Daniel Arnold Theater für Weihnachten Originaltitel: Théâtre pour Noël (Volume 1) 1995, Editions Emmaüs Zeichnungen und Skizzen: Marc-Etienne Petter Übersetzung aus dem Französischen: Dr. Matthias Radloff Copyright © Daniel Arnold Alle Rechte für alle Länder vorbehalten INHALTSVERZEICHNIS Einleitung .......................................................................... 5 Herodes und die Händler ............................................... 9 Die Kameltreiber ............................................................ 33 In einem Pressezimmer................................................. 57 Mission Erde ................................................................... 83 Flug 3001 ........................................................................ 109 Das Weihnachtsgemälde ............................................ 129 Ein Geschenk: Annehmen oder verweigern? ......... 159 EINLEITUNG Zur Adventszeit verkleidet sich die Welt. Die Schaufenster und die Strassen erstrahlen in feierlichen Glanz. Weihnachtstannen bieten sich zum Kauf an, wobei jede Familie die Schönste erwerben möchte. Dann endlich ist es soweit. Aus den Küchen beginnen die verlockendsten Düfte zu entweichen. Die Kinder springen vor Ungeduld umher bis die Gäste endlich kommen. Dann kann das Fest beginnen! Der 24. Dezember ist endlich da. Aber schon am folgenden Tag ist der Zauber verflogen. Die Mülleimer sind am Überquellen, und die Lichter leuchten nicht mehr ganz so hell wie am Vorabend. Die Tannen müssen Lametta und Kugeln zurückgeben. Selbst ihre Nadeln schwinden. Weihnachten ist vorüber. Weihnachten kommt und geht. Es ist ein grossartiges Fest. Aber weshalb wird überhaupt gefeiert? Offiziell geht es um die Geburt Jesu. Aber in Wirklichkeit ist vom Messias nicht viel zu sehen. Der Retter der Welt wurde zu einer nützlichen Dekoration umfunktioniert. Was soll man angesichts solch eines Betrugs sagen? Weinen nützt nichts. Den Materialismus anprangern ändert auch nicht viel. Unsere einzige Hoffnung liegt im Herrn und seinem Evangelium. Denn er ist die Kraft Gottes und Retter für jeden der glaubt. Die Welt hat es nötig, diese gute Nachricht zu hören. Evangelisieren kann man täglich, aber die Weihnachtszeit bietet einzigartige Gelegenheiten dazu. Die verhärtete Welt leiht dem Evangelium ein Ohr, sei es aus Höflichkeit oder aus Tradition. Wie dem auch sei, die –5– THEATER FÜR WEIHNACHTEN Kirchen füllen sich und die geistlichen Lieder ertönen selbst in Läden. In dieser Zeit kann die Kirche auf ihre Botschaft aufmerksam machen. Die Ohren sind der Botschaft des Evangeliums offen. Die Verkündigung muss aber taktvoll sein. Wie können wir diese besondere Zeit im Dezember nutzen um das Evangelium zu verkünden? Unsere Phantasie ist gefordert. Vieles ist möglich, wobei Theateraufführungen mehrere Vorteile haben. Zunächst geht es um eine Darbietung. Da es ja feierlich zugeht, darf die Kirche sich dementsprechend anziehen, nicht um das Evangelium zu verwässern, sondern um sich besser verständlich zu machen. So wie ein Paulus seine Sprache den Philosophen Athens anpasste (Apostelgeschichte 17, 2234), so wie ein Hudson Taylor den Mut hatte, chinesische Kleider anzuziehen um mit Chinesen in Kontakt zu treten, so soll auch die Kirche die Menschen da abholen, wo sie sich befinden. Das Theater vermag der altbekannten Botschaft neue Aspekte zu vermitteln. Die Weihnachtsgeschichte scheint keine Geheimnisse mehr zu haben. Jeder hat sie schon so oft gehört, dass er sicher ist sie lückenlos erzählen zu können. Wie kann man die Geschichte dieses Jahr abermals erzählen ohne das Publikum anzuöden? Oder besser: wie kann man die Zuhörer begeistern? Mit dem Theaterspiel kann man eine Botschaft auf indirekte Art und Weise vermitteln. Wie ein Gleichnis kann sie den Hörer mit der Wahrheit erreichen, wenn er es am wenigsten erwartet. Hat nicht der Prophet Nathan den König David, nach monatelanger Verhärtung, mit einem kurzen Gleichnis ins Herz getroffen (2. Samuel 12,1-7)? Die folgenden Theaterstücke möchten das Evangelium im Rahmen eines Weihnachtsfestes verkünden. Einige der –6– EINLEITUNG Stücke enden mit einer Frage, die den Zuschauer zur Rede zu stellen gedenkt. Die Stücke gehören einer von zwei Gruppen an. Die vier ersten finden zur Zeit der Geburt des Messias statt. Immer wieder ist von Personen