgaben, deutlich an. Im Vergleich zur
positiven Bewertung, die nach dem Stallbesuch bei gut 80 % lag, war der Anteil mit etwa 8 %
bis 9 % jedoch gering. Auch bezüglich der Einstellung der Altersgruppen ließen sich
bemerkenswerte Unterschiede feststellen. Vor dem Stallbesuch war im Vergleich zu anderen
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Altersgruppen die jüngste Altersgruppe (18-29 Jahre) mit einem Anteil von nur 15,6 % am
wenigsten kritisch, allerdings stand diese Gruppe auch nur zu 66,1 % der intensiven
Produktion offen gegenüber. Besonders kritisch war die Voreinstellung der Besucher, die 60
Jahre und älter waren, mit einem Anteil von 18,7 %. Nach dem Stallbesuch kehrte sich das
Meinungsbild um. Obwohl deutlich gesunken, war nun das Meinungsbild in der jüngsten
Altersklasse mit 9,4 % am höchsten, demgegenüber nahm der Anteil der Skeptiker in der
Altersgruppe ab 60 Jahre um 12,5 % ab und lag nun bei nur noch 7,2 %. Die
Befragungsergebnisse zeigen aber auch hier den eindeutigen Trend zu einer wesentlich
positiveren Bewertung der intensiven Geflügelhaltung nach der Möglichkeit einer
Stallbesichtigung.
Als Gesamtergebnis der Besucherbefragung kann festgehalten werden, dass die direkte
Kommunikation zwischen Erzeuger und Verbraucher dazu beigetragen hat, kritische
Einstellungen gegenüber einer intensiven Geflügelhaltung in großen Beständen abzubauen
und Vertrauen zu schaffen.
Erklärungsversuche zur Diskrepanz
Ergebnissen der Besucherbefragung
des
medialen
Meinungsbildes
und
den
Die Auswertung der Fragebögen zeigte das auch für die Wissenschaftler überraschende
Ergebnis, dass die Voreinstellung der Farmbesucher gegenüber einer intensiven
Geflügelhaltung bei weitem nicht so kritisch war, wie es Medienberichte und Internetauftritte
von Tierschutzorganisationen erwarten ließen. Deshalb soll zunächst der Frage
nachgegangen werden, wie überhaupt Meinungsbilder und Bewertungen zustande kommen.
Daniel Kahnemann schreibt in seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken (2014, S.
20):
Menschen neigen dazu, die relative Bedeutung von Problemen danach zu beurteilen, wie leicht sie sich
aus dem Gedächtnis abrufen lassen – und diese Abrufleichtigkeit wird weitgehend von dem Ausmaß der
Medienberichterstattung bestimmt. Häufig erwähnte Themen ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich,
während andere aus dem Bewusstsein verschwinden. Andererseits entspricht das, worüber die Medien
berichten, was die Öffentlichkeit gegenwärtig bewegt.
In den Medien, seien es nun die Bild- oder Printmedien, sind in den zurückliegenden Jahren
häufig Negativberichte über die intensive Nutztierhaltung erschienen, die auf Berichten von
Tierschutzorganisationen oder auch illegal erstelltem Filmmaterial beruhen. Dabei liegen
insgesamt wenige Berichte bzw. Filmaufnahmen vor, die eindeutig solche Verfehlungen
dokumentieren. Aus dieser geringen und keinesfalls repräsentativen Zahl von „Belegen“
wurde dann ein Meinungsbild konstruiert, das sich in der Öffentlichkeit festgesetzt hat.
Kahnemann (2014, S. 150) stellt diesbezüglich fest:
Der überzogene Glaube an die Aussagekraft kleiner Stichprobenbefunde ist nur ein Beispiel für die
allgemeine Illusion – wir schenken dem Inhalt von Nachrichten mehr Aufmerksamkeit als der Information
über ihre Zuverlässigkeit und gelangen so notwendigerweise zu einer Sicht der Welt um uns herum, die
einfacher und kohärenter ist, als es die Daten rechtfertigen.
Ganz offensichtlich ist dies Verhalten nicht allein bei Menschen anzutreffen wie Kahnemann
(2014, S. 370) festgestellt hat:
Das Gehirn des Menschen und anderer Säugetiere enthält einen Mechanismus, der darauf ausgelegt ist,
schlechten Nachrichten den Vorrang zu geben.
Dieser Mechanismus wird, das ist bei Durchsicht von Nachrichten und Informationen leicht
zu überprüfen, in der Medienberichterstattung konsequent genutzt. Besonders wirksam wird
er dann, wenn die Information mit bestimmten Reizwörtern gekoppelt ist. Solche Reizwörter
sind in dem hier behandelten Zusammenhang z. B. Massentierhaltung, Antibiotikaeinsatz,
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MRSA, Qualzucht u. a. Weil diese Reizwörter emotional aufgeladen und dazu negativ
besetzt sind, ziehen sie die Aufmerksamkeit besonders auf sich.
