Asien Kurier Dienstag, 1. März 2016 Industriekomplex Kaesong eine Bilanz nach 10 Jahren Von Dr. Alexander Toepel in Frankfurt plexes als südkoreanisch. Hersteller aus Kaesong könnten damit einen Vorteil auf dem chinesischen Markt haben, da sie die äußerst günstigen Fertigungskosten nun mit dem Prestige südkoreanischer Produkte verbinden können. Vorgeschichte des IndustrieSeit Beginn der Produktion lag in der südkoreanischen Tex- komplexes: 2000-2004 in 2005 wurden im Industriekomplex Kaesong bis August 2015 Güter im Wert von US$ 3 Milliarden (koreanische Won 3,5 Bio.) produziert. Das Auf und Ab der innerkoreanischen Beziehungen hat der auf nordkoreanischem Gebiet liegende Fertigungsstandort bemerkenswert gut überstanden. Der vorübergehende, fünfmonatige Produktionsstopp in 2013 hatte keine weiterreichenden Auswirkungen auf die vor Ort tätigen Unternehmen. Aktuell (Stand: Sep. 2015) sind auf dem 66 km2 großen Areal in der Nähe der nordkoreanischen Stadt Kaesong 124 überwiegend südkoreanische Unternehmen angesiedelt. 54.616 nordkoreanische Arbeitskräfte sowie 809 südkoreanische leitende Angestellte sind mit der Herstellung von größtenteils textilen Erzeugnissen (59%) beschäftigt. In geringerem Umfang vertreten sind Metallverarbeitung und Maschinenbau (zusammen 19%), Elektro- und Elektronikindustrie (10%), Chemie (7%), Holzund Papierindustrie (2%), Lebensmittel- (2%) und Rohstoffindustrie (1%). Das Produktionsvolumen belief sich bis September 2015 auf US$ 42,1 Millionen; im Vorjahr 2014 hatte es US$ 46,9 Millionen betragen. Stärken des Standorts Kaesong sind die geographische Nähe zur südkoreanischen Hauptstadt Seoul mit dem internationalen Flughafen Incheon (ca. 60 km, Straßen- und Bahnverbindung vorhanden) und die extrem niedrigen Personalkosten: In 2014 lag die durchschnittliche monatliche Vergütung einer nordkoreanischen Arbeitskraft inklusive Sozialleistungen bei US$ 160. (Zum Vergleich: Der Durchschnittslohn tilindustrie in 2013 bei US$ 2259 je Monat, in der verarbeitenden Industrie Chinas bei US$ 628 je Monat). Die südkoreanische Regierung versucht darüber hinaus, den Standort Kaesong mit Steuervergünstigungen schmackhaft zu machen: Die körperschaftliche Einkommensteuer liegt für Unternehmen innerhalb des Industriekomplexes mit 10-14% deutlich unter dem offiziellen Steuersatz von 22%. Für produzierende Unternehmen fällt die Steuer für die ersten fünf Jahre ganz fort und wird für weitere drei Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion stellte sich für das nordkoreanische Regime verstärkt die Frage der Devisenbeschaffung. Zu diesem Zweck wurden seit den 1990er Jahren mehrere Versuche zur Einrichtung von Sonderwirtschaftszonen nach chinesischem Vorbild unternommen. Zeitgleich wurde eine entsprechende Gesetzgebung auf den Weg gebracht, die 1998 in einer teilweisen Anerkennung des Privateigentums in Art. 20 der nord- Jahre um die Hälfte reduziert. Zudem bietet die südkoreanische Regierung Unternehmen am Standort Kaesong eine Versicherung gegen den Verlust ihrer Investitionen, die bei einer Deckungssumme von bis zu 7 Milliarden Won (ca. US$ 6 Mio.) je Unternehmen im Verlustfall für bis zu 90% des investierten Kapitals aufkommt. Uneinheitlich geregelt ist die Frage der Herkunftsbezeichnung für Produkte aus Kaesong: Während sich die USA lange Zeit gegen eine Herkunft „Made in South Korea“ sträubten, anerkennt das am 20.12.2015 in Kraft getretene