die Rede, die wenig oder gar nicht in den biblischen Texten erwähnt werden. Im ersten Stück geht es um Geschäftsleute („Herodes und die Händler“), im zweiten um Ausländer („Die Kameltreiber“), im dritten um Journalisten („In einem Pressezimmer“) und im vierten sind Engel die Hauptdarsteller („Mission Erde“). Die Geschichte von Joseph und Maria ist ja bekannt, aber nicht die der Kameltreiber und der anderen Darsteller. Kein Zuschauer weiss wie diese Unbekannten auf die Geburt Jesu reagieren werden. Bei den übrigen Stücken findet die Handlung im 21. Jahrhundert statt. Die Hauptpersonen sind Passagiere eines Flugzeugs („Flug 3001“), Kunstmaler („Das Weihnachtsgemälde“), und ein kinderloses Paar bei einem Weihnachtsessen („Ein Geschenk annehmen oder verweigern?“). Jedes Stück enthält eine Vielfalt von Menschentypen die Gegensätze aufzeigen und es jedem Zuschauer erlauben, sich mit dem einen oder anderen Schauspieler teilweise zu identifizieren. Am Anfang jedes Stückes gibt es einige Inszenierungsvorschläge. Für „In einem Pressezimmer“ wird der Bühnenaufbau für jede Szene angegeben (S. 78). Schauspielanfänger, die praktische Empfehlungen wünschen, sollten sich nach Anleitungen umschauen. Achten Sie insbesondere darauf auf der Bühne keine Wurzeln zu schlagen, sondern den ganzen zur Verfügung stehenden Raum zu füllen. Vermeiden Sie es auch, beim Sprechen dem Publikum den Rücken zuzuwenden. Die Theaterstücke dauern von einer Viertelstunde („Ein Geschenk: annehmen oder verweigern?“) bis zu einer –7– THEATER FÜR WEIHNACHTEN halben Stunde. Jedes Stück soll eine klare Botschaft vermitteln. Eventuell kann eine Kurzpredigt eine der Ideen aufgreifen und entfalten, aber das ist kein Muss und ist auch nicht immer wünschenswert. Als Beispiel steht eine Kurzpredigt am Ende des Stückes „In einem Pressezimmer “ (S. 79-82Erreur ! Signet non défini.). –8– HERODES UND DIE HÄNDLER –9– THEATER FÜR WEIHNACHTEN HANDLUNGSORT Die Handlung findet zur Zeit Jesu statt. Wir sind in einer Geschäftsstrasse Jerusalems. Heute ist der Tag der Ankunft der Weisen. Es ist früh morgens und die Händler bauen ihre Stände, in der Erwartung der Kunden auf. PERSONEN BENJAMIN Ein junger jüdischer Landwirt der seine eigene Produktion auf dem Markt verkauft. Charaktereigenschaften: revolutionär, aufbrausend, aufrichtig und rechtschaffen. RUBEN Ein jüdischer Juwelier, gut situiert. Materialist und Opportunist. Es geht ihm vor allem um den Umsatz. ANNE Eine blinde Jüdin voller Glauben, Eifer, Weisheit und gesundem Menschenverstand. Sie überwindet die Schwierigkeiten des Lebens dank ihres Glaubens und bestreitet ihren Lebensunterhalt durch den Verkauf von Körben, die sie selbst anfertigt. SIMEON Leicht behinderter jüdischer Bettler. Er findet sein Leben sinnlos. Er ist ein menschliches Wrack, jammert beständig und ist von anderen abhängig. ELISABETH Freundin von Anne. Sie ist lebhaft und aufgeregt. Ihre Rolle ist klein. – 10 – HERODES UND DIE HÄNDLER DEKORATION UND MATERIAL Ein Schild an der Kreuzung gibt zwei Strassen an. In grosser Schrift ist zu lesen: „Via Augustus“ und „Via Herodes“. Die Akteure tragen Kleider, die an das erste Jahrhundert erinnern. Benjamins Stand besteht aus einem Regal, Obst- und Gemüsekisten; Rubens Stand ist klein und leicht zu transportieren. Er besteht aus einer Art Ständer, an dem er schnell einige Schmuckstücke aufhängen kann. Anne hat lediglich einige Weidenkörbe die sie zum Verkauf anbietet. EINSZENIERUNG Die Stände von Benjamin und Ruben sind im hinteren Teil der Bühne. Ist der Eintritt auf der rechten Seite der Bühne, so befindet sich Benjamin auf der äußersten linken Seite, sein Kollege rechts, fast in der Mitte. Das Schild steht genau rechts neben Rubens Stand. ERSTER AKT EINLEITUNG DES ERZÄHLERS (Das Schild steht schon, und Ruben hat seinen Stand aufgebaut.) Es war vor zweitausend Jahren. In Palästina lebt man unter dem Joch der Römer. Seit der Eroberung des Landes durch Pompejus im Jahr 63 vor unserer Zeitrechnung führen die Eroberer das Land mittels lokaler Verbündeter. Herodes der Grosse hat das Vertrauen der Römer dank seiner Schmeichelei und blinden Ergebenheit als Amtsinhaber gewonnen. Als Belohnung dafür hat der Kaiser Augustus ihm den Titel “König der Juden“ verliehen. Gierig nach Ruhm und Macht errichtet Herodes unzählige prächtige Bauwerke. – 11 