Daniel Arnold Theater für Weihnachten

Daniel Arnold
Theater für Weihnachten
Originaltitel:
Théâtre pour Noël (Volume 1)
1995, Editions Emmaüs
Zeichnungen und Skizzen: Marc-Etienne Petter
Übersetzung aus dem Französischen:
Dr. Matthias Radloff
Copyright © Daniel Arnold
Alle Rechte für alle Länder vorbehalten
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung .......................................................................... 5
Herodes und die Händler ............................................... 9
Die Kameltreiber ............................................................ 33
In einem Pressezimmer................................................. 57
Mission Erde ................................................................... 83
Flug 3001 ........................................................................ 109
Das Weihnachtsgemälde ............................................ 129
Ein Geschenk: Annehmen oder verweigern? ......... 159
EINLEITUNG
Zur Adventszeit verkleidet sich die Welt. Die
Schaufenster und die Strassen erstrahlen in feierlichen
Glanz. Weihnachtstannen bieten sich zum Kauf an, wobei
jede Familie die Schönste erwerben möchte.
Dann endlich ist es soweit. Aus den Küchen beginnen
die verlockendsten Düfte zu entweichen. Die Kinder
springen vor Ungeduld umher bis die Gäste endlich
kommen. Dann kann das Fest beginnen! Der 24. Dezember
ist endlich da.
Aber schon am folgenden Tag ist der Zauber verflogen.
Die Mülleimer sind am Überquellen, und die Lichter
leuchten nicht mehr ganz so hell wie am Vorabend. Die
Tannen müssen Lametta und Kugeln zurückgeben. Selbst
ihre Nadeln schwinden. Weihnachten ist vorüber.
Weihnachten kommt und geht. Es ist ein grossartiges
Fest. Aber weshalb wird überhaupt gefeiert? Offiziell geht es
um die Geburt Jesu. Aber in Wirklichkeit ist vom Messias
nicht viel zu sehen. Der Retter der Welt wurde zu einer
nützlichen Dekoration umfunktioniert.
Was soll man angesichts solch eines Betrugs sagen?
Weinen nützt nichts. Den Materialismus anprangern ändert
auch nicht viel. Unsere einzige Hoffnung liegt im Herrn und
seinem Evangelium. Denn er ist die Kraft Gottes und Retter
für jeden der glaubt. Die Welt hat es nötig, diese gute
Nachricht zu hören.
Evangelisieren
kann
man
täglich,
aber
die
Weihnachtszeit bietet einzigartige Gelegenheiten dazu. Die
verhärtete Welt leiht dem Evangelium ein Ohr, sei es aus
Höflichkeit oder aus Tradition. Wie dem auch sei, die
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THEATER FÜR WEIHNACHTEN
Kirchen füllen sich und die geistlichen Lieder ertönen selbst
in Läden. In dieser Zeit kann die Kirche auf ihre Botschaft
aufmerksam machen. Die Ohren sind der Botschaft des
Evangeliums offen. Die Verkündigung muss aber taktvoll
sein.
Wie können wir diese besondere Zeit im Dezember
nutzen um das Evangelium zu verkünden? Unsere
Phantasie ist gefordert. Vieles ist möglich, wobei
Theateraufführungen mehrere Vorteile haben. Zunächst
geht es um eine Darbietung. Da es ja feierlich zugeht, darf
die Kirche sich dementsprechend anziehen, nicht um das
Evangelium zu verwässern, sondern um sich besser
verständlich zu machen. So wie ein Paulus seine Sprache
den Philosophen Athens anpasste (Apostelgeschichte 17, 2234), so wie ein Hudson Taylor den Mut hatte, chinesische
Kleider anzuziehen um mit Chinesen in Kontakt zu treten,
so soll auch die Kirche die Menschen da abholen, wo sie sich
befinden.
Das Theater vermag der altbekannten Botschaft neue
Aspekte zu vermitteln. Die Weihnachtsgeschichte scheint
keine Geheimnisse mehr zu haben. Jeder hat sie schon so oft
gehört, dass er sicher ist sie lückenlos erzählen zu können.
Wie kann man die Geschichte dieses Jahr abermals erzählen
ohne das Publikum anzuöden? Oder besser: wie kann man
die Zuhörer begeistern?
Mit dem Theaterspiel kann man eine Botschaft auf
indirekte Art und Weise vermitteln. Wie ein Gleichnis kann
sie den Hörer mit der Wahrheit erreichen, wenn er es am
wenigsten erwartet. Hat nicht der Prophet Nathan den
König David, nach monatelanger Verhärtung, mit einem
kurzen Gleichnis ins Herz getroffen (2. Samuel 12,1-7)?
Die folgenden Theaterstücke möchten das Evangelium
im Rahmen eines Weihnachtsfestes verkünden. Einige der
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EINLEITUNG
Stücke enden mit einer Frage, die den Zuschauer zur Rede
zu stellen gedenkt.
Die Stücke gehören einer von zwei Gruppen an. Die
vier ersten finden zur Zeit der Geburt des Messias statt.
Immer wieder ist von Personen die Rede, die wenig oder gar
nicht in den biblischen Texten erwähnt werden. Im ersten
Stück geht es um Geschäftsleute („Herodes und die
Händler“), im zweiten um Ausländer („Die Kameltreiber“),
im dritten um Journalisten („In einem Pressezimmer“) und
im vierten sind Engel die Hauptdarsteller („Mission Erde“).
Die Geschichte von Joseph und Maria ist ja bekannt, aber
nicht die der Kameltreiber und der anderen Darsteller. Kein
Zuschauer weiss wie diese Unbekannten auf die Geburt Jesu
reagieren werden.
Bei den übrigen Stücken findet die Handlung im 21.
Jahrhundert statt. Die Hauptpersonen sind Passagiere eines
Flugzeugs
(„Flug
3001“),
Kunstmaler
(„Das
Weihnachtsgemälde“), und ein kinderloses Paar bei einem
Weihnachtsessen („Ein Geschenk annehmen oder
verweigern?“). Jedes Stück enthält eine Vielfalt von
Menschentypen die Gegensätze aufzeigen und es jedem
Zuschauer erlauben, sich mit dem einen oder anderen
Schauspieler teilweise zu identifizieren.
Am Anfang
jedes Stückes
gibt
es einige
Inszenierungsvorschläge. Für „In einem Pressezimmer“
wird der Bühnenaufbau für jede Szene angegeben (S. 78).
Schauspielanfänger,
die
praktische
Empfehlungen
wünschen, sollten sich nach Anleitungen umschauen.
Achten Sie insbesondere darauf auf der Bühne keine
Wurzeln zu schlagen, sondern den ganzen zur Verfügung
stehenden Raum zu füllen. Vermeiden Sie es auch, beim
Sprechen dem Publikum den Rücken zuzuwenden.
Die Theaterstücke dauern von einer Viertelstunde („Ein
Geschenk: annehmen oder verweigern?“) bis zu einer
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THEATER FÜR WEIHNACHTEN
halben Stunde. Jedes Stück soll eine klare Botschaft
vermitteln. Eventuell kann eine Kurzpredigt eine der Ideen
aufgreifen und entfalten, aber das ist kein Muss und ist auch
nicht immer wünschenswert. Als Beispiel steht eine
Kurzpredigt am Ende des Stückes „In einem Pressezimmer “
(S. 79-82Erreur ! Signet non défini.).
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HERODES UND
DIE HÄNDLER
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THEATER FÜR WEIHNACHTEN
HANDLUNGSORT
Die Handlung findet zur Zeit Jesu statt. Wir sind in
einer Geschäftsstrasse Jerusalems. Heute ist der Tag der
Ankunft der Weisen. Es ist früh morgens und die
Händler bauen ihre Stände, in der Erwartung der
Kunden auf.
PERSONEN
BENJAMIN
Ein junger jüdischer Landwirt der seine eigene
Produktion
auf
dem
Markt
verkauft.
Charaktereigenschaften: revolutionär, aufbrausend,
aufrichtig und rechtschaffen.
RUBEN
Ein jüdischer Juwelier, gut situiert. Materialist und
Opportunist. Es geht ihm vor allem um den Umsatz.
ANNE
Eine blinde Jüdin voller Glauben, Eifer, Weisheit und
gesundem Menschenverstand. Sie überwindet die
Schwierigkeiten des Lebens dank ihres Glaubens und
bestreitet ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von
Körben, die sie selbst anfertigt.
SIMEON
Leicht behinderter jüdischer Bettler. Er findet sein
Leben sinnlos. Er ist ein menschliches Wrack, jammert
beständig und ist von anderen abhängig.
ELISABETH
Freundin von Anne. Sie ist lebhaft und aufgeregt. Ihre
Rolle ist klein.
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HERODES UND DIE HÄNDLER
DEKORATION UND MATERIAL
Ein Schild an der Kreuzung gibt zwei Strassen an. In
grosser Schrift ist zu lesen: „Via Augustus“ und „Via
Herodes“. Die Akteure tragen Kleider, die an das erste
Jahrhundert erinnern. Benjamins Stand besteht aus
einem Regal, Obst- und Gemüsekisten; Rubens Stand ist
klein und leicht zu transportieren. Er besteht aus einer
Art Ständer, an dem er schnell einige Schmuckstücke
aufhängen kann. Anne hat lediglich einige
Weidenkörbe die sie zum Verkauf anbietet.
EINSZENIERUNG
Die Stände von Benjamin und Ruben sind im hinteren
Teil der Bühne. Ist der Eintritt auf der rechten Seite der
Bühne, so befindet sich Benjamin auf der äußersten
linken Seite, sein Kollege rechts, fast in der Mitte. Das
Schild steht genau rechts neben Rubens Stand.
ERSTER AKT
EINLEITUNG DES ERZÄHLERS
(Das Schild steht schon, und Ruben hat seinen Stand
aufgebaut.)
Es war vor zweitausend Jahren. In Palästina lebt man
unter dem Joch der Römer. Seit der Eroberung des
Landes durch Pompejus im Jahr 63 vor unserer
Zeitrechnung führen die Eroberer das Land mittels
lokaler Verbündeter. Herodes der Grosse hat das
Vertrauen der Römer dank seiner Schmeichelei und
blinden Ergebenheit als Amtsinhaber gewonnen. Als
Belohnung dafür hat der Kaiser Augustus ihm den Titel
“König der Juden“ verliehen. Gierig nach Ruhm und
Macht errichtet Herodes unzählige prächtige Bauwerke.
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THEATER FÜR WEIHNACHTEN
Er versucht die römische Bauweise nachzuahmen und
widmet seine Werke den Besetzern. Das Volk,
ausgelaugt durch die drückende Steuerlast, leidet
schwer. Einzig die alten Versprechen der Propheten
geben noch Hoffnung.
(Das Licht geht aus, damit Benjamin in der Dunkelheit
die Bühne betreten kann. Sobald er an seinem Platz ist,
geht das Licht wieder an. Benjamin pfeift ein Liedchen
und hat mit Früchten und Gemüse zu tun. Ruben trifft
ein. Er trägt einen leichten Stand, und baut ihn neben
dem Strassenschild an der Kreuzung auf, der „Via
Augustus“ und der „Via Herodes“.)
RUBEN
Schalom, Benjamin.
BENJAMIN
Schalom, Ruben.
RUBEN
Zeitig da, wie ich sehe. Dein Stand ist schon aufgebaut.
BENJAMIN
Es geht ja auch nicht anders wenn man für die ersten
Kunden bereit sein soll.
RUBEN
Ich sehe aber keine.
BENJAMIN
Sie werden bald hier sein.
RUBEN
(Nach einer Pause) Benjamin.
BENJAMIN
Ja?
RUBEN
Wie kommt es, dass du nicht den besseren Platz für
deinen Stand gewählt hast?
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HERODES UND DIE HÄNDLER
BENJAMIN
Welchen besseren Platz?
RUBEN
Diesen hier (er zeigt auf die Stelle, wo er sich gerade
niederlässt). Auf der Kreuzung der beiden Straßen. Hier
herrscht doppelter Betrieb. Es können dich mehr Leute
sehen.
BENJAMIN
Ich weiß.
RUBEN
Warum bist du heute morgen nicht hier? Du bist als
Erster gekommen.
BENJAMIN
Aus diesem Grund (er zeigt auf das Schild).
RUBEN
Das Schild stört dich?
BENJAMIN
Mir wird dabei speiübel! Ich bleibe lieber auf Abstand.
RUBEN
Jetzt verstehe ich: die Via Augustus und die Via
Herodes erinnern dich an den Kaiser und den König.
BENJAMIN
Dazu stehen sie ja auch da.
RUBEN
Ich kenne deine politischen Meinungen, aber da
übertreibst du.
BENJAMIN
Kann man jemals mit dem Hass für diese zwei
Tyrannen übertreiben? (er spuckt auf das Schild)
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THEATER FÜR WEIHNACHTEN
RUBEN
(Unruhig und nach links und rechts schauend, um zu
sehen, ob jemand sie hören könnte) Jetzt aber! Pass nur
auf! Du ziehst dir noch Ärger zu!
BENJAMIN
Ärger! Ärger! Seit die Römer hier sind, hat man nichts
als Ärger. Eine Steuer hier, eine Steuer dort. Seit der
Ankunft dieser Schweine haben sich die Steuern
verdreifacht, ach was sage ich, vervierfacht.
RUBEN
Sachte, Benjamin, sachte: man könnte dich hören.
BENJAMIN
Mich hören? Gern kann man mich hören! Eine kleine
Revolution wäre willkommen. Man könnte mit Herodes
anfangen. Dieser Gauner, dieser Verräter (er spuckt auf
das Schild). Der dreht doch seine Weste so schnell um,
dass es im Palast schon zieht. Er würde alles tun, um
den Römern zu gefallen. Schau dir an, was er aus
unserem Land gemacht hat.
RUBEN
(Leise) Ich weiß, wir haben noch nicht den Himmel auf
Erden. Aber mit all diesen Bauwerken, die er errichtet
hat, (mit stolzer Stimme) sieht unser Land doch schon
viel besser aus.
BENJAMIN
Viel besser? Vergiss nicht, unter jedem aufgerichteten
Stein quillt das Leiden eines Juden hervor. Diese Art
von Bauwerk schmeichelt doch nur dem Hochmut des
Besetzers. Herodes errichtet ausschliesslich was ihnen
gefällt: Theater, öffentliche Bäder, Pferderennbahnen,
ganz zu schweigen von den Tempeln für Jupiter und
den Kaiser. Selbstverständlich ahmt er ihren Stil nach,
und wenn ein Bauwerk fertig ist, widmet er es ihnen.
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HERODES UND DIE HÄNDLER
Wie viele Städte hat er nicht schon Cäsaräa genannt?
Man glaubt man sei in Italien.
RUBEN
Und der Tempel Gottes? Den hat er doch für uns Juden
renoviert.
BENJAMIN
Das ist doch nur Augenwischerei, ein Geschenk mit
dem er uns bestechen möchte. Aber derjenige, der die
Dinge durchschaut, lässt sich nichts vormachen.
RUBEN
Es geht ja nicht nur um die Bauwerke. Herodes und die
Römer haben wieder Ordnung hergestellt. Früher ging
es doch drunter und drüber. Jetzt herrscht endlich
Ordnung, der Handel blüht wieder auf. Alle ziehen
einen Nutzen davon.
BENJAMIN
Nur eine Minderheit. Mit den Steuern stehlen sie uns
jeglichen Gewinn. Das Geld reicht doch vorne und
hinten nicht.
RUBEN
Die Steuern sind beträchtlich, aber man kann sich
zuweilen arrangieren.
BENJAMIN
Was willst du damit sagen?
RUBEN
Kleine Geschenke an die richtigen Leute, und deine Last
wird leichter.
BENJAMIN
Kleine Geschenke? Erkläre mir das.
RUBEN
(Behutsam) Die Beamten, ob Juden oder Römer, lieben
Geschenke. Gib ihnen irgend etwas was sie schätzen,
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THEATER FÜR WEIHNACHTEN
und schon sind sie bereit, die Augen vor deinen
wirklichen Gewinnen zu verschließen.
BENJAMIN
Das ist doch Korruption, was?
RUBEN
Das ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort. Sprechen
wir lieber von einem freundlichen Verhältnis.
BENJAMIN
Ich kann es nicht fassen. Ich verstehe nicht, dass du so
etwas sagen, geschweige denn tun kannst. Ich dachte
immer du seiest rechtschaffen.
RUBEN
Bisweilen muss man wissen, wie man einige
Zugeständnisse an seine Prinzipien macht. Wenn du auf
mich hören würdest, ginge es dir besser.
BENJAMIN
Besser? Schlechter würde es mir gehen. Mir ist es lieber,
dass die Römer mein Geld stehlen, als dass sie meine
Prinzipien stehlen. Deine Seele scheint dir nicht viel
wert zu sein. (Kälte zwischen den zwei Freunden, Ruben
zuckt irritiert die Achseln.)
ZWEITER AKT
(Nach einigen Augenblicken trifft Simeon ein. Ruben
nutzt die Gelegenheit, um das Thema zu wechseln.)
RUBEN
Aber wer kommt denn da? Unser Freund Simeon. Wie
geht es dir heute?
SIMEON
(In einem kläglichen Ton) Schalom.
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HERODES UND DIE HÄNDLER
RUBEN
(Fröhlich und begeisternd) Schalom, schalom, Friede sei
mit dir. Es ist schön heute, die Sonne scheint, die Vögel
zwitschern. Geniesse das Leben.
SIMEON
(Ungläubig) Das Leben geniessen?
RUBEN
Ja, geniesse das Leben, freu dich.
SIMEON
Sich freuen worüber?
RUBEN
Über alles und nichts.
SIMEON
Wie meinst du das?
RUBEN
Über die Gesundheit.
SIMEON
Du hast gut reden.
RUBEN
Wie bitte?
SIMEON
Du hast gut reden. Du bist gesund, du bist noch jung,
aber ich, sieh mich an.
RUBEN
(Etwas verlegen) Ja, ja, ich weiß, es ist nicht leicht, aber
das ist kein Grund, dich hängen zu lassen. Das Leben
bietet durchaus Freuden.
SIMEON
Welche?
RUBEN
Essen und Trinken.
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THEATER FÜR WEIHNACHTEN
SIMEON
Du hast gut reden.
RUBEN
Wie bitte?
SIMEON
Du hast gut reden. Du hast das nötige Geld zum Leben.
Das ist nicht bei allen der Fall.
RUBEN
Man muss unternehmungslustig sein im Leben, Simeon.
Du lässt dich viel zu schnell bremsen. Die Bettelei führt
zu nichts. Nimm die Dinge in die Hand.
SIMEON
Du hast gut reden.
RUBEN
Komm jetzt, lass die Jammerei. Ich werde dir etwas
geben, um dich zu ermutigen. (Ruben dreht sich um
und geht an seine Theke, um etwas Geld zu holen.
Simeon setzt sich Ruben gegenüber auf den Boden.
Ruben kommt zurück und reagiert überrascht als ihm
klar wird, dass Simeon sich ihm gegenüber niederlässt.)
Nanu! Was machst du denn da, Simeon? Du kannst
dich nicht hier niederlassen.
SIMEON
Warum?
RUBEN
Das beeinträchtigt meine Geschäfte. Ich ziele auf einen
bestimmten… (er sucht nach dem Wort)… einen
bestimmten Standard ab. Meine Kunden lieben den
Luxus und ein etwas Gebrechlicher gerade bei meinem
Stand könnte sie vertreiben. Nimm, hier ist etwas
Kleines, das wird dir Mut machen. Aber stell dich
irgendwo anders hin. (Ruben hilft bzw. nötigt Simeon sich
zu erheben. Resigniert lässt Simeon es geschehen.)
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HERODES UND DIE HÄNDLER
BENJAMIN
(Sich an Ruben wendend) Herzloser Heuchler. Du
trampelst auf den Kleinen herum genau wie Herodes.
RUBEN
(Überrascht, bleibt ohne Antwort. Endlich erwidert er)
Frechheit.
BENJAMIN
Materialist.
RUBEN
Diese Worte wirst du eines Tages bereuen.
BENJAMIN
Und du deine Unmenschlichkeit. (Simeon weiß nicht, was
er machen soll.) Komm hierher, Simeon. Setz dich mir
gegenüber hin. Deine Gegenwart ehrt mich. Gott ist der
Freund der Armen und Unglücklichen. (Ruben und
Benjamin kehren einander die Rücken zu. Drückende Stille.
Jeder beschäftigt sich an seinem Stand.)
DRITTER AKT
(Bald hört man das Geräusch des Stocks eines Blinden,
der sich seinen Weg sucht. Anne tritt auf. Sie trägt
mehrere Körbe.)
ANNE
Ist da irgendwer, der mir helfen könnte?
BENJAMIN
Ja. Ach! Du bist es, Anne, Schalom.
ANNE
Benjamin?
BENJAMIN
Zu Diensten.
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THEATER FÜR WEIHNACHTEN
ANNE
Schalom, Benjamin. Ich bin doch an der Ecke der Via
Augusta und der Via Herodes?
BENJAMIN
Ja. Willst du die Körbe verkaufen, die du angefertigt
hast?
ANNE
Ja.
BENJAMIN
Sie sind prächtig.
ANNE
Danke, das ist nett von dir.
BENJAMIN
Willst du mir einen für etwas Früchte oder Gemüse
überlassen?
ANNE
Das ist eine gute Idee. Nimm dir den, der dir gefällt,
und gib mir einige Orangen. Meine Körbe kosten zwei
Taler das Stück, aber da du es bist, gib mir Orangen für
einen Taler.
BENJAMIN
Das kommt gar nicht in Frage. Orangen für zwei Taler,
und einige Bananen und Erdnüsse. Simeon sitzt schon
mir gegenüber, also wirst du dich Ruben gegenüber
hinstellen müssen.
ANNE
Schalom, Ruben; schalom, Simeon.
SIMEON
Schalom.
RUBEN
Schalom.
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HERODES UND DIE HÄNDLER
ANNE
Störe ich hier wirklich nicht?
BENJAMIN
(Schnell und die Worte betonend) Absolut nicht. Ruben ist
für den Frieden UM JEDEN PREIS, also ist er voll und
ganz damit einverstanden, dass du dich hier niederlässt.
(Während er diese Worte sagt, krempelt er seine Ärmel hoch
und wendet sich Ruben zu, als wolle er ihm Angst machen.)
ANNE
Ich verstehe nicht.
BENJAMIN
Nicht wichtig. Ruben hat verstanden.
ANNE
(Pause, dann) Weißt du, Simeon, wen ich gestern Abend
auf der Via Antipater getroffen habe?
SIMEON
Nein.
ANNE
Rebekka, die Frau von Matthias. Sie war von Bethlehem
gekommen, um einige Einkäufe in Jerusalem zu
machen. (Dann in einem vertraulichen Ton) Sie sagte mir,
dass ihr Mann einer von den Hirten sei, die diese Engel
gesehen hätten welche die Ankunft des Messias
ankündigten.
SIMEON
Matthias hat Engel gesehen?
ANNE
Die Engel, die die Geburt des Messias angekündigt
haben. Davon hast du doch schon gehört?
SIMEON
Ja, sicher. Aber ich habe die Sache nicht sehr ernst
genommen.
– 21 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
ANNE
Das ist aber ernst. Der Messias wurde geboren. Wir sind
in den letzten Zeiten. Die Wiederherstellung aller Dinge
ist nahe.
BENJAMIN
Begeistere dich nicht zu schnell dafür. Kennst du dieses
Ehepaar gut?
ANNE
Sie sind vortreffliche Freunde.
BENJAMIN
Kann man sich auf sie verlassen?
ANNE
Völlig. Ich bürge dafür. Matthias und Rebekka leben in
rechter Art und Weise vor Gott und vor den Menschen.
SIMEON
Und was hat dir Rebekka erzählt?
ANNE
Eines Abends, vor nicht langer Zeit, waren Matthias
und seine Freunde auf den Feldern um die Schafherden
zu hüten. Da erschien ihnen plötzlich ein Engel. Er
kündigte ihnen die Geburt des Messias an.
SIMEON
Und wie sah der Engel aus?
ANNE
Ich habe sie nicht danach gefragt. Aber das ist nicht
alles: der Engel sagte ihnen auch, dass sie sich nach
Bethlehem begeben sollen, um den neugeborenen
Messias in einer Futterkrippe zu finden.
RUBEN
In einer Krippe!
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HERODES UND DIE HÄNDLER
ANNE
Daraufhin erschien eine Menge von Engeln und lobte
Gott. Nachdem die Engel fort waren, gingen Matthias
und seine Gefährten nach Bethlehem und fanden das
Kind in einer Krippe. Sein Name ist Jesus, das bedeutet
Erretter.
BENJAMIN
Der Messias wurde also geboren!
RUBEN
Der Messias, der Messias! Und was noch? Eure
Geschichte ist doch der reinste Quatsch. Engel auf der
Erde geht noch, aber der Messias in der Futterkrippe!
Ihr seid doch übergeschnappt. Denkt doch mal nach:
wenn das der Messias wäre, würde er nicht in einer
Krippe liegen. Ein wenig mehr Würde wäre doch
angebracht. Habt ein wenig Respekt vor Gott! Würde er
es zulassen, dass der Gesalbte in dieser Art und Weise
geboren wird? Eine Krippe, Schafhirten, das ist doch
alles nur ein Märchen.
BENJAMIN
(Wendet sich in drohendem Ton an Ruben) Schafhirten.
Was hast gegen Hirten einzuwenden?
RUBEN
(Ein wenig eingeschüchtert, gewinnt aber schnell seine
Sicherheit zurück) Nein, nichts. Aber sagt doch selbst:
wenn es wirklich der Messias wäre, dann würden die
Mächtigen dieser Welt es wissen. Sie würden ihm
Huldigung erweisen, mit Tausenden von Geschenken.
