Materialien zum 06.05.15

Prof. Dr. Guido Pfeifer
Wintersemester 2010/2011
Klausur „Rechts- und Verfassungsgeschichte II“
Aufgabe 1
Text 1: Monumentum Ancyranum VI, 13-21 (Res gestae divi Augusti 34)
In consulatu sexto et septimo, po[stquam b]ella [civil]ia exstinxeram, | per consensum universorum
[potitus reru]m om[n]ium rem publicam | ex mea potestate in sena[tus populique Rom]ani
[a]rbitrium transtuli. | Post id tempus auctoritate omnibus praestiti, potestatis autem nihilo amplius
habui quam ceteri qui mihi quoque in magistratu conlegae fuerunt. Quo pro merito meo senatu[s
consulto Au]gust[us appe]llatus sum et laureis | postes aedium mearum v[estiti] publ[ice
coronaq]ue civica super | ianuam meam fixa est. [et clu]peus [aureu]us in [c]uria Iulia posi|tus,
quem mihi senatum pop[ulumq]ue Rom[anu]m dare virtutis cle|ment[iaeque e]t iustitiae et pieta[tis
cau]sa testatu[m] est pe[r e]ius clupei | [inscription]em [...]
Übersetzungsvorschlag: (Rechenschaftsbericht des vergöttlichten Augustus 34)
In meinem sechsten und siebenten Konsulat habe ich, der ich durch allgemeine Zustimmung in den
Besitz der Allgewalt gelangt war, nach Beendigung der Bürgerkriege das Gemeinwesen aus meiner
Machtbefugnis in die Zuständigkeit von Senat und Volk von Rom übergeben. Seit dieser Zeit
überragte ich zwar alle an Ansehen, an Amtsgewalt aber besaß ich nicht mehr als die anderen, die
ich im selben Amt zu Kollegen hatte. Für dieses mein Verdienst wurde mir auf Senatsbeschluss der
Name Augustus verliehen, der Eingang meines Privathauses offiziell mit Lorbeerbäumen geschmückt
und der Bürgerkranz oberhalb der Türschwelle aufgehängt. Zudem wurde in der Iulischen Basilika
ein goldener Schild angebracht, den mir, wie seine Inschrift bezeugt, Senat und Volk von Rom
verliehen haben aufgrund meiner Tapferkeit, Güte, Gerechtigkeit und frommen Pflichterfüllung [...]
1. Ordnen Sie Text 1 kurz historisch ein.
2. Wie verwendet Augustus die Begriffe auctoritas (Ansehen) und potestas (Machtbefugnis,
Amtsgewalt)? Welche Rolle spielen diese Begriffe im Zusammenhang mit einzelnen
„Organen“ bzw. Institutionen der Verfassung der römischen Republik?
3. Was ist unter „senatus populique Romani arbitrium (Zuständigkeit von Senat und Volk von
Rom)“ zu verstehen? Wie haben sich Funktion und Bedeutung von Senat und
Volkversammlung in der Prinzipatszeit verändert? Warum ist der Hinweis auf die
„Rückgabe“ des Gemeinwesens (res publica) für Augustus wichtig?
4. Welche Rückschlüsse auf das Selbstbild bzw. die Selbstdarstellung Augustus‘ erlaubt der
Text?
Aufgabe 2
Text 2: Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich vom 24. März 1933
Der Reichstag hat das folgende Gesetz beschlossen, das mit Zustimmung des Reichsrats hiermit
verkündet wird, nachdem festgestellt ist, daß die Erfordernisse verfassungsändernder
Gesetzgebung erfüllt sind: […]
Text 3: Gesetz über den Neuaufbau des Reichs vom 30. Januar 1934
Die Volksabstimmung und die Reichstagswahl vom 12. November 1933 haben bewiesen, daß das
deutsche Volk über alle innenpolitischen Grenzen und Gegensätze hinweg zu einer unauflöslichen,
inneren Einheit verschmolzen ist. Der Reichstag hat daher einstimmig das folgende Gesetz
beschlossen, das mit einmütiger Zustimmung des Reichsrats hiermit verkündet wird, nachdem
festgestellt ist, daß die Erfordernisse verfassungsändernder Gesetzgebung erfüllt sind: […]
Text 4: Deutsches Beamtengesetz vom 26. Januar 1937
Ein im deutschen Volk wurzelndes, von nationalsozialistischer Weltanschauung durchdrungenes
Berufsbeamtentum, das dem Führer des Deutschen Reichs und Volkes, Adolf Hitler, in Treue
verbunden ist, bildet einen Grundpfeiler des nationalsozialistischen Staates. Daher hat die
Reichsregierung das folgende Gesetz beschlossen, das hiermit verkündet wird: […]
1. Unter welcher Bezeichnung ist das durch Text 2 eingeleitete Gesetz noch bekannt?
2. Welches grundlegende Prinzip der Weimarer Reichsverfassung wurde mit dem durch Text
3 eingeleiteten Gesetz aufgegeben?