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN Er versucht die römische Bauweise nachzuahmen und widmet seine Werke den Besetzern. Das Volk, ausgelaugt durch die drückende Steuerlast, leidet schwer. Einzig die alten Versprechen der Propheten geben noch Hoffnung. (Das Licht geht aus, damit Benjamin in der Dunkelheit die Bühne betreten kann. Sobald er an seinem Platz ist, geht das Licht wieder an. Benjamin pfeift ein Liedchen und hat mit Früchten und Gemüse zu tun. Ruben trifft ein. Er trägt einen leichten Stand, und baut ihn neben dem Strassenschild an der Kreuzung auf, der „Via Augustus“ und der „Via Herodes“.) RUBEN Schalom, Benjamin. BENJAMIN Schalom, Ruben. RUBEN Zeitig da, wie ich sehe. Dein Stand ist schon aufgebaut. BENJAMIN Es geht ja auch nicht anders wenn man für die ersten Kunden bereit sein soll. RUBEN Ich sehe aber keine. BENJAMIN Sie werden bald hier sein. RUBEN (Nach einer Pause) Benjamin. BENJAMIN Ja? RUBEN Wie kommt es, dass du nicht den besseren Platz für deinen Stand gewählt hast? – 12 – HERODES UND DIE HÄNDLER BENJAMIN Welchen besseren Platz? RUBEN Diesen hier (er zeigt auf die Stelle, wo er sich gerade niederlässt). Auf der Kreuzung der beiden Straßen. Hier herrscht doppelter Betrieb. Es können dich mehr Leute sehen. BENJAMIN Ich weiß. RUBEN Warum bist du heute morgen nicht hier? Du bist als Erster gekommen. BENJAMIN Aus diesem Grund (er zeigt auf das Schild). RUBEN Das Schild stört dich? BENJAMIN Mir wird dabei speiübel! Ich bleibe lieber auf Abstand. RUBEN Jetzt verstehe ich: die Via Augustus und die Via Herodes erinnern dich an den Kaiser und den König. BENJAMIN Dazu stehen sie ja auch da. RUBEN Ich kenne deine politischen Meinungen, aber da übertreibst du. BENJAMIN Kann man jemals mit dem Hass für diese zwei Tyrannen übertreiben? (er spuckt auf das Schild) – 13 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN RUBEN (Unruhig und nach links und rechts schauend, um zu sehen, ob jemand sie hören könnte) Jetzt aber! Pass nur auf! Du ziehst dir noch Ärger zu! BENJAMIN Ärger! Ärger! Seit die Römer hier sind, hat man nichts als Ärger. Eine Steuer hier, eine Steuer dort. Seit der Ankunft dieser Schweine haben sich die Steuern verdreifacht, ach was sage ich, vervierfacht. RUBEN Sachte, Benjamin, sachte: man könnte dich hören. BENJAMIN Mich hören? Gern kann man mich hören! Eine kleine Revolution wäre willkommen. Man könnte mit Herodes anfangen. Dieser Gauner, dieser Verräter (er spuckt auf das Schild). Der dreht doch seine Weste so schnell um, dass es im Palast schon zieht. Er würde alles tun, um den Römern zu gefallen. Schau dir an, was er aus unserem Land gemacht hat. RUBEN (Leise) Ich weiß, wir haben noch nicht den Himmel auf Erden. Aber mit all diesen Bauwerken, die er errichtet hat, (mit stolzer Stimme) sieht unser Land doch schon viel besser aus. BENJAMIN Viel besser? Vergiss nicht, unter jedem aufgerichteten Stein quillt das Leiden eines Juden hervor. Diese Art von Bauwerk schmeichelt doch nur dem Hochmut des Besetzers. Herodes errichtet ausschliesslich was ihnen gefällt: Theater, öffentliche Bäder, Pferderennbahnen, ganz zu schweigen von den Tempeln für Jupiter und den Kaiser. Selbstverständlich ahmt er ihren Stil nach, und wenn ein Bauwerk fertig ist, widmet er es ihnen. – 14 – HERODES UND DIE HÄNDLER Wie viele Städte hat er nicht schon Cäsaräa genannt? Man glaubt man sei in Italien. RUBEN Und der Tempel Gottes? Den hat er doch für uns Juden renoviert. BENJAMIN Das ist doch nur Augenwischerei, ein Geschenk mit dem er uns bestechen möchte. Aber derjenige, der die Dinge durchschaut, lässt sich nichts vormachen. RUBEN Es geht ja nicht nur um die Bauwerke. Herodes und die Römer haben wieder Ordnung hergestellt. Früher ging es doch drunter und drüber. Jetzt herrscht endlich Ordnung, der Handel blüht wieder auf. Alle ziehen einen Nutzen davon. BENJAMIN Nur eine Minderheit. Mit den Steuern stehlen sie uns jeglichen Gewinn. Das Geld reicht doch vorne und hinten nicht. RUBEN Die Steuern sind beträchtlich, aber man kann sich zuweilen arrangieren. BENJAMIN Was willst du damit sagen? RUBEN Kleine Geschenke an die richtigen Leute, und deine Last wird leichter. BENJAMIN Kleine Geschenke? Erkläre mir das. RUBEN (Behutsam) Die Beamten, ob Juden oder Römer, lieben Geschenke. Gib ihnen irgend etwas was sie schätzen, – 15 