Börsenverein des Deutschen Buchhandels e

FRANKFURTER BUCHMESSE 2015
Eröffnung, 13. Oktober 2015
Congresscenter
- Das gesprochene Wort gilt Bücher sagen Willkommen
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus allen Sprachen der Welt,
meine Damen, meine Herren,
zur Eröffnung der 67. Internationalen Frankfurter Buchmesse begrüße ich Sie im Namen der im Börsenverein des Deutschen Buchhandels versammelten Verleger und Buchhändler sehr herzlich. Wir
freuen uns, dass wir inmitten von Europa die Welt begrüßen dürfen zur größten Buchmesse weltweit,
der Plattform für publizistische Inhalte, Bücher, Autoren, Literatur, Meinungen und Diskussionen.
Besonders herzlich begrüße ich die Vertreterinnen und Vertreter des Gastlands Indonesien. Wir sind
gespannt auf die Begegnungen und Gespräche mit den indonesischen Kolleginnen und Kollegen, wir
freuen uns auf eine Literatur, die in Europa heute noch wenig bekannt ist. Das, da bin ich mir sicher,
wird sich ändern, nicht zuletzt durch die diesjährige Frankfurter Buchmesse.
Indonesien ist ein Land, das innerhalb von 70 Jahren einen grundlegenden Wandel durchlaufen hat,
von der Kolonie zur Demokratie. An der Literatur eines Landes geht das nicht spurlos vorbei, eine solche Entwicklung spiegelt sich dort wider. „17.000 Inseln der Imagination“ haben unsere Gäste ihren
Buchmesseauftritt betitelt – wir alle sind hier, um diese 17.000 Inseln zu entdecken.
In diesem Jahr treffen wir uns in einer besonderen Situation. Die Welt ist in Aufruhr. Der Kampf zwischen den Religionen und das Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich, verfolgt und geborgen, gefangen und frei, hungrig und satt findet derzeit in Europa seinen Ausdruck in hunderttausenden von
Flüchtlingen. Sie sind auf der Suche nach Freiheit, Frieden und einem menschenwürdigem Leben. Es
sind Männer, Frauen, Kinder - Familien aus anderen Kulturen als der europäischen, mit einer anderen
religiösen Sozialisation, mit Erfahrungen, die uns unbekannt sind, und mit einer Kraft, die sie bis nach
Europa getrieben hat. Mich berühren die Bilder, die ich sehe, die Geschichten der Flüchtlinge, die ich
höre, mich berührt ihr Wille, frei zu leben und der Mut, in eine andere Welt aufzubrechen.
Nach den Anschlägen auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo Anfang des Jahres, ist den
Verlegern und Buchhändlern in Deutschland bewusst geworden, wie notwendig es ist, sich wieder
stärker für das Wort und die Freiheit einzusetzen. Ich freue mich deshalb, dass Salman Rushdie unserer Einladung gefolgt ist und heute Vormittag auf der Eröffnungspressekonferenz der Buchmesse zu
uns gesprochen hat. Es war in Vergessenheit geraten, dass er immer noch mit einer Todesdrohung
belegt ist. Und das darf nicht vergessen werden. Die Meinungs- und Publikationsfreiheit sind für uns
keine verhandelbare Werte, denn das Recht auf freie Meinungsäußerung und der Zugang zu jeglicher
Information, so wie es in Artikel 19 der Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben ist, ist die
Grundlage einer freien, demokratischen Gesellschaft und damit auch Grundlage unseres Schaffens.
Das ist nicht überall auf der Welt so. Fünf Beispiele, die Sie auf der Website des PEN Deutschland
ausführlicher nachlesen können:
Susana Chávez Castillo aus Mexiko war eine bekannte Dichterin und Frauenrechtlerin. Sie wurde vor
viereinhalb Jahren ermordet aufgefunden. Sie war erwürgt worden, man hatte ihr eine Hand abgetrennt. Sie hatte sich als Aktivistin und Dichterin für Gerechtigkeit für hunderte von ermordeten Frauen
in der Juárez Region in Mexiko eingesetzt. Ihr Gedicht “Sangre Nuestra” (Unser Blut) war aus der Sicht
eines Opfers geschrieben. Wie bei ähnlich gelagerten Fällen schlossen die mexikanischen Behörden
einen Zusammenhang zwischen ihrer Arbeit als Aktivisten und Dichterin und ihrer Ermordung aus. Seit
2004 sind nach Angaben des PEN mindestens 67 Journalisten, Blogger und Schriftsteller in Mexiko
ermordet worden.
Mohammed al-Ajami ist Dichter aus Katar und Ehrenmitglied des deutschen PEN-Zentrums. Ende
November 2012 war er wegen angeblicher „Anstiftung zum Sturz des herrschenden Regimes” und „Beleidigung des Emirs” zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Diese wurde später auf 15
Jahre verkürzt. al-Ajami muss die restliche Haftstrafe komplett absitzen.
Der chinesische Aktivist, Schriftsteller und Dichter Li Bifeng verbrachte wegen seiner politischen Aktivitäten und seinem kritischen Schreiben seit 1990 insgesamt über 12 Jahre in Haft. Nach Informationen des internationalen PEN wurde er 2011 erneut inhaftiert und 2012 vom Volksgerichtshof wegen
einer angeblichen Betrugssache zu einer Gefängnisstrafe von 12 Jahren verurteilt. Es wird angenommen, dass Li Bifeng wegen seines friedlichen politischen Aktivismus angegriffen wird, insbesondere
wegen seiner Beziehungen zu dem exilierten chinesischen Schriftsteller Liao Yiwu,
Dem saudi-arabischen Redakteur und Blogger Raif Badawi wird „Beleidigung des Islams“ und die
„Gründung einer liberalen Webseite“ vorgeworfen. Derzeit ist Raif Badawi in Saudi-Arabien inhaftiert,
an ihm wird seit Januar die barbarische Strafe von 1000 Peitschenhieben vollzogen.
