Prof. Dr. Guido Pfeifer Wintersemester 2010/2011 Klausur „Rechts- und Verfassungsgeschichte II“ Aufgabe 1 Text 1: Monumentum Ancyranum VI, 13-21 (Res gestae divi Augusti 34) In consulatu sexto et septimo, po[stquam b]ella [civil]ia exstinxeram, | per consensum universorum [potitus reru]m om[n]ium rem publicam | ex mea potestate in sena[tus populique Rom]ani [a]rbitrium transtuli. | Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestatis autem nihilo amplius habui quam ceteri qui mihi quoque in magistratu conlegae fuerunt. Quo pro merito meo senatu[s consulto Au]gust[us appe]llatus sum et laureis | postes aedium mearum v[estiti] publ[ice coronaq]ue civica super | ianuam meam fixa est. [et clu]peus [aureu]us in [c]uria Iulia posi|tus, quem mihi senatum pop[ulumq]ue Rom[anu]m dare virtutis cle|ment[iaeque e]t iustitiae et pieta[tis cau]sa testatu[m] est pe[r e]ius clupei | [inscription]em [...] Übersetzungsvorschlag: (Rechenschaftsbericht des vergöttlichten Augustus 34) In meinem sechsten und siebenten Konsulat habe ich, der ich durch allgemeine Zustimmung in den Besitz der Allgewalt gelangt war, nach Beendigung der Bürgerkriege das Gemeinwesen aus meiner Machtbefugnis in die Zuständigkeit von Senat und Volk von Rom übergeben. Seit dieser Zeit überragte ich zwar alle an Ansehen, an Amtsgewalt aber besaß ich nicht mehr als die anderen, die ich im selben Amt zu Kollegen hatte. Für dieses mein Verdienst wurde mir auf Senatsbeschluss der Name Augustus verliehen, der Eingang meines Privathauses offiziell mit Lorbeerbäumen geschmückt und der Bürgerkranz oberhalb der Türschwelle aufgehängt. Zudem wurde in der Iulischen Basilika ein goldener Schild angebracht, den mir, wie seine Inschrift bezeugt, Senat und Volk von Rom verliehen haben aufgrund meiner Tapferkeit, Güte, Gerechtigkeit und frommen Pflichterfüllung [...] 1. Ordnen Sie Text 1 kurz historisch ein. 2. Wie verwendet Augustus die Begriffe auctoritas (Ansehen) und potestas (Machtbefugnis, Amtsgewalt)? Welche Rolle spielen diese Begriffe im Zusammenhang mit einzelnen „Organen“ bzw. Institutionen der Verfassung der römischen Republik? 3. Was ist unter „senatus populique Romani arbitrium (Zuständigkeit von Senat und Volk von Rom)“ zu verstehen? Wie haben sich Funktion und Bedeutung von Senat und Volkversammlung in der Prinzipatszeit verändert? Warum ist der Hinweis auf die „Rückgabe“ des Gemeinwesens (res publica) für Augustus wichtig? 4. Welche Rückschlüsse auf das Selbstbild bzw. die Selbstdarstellung Augustus‘ erlaubt der Text? Aufgabe 2 Text 2: Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933 Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird, nachdem festgestellt ist, daß die Erfordernisse verfassungsändernder Gesetzgebung erfüllt sind: […] Text 3: Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934 Die Volksabstimmung und die Reichstagswahl vom 12. November 1933 haben bewiesen, daß das deutsche Volk über alle innenpolitischen Grenzen und Gegensätze hinweg zu einer unauflöslichen, inneren Einheit verschmolzen ist. Der Reichstag hat daher einstimmig das folgende Gesetz beschlossen, das mit einmütiger Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird, nachdem festgestellt ist, daß die Erfordernisse verfassungsändernder Gesetzgebung erfüllt sind: […] Text 4: Deutsches Beamtengesetz vom 26. Januar 1937 Ein im deutschen Volk wurzelndes, von nationalsozialistischer Weltanschauung durchdrungenes Berufsbeamtentum, das dem Führer des Deutschen Reichs und Volkes, Adolf Hitler, in Treue verbunden ist, bildet einen Grundpfeiler des nationalsozialistischen Staates. Daher hat die Reichsregierung das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird: […] 1. Unter welcher Bezeichnung ist das durch Text 2 eingeleitete Gesetz noch bekannt? 2. Welches grundlegende Prinzip der Weimarer Reichsverfassung wurde mit dem durch Text 3 eingeleiteten Gesetz aufgegeben? 