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN und schon sind sie bereit, die Augen vor deinen wirklichen Gewinnen zu verschließen. BENJAMIN Das ist doch Korruption, was? RUBEN Das ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort. Sprechen wir lieber von einem freundlichen Verhältnis. BENJAMIN Ich kann es nicht fassen. Ich verstehe nicht, dass du so etwas sagen, geschweige denn tun kannst. Ich dachte immer du seiest rechtschaffen. RUBEN Bisweilen muss man wissen, wie man einige Zugeständnisse an seine Prinzipien macht. Wenn du auf mich hören würdest, ginge es dir besser. BENJAMIN Besser? Schlechter würde es mir gehen. Mir ist es lieber, dass die Römer mein Geld stehlen, als dass sie meine Prinzipien stehlen. Deine Seele scheint dir nicht viel wert zu sein. (Kälte zwischen den zwei Freunden, Ruben zuckt irritiert die Achseln.) ZWEITER AKT (Nach einigen Augenblicken trifft Simeon ein. Ruben nutzt die Gelegenheit, um das Thema zu wechseln.) RUBEN Aber wer kommt denn da? Unser Freund Simeon. Wie geht es dir heute? SIMEON (In einem kläglichen Ton) Schalom. – 16 – HERODES UND DIE HÄNDLER RUBEN (Fröhlich und begeisternd) Schalom, schalom, Friede sei mit dir. Es ist schön heute, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern. Geniesse das Leben. SIMEON (Ungläubig) Das Leben geniessen? RUBEN Ja, geniesse das Leben, freu dich. SIMEON Sich freuen worüber? RUBEN Über alles und nichts. SIMEON Wie meinst du das? RUBEN Über die Gesundheit. SIMEON Du hast gut reden. RUBEN Wie bitte? SIMEON Du hast gut reden. Du bist gesund, du bist noch jung, aber ich, sieh mich an. RUBEN (Etwas verlegen) Ja, ja, ich weiß, es ist nicht leicht, aber das ist kein Grund, dich hängen zu lassen. Das Leben bietet durchaus Freuden. SIMEON Welche? RUBEN Essen und Trinken. – 17 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN SIMEON Du hast gut reden. RUBEN Wie bitte? SIMEON Du hast gut reden. Du hast das nötige Geld zum Leben. Das ist nicht bei allen der Fall. RUBEN Man muss unternehmungslustig sein im Leben, Simeon. Du lässt dich viel zu schnell bremsen. Die Bettelei führt zu nichts. Nimm die Dinge in die Hand. SIMEON Du hast gut reden. RUBEN Komm jetzt, lass die Jammerei. Ich werde dir etwas geben, um dich zu ermutigen. (Ruben dreht sich um und geht an seine Theke, um etwas Geld zu holen. Simeon setzt sich Ruben gegenüber auf den Boden. Ruben kommt zurück und reagiert überrascht als ihm klar wird, dass Simeon sich ihm gegenüber niederlässt.) Nanu! Was machst du denn da, Simeon? Du kannst dich nicht hier niederlassen. SIMEON Warum? RUBEN Das beeinträchtigt meine Geschäfte. Ich ziele auf einen bestimmten… (er sucht nach dem Wort)… einen bestimmten Standard ab. Meine Kunden lieben den Luxus und ein etwas Gebrechlicher gerade bei meinem Stand könnte sie vertreiben. Nimm, hier ist etwas Kleines, das wird dir Mut machen. Aber stell dich irgendwo anders hin. (Ruben hilft bzw. nötigt Simeon sich zu erheben. Resigniert lässt Simeon es geschehen.) – 18 – HERODES UND DIE HÄNDLER BENJAMIN (Sich an Ruben wendend) Herzloser Heuchler. Du trampelst auf den Kleinen herum genau wie Herodes. RUBEN (Überrascht, bleibt ohne Antwort. Endlich erwidert er) Frechheit. BENJAMIN Materialist. RUBEN Diese Worte wirst du eines Tages bereuen. BENJAMIN Und du deine Unmenschlichkeit. (Simeon weiß nicht, was er machen soll.) Komm hierher, Simeon. Setz dich mir gegenüber hin. Deine Gegenwart ehrt mich. Gott ist der Freund der Armen und Unglücklichen. (Ruben und Benjamin kehren einander die Rücken zu. Drückende Stille. Jeder beschäftigt sich an seinem Stand.) DRITTER AKT (Bald hört man das Geräusch des Stocks eines Blinden, der sich seinen Weg sucht. Anne tritt auf. Sie trägt mehrere Körbe.) ANNE Ist da irgendwer, der mir helfen könnte? BENJAMIN Ja. Ach! Du bist es, Anne, Schalom. ANNE Benjamin? BENJAMIN Zu Diensten. – 19 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN ANNE Schalom, Benjamin. Ich bin doch an der Ecke der Via Augusta und der Via Herodes? BENJAMIN Ja. Willst du die Körbe verkaufen, die du angefertigt hast? ANNE Ja. BENJAMIN Sie sind prächtig. ANNE Danke, das ist nett von dir. BENJAMIN Willst du mir einen für etwas Früchte oder Gemüse überlassen? ANNE Das ist eine gute Idee. Nimm dir den, der dir gefällt, und gib mir einige Orangen. Meine Körbe kosten zwei Taler das Stück, aber da du