Der Kaiser Augustus wäre dabei, ohne den Herodes zu
vergessen. Für mich ist diese Sache mit den Engeln und
der Geburt des Christus nichts weiter als ein
Werbegeck.
– 23 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
BENJAMIN
Wie meinst du das?
RUBEN
Seit Tagen spricht die ganze Welt von Bethlehem. Man
spricht von Bethlehem und … man rennt dorthin. Die
Händler reiben sich die Hände. All diese Neugierigen
sind gut fürs Geschäft. Die Händler von Bethlehem sind
schlau. Es würde mich überhaupt nicht wundern wenn
es sich herausstellt, dass sie die ganze Sache erfunden
haben. Für den Tourismus gibt es nichts Besseres.
ANNE
Und was machst du mit den Zeugenaussagen meiner
Freunde?
RUBEN
Man wird sie überzeugt haben (er reibt Daumen und
Zeigefinger aneinander, als wäre Geld im Spiel).
ANNE
Nein, die sind über jeden Vorwurf erhaben.
BENJAMIN
(Ruben anschauend) Nicht jeder lässt sich schmieren.
RUBEN
Ob ich Recht habe oder nicht, ist unwichtig. Das eine ist
sicher: diese Geschichte ist ein Märchen.
BENJAMIN
Das, was mir ein wenig Kummer macht, ist das Alter
des Messias. Wenn er gerade geboren wurde, kann die
Unterdrückung der Römer und des Herodes noch lange
dauern, noch mehrere Jahrzehnte.
RUBEN
Und wenn der Messias erwachsen sein wird, wird eins
der größeren Probleme schon verschwunden sein:
Herodes ist ein alter und kranker Mann. (Behutsamer) Er
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HERODES UND DIE HÄNDLER
wird nicht mehr als einige Monate da sein, höchstens
ein Jahr.
BENJAMIN
Der Tod von Herodes würde keine Besserung bringen.
Seine Söhne sind schlimmer als er. Und es besteht kein
Zweifel, dass einer von ihnen sein Nachfolger wird.
ANNE
Meine Freunde, ihr irrt euch. Der von Gott verheißene
Messias wird nicht kommen, um kleine Besserungen zu
bringen. Er wird das Grundproblem des Menschen in
Angriff nehmen. Das Leben wird umgekrempelt
werden. Alles Leiden wird verschwinden (sie dreht sich
zu Simeon um). Der Tod wird überwunden werden.
SIMEON
Ich beneide dich.
ANNE
Wie das?
SIMEON
Ich beneide dich um deinen Glauben, ich beneide dich
um deine Hoffnung. Mein Problem ist nicht so sehr
meine Behinderung. Sie ist eigentlich nur ein Vorwand.
Übrigens, Anne, du zeigst uns ja, dass ein Gebrechen
kein unüberwindbares Hindernis wäre. Das Glück
hängt nicht vom materiellen Besitz ab, der nichts als
eine Illusion von Glück bieten kann, nicht wahr, Ruben?
(Ruben schrickt plötzlich auf.) Wie gern hätte ich eine feste
Hoffnung! Mein Leben ist sinnlos.
BENJAMIN
Du bist nicht der Einzige in dieser Situation.
SIMEON
(Ruben anschauend) Ich weiß, aber das ist ein magerer
Trost.
– 25 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
ANNE
Haltet euch an die Worte von Moses und den
Propheten. Das ist das Wort Gottes. Alles, was sie
gesagt haben, wird sich früher oder später
verwirklichen. Ihre Worte sind vertrauenswürdig.
RUBEN
Aber die Propheten haben vor langer Zeit gesprochen.
ANNE
Ja, es sind vierhundert, fünfhundert, sechshundert,
siebenhundert und mehr Jahre her.
RUBEN
Das ist wohl das Problem.
BENJAMIN
Wie das?
RUBEN
Nun, es ist lange her, dass Gott diese Dinge versprach,
und nichts hat sich seit all den Jahren getan.
ANNE
Sind wir nicht in den letzten Zeiten?
RUBEN
Seit Jahrhunderten hat man nicht aufgehört, dies zu
wiederholen.
ANNE
Heute ist das anders. Engel sind gekommen, um die
Geburt des Messias zu melden.
RUBEN
Diese Geschichte ist verrückt. So leicht kann man mich
nicht überzeugen. Wenn der Messias geboren wäre,
gäbe es andere Zeichen, und zwar noch viel größere
Zeichen.
– 26 –
HERODES UND DIE HÄNDLER
VIERTER AKT
ELISABETH
(Elisabeth kommt im Laufschritt an; sie ist ganz außer Atem)
Hier bin ich, endlich habe ich dich gefunden, Anne.
Weißt du, wer am Palast des Herodes angekommen ist?
ANNE
Wer?
ELISABETH
Sterndeuter, die vom fernen Osten gekommen sind. Sie
sagen, sie seien gekommen, um den König der Juden zu
verehren, der VOR KURZEM GEBOREN SEI.
ANNE
Der geboren wurde!
ELISABETH
Der geboren wurde. Sie sagen auch, dass sie das von
den Sternen erfahren haben.
ANNE
Den Sternen!
ELISABETH
Ein Stern hätte ihnen das gesagt. Eine große
Menschenmenge hat sich vor dem Palast des Herodes
versammelt um zu sehen was die Reaktion des Königs
sein wird.
ANNE
Welch wunderbare Nachricht!
ELISABETH
Ich verlasse dich. Ich muss noch Papa und Mama
benachrichtigen. (Abgang von Elisabeth)
ANNE
(Sich an Ruben wendend) Ruben, das ist doch ein Zeichen,
eine Bestätigung.
– 27 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
RUBEN
Sachte. Dieses Zeichen ist ZU außergewöhnlich. Wer
hat schon jemals von einem Stern gehört der die Geburt
eines Königs ansagt? Das sind doch Spinnereien.
SIMEON
Aber wenn Gott etwas unternimmt, kann es dann
jemals zu gross sein? Der, der die Sterne durch ein Wort
geschaffen hat, kann er nicht einem unter ihnen
befehlen, einer besonderen Bahn zu folgen?
ANNE
Wenn der Messias wirklich geboren wurde, dann sollte
das doch Grund genug sein diese Ankunft auf eine ganz
besondere Art und Weise zu verkünden. (Sich an Ruben
wendend) Du willst, dass Könige kommen, um ihn zu
verehren. Jetzt sind es Sterndeuter die wegen einem
Stern bis zu uns kommen.
RUBEN
Es reicht! Ich habe genug von euren Argumenten. Ich
will jetzt und heute leben. Und jetzt verliere ich meine
Zeit weil diese Straßen leer sind. Die ganze Welt ist am
Palast des Herodes versammelt. (Ruben beginnt seinen
Stand abzubauen.) Wenn ich meinen Stand dorthin
verlege, denke ich, dass ich Geschäfte machen könnte.
Diese Neuigkeit von der Geburt Christi könnte mein
Glück sein. Viele könnten ihrem Ehegatten oder ihren
Freunden ein Schmuckstück schenken, um dieses
Ereignis zu feiern. Warum nicht eine kleine Halskette?
Ich könnte sogar bei dieser Gelegenheit meine Preise
erhöhen. Jawohl! Das ist mein Tag, das Geschäft ruft.
BENJAMIN
Du Materialist!
– 28 –
HERODES UND DIE HÄNDLER
RUBEN
Du wiederholst dich. Jetzt finde ich deine Worte lustig.
Wir sehen uns bald … und ich werde dir von meinen
Gewinnen erzählen. Ein schöner Tag, wusste ich es
doch. (Im Vorübergehen gibt er Simeon eine Münze) Nimm,
eine Münze für die Bettler. Schalom, Freunde. (Abgang
von Ruben)
BENJAMIN
Er ekelt mich an. Kohle, das ist alles, was er will. Das ist
sein Gott.
SIMEON
Er ist dessen Sklave.
ANNE
Lasst ihn gehen, er ist blind.
BENJAMIN
Blind. Da hast du Recht. Er ist blind und weiss es nicht
einmal.
ANNE
(Nach einer Pause) Also dann! Wenn Ruben meint, dass
diese Ereignisse für das Geschäft gut sind, so denke ich,
dass sie uns zum Gebet dienen könnten. Ich werde in
den Tempel gehen, um Gott zu loben. Mein Herz läuft
über vor lauter Freude und Dankbarkeit. (Anne rafft ihre
Sachen zusammen und verschwindet.)
BENJAMIN
(Nach einer Pause) Das ist vielleicht ein Morgen! Was
mach ich jetzt? Wohin soll ich gehen? Ich könnte Anne
zum Tempel folgen, um zu beten. Aber dazu bin ich
noch nicht bereit. Wenn nun das, was ich gehört habe,
wahr ist, dann ist dies der größte Tag meines Lebens;
und nicht nur für mich, auch für die ganze Welt. Der
Messias wäre also geboren! (träumerisch und aufgeregt)
Aber bevor ich mich begeistere, werde ich eine oder
– 29 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
zwei Sachen prüfen. Zunächst geht’s zum Palast des
Herodes, um zu sehen wie es um die Sterndeuter steht.
Dann werde ich nach Bethlehem gehen, und die
Schafhirten ausfindig machen. Wenn dies alles wirklich
passiert ist, dann will ich es genau wissen. Es steht
zuviel auf dem Spiel. (Sich an Simeon wendend) Höre,
Simeon, ich muss schnell los. Wärst du so nett, dich um
meinen Stand zu kümmern?
SIMEON
Du vertraust mir! Meinst du, dass ich das kann?
BENJAMIN
Ich bin davon überzeugt. Du brauchst nicht den Stand
abzubauen. Bleibe hier bis zu meiner Rückkehr.
Verkauf, was du kannst. Deine freundliche Art wird die
Kunden anziehen. Bei meiner Rückkehr werden die
Gewinne geteilt: halbe-halbe. In Zukunft könnten wir
vielleicht sogar zusammenarbeiten. (Im Gehen) Wenn du
Hunger hast, bediene dich reichlich. Ein Arbeiter ist
seinen Lohn wert…und meine Früchte und das Gemüse
sind ausgezeichnet. (Benjamin verlässt die Bühne.)
SIMEON
(Simeon bleibt allein auf der Bühne) Was für ein Tag! Mir
ist ganz schwindlig. Zum ersten Mal in meinem Leben
vertraut mir jemand. Das ist doch ein feiner Kerl, dieser
Benjamin. Und Anne, so voller Glauben. Ich habe den
Eindruck, dass sie mehr sieht als wir alle. Ich weiß noch
nicht ganz, was von dieser Neuigkeit der Geburt des
Messias zu halten ist. Aber ich stelle fest, dass sie
niemanden kalt lässt. Anne ist strahlender denn je,
Benjamin ist ernsthaft um Antworten bemüht, Ruben
sucht jede Minute zu nutzen, um seine Gewinne zu
vermehren. Was mich betrifft, sollte ich jetzt
entscheiden wem ich folgen sollte… (Das Licht erlöscht.)
– 30 –
HERODES UND DIE HÄNDLER
– 31 –
DIE KAMELTREIBER
– 33 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
HANDLUNGSORT
Das Stück spielt zur Zeit Jesu in einem Gästezimmer
einer Herberge von Bethlehem. Die Weisen sind seit
gestern hier. Es ist früh am Morgen, die Diener der
Sterndeuter erwachen.
PERSONEN
ACHMED
Erster Kameltreiber: Chef der Diener, Mann der
Überlegung.
OMAR
Zweiter Kameltreiber: Materialist.
SULEIMAN
Dritter Kameltreiber: Mann des Glaubens.
SARAH
Erste Dienerin: gebieterisch.
RACHEL
Zweite Dienerin: sanftmütig und liebenswürdig.
DEKORATION UND MATERIAL
Drei Decken, ein Tisch, zwei Stühle, eine Reisetruhe
(Koffer) für die Kleider. Die Schauspieler sind so
gekleidet wie es im ersten Jahrhundert gewesen sein
könnte.
ERSTER AKT
EINLEITUNG DES ERZÄHLERS
Weihnachten. Wer kennt noch nicht die Geschichte von
Maria, Josef und der Geburt Jesu? Wer hat noch nie
etwas von den Weisen gehört, die von einem Stern
geführt wurden, oder von den Schafhirten, die Engel
– 34 –
DIE KAMELTREIBER
gesehen haben? Die Weihnachtsgeschichte ist uns
vertraut. Doch Maria, Josef, die Weisen und die Engel
waren nicht die einzigen Zeugen der Geburt Christi.
Familienangehörige und Nachbarn waren auch
anwesend. Was Fremde betrifft, so waren die Weisen
mit Sicherheit nicht die Einzigen, die zu Jesus kamen.
Sicher hatten sie Diener. Wie mögen diese Diener die
Geburt Jesu erlebt haben? Dies werden Sie in unserem
Theaterstück mit dem Titel „Die Kameltreiber“
herausfinden. Wir steigen in diese Geschichte ein, und
zwar genau am Tag nach der Ankunft der Weisen in
Bethlehem. Es ist noch recht früh. Seid bitte ganz still;
gestern ging es sehr spät zu Bett, und das Erwachen war
schmerzhaft.
(Die drei Kameltreiber schlafen auf dem Boden. Es
herrscht Unordnung auf der Bühne. Kleider liegen
verstreut umher; ein Mann dreht sich auf seiner Decke
um, ein anderer schnarcht. Sarah tritt singend ein. Sie
trägt einen Wasserkrug und Leinentücher; sie bleibt
plötzlich stehen, legt die Gegenstände die sie
mitgebracht hat hin, hält sich die Nase zu, öffnet ein
virtuelles Fenster; sie rückt den Krug etwas zur Seite
und legt die Wäsche daneben.)
SARAH
Los, los, die Herren Weltenbummler. Die Sonne ist
schon aufgegangen. Hier, ein wenig Wasser. Ihr könnt
euch frisch machen… und vielleicht sogar etwas
waschen. Ich bringe euch gleich Brot. Und lasst das
Fenster offen. (Sie hält sich die Nase zu, und geht hinaus.)
OMAR
(Er erhebt sich langsam und streckt sich.) Von Luxus gibt es
hier nicht die Spur. Dieser Bretterboden ist auch hart
wie Stein. Wie kann man Leute nur so unterbringen?
– 35 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
ACHMED
Alle Herbergen sollen ausgebucht sein.
OMAR
Die Herbergsleute hätten uns wenigstens mit ein wenig
Stroh versorgen können. Sie haben doch auch Betten für
unsere Herren gefunden!
ACHMED
Aber sie sind ja auch die Herren, während wir…
OMAR
Ich weiß, du brauchst mich gar nicht daran zu erinnern.
Immer diese Klassenunterschiede. Die Reichen lassen es
sich gut gehen. Au! (er hält sich die Lenden). Blöder
Fußboden. Sie schlafen in Samtbetten, und denken an
ihren Komfort, niemals an den unseren.
ACHMED
Hast du etwas einzuwenden, Omar?
OMAR
Na klar. Auf einem Fußboden zu schlafen.
ACHMED
Es gab keine Betten mehr.
OMAR
Mit ein wenig Geld hätte man sie dahergezaubert.
Einige Münzen unserer Herren hätten genügt: vier oder
fünf Silberpfennige, vielleicht noch weniger.
ACHMED
Bist du bald fertig mit dem Meckern, Omar? Wir
werden besser behandelt als die meisten Diener.
OMAR
Es ist aber trotzdem so, dass unsere Herren in
gemütlichen Betten liegen, während ich gerade eine
Decke habe.
– 36 –
DIE KAMELTREIBER
ACHMED
Das ist ausnahmsweise mal so. Du willst doch nicht,
dass unsere Herren dir ihr Bett anbieten um dann
deinen Platz einzunehmen.
OMAR
Einmal könnte es doch so sein, nicht wahr? Sie würden
unsere Lebensbedingungen besser wahrnehmen, sowie
die Härte der Fußböden in diesem Land.
ACHMED
Hör auf mit dem Getöse, Omar. Kein Herr würde dies
tun.
OMAR
Wer weiß?
ACHMED
Würdest du so etwas tun, wenn du ein Herr wärst?
OMAR
(Zögernd) Nein.
ACHMED
Also!
SULEIMAN
(Nach einer Pause) Unsere Herren sind doch gut und
großmütig. Was sie gestern Abend alles diesem jungen
Paar geschenkt haben: Gold, Weihrauch, Myrrhe.
ACHMED
Die kostbarsten Parfüme, das seltenste Metall. Das ist
ein wahres Vermögen.
SULEIMAN
Diese armen Menschen hatten es wohl nötig, sie sind
wirklich nicht reich.
OMAR
Sie mögen es vielleicht nötig gehabt haben, aber wir
auch. Haben unsere Herren uns schon einmal solche
– 37 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
Geschenke gemacht? Ich verstehe das alles nicht.
Warum verschenken sie diesen Reichtum an Leute, die
sie gestern noch gar nicht kannten? Und dann noch an
Ausländer! Wenn sie Gutes tun wollen, warum fangen
sie nicht bei den Nächsten an, bei denen, die ihnen seit
Jahren, Tag ein Tag aus dienen, wie ich (Omar zeigt auf
sich selbst)?
ACHMED
Eigentlich hast du Recht, Omar. Diese Großzügigkeit
gestern Abend ist mir auch ein Rätsel. Warum nur
haben sie diese armen Fremden auf diese Art geehrt?
OMAR
Warum übrigens diese ganze Reise?
SULEIMAN
Ihr wisst doch warum.
ACHMED
Wegen der Geburt des Messias?
SULEIMAN
Genau. Wegen der Geburt des Retters der Welt.
OMAR
So sagen es jedenfalls unsere Herren.
SULEIMAN
Hast du etwas dagegen einzuwenden?
OMAR
Vielleicht irren sie sich.
SULEIMAN
Ihr habt den Stern doch auch gesehen. Als wir gestern
in Bethlehem ankamen, war er über dieser Bleibe stehen
geblieben. Ist dies nicht der Beweis, dass wir gestern
Abend vor dem Haus des Messias gewesen sind?
OMAR
Nein.
– 38 –
DIE KAMELTREIBER
SULEIMAN
(Erstaunt) Hast du den Stern denn nicht gesehen?
OMAR
Doch!
SULEIMAN
Na also!
OMAR
Ich habe auch das Haus gesehen.
SULEIMAN
Jetzt verstehe ich dich nicht mehr.
OMAR
Das ist doch ganz einfach. Das Haus, das wir gesehen
haben, war KEIN Palast.
ACHMED
Das ist das Mindeste, was man sagen kann.
OMAR
Ein schäbiges Haus, ein Haus von Armen. Wenn der
Sohn Gottes in diese Welt kommen sollte, würde man
ihn nicht in diesem verlorenen Nest finden und noch
weniger in einem so armseligen Haus.
SULEIMAN
Willst du Gott sagen was er hätte tun sollen?
OMAR
Ich sage niemandem was er tun soll, Suleiman, ich
denke einfach nach. Wenn der Herr der Welt
„einwilligen“ sollte (hochnäsiger Tonfall) zu uns zu
kommen, würde er in einem Palast wohnen, in dem
schönsten Palast der Welt. Hab doch bitte ein klein
wenig Ehrfurcht vor Gott.
SULEIMAN
Wenn Gott die Armen liebt, warum würde er nicht zu
den Armen kommen, AUF IHR NIVEAU? Sind wir Gott
– 39 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
unwürdiger als die Reichen? Das Geld reinigt nicht das
Herz, wie du weißt.
ACHMED
Vielleicht. Aber, dass Gott so um die Armen besorgt ist,
dass er ihre Lebensbedingungen teilt, scheint mir …
(Zögern) recht unwahrscheinlich. Gott hätte damit weit
über das Ziel hinausgeschossen.
OMAR
(Schnell) Amen, Achmed.
ACHMED
Was?
OMAR
(Langsamer) Amen … Achmed: ich bin ganz mit dir
einverstanden, Achmed.
SULEIMAN
Omar, vorhin hast du gewollt, dass unsere Herren auf
einem Fußboden schlafen, sei es auch nur für eine
Nacht, nur damit sie verstehen wie es uns geht. Wenn
Gott die Armen liebt, warum würde er nicht wie ein
Armer kommen? Würde es nicht das beste Mittel sein,
zu zeigen, dass in seinen Augen alle Menschen wichtig
sind?
OMAR
(Ohne Überzeugung) Doch schon.
SULEIMAN
Möchtest du nicht von allen Menschen geachtet
werden?
ACHMED
Suleiman, ich habe nur Angst, dass du deine Träume
für die Wirklichkeit nimmst!
– 40 –
DIE KAMELTREIBER
SULEIMAN
Meine Träume für die Wirklichkeit? Der Stern, wegen
ihm seid ihr wie ich seit Wochen unterwegs. Ist er nicht
in Bethlehem genau über dem Haus stehen geblieben, in
welchem ein Neugeborenes war? Und die geistlichen
Gelehrten in Jerusalem, ihr habt sie wie ich gehört.
Haben sie nicht auf Grund der prophetischen Schriften
von genau diesem Dorf Bethlehem als Ort der Geburt
des Messias gesprochen?
ACHMED
Ich gebe zu, dass dies alles seltsam ist.
SULEIMAN
Die Zeichen Gottes können nicht trügen. Der göttliche
Gesandte ist hier.
OMAR
Ich weiss nicht.
SULEIMAN
Was weißt du nicht?
OMAR
Die Armseligkeit der Eltern lässt mich skeptisch; und so
wie so brauche ich mehr Zeichen, um so etwas glauben
zu können.
SULEIMAN
Der Stern genügt dir nicht?
OMAR
Ich bin nicht ganz von der Astronomie überzeugt. Im
Himmel gibt es immer wieder unerklärliche Dinge, aber
es muss ja nicht immer der Finger Gottes sein.
ACHMED
Dieser Stern ist dennoch ein außergewöhnliches
Phänomen… und einzigartig.
– 41 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
OMAR
Ich bestreite es nicht, aber ich brauche Konkreteres. Ein
Wunder hier auf der Erde. Und sogar eine ganze Reihe
von Wundern.
ACHMED
Die Heilung Kranker?
OMAR
Zum Beispiel, aber spektakuläre Heilungen. Nicht nur
Rückeneinrenken oder Fiebersenken. Von Gelähmten
oder Blinden, vielleicht sogar von Toten sollte die Rede
sein.
SULEIMAN
Du übertreibst schon wieder. Wenn das Zweifeln eine
Sportart wäre, hättest du immer die Goldmedaille.
OMAR
Vielleicht, aber wenn es wirklich der Christus ist, dann
wird man es schon irgendwie merken. Als wir in dieses
Land kamen, hat man uns erzählt, dass der Gott der
Hebräer in der Vergangenheit Mächtiges getan hat.
Einer ihrer Propheten hätte das ganze Volk durch das
Meer gefürt. Haben sie uns nicht erzählt, dass sich das
Wasser in dem Moment geteilt hätte, als er seinen Stock
zum Meer hin ausstreckte?
ACHMED
Der hiess doch Mose, nicht wahr?
OMAR
Ich weiss es nicht mehr, aber das ist unwichtig. Wenn
ihr Gott in der Vergangenheit wirklich in dieser Weise
gehandelt hat, sollte er nicht noch mehr Zeichen tun,
wenn sein Messias persönlich gegenwärtig ist?
SULEIMAN
(Enthusiastisch) Kann schon sein. Vielleicht wird dieses
Kind viele Wunder tun.
– 42 –
DIE KAMELTREIBER
OMAR
(Kalt) Vielleicht, vielleicht. Bis dahin bleibe ich bei
meinen Zweifeln.
ZWEITER AKT
RACHEL
(Die Magd bringt Brot) Na also, ihr seid also doch
aufgestanden. Es wurde aber auch Zeit.
ACHMED
Wir haben uns gestern Abend spät schlafen gelegt.
RACHEL
Eure Herren auch und dennoch sind sie schon lange
aufgestanden.
SULEIMAN
Sie sind schon wach?
RACHEL
Und sie diskutieren ganz eifrig.
OMAR
Worüber sprechen sie?
SULEIMAN
Ganz bestimmt über den Messias.
RACHEL
Über wen?
SULEIMAN
Über den Messias, den Retter der Welt, von dem, der
geboren wurde.
RACHEL
Der Retter der Welt wurde geboren?
SULEIMAN
Genau.
– 43 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
OMAR
Alles unwichtig.
SULEIMAN
(Ausruf) Wie, unwichtig?
OMAR
Ganz und gar unwichtig. Ich würde gern wissen,
wovon unsere Herren sprechen.
RACHEL
Ich weiß es nicht. Man müsste Sarah fragen.
ACHMED
Wer ist Sarah?
RACHEL
Meine Kollegin. Ich darf mich nur um die Dienerschaft
kümmern. Ihr Vorrecht ist es den Herrschaften zu
dienen.
OMAR
Da sind wir schon wieder beim Klassenunterschied!
RACHEL
Wie bitte?
SULEIMAN
Da gibt es nichts zu verstehen. Alles unwichtig.
OMAR
(Ausruf) Wieso unwichtig?
RACHEL
Ich verstehe noch immer nichts. Aber ich sehe, dass ihr
jetzt hellwach seid und auch fast so lebhaft wie eure
Herren.
ACHMED
Ich frage mich, wovon sie in dieser Morgenstunde
sprechen.
– 44 –
DIE KAMELTREIBER
OMAR
Vielleicht bereiten sie einen Stadtbummel in Jerusalem
vor.
ACHMED
Bestimmt werden sie uns bitten, sie zu begleiten.
OMAR
Wir können dann endlich einmal diese große Stadt
besichtigen.
RACHEL
Das habt ihr noch nicht getan? Ich dachte, dass ihr von
Jerusalem gekommen seid.
OMAR
Wir haben nur kurz den Palast des Herodes gesehen.
Ein prächtiger Bau. Aber ich hätte auch noch gerne den
Rest der Stadt gesehen und vor allem den Tempel. Wir
haben ihn nur aus der Ferne gesehen.