3. Welche grundlegende verfassungsrechtliche Änderung gegenüber der Weimarer Reichsverfassung von 1919 lässt sich unmittelbar aus Text 4 entnehmen? 4. Vergleichen Sie die Texte 2, 3 und 4 eingehend. Berücksichtigen Sie dabei auch die Funktion der Texte sowie ihren jeweiligen historischen Kontext. Seite 2 von 4 Aufgabe 3 Text 5: D. 35, 1, 17, 2+3 (Gaius libro secundo de legatis ad edictum praetoris) 2. Quod autem iuris est in falsa demonstratione, hoc vel magis est in falsa causa, veluti ita „Titio fundum do, quia negotia mea curavit“, item „fundum Titius filius meus praecipito, quia frater eius ipse ex arca tot aureos sumpsit“: licet enim frater huius pecuniam ex arca non sumpsit, utile legatum est. 3. At si condicionaliter concepta sit causa, veluti hoc modo: „Titio, si negotia mea curavit, fundum do“: „Titius filius meus, si frater eius centum ex arca sumpsit, fundum praecipito“, ita utile erit legatum, si et ille negotia curavit et huius centum ex arca sumpsit. Übersetzungsvorschlag: (Gaius im zweiten Buch über die Vermächtnisse zum prätorischen Edikt) 2. Was bei der falschen Bezeichnung rechtens ist, gilt sogar noch mehr beim falschen Grund, zum Beispiel in folgendem Fall: „Ich gebe dem Titius das Grundstück, weil er meine Geschäfte besorgt hat“ und ebenso: „Das Grundstück soll mein Sohn Titius vorweg bekommen, weil sein Bruder aus der Kasse soundsoviel Goldstücke genommen hat“. Das Vermächtnis ist nämlich auch dann wirksam, wenn sein Bruder das Geld nicht aus der Kasse genommen hat. 3. Aber wenn die Sache als Bedingung verstanden wird, wie z.B. folgendermaßen: „Ich gebe dem Titius das Grundstück, wenn er meine Geschäfte besorgt hat“, bzw. „Mein Sohn Titius soll das Grundstück vorweg bekommen, wenn sein Bruder Hundert aus der Kasse genommen hat“, so wird das Vermächtnis nur dann wirksam sein, wenn jener die Geschäfte auch besorgt hat und sein Bruder Hundert aus der Kasse genommen hat. Text 6: § 119 Abs. 2 BGB Als Irrtum über den Inhalt einer Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. 1. Welche Rechtsfolge bezeichnet Gaius am Anfang von Text 5 als „iuris est in falsa demonstratione (bei der falschen Bezeichnung rechtens)“? 2. Welche Irrtumskategorie ist in dem Beispielsfall im Abschnitt 2 von Text 5 angesprochen und wie wirkt sich der Willensmangel aus? Vergleichen Sie diese Lösung mit § 119 Abs. 2 BGB (Text 6). Welche Ratio bzw. welcher Gedanke steht hinter beiden Lösungen? Wie unterscheidet sich grundsätzlich die Berücksichtigung von Willensmängeln im römischen Privatrecht einerseits und im geltenden deutschen Privatrecht andererseits? 3. Wie unterscheiden sich der Beispielsfall in Abschnitt 3 von Text 5 und seine Lösung vom zuvor behandelten Irrtumsfall? Wie wäre dieser Fall nach geltendem deutschem Privatrecht zu lösen? Wie verhält es sich hier mit der Ratio beider Lösungen? 4. Mit welcher Methode lässt sich ermitteln, ob es sich um eine Falschbezeichnung, einen Irrtum oder um eine Bedingung handelt? Seite 3 von 4 Hinweise zur Bearbeitung: Die Aufgaben und die darin gestellten Fragen sind vollständig und in der vorgegebenen Reihenfolge zu bearbeiten. Die Bearbeitungszeit beträgt 180 min. Die Klausur versehen Sie bitte mit Ihrem Namen, Vornamen und Ihrer Matrikelnummer. Jede Arbeit, welche im Rahmen der Zwischenprüfung erbracht wird, wird im Verlaufe der Klausur durch das Aufsichtspersonal mit einem Stempel versehen. Arbeiten, welche keinen Stempel aufweisen, werden nicht gewertet! Bitte achten Sie deshalb darauf, dass Ihre Arbeit abgestempelt wird. Zusätzliche Hilfsmittel zur Klausur sind nicht zugelassen. Die Mitnahme von Mobiltelefonen ist nicht zulässig und kann als Täuschungsversuch gewertet werden. Die Klausur wird am Freitag, den 18. Februar 2011 im Rahmen der Vorlesung (HZ 3, 14 Uhr c.t.) besprochen. Der Rückgabetermin der Klausur wird über die Homepage des Lehrstuhls bekannt gegeben. Seite 4 von 4
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