Hierzu Kahnemann (2014, S. 85):
Die Vertrautheit mit einem Ausdruck innerhalb einer Aussage reicht aus, um die ganze Aussage vertraut
und damit wahr erscheinen zu lassen. Wenn man sich nicht an die Quelle einer Aussage erinnern kann
und keine Möglichkeit hat, sich auf andere Dinge zu beziehen, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich
an die Mühelosigkeit des Denkens zu halten.
Vor allem die Wiederholung von identischen Meldungen, die mit bestimmten, emotional
aufgeladenen Begriffen arbeiten, führen dazu, dass sich eine bestimmte Einstellung zu
verfestigen beginnt. Weil Menschen normalerweise nicht über die Basisrate (hier die Zahl der
Geflügelhaltungen) informiert sind, auf die sich die vermeintlich repräsentativen Aussagen
beziehen, stellen sie den Wahrheitsgehalt der Aussagen nicht in Frage. Aber selbst dann,
wenn sie über die Grundgesamtheit informiert sind, ziehen sie zumeist daraus keinen
Schluss, der ihren Überzeugungen zuwiderläuft (Kahnemann 2014, S. 187 und 213). Dies ist
vor allem dann der Fall, wenn diese Überzeugung von Menschen, die man mag und denen
man vertraut, ebenfalls geteilt wird. In Einzelgesprächen mit Besuchern, die sich sehr kritisch
gegenüber der intensiven Geflügelhaltung äußerten, wurde dies sehr deutlich. So ließ sich in
ihren Äußerungen erkennen, dass sie zum einen sehr stark mit bestimmten Reizwörtern
argumentierten und zum anderen dezidiert darauf hinwiesen, dass sie mit ihrer Meinung
nicht allein ständen, sondern diese in gleicher Weise von anderen Personen geteilt werde,
denen sie offenbar mehr Vertrauen entgegenbrachten als den Landwirten, Veterinären oder
auch den sie befragenden Wissenschaftlern.
Ein eindrucksvolles Beispiel einer überzogenen Medienberichterstattung ist von Walter
Krämer, Professor für Statistik und Empirische Wirtschaftsforschung an der TU Dortmund,
vorgelegt worden. Der sogenannte „Dioxinskandal“ im Januar 2011 beherrschte für einen
Monat lang die Medien, bis sich schließlich herausstellte, dass zu keinem Zeitpunkt eine
Gefahr für die Bevölkerung bestanden hatte. Bei Krämer (2015, S. 715) heißt es:
Aber die Verfügbarkeitskaskade entrollte sich trotzdem mit ungeheurer medialer Wucht, die Medien und
die Verbraucher trieben sich gegenseitig in eine regelrechte Pogromstimmung hinein, der Volkszorn
bebte, der nackte Affe reagierte, wie er es aus dem Urwald kennt. Mitarbeiter der betroffenen
Futtermittelfirma wurden als „Mörder“ beschimpft und mit den Worten „Wir machen Euch fertig“ bedroht.
„Eine geldgierige, kriminelle Minderheit macht diese Systeme kaputt, und der Staat merkt wie immer erst
etwas, wenn der Schaden schon eingetreten ist“. … Und die Politik passte sich in ihrer bekannten
Rückgratlosigkeit sehr schnell des Volkes Stimme an.
Walter Krämer endet seine Darstellung mit den Worten: „Ich muss sagen, da habe ich mich
für die deutschen Medien und die deutsche Politik geschämt.“
Ein anderes Beispiel sind Berichte über das angebliche in Verkehr bringen von „PutenGammelfleisch“ durch das Unternehmen Heidemark (Garrel) im April und Mai 2007.
Wiederholte Berichte im Fernsehen (Pressemitteilung des NDR vom 5. 12. 2009) und in
Printmedien im Dezember 2007 führten zu einem großen finanziellen Schaden für das
Unternehmen. Hier stellte sich heraus, dass die eidesstattlichen Erklärungen, die zu der
Medienhysterie geführt hatten, Fälschungen waren, wie das Amtsgericht Oldenburg am 29.