Freihandelsabkommen mit China die Erzeugnisse des Industriekom- koreanischen Verfassung gipfelte. In diesem Rahmen entstand Ende der 1990er Jahre die Idee einer Sonderwirtschaftszone nahe der innerkoreanischen Grenze mit dem Ziel, südkoreanischen Unternehmen einen Zugang zum nordkoreanischen Arbeitsmarkt zu verschaffen. Zielgruppe des Projekts waren von Anfang an Unternehmen der Konsumgüterindustrie, die angesichts steigender Lohnkosten in Südkorea nach Ausweichmöglichkeiten für ihre Produktion suchten. Von ihrer arbeitsintensiven Fertigung versprach sich die nordkoreanischen Regierung trotz eines im internationalen Vergleich extrem 37 Asien Kurier niedrigen Lohnniveaus der nordkoreanischen Arbeitskräfte einen stetigen Zustrom an dringend benötigten Devisen. Die Durchführung des Projekts lag ursprünglich in den Händen der Hyundai Asan Corporation, die im August 2000 mit der nordkoreanischen Regierung ein Abkommen zur Errichtung eines Industriekomplexes in der nordkoreanischen Stadt Kaesong unterzeichnete. Im Rahmen dieses Abkommens erwarb Hyundai Asan Die durchschnittliche monatliche Vergütung einer nordkoreanischen Arbeitskraft inklusive Sozialleistungen betrug 2014 etwa US$ 160. von der nordkoreanischen Regierung gegen einmalige Zahlung von US$ 12 Millionen ein fünfzigjähriges Nutzungsrecht an der zukünftige Sonderwirtschaftszone (beginnend in 2004). Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten der Hyundai Gruppe wurden die mit Nordkorea vereinbarten Landnutzungsrechte bereits im Dezember 2000 auf die Korea Land & Housing Corporation übertragen, eine staatliche Einrichtung in Südkorea, die seitdem mit der Entwicklung des Projekts betraut ist. Nach zweijährigen Verhandlungen mit der nordkoreanischen Regierung wurde der Industriekomplex Kaesong mit Stichtag 20.11.2002 als internationale Sonderwirtschaftszone eingerichtet. Er untersteht nicht dem allgemeinen nordkoreanischen Recht, sondern folgt eigenen Regularien, die in den (nordkoreanischen) Gründungsdekreten zur Einrichtung des Industriekomplexes festgehalten sind. Nach dem feierlichen Baubeginn im Juni 2003 dauerte es allerdings noch weitere anderthalb Jahre bis im Dezember 2004 die ersten südkoreanischen Unternehmen in die neu geschaffene Wirtschaftszone einzogen. Dienstag, 1. März 2016 Entwicklung von 2004 bis heute Die eigentliche Produktion begann im Industriekomplex Kaesong in 2005 mit 18 Unternehmen, die in diesem Jahr mit 6.013 nordkoreanischen Arbeitskräften und 507 südkoreanischen Führungskräften Güter im Wert von US$ 14,9 Millionen produzierten. Bis 2010 stieg die Zahl der in Kaesong produzierenden Unternehmen auf 121, eine Zahl, die im wesentlichen bis heute gleich geblieben ist. Gleiches gilt für die Anzahl der südkoreanischen Manager, die sich bis 2010 bei ca. 800 Personen eingependelt hat. Kräftig gestiegen ist dagegen die Zahl der nordkoreanischen Angestellten, die bereits in 2010 eine Größe von 46.286 erreicht hatte und seitdem nochmals um etwas über 8.000 Personen gewachsen ist. Entsprechendes gilt für den Wert der jährlich in Kaesong hergestellten Güter: Dieser lag in 2010 bei US$ 323,3 Millionen und hat sich seitdem nochmals um knapp US$ 100 Millionen erhöht. Demgegenüber stehen die vor allem in den Anfangsjahren notwendigen Investitionen in die Infrastruktur des Industriekomplexes. Bis Dezember 2007 wurden ca. US$ 374 Millionen in Infrastrukturprojekte investiert, wovon