RACHEL
Er ist grandios. Hier sagt man, dass es der schönste Bau
der Welt sei.
ACHMED
Ich werde lieber einige Einkäufe machen. Meine Frau
hat mich gebeten, ihr einige Stoffe und Stickereien
mitzubringen.
OMAR
Ich werde Stapel davon kaufen… und alles wieder
verkaufen, wenn wir zu Hause sind.
ACHMED
Immer denkst du ans Geld.
OMAR
Man muss sich zu helfen wissen. (Sich an Suleiman
wendend) Nicht jeder bekommt Gold, Weihrauch und
Myrrhe geschenkt. (Er bemerkt, dass Suleiman ihnen den
Rücken zuwendet und nicht länger dem Gespräch folgt.) He,
– 45 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
Suleiman, unser Besuch in Jerusalem scheint dich nicht
zu begeistern.
SULEIMAN
Ich möchte lieber hier bleiben und dem Messias und
seinen Eltern einen Besuch abstatten.
OMAR
Diese weite Reise und keinen Stadtrundgang durch
Jerusalem?
SULEIMAN
Diese weite Reise und kein Besuch beim Messias?
OMAR
Das ist doch nur ein Baby, ein kleines Häufchen
Mensch.
SULEIMAN
Jerusalem, das ist doch nur eine Stadt, ein kleines
Häufchen Steine. (Omar und Suleiman beginnen einander
zu schubsen).
ACHMED
Schluss ihr beide. Eure Herren werden euch kaum eine
Wahl lassen.
DRITTER AKT
SARAH
(Überstürzter Eintritt von Sarah.) Ach, ihr seid noch
hier.
RACHEL
Was ist los, Sarah?
SARAH
Die Herren dieser Männer scheinen schnell Abreisen zu
wollen. Sie bitten Herrn Achmed, unverzüglich zu
ihnen zu kommen.
– 46 –
DIE KAMELTREIBER
ACHMED
Wo sind sie?
SARAH
Im Privatspeisesaal der Herberge. Da, wo man euch
gestern Abend empfangen hat.
ACHMED
(An Omar und Suleiman gewandt) Wartet hier auf mich.
(Stolpert im Hinausgehen.) Und in der Zwischenzeit,
sorgt ein wenig für Ordnung.
RACHEL
Diese Männer würden gern wissen, wovon ihre Herren
heute Morgen gesprochen haben?
OMAR
Von einer Besichtigung Jerusalems?
SULEIMAN
Von einem Besuch beim Messias?
OMAR
Von einer Führung: Tempelvorplatz, die Gärten des
königlichen
Palastes,
das
Amphitheater,
die
Stadtmauern…
SARAH
Nichts von alledem. Kein Besuch. Eure Herren
wünschen die Gegend so schnell wie möglich zu
verlassen.
OMAR
Die Gegend verlassen?
SULEIMAN
So schnell wie möglich?
SARAH
So schnell wie möglich.
OMAR
Ohne Jerusalem zu besichtigen?
– 47 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
SULEIMAN
Warum diese überstürzte Abreise?
SARAH
Ich weiß es nicht. Ich habe nicht alles begriffen. Sie
sprachen von einem Traum: Gott hätte sie vor einer
Gefahr für ein Baby gewarnt.
SULEIMAN
Der Messias wird in Gefahr sein.
SARAH
Der König Herodes wolle dieses Baby töten.
OMAR
Herodes wolle ein Kind töten?
SARAH
(Mit gesenkter Stimme und sich umschauend, ob niemand sie
höre) Das ist ein sehr grausamer König. Jeder Rivale, wie
unwichtig er auch sein mag, wird beseitigt. Er ist zu den
schlimmsten Gräueltaten bereit.
RACHEL
(In demselben Ton) Dies wäre nicht Herodes’ erster
Mord. Ein Mensch ist ihm nicht viel wert, und ein Baby
noch weniger.
SARAH
Bei ihm muss man auf das Schlimmste gefasst sein.
RACHEL
Er hat mehrere Mitglieder seiner Familie getötet, sogar
einige seiner eigenen Kinder.
VIERTER AKT
(Geräusch von sich schnell nähernden Schritten. Panik
unter den Schauspielern auf der Bühne, denn sie
befürchten, dass ihre Worte über Herodes gehört
– 48 –
DIE KAMELTREIBER
worden sind. Achmed kehrt außer Atem auf die Bühne
zurück. Erleichterung der anderen Schauspieler)
OMAR
Nun, was ist beschlossen worden?
ACHMED
Heute Nacht, Abreise Richtung Totes Meer.
SULEIMAN
Heute Nacht?
ACHMED
Wir werden eine wenig benutzte Strasse nehmen, die
von Bethlehem aus ohne Umwege in die Wüste führt.
OMAR
Aber was ist passiert?
ACHMED
Unsere Herren hatten letzte Nacht Träume. Gott hat
ihnen befohlen, nicht zu Herodes zurückzukehren.
OMAR
Wir werden den Palast des Herodes nicht wieder sehen?
ACHMED
Weder den Palast noch Jerusalem. Wir werden die
Hauptstadt meiden. (Achmed zeigt auf das eine äußerste
Ende der Bühne, macht dann eine Halbdrehung und zeigt auf
das andere äußerste Ende) Wir werden Richtung Süden bis
Tekoa fliehen, und von dort folgen wir der Strasse
welche die Wüste Judäa durchquert, bis En-Gedi am
Ufer des Toten Meeres.
SULEIMAN
Ist es vernünftig Nachts durch die Wüste zu reisen?
Wir könnten von Räubern überfallen werden.
RACHEL
Eure größte Gefahr ist die königliche Garde des
Herodiums.
– 49 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
SULEIMAN
Was ist das?
RACHEL
Ungefähr fünf Kilometer von hier hat Herodes eine
Festung errichtet. Sie liegt am Rande der Wüste, auf der
Straße, die nach En-Gedi führt. Dort ist ständig eine
königliche Wache stationiert.
ACHMED
Wir werden bei Nacht reisen, damit wir nicht entdeckt
werden.
OMAR
Sie könnten uns trotzdem erwischen
SARAH
Die Gefahr ist nicht ganz so gross, wie ihr meint. Die
Soldaten am Herodium sollen sich nur um den Schutz
des Herodes kümmern, falls es einen Aufruhr gäbe. In
ruhigen Zeiten kontrollieren sie die Reisenden nicht. Da
sie euch ja nicht suchen, werdet ihr Problemlos
vorbeiziehen können, besonders Nachts.
OMAR
(Erbittert) Diese ganze Geschichte geht über meinen
Verstand. Unsere Herren begeben sich auf eine
unglaubliche Reise wegen einem sonderbaren Stern,
reisen tausende von Kilometern, schenken Fremden ein
Vermögen! Leuten die sie vorgestern noch gar nicht
kannten, und jetzt, wegen eines einfachen Traums,
müssen wir aus diesem Land fliehen. Wie Diebe. Dabei
könnten wir mit dem König Ärger kriegen, dem wir
unser Wort gegeben haben. Und Räuber könnten uns
überfallen und uns die Schädel zerschmettern, bevor sie
begreifen, dass wir keine einzige Goldmünze mehr in
der Tasche haben. Das alles hat weder Hand noch Fuss.
Stellt euch vor, was wäre, wenn jeder von uns nach
– 50 –
DIE KAMELTREIBER
seinen Träumen leben würde. Das wäre die Herrschaft
des Irrationalen.
ACHMED
Es reicht, Omar. Es ist genug geredet worden. Jetzt
müssen wir handeln. Unsere Herren haben uns
befohlen, ihr Gepäck und die Kamele für eine lange
Reise vorzubereiten. Willst du ihnen gehorchen oder
willst du sie verlassen? Willst du sie im Stich lassen, um
eine Belohnung von Herodes einzustecken?
OMAR
Mach mal halb lang, Achmed. Ich bin vielleicht ein
Zweifler und Materialist, aber ein Verräter bin ich noch
nicht. Ich komme mit. Aber es ist doch lächerlich
monatelang zu reisen und dann, kaum am Ziel, keine 24
Stunden später wieder abzureisen. Also, was soll ich
tun?
ACHMED
Gib den Kamelen zu trinken und bereite sie für die
Reise vor. (Omar verlässt die Bühne mit schleppenden
Füßen.) Suleiman, räum die Sachen in diesem Zimmer
auf, dann tue das Gleiche im Zimmer unserer Herren.
Ich werde nach der Wegbeschreibung sehen.
SARAH
Unser Herbergsvater kennt die Gegend gut; er wird
euch bestimmt helfen. Ich kann euch zu ihm führen,
wenn ihr es wünscht.
ACHMED
Sehr gut. Gehen wir. (Sarah und Achmed verlassen die
Bühne.)
– 51 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
FÜNFTER AKT
SULEIMAN
(Hebt langsam die Sachen auf) So Nahe beim Messias zu
sein und Bethlehem verlassen zu müssen, ohne wirklich
seine Bekanntschaft gemacht zu haben, das ist doch das
allergrösste Pech.
RACHEL
Seid ihr sicher, dass er es ist, der geboren wurde?
SULEIMAN
Wie sollte man sonst den Stern verstehen, der uns bis
nach Bethlehem geführt hat? Was soll man von diesen
Prophetenworten denken, die die Geburt des Messias in
genau diesem Dorf angekündigt haben? Vielleicht gab
es noch andere Zeichen? Hat sich nichts Besonderes in
der Gegend ereignet?
RACHEL
Nein (dann zögernd)…doch! Es gab wohl einige
Schafhirten, die damals eines Abends ihre Herden auf
dem Feld hüteten; sie behaupteten, Engel gehört und
gesehen zu haben, die ihnen die Geburt des Messias
ankündigten.
SULEIMAN
Es sind also Hirten die so etwas behaupten?
RACHEL
Ja. Sie sagten, dass sie in Bethlehem, den neugeborenen
Messias in Windeln gewickelt in einer Futterkrippe
gefunden hätten, und zwar ganz so wie die Engel es
ihnen angekündigt hatten.
SULEIMAN
(Nachdenklich) In einer Krippe. In Bethlehem, in der
Stadt des Messias.
– 52 –
DIE KAMELTREIBER
RACHEL
Das ist es, was sie behaupteten.
SULEIMAN
Kann man diesen Hirten vertrauen?
RACHEL
Sie haben einen guten Ruf. Ich glaube nicht, dass sie
bewusst lügen würden.
SULEIMAN
Na also!
RACHEL
Eigentlich habe ich diese Geschichte nie sehr ernst
genommen. Sie schien mir etwas unglaublich zu sein.
SULEIMAN
Aber wenn Gott seine Hand im Spiel hat, dann muss es
doch etwas außergewöhnlich zugehen
ACHMED
(Hinter den Kulissen) Suleiman, bist du bald fertig?
SULEIMAN
(laut) Ja, bald. (Wendet sich an Rachel) Gab es sonst noch
etwas Besonderes?
RACHEL
Jetzt, wo du mich fragst, fällt mir ein: es war vor mehr
als sechs Monaten, da erlebte die Familie eines Priesters
Erstaunliches.
SULEIMAN
Erzähle.
RACHEL
Ich erinnere mich nicht mehr genau an alles, aber ein
Priester wurde stumm nachdem er einen Engel im
Tempel Gottes gesehen hatte.
SULEIMAN
Das ist alles, was du weißt?
– 53 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
RACHEL
Es wurde behauptet, dass der Engel ihm die Geburt
eines Kindes ankündigte, welches der Wegbereiter des
Messias sein würde.
SULEIMAN
Interessant.
RACHEL
Da der Priester und seine Frau alt waren und keine
Kinder hatten, zweifelte der Mann an dem Wort des
Engels und bat ihn um ein Zeichen. Daraufhin verlor
der Priester seine Sprache.
SULEIMAN
Er wurde stumm?
RACHEL
Stumm. Die ganze Welt dachte, dass dies ein Gericht
Gottes war, um ihn für seinen Unglauben zu bestrafen.
SULEIMAN
Das ist ein Ding!
RACHEL
Aber es gab noch mehr, denn acht Tage nach der Geburt
des Kindes konnte dieser Mann plötzlich wieder
sprechen.
SULEIMAN
Acht Tage nach der Geburt?
RACHEL
Bei uns ist das immer der Anlass für ein großes Fest: es
ist der Tag, an dem das Neugeborene seinen Namen
erhält.
SULEIMAN
Und genau an diesem Tag konnte er wieder sprechen?
– 54 –
DIE KAMELTREIBER
RACHEL
In dem Augenblick in dem das Kind seinen Namen
erhalten sollte.
SULEIMAN
Einfach wunderbar. Je mehr man sich damit beschäftigt,
desto mehr Bestätigungen gibt es.
ACHMED
(Stimme hinter den Kulissen) Suleiman, kommst du bald?
SULEIMAN
Was die mir auf den Keks gehen. Die wissen gar nicht,
was sie gerade verpassen. Wenn ich nur die Zeit hätte,
mich noch mehr über diese Geburt zu informieren!
ACHMED
(Stimme hinter den Kulissen, etwas näher) Suleiman,
kommst du, ja oder nein?
SULEIMAN
(Laut) Ja, ja, ich komm ja schon! (Suleiman sammelt
schnell die letzten Sachen zusammen und wirft sie in
den Koffer, dann wendet er sich an Rachel) Ich habe den
Eindruck, dass noch viele Zeichen vor uns liegen.
RACHEL
Was willst du damit sagen?
SULEIMAN
Wenn dieses Kind wirklich der Messias ist, wird man
noch viel von ihm hören … Warte ab bis er erwachsen
ist!
(Rachel geht zuerst hinaus, Suleiman folgt ihr, den
Koffer tragend. Die Bühne wird verdunkelt.)
– 55 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
– 57 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
HANDLUNGSORT
Dieses Stück spielt teils in der Vergangenheit, teils in
der Gegenwart. Der Ort der Handlung ist Jerusalem.
Genauer gesagt ein Pressezimmer in dem Journalisten
(wie heute) arbeiten und sich mit den Ereignissen rund
um die Geburt Jesu befassen. Der Zeitpunkt ist kurz
nach der Abreise der Weisen nach Bethlehem. Einige
Anachronismen bringen dem modernen Zuschauer die
Geburt des Messias näher.
PERSONEN
REDAKTEUR MARKUS
Redakteur des Naturwissenschaftlichen Ressorts. Ein
reifer Mann, abwägend, genau.
REDAKTEURIN DEBORA
Redakteurin des Humanwissenschaftlichen Ressorts.
Eine kultivierte Frau.
FOTOGRAF
Junger Mann, politisch links orientiert
RAUMPFLEGERIN
Einfach, direkt, nüchtern.
DEKORATION UND MATERIAL
Dekoration „wie heute“: Ein Tisch, ein Stuhl, eine
Schreibmaschine (oder Computer), ein Telefon, ein
Bücherregal, ein Fotoapparat, einige Fotos, ein
Kleiderständer, eine Aktentasche.
Kleider „wie früher“: Die Akteure sind so gekleidet, wie
es im ersten Jahrhundert hätte gewesen sein können.
– 58 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
INSZENIERUNG
Es ist wichtig, dass sich die Akteure auf der Bühne
bewegen. Eine Anleitung dazu finden sie am Ende des
Stücks auf Seite…. Im Skript wird immer wieder auf
diese Skizzen hingewiesen.
ERSTER AKT
EIN ERZÄHLER MACHT FOLGENDE EILEITUNG:
Vor ungefähr zweitausend Jahren, in den Hügeln
Judäas, geschah Seltsames, als ein kleiner Junge geboren
wurde. Viele Menschen haben schon davon gehört, da
man jedes Jahr zu Weihnachten seine Geburt feiert.
Heute möchten wir einen ganz neuen Blick auf diese
Ereignisse werfen. Legen sie bitte ihren Gurt an, denn es
geht auf eine Zeitreise! Schon bald werden wir über
2000 Jahre überbrückt haben, denn wir wollen zurück in
die Vergangenheit um uns in jene Zeit zu begeben, in
der die Bewohner von Jerusalem diese Geburt erlebt
haben. Wir befinden uns im Pressezimmer einer großen
Tageszeitung, dem Jerusalemer Tagesblatt!
(Die Handlung beginnt, während die Bühne noch
dunkel ist. Der Redakteur des naturwissenschaftlichen
Ressorts beginnt auf der Schreibmaschine zu tippen, die
Bühne
erhellt
sich,
die
Redakteurin
für
Humanwissenschaften tritt ein und räumt die Bücher
ins Regal die sie gerade hereingetragen hat. Siehe Skizze
1, S. 78)
REDAKTEUR MARKUS
Das wird wirklich ein toller Artikel! (er reibt sich vor
Freude die Hände) Bist du dir darüber im Klaren, dass es
unter unseren drei Gelehrten zwei „Nobelpreisträger“
gibt: in Astronomie und Raumphysik?
– 59 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
REDAKTEURIN DEBORA
Männer, die etwas von den Sachen verstehen, was?
REDAKTEUR MARKUS
Das kannst du laut sagen! Ihre Entdeckungen werfen
alle Theorien über die Sterne über den Haufen. Ein
Stern, den sie schon lange beobachten, wandert auf
einmal vor ihnen her. So etwas hat es noch nie gegeben.
REDAKTEURIN DEBORA
Glaubst du, dass man ihren Beobachtungen Glauben
schenken wird? Sind die nicht etwas zu ungewöhnlich?
REDAKTEUR MARKUS
Das sind sie schon und wir Menschen lieben es gar
nicht, wenn neue Theorien aufgestellt werden. Ihre
Entdeckung wird noch so manchen eifersüchtig
machen. Aber Tatsachen sind nun mal Tatsachen. Es ist
unmöglich, ihn nicht zu sehen, diesen Stern. Schau, dort
ist er (die zwei Akteure gehen zu einem virtuellen Fenster
und blicken auf einen festen Punkt. Siehe Skizze 2, Seite 78)
REDAKTEURIN DEBORA
Das war vielleicht eine Aufregung in Jerusalem, als man
erfuhr, dass sie den neu geborenen König der Juden
anbeten wollten!
REDAKTEUR MARKUS
Ja, und das ist dieser Stern, wegen dem sie vom Orient
bis zu uns, nach Jerusalem, gekommen sind.
REDAKTEURIN DEBORA
Unglaublich.
REDAKTEUR MARKUS
Unglaublich, aber wahr. Du hast ihn ja selbst gesehen
(er zeigt auf das Fenster).
REDAKTEURIN DEBORA
Auf jeden Fall hat König Herodes die Besucher ernst
genommen. Er hat unverzüglich eine ökumenische
– 60 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
Versammlung einberufen. Theologen aller möglichen
Glaubensrichtungen eingeladen. Das war letzten
Montag (drei oder vier Tage vor der Aufführung angeben,
aber vermeiden Sie den Samstag, den Sabbat,).
REDAKTEUR MARKUS
Es kommt nicht oft vor, dass sich dieser Fuchs für
religiöse Fragen interessiert.
REDAKTEURIN DEBORA
Dieses Mal ist er ja auch direkt betroffen: wenn der
Messias kommt, dann adieu, Herodes.
REDAKTEUR MARKUS
Was wollte er eigentlich von den Theologen, unser
Herodes?
REDAKTEURIN DEBORA
Sie sollten die Prophezeiungen, die sich auf den Messias
beziehen, auslegen.
REDAKTEUR MARKUS
Und die Theologen waren mal ausnahmsweise in der
Lage zu einem Thema einer Meinung zu sein (ironische
Ton)?
REDAKTEURIN DEBORA
Man glaubt es kaum, aber dieses Mal gab es keine
Abweichungen.
REDAKTEUR MARKUS
Ein wahres Wunder. Fast so groß wie dieser Stern.
REDAKTEURIN DEBORA
Lästere nicht. Wie gesagt, sie waren einer Meinung. Sie
erwarten nicht nur alle den Messias, sie gaben auch alle
den gleichen Geburtsort an: Bethlehem in Judäa.
REDAKTEUR MARKUS
Man könnte ja meinen, dass die Propheten klar und
deutlich gesprochen hätten.
– 61 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
REDAKTEURIN DEBORA
Stimmt. Ich habe mal selbst nachgeschlagen (sie nimmt
ein Buch vom Regal. Siehe Skizze 3, Seite 78). Der Prophet
Micha (die Schauspielerin kann direkt aus der Bibel lesen:
Micha 5,2): „Und du, Bethlehem-Ephrata, zwar klein,
um unter den Hauptorten Judas zu sein; aber aus dir
soll mir hervorgehen, der Herrscher über Israel werden
soll, dessen Ursprung von Anfang, von Ewigkeit her
gewesen ist.“
REDAKTEUR MARKUS
Bemerkenswert. Vor allem da der Stern von hier aus
genau in Richtung Bethlehem zieht.
REDAKTEURIN DEBORA
Stell dir nur vor: eine Prophezeiungen, die 700 Jahre alte
ist und die sich jetzt anscheinend wirklich erfüllt!
REDAKTEUR MARKUS
Das wäre ja auch nicht das erste Mal, dass genaue
Voraussagen gemacht worden sind. Da gab es noch
andere historische Ereignisse die mit großer Präzision
vorhergesagt wurden. Das Exil Israels und das
Kommen der persischen, griechischen und römischen
Königreiche. Ich denke da besonders an den Propheten
Daniel. Seine Prophezeiungen haben sich genau so
erfüllt wie er es vorausgesagt hatte.
REDAKTEURIN DEBORA
Da wird einem richtig mulmig zu Mute.
ZWEITER AKT
FOTOGRAF
(Der Fotograf tritt stürmisch ein) Ich hab’s geschafft! Hier
sind sie: die Gelehrten, Herodes und die Theologen (er
schwenkt Fotos. Siehe Skizze 4, S. 78).
– 62 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
REDAKTEURIN DEBORA
Das hat aber gedauert!
FOTOGRAF
Ach, ihr wisst schon! Bei diesen ganzen Staus. Wir
haben ja schon ein Dauerchaos auf den Strassen wegen
der Volkszählung von Cäsar Augustus. Das ist echt
schlimm.
REDAKTEURIN DEBORA
Stimmt. Es scheint, als träfe sich die ganze Welt in
Jerusalem. Das wird langsam echt zur Plage.
REDAKTEUR MARKUS
Na ja, aber das sind die Sachen die die Leute lesen
wollen, und damit geht es der Zeitung gut.
REDAKTEURIN DEBORA
Materialist!
REDAKTEUR MARKUS
Man muss doch von irgend etwas leben!
FOTOGRAF
(Er prüft seit einigen Augenblicken seine Fotos) Seht
mal hier (er zeigt auf ein Foto); da habe ich die Ankunft
der Gelehrten am königlichen Palast (siehe Skizze 5, S.
78).
REDAKTEUR MARKUS
Zeig. Schaut euch nur mal den Herodes an. Der macht
aber ein Gesicht!
FOTOGRAF
Na, der war vielleicht sauer als er hörte, dass die
Gelehrten nach dem gerade geborenen König der Juden
fragten, weil sie ihm ihre Ehrerbietung darbringen
wollten.
REDAKTEURIN DEBORA
Das hätte ich gern gesehen.
– 63 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
FOTOGRAF
Das war auch sehenswert. Ich musste richtig lachen, als
ich seine Trauermine sah!
REDAKTEURIN DEBORA
(Sie nimmt ein anderes Foto) Hier geht es ihm schon
besser. Man könnte meinen er lächelt.
FOTOGRAF
Das war als die Gelehrten nach Bethlehem loszogen.
Herodes hatte sie zu sich gebeten, als ihre Kamele schon
beladen waren. Er schien wieder entspannt zu sein.
REDAKTEURIN DEBORA
Seltsam.
REDAKTEUR MARKUS
Das beunruhigt mich.
FOTOGRAF
Mich auch. Bei diesem Kerl weiss man nie, was zu
erwarten ist. Man hatte den Eindruck, dass er eine
Lösung für seine Probleme gefunden hatte.
REDAKTEURIN DEBORA
Ich würde gerne wissen, an welchem Hinterhalt er jetzt
wieder herumbastelt.
REDAKTEUR MARKUS
Wie dem auch sei, wir haben hier einen Artikel erster
Klasse. Was Herodes auch ausheckt, er wird sich diesen
unleugbaren Tatsachen nicht widersetzen können.
DRITTER AKT
(Der Redakteur des naturwissenschaftlichen Ressorts
schreibt weiter auf seiner Maschine, die Redakteurin
des humanwissenschaftlichen Ressorts versenkt sich in
eine Lektüre, der Fotograf räumt seinen Fotoapparat
– 64 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
auf. Die Raumpflegerin tritt diskret ein und reinigt das
Zimmer. Siehe Skizze 6, S. 78).
REDAKTEURIN DEBORA
Da fällt mir ein: Bethlehem, ist das nicht der Ort, an
dem die Hirten angeblich Engel gesehen haben?
REDAKTEUR MARKUS
Stimmt. Die zwei Geschichten könnten etwas
miteinander zu tun haben. Aber kann man dieser
Nachricht glauben? Man müsste einen Reporter an Ort
und Stelle schicken, um nachzuforschen.
RAUMPFLEGERIN
Ich komme von dort.
REDAKTEUR MARKUS
Verzeihung?
RAUMPFLEGERIN
Ich komme von dort.
REDAKTEUR MARKUS
Ja, das habe ich gehört, aber von wo?
RAUMPFLEGERIN
Aus Bethlehem.
LITERARISCHE REDAKTEURIN UND FOTOGRAF
Ach?
REDAKTEUR MARKUS
Na nun?
RAUMPFLEGERIN
Ich habe eine Freundin in Bethlehem: sie ist die Frau
von einem der Hirten, die die Engel gesehen haben. Sie
hat mir alles erzählt.