3. Welche grundlegende verfassungsrechtliche Änderung gegenüber der Weimarer
Reichsverfassung von 1919 lässt sich unmittelbar aus Text 4 entnehmen?
4. Vergleichen Sie die Texte 2, 3 und 4 eingehend. Berücksichtigen Sie dabei auch die
Funktion der Texte sowie ihren jeweiligen historischen Kontext.
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Aufgabe 3
Text 5: D. 35, 1, 17, 2+3 (Gaius libro secundo de legatis ad edictum praetoris)
2. Quod autem iuris est in falsa demonstratione, hoc vel magis est in falsa causa, veluti ita „Titio
fundum do, quia negotia mea curavit“, item „fundum Titius filius meus praecipito, quia frater eius
ipse ex arca tot aureos sumpsit“: licet enim frater huius pecuniam ex arca non sumpsit, utile legatum
est. 3. At si condicionaliter concepta sit causa, veluti hoc modo: „Titio, si negotia mea curavit, fundum
do“: „Titius filius meus, si frater eius centum ex arca sumpsit, fundum praecipito“, ita utile erit
legatum, si et ille negotia curavit et huius centum ex arca sumpsit.
Übersetzungsvorschlag: (Gaius im zweiten Buch über die Vermächtnisse zum prätorischen Edikt)
2. Was bei der falschen Bezeichnung rechtens ist, gilt sogar noch mehr beim falschen Grund, zum
Beispiel in folgendem Fall: „Ich gebe dem Titius das Grundstück, weil er meine Geschäfte besorgt hat“
und ebenso: „Das Grundstück soll mein Sohn Titius vorweg bekommen, weil sein Bruder aus der
Kasse soundsoviel Goldstücke genommen hat“. Das Vermächtnis ist nämlich auch dann wirksam,
wenn sein Bruder das Geld nicht aus der Kasse genommen hat. 3. Aber wenn die Sache als Bedingung
verstanden wird, wie z.B. folgendermaßen: „Ich gebe dem Titius das Grundstück, wenn er meine
Geschäfte besorgt hat“, bzw. „Mein Sohn Titius soll das Grundstück vorweg bekommen, wenn sein
Bruder Hundert aus der Kasse genommen hat“, so wird das Vermächtnis nur dann wirksam sein,
wenn jener die Geschäfte auch besorgt hat und sein Bruder Hundert aus der Kasse genommen hat.
Text 6: § 119 Abs. 2 BGB
Als Irrtum über den Inhalt einer Erklärung gilt auch der Irrtum über solche Eigenschaften der
Person oder der Sache, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden.
1.
Welche Rechtsfolge bezeichnet Gaius am Anfang von Text 5 als „iuris est in falsa
demonstratione (bei der falschen Bezeichnung rechtens)“?
2.
Welche Irrtumskategorie ist in dem Beispielsfall im Abschnitt 2 von Text 5
angesprochen und wie wirkt sich der Willensmangel aus? Vergleichen Sie diese Lösung
mit § 119 Abs. 2 BGB (Text 6). Welche Ratio bzw. welcher Gedanke steht hinter beiden
Lösungen? Wie unterscheidet sich grundsätzlich die Berücksichtigung von
Willensmängeln im römischen Privatrecht einerseits und im geltenden deutschen
Privatrecht andererseits?
3.
Wie unterscheiden sich der Beispielsfall in Abschnitt 3 von Text 5 und seine Lösung vom
zuvor behandelten Irrtumsfall? Wie wäre dieser Fall nach geltendem deutschem
Privatrecht zu lösen? Wie verhält es sich hier mit der Ratio beider Lösungen?
4.
Mit welcher Methode lässt sich ermitteln, ob es sich um eine Falschbezeichnung, einen
Irrtum oder um eine Bedingung handelt?
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Hinweise zur Bearbeitung:
Die Aufgaben und die darin gestellten Fragen sind vollständig und in der vorgegebenen
Reihenfolge zu bearbeiten. Die Bearbeitungszeit beträgt 180 min.
Die Klausur versehen Sie bitte mit Ihrem Namen, Vornamen und Ihrer Matrikelnummer.
Jede Arbeit, welche im Rahmen der Zwischenprüfung erbracht wird, wird im Verlaufe der Klausur
durch das Aufsichtspersonal mit einem Stempel versehen. Arbeiten, welche keinen Stempel
aufweisen, werden nicht gewertet! Bitte achten Sie deshalb darauf, dass Ihre Arbeit abgestempelt
wird.
Zusätzliche Hilfsmittel zur Klausur sind nicht zugelassen.
Die Mitnahme von Mobiltelefonen ist nicht zulässig und kann als Täuschungsversuch gewertet
werden.
Die Klausur wird am Freitag, den 18. Februar 2011 im Rahmen der Vorlesung (HZ 3, 14 Uhr c.t.)
besprochen. Der Rückgabetermin der Klausur wird über die Homepage des Lehrstuhls bekannt
gegeben.
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