ca. US$ 223 Millionen auf die südkoreanische Regierung entfielen. Besonders kostenintensiv waren dabei die Einrichtung eines Telefonnetzes, der Bau eines Umspannwerkes zur Sicherstellung der Stromversorgung aus Südkorea (in Anbetracht der unsicheren Energiesituation in Nordkorea notwendig) und die Wasserversorgung bzw. Abwasser- und Müllentsorgung. Bemerkenswert im Hinblick auf die Entwicklung des Industriekomplexes Kaesong ist das geringe Ausmaß, in dem die Sonderwirtschaftszone von den innerkoreanischen Spannungen seit dem Ende der „Sonnenschein“-Politik des südkoreanischen Präsidenten Kim Dae-jung und seines Nachfolgers Roh Moo-hyun in 2008 berührt wurde. Ihren vorläufigen Tiefpunkt erreichte die politische Situation in 2010 mit der Versenkung der südkoreanischen Korvette Cheonan und dem anschließenden Artillerie-Überfall nordkoreanischer Streitkräfte auf die Insel Yeonpyeong. Im gleichen Jahr stieg die Produktion in Kaesong um US$ 70 Millionen und es wurden knapp 4.000 nordkoreanische Arbeitskräfte neu eingestellt – ein Trend, der sich auch in den Folgejahren ungebrochen fortsetzte und zeigt, dass die bisweilen hysterisch anmutende Kriegsrhetorik des Nordens nicht immer wörtlich zu nehmen ist. Der einzige nennenswerte Zwischenfall bleibt damit die vorübergehende Schließung des Komplexes in 2013. Auf Betreiben Nordkoreas wurde das Gelände im April des Jahres abgeriegelt, doch bereits drei Monate später Aus Sicht der in Kaesong produzierenden Unternehmen ist das Projekt wohl ein Erfolg. Die Mehrzahl der Unternehmen stammt aus dem Textilbereich, der in Südkorea ein Relikt aus den 1980er Jahren darstellt. wieder geöffnet. Auch hier siegte letzten Endes das finanzielle Interesse des nordkoreanischen Regimes an dringend benötigten Devisen, zumal der Großteil der in Kaesong gezahlten Löhne vom Staat einbehalten wird. Stärken und Schwächen Die Beurteilung der Stärken und Schwächen des Industriekomplexes und die damit verbundene Frage nach dem Erfolg des Projektes hängt von der Perspektive der beteiligten Akteure ab. Aus nordkoreanischer Sicht ist das Vorhaben sicherlich als Erfolg zu werten: Von den insgesamt drei nordkoreanischen Sonderwirt- 38 Asien Kurier schaftszonen ist Kaesong die einzige wirklich funktionstüchtige Einheit. Weder das ungünstig im Nordosten gelegene Gebiet RajinSeonbong, das mit der russischen Industrieregion Wladiwostok konkurrieren muss, noch die marode, vollständig von China abhängige Infrastruktur von Sinuiju konnten sich bisher zu funktionierenden Wachstumstreibern entwickeln. Im Unterschied dazu ist der Standort Kaesong fest in die innerkoreanischen Wirtschaftsbeziehungen integriert – und wirft ein bezeichnendes Licht auf die fehlgeschlagenen Bemühungen der nordkoreanischen Regierung, ihr Land in der Region einzubinden: Weder mit den russischen noch mit den chinesischen Partnern, deren Investitionen die beiden anderen Sonderwirtschaftszonen anziehen sollten, ist bisher ein nennenswerter Austausch zustande gekommen. Aus Sicht der in Kaesong produzierenden Unternehmen ist das Projekt wohl ebenfalls ein Erfolg. Anlass zu dieser Vermutung gibt nicht nur die steigende Zahl der Unternehmen in der Region, sondern auch die Tatsache, dass die Mehrzahl der Unternehmen aus dem Textilbereich stammt, der in Südkorea ein Relikt aus den 1980er Jahren darstellt. Angesichts stark gestiegener Lohnkosten wären diese Hersteller nicht