– 65 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
WISSENSCHAFTLICHER
REDAKTEUR,
REDAKTEURIN UND FOTOGRAF
LITERARISCHE
Was hat sie erzählt? (Die Redakteurin des
humanwissenschaftlichen Ressorts ergreift eine Mappe
– oder einen Notizblock – und macht sich Notizen.)
RAUMPFLEGERIN
Ihr Mann verbrachte die Nacht auf den Feldern mit
einigen anderen Hirten, beim Schafehüten, als ein Engel
des Herrn erschien und die Herrlichkeit des Herrn sie
umleuchtete. Sie hatten ziemlich Angst.
REDAKTEURIN DEBORA
Das kann man verstehen.
RAUMPFLEGERIN
Der Engel sagte ihnen: „Fürchtet euch nicht, denn ich
bringe euch ein gute Nachricht, die alles Volk sehr
erfreuen wird: heute Nacht, in der Stadt Davids…“
REDAKTEURIN DEBORA
(Wendet sich schnell an ihre Kollegen) Das ist
Bethlehem.
RAUMPFLEGERIN
„… ist euch ein Retter geboren, welcher ist der Christus,
der Herr. Und das ist das Zeichen, an dem ihr ihn
erkennen werdet: das Kind wird, in Windeln gewickelt,
in einer Krippe liegen.“
REDAKTEUR MARKUS
In einer Krippe?
RAUMPFLEGERIN
In einer Krippe. Und plötzlich war bei dem einen Engel
eine große Schar von Engeln, die Gott lobten und
sprachen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf
Erden den Menschen, die er liebt.“
REDAKTEUR MARKUS
Unglaublich.
– 66 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
FOTOGRAF
Toll!
RAUMPFLEGERIN
Als die Engel sie verlassen hatten, um zum Himmel
zurückzukehren, gingen der Mann meiner Freundin
und seine Kollegen ins Dorf, und fanden das Kind in
der Krippe. Seine Eltern nannten es Jesus.
REDAKTEURIN DEBORA
(An ihre Kollegen gewandt) Das bedeutet Retter.
REDAKTEUR MARKUS
Warum lag es in einer Krippe? Ein seltsames Bett für ein
neugeborenes Kind!
RAUMPFLEGERIN
Die Eltern waren von Galiläa gekommen wegen der
Volkszählung. Da alle Hotels belegt waren, waren sie in
einem Stall untergebracht.
REDAKTEUR MARKUS
Und niemand hat ihnen eine bessere Unterkunft
angeboten?
RAUMPFLEGERIN
Die Eltern sind arm…
REDAKTEUR MARKUS
Das ist doch kein Grund. Ich finde das skandalös.
Darüber müsste man einen Artikel schreiben.
FOTOGRAF
Wie heissen die Eltern?
RAUMPFLEGERIN
Josef und Maria. Sie ist die Cousine von Elisabeth, der
Frau des berühmten Zacharias.
REDAKTEURIN DEBORA
(Sie denkt nach) Zacharias, Zacharias? Ist das der, der
neun Monate lang stumm war?
– 67 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
RAUMPFLEGERIN
Ja.
REDAKTEUR MARKUS
Moment mal! Von wem redet ihr?
REDAKTEURIN DEBORA
Du weißt doch, Zacharias, der Priester. Der, der letztes
Jahr einen Engel im Tempel gesehen und gehört hat.
REDAKTEUR MARKUS
Jetzt fällt es mir wieder ein.
REDAKTEURIN DEBORA
Nun, der Engel hat ihm gesagt, dass er einen Sohn
haben würde, und das obwohl seine Frau unfruchtbar
ist und beide schon recht alt sind. Dieser Sohn sollte die
Ankunft des Messias vorbereiten.
RAUMPFLEGERIN
Und das wollte Zacharias nicht glauben.
REDAKTEURIN DEBORA
Er wollte ein Zeichen, nur um sicher zu sein.
RAUMPFLEGERIN
Es kann ja sein, dass er für seinen Unglauben bestraft
wurde und deshalb stumm wurde. Wenn er einen
Beweis wollte, hat er ihn ja nun bekommen!
REDAKTEURIN DEBORA
Dann, einige Tage nach der Geburt seines Sohnes
Johannes, konnte er auf einmal wieder sprechen.
REDAKTEUR MARKUS
Ja, ich erinnere mich. Übrigens, hast du damals nicht
vor Ort recherchiert?
REDAKTEURIN DEBORA
Ja. Ich habe etwa zehn Zeugen gefunden. Damals hat
das für eine Menge Schlagzeilen gesorgt.
– 68 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
REDAKTEUR MARKUS
(Sich zur Raumpflegerin umdrehend) Du sagst, dass Maria
die Cousine Elisabeths ist?
RAUMPFLEGERIN
Ja. Sie sind auch gute Freundinnen.
REDAKTEUR MARKUS
Das wird ja immer besser. Das wird wirklich einen
phantastischen Artikel abgeben!
FOTOGRAF
Nicht nur das. Es könnte auch das Ende unseres Leids
bedeuten, das Ende der Römer und des Herodes.
Endlich kommt der versprochene Messias.
REDAKTEUR MARKUS
Wie würde meine Tochter sagen? Das ist cool.
LITERARISCHE REDAKTEURIN, FOTOGRAF UND HAUSFRAU
Cool! Supercool... (Siehe Skizze 7, S. 78)
VIERTER AKT
(Das Telefon des Redakteurs des naturwissenschaftlichen
Ressorts klingelt; er nimmt den Anruf entgegen. Siehe
Bild 8, S. 78)
REDAKTEUR MARKUS
Hallo, ja? (er legt die Hand über die Sprechmuschel und
wendet sich an die Anderen) Seid mal leise! Ich verstehe
nichts (dann setzt er die Unterredung am Telefon fort:
mit Unterbrechungen). Ja, ja, Chef… ja, aber man kann
doch nicht… das kann doch nicht wahr sein, ich
weigere mich… das war nicht so gemeint, Chef… ich
will damit sagen, dass man doch nicht so einfach… ja,
ja, ich verstehe, wie Sie wollen… gut, ich werde dafür
sorgen. Sie sind der Chef. Gut, gute Nacht, Chef (er legt
– 69 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
das Telefon wieder auf, wendet sich dann an die
Anderen). Wir müssen alles sausen lassen.
REDAKTEURIN DEBORA
Was sausen lassen?
REDAKTEUR MARKUS
Den Artikel.
REDAKTEURIN DEBORA
Den Artikel?
REDAKTEUR MARKUS
Es gibt nichts über all diese Sachen zu melden.
FOTOGRAF
Das meinst du doch nicht im Ernst!
REDAKTEUR MARKUS
Anordnung des Chefredakteurs.
FOTOGRAF
In die Löwengrube mit ihm! Man kann doch nicht über
solche Sachen einfach schweigen.
REDAKTEURIN DEBORA
Das ist doch DER Artikel des Jahrhunderts!
FOTOGRAF
Das Ende des Herodes.
REDAKTEURIN DEBORA
Das Ende unserer Leiden.
RAUMPFLEGERIN
Das Kommen des Retters der Welt.
REDAKTEUR MARKUS
Ich weiss, ich weiss. Ich wollte es ihm ja auch erklären
(er zeigt auf das Telefon); er hat aber nichts davon wissen
wollen. Anordnung des Königs. Pressezensur. Grund:
Staatssicherheit.
– 70 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
FOTOGRAF
Der Mistkerl! Er will nur nicht, dass die ganze Welt
erfährt,
was
sich
ereignet.
Staatssicherheit,
Staatssicherheit, dass ich nicht lache! Es geht doch nur
um seinen Kopf.
REDAKTEURIN DEBORA
Deshalb sah er so zufrieden aus! Er hat sich einen Plan
ausgedacht wie aus dem Messias kein König wird.
REDAKTEUR MARKUS
Wie dem auch sei, aus dem Artikel wird auf jeden Fall
auch nichts.
FOTOGRAF
Das können wir doch nicht zulassen. Der Artikel muss
ganz schnell raus. Er ist machtlos, wenn alle Bescheid
wissen.
REDAKTEUR MARKUS
Wenn wir auch nur das Geringste über die Sache
veröffentlichen, werden wir rausgeschmissen. Der
Chefredakteur hat mir das klipp und klar gesagt. Und
obendrein könnten wir ins Gefängnis kommen,
lebenslänglich, mit Folter.
REDAKTEURIN DEBORA
Du wirst dich doch nicht einschüchtern lassen, oder?
REDAKTEUR MARKUS
Was sollen wir denn machen? (die Raumpflegerin
nimmt die Reinigung ohne Überzeugung wieder auf.
Siehe Bild 9, S. 78)
FOTOGRAF
Das ist feige.
REDAKTEUR MARKUS
Vielleicht.
FOTOGRAF
Wieso „vielleicht“? DAS IST feige.
– 71 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
REDAKTEUR MARKUS
Na ja, wenn die Fakten ein wenig eindeutiger wären…
REDAKTEURIN DEBORA
Wie, „eindeutiger“?
REDAKTEUR MARKUS
Na ja, wie es scheint, sind diese Gelehrten nicht ganz
sauber…
LITERARISCHE REDAKTEURIN UND FOTOGRAF
Nicht ganz sauber?
REDAKTEUR MARKUS
Das hat der Chef mir gesagt. Er hat seine Quellen in der
Regierung. Es scheint, dass die Gelehrten Herodes
angelogen haben.
LITERARISCHE REDAKTEURIN UND FOTOGRAF
Sie haben gelogen?
REDAKTEUR MARKUS
Sie haben ihm versprochen, ihm Nachricht über den
Messias zu bringen. Aber nach ihrem Besuch in
Bethlehem sind sie ins Ausland geflohen. Das ist doch
verdächtig! Vielleicht waren sie politische Aufwiegler?
REDAKTEURIN DEBORA
Diese Nobelpreisträger?
REDAKTEUR MARKUS
Heutzutage ist ja alles möglich.
REDAKTEURIN DEBORA
Und der Stern?
REDAKTEUR MARKUS
Welcher Stern?
REDAKTEURIN DEBORA
Der Stern am Himmel (sie bewegt sich auf das Fenster
zu. Siehe Bild 10, S. 78)
– 72 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
REDAKTEUR MARKUS
Ein Zufall.
REDAKTEURIN DEBORA
Eben noch hast du von einem Wunder gesprochen.
REDAKTEUR MARKUS
Das war vorhin. Ich habe meine Meinung geändert.
REDAKTEURIN DEBORA
Und die Schriften der Propheten?
REDAKTEUR MARKUS
Solche Texte richtig zu verstehen ist keine einfache
Sache.
REDAKTEURIN DEBORA
Alle Theologen sind aber einer Meinung.
REDAKTEUR MARKUS
Ganz so einig sind sie sich nicht mehr.
LITERARISCHE REDAKTEURIN UND FOROGRAF
Was?
REDAKTEUR MARKUS
Ja, ja. Einige verstehen die Texte jetzt anders, wie ich
eben erfahren habe.
REDAKTEURIN DEBORA
Unglaublich!
FOTOGRAF
Das sieht ganz nach Herodes aus. Politischer Druck.
Dieser Mistkerl! Ich hasse ihn.
RAUMPFLEGERIN
Und die Hirten? Die Engel?
REDAKTEUR MARKUS
Wer kann Hirten schon vertrauen? Vergiss nicht, es war
Nacht, alles war dunkel.
RAUMPFLEGERIN
Alles war hell.
– 73 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
REDAKTEUR MARKUS
Sie waren müde… sie haben geträumt.
RAUMPFLEGERIN
Aha! Und alle träumen dasselbe?
REDAKTEUR MARKUS
Zufall!
RAUMPFLEGERIN
Feigling.
REDAKTEUR MARKUS
Kann sein, aber ich habe eine Familie, einen
verantwortungsvollen Posten. Man braucht mich. Ich
kann keine unnötigen Risiken eingehen.
REDAKTEURIN DEBORA
Ich will meine Stelle nicht verlieren (der Fotograf schaut
sie erstaunt an). Ich habe Riesenopfer gebracht, bis ich sie
hatte: die Studien, schlecht bezahlte Probezeiten
(Zögern). Und dann frage ich mich… (Siehe Bild 11, S. 78)
FOTOGRAF
(Mit etwas aggressivem Ton) Was?
REDAKTEURIN DEBORA
Ich frage mich, ob es nicht klug wäre abzuwarten…
wenigstens bis wir besser informiert sind.
FOTOGRAF
Abwarten, abwarten. Damit überliessen wir Herodes
das Feld. Genau jetzt müssten wir handeln.
REDAKTEURIN DEBORA
Herodes ist zu stark. Was sollen wir die Helden spielen!
Das bringt doch nichts.
FOTOGRAF
Meinst du wirklich?
– 74 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
REDAKTEURIN DEBORA
Man muss vorsichtig
nachdenklich).
sein
(der
Fotograf
bleibt
RAUMPFLEGERIN
Und die Wahrheit? Was macht ihr damit, mit der
Wahrheit? Der Messias ist gekommen, er ist da. Bald
wird das Königreich Gottes gegründet werden. Die
Zeichen sind unwiderlegbar. Das habt ihr doch selbst
gesagt.
REDAKTEUR MARKUS
Bei dir steht ja nichts auf dem Spiel.
RAUMPFLEGERIN
Darum geht es nicht.
REDAKTEUR MARKUS
Jeder kann tun und lassen was er will, aber ich halte
mich an die Anordnungen. (Er dreht sich zur
Redakteurin des humanwissenschaftlichen Ressorts um
und wartet auf ihre Reaktion.
REDAKTEURIN DEBORA
(Nach leichtem Zögern) Vielleicht sollte ich das auch
tun… (Schweigen, dann drehen sich die beiden
Journalisten zum Fotografen um).
FOTOGRAF
(Er scheint überrascht) Ich weiß nicht mehr, was ich
denken soll.
RAUMPFLEGERIN
Feiglinge, ihr seid alle Feiglinge. Hier geht es um die
Wahrheit. Und ihr achtet auf eure Ruhe, eure
finanziellen Vorteile, auf das was die Leute sagen, und
auf eure kleinen politischen Spielchen. Der Retter der
Welt ist da! Ja, Gott ist dabei das Allergrösste das er je
getan hat zu tun, und ihr habt nichts besseres zu tun, als
– 75 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
nach Ausreden zu suchen, damit ihr tun und lassen
könnt was ihr wollt.
WISSENSCHAFTLICHER REDAKTEUR
Das reicht jetzt! Halt den Mund! Wir haben genug von
dir gehört. Schliesslich bist du nicht angestellt, um hier
Reden zu schwingen, sondern um zu putzen. Hier ist
jetzt alles sauber: also los, verzieh dich! Vielleicht wirst
du anderswo gebraucht.
RAUMPFLEGERIN
(Sie zögert, dann nachdenklich) Vielleicht wirst du
anderswo gebraucht. Das stimmt vielleicht sogar. Es
gibt viele Leute, die die gute Nachricht hören sollten.
Vielleicht werden sie mir zuhören (sie schüttelt ihren
Staublappen aus, dann verlässt sie die Bühne. Siehe Bild 12,
S. 78)
REDAKTEUR MARKUS
(Er hustet wegen des Staubs. Nach einem Schweigen) Ruhe!
(Pause) Ich glaub’, ich geh’ zum Tempel, zum
Abendgebet.
REDAKTEURIN DEBORA
Ich komme mit. (dann dreht sie sich zum Fotografen um).
Und du, kommst du auch mit?
FOTOGRAF
Ich weiss nicht so recht. Geht ohne mich (Redakteur und
Redakteurin gehen. Siehe Bild 13, S. 78). Ich muss
nachdenken. Der Stern, die Prophetenworte, die
Engel…, Herodes, das Gefängnis… Mein Schädel
brummt. Gott gibt es, dessen bin ich sicher, aber es ist
trotzdem nicht leicht zu entscheiden welcher der
richtige Weg ist. Ich habe den Eindruck, dass ich heute
eine
Entscheidung
treffen
muss.
(Er
bleibt
gedankenverloren mitten auf der Bühne. Dann Dunkelheit).
– 76 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
INSZENIERUNG
1
2
3
4
5
Eingang
Bücherregal
Kleiderständer
Büro
Stuhl
6
7
8
9
– 77 –
Telefon
Schreibmaschine
Notizblock
Virtuelles Fenster
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
Handlung 1 -------------
Handlung 2 - - - - - - - - - >
N - Redakteur des naturwissenschaftlichen Ressorts
H - Redakteurin des humanwissenschaftlichen Ressorts
F- Fotograf
R- Raumpflegerin
– 78 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
MÖGLICHE BOTSCHAFT NACH DEM STÜCK
DAS KOMMEN CHRISTI UND DER EMPFANG DEN DIE MENSCHEN IHM
BEREITEN
Vor zweitausend Jahren ist Gott in der Person Jesu
Christi in unsere Welt gekommen.
Er kam, um unserer Menschheit einen neuen Aufbruch
zu schenken. Welcher Empfang ist ihm damals bereitet
worden? Wie wird er heute empfangen? Sie sahen drei
Einstellungen diesem Kind gegenüber: Zuwendung,
Abwendung und Unentschiedenheit.
Man könnte diese Verhaltensweisen mit dem
vergleichen was in einem Bahnhof passiert, kurz vor der
Abfahrt des Zuges. Einige Passagiere sind schon
eingestiegen, andere kamen zum Bahnsteig und sind
dann wieder gegangen, denn sie waren sich sicher, dass
dieser Zug nicht für sie ist. Und wieder andere zögern.
Sollen sie schon jetzt einsteigen? Wo wartet es sich
besser auf den Freund? Im Zug oder auf dem
Bahnsteig?
EINE GROßE ZAHL VON UNENTSCHIEDENEN
Heute haben sich einige von ihnen im Zug Gottes
niedergelassen. Ich spreche von denen, die sich voll und
ganz für den christlichen Glauben entschieden haben.
Andere sind nicht hier, weil sie wieder weggegangen
sind. Ich denke an diejenigen, die Jesus Christus fest
und ohne Zögern abgelehnt haben, und die niemals
umkehren werden. Dann gibt es noch eine grosse Zahl
von Unentschiedenen. Sie sind schon auf dem
Bahnsteig, und nicht mehr weit vom Zug entfernt.
Einige von ihnen, obwohl sie mehr oder weniger
regelmäßig zur Kirche gehen, haben niemals Jesus
Christus als ihren Erretter angenommen. Andere beten
schon gelegentlich in der Stille ihres Herzens in der
– 79 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
vagen Hoffnung, dass irgendein höheres Wesen sie
hört. Ja, heute gibt es viele Unentschiedene, und man
fragt sich, warum sie so sehr zögern in den Zug des
Lebens zu steigen.
EINDEUTIGE ZEICHEN
Einige sind sich nicht im Klaren über den Zug selbst:
wird er tatsächlich abfahren? Der versprochene
Bestimmungsort, wird er wirklich erreicht? Aber wie
wir hervorgehoben haben: die Zeichen sind eindeutig,
unwiderlegbar. Gott will nicht, dass die Menschen sich
irren oder dass sie seine Handschrift nicht erkennen.
Die Zeichen, die es rund um die Geburt Jesu gab, sind
nur ein Bruchteil von alledem, was Gott getan hat, um
uns zu überzeugen. Zeit seines Lebens hat Jesus
Hunderte, sogar Tausende von Wundern vollbracht.
Dreiunddreißig davon sind in den Evangelien
niedergeschrieben: Heilungen von Blinden, von
Taubstummen, von Gelähmten und anderen Kranken.
Er hat einen Toten auferweckt der schon vier Tage im
Grab lag, sechshundert Liter Wasser in Wein
verwandelt, einen Sturm durch ein Wort beruhigt, und
er lief mehrere Kilometer auf dem Wasser eines großen
Sees. Die meisten dieser Wunder sind bei helllichtem
Tag geschehen, als er von großen Menschenmengen
umgeben war.
Diejenigen, die seine Worte nicht annehmen wollten,
hat er gebeten, seine Werke zu beachten: „Wenn ich
nicht die Werke meines Vaters tue, so glaubt mir nicht!
Tue ich sie aber, so, wenn ihr auch mir nicht glaubt,
glaubt doch den Werken, damit ihr erkennt und glaubt,
dass der Vater in mir ist und ich in ihm“ (Johannes
10.37-38).
Das größte aller Zeichen aber ist seine eigene
Auferstehung. Die vier Evangelien berichten uns davon
– 80 –
IN EINEM PRESSEZIMMER
in allen Einzelheiten. Jesus starb an einem Kreuz, aber
Gott hat ihn von den Toten auferweckt und damit den
Beweis erbracht, dass Jesus der Sohn Gottes ist, der, seit
Jahrhunderten durch die Propheten verheißene,
Messias.
DIE FURCHT VOR DEN KONSEQUENZEN
Die Abfahrt und der Bestimmungsort des Zugs sind
folglich klar, und doch zögern viele Menschen
einzusteigen. Im Theaterstück geht die von den Zeichen
überzeugte Person Risiken ein: Verlust der Arbeitsstelle,
Gefängnisaufenthalt, Folter. Heute, in unseren
westlichen Ländern, muss unser Glaube nicht so teuer
bezahlt werden. Statt offener Verfolgung gibt es Spott
und Verachtung. Was werden nur die anderen denken,
wenn ich zur Kirche gehe, wenn ich meine Bibel lese,
wenn ich Christ werde? Was werden sie sagen, wenn
ich mich ernsthaft mit dem Glauben befasse? „ Du
armes Kerlchen, hast dich wohl beschwatzen lassen. Du
glaubst doch nicht diesen Märchen! Wirst Du etwa
religiös auf deine alten Tage?“ Von deinem Benehmen
her dachten andere, dass du ungläubig oder eine
Skeptiker bist, jemand der immer einen kühlen Kopf
bewahrt und alles mit Mass tut. Und jetzt bist du
gezwungen diesem Image treu zu bleiben. Die Furcht
vor dem was Andere sagen könnten lähmt uns. So
manch einer würde liebend gern in den Zug des Lebens
steigen, aber er traut sich nicht.
AUF MORGEN VERSCHIEBEN
Man verschiebt dann die Entscheidung auf später: auf
den folgenden Tag, auf die nächste Woche, auf das
Ruhestandsalter, aufs nächste Jahr. Aber indem wir uns
einige Unannehmlichkeiten ersparen wollen, gehen wir
das Risiko ein, alles zu verlieren. Die Zukunft gehört
uns nicht. Wer weiß denn, wie viele Tage er noch zu
– 81 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
leben hat? Einige werden ganz plötzlich hinweggerafft.
Christus wird unvermutet wiederkommen. Dann wird
es zu spät sein.
Also, soll die Entscheidung aufgeschoben werden?
Nun, der Zug kann jeden Augenblick ohne uns
abfahren. Übrigens, wer sagt uns denn, dass es Morgen
leichter sein wird sich zu entscheiden als heute?
DIE ENTSCHEIDUNG SOLLTE JETZT GEFÄLLT WERDEN
Wenn ihnen heute klar wurde wie eindeutig die
Zeichen damals waren, sind Sie dem Zug Gottes ein
Stück näher gekommen. Aber geben Sie sich nicht damit
zufrieden. Tun Sie den entscheidenden Schritt:
Vertrauen Sie Ihr Leben Jesus an.
Vor ungefähr zweitausend Jahren zu Weihnachten ist
Gott gekommen, um der Menschheit einen Neuanfang
zu schenken. Wäre es nicht wunderbar, wenn Sie zu
Weihnachten einen Neuanfang erleben würden? Den
Aufbruch zu einem ewigen Leben mit Gott?
– 82 –
MISSION ERDE
– 83 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
HANDLUNGSORT
Das Stück spielt im Himmel, wenige Tage vor der
Geburt Jesu. Einige Engel sind sehr beschäftigt. Sie
sollen bald vom Himmel zur Erde fliegen um den
Menschen die große Nachricht der Menschwerdung
Gottes zu überbringen.
PERSONEN
DER ENGEL GABRIEL
Edelmütig, väterlich, trägt ein grell gelbes Kleid.
ENGEL HIERONYMUS
Genre „Reisebegleiter“, weißes Kostüm, großer gelber
Gürtel (10 cm). Er ist Gabriels Assistent.
ENGEL LOGIKUS, DER LOGISCH DENKENDE
Chef der kleinen Musikantengruppe, rotes Kostüm,
schmaler roter Gürtel.
ENGEL AFFECTUS, DER ZARTFÜHLENDE
Weißes Kostüm, schmaler blauer Gürtel.
ENGEL PRAKTIKUS, DER PRAKTISCH VERANLAGTE
Weißes Kostüm, schmaler grüner Gürtel.
DEKORATION UND MATERIAL
Die Engel haben lange Kleider aber keine Flügel. Die
Farbe der Gewänder und der Gürtel unterscheidet sie
voneinander. Mit Ausnahme von Gabriel, dessen Rolle
durch einen Mann interpretiert wird, können die
anderen Rollen durch Männer oder Frauen besetzt
werden. Keine besondere Dekoration zu Beginn. Die
drei Musikantenengel sitzen auf Stühlen; jeder hält eine
Geige. Nach einer Weile wird eine Art Fernrohr auf die
– 84 –
MISSION ERDE
Bühne gebracht. Es werden auch ein Reisekoffer, ein
Hirtenmantel und eine aufgerollte Landkarte benötigt.
ERSTER AKT
EINLEITUNG DES ERZÄHLERS
Heute werden Sie in einem Theaterstück mit dem Titel
„Mission Erde“ die Gelegenheit haben, Bekanntschaft
mit Engeln zu machen. Engel waren sehr aktiv
anlässlich der Geburt Christi vor ungefähr zweitausend
Jahren.
Wer sind diese himmlischen Wesen? Was machen sie
den lieben langen Tag? Was wissen sie? Und vor allen
Dingen, was wissen sie ÜBER UNS MENSCHEN? Sie
werden dies sehen und hören, da die folgende Szene im
Himmel einige Tage vor der Geburt Jesu spielt.