es bist, gib mir Orangen für einen Taler. BENJAMIN Das kommt gar nicht in Frage. Orangen für zwei Taler, und einige Bananen und Erdnüsse. Simeon sitzt schon mir gegenüber, also wirst du dich Ruben gegenüber hinstellen müssen. ANNE Schalom, Ruben; schalom, Simeon. SIMEON Schalom. RUBEN Schalom. – 20 – HERODES UND DIE HÄNDLER ANNE Störe ich hier wirklich nicht? BENJAMIN (Schnell und die Worte betonend) Absolut nicht. Ruben ist für den Frieden UM JEDEN PREIS, also ist er voll und ganz damit einverstanden, dass du dich hier niederlässt. (Während er diese Worte sagt, krempelt er seine Ärmel hoch und wendet sich Ruben zu, als wolle er ihm Angst machen.) ANNE Ich verstehe nicht. BENJAMIN Nicht wichtig. Ruben hat verstanden. ANNE (Pause, dann) Weißt du, Simeon, wen ich gestern Abend auf der Via Antipater getroffen habe? SIMEON Nein. ANNE Rebekka, die Frau von Matthias. Sie war von Bethlehem gekommen, um einige Einkäufe in Jerusalem zu machen. (Dann in einem vertraulichen Ton) Sie sagte mir, dass ihr Mann einer von den Hirten sei, die diese Engel gesehen hätten welche die Ankunft des Messias ankündigten. SIMEON Matthias hat Engel gesehen? ANNE Die Engel, die die Geburt des Messias angekündigt haben. Davon hast du doch schon gehört? SIMEON Ja, sicher. Aber ich habe die Sache nicht sehr ernst genommen. – 21 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN ANNE Das ist aber ernst. Der Messias wurde geboren. Wir sind in den letzten Zeiten. Die Wiederherstellung aller Dinge ist nahe. BENJAMIN Begeistere dich nicht zu schnell dafür. Kennst du dieses Ehepaar gut? ANNE Sie sind vortreffliche Freunde. BENJAMIN Kann man sich auf sie verlassen? ANNE Völlig. Ich bürge dafür. Matthias und Rebekka leben in rechter Art und Weise vor Gott und vor den Menschen. SIMEON Und was hat dir Rebekka erzählt? ANNE Eines Abends, vor nicht langer Zeit, waren Matthias und seine Freunde auf den Feldern um die Schafherden zu hüten. Da erschien ihnen plötzlich ein Engel. Er kündigte ihnen die Geburt des Messias an. SIMEON Und wie sah der Engel aus? ANNE Ich habe sie nicht danach gefragt. Aber das ist nicht alles: der Engel sagte ihnen auch, dass sie sich nach Bethlehem begeben sollen, um den neugeborenen Messias in einer Futterkrippe zu finden. RUBEN In einer Krippe! – 22 – HERODES UND DIE HÄNDLER ANNE Daraufhin erschien eine Menge von Engeln und lobte Gott. Nachdem die Engel fort waren, gingen Matthias und seine Gefährten nach Bethlehem und fanden das Kind in einer Krippe. Sein Name ist Jesus, das bedeutet Erretter. BENJAMIN Der Messias wurde also geboren! RUBEN Der Messias, der Messias! Und was noch? Eure Geschichte ist doch der reinste Quatsch. Engel auf der Erde geht noch, aber der Messias in der Futterkrippe! Ihr seid doch übergeschnappt. Denkt doch mal nach: wenn das der Messias wäre, würde er nicht in einer Krippe liegen. Ein wenig mehr Würde wäre doch angebracht. Habt ein wenig Respekt vor Gott! Würde er es zulassen, dass der Gesalbte in dieser Art und Weise geboren wird? Eine Krippe, Schafhirten, das ist doch alles nur ein Märchen. BENJAMIN (Wendet sich in drohendem Ton an Ruben) Schafhirten. Was hast gegen Hirten einzuwenden? RUBEN (Ein wenig eingeschüchtert, gewinnt aber schnell seine Sicherheit zurück) Nein, nichts. Aber sagt doch selbst: wenn es wirklich der Messias wäre, dann würden die Mächtigen dieser Welt es wissen. Sie würden ihm Huldigung erweisen, mit Tausenden von Geschenken. Der Kaiser Augustus wäre dabei, ohne den Herodes zu vergessen. Für mich ist diese Sache mit den Engeln und der Geburt des Christus nichts weiter als ein Werbegeck. – 23 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN BENJAMIN Wie meinst du das? RUBEN Seit Tagen spricht die ganze Welt von Bethlehem. Man spricht von Bethlehem und … man rennt dorthin. Die Händler reiben sich die Hände. All diese Neugierigen sind gut fürs Geschäft. Die Händler von Bethlehem sind schlau. Es würde mich überhaupt nicht wundern wenn es sich herausstellt, dass sie die ganze Sache erfunden haben. Für den Tourismus gibt es nichts Besseres. ANNE Und was machst du mit den Zeugenaussagen meiner Freunde? RUBEN Man wird sie überzeugt haben (er reibt Daumen und Zeigefinger aneinander, als wäre Geld im Spiel). ANNE Nein, die sind über jeden Vorwurf erhaben. BENJAMIN (Ruben anschauend) Nicht jeder lässt sich