überlebensfähig, können sich aber in der Industrieregion Kaesong aufgrund des extrem niedrigen Vergütungsniveaus auch gegen einen fallenden Trend behaupten. Hinzu kommen großzügige Unterstützungsmaßnahmen der südkoreanischen Regierung, die das von südkoreanischen Unternehmen generell als risikobehaftet betrachtete nordkoreanische Umfeld ausgleichen. Ein Studie von Stephen Haggard und Marcus Noland aus 2012 (Peterson Institute for International Economics) kam zu dem Ergebnis, dass Unternehmen in der Industrieregion Kaesong ihre nordkoreanische Umgebung sogar mit größerem Misstrauen betrachten Dienstag, 1. März 2016 als solche Firmen, die direkt oder über Mittelsmänner Geschäftsbeziehungen in den Norden unterhalten. Gleichzeitig sind die Geschäftsmodalitäten innerhalb der Sonderwirtschaftszone weitaus großzügiger als allgemein im Austausch mit Nordkorea üblich – dies vor dem Hintergrund einer lückenhaften Rechtslage in der Region Kaesong und der Tatsache, dass ausstehende Forderungen gegen nordkoreanische Partner im allgemeinen nicht realisiert werden können. Als Versicherung gegen mangelnde Rechtsstaatlichkeit auf nordkoreanischem Territorium sehen die Unternehmen anscheinend in erster Linie die Hilfen und Garantien der südkoreanischen Regierung. Haggard und Noland sprechen hier sogar von einem „rent-seeking model“, in dem sich KMUs vor allem aus dem Textilbereich eine Startfinanzierung aus Seoul beschaffen, mit der sie im Anschluss in Kaesong weit unterhalb der eigentlichen Herstellungskosten produzieren und ihre Ware dann entsprechend günstig in den Zielmärkten absetzen können. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwiefern die Industrieregion Kaesong auch aus Sicht der Entwickler und Betreiber, d.h. letzten Endes der südkoreanischen Regierung, als Erfolg zu werten ist. Vergleicht man die ursprünglichen Zielsetzungen mit der tatsächlichen Entwicklung, muss das Projekt aus Betreiberperspektive als Fehlschlag eingestuft werden. Keine der ehrgeizigen Zielvorgaben aus 2004 konnte bis heute eingehalten werden. Beispielsweise betrug die tatsächliche Produktion in 2007 und 2009 nur 6% bzw. 4% der ursprünglich angestrebten Größe, was unter anderem auf die Dominanz arbeitsintensiver Branchen mit geringen Margen zurückzuführen ist. Anstelle der geplanten 1.500 Unternehmen hatten sich bis 2012 nur 123 Firmen in der Zone angesiedelt; eine Zahl, die seither stagniert. Die Zahl der beschäftigen nordkoreanischen Arbeitskräfte bleibt mit ca. 53.000 ebenfalls weit hinter den geplanten 200.000 Personen zurück. In Anbetracht der enormen südkoreanischen Investitionen in den Standort nimmt sich der wirtschaftliche Erfolg des Projekts damit eher unspektakulär aus. Trotzdem wird die Sonderwirtschaftszone in den südkoreanischen Medien allgemein als Erfolg betracht, was wohl in erster Linie mit ihrem Beitrag zur Deeskalation auf der koreanischen Halbinsel zusammenhängt. Diese politische Zielsetzung des Projekts wird von Regierungseinrichtungen auch offen ausgesprochen. Für die in Kaesong angesiedelten Unternehmen bedeutet dies bei der Erhaltung des Status quo ein auf absehbare Zeit gesichertes Umfeld, in dem die Rechtsunsicherheit auf nordkoreanischem Gebiet durch weit reichende Staatshilfen und -garantien von südkoreanischer Seite ausgeglichen wird. Dr. Alexander Toepel Baumann Unternehmensberatung [email protected] 39
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