(In der Dunkelheit betreten die Engel Logikus, Affectus
und Praktikus die Bühne. Nach einigem Quietschen der
Instrumente [die Engel stimmen ihre Geigen] geht das
Licht auf der Bühne an.)
ENGEL LOGIKUS
(Er klatscht und bittet um Stille) Meine Freunde, wie Sie
wissen, wird unser historisches Konzert, unsere
Erdreise, unsere „Mission Erde“ in 11 Tagen stattfinden.
(Beachten Sie: geben sie hier die Zahl der Tage an, die
zwischen der Theatervorstellung und Weihnachten liegen,
plus einen Tag.)
ENGEL PRAKTIKUS
Chef!
ENGEL LOGIKUS
Ja?
ENGEL PRAKTIKUS
In 10 Tagen.
– 85 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
ENGEL LOGIKUS
(Schaut auf seine Uhr) Stimmt, in 10 Tagen, auf die
Stunde genau.
ENGEL PRAKTIKUS
Ich habe nämlich einen Kalender, mit dem ich
Berechnungen rückwärts machen kann.
ENGEL AFFECTUS
Ich habe auch einen. Er hat kleine Fenster, von denen
ich jeden Tag eins öffnen kann um dann Bilder von der
Erde zu sehen. Sie haben schöne Blumen auf der Erde:
rote, blaue, gelbe mit kleinen braunen Punkten…
ENGEL LOGIKUS
(Klatscht und bittet um Stille) Die Zeit, die uns bleibt, ist
begrenzt und muss für Besseres genutzt werden.
Folglich bitte ich euch um eure ungeteilte
Aufmerksamkeit. Die letzten Proben werden im grossen
Auditorium stattfinden mit dem großen Chor und dem
Orchester. Heute Abend werden wir an den Stellen
arbeiten die uns noch etwas Mühe machen.
ENGEL PRAKTIKUS
Den vierten und den achtzehnten Takt.
ENGEL LOGIKUS
Vor allem den vierten,
zwanzigsten zu vergessen.
ohne
den
sieben
und
ENGEL PRAKTIKUS
Wir spielen sie doch gut.
ENGEL LOGIKUS
Wir werden sie dennoch proben… (Eine Türklingel
ertönt). (Mit kräftiger Stimme) Herein! (Dann, sich an die
beiden Anderen wendend) Bevor wir anfangen, werden
wir Besuch von dem gnädigen Herrn Gabriel haben. Er
möchte jeder Gruppe noch ganz gezielte Instruktionen
erteilen. (Der praktische Engel ordnet seine Frisur und
– 86 –
MISSION ERDE
seinen Gürtel. Gabriel tritt ein, gefolgt von Hieronymus, der
einen Reisekoffer und eine Karte trägt. Der Engel Praktikus
stellt die Neuankömmlinge den anderen beiden Engeln vor.)
Der gnädige Herr Gabriel und sein Sekretär, Herr
Hieronymus.
ENGEL AFFECTUS UND ENGEL PRAKTIKUS
Sehr erfreut! (die drei Musikerengel drücken Gabriel
und Hieronymus die Hand)
GABRIEL
Werte Freunde, es ist schon viele Monate, was sage ich,
Jahre her, seit ihr euch auf die „Mission Erde“
vorbereitet. Ihr und eure Kollegen haben mit Fleiss und
Ernst gearbeitet. Sie haben Ihr Bestes gegeben. Im
Namen unseres Herrn bedanke ich mich ganz herzlich.
Es ist jetzt der richtige Moment, euch den Zweck und
den Grund dieser irdischen Reise mitzuteilen. (Die drei
Musiker
schauen
einander
zufrieden
an.)
Das
Erlösungswerk unseres Herrn, das ganz große, das
entscheidende, dasjenige, das die Geschichte des
Universums in ein Vorher und ein Nachher aufteilen
wird, hat begonnen.
DIE DREI MUSIKENGEL
Hurra!
GABRIEL
(Hebt die Hand, und unverzüglich herrscht Ruhe) Es sind
bald neun Monate vergangen, seit sich unser Herr auf
den Weg zu den Menschen gemacht hat. Kein Auge hat
ihn gesehen, aber in 14 Tagen wird er aus dem Schoß
derjenigen, die ihn trägt, herauskommen und die Söhne
Adams werden ihn zum ersten Mal sehen können. Und
euer Auftrag ist es dieses Ereignis anzukündigen.
DIE DREI MUSIKENGEL
Hurra!
– 87 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
GABRIEL
(Erhebt die Hand, Schweigen) Hieronymus, kannst du mir
die Karte von der Erde bringen? (Hieronymus bringt die
Karte und rollt sie aus. Alle betrachten sie aufmerksam). Hier
ein Blick auf den Planeten Erde. Ihr erkennt die
abgerundete Form des Erdballs, die Kontinente und die
Ozeane. Ihr werden hier in Palästina sein, am
Schnittpunkt dreier Kontinente.
HIERONYMUS
Wie Sie sehen, liegt Palästina am Ufer des Mittelmeers.
GABRIEL
Ich bitte euch diese Karte gut anzuschauen. (Die drei
Musikerengel beugen sich vor, um besser zu sehen.) In dem
Falle, in dem ihr den Kontakt zu der Hauptgruppe
verlieren solltet, könnt ihr jetzt den Ort des Geschehens
wieder finden.
ENGEL PRAKTIKUS
Wenn wir erst einmal auf der Erde sind, dann könnten
wir ja die Leute nach unserem Weg fragen.
ENGEL LOGIKUS
Das sollte nicht schwierig sein, da wir ja jetzt auch die
Sprache der Menschen sprechen.
HIERONYMUS
Das könnte schief gehen. Die Adresse, wo ihr hin sollt,
ist der großen Mehrheit der Irdischen unbekannt.
ENGEL LOGIKUS
Was?
ENGEL PRAKTIKUS
Der Ort der Geburt des Herrn…
ENGEL AFFECTUS
… ist den Menschen unbekannt?
– 88 –
MISSION ERDE
GABRIEL
Euer Erstaunen überrascht mich kaum. Eure
Unwissenheit über Menschen ist groß. Um euch zu
helfen, haben wir etwas mitgebracht, dass euch
ermöglichen wird, sich mit den Bewohnern des
Planeten Erde vertraut zu machen (Gabriel gibt
Hieronymus ein Zeichen, der eine Art Fernrohr aufbaut,
welches er zuletzt auf die Bühne gebracht hat).
ENGEL PRAKTIKUS
Ein seltsamer Apparat.
ENGEL LOGIKUS
Wozu dient er wohl?
ENGEL AFFECTUS
Die Farbe ist schön, aber die Form nicht so sehr. Es
mangelt ihr an Harmonie.
ENGEL LOGIKUS
Das, was zählt, ist die Ausführung.
HIERONYMUS
So, ich habe es eingestellt.
GABRIEL
Meine Freunde, hier ist ein Teleskop.
ENGEL PRAKTIKUS
Ein Tele was?
GABRIEL
(Er artikuliert langsam) Ein Te-le-skop.
HIERONYMUS
Skop kommt vom griechischen „skopeo“, was soviel
bedeutet wie: beobachten, sehen. Und „tele“ könnte mit
„fern“ übersetzt werden. Dies ist ein Instrument, das
uns erlaubt zu beobachten, was sich in der Ferne, auf
der Erde bei den Söhnen Adams abspielt.
– 89 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
ENGEL AFFECTUS
Darf ich mal reinschauen?
GABRIEL
Dafür haben wir es mitgebracht.
ENGEL PRAKTIKUS
(Indem er sich zu dem Engel Logikus umdreht) Ihnen
die Ehre, Chef.
ENGEL LOGIKUS
(Nähert sich dem Apparat und schaut hinein.
Schweigen, dann bewundernder Pfiff) Großartig. Was
ist das?
HIERONYMUS
Jerusalem, die Hauptstadt Israels.
ENGEL LOGIKUS
Zu was dienen diese hohen Mauern, die die Stadt
umgeben?
HIERONYMUS
Damit schützen sich die Bewohner vor anderen
Völkern.
ENGEL AFFECTUS
Sich gegen andere Völker schützen? Sind sie nicht alle
Brüder?
GABRIEL
Schon, aber die Menschen sind auch hochmütig.
ENGEL PRAKTIKUS
Was bedeutet „hochmütig“? Ich habe dieses Wort hier
noch niemals gehört.
GABRIEL
Nein, wir sind von dieser Schwäche, die den Menschen
anhaftet, verschont geblieben. Bei den Adamiten
möchte Jeder wichtiger und grösser als der Andere sein.
– 90 –
MISSION ERDE
HIERONYMUS
Manche üben psychologischen Druck aus; andere
schrecken nicht davor zurück, Gewalt anzuwenden.
ENGEL PRAKTIKUS
(Nachdenklich) Also wollen
voreinander schützen?
die
Menschen
sich
ENGEL LOGIKUS
(Immer durch das Teleskop schauend) Sie müssen sich
wirklich fürchten, wenn sie solche Mauern errichten.
ENGEL AFFECTUS
Darf ich sehen?
ENGEL LOGIKUS
(Er lässt ihm seinen
beeindruckend.
Platz)
Bitte
schön,
es
ist
GABRIEL
Diese Mauern sind der sichtbare Teil ihrer Ängste.
ENGEL LOGIKUS
Was wollen Sie damit sagen?
GABRIEL
Tief in ihrem Innersten bauen sie noch mehr
Schutzwälle auf. Sie schützen sich so vor Spott und
Kritik.
HIERONYMUS
Jeder lernt, von frühester Kindheit und Jugend an, sich
gegen diese tückischen, durch den Hochmut der
anderen gesteuerten Angriffe zu schützen.
ENGEL LOGIKUS
Welch eine Bescherung!
ENGEL AFFECTUS
(Er beobachtet die Erde durch das Teleskop) Der Tempel, an
dem sie bauen, wird einmal prächtig sein.
– 91 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
GABRIEL
Sie restaurieren ihn nur und vergrössern die Anlagen.
ENGEL AFFECTUS
Das andere große Gebäude ist auch ein Meisterstück.
HIERONYMUS
Das ist der Palast des Königs Herodes.
ENGEL AFFECTUS
Gehen wir dorthin um die Geburt des Herrn
anzukündigen?
GABRIEL
Nein. Ihr geht in die Felder die ein kleines Dorf
umgeben…
HIERONYMUS
… namens Bethlehem.
ENGEL AFFECTUS
(Seinen Platz am Teleskop dem Engel Praktikus überlassend)
Seltsam, der Palast von Jerusalem hätte doch gut zu der
GROSSEN Neuigkeit gepasst, die wir aukündigen.
ENGEL LOGIKUS
Wird es auf dem Feld von Bethlehem Könige geben,
denen wir diese große Neuigkeit sagen werden?
ENGEL AFFECTUS
Könige mit Kronen aus Gold, geschmückt mit vielen
schönen
kostbaren
Edelsteinen:
Diamanten,
Smaragden…
ENGEL LOGIKUS
… Saphiren, Rubinen?
ENGEL PRAKTIKUS
Wie viele Könige wird es da geben?
GABRIEL
Keinen.
– 92 –
MISSION ERDE
ENGEL LOGIKUS
Und Prinzen?
GABRIEL
Keinen.
ENGEL PRAKTIKUS
Keinen?
GABRIEL
Keinen.
ENGEL LOGIKUS
Ich verstehe: der Herr zieht es zweifellos vor, uns zu
den geistlichen Oberhäuptern zu senden.
ENGEL PRAKTIKUS
Logisch: ihre Funktion ist viel ehrenvoller als die der
Könige. Sind die Priester nicht die Vermittler zwischen
Gott und den Menschen?
ENGEL LOGIKUS
Wie viele Priester werden anwesend sein?
ENGEL PRAKTIKUS UND ENGEL AFFECTUS
Wie viele?
GABRIEL
Es wird keine geben.
DIE DREI MUSIKENGEL
Was?
ENGEL LOGIKUS
Keinen einzigen?
GABRIEL
Keinen.
ENGEL AFFECTUS
Aber zu wem werden wir geschickt?
ENGEL PRAKTIKUS
Wer sind wohl die Menschen, denen wir die gute
Nachricht ankündigen dürfen?
– 93 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
GABRIEL
Ihr werdet zu Schafhirten gesandt.
ENGEL PRAKTIKUS
Zu Schafhirten?
ENGEL LOGIKUS
Zu Schafhirten?
ENGEL AFFECTUS
Zu Schafhirten?
GABRIEL
So ist es.
HIERONYMUS
Ich habe euch eins ihrer Gewänder mitgebracht, damit
ihr sie leicht erkennen könnt. (Er öffnet den Koffer und
holt einen Schäfermantel heraus. Der Engel Affectus
probiert ihn an.)
ENGEL LOGIKUS
Das ist nicht das Gewand eines Königs.
ENGEL AFFECTUS
Nicht das eines Prinzen.
ENGEL PRAKTIKUS
Nicht das eines Gouverneurs.
ENGEL LOGIKUS
Nicht das eines Priesters.
ENGEL AFFECTUS
Er ist warm.
ENGEL PRAKTIKUS
… aber dieser Duft!
ENGEL LOGIKUS
Es duftet nach Schaf (er hält sich die Nase zu).
HIERONYMUS
Damit habt ihr nicht gerechnet, was?
– 94 –
MISSION ERDE
GABRIEL
Wir wollen euch die Sache erklären: die Söhne Adams
sind hochmütig.
HIERONYMUS
Hochmütig, versteht ihr?
ENGEL LOGIKUS
Jeder will der Erste sein.
ENGEL AFFECTUS
Der Wichtigste.
ENGEL PRAKTIKUS
Der Reichste und der Stärkste.
ENGEL LOGIKUS
Der Schönste und Intelligenteste.
ENGEL AFFECTUS
Der Berühmteste und Beliebteste.
GABRIEL
Das habt ihr gut verstanden. Der Herr ist dabei in ihre
Welt zu gehen, um sie von diesem Hochmut zu heilen
der so tief in ihrem Wesen verankert ist.
HIERONYMUS
Und zusätzlich zu dem Preis, den er für ihre Erlösung
zahlen möchte, will er auch ein Beispiel hinterlassen.
Um sie von ihrem Hochmut zu befreien, wird er zu
einfachen Mitteln ihrer Welt greifen.
ENGEL LOGIKUS
Einfache Hirten.
ENGEL PRAKTIKUS
Ein kleines Dorf.
GABRIEL
Eine bescheidene Familie.
HIERONYMUS
Eine einfache Krippe.
– 95 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
ENGEL AFFECTUS
Eine Krippe?
HIERONYMUS
Ja, der Messias wird in einem Stall geboren werden.
GABRIEL
Wie der große Prophet Jesaja es ihnen vorausgesagt hat
vor sieben hundert Jahren. (Gabriel und Hieronymus
öffnen eine Bibel und lesen; die Schauspieler könen aus einer
Bibel lesen) „Der Messias wuchs auf wie ein Schoß, wie
ein Wurzelspross aus dürrem Erdreich…
HIERONYMUS
… Er hatte keine Gestalt und keine Pracht; wir sahen
ihn, aber sein Anblick gefiel uns nicht…
GABRIEL
… Verachtet war er und verlassen von den Menschen…
HIERONYMUS
…wie einer, vor dem man das Angesicht verbirgt, so
verachtet war er…
GABRIEL
…und wir achteten seiner nicht…
HIERONYMUS
… Doch wahrlich, unsere Krankheit trug er, und unsere
Schmerzen lud er auf sich“ (Gabriel schließt die Bibel).
GABRIEL
Wie der Herr es selbst sagen wird: Glückselig sind die
geistlich Armen, denn ihrer ist das Himmelreich.
HIERONYMUS
Sie werden den Herrn erkennen, denn sie werden nicht
durch diesen übermäßigen Hochmut verblendet sein.
ENGEL LOGIKUS
Die Weisheit des Herrn ist wunderbar!
– 96 –
MISSION ERDE
ENGEL PRAKTIKUS
Einfach wunderbar!
ENGEL LOGIKUS
Ich freue mich jetzt darauf, zu diesen Hirten zu gehen.
ENGEL AFFECTUS
Zu diesen Menschen, auf denen die Gnade Gottes ruht!
(Freude der Engel)
ZWEITER AKT
GABRIEL
(Nach einer Pause) Wir kommen zu einer anderen Sache.
Der Hochmut ist nicht die einzige Schwäche, die der
Menschheit anhaftet. Es gibt eine andere, ebenfalls
ernste Krankheit, die mit ihr mehr oder weniger direkt
verbunden ist.
HIERONYMUS
Diese Krankheit ist schrecklich. Sie zerstört die
Menschheit und es ist unsere Pflicht, euch vor ihr zu
warnen.
ENGEL AFFECTUS
Ist sie ansteckend?
HIERONYMUS
Für die Menschen ja. Für uns nicht.
ENGEL PRAKTIKUS
Um was handelt es sich?
GABRIEL
Der Fachausdruck ist euch wahrscheinlich unbekannt,
denn diese Krankheit kommt in unserer himmlischen
Welt des Lichts nicht vor. Ich spreche vom Unglauben.
– 97 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
ENGEL AFFECTUS
Unglauben?
ENGEL PRAKTIKUS
Was ist das?
LIGISCHER ENGEL
Was sind die Symptome dieser Krankheit?
GABRIEL
Der Unglauben ist schwierig zu definieren. Sagen wir,
es ist eine Art Allergie gegen alle Worte Gottes, eine Art
von spontaner Zurückweisung dessen, was Gott sagt,
ein Zweifeln an der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit
der göttlichen Worte.
ENGEL PRAKTIKUS
(In einem erbosten Ton) Sie
meinen, dass die Menschen Gott nicht mehr glauben?
HIERONYMUS
Sie glauben Gott nicht mehr, und es kommt noch
schlimmer. Sie sind auch noch stolz auf jeden Zweifel
den sie bekannt geben können.
ENGEL LOGIKUS
Das gibt es doch nicht!
HIERONYMUS
Sie sagen, dass der Unglaube wissenschaftlich sei.
GABRIEL
Sogar ihre religiösen Führer sind von diesem Krebs
befallen, der das Leben zerstört.
HIERONYMUS
Ohne Gott verschwindet aller Sinn des Lebens.
GABRIEL
Einige dieser sogenannten theologischen Experten
möchten all die Menschen lächerlich machen, die es
wagen, alle Worte Gottes zu glauben.
– 98 –
MISSION ERDE
ENGEL AFFECTUS
Das bleibt mir ja die Spucke weg.
GABRIEL
Setzen wir uns (Gabriel, Hieronymus und der logische
Engel setzen sich).
ENGEL PRAKTIKUS
Ich habe betrübliche Dinge über die Söhne Adams
gehört, aber dieses übertrifft sie alle: nicht die Worte
unseres Herrn zu glauben. Wie können sie so etwas nur
wagen?
GABRIEL
Ich sehe, dass es gut war euch zu warnen, denn die
Menschen, zu denen ihr euch begeben werdet…
ENGEL AFFECTUS
Die Hirten.
GABRIEL
… könnten auch vom Unglauben befallen werden.
ENGEL LOGIKUS
Sind diese Menschen nicht sorgfältig ausgesucht
worden?
HIERONYMUS
Sicherlich, aber man kann nie ganz ausschließen, dass
einige Menschen unserer Botschaft gegenüber skeptisch
sein werden.
GABRIEL
Ich habe das selbst erlebt. Es war vor ungefähr einem
Jahr, anlässlich einer meiner irdischen Missionen. Ich
wurde in den Tempel Gottes gesandt, den ihr vorhin
durch das Teleskop gesehen habt. Und zwar zu einem
Mann namens Zacharias, einem Priester vom Stamm
Abijas. Während er Gott im Tempel diente, kündigte ich
ihm an, dass seine nicht mehr ganz junge und
– 99 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
unfruchtbare Frau ihm einen Sohn gebären werde, der
die Ankunft des Herrn vorbereiten soll.
ENGEL PRAKTIKUS
Und dann?
GABRIEL
Statt sich zu freuen zweifelte er.
ENGEL AFFECTUS
Er zweifelte?
ENGEL LOGIKUS
Hat er Sie auch erkannt? Hat er wirklich begriffen, dass
Sie ein Bote des Gottes waren?
HIERONYMUS
Unser Herr Gabriel war ihm im Tempel Gottes
begegnet. Klarer kann das nicht sein.
ENGEL PRAKTIKUS
Was haben Sie gemacht?
GABRIEL
Als er nicht glauben wollte und ein Zeichen verlangte,
habe ich ihm die nötigen Beweise geliefert. Da er das
was Gott sagte nicht hören wollte, sagte ich ihm, dass
man seine Stimme fortan nicht mehr hören werde bis
sich das Wort Gottes erfüllen würde.
HIERONYMUS
Er wurde unverzüglich stumm.
GABRIEL
Also konnte er, zu seinem Leidwesen, feststellen, dass
man dem Wort eines wahren Boten Gottes immer
vertrauen kann.
ENGEL PRAKTIKUS
Eine ausgezeichnete Beweisführung!.
ENGEL LOGIKUS
Werden denn die Hirten in derselben Weise reagieren?
– 100 –
MISSION ERDE
GABRIEL
Ich weiß es nicht recht. Der Herr allein weiß alle Dinge.
Alles, was ich euch sagen kann, ist, dass diese Krankheit
sehr verbreitet ist unter den Menschen. Sogar Zacharias,
einer ihrer Besten, war von ihr befallen. Folglich ist es
unsere Aufgabe, euch auf dieses Übel aufmerksam zu
machen.
ENGEL PRAKTIKUS
Das ist ganz in Ordnung so.
ENGEL LOGIKUS
Haben wir da nicht ein Problem? Da die Menschen
ungläubig sind und da wir nur zu Hirten gesandt
werden, die nicht besonders von ihren Zeitgenossen
geachtet werden, wird unsere Botschaft überhaupt von
der Welt angenommen werden? Werden die Menschen
wirklich erkennen, dass der Messias gekommen ist?
GABRIEL
Beruhigt euch. Der Herr wird sich nicht auf das Zeugnis
seines Engelchors beschränken.
HIERONYMUS
Seit kurzem glänzt ein neuer Stern am Himmel der
Menschen (Hieronymus rückt das Teleskop zurecht, der
Engel Logikus schaut, gefolgt von den Engeln Affectus
und Praktikus. Sobald der Engel Logikus durch den
Apparat geschaut hat, gehen die Gespräche weiter.)
ENGEL LOGIKUS
Den können fast alle Menschen sehen..
HIERONYMUS
Genau.
GABRIEL
Ferner kündigen die Heiligen Schriften ganz genau die
Ereignisse an, die dort unten demnächst stattfinden
– 101 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
werden. Da muss man sich nur die Mühe geben um es
nachzulesen.
HIERONYMUS
Der Prophet Micha, ein Zeitgenosse Jesajas, hat ihnen
den Ort der Geburt des Retters angezeigt.
GABRIEL
In der Tat werden sich die außergewöhnlichsten
Zeichen in etwa dreißig Jahren ereignen, wenn der
Messias alt genug sein wird um seinen Dienst
anzutreten.
HIERONYMUS
Dann wird es hunderte von Zeichen geben, die seine
Worte bestätigen werden. (alle Schauspieler stehen jetzt)
GABRIEL
Die verblüffendsten Wunder wird unser Herr tun.
HIERONYMUS
In aller Öffentlichkeit, damit keiner sie verpasst.
GABRIEL
Niemand wird sie leugnen können, so dass auch die
grössten Zweifler überzeugt werden.
ENGEL PRAKTIKUS
Wunderbar.
ENGEL AFFECTUS
Ehre sei Gott
Musikengeln).
(große
Freude
unter
den
drei
ENGEL LOGIKUS
Die Seuche wird eingeschränkt werden.
ENGEL PRAKTIKUS
Ja, die Seuche des Unglaubens wird gestoppt werden.
HIERONYMUS
Unglücklicherweise nicht.
– 102 –
MISSION ERDE
GABRIEL
Selbst wenn viele glauben werden, die Einflussreichsten
werden sogar diese Zeichen leugnen.
DIE DREI MUSIKENGEL
Was?
GABRIEL
In der Tat, im allerwichtigsten Moment werden ihn alle
im Stich lassen.
ENGEL AFFECTUS
Nicht doch!
ENGEL PRAKTIKUS
Selbst seine treuesten Freunde?
HIERONYMUS
Selbst seine treuesten Freunde.
GABRIEL
Einer von ihnen wird ihn verraten (der Engel Affectus
und der Engel Praktikus setzen sich).
ENGEL LOGIKUS
Aber dann wird alles aus sein. Werden die Menschen
ihn dann endgültig abschreiben?
GABRIEL
Nein, denn nachdem viele sich von ihm abwenden,
wird er ein letztes Zeichen setzen.
HIERONYMUS
Das außergewöhnlichste, das aufsehenserregendste.
GABRIEL
Er wird seinen Freunden, und allen Menschen, die ihn
ernsthaft suchen, ein unerschütterliches Fundament für
ihren Glauben geben.
ENGEL LOGIKUS
Um was handelt es sich?
– 103 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
GABRIEL
Christus wird den Tod besiegen. Nach der Kreuzigung
wird er sich vierzig Tage lang lebendig seinen Freunden
zeigen.
HIERONYMUS
Mehr als fünfhundert Personen werden ihn lebend
sehen.
GABRIEL
Er wird handfeste Beweise seiner Auferstehung geben.
HIERONYMUS
Sie werden ihn aus der Nähe sehen, sie werden ihn
berühren können, sollten sie es wünschen, er wird
ihnen Nahrung zubereiten.
ENGEL LOGIKUS
Vierzig Tage soll das dauern. Aber wird dieses Zeichen
auch für die künftigen Generationen überzeugend sein?