schmieren. RUBEN Ob ich Recht habe oder nicht, ist unwichtig. Das eine ist sicher: diese Geschichte ist ein Märchen. BENJAMIN Das, was mir ein wenig Kummer macht, ist das Alter des Messias. Wenn er gerade geboren wurde, kann die Unterdrückung der Römer und des Herodes noch lange dauern, noch mehrere Jahrzehnte. RUBEN Und wenn der Messias erwachsen sein wird, wird eins der größeren Probleme schon verschwunden sein: Herodes ist ein alter und kranker Mann. (Behutsamer) Er – 24 – HERODES UND DIE HÄNDLER wird nicht mehr als einige Monate da sein, höchstens ein Jahr. BENJAMIN Der Tod von Herodes würde keine Besserung bringen. Seine Söhne sind schlimmer als er. Und es besteht kein Zweifel, dass einer von ihnen sein Nachfolger wird. ANNE Meine Freunde, ihr irrt euch. Der von Gott verheißene Messias wird nicht kommen, um kleine Besserungen zu bringen. Er wird das Grundproblem des Menschen in Angriff nehmen. Das Leben wird umgekrempelt werden. Alles Leiden wird verschwinden (sie dreht sich zu Simeon um). Der Tod wird überwunden werden. SIMEON Ich beneide dich. ANNE Wie das? SIMEON Ich beneide dich um deinen Glauben, ich beneide dich um deine Hoffnung. Mein Problem ist nicht so sehr meine Behinderung. Sie ist eigentlich nur ein Vorwand. Übrigens, Anne, du zeigst uns ja, dass ein Gebrechen kein unüberwindbares Hindernis wäre. Das Glück hängt nicht vom materiellen Besitz ab, der nichts als eine Illusion von Glück bieten kann, nicht wahr, Ruben? (Ruben schrickt plötzlich auf.) Wie gern hätte ich eine feste Hoffnung! Mein Leben ist sinnlos. BENJAMIN Du bist nicht der Einzige in dieser Situation. SIMEON (Ruben anschauend) Ich weiß, aber das ist ein magerer Trost. – 25 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN ANNE Haltet euch an die Worte von Moses und den Propheten. Das ist das Wort Gottes. Alles, was sie gesagt haben, wird sich früher oder später verwirklichen. Ihre Worte sind vertrauenswürdig. RUBEN Aber die Propheten haben vor langer Zeit gesprochen. ANNE Ja, es sind vierhundert, fünfhundert, sechshundert, siebenhundert und mehr Jahre her. RUBEN Das ist wohl das Problem. BENJAMIN Wie das? RUBEN Nun, es ist lange her, dass Gott diese Dinge versprach, und nichts hat sich seit all den Jahren getan. ANNE Sind wir nicht in den letzten Zeiten? RUBEN Seit Jahrhunderten hat man nicht aufgehört, dies zu wiederholen. ANNE Heute ist das anders. Engel sind gekommen, um die Geburt des Messias zu melden. RUBEN Diese Geschichte ist verrückt. So leicht kann man mich nicht überzeugen. Wenn der Messias geboren wäre, gäbe es andere Zeichen, und zwar noch viel größere Zeichen. – 26 – HERODES UND DIE HÄNDLER VIERTER AKT ELISABETH (Elisabeth kommt im Laufschritt an; sie ist ganz außer Atem) Hier bin ich, endlich habe ich dich gefunden, Anne. Weißt du, wer am Palast des Herodes angekommen ist? ANNE Wer? ELISABETH Sterndeuter, die vom fernen Osten gekommen sind. Sie sagen, sie seien gekommen, um den König der Juden zu verehren, der VOR KURZEM GEBOREN SEI. ANNE Der geboren wurde! ELISABETH Der geboren wurde. Sie sagen auch, dass sie das von den Sternen erfahren haben. ANNE Den Sternen! ELISABETH Ein Stern hätte ihnen das gesagt. Eine große Menschenmenge hat sich vor dem Palast des Herodes versammelt um zu sehen was die Reaktion des Königs sein wird. ANNE Welch wunderbare Nachricht! ELISABETH Ich verlasse dich. Ich muss noch Papa und Mama benachrichtigen. (Abgang von Elisabeth) ANNE (Sich an Ruben wendend) Ruben, das ist doch ein Zeichen, eine Bestätigung. – 27 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN RUBEN Sachte. Dieses Zeichen ist ZU außergewöhnlich. Wer hat schon jemals von einem Stern gehört der die Geburt eines Königs ansagt? Das sind doch Spinnereien. SIMEON Aber wenn Gott etwas unternimmt, kann es dann jemals zu gross sein? Der, der die Sterne durch ein Wort geschaffen hat, kann er nicht einem unter ihnen befehlen, einer besonderen Bahn zu folgen? ANNE Wenn der Messias wirklich geboren wurde, dann sollte das doch Grund genug sein diese Ankunft auf eine ganz besondere Art und Weise zu verkünden. (Sich an Ruben wendend) Du willst, dass Könige kommen, um ihn zu verehren. Jetzt sind es Sterndeuter die wegen einem Stern bis zu uns kommen. RUBEN Es reicht! Ich habe genug von euren Argumenten. Ich will jetzt und heute leben. Und jetzt verliere ich meine Zeit weil