9. 2009 feststellte. Die Ermittlungen gegen das Unternehmen wurden mangels Beweise von
der Staatsanwaltschaft eingestellt. Die Prozesse um Schadensersatzforderungen des
Unternehmens an den NDR wurden vom Landgericht Hamburg (2011) und vom
Hanseatischen Oberlandesgericht (2014) abgewiesen. Gegen die Nichtzulassung einer
Revision durch das OLG erhob das Unternehmen Beschwerde beim Bundesgerichtshof, der
diese aber im August 2015 nicht zuließ, womit der über acht Jahre andauernde Rechtsstreit
ein Ende fand. In der Urteilsbegründung des OLG hatte es geheißen, dass wegen der
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Gefahr, die eine Vielzahl von Menschen hätte betreffen können, ein besonderes
Informationsinteresse der Öffentlichkeit bestanden hätte (Pressemitteilung Fleischwirtschaft
vom 8. 9. 2015 und Das Erste vom 24. 8. 2015).
Dieser Mechanismus der öffentlichen Meinungsbildung ist ganz offensichtlich in der
intensiven Tierhaltung nicht rechtzeitig erkannt worden. Sie hat lange Zeit den Prozess der
so ablaufenden Meinungsbildung in seiner Wirkung unterschätzt und sich nur auf wenig
überzeugende Gegenpositionen zurückdrängen lassen, anstatt die Möglichkeit zu nutzen,
ein realistisches Bild zu zeigen und der Öffentlichkeit verfügbar zu machen. Eine
Detailanalyse der „Kritiker“ unter den befragten Besuchern ließ erkennen, dass sich ihre
Einstellung zur intensiven Geflügelhaltung durch den Farmbesuch und die ihnen gegebenen
Zusatzinformationen nur geringfügig verändert hatte. Bei diesen Personen handelte es sich,
wie auch aus schriftlichen Kommentaren auf den Fragebögen zu entnehmen ist, vorwiegend
um Frauen der Altersgruppe ab etwa 40 Jahre. Nachfragen in den Gesprächen ließen
erkennen, dass die meisten von ihnen einen höheren Bildungsabschluss (Abitur, Studium)
aufwiesen.
Es wird deshalb vermutet, dass es gerade diese soziale Gruppe ist, die sich öffentlich
artikuliert und bei sich bietenden Gelegenheiten ihre Einstellung vorträgt. Da ihnen häufig
nicht widersprochen wird, schließen anwesende Medienvertreter offensichtlich daraus, dass
dies die Einstellung der Mehrheit der Bevölkerung ist. Bei einer Reihe von Farmbesuchen
artikulierten diese Kritiker ihre Einstellung sehr deutlich und griffen z. T. die Landwirte verbal
an, indem sie diese als „Tierquäler“ oder auch als „gewissenlose Anwender von Antibiotika
als Leistungsförderer zur Gewinnmaximierung“ bezeichneten. Setzten sich die Landwirte
dagegen zur Wehr, fanden sie bei den übrigen Besuchern in nahezu allen Fällen eine breite
Unterstützung. Die Folge war, dass die Kritiker, wenn sie keine Resonanz fanden, die
Versuche einstellten, ihre Einstellung weiter zu propagieren. Dies bestätigt die von
Kahnemann (2014, S. 269) gefundenen Ergebnisse, dass sich bestimmte Auffassungen und
Einstellungen in einer Gruppe Gleichgesinnter zu einem unerschütterlichen Glauben an
deren Wahrheit verfestigen kann.
Die beobachtete Diskrepanz zwischen den Medienberichten und den Verlautbarungen
einiger Tierschutzorganisationen und den Ergebnissen der Besucherbefragungen könnte
also daraus resultieren, dass eine vergleichsweise kleine Gruppe von Kritikern sich
wiederholt mit identischen Argumenten zu Wort meldet und auch Gehör findet, während die
eher „schweigende Mehrheit“ sich nicht äußert und dadurch ein einseitiger Eindruck
bezüglich der Einstellung der Gesellschaft zur intensiven Tierproduktion, in diesem Fall der
Geflügelhaltung, entsteht. Gegendarstellungen von Verbänden wurden von den Medien
lange Zeit kaum oder gar nicht aufgegriffen, weil sie als „interessengeleitet“ eingestuft
wurden. Erst die im Rahmen dieses Projektes mit wissenschaftlichen Methoden gewonnenen
Ergebnisse, die am 11. 6. 2015 auf einer Pressekonferenz in Hannover vorgestellten
wurden, fanden eine breitere Medienresonanz.
Kritische Diskussion der eigenen Ergebnisse
Ohne hier auf Einzelheiten des statistischen Erhebungsverfahrens und der Auswertung der
Befragung eingehen zu können, soll das eigene Vorgehen bei der Besucherbefragung
kritisch bewertet werden.