GABRIEL
Natürlich. Mehrere Augenzeugen
Ereignisse SCHRIFTLICH festhalten.
werden
diese
HIERONYMUS
Und diese Schriften werden von Generation zu
Generation weitergegeben. Man wird sie sogar in alle
Sprachen für alle Völker übersetzen.
GABRIEL
Immer wieder wird es Leute geben die nichts
unversucht lassen um diese Zeugen zum schweigen zu
bringen. Sie werden es mit Drohungen, Macht und
Gewalt versuchen, denn ihre schwachen Argumente
werden nur diejenigen überzeugen, die von den
Beweisen nichts wissen.
– 104 –
MISSION ERDE
HIERONYMUS
Aber alle die ernsthaft nach der Wahrheit suchen,
werden durch diese Zeugnisse überzeugt werden. Der
Herr selbst hat dies versprochen.
ENGEL LOGIKUS
Großartig.
ENGEL PRAKTIKUS
Der Herr ist wunderbar.
ENGEL AFFECTUS
Der Herrn sei gelobt!
ENGEL LOGIKUS
Wenn ich die Sache richtig verstehe, dann ist unsere
„Mission Erde“ nur eine der Taten Gottes von denen es
noch viele geben wird.
GABRIEL
Das ist richtig.
ENGEL PRAKTIKUS
Das ist wie ein grosses Feuerwerk. Welche Ehre daran
teilhaben zu dürfen.
GABRIEL
Wir teilen eure Freude. Nun müssen wir aber
weiterziehen, um noch die anderen Engel des Chors
und Orchesters zu informieren.
HIERONYMUS
Schade, dass ich euch nicht begleiten kann, aber ich
werde eure Mission aus der Ferne verfolgen (er nimmt
das Teleskop und klemmt es sich unter den Arm).
GABRIEL
Bis bald.
HIERONYMUS
Und gute Reise.
– 105 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
ENGEL LOGIKUS
Bis bald, gnädiger Herr Gabriel; bis bald, geehrter Herr
Hieronymus.
ENGEL AFFECTUS
Danke für Ihren Besuch (Gabriel und Hieronymus
gehen).
ENGEL PRAKTIKUS
Danke. (Sich an den logischen Engel wendend) Chef, das ist
großartig. Ich könnte vor Freude tanzen.
ENGEL LOGIKUS
Ich auch, nur… (Zögern).
ENGEL PRAKTIKUS
Ja?
ENGEL LOGIKUS
Ich hoffe, dass viele demütig genug sein werden, um
das Heil unseres Herrn anzunehmen.
ENGEL AFFECTUS
Hoffen wir es. Nichts wäre schlimmer, als wenn sie das
Werk Gottes zurückweisen würden. (Pause und
bekümmerte Gesichter der drei Musikerengel.)
ENGEL PRAKTIKUS
(Mit Enthusiasmus) Aber eins dürfen wir nicht
vergessen. Wenn sie das Evangelium annehmen…
ENGEL LOGIKUS
Ja?
ENGEL PRAKTIKUS
Wenn sie das Evangelium annehmen, dann werden wir
eines Tages alle diese Menschen hier bei uns begrüßen
können.
ENGEL AFFECTUS
Ja.
– 106 –
MISSION ERDE
ENGEL LOGIKUS
Sie werden hier all die Herrlichkeiten des himmlischen
Königreichs bestaunen können.
ENGEL PRAKTIKUS
Sie werden für immer bei uns leben.
ENGEL AFFECTUS
Ja, das wird lange dauern.
ENGEL LOGIKUS
SEHR lange.
– 107 –
FLUG 3001
– 109 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
HANDLUNGSORT
Die Handlung findet in moderner Zeit statt, in der
Kabine erster Klasse eines Linienflugzeugs. In ein paar
Tagen ist Weihnachten. Das Flugzeug bereitet sich zum
Start vor.
PERSONEN
DER ARME: Einfacher Mann, großmütig, gläubig.
DER REICHE: Materialistisch, hochmütig.
DIE GATTIN (des Reichen): Wie der Ehemann, kann
aber ihre Angst nicht verstecken sobald eine Gefahr
droht.
DER GEHOBENE ANGESTELLTE: Bereit zum Dialog,
denkt nach, schenkt nicht jedem Wort sein Vertrauen.
DAS KIND: Spontan, seine Fragen bewirken
Verlegenheit; sagt, was die anderen denken. Sein Name:
Christoph (oder Christine, wenn es sich um eine
Tochter handelt).
DIE MUTTER: gibt acht auf den guten Schein.
DIE STEWARDESS: Bleibt ihrer Rolle treu.
STIMME DES KAPITÄNS: Man hört nur seine Stimme;
er erscheint niemals auf der Bühne.
ANONYME STIMME, die den Schluss spricht.
DEKORATION, MATERIAL UND GERÄUSCHE
Sechs gleich aussehende Stühle, alle mit einem
Sicherheitsgurt ausgestattet; drei Sessel.
Ein Kostüm für die Stewardess.
Ein großes Paket in Geschenkpapier verpackt (zum
Beispiel 70x40x40 cm).
– 110 –
FLUG 3001
Geräusche: (1) Lärm der Triebwerke, (2) Gong für die
Durchsagen
(Erlaubnis
zum
Rauchen,
zum
Gurtfestmachen/-abnehmen), (3) Krachen (für die
Panne), (4) Schlussbotschaft (feierliche Stimme).
INSZENIERUNG
Die sechs Stühle sind paarweise in drei Reihen links auf
der Bühne aufgestellt, nicht parallel zum Bühnenrand,
sondern leicht diagonal, damit man die Passagiere
besser sehen kann. Die drei Sessel stehen rechts, im
Halbkreis. Ein virtueller Gang trennt die Stühle von den
Sesseln. Zu Beginn des Stücks nehmen die Passagiere
ihre Plätze ein (dann bereitet sich das Flugzeug zum
Start vor): in der ersten Reihe befinden sich das Kind
links (an einem virtuellen Fenster) und seine Mutter
rechts; in der zweiten Reihe sitzt der Angestellte links,
der Platz rechts ist frei; in der dritten Reihe sitzen der
Reiche und seine Gattin.
ERSTER AKT
EINLEITUNG DES ERZÄHLERS
Weihnachten. Weihnachten ist eine Zeit zum
Innehalten, eine Zeit zum Nachdenken, mitunter auch
eine Zeit um zu Reisen. All das können Sie mit unserem
Theaterstück unternehmen. Wir laden Sie ganz herzlich
zum „Flug 3001“ ein. Sie reisen natürlich in der
neuesten Errungenschaft der Wissenschaft und sogar in
der ersten Klasse, da es ja X ist, der Sie heute einlädt
(den Namen der veranstaltenden Organisation
angeben). Machen Sie von Ihrer Vorstellungskraft
gebrauch, und das Bühnenbild ist perfekt gestaltet. Der
Flug 3001 startet gleich. Willkommen an Bord!
– 111 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
(In der Dunkelheit: Geräusch eines Flugzeugs das
abhebt. Daraufhin wird das Licht allmählich heller; die
Passagiere sitzen auf ihren Stühlen; Gong und
Mikrofondurchsage der Stewardess.)
DIE STEWARDNESS
(Sie ist nicht sichtbar) Meine Damen und Herren, das
Rauchverbot gilt für den gesamten Flug. Wir bitten Sie,
sich des Rauchens zu enthalten, sei es auf ihrem Platz
oder in den Toiletten. Sie können jetzt ihren Gurt öffnen
und Ihren Sitz vorübergehend verlassen. (Bewegung bei
einigen Passagieren. Der Reiche und seine Gattin lassen sich
in den Sesseln nieder.)
DAS KIND
Mama, schau, ich habe den Gurt ganz alleine
aufbekommen; warte, ich kann dir helfen. (Pause, dann
den Reichen und seine Gattin in den Sesseln sehend) Oh! Ich
werde mich auch in einen Sessel setzen.
DIE MUTTER
(Sie hält ihr Kind zurück) Nein, Christoph, du kannst
nicht dorthin gehen.
DAS KIND
Und warum nicht?
DIE MUTTER
Du bist nur ein Kind.
DAS KIND
Na und? Ich kann mich benehmen; und ich werde
aufpassen, und nichts schmutzig machen.
DIE MUTTER
Ich habe nein gesagt.
DAS KIND
Aber ich werde niemanden stören.
– 112 –
FLUG 3001
DIE MUTTER
Christoph, darum geht es nicht. Dein Flugschein hat nur
die Hälfte von dem eines Erwachsenen gekostet. Das
heisst, dass du hier sitzen darfst, aber du kannst nicht
über Sessel verfügen.
DAS KIND
Das ist ungerecht. Ich doch mehr als ein halber
Erwachsener.
DIE MUTTER
Du bist mir das Liebste in der Welt. Übrigens, dein Platz
ist der beste. Du sitzt am Bullauge.
DAS KIND
Bullauge, was ist das?
DIE MUTTER
Das Fenster eines Flugzeugs. Schau, wie klein die
Häuser sind (sie lenkt seine Aufmerksamkeit um,
indem sie ihm die Landschaft zeigt).
DIE GATTIN
Glücklicherweise dürfen die Kinder nicht in die Sessel.
Die hüpfen so viel herum, dass man keinen Frieden
mehr hätte.
DER REICHE
Ich meine, dass Kinder in der ersten Klasse nichts zu
suchen haben. Ich brauche Frieden und Ruhe. Nach
unserer Ankunft muss ich mehrere Verträge
unterschreiben, die Millionen einbringen, und ich muss
im Besitz aller meiner Kräfte sein, um über die letzten
Einzelheiten verhandeln zu können.
DIE GATTIN
Vielleicht könnten sie eine „Superklasse“ einrichten.
Und dort wäre es absolut still.
– 113 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
DER REICHE
Ich wäre bereit, das Doppelte für solch einen Service zu
bezahlen.
ZWEITER AKT
(Die Stewardess tritt ein, gefolgt von dem Armen, der
ein großes Paket trägt.)
DIE STEWARDNESS
Hierher, mein Herr. Hier ist die Kabine erster Klasse.
Der Sitz 2 B ist frei.
DER ARME
(Verwundert pfeifend) Das ist gar nicht schlecht hier; so
etwas kann man schlecht ablehnen. Einen schönen
guten Tag, die Damen und Herren (niemand antwortet).
Guten Tag (Stille; der Reiche und seine Gattin wenden sich
ab; der Arme ist darüber etwas verdutzt). Wo kann ich das
Paket hinlegen?
DIE STEWARDNESS
Ich habe Ihnen schon gesagt, Sie werden es auf dem
Schoss halten müssen.
DER ARME
Ah, ich dacht, es würde hier genug Platz geben.
DIE STEWARDNESS
Mein Herr, die sperrigen Gepäckstücke müssten
eigentlich bei den Koffern sein.
DER ARME
Aber… dort könnte es beschädigt werden.
DER REICHE
(Aggressiver Ton) Solche Gepäckstücke sind nicht in den
Kabinen zugelassen.
– 114 –
FLUG 3001
DAS KIND
(Sich umdrehend) Mama, schau! Das große Paket!
DER ARME
(Schaut den Reichen und das Kind an) Na, jetzt geht es mir
schon viel besser. Die Leute hier können also doch
sprechen. Ich dachte, alle Welt sei taub und stumm hier
(der Reiche zuckt die Achseln und wendet sich wieder ab).
DAS KIND
Sie da, was haben sie denn da drin in ihrer Kiste?
DER ARME
Das ist eine Überraschung: ich will jemandem eine
Freude machen. Es ist ein Weihnachtsgeschenk.
DIE MUTTER
Christoph, lass den Herrn in Ruhe. Er möchte nicht
gestört werden.
DER ARME
Aber er stört überhaupt nicht. Christoph, das ist ein
schöner Name.
DAS KIND
Finden Sie?
DER ARME
Aber ja doch! Jedes mal wenn man dich ruft, spricht
man vom Retter der Welt.
DAS KIND
Von wem?
DER ARME
Vom Retter der Welt, dem Messias, Christus. Christ,
Christoph.
DAS KIND
Ach so!
– 115 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
DER ARME
Kennst du Jesus? Den Christus, den Sohn Gottes,
denjenigen, der in die Welt gekommen ist, um die
Menschen von ihren Sünden zu retten? Zu Weihnachten
feiert man seine Geburt.
DIE MUTTER
Christoph, ich habe dich gebeten den Herrn nicht zu
stören (die Mutter nimmt das Kind bei der Schulter
oder beim Arm und bringt es dazu sich zu setzen).
DER ARME
Aber er stört mich nicht. (Als er sieht, dass das Kind
verschwunden ist, zuckt der Arme die Achseln, und
versucht es sich auf seinem Platz gemütlich zu machen.
Das Paket ist ihm dabei immer im Weg. Er versucht es
auf seine Knie zu halten, dreht es hin und her, in dem
Versuch die beste Lage ausfindig zu machen.
Schließlich steht der Arme auf und legt das Paket auf
den freien Sessel.)
DER REICHE
(Wendet sich an den Armen) Was machen Sie da? Die
Stewardess hat Sie gebeten, es auf dem Schoss zu
halten.
DER ARME
Hier stört es doch niemanden, oder?
DER REICHE
Ja! Mich!
DER ARME
Warum?
DER REICHE
Weil….
DER ARME
Weil was?
– 116 –
FLUG 3001
DER REICHE
Weil… (Schweigen, dann) Es könnte sein, dass ich in ein
paar Minuten den Platz wechseln möchte.
DER ARME
Dann kann ich das Paket irgendwo anders hinlegen.
DER REICHE
Die Stewardess hat Sie gebeten, Ihr Gepäckstück auf
dem Schoss zu halten, also halten Sie es auf dem Schoss
(verärgerter Tonfall).
DER ARME
Man muss sich doch nicht gleich wegen so’ner kleinen
Sache aufregen. Ich will niemanden stören. Dann
behalte ich eben das Paket auf meinem Schoss. (Der
Arme lässt sich umständlich auf seinem Sitz nieder; der
höhere Angestellte macht sich ganz klein, da er zwischen dem
Fenster und dem Armen mit dessen Paket eingeklemmt ist.).
DER ANGESTELLTE
(Erhebt sich schließlich und fragt:) Mein Herr, würden Sie
mich bitte vorbei lassen? (Der Arme steht auf und macht
dem Angestellten Platz, der sich in den Gang stellt.) Wenn
es ihnen nichts ausmacht überlasse ich Ihnen gerne
meinen Sitzplatz. Sie können dann Ihr Paket ablegen.
Ich gehe zu dem Sessel dort drüben.
DER ARME
Das ist wirklich sehr liebenswürdig von Ihnen.
DER REICHE
(Wendet sich an den Angestellten) Warum haben Sie
das getan?
DER ANGESTELLTE
Mögen Sie Frieden? Ich auch; und manchmal muss man
ein Zugeständnis machen, um des lieben Friedens
Willen.
– 117 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
DER REICHE
Vielleicht haben Sie Recht (allgemeines Schweigen).
DER ARME
(Wendet sich an den Angestellten) Ganz gemütlich hier,
besonders ohne dieses Paket auf dem Schoss; wenn ich
gewusst hätte, dass es keine großen Schränke für mein
Geschenk gibt, hätte ich es bei meinen Koffern gelassen.
DER ANGESTELLTE
Fliegen Sie zum ersten Mal?
DER ARME
Ja, zum allerersten Mal; für so etwas habe ich kein Geld.
DER ANGESTELLTE
Und dann fliegen Sie auch noch in der ersten Klasse?
DER ARME
Die zweite war voll belegt. Und da sie einen Reisenden
zu viel an Bord hatten, haben sie mich gebeten, in der
ersten Klasse zu reisen.
DIE GATTIN
(Zu ihrem Mann) Sie hätten irgend jemand anderes
nehmen können.
DER ARME
Wegen meinem großen Paket haben sie sicher gedacht,
dass ich hier weniger stören würde, bei dem Platz. Ich
bin wirklich gesegnet.
DAS KIND
(Es hat sich seit einer Weile umgedreht und fragt nun
seine Mama) Was bedeutet „gesegnet“?
DIE MUTTER
Glück haben.
DER ARME
In der ersten Klasse reisen, und das gratis.
– 118 –
FLUG 3001
DER ANGESTELLTE
Gratis? Sie haben doch Ihren Flugschein in der
Touristenklasse bezahlen müssen.
DER ARME
Nein. Ich habe bei einem Wettbewerb gewonnen. Der
erste Preis eines Seifenherstellers war eine Flugreise in
der zweiten Klasse.
DER REICHE
Das ist mal wieder unsere Konkurrenz. Sie äffen uns
immer nach. Nur wir, wir verschenken eine Reise erster
Klasse. Qualität verpflichtet.
DER ANGESTELLTE
(Wendet sich an den Armen) Sie haben wirklich Glück:
eine kostenlose Flugreise, und jetzt sind Sie sogar in die
erste Klasse befördert worden. Sie haben vielleicht ein
Glück!
DER ARME
Man könnte vielleicht sagen, dass ich gesegnet bin.
DAS KIND
Mama, was bedeutet „gesegnet“?
DIE MUTTER
Glück haben.
DAS KIND
Aber der Herr mit dem großen Paket scheint zu sagen,
dass es nicht das Gleiche ist.
DIE MUTTER
Also ich sehe da keinen Unterschied; und dann ist das
alles unwichtig.
DAS KIND
Hallo, Sie da! Was ist das: „gesegnet“?
DIE MUTTER
Christoph!
– 119 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
DER ARME
Ich bin froh, dass du gute Fragen stellst. Siehst du,
Christoph, wenn Gott einem Menschen Gutes tut, dann
sagt man, dass dieser Mensch gesegnet ist. Gott gibt auf
jeden Menschen Acht, aber ganz besonders auf
diejenigen, die ihm ihr Vertrauen schenken.
DAS KIND
Und Sie haben Gott ihr Vertrauen geschenkt?
DIE MUTTER
(Sanfter) Christoph!
DER ARME
Aber sicher. Weil er der Ursprung alles Lebens ist, dann
ist es selbstverständlich dass er geehrt wird. Und dann
kommt noch etwas dazu: wenn man bedenkt, wie groß
seine Liebe zu uns ist, dann fällt es schwer, ihn nicht zu
lieben; und das Vertrauen ist dann etwas das ganz
Natürlich ist.
DER ANGESTELLTE
Und dann hat Gott Sie belohnt, und Ihnen eine Reise
erster Klasse organisiert (ironischer Tonfall).
DER REICHE
Um in der ersten Klasse zu fliegen brauche ich keinen
Gott. Wenn ich es will, kann ich mir diesen Luxus
täglich leisten.
DER ARME
Dieser Flug in der ersten Klasse ist nur eine kleine
Zugabe. Gott gibt mir viel mehr, und dies alle Tage
meines Lebens. Dinge, die sich der reichste Mann der
Welt nicht leisten kann.
DIE GATTIN
Ich möchte nicht neugierig sein. Aber darf man wissen,
wovon Sie reden?
– 120 –
FLUG 3001
DER ARME
Ich meine die innere Ruhe, Frieden; die Liebe zu
meinem Nächsten, eine feste Hoffnung was die Zukunft
betrifft.
DER REICHE
Mir gibt das Geld alle Sicherheit die ich brauche. Die
Liebe zum Nächsten ist nicht wichtig. Sie ist oft nichts
anderes als Schwäche. Zum inneren Frieden muss ich
sagen, das ich schon vor langer Zeit gelernt habe, meine
Gefühle zu unterdrücken.
DIE GATTIN
Da haben Sie es. Man kann auch gut ohne Ihren Gott
zurechtkommen.
DER REICHE
Ich habe alles, was ich zum Leben brauche, aber auch
ALLES, ALLES, wirklich ALLES (drückendes Schweigen).
DRITTER AKT
(Plötzlich flackert das Licht, geht aus und wieder an.
Unregelmässige Triebwerkgeräusche, die Passagiere
werden etwas hin und her geschüttelt, einige Ausrufe
wie: „Mein Gott, Mama, was geht hier vor sich, ich habe
Angst, iiieee“, dann kehrt Ruhe zurück.)
DIE GATTIN
Was war das, Liebling, was ist passiert?
DER REICHE
Keine Ahnung.
DIE GATTIN
Unternimm doch etwas. Wir haben das Recht zu wissen
was hier vorgeht. Wir fliegen erste Klasse.
– 121 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
DER REICHE
(Er ruft) Fräulein, Fräulein! Stewardess! Kommen Sie
oder was?
DER ANGESTELLTE
Regen Sie sich nicht so auf. Die hat jetzt zu tun. Wir
werden schon hören was los ist sobald sie es kann.
DER REICHE
(In heftigem Ton) Ich rege mich nicht auf, aber man hat
doch das Recht zu wissen was los ist. Fräulein!
Stewardess!
STIMME DES KAPITÄNS
(Gong für die Durchsage, dann Stimme des Kapitäns) Meine
Damen und Herren, hier spricht der Kapitän. Eines
unserer Triebwerke hat einige Störungen. Wir
versuchen den Schaden zu beheben, und sind
zuversichtlich, dass es uns bald gelingen wird. Unser
supermoderner Apparat ist so ausgerüstet, dass alle
Schäden behoben werden können. Es gibt keinen Grund
zur Sorge; in einigen Minuten ist alles wieder in
Ordnung.
DER REICHE
Siehst du, Liebling. Alles geht in Ordnung.
DAS KIND
Du, Mama, sagen sie die Wahrheit?
DIE MUTTER
Aber ja, mein Liebling, aber ja.
DAS KIND
Werden wir sterben?
DIE MUTTER
Aber nein. Du hast den Kapitän gehört. Unsere
Maschine ist die modernste; sie kann mit allen
Problemen fertig werden.
– 122 –
FLUG 3001
DAS KIND
Aber wenn das Flugzeug so gut ist, warum hat es
Probleme?
DIE GATTIN
(Wendet sich an die Mutter) Können Sie Ihr Kind nicht
zum Schweigen bringen? Seine Fragen machen mich
krank.
DIE STEWARDNESS
(Sie kommt im Laufschritt herein und knipst einen
Schalter an, dann macht sie kehrt.)
DER REICHE
Hallo! Fräulein! Was ist passiert? Ist alles wieder in
Ordnung?
DIE STEWARDNESS
(Außer Atem und mit einer gewissen Unruhe in der
Stimme) Alles ist in Ordnung; Sie brauchen sich keine
Sorgen zu machen, ES IST ALLES IN ORDNUNG
(betont die letzten Worte fast schreiend).
DAS KIND
Mama, schau: da ist Feuer auf dem Flügel.
DER ARME
Ein Triebwerk brennt! (Alle Passagiere stürzen auf die
Fenster zu).
DER REICHE
(Schreiend) Was ist los? Fräulein, was ist los?
DIE STEWARDNESS
Ich weiß es nicht, mein Herr. Wir haben noch nie
Probleme mit dieser Maschine gehabt. (Und fast
schreiend) Bleiben Sie ruhig, bewahren Sie Ruhe; jeder
kehre an seinen Platz zurück. Sobald wir mehr wissen,
geben wir Ihnen Bescheid. Entschuldigen Sie mich, aber
ich werde anderswo gebraucht. (Sie verlässt die Bühne)
– 123 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
DER REICHE
Ruhe bewahren! Ruhe bewahren! Das ist doch die
Höhe! Wir könnten alle sterben, und dann solle man die
Ruhe bewahren.
DIE GATTIN
(Sich an den Ehemann wendend) Sprich nicht von Sterben,
das macht mich krank.
DER ANGESTELLTE
Es könnte aber stimmen. Machen wir uns nichts vor.
DER REICHE
Man gibt ein Vermögen aus, nur um mit der letzten
Errungenschaft der Wissenschaft zu fliegen, und jetzt
sollen wir alle sterben.
DAS KIND
Mama, ich habe Angst (es beginnt zu schluchzen).
DER ARME
(Erhebt sich und ergreift die Hand des Kindes)
Christoph, hast du Angst?
DAS KIND
Ja, ich habe Angst.
DER ARME
Deine Angst ist verständlich. Aber hast du an
Weihnachten gedacht?
DAS KIND
An Weihnachten?
DER ARME
Ja, Weihnachten. An Weihnachten ist Gott zu den
Menschen gekommen. Er selbst ist Mensch geworden,
um uns zu helfen, um uns zu retten. An Weihnachten
sagt Gott uns, dass er die Menschen liebt, dich, mich,
alle Menschen, die Kinder und die Erwachsenen. In
Jesus ist das wie wenn Gott uns die Hand hält, um uns
zu helfen. Noch besser, er fasst unsere Hand um uns zu
– 124 –
FLUG 3001
führen, uns zu ermutigen, uns zu beschützen. Diese
Hand, die er einmal ergriffen hat, wird er keinen
Augenblick loslassen.
DAS KIND
Dann werden wir nicht sterben?
DER ARME
Derjenige, der die Hand Jesu ergreift, wird für immer
bei ihm bleiben, selbst wenn er sterben sollte, denn wir
müssen ja alle eines Tages sterben. Aber an dem Tag, an
dem er stirbt, wird Jesus nicht seine Hand loslassen, er
wird an seiner Seite bleiben.
DAS KIND
Wie das denn?
DER ARME
Jesus hat den Tod überwunden. Und er hat
versprochen, dass alle, die ihm Vertrauen schenken, den
Tod überleben werden. Jesus wird sie vom Tod ins
Leben zurückbringen und sie werden für immer bei ihm
sein.
DAS KIND
Für immer?
DER ARME
Für immer.
DIE MUTTER
Ihre Worte tun uns gut.
DER ARME
Sie sind wirklich wahr.
DER REICHE
Das ist doch alles ein Riesenquatsch!
DIE GATTIN
Liebling!
– 125 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
DER REICHE
Ja doch, Quatsch. Gott hilft niemandem. In diesem
Leben ist man selbst der Mann. Ich habe mich immer
alleine durchgeschlagen, und so meinen Platz an der
Sonne erobert.