diese Straßen leer sind. Die ganze Welt ist am Palast des Herodes versammelt. (Ruben beginnt seinen Stand abzubauen.) Wenn ich meinen Stand dorthin verlege, denke ich, dass ich Geschäfte machen könnte. Diese Neuigkeit von der Geburt Christi könnte mein Glück sein. Viele könnten ihrem Ehegatten oder ihren Freunden ein Schmuckstück schenken, um dieses Ereignis zu feiern. Warum nicht eine kleine Halskette? Ich könnte sogar bei dieser Gelegenheit meine Preise erhöhen. Jawohl! Das ist mein Tag, das Geschäft ruft. BENJAMIN Du Materialist! – 28 – HERODES UND DIE HÄNDLER RUBEN Du wiederholst dich. Jetzt finde ich deine Worte lustig. Wir sehen uns bald … und ich werde dir von meinen Gewinnen erzählen. Ein schöner Tag, wusste ich es doch. (Im Vorübergehen gibt er Simeon eine Münze) Nimm, eine Münze für die Bettler. Schalom, Freunde. (Abgang von Ruben) BENJAMIN Er ekelt mich an. Kohle, das ist alles, was er will. Das ist sein Gott. SIMEON Er ist dessen Sklave. ANNE Lasst ihn gehen, er ist blind. BENJAMIN Blind. Da hast du Recht. Er ist blind und weiss es nicht einmal. ANNE (Nach einer Pause) Also dann! Wenn Ruben meint, dass diese Ereignisse für das Geschäft gut sind, so denke ich, dass sie uns zum Gebet dienen könnten. Ich werde in den Tempel gehen, um Gott zu loben. Mein Herz läuft über vor lauter Freude und Dankbarkeit. (Anne rafft ihre Sachen zusammen und verschwindet.) BENJAMIN (Nach einer Pause) Das ist vielleicht ein Morgen! Was mach ich jetzt? Wohin soll ich gehen? Ich könnte Anne zum Tempel folgen, um zu beten. Aber dazu bin ich noch nicht bereit. Wenn nun das, was ich gehört habe, wahr ist, dann ist dies der größte Tag meines Lebens; und nicht nur für mich, auch für die ganze Welt. Der Messias wäre also geboren! (träumerisch und aufgeregt) Aber bevor ich mich begeistere, werde ich eine oder – 29 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN zwei Sachen prüfen. Zunächst geht’s zum Palast des Herodes, um zu sehen wie es um die Sterndeuter steht. Dann werde ich nach Bethlehem gehen, und die Schafhirten ausfindig machen. Wenn dies alles wirklich passiert ist, dann will ich es genau wissen. Es steht zuviel auf dem Spiel. (Sich an Simeon wendend) Höre, Simeon, ich muss schnell los. Wärst du so nett, dich um meinen Stand zu kümmern? SIMEON Du vertraust mir! Meinst du, dass ich das kann? BENJAMIN Ich bin davon überzeugt. Du brauchst nicht den Stand abzubauen. Bleibe hier bis zu meiner Rückkehr. Verkauf, was du kannst. Deine freundliche Art wird die Kunden anziehen. Bei meiner Rückkehr werden die Gewinne geteilt: halbe-halbe. In Zukunft könnten wir vielleicht sogar zusammenarbeiten. (Im Gehen) Wenn du Hunger hast, bediene dich reichlich. Ein Arbeiter ist seinen Lohn wert…und meine Früchte und das Gemüse sind ausgezeichnet. (Benjamin verlässt die Bühne.) SIMEON (Simeon bleibt allein auf der Bühne) Was für ein Tag! Mir ist ganz schwindlig. Zum ersten Mal in meinem Leben vertraut mir jemand. Das ist doch ein feiner Kerl, dieser Benjamin. Und Anne, so voller Glauben. Ich habe den Eindruck, dass sie mehr sieht als wir alle. Ich weiß noch nicht ganz, was von dieser Neuigkeit der Geburt des Messias zu halten ist. Aber ich stelle fest, dass sie niemanden kalt lässt. Anne ist strahlender denn je, Benjamin ist ernsthaft um Antworten bemüht, Ruben sucht jede Minute zu nutzen, um seine Gewinne zu vermehren. Was mich betrifft, sollte ich jetzt entscheiden wem ich folgen sollte… (Das Licht erlöscht.) – 30 – HERODES UND DIE HÄNDLER – 31 – DIE KAMELTREIBER – 33 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN HANDLUNGSORT Das Stück spielt zur Zeit Jesu in einem Gästezimmer einer Herberge von Bethlehem. Die Weisen sind seit gestern hier. Es ist früh am Morgen, die Diener der Sterndeuter erwachen. PERSONEN ACHMED Erster Kameltreiber: Chef der Diener, Mann der Überlegung. OMAR Zweiter Kameltreiber: Materialist. SULEIMAN Dritter Kameltreiber: Mann des Glaubens. SARAH Erste Dienerin: gebieterisch. RACHEL Zweite Dienerin: sanftmütig und liebenswürdig. DEKORATION UND MATERIAL Drei Decken, ein Tisch, zwei Stühle, eine Reisetruhe (Koffer) für die Kleider. Die Schauspieler sind so gekleidet wie es im ersten Jahrhundert gewesen sein könnte. ERSTER AKT EINLEITUNG DES ERZÄHLERS Weihnachten. Wer kennt noch nicht die Geschichte von Maria, Josef und der Geburt Jesu? Wer hat