Der Autor und Augenarzt Abdelwahhab Azzawi lebte in Syrien. Bereits vor Ausbruch des Bürgerkriegs veröffentlichte Azzawi mehrere Texte, die die Regierung kritisierten. Seine Texte wurden sowohl
von der syrischen Regierung als auch von islamistischen Gruppen als Bedrohung aufgefasst. Beide
drohten ihm deshalb mit Arrest, Entführung und Gewalt. Der Autor vom Sicherheitsdienst auf offener
Straße attackiert und geschlagen. Abdelwahhab Azzawi flüchtete mit seiner Frau und den zwei Töchtern in den Jemen. Da die Familie dort ebenfalls bedroht wurde, musste Azzawi seine Familie verlassen. Er konnte sich retten und ist vorerst in Deutschland aufgenommen worden. Von Dortmund wurde
er über Aachen nach Eisenhüttenstadt verlegt, wo er lange auf die Bewilligung seines Asylantrags war-
ten musste. Mittlerweile ist er anerkannt. Jetzt wartet Abdelwahhab Azzawi auf die Ankunft seiner Familie.
Für das Wort und die Freiheit – dieser Anspruch ist groß und ein weites Feld. Die Autorin und die drei
Autoren haben dafür gekämpft oder kämpfen noch heute dafür. Sie alle haben dafür bezahlt. Mit Haft,
Folter, Flucht oder ihrem Leben. Wir sind in einer komfortablen Situation. Wir brauchen keine Sanktionen zu befürchten.
Gerade deshalb kann man es uns zumuten, Verantwortung zu übernehmen. Als Verleger, als Buchhändler, als Publizist.
Hunderttausende von Menschen suchen derzeit Zuflucht. Gegensätzliche Weltanschauungen treffen
dabei aufeinander. Viel Toleranz ist vonnöten, auch bei den Flüchtlingen, die jetzt plötzlich mit Menschen anderer religiöser Herkunft auf engstem Raum zusammenleben müssen. Viele geflüchtete Menschen müssen diese Toleranz lernen, denn ihre Welt war bislang eine mit anderen Regeln. Ihr Weltbild
ein fremdes. Was können wir tun? Wie können wir helfen? Unsere Aufgabe ist es nicht, alles zu tolerieren, aber unsere Aufgabe könnte es sein, Toleranz zu vermitteln.
Bücher leisten hier einen zentralen Beitrag. Literatur öffnet die Türen zu Sprache, Wissen und Kultur.
Literatur macht Verständigung möglich – zwischen Menschen, Ländern und Religionen. Literatur baut
Brücken und macht Geschichten und Geschichte erlebbar. Literatur ist Nahrung für den Kopf. Bereitet
in ihrer Vielfalt den Boden für die nötige und notwendige Toleranz.
Ein Beispiel ist die Aktion der deutschen Verleger und Buchhändler „Bücher sagen Willkommen“. Sie
wurde zum Weltbildungstag im September initiiert - zusammen mit der Frankfurter Buchmesse und der
LITCAM, eine gemeinnützige Gesellschaft, die von der Frankfurter Buchmesse ins Leben gerufen wurde und sich für Bildungsgerechtigkeit und Integration einsetzt. Mit dieser Aktion fördert die Buchbranche notwendige Plätze zum Lesen und Lernen in der unmittelbaren Umgebung von Flüchtlingsunterkünften und ruft zu Spenden im Buchhandel auf, um diese Orte mit ausgewählten Büchern auszustatten.
Viele der Flüchtlinge, die täglich nach Deutschland kommen, werden länger hier bleiben. Sie sollen
und wollen sich integrieren, das Land kennenlernen, das sie aufgenommen hat, und die Menschen
verstehen, die hier zu Hause sind. Neben den lebensnotwendigen Ressourcen wie Unterkunft und
Verpflegung können Bücher, Bildung und Kultur diese Integration entscheidend unterstützen.
Die Frankfurter Buchmesse ist der Ort, an dem über einhundert Länder und Kulturen zusammentreffen,
sie ist fünf Tage das WeltCamp der Ideen, der Inhalte und des Austauschs. Wenn nicht von hier, von
wo aus sonst sollte der Ruf nach Freiheit und Toleranz in die Welt gehen. Und die Forderung an die
Regierenden, sich dafür mit ganzer Kraft einzusetzen.
Navid Kermani, der am kommenden Sonntag in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels erhält, erinnerte nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo daran, dass Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit weder selbstverständlich noch kostenlos sind. Gerne zitieren ich ihn
zum Abschluss: „Der Kampf gegen Unfreiheit und Gewalt findet nicht nur in Kobani oder Aleppo statt,
nicht nur am 11. September 2001 in New York oder am 7. Januar 2015 in Paris. Wir müssen für die
Ideale der Gerechtigkeit und der Toleranz jeden Tag eintreten, im Alltag, am Arbeitsplatz oder in der
Schule, in den Parteien, Gewerkschaften oder religiösen Gemeinden.“
Also auch – so möchte ich ergänzen – hier auf der Frankfurter Buchmesse.
Ich danke Ihnen.