DER ANGESTELLTE
Dieser Platz ist jetzt recht wackelig.
DER REICHE
Wie bitte?
DER ANGESTELLTE
Das Sie auf dem selbst eroberten Platz sitzen hilft ihnen
jetzt wenig.
DER REICHE
Sie Schlauberger. Wenn dieses Flugzeug abstürzt, wird
es Ihnen nicht besser gehen als mir.
DER ARME
Jetzt geht es mir nicht besser als Ihnen. Aber was
kommt später auf Sie zu?
DER REICHE
Wie, später?
DER ARME
In der Ewigkeit.
DER REICHE
In der Ewigkeit?
DER ARME
Was in der Ewigkeit stattfinden wird ist nicht das
gleiche für alle.
DER ANGESTELLTE
Wer weiss denn überhaupt, was in der Ewigkeit los sein
wird?
– 126 –
FLUG 3001
DER ARME
Jesus, der Christus, derjenige, der vom Himmel
gekommen ist und in den Himmel zurückgekehrt ist.
DIE MUTTER
Und was sagt er?
DER ARME
„Wer an mich glaubt, wird nicht sterben, sondern
besitzt ewiges Leben.“ Glaubt an Jesus Christus und ihr
werdet das ewige Leben haben.
DAS KIND
Das einfach zu glauben, ist das genug?
DER ARME
Zu glauben, dass er Leben schenken kann, ist alles was
man tun muss. Wer möchte ihm vertrauen?
DAS KIND
Ich.
DER ARME
Wer noch…?
VIERTER AKT
(Schweigen, die Schauspieler schauen einander an,
dann erstarren alle im gleichen Augenblick. Das Licht
geht langsam aus. In der Dunkelheit wird
folgendeBotschaft mit ernster Stimme über die
„Lautsprecher“ des Flugzeugs übertragen. Der Sprecher
bleibt unsichtbar.)
EINE ANONYME STIMME
Unsere Geschichte hört hier auf. Sie endet dort, wo
UNSERE Geschichte beginnt; denn unser Leben ist ein
Langstreckenflug, dessen Bestimmungsort und Dauer
– 127 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
uns nicht bekannt sind. Wohin gehen wir? Was ist der
Sinn des Lebens? Was erwartet uns nach dem Tod?
Unser Leben ist nicht nur voller Fragen. Wir fürchten
uns auch noch vor den Antworten. Weihnachten ist wie
ein Scheinwerfer in der Nacht. An Weihnachten
kommen wir nicht umhin als wir einmal an die Geburt
dessen zu denken, der den Tod überwunden hat.
Derjenige, der an Jesus Christus glaubt, wird nicht
sterben, sondern ewiglich leben. Wer möchte ihm
Vertrauen? Wenn Sie ihm Ihr Vertrauen schenken, dann
ist das so als sässen Sie in diesem Langstreckenflugzeug
das durch nichts von seinem Weg abgebracht werden
kann. Ihr Bestimmungsort ist sicher, denn der Kapitän
hat noch nie einen Fehler begangen, und wird es auch
in Zukunft nicht tun. Denn der Kapitän ist Jesus
Christus, der Sohn Gottes.
– 128 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
– 129 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
HANDLUNGSORT
Das Stück spielt im 21. Jahrhundert in einem
Industrieland, in dem Weihnachten gefeiert wird.
Der erste Akt spielt sich im Büro eines Industriellen ab,
aber die Bühnenaustattung kann sehr einfach sein: ein
Bürotisch und zwei Stühle. Die Bühne könnte auch ganz
ohne Möbel sein.
Der zweite Akt spielt in einem Maleratelier. Drei
Staffeleien werden auf der Bühne gebraucht. Es ist
ihnen freigestellt weitere Gegenstände, die in einem
Atelier vorzufinden sind, zu benutzen.
PERSONEN
HERR REICHARD
Ein Industrieller, erster Vorsitzender der Gesellschaft
„Vereinte Armbanduhren AG“. Sorgt sich um nichts
weiter als um seine Gewinne, Materialist. Er ist wie ein
Geschäftsmann gekleidet: Krawatte, Anzug.
FRIEDHELM
Herr Reichards Sekretär. Möchte keinen Ärger;
beschwichtigend. Gut gekleidet, aber nicht so chic wie
sein Arbeitgeber. Die Krawatte muss nicht sein.
HERR SCHWARZ, MALER
Engagierter Christ. Von Natur aus enthusiastisch.
HERR WEISS, MALER
Idealist, mag alles Religiöse; er lebt in seiner eigenen
Welt.
HERR KREUZ, MALER
Engagierter Christ. Möchte den Dingen auf den Grund
gehen.
JOSEPHINE
Raumpflegerin. Nüchtern.
– 130 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
Das Geschlecht der Schauspieler ist unwichtig. Eine
Frau kann die Rolle des Industriellen besetzen, die dann
„Frau“ REICHARD sein wird. Eine Frau kann auch
Friedhelms Rolle übernehmen, die dann den
Vornahmen „Frida“ erhält. Was die Rolle der
Raumpflegerin betrifft, kann sie auch von einem Mann
besetzt werden (Da es eine Weihnachtsaufführung ist,
sollte man es vermeiden ihn „Joseph“ zu nennen).
ERSTER AKT
EINLEITUNG DES ERZÄHLERS
Das Stück besteht aus zwei Akten. Die Handlung hätte
in den letzten Wochen irgendwo in Deutschland (oder
der Schweiz) stattfinden können. Sie beginnt im Büro
eines Industriellen (der Vorhang geht auf).
HERR REICHARD
(Er geht auf und ab und überlegt laut) Nur nichts dem
Zufall überlassen. Also, es bleiben uns noch vier
Monate. Wir dürfen jetzt keine Zeit mehr verlieren.
FRIEDHELM
(Kommt leise herein) Hm! Herr REICHARD. Sie haben
mich gerufen?
HERR REICHARD
Treten Sie ein, Friedhelm. Ich denke gerade über das
Projekt „Dreifacher Dezember“ nach. Sie wissen doch,
worum es sich handelt?
FRIEDHELM
Um Ihren Wunsch, den Umsatz im Monat Dezember zu
verdreifachen.
HERR REICHARD
Das ist mehr als ein Wunsch. Das ist eine Strategie. Im
vergangenen Jahr haben wir im Dezember 25% unseres
– 131 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
Jahresumsatzes gemacht. Dieses Jahr müssen wir uns
unbedingt bis auf 30 % steigern.
FRIEDHELM
Das wird nicht leicht sein bei dieser Rezession.
HERR REICHARD
Leicht, auf keinen Fall. Aber mit
Öffentlichkeitsarbeit ist alles möglich.
einer
guten
FRIEDHELM
(Ungläubig) Ist alles möglich?
HERR REICHARD
(Friedhelm bleibt träumerisch) Das, was wir tun müssen,
ist, unserem Produkt die Weihnachtsstimmung
anzuheften.
FRIEDHELM
Si wollen unserem Produkt die Weihnachtsstimmung
anheften?
HERR REICHARD
Ja, die Weihnachtstimmung. Unser Produkt muss ganz
eng mit Weihnachten verbunden werden. Der
Weihnachtsduft muss unser Produkt förmlich
durchdringen.
FRIEDHELM
(Ungläubig) Wie soll denn der Weihnachtsgeist unser
Produkt durchdringen?!
HERR REICHARD
Durch eine Art von transzendentaler Salbung.
(Enthusiastisch) Unser Absatz wird sich vervielfachen.
Vielleicht werden wir sogar die 30 % überschreiten.
FRIEDHELM
Und wie werden Sie Ihre ARMBANDUHREN mit der
Weihnachtsstimmung „salben“?
– 132 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
HERR REICHARD
Ich werde nichts mit den Uhren machen. Das Produkt
ist eigentlich unwichtig. Alles hängt von der
Öffentlichkeitsarbeit ab. Mit einer guten Werbung
verkauft man alles was man will.
FRIEDHELM
(Erstaunt) Alles, wirklich?
HERR REICHARD
Wir müssen sofort herausfinden wo der Ursprung des
Weihnachtsfestes ist. Dann verbinden wir die Uhren mit
der wahren Weihnachtsstimmung, und die Sache ist
gelaufen!
FRIEDHELM
(Zögernd) Und was wissen Sie über den Ursprung des
Weihnachtsfestes?
HERR REICHARD
Die Jahreszahl ist ganz unwichtig. Von Bedeutung ist es
das Wesen des Weihnachtsfestes zu erkennen, seinen
Ursprung.
FRIEDHELM
So wie ich Sie kenne, haben
Nachforschungen getrieben.
Sie
schon
Ihre
HERR REICHARD
Genau.
FRIEDHELM
Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen?
HERR REICHARD
(Langsam) Weihnachten feiert man in der Schweiz, in
Frankreich, in Deutschland, in…
FRIEDHELM
(Schneller)… in Italien, in Spanien…
– 133 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
HERR REICHARD
In den USA, in einigen afrikanischen Ländern.
FRIEDHELM
Ja und?
HERR REICHARD
Aber in Indien, in Japan und in Saudiarabien wird
Weihnachten nicht gefeiert.
FRIEDHELM
Ja und?
HERR REICHARD
Was ist allen Ländern, die Weihnachten feiern, gemein?
FRIEDHELM
Tja… (Zögern)
HERR REICHARD
Es sind alle christliche Länder.
FRIEDHELM
Ja.
HERR REICHARD
Weihnachten ist eng mit dem Christentum verknüpft.
Weihnachten ist eine Creation, eine Schöpfung des
Christentums. Folglich muss unsere Werbung
irgendwie einen christlichen Hauch erhalten.
FRIEDHELM
Interessant.
HERR REICHARD
Dann wird es genügen, unsere Armbanduhren in
diesem christlichen Rahmen zu präsentieren, und der
Verbraucher verknüpft dann unweigerlich die Uhr mit
Weihnachten.
– 134 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
FRIEDHELM
Wer Ihre Armbanduhr kauft, erwirbt auch ein Stück
Weihnachten.
HERR REICHARD
Genau. Und jetzt, wo Sie meine Idee verstanden haben,
müssen wir einige Künstler ausfindig machen, die vom
christlichen Geist durchdrungen sind.
FRIEDHELM
(Das Publikum anschauend) Das dürfte nicht allzu schwer
sein.
HERR REICHARD
Wir werden jedem den gleichen Auftrag geben: die
Weihnachtsstimmung in einem Gemälde einfangen.
FRIEDHELM
… und wir werden dann das Beste auswählen.
HERR REICHARD
…und wir legen einige unserer prächtigen
Armbanduhren daneben. (Stolz schaut er seine
Armbanduhr an) Sie sind einfach prächtig, nicht wahr?
FRIEDHELM
Gewiss.
HERR REICHARD
Es sind die besten. Sie verkaufen sich gut.
FRIEDHELM
Davon bin ich überzeugt. Aber die Qualität Ihrer
Armbanduhren ist doch ganz unwichtig (erstaunter Blick
von Herr REICHARD), denn mit der richtigen Werbung
verkauft man alles.
HERR REICHARD
(Genervt) Gehen Sie, verschwinden Sie. Und sagen Sie
auch den Künstlern, dass es nicht nur ein Bild sein soll,
das die Weihnachtsstimmung vermittelt, sondern auch
– 135 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
ein Bild, das überdurchschnittlich
überraschendes Bild.
gut
ist,
ein
FRIEDHELM
Überraschend?
HERR REICHARD
Ja, es soll das Auge des Verbrauchers anziehen.
(Das Licht geht aus (oder die Schauspieler verlassen die
Bühne). Ende des ersten Akts. Neues Bühnenbild.)
ZWEITER AKT
ERZÄHLER
Acht Tage später in dem Arbeitszimmer von Herrn
REICHARDS Fabrik.
(Die Bühne erhellt sich, die drei Maler arbeiten, jeder an
seinem Bild. Sie stehen so, dass ihre Malereien nicht
vom Publikum gesehen werden können.)
MALER WEISS
(Er radiert mit aller Kraft an seinem Bild, ruft dann)
Josephine, Fräulein Josephine, können Sie mir drei neue
Radiergummis bringen?
JOSEPHINE
(Sie tritt ein und bringt Herrn Weiss die gewünschten
Sachen) Hier. (Herr Weiss nimmt die Radiergummis
entgegen und radiert weiter an seinem Bild) Sie könnten
sich bedanken. (Herr Weiss wirft ihr einen kurzen Blick
zu, ohne mit dem Radieren aufzuhören) Bei dem
Tempo, in dem Sie radieren, werden Sie alle
Radiergummis in der nächsten halben Stunde
verbrauchen. Sie haben von Anfang an nichts anderes
getan als: radieren, radieren, radieren.
– 136 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
MALER WEISS
Irrtum. (Er macht eine Pause in seinem Radieren, erhebt
sich, geht zu Maler Kreuz, borgt sich von ihm einen
sauberen Pinsel, benutzt die Palette von Herrn Kreuz,
um den Pinsel mit einer Farbe zu versehen, kehrt zu
seinem Bild zurück, macht dort einen Farbtupfer auf
seine Leinwand, gibt den Pinsel an Maler Kreuz zurück,
krempelt seine Ärmel hoch und beginnt zu radieren)
JOSEPHINE
Ein kleiner weißer Punkt auf einem weißen Blatt! Man
kann sich schon fragen, wann Sie endlich mit dem
Malen anfangen?
MALER WEISS
Ich bin schon sehr bald fertig.
JOSEPHINE
Was?
MALER SCHWARZ
(Wechselt das Thema) Fräulein Josephine, können Sie mir
einen Topf mit schwarzer Farbe und einen mit gelber
Farbe bringen?
JOSEPHINE
Ja (sie verlässt Herrn Weiss kopfschüttelnd und nähert
sich Herrn Schwarz).
MALER SCHWARZ
Schwarz S-207 und Gelb G-35.
JOSEPHINE
Schwarz S-207 und welches Gelb?
MALER SCHWARZ
G-35. Nehmen Sie die beiden leeren Töpfe. Ich benötige
die Farben die diesen Nummern entsprechen.
JOSEPHINE
Sie haben zwei Farbtöpfe geleert?
– 137 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
MALER SCHWARZ
Der Hintergrund, Fräulein, der Hintergrund. Schwarz
für den Hintergrund, ein dickes Schwarz für das ganze
Bild und hier die Motive in Gelb: die Farbe des Lichts,
der Hoffnung, des Lebens.
JOSEPHINE
Ach so.
MALER SCHWARZ
Die Farben haben symbolischen Charakter. Gelb strahlt
wie das Licht, und zeugt vom Leben und der Hoffnung.
JOSEPHINE
Und die schwarze Farbe?
MALER SCHWARZ
Schwarz steht für den Tod.
JOSEPHINE
Brr (leicht ängstlich).
MALER SCHWARZ
Das Gelb durchdringt den schwarzen Hintergrund. Das
Licht vertreibt die Finsternis.
JOSEPHINE
Interessant (macht sich bereit, mit den zwei leeren
Töpfen hinauszugehen, als Herr Kreuz sie ruft).
MALER KREUZ
Wenn Sie schon Farbe holen, können Sie mir doppeltes
Rot R2 bringen? Ich habe meinen ersten Topf fast
geleert.
JOSEPHINE
Doppeltes Rot R2?
MALER KREUZ
Rot extrarot.
– 138 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
JOSEPHINE
(Besorgt studiert sie die Gesichtszüge von Herrn Kreuz)
Was ist mit ihnen, ist Ihnen nicht wohl?
MALER KREUZ
Es geht schon.
JOSEPHINE
Sie sind ganz rot.
MALER KREUZ
(Er betastet sein Gesicht) Ich schwitze ein wenig, diese
Wärme.
JOSEPHINE
Entspannen Sie sich. Lassen Sie sich etwas Zeit.
MALER KREUZ
Unmöglich. Ich bin ganz von meinem Thema ergriffen.
JOSEPHINE
Das versetzt Sie in einen solchen Zustand?
MALER KREUZ
Wie sollte man dabei gleichgültig bleiben können!
(Josephine zuckt die Achseln und verlässt die Bühne)
(Wenig später treten Herr REICHARD und Friedhelm
ein)
FRIEDHELM
Meine Damen, meine Herren (die Begrüssung dem
Geschlecht der Maler anpassen). Ich stelle Ihnen Herrn
REICHARD vor, den Direktor unserer Gesellschaft
„Vereinte Armbanduhren AG“.
DIE DREI MALER
Sehr erfreut.
FRIEDHELM
Herr REICHARD kommt, um zu sehen, wie Sie mit
Ihren Projekten vorankommen.
– 139 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
MALER SCHWARZ
Aber ich bin doch noch gar nicht fertig.
HERR REICHARD
Machen Sie sich nichts daraus. Lassen Sie sich Zeit. Ich
komme nur, um mir über Ihre Arbeiten ein Bild zu
machen.
FRIEDHELM
(Vertraulich zu Herrn REICHARD) Jeder hat ein anderes
Motiv gewählt.
HERR REICHARD
Das ist sehr gut. Unsere Künstler sollen versuchen
durch alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel die
Weihnachtsstimmung einzufangen.
FRIEDHELM
Herr Schwarz ist am Weitesten vorangeschritten.
MALER SCHWARZ
Der Hintergrund und die Hauptpersonen sind fertig,
aber ich muss noch einige Einzelheiten ausarbeiten.
FRIEDHELM
Beeindruckend, diese Farben. Eine Krippe, wenn ich
mich nicht täusche.
MALER SCHWARZ
Das ist richtig.
FRIEDHELM
Trotz der vielen Symbole tritt das Zentralmotiv sehr gut
hervor.
MALER SCHWARZ
Danke.
FRIEDHELM
Es ist grossartig. Was
REICHARD?
halten
– 140 –
Sie
davon, Herr
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
HERR REICHARD
Ergreifend. Diese Farben! Einfach … ergreifend.
FRIEDHELM
(Zu Herrn REICHARD gewandt) Er ist sehr bekannt für
die gelungenen Farbeffekte.
MALER SCHWARZ
Das Gelb auf schwarzem Hintergrund ist das Licht, das
die Finsternis vertreibt. Das ist das Weihnachtsmotiv:
Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, um die
Menschen von ihren Sünden zu erretten.
HERR REICHARD
Sehr gelungen.
MALER SCHWARZ
Weihnachten ist wirklich ein außerordentliches Fest.
Bedenken Sie nur: Gott ist Mensch geworden und ist auf
die Erde gekommen, um uns zu retten. Sie und mich
und alle Menschen. Ist das nicht außerordentlich? (Der
Künstler hüpft oder tanzt vor Freude)
HERR REICHARD
Ich sehe, dass Sie wirklich in Ihrem Thema aufgehen.
MALER SCHWARZ
Von ganzem Herzen (tanzt oder hüpft immer noch). Gott
ist in unsere Welt gekommen. Das Licht hat in der
Finsternis geleuchtet. (Der Künstler bleibt plötzlich still
stehen und schaut Herrn REICHARD an) Sie sehen
besorgt aus, Herr REICHARD. (Leicht beunruhigt) Sie
glauben doch an die Botschaft von Weihnachten?
HERR REICHARD
(von der Frage überrascht, ein wenig verlegen) Aber ja doch,
ja, sicher,… wie alle Menschen.
MALER SCHWARZ
Wie alle Menschen? Also glauben Sie nicht.
– 141 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
HERR REICHARD
(Leicht aggressiv) Wie das?
MALER SCHWARZ
Die Menschen feiern Weihnachten für die Geschenke,
nicht für Jesus. Jeder denkt nur an sich selbst,
bestenfalls an seine kleine Familie. Weihnachten ist
nicht mehr das Fest des Retters der Welt, sondern ist
das Fest des Geldes, das Fest der Geschäftsleute
geworden.
HERR REICHARD
(NOCH AGGRESSIVER) DAS REICHT JETZT. ICH HABE SIE NICHT
ANGESTELLT, UM REDEN ZU SCHWINGEN, SONDERN UM ZU MALEN.
MALER SCHWARZ
Mein Gemälde vermittelt eine Botschaft. Es möchte
aussagen, dass das Leben in diese Welt gekommen ist.
FRIEDHELM
Ja, wir haben verstanden.
MALER SCHWARZ
Also gefällt Ihnen mein Gemälde?
HERR REICHARD
Es gefällt mir, aber es eignet sich nicht für mein
Vorhaben.
MALER SCHWARZ
Warum?
HERR REICHARD
Zu klassisch.
MALER SCHWARZ
Zu klassisch?
HERR REICHARD
Ja, diese Darstellung einer Krippe.
MALER SCHWARZ
Sie ist aber doch grundlegend.
– 142 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
HERR REICHARD
Aber nicht sehr originell.
FRIEDHELM
Trotz der Symbolik?
HERR REICHARD
Trotz der Symbolik.
MALER SCHWARZ
Früher war eine Krippenszene vielleicht nicht sehr
originell, aber heute sieht man sie so gut wie nirgendwo
mehr. Die Schaufenster sind voller Weihnachtsmänner,
Weihnachtstannen und dem ganzen Krimskrams den
man zu Weihnachten den Menschen unterjubeln
möchte.
HERR REICHARD
Sie haben nicht ganz Unrecht.
MALER SCHWARZ
Ich habe sogar Recht.
HERR REICHARD
Vielleicht, aber Ihr Bild ist zu klassisch. Es hebt sich
nicht genug von den bekannten Weihnachtsklischees
ab.
MALER SCHWARZ
Es gefällt Ihnen nicht?
HERR REICHARD
Sagen wir, dass ich es nicht zu dem gewünschten
Zweck gebrauchen kann.
FRIEDHELM
(An Herrn Schwarz gewandt) Auf jedem Fall danken wir
Ihnen für all Ihre Mühe und ich bin sicher, dass Sie
einen Abnehmer für ein solch gutes Werk finden
werden.
– 143 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
MALER SCHWARZ
(Leicht traurig) Danke.
HERR REICHARD
(Nickt Herrn Schwarz zu, dann sagt er zu Friedhelm) Dann
wollen wir uns eines der anderen Kunstwerke ansehen.
(Er kommt zum Bild von Herrn Weiss, sagt dann erstaunt)
Sie haben ja noch gar nicht angefangen!
MALER WEISS
Ich bin fertig.
HERR REICHARD
Aber die Leinwand ist ganz weiß.
MALER WEISS
Sie haben es erfasst.
FRIEDHELM
Sie machen sich über uns lustig.
MALER WEISS
Ich meine es sehr ernst.
HERR REICHARD
Da verlange ich aber eine Erklärung.
MALER WEISS
Weihnachten, das ist genau so wie ich es dargestellt
habe.
HERR REICHARD
Eine weiße Leinwand!
JOSEPHINE
(Inzwischen ist sie mit einigen
zurückgekehrt)
Sie haben den Schnee darstellen wollen?
MALER WEISS
Nein. Die Hoffnung!
MALER SCHWARZ
Die Hoffnung! Welche Hoffnung?
– 144 –
Farbeimern
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
MALER WEISS
Die Hoffnung. Die GANZ GROSSE HOFFNUNG.
FRIEDHELM
Was meinen Sie damit?
MALER WEISS
Alles.
MALER SCHWARZ
Nämlich?
MALER WEISS
Ich kann nichts weiter dazu sagen. Worte würden nur
mein ganzes Konzept verstümmeln.
JOSEPHINE
Verstümmeln? Aber da ist doch gar nichts zu
verstümmeln!
HERR REICHARD
Und das da ist die christliche Hoffnung?
MALER WEISS
Zum Beispiel.
FRIEDHELM
Das haben Sie alles beim Lesen der Bibel entdeckt?
MALER WEISS
Nein.
FRIEDHELM
Aber Sie haben doch die Bibel gelesen?
MALER WEISS
Nein.
FRIEDHELM
Aber ich habe Sie gebeten, die biblischen Berichte zu
lesen, damit Sie von der Weihnachtsstimmung ergreifen
werden.
MALER WEISS
Ich weiß.
– 145 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
FRIEDHELM
Und Sie haben es nicht getan?
MALER WEISS
Nein. Wozu denn auch?
FRIEDHELM
Wegen der geistlichen Stimmung, dem Hauch von
tausenden von Jahren Christentum
MALER WEISS
Diese Stimmung kann man nicht verspüren.
HERR REICHARD
Warum nicht?
MALER WEISS
Es gibt viel zu viele unterschiedliche Interpretationen.
MALER SCHWARZ
Sie kennen also unterschiedliche Interpretationen?
MALER WEISS
Genau.
MALER SCHWARZ
Und sie wissen das ohne jemals die Bibel gelesen zu
haben?
FRIEDHELM
Ja, wie können Sie das wissen?
MALER WEISS
Ich weiß es einfach.
HERR REICHARD
Woher?
MALER WEISS
Ich weiß es. Alle Religionen sind gleich. Warum soll
man sich da mit den Details aufhalten? Das kann doch
nur das Konzept der Hoffnung beeinträchtigen. Man
soll nicht immer alles verstehen wollen. Glaube genügt,
glauben Sie einfach.
– 146 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
FRIEDHELM
Und was soll ich glauben?
MALER WEISS
Stellen Sie nie Fragen, sondern glauben Sie einfach
(Herr Weiss versenkt sich wieder in seine Arbeit und
beginnt zu radieren).
HERR REICHARD
Er hat Recht: es nütz nichts Fragen zu stellen, wir
kommen sowieso nicht weiter.
MALER SCHWARZ
Sein Universum ist ein einziges Vakuum.
FRIEDHELM
(An Herrn REICHARD gewandt) Ich denke das dieses
„Meisterstück“, wenn man es so nennen kann, nicht zu
Ihrem Konzept passt.
HERR REICHARD
Es ist originell.
JOSEPHINE
Das ist aber auch schon alles, was man dazu sagen
kann.
FRIEDHELM
Originell, aber ein wenig leer. Und der Bezug zu
Weihnachten ist nicht sehr offensichtlich.