Ein Nachteil der Datenerhebung ist sicherlich darin zu sehen, dass im Gegensatz zur realen
Bevölkerungsverteilung nur 26,4 % der Befragten in Städten lebten. Da allerdings die
Stallanlagen ganz überwiegend in ländlichen Räumen gelegen sind, lässt sich dieser
„Fehler“ kaum beheben, weil es schwierig ist, Personen aus den städtischen Zentren dazu
zu bewegen, in das ländliche Umland zu fahren, um einen Stall zu besuchen. Allerdings ist
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auch zu bedenken, dass sich Bürgerinitiativen gegen die Neuerrichtung von großen
Stallanlagen fast ausnahmslos in ländlichen Gebieten bilden, weil die dort lebenden
Menschen primär von deren Wirkungen auf die Umwelt (z. B. Geruchsbelästigung, erhöhtes
Verkehrsaufkommen) betroffen sind. Dies grenzt den möglichen Fehler der
Befragungsergebnisse deutlich ein.
Eine Stärke der Befragung ist sicherlich darin zu sehen, dass zum einen ein ausgewogenes
Verhältnis zwischen befragten Frauen (51,9 %) und Männern (48,1 %) erreicht werden
konnte und damit eine recht genaue Annäherung an die Grundgesamtheit (51 % zu 49 %)
der Bevölkerung vorliegt; zum anderen in der großen Zahl der ausgewerteten Fragebögen
(2041). Bei einem Vertrauensintervall von 95,5 % liegt nur eine Schwankungsbreite von 1,8
% vor, so dass die Ergebnisse eine hohe Repräsentativität aufweisen.
Eine Schwäche könnte in der Verteilung der Altersstruktur der Befragten gesehen werden,
denn nur 9,4 % entfielen auf die Gruppe der 18 bis 29-Jährigen, aber 34,0 % auf die über 60jährigen. Dieses Ungleichgewicht ist z. T. darauf zurückzuführen, dass Besucher zwischen
14 und 18 Jahren aus dem o. g. Grund nicht in die Auswertung einbezogen wurden. Durch
eine Nachauswertung soll festgestellt werden, in welchem Maße durch deren
Berücksichtigung das Ergebnis verändert würde. Ab 2015 wird diese Altersgruppe generell
mit in die Auswertung einbezogen.
Ein Nachteil des Fragebogens ist auch darin zu sehen, dass die Besucher nicht die
Möglichkeit hatten, z. B. auf die Frage nach der Platzverfügbarkeit der Tiere, eine skalierte
Bewertung vorzunehmen, sondern sich zwischen ausreichend bzw. nicht ausreichend zu
entscheiden hatten. Dies wurde in schriftlichen und mündlichen Kommentaren von einigen
Besuchern bereits moniert und soll in folgenden Befragungen geändert werden.
Eine weitere Veränderung im Fragebogen wurde bereits vorgenommen. Weil in
Nachbefragungen erkennbar wurde, dass wahrscheinlich eine Korrelation zwischen
Bildungsstand und Bewertung der Haltungsformen besteht, ist seit Beginn der Stallöffnungen
in diesem Jahr eine Frage zum jeweiligen Bildungsabschluss der Besucher aufgenommen
worden.
Durch die genannten Ergänzungen bzw. Veränderungen des Fragebogens erhoffen sich die
Wissenschaftler, noch präzisere Aussagen zur Einstellung und Bewertung der Besucher zur
intensiven Geflügelwirtschaft treffen zu können. Außerdem kann davon ausgegangen
werden, dass durch die angestrebte Zahl von mindestens 5000 auswertbaren Fragebögen
eine noch höhere Repräsentativität der Ergebnisse erreicht wird.
8
Literaturhinweise
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Hrsg.): Wege zu einer gesellschaftlich
akzeptierten Nutztierhaltung. (= Gutachten Wissenschaftlicher Beirat für Agrarpolitik beim
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft). Berlin: März 2015.
Pressemitteilung Das Erste (24. 8. 2015):
http://daserste.ndr.de/panorama/aktuell/Millionenklage-von-Heidemark-BGH-entscheidetzugunsten-des-NDR,heidemark106.htm.
Pressemitteilung Fleischwirtschaft (8. 9. 2015):
http://www.fleischwirtschaft.de/wirtschaft/nachrichten/Millionenklage-Heidemark-scheitertvor-dem-BGH-31611
Heijne, D. u. Hans-W. Windhorst: Transparenz schafft offenen Dialog und Vertrauen. In:
Fleischwirtschaft 95 (2015), Nr. 8, S. 28-32.
Kahnemann, D.: Schnelles Denken, langsames Denken. 11. Aufl. München 2014.
Krämer, W.: Ein Volk von Panikmachern. Über Risikoverzerrungen und
Verfügbarkeitsheuristik. In: Forschung und Lehre 22 (2015), Nr. 9, S. 714-715.
NDR-Pressemitteilung: http://www.presseportal.de/pm/6561/1097611.