Gruß aus ... Palästina! Capacity Development für die Zivilgesellschaft in Gaza, Ost-Jerusalem und der Westbank. Ein Beitrag von Mathias Gritzka Organisationsentwicklung als übergeordneter Schwerpunkt, Beratung zu Capacity Development im Spezifischen in einer Krisenregion. Was bedeutet das für mich als Berater in Palästina, wo sich ein jahrzehntelang anhaltender Konflikt in voller Intensität auf die tägliche Arbeit auswirkt und alles eine politische Dimension hat? Ist Entwicklung überhaupt möglich, wenn Instabilität und territoriale Desintegration Faktoren sind, denen unsere Programmpartner ständig ausgesetzt sind. Wie koordiniere ich meine Arbeit, wie erreiche ich gesetzte Zeile, wie flexibel darf (und muss) ich sein, um Komplexitaet zu reduzieren? Wie kann mich auf das Wesentliche, nämlich meinen Beratungsauftrag, konzentrieren, wenn 80 km entfernt eine gewaltsame Auseinandersetzung herrscht, die das Denken und die Tagesarbeit unserer Partner beherrscht? Es ist Zeit für ein Zwischenfazit nach mehr als einem Jahr Tätigkeit für das Programm Förderung der verfassten Zivilgesellschaft der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in den palästinensischen Gebieten. Das Programm unterstützt Zivilgesellschaftliche Organisationen in der Entwicklung von Strukturen und Abläufen, damit diese ihr Mandat erfüllen können und die Teilhabe marginalisierter Bevölkerungsgruppen an sozioökonomischen Entwicklungen in Ost-Jerusalem, der Westbank sowie im Gazastreifen stärken. Da es vielfach Nichtregierungsorganisationen (NROs) sind, die auf Entwicklungsdefizite hinweisen, Alternativen diesbezüglich aufzeigen und vor allem Bedarfslücken durch komplementäre Dienstleistungen abdecken, ist der heterogene zivilgesellschaftliche Sektor ein bedeutender Akteur in Palästina. Er steht aber auch unter zunehmendem Legitimationsdruck seiner Zielgruppen. Dem Anspruch und den fachlichen Anforderungen unserer zivilgesellschaftlichen Programmpartner gerecht zu werden, hat für mich und meine KollegInnen zur Folge, auf verschiedenen Ebenen tätig zu sein. Ich arbeite nicht nur für eine Organisation, sondern biete Services für alle Programmpartner an. Wir können das als fachlich-interdisziplinäres Beratungsangebot im Rahmen des Human Resource Capacity Sharing bezeichnen. Natürlich findet die Tagespolitik oft Eingang in die alltägliche Arbeit. Zu unterschiedlich sind die Bedingungen, unter denen unsere Partner arbeiten gerade im Hinblick auf (quasi)staatliche Autoritäten. Restriktionen beispielsweise durch die Hamas in Gaza oder Israelische Behörden in Ost-Jerusalem können die Dienstleistungsangebote oder auch die Kampagnenarbeit sehr schnell einschränken oder behindern. Um die Capacity Development Strategie unseres Programmes umzusetzen, arbeite ich mit einheimischen Fachkräften beispielsweise im Rahmen von Strategieentwicklungsprozessen zusammen, um Organisationen während der Identifizierung und Umsetzung anstehender Veränderungsprozesse zu begleiten. Dieses Angebot des individuellen Coachings bezeichnen wir als die erste Ebene. Natürlich ist es nur eingeschränkt möglich, über den strategischen Plan einer Organisation zu sprechen, wenn tagesaktuell die Folgen des Gazakonfliktes auch in der Westbank alles andere in den Hintergrund drängen, eventuell Verwandte von den Auswirkungen betroffen sind! Um dennoch die Beratungsleistung erbringen zu können (und Gehör zu finden), ist es wichtig, neben verstärkter Empathie eine Verbindung zum Kontext herzustellen. Viele Strategien unserer zivilgesellschaftlichen Partner unterliegen den Auswirkungen der momentanen Auseinandersetzung, denn die Zielgruppen sind primär betroffen. Organisationsübergreifende Trainings (die zweite Ebene) für sowohl Fach- als auch Führungskräfte der Partnerorganisationen sind aufeinander abgestimmt und beinhalten in meinem fachlichen Schwerpunkt die Vermittlung von theoretischem Fachwissen und praktischer Anwendung