MALER SCHWARZ
Es gibt gar keinen Bezug.
HERR REICHARD
Dann wollen wir zu dem dritten Künstler gehen. (Er
nähert sich dem dritten Bild und erschrickt stark). Ja was!
FRIEDHELM
(An Herrn REICHARD gewandt) Ist alles OK?
– 147 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
HERR REICHARD
(Er fängt sich wieder und nähert sich Herrn Kreuz)
Aber was haben Sie da gemalt?
MALER KREUZ
Eine Hand.
HERR REICHARD
Das sehe ich auch.
MALER KREUZ
Eine durchbohrte Hand.
MALER SCHWARZ
Durchbohrt von einem Nagel.
JOSEPHINE
Und überall dieses Rot.
MALER KREUZ
Das Rot des Blutes.
HERR REICHARD
Dann habe ich mich also nicht getäuscht.
FRIEDHELM
… und deshalb sind Sie so stark erschrocken?
JOSEPHINE
Dazu besteht ja Grund genug.
FRIEDHELM
Eine von einem Nagel durchbohrte Hand, eine von Blut
umgebene Hand.
JOSEPHINE
Ergreifend.
MALER SCHWARZ
Bemerkenswert.
HERR REICHARD
Und was stellt diese Hand, der Nagel und das Blut dar?
– 148 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
MALER KREUZ
Die Kreuzigung Jesu. Jesus ist am Kreuz gestorben, sein
Blut hat er vergossen.
JOSEPHINE
Ich verstehe.
HERR REICHARD
Und was hat das mit Weihnachten zu tun? Wenn ich
mich noch recht an den Religionsunterricht erinnere,
dann ist Jesus an Ostern gestorben und nicht an
Weihnachten.
MALER KREUZ
Das ist richtig.
FRIEDHELM
Ich habe Sie doch gebeten, ein Bild zu malen das etwas
mit Weihnachten zu tun hat.
MALER KREUZ
Das ist richtig, und das habe ich auch getan.
HERR REICHARD
Da komme ich nicht mehr mit.
JOSEPHINE
Ich auch nicht.
MALER KREUZ
Sie dürfen nicht Weihnachten von Ostern trennen.
HERR REICHARD
Wieso? Unterscheiden Sie nicht zwischen Weihnachten
und Ostern?
MALER KREUZ
Nein, sie gehören zusammen. Als ich die Berichte von
der Geburt zu lesen begann, war ich so von der
Geschichte ergriffen, dass ich einfach nicht aufhören
konnte. Ich habe gelesen und gelesen, bis zum Schluss.
Bis zum Tod Christi am Kreuz.
– 149 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
FRIEDHELM
UND DAS SCHLUSSBILD HAT SICH BEI IHNEN FESTGESETZT.
MALER KREUZ
Ich bin bei dem ausdruckstärksten Bild aus dem Leben
Jesu geblieben. Wenn man das Evangelium aufmerksam
liest, erkennt man, dass der ganze Lebensbericht so
aufgebaut ist, das alles zum Tod Jesu hin führt.
JOSEPHINE
Alles führt zum Tod Jesu hin?
MALER KREUZ
Ja, als Jesus in die Welt gekommen ist, als er Mensch
geworden ist, dann war das nur deshalb, weil er von
Anfang an die Absicht hatte, an unserer Stelle zu
sterben.
FRIEDHELM
Und dessen sind Sie sich sicher?
MALER KREUZ
Lesen Sie doch die Texte selbst. Er ist gekommen, um
uns zu retten.
MALER SCHWARZ
Das ist sicher.
MALER KREUZ
Die Weihnachtsgeschichten bestätigen es.
MALER SCHWARZ
Das ist die Weihnachtsfreude.
MALER KREUZ
Wie hätte Jesus die Menschen retten können, ohne ihre
Schuld auf sich zu nehmen? Er ist an unserer Stelle
gestorben. Das ist der Grund seiner Menschwerdung.
Das war sein Projekt von seinem Aufbruch an.
FRIEDHELM
Interessant.
– 150 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
MALER KREUZ
Die Lebensgeschichte Jesu ist ein Ganzes. Man kann
nicht nur ein kleines Bisschen davon nehmen und den
Rest links liegen lassen.
MALER SCHWARZ
Viele Menschen tun aber genau das.
MALER KREUZ
Sie verstümmeln das Bild von Jesus; sie verändern es.
Für viele Menschen ist Jesus kaum mehr als ein kleines
Baby.
MALER SCHWARZ
Dabei ist er der Retter der Welt.
MALER KREUZ
Das ist es, was ich mit der gekreuzigten Hand
ausdrücken wollte.
MALER SCHWARZ
Genial.
JOSEPHINE
Ergreifend.
FRIEDHELM
Originell (an Herrn REICHARD gewandt).
HERR REICHARD
(ZÖGERND) ORIGINELL, JA. ERGREIFEND, JA.
MALER SCHWARZ
Hier besteht eine Beziehung zu Weihnachten.
HERR REICHARD
Zu Weihnachten, vielleicht.
MALER SCHWARZ
Es ist das beste Bild
HERR REICHARD
Kann schon sein.
– 151 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
FRIEDHELM
Dann nehmen Sie es?
HERR REICHARD
Absolut nicht. (An Lacroix gewandt) Ihr Bild ist originell,
ergreifend, und es besteht ein Bezug zu Weihnachten,
wenn Sie meinen. Aber dieses Bild gefällt mir nicht. Es
erschreckt mich. Das Blut, dieses Blut, das da fließt, und
dieser Nagel, der die Hand durchbohrt. Dieses ganze
Leiden. Sie meinen doch nicht, dass die Leute meine
Armbanduhren kaufen werden weil solche Gedanken in
ihnen wach gerufen werden?
FRIEDHELM
Wahrscheinlich nicht.
HERR REICHARD
Sie werden nichts kaufen. Denken Sie nur mal nach!
Eine meiner Armbanduhren am Handgelenk eines
Gekreuzigten! Nein. Kein Mensch würde meine
Produkte kaufen. Ich benötige einen Werbeträger, der
die Anmut, die Zärtlichkeit, das Wohlbefinden, die
Behaglichkeit ausdrückt.
Wenn man die Menschen überzeugen möchte ein
Vermögen auszugeben, dann werden sie das niemals
tun wenn Für sie damit das Gefühl des Leidens
verbunden ist.
MALER KREUZ
Sie haben mir nichts über diesem Aspekt gesagt.
HERR REICHARD
Ich dachte, dies verstehe sich von selbst. Ich pfeife auf
Weihnachten. Alles, was ich will, ist, meine
Armbanduhren zu verkaufen und davon sogar viele
verkaufen.
FRIEDHELM
Sie werden kein Bild behalten?
– 152 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
HERR REICHARD
Auf keinen Fall das letzte. (Er zeigt auf das Bild von
Maler Kreuz, dann dreht er sich nach demjenigen von
Maler Schwarz um.) Das erste ist schön, aber zu
klassisch. (Er wendet sich demjenigen von Maler Weiss
zu, dreht es in alle Richtungen, dann) Vielleicht könnte
dieses hier von Nutzen sein.
JOSEPHINE
Das weiße Bild? Aber es ist ganz und gar leer!
HERR REICHARD
Eben, wenn ich mitten in dieses Bild eine meiner
Armbanduhren aufhänge, dann richten sich alle Blicke
auf das Objekt. Die Menschen werden die ganze
Schönheit meiner Uhren erkennen. Die grosse Leere
schaffen, um nichts als nur die Armbanduhr zu sehen.
Die Idee ist nicht schlecht.
MALER WEISS
(Erwacht aus seiner Erstarrung) Aber das ist es nicht, was
ich ausdrücken wollte.
HERR REICHARD
Das ist nicht wichtig, ich werde Sie gut bezahlen.
JOSEPHINE
Ein weißes Blatt bezahlen!
HERR REICHARD
Fertig mit dem Gerede, meine Entscheidung ist gefallen
(Herr REICHARD nimmt das weiße Bild, übergibt es
Michel und verlässt dann die Bühne).
(Das Stück kann hier enden. Die anderen Schauspieler
verlassen nun auch die Bühne, überrascht und verärgert
über die Entscheidung des Industriellen.)
– 153 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
ZWEITER SCHLUSS
(Es könnte noch eine Szene folgen. Josephine bleibt
alleine auf der Bühne.)
JOSEPHINE
Das sind doch alles Spinner! Ich frage mich wer von den
Beiden der Grösste ist: der Sieger des Wettbewerbs oder
Herr REICHARD. Der eine malt das grosse Nichts und
der andere will an das grosse Geld kommen. Eigentlich
sind beide arm dran. (Beim Reden räumt sie auf) Schade,
dass sie mich nicht nach meiner Meinung gefragt haben.
(Als sie plötzlich auf den Papierkorb (Abfalleimer) stösst, geht
sie hin und her und betrachtet ihn von allen Seiten.) Ich
glaube, ich habe hier ein gutes Symbol für Weihnachten.
(Sie stellt den Mülleimer gut sichtbar, mitten auf der Bühne
hin. Sie hält sich die Nase zu weil irgend etwas schlecht
riecht. Schließlich legt sie einen Schal darauf.)
FRIEDHELM
(Während Josephine den Schal zurechtzupft, kehrt
Michel zurück, um etwas zu suchen. Josephine sieht ihn
nicht. Michel beobachtet die Frau, dann) Aber was
machen Sie da?
JOSEPHINE
(Plötzlich auffahrend, dann) Ich stelle Weihnachten dar.
JOSEPHINE
Ein Mülleimer?
JOSEPHINE
Ein Mülleimer mit einer Kinderdecke.
FRIEDHELM
Aha!
JOSEPHINE
Weihnachten in unserer Gesellschaft ist vom Gott des
Materialismus geprägt. Nie sind die Mülleimer so voll
– 154 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
wie zu Weihnachten. Das da ist Weihnachten (sie zeigt
auf den Mülleimer).
FRIEDHELM
Und die Decke?
JOSEPHINE
Beim echten Weihnachten dreht sich alles um das
Kommen des Sohnes Gottes in unsere Welt, nicht wahr?
FRIEDHELM
Ja.
JOSEPHINE
Aber der Messias ist nicht mit Krawatte und Anzug
gekommen (sie berührt geringschätzig die Krawatte von
Michel), noch weniger mit einer Königskrone auf dem
Kopf. Er ist in einem Stall geboren worden. Stellen Sie
sich so etwas einmal vor. Eine Mutter bringt ihr Kind in
einem Stall zur Welt! Da ist es schmutzig, da stinkt es,
die Ansteckungsgefahr ist riesengross. Wenn jemand in
einem Stall zur Welt kommt, dann ist das wie als wenn
er auf einer Müllhalde geboren wird (sie zeigt auf den
Mülleimer mit der Babydecke).
FRIEDHELM
Stimmt, so habe ich das noch nie verstanden.
JOSEPHINE
Das kommt daher, dass Sie noch nie wirklich über
Weihnachten nachgedacht haben. Sehen Sie, vor
zweitausend Jahren wurde Jesus verachtet. Er ist in
einem Stall geboren, und dann an einem Kreuz
gestorben. Und heute hat sich nichts grundlegend
geändert.
FRIEDHELM
Meinen Sie wirklich?
– 155 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
JOSEPHINE
Wie ist es denn bei Ihnen? Welchen Platz hat Jesus in
Ihrem Leben inne?
FRIEDHELM
(Zögernd) Nun, ich weiß es nicht so genau. Ich müsste
mal über diese Frage nachdenken.
JOSEPHINE
Wenn er nicht den ersten Platz einnimmt, sind Sie nicht
besser als die, die es zuliessen dass Maria in einem Stall
ihr Kind zur Welt brachte, oder als die, die Jesus
gekreuzigt haben.
FRIEDHELM
Sie gehen da ein wenig zu weit. Ich hege eine gewisse
Hochachtung für Jesus.
JOSEPHINE
Eine Hochachtung, das ist nicht genug. Wenn Jesus
nicht wegweisend in Ihrem Leben ist, dann ist er nichts
weiter als ein nützlicher Gegenstand der früher oder
später im Müll endet. (Sie wirft eine Konservenbüchse oder
etwas anderes in Richtung Mülleimer, aber der Gegenstand
fällt nicht hinein. Michel bückt sich, um ihn in den Eimer zu
werfen.) Lassen Sie nur. Das ist nicht wichtig.
Beschäftigen Sie sich mit dem Wesentlichen. Bringen Sie
Jesus aus Ihrer Vergessenheit heraus. Er allein kann das
ewige Leben geben (Josephine verlässt die Bühne).
FRIEDHELM
(Er sieht Josephine nach, schaut die Konservenbüchse in
seiner Hand an, zögert, wirft sie in den Mülleimer. Er
greift nach dem Tuch auf dem Mülleimer, nimmt sie,
schüttelt sie, drückt sie gegen sich, dann sagt er, die
Decke betrachtend) Ein neuer Start. (Nach einem
Augenblick des Schweigens wiederholt er noch lauter)
Ein
neuer Start. (Das Licht verlöscht, oder der
– 156 –
DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE
Schauspieler verlässt dann die Bühne mit eng an sich
gepresster Decke.)
– 157 –
EIN GESCHENK: ANNEHMEN
ODER VERWEIGERN?
– 159 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
HANDLUNGSORT
Die Szene spielt in moderner Zeit in der Küche eines
Ehepaars ohne Kind am 24. Dezember. Die Mahlzeit
steht bevor; die Frau deckt den Tisch; der Mann liest die
Zeitung.
Das Stück enthält ein wichtiges symbolisches Element:
ein durch die Post gebrachtes Geschenk Gottes.
PERSONEN
EIN MANN
EINE FRAU
STIMME EINES NACHRICHTENSPRECHERS
STIMME EINES PASTORS
STIMME GOTTES
DEKORATION UND MATERIAL
Ein Tisch, zwei Stühle, ein Radio, ein großes Postpaket
(zum Beispiel 25x25x25 cm). Die aus dem Radio
kommenden Nachrichten sollten gut verständlich sein.
Die Personen die nur ihre Stimmen zu Einsatz bringen
können eine Verstärkeranlage benutzen. Ihre Texte
können auch auf Band gesprochen werden um im
geeigneten Moment abgespielt zu werden.
EINLEITUNG
Der Mann sitzt am Tisch und liest Zeitung. Die Frau
deckt den Tisch. Im Radio das auf dem Tisch steht spielt
Weihnachtsmusik. Die Musik wird unterbrochen und
der Nachrichtensprecher ist zu hören.
– 160 –
EIN GESCHENK: ANNEHMEN ODER VERWEIGERN ?
DIE STIMME DES NACHRICHTENSPRECHERS
Guten Abend, meine Damen und Herren. Heute, am
ersten
Weihnachtsfeiertag
richtet
sich
die
Aufmerksamkeit der Welt auf das schreckliche Attentat,
das die Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin
verwüstet hat (die Hauptstadt des Landes angeben). Die
Zahl der Opfer steht immer noch nicht endgültig fest.
Die Bombe soll in einem Weihnachtspaket versteckt
gewesen sein. Es werden 7 Tote und 23 Verletzte
gemeldet
(die
Haustürklingel
ertönt).
Die
Bergungsarbeiten in dem eingestürzten Flügel des
Botschaftsgebäudes sind noch nicht abgeschlossen.
DER MANN
(Er schaltet das Radio aus) Ist da jemand an der Tür?
(Die Klingel ist ein zweites Mal zu hören. Der Mann
steht auf und verlässt die Bühne. Nach 10 bis 20
Sekunden kommt er zurück. Er sieht froh aus und trägt
ein Paket.) Es war der Briefträger, Liebling. Er hat uns
ein Paket gebracht: „Per Express und Einschreiben“.
Das ist ein toller Weihnachtsabend. Es gibt doch noch
wirklich nette Menschen auf der Welt.
DIE FRAU
Von wem ist es?
DER MANN
(Er liest die Adresse des Absenders, antwortet dann
erstaunt) Nanu! Seltsam.
DIE FRAU
Ja?
DER MANN
Das Paket kommt von einem gewissen „H.U.“
„Immanuel für die engsten Freunde“, und dann in
Klammern: „Jemand, der Sie liebt und Ihnen Gutes
– 161 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
will“, „Büro: Golgathastraße, Jerusalem“. (Nach einem
Zögern) Kennst du jemanden in Israel?
DIE FRAU
(Sie überlegt kurz, zuckt dann die Achseln) Nein. Aber
„Golgatha“ kommt mir irgendwie bekannt vor.
DER MANN
Mir auch; das hat doch irgendetwas mit Ostern zu tun.
DIE FRAU
Du könntest Recht haben. Das bringt uns aber nicht
weiter.
DER MANN
(Fröhlich, er schickt sich an, das Paket zu öffnen) Es ist
eigentlich unwichtig ob wir den Absender kennen oder
nicht. Ein Paket macht Freude, besonders wenn es von
einem lieben Menschen kommt der uns Gutes will.
DIE FRAU
(Sie stößt einen Schrei des Erschreckens aus. Der Mann
lässt das Paket fallen. In dem Moment, in dem das Paket
aufschlägt, schreit die Frau wieder und flüchtet hinter
den Rücken ihres Mannes.)
DER MANN
(Erstaunt und beunruhigt) Was ist los, Liebling?
DIE FRAU
(Sie schluchzt, dann) Ich habe auf einmal solche Angst. Es
könnte doch sein, dass vielleicht (Zögern)… dass da drin
eine dieser schrecklichen Bomben ist, so eine Bombe wie
die die in Berlin explodiert ist.
DER MANN
(Er überlegt schnell) Aber nein, Liebling. Wer würde uns
Böses wollen? Wir sind anständige Leute (er wendet sich
wieder dem Paket zu).
– 162 –
EIN GESCHENK: ANNEHMEN ODER VERWEIGERN ?
DIE FRAU
Warte, öffne es nicht. Man kann nie wissen. Wir leben in
einer verrückten Welt. Sogar in Deutschland (den Namen
des Landes anzeigen, in dem das Stück spielt), kann man
nicht mehr in Frieden leben. Wieso bist Du so sicher,
dass das keine Bombe ist?
DER MANN
Aber Liebling…
DIE FRAU
Bei diesen kostenlosen Geschenken ist doch immer
etwas faul. Ich nehme keine mehr an. Übrigens, diesen
„H.U.“ oder „Immanuel“ kenne ich nicht. Er sagt, dass
er uns gut gesonnen ist. Das ich nicht lache. Ich kenne
all die, die mich lieben. Zahlreich sind sie gerade nicht,
oder bist du etwa anderer Meinung?
DER MANN
Du hast Recht. Heutzutage gibt es so gut wie keine
Liebe. Und von der selbstlosen Liebe gibt es noch
weniger. Aber vielleicht ist dieser „H.U.“ die
Ausnahme. Vielleicht sendet er uns wirklich ein
Geschenk aus der Golgatha-Straße in Jerusalem.
DIE FRAU
(halb überzeugt) Vielleicht. Vielleicht liebt uns wirklich
irgendjemand und will uns Gutes. Das käme uns schon
gelegen (ändert ihre Einstellung, Stimme etwas härter)
Aber ich sage es noch einmal: es könnte gefährlich sein
dieses Paket zu öffnen. Und dann, haben wir es wirklich
nötig ein Geschenk zu erhalten? Haben wir nicht alles,
was wir brauchen? Nahrung, Kleidung, Auto,
Fernsehen, Haus, Bankkonto und Altersversorgung.
DER MANN
Du hast eigentlich Recht. Was fehlt uns schon? Ich
wüsste nicht was.
– 163 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
DIE FRAU
Na also, dann lass die ganze Geschichte fallen. Lass das
Paket zu.
DER MANN
(Er zögert) Wie du willst. (Er stellt das Paket hin, kehrt
zum Tisch zurück, schaltet das Radio ein.)
DIE STIMME DES NACHRICHTENSPRECHERS
Was den Regionalslalom für Junioren betrifft (oder eine
ganze andere harmlose lokale Information), so musste er
abgesagt
werden
aufgrund
schlechter
Witterungsverhältnisse. Sehr verehrte Hörer, das waren
die Nachrichten. Heute ist der 24. Dezember und die
Christenheit feiert die Geburt ihres Gründers. Aus
diesem Anlass fragen wir einen Pastor sich KURZ
(betont dieses Wort) über dieses Thema zu äußern.
DIE STIMME DES PASTORS
Die Geburt Jesus Christi ist eines der wichtigsten
Ereignisse der Weltgeschichte. Unsere Jahresangaben
beziehen sich auf dieses Ereignis. Weihnachten
bedeutet, dass der Herr des Universums in unsere Welt
gekommen ist: Jesus von Nazareth, auch genannt
Immanuel, zu deutsch: Gott bei uns. Der Herr des
Universums hat sich nicht an seinen göttlichen
Privilegien festgeklammert, sondern ist zu uns auf
Erden gekommen um zu dienen. Seine Liebe hat alles
übertroffen, was wir uns hätten vorstellen können, als
er für unsere Sünden am Kreuz von Golgatha gestorben
ist. Nachdem er sein Leben geopfert hat, ist er drei Tage
später, zu Ostern, wiederauferstanden.
DER MANN
(Er schaltet das Radio aus) Jetzt verstehe ich was das zu
bedeuten hat. „Golgatha“, das ist der Ort an dem Jesus
gestorben ist. „Immanuel“ bedeutet „Gott bei uns“; und
– 164 –
EIN GESCHENK: ANNEHMEN ODER VERWEIGERN ?
„H.“ und „U.“ sind die Anfangsbuchstaben von „Herr
des Universums“. Liebling, dieses Paket kommt von
Gott, dem Herrn des Universums. Ein Geschenk von
Gott, juchhee (er lässt seine Freude ausbrechen).
DIE FRAU
(Schaltet das Radio wieder an)
DIE STIMME DES PASTORS
Gott bietet uns ein neues Leben in Jesus Christus an. Er
bietet uns das schönste Geschenk an, das es gibt: das
ewige Leben. Werden Sie dieses kostenlose Geschenk
annehmen, werden Sie zu Jesus kommen, damit er
Ihnen dieses neue Leben gibt und Ihre Existenz
verwandelt? Werden Sie ihn annehmen als Retter und
Herrn?
DIE FRAU
(Sie schaltet das Radio aus) Mir ist ganz unheimlich
zumute!
DER MANN
Wieso?
DIE FRAU
Ja, diese Worte.
DER MANN
Welche Worte?
DIE FRAU
Verwandlung… neues Leben.
DER MANN
Ja und?
DIE FRAU
Willst du etwa verwandelt werden? Ich nicht. Jede
Änderung birgt eine Gefahr in sich. Ich weiß, wer ich
jetzt bin; aber wenn man mich verwandelt, dann ist
alles neu und unbekannt.
– 165 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
DER MANN
Alles wird nicht unbekannt sein; Jesus hat den Weg
gezeigt.
DIE FRAU
Und was hat es ihm gebracht? Nicht als Ablehnung …,
Leid…, das Kreuz. Das ist wahrlich kein Erfolg. Und
übrigens, warum sollen wir überhaupt etwas ändern?
Wir haben doch alles was wir brauchen.
DER MANN
Stimmt. Uns fehlt eigentlich nichts, selbst für unsere
alten Tage ist gesorgt. Wir haben alles, was wir
brauchen… bis zum Tod.
DIE FRAU
(Sie macht eine Kehrtwendung) Sprich nicht davon.
DER MANN
Wovon?
DIE FRAU
Vom Tod.
DER MANN
Warum?
DIE FRAU
Bei dem Wort habe ich Angst. Da spüre ich so einen
Druck auf der Brust. Fast so etwas wie Panik.
DER MANN
Herzklopfen.
DIE FRAU
Schweissausbruch.
DER MANN
Gänzehaut.
DIE FRAU
Kälte.
– 166 –
EIN GESCHENK: ANNEHMEN ODER VERWEIGERN ?
DER MANN
Einsamkeit.
DIE FRAU
Wo bin ich?
DER MANN
Das reicht jetzt.
DIE FRAU
Ja, denken wir nicht mehr daran. Heute ist Festtag.
DER MANN
Festtag oder Feiertag?
DIE FRAU
Ein Festtag.
DER MANN
Was genau wird denn gefeiert?
DIE FRAU
Ich weiß nicht. Es ist nur wichtig, dass wir feiern. Wir
sollen fröhlich sein.
DER MANN
Das wird nicht leicht sein.
DIE FRAU
Dann streng dich ein bisschen an. Komm, folge mir. Ein
Schluck Sekt, und die Welt ist wieder in Ordnung (der
Mann und die Frau verlassen die Bühne; das Licht
konzentriert sich auf das Paket).
DIE STIMME GOTTES
(Es ist wichtig, dass die Stimme Gottes anders klingt als die
Stimmen die schon zu hören waren) Was kann man dazu
sage? Das Leben, das ich euch anbiete, ist nicht immer
leicht. Wenn jemand mit mir leben will, der muss sich
selbst verleugnen, sein Kreuz auf sich nehmen, und mir
nachfolgen. Das Leben mit mir ist zwar nicht leicht, aber
denke daran: es ist das Leben. Ich bin der Weg, die
– 167 –
THEATER FÜR WEIHNACHTEN
Auferstehung und das Leben, und außer mir gibt es
keinen anderen Weg. Nun, wie entscheiden sie sich?
Werden sie das Geschenk annehmen oder verweigern?
(einige Augenblicke Stille, dann verlöscht das Licht).
– 168 –
Alle Bücher von Daniel Arnold:
www.danielarnold.org
Zehn andere Theaterstücke auf Französisch:
Théâtre pour Noël, volume 2, Editions Emmaüs,
1806 St-Légier, Schweiz
Bibel Kommentar auf Deutsch:
Rätselhafte Glaubenshelden. Eine Gesamtbetrachtung des
Buches der Richter: www.Amazon.de
– 170 –