zu strategischem und operativem Management, zu Result Based Management und Reporting Standards oder auch der Mittelakquise schwerpunktmäßig durch institutionelles Fundraising. Diese Trainings werden von den Partnern in der Regel als Instrument der Personalentwicklung für ihre Mitarbeiter hoch geschätzt. Auch hier gilt es Flexibilität zu wahren und Kooperationssysteme zu beachten. Können zum Beispiel Verbände, deren Mitglieder die Mehrheit unserer Partner sind, die Bedeutung von Konsortien aus Gaza und der Westbank unterstreichen, beispielsweise bei der Beantragung von Projektmitteln. Kann so territoriale Integrität entstehen, die doch das Ziel unserer Arbeit vor Ort sein sollte? Ist das derzeit überhaupt möglich, kann die GIZ hier positiv Einfluss nehmen und kontextsensibel koordinieren? Wir können insgesamt als Berater natürlich nur unterstützend wirken, beispielsweise in dem wir die Rolle der Zivilgesellschaft u.a. als Politikgestalter in anderen Ländern wie Deutschland plastisch sichtbar machen und das als gemeinsame Maßnahme für alle Programmpartner aus Gaza, Ostjerusalem und der Westbank anbieten. Was heißt es beispielsweise staatliche Finanzierungen zu erhalten und doch Advokat für benachteiligte Zielgruppen zu sein und Aushandlungsprozesse mit der Politik objektiv und kritisch zu begleiten. Welche Rolle müssen staatliche Akteure hier einnehmen, was bedeutet das Subsidiaritätsprinzip in Deutschland? Anhand einer Informationsreise hatten die Geschäftsführungen unserer Partner Gelegenheit, relevante Akteure aus Politik, Sozialwirtschaft und Verbänden zu besuchen und im regen Austausch das politisch administrative System in Deutschland eingehender kennenzulernen. Das wäre dann die dritte Ebene, die sich eher systemischen Fragen wie beispielweise dem Zusammenspiel von Staat und Zivilgesellschaft widmet und an Führungskräfte gerichtet ist. Hier kamen sich Organisationsvertreter aus Gaza, der Westbank und Ostjerusalem näher, konnten Akteure von NGOs und des Palästinensischen Jugendministeriums ihrer Sicht auf die Dinge unter dem Eindruck der Delegationsreise austauschen. Aus meiner Perspektive als Leiter der Reise, der sich u.a. auch für das Konzept verantwortlich zeichnet, wird klar, dass wir doch an der territorialen Integrität Palästinas mitgestalten. Es gilt nun in einem nächsten Schritt herauszuarbeiten, welche Anregungen die Partner mitgenommen haben und welche Faktoren unter Vorortbedingungen weitere Entwicklungsprozesse auf Systemebene forcieren. Derzeit sind diese Gedanken etwas in den Hintergrund gerückt, angedachte Projekte zum Thema Inklusion von lernbehinderten Jungendlichen zwischen Organisationen aus Deutschland und Gaza verschoben. Wir müssen erkennen, dass es trotz verschiedener Steuerungsinstrumente wie dem Peace and Conflict Assessment und dem Durchspielen unterschiedlicher Szenarios nicht immer einfach ist, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Und dennoch müssen wir das Unerwartete managen, denn nur so legitimieren wir unsere Arbeit. Wir halten die Programmsteuerung flexibel genug, um gesetzte Ziele und indentierte Wirkungen durch angepasste operative Maßnahmen im Zusammenspiel mit unseren Partnern zu erreichen. Das bedeutet oft umzudenken, gerade hinsichtlich des Beratungsauftrags und die Antennen auf die aktuellen Bedarfe der Partner auszurichten! Sie werden es wertschätzen und wir köennen als kritische Begleiter unseren Partnern bei der Umsetzung ihrer Projekte weiterhin zur Seite stehen. Mathias Gritzka (41, Diplom Sozialpädagoge, Diplom-Kaufmann für Public Management und zertifizierter Berater für EU – Fördermittel mit EZ Erfahrungen als Organisationsberater in Subsahara – Afrika (Kenia und Sambia) Seit August 2013 als Entwicklungshelfer mit dem Schwerpunkt Capacity Development im Zivilgesellschaftsprogramm in Palästina für die GIZ im Einsatz [email protected]
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