noch nie etwas von den Weisen gehört, die von einem Stern geführt wurden, oder von den Schafhirten, die Engel – 34 – DIE KAMELTREIBER gesehen haben? Die Weihnachtsgeschichte ist uns vertraut. Doch Maria, Josef, die Weisen und die Engel waren nicht die einzigen Zeugen der Geburt Christi. Familienangehörige und Nachbarn waren auch anwesend. Was Fremde betrifft, so waren die Weisen mit Sicherheit nicht die Einzigen, die zu Jesus kamen. Sicher hatten sie Diener. Wie mögen diese Diener die Geburt Jesu erlebt haben? Dies werden Sie in unserem Theaterstück mit dem Titel „Die Kameltreiber“ herausfinden. Wir steigen in diese Geschichte ein, und zwar genau am Tag nach der Ankunft der Weisen in Bethlehem. Es ist noch recht früh. Seid bitte ganz still; gestern ging es sehr spät zu Bett, und das Erwachen war schmerzhaft. (Die drei Kameltreiber schlafen auf dem Boden. Es herrscht Unordnung auf der Bühne. Kleider liegen verstreut umher; ein Mann dreht sich auf seiner Decke um, ein anderer schnarcht. Sarah tritt singend ein. Sie trägt einen Wasserkrug und Leinentücher; sie bleibt plötzlich stehen, legt die Gegenstände die sie mitgebracht hat hin, hält sich die Nase zu, öffnet ein virtuelles Fenster; sie rückt den Krug etwas zur Seite und legt die Wäsche daneben.) SARAH Los, los, die Herren Weltenbummler. Die Sonne ist schon aufgegangen. Hier, ein wenig Wasser. Ihr könnt euch frisch machen… und vielleicht sogar etwas waschen. Ich bringe euch gleich Brot. Und lasst das Fenster offen. (Sie hält sich die Nase zu, und geht hinaus.) OMAR (Er erhebt sich langsam und streckt sich.) Von Luxus gibt es hier nicht die Spur. Dieser Bretterboden ist auch hart wie Stein. Wie kann man Leute nur so unterbringen? – 35 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN ACHMED Alle Herbergen sollen ausgebucht sein. OMAR Die Herbergsleute hätten uns wenigstens mit ein wenig Stroh versorgen können. Sie haben doch auch Betten für unsere Herren gefunden! ACHMED Aber sie sind ja auch die Herren, während wir… OMAR Ich weiß, du brauchst mich gar nicht daran zu erinnern. Immer diese Klassenunterschiede. Die Reichen lassen es sich gut gehen. Au! (er hält sich die Lenden). Blöder Fußboden. Sie schlafen in Samtbetten, und denken an ihren Komfort, niemals an den unseren. ACHMED Hast du etwas einzuwenden, Omar? OMAR Na klar. Auf einem Fußboden zu schlafen. ACHMED Es gab keine Betten mehr. OMAR Mit ein wenig Geld hätte man sie dahergezaubert. Einige Münzen unserer Herren hätten genügt: vier oder fünf Silberpfennige, vielleicht noch weniger. ACHMED Bist du bald fertig mit dem Meckern, Omar? Wir werden besser behandelt als die meisten Diener. OMAR Es ist aber trotzdem so, dass unsere Herren in gemütlichen Betten liegen, während ich gerade eine Decke habe. – 36 – DIE KAMELTREIBER ACHMED Das ist ausnahmsweise mal so. Du willst doch nicht, dass unsere Herren dir ihr Bett anbieten um dann deinen Platz einzunehmen. OMAR Einmal könnte es doch so sein, nicht wahr? Sie würden unsere Lebensbedingungen besser wahrnehmen, sowie die Härte der Fußböden in diesem Land. ACHMED Hör auf mit dem Getöse, Omar. Kein Herr würde dies tun. OMAR Wer weiß? ACHMED Würdest du so etwas tun, wenn du ein Herr wärst? OMAR (Zögernd) Nein. ACHMED Also! SULEIMAN (Nach einer Pause) Unsere Herren sind doch gut und großmütig. Was sie gestern Abend alles diesem jungen Paar geschenkt haben: Gold, Weihrauch, Myrrhe. ACHMED Die kostbarsten Parfüme, das seltenste Metall. Das ist ein wahres Vermögen. SULEIMAN Diese armen Menschen hatten es wohl nötig, sie sind wirklich nicht reich. OMAR Sie mögen es vielleicht nötig gehabt haben, aber wir auch. Haben unsere Herren uns schon einmal solche – 37 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN Geschenke gemacht? Ich verstehe das alles nicht. Warum verschenken sie diesen Reichtum an Leute, die sie gestern noch gar nicht kannten? Und dann noch an Ausländer! Wenn sie Gutes tun wollen, warum fangen sie nicht bei den Nächsten an, bei denen, die ihnen seit Jahren, Tag ein Tag aus dienen, wie ich (Omar zeigt auf sich selbst)? ACHMED Eigentlich hast du Recht, Omar. Diese Großzügigkeit gestern Abend ist mir auch ein Rätsel. Warum nur haben sie diese armen Fremden auf diese Art geehrt? OMAR Warum übrigens diese ganze Reise? SULEIMAN Ihr wisst doch warum. ACHMED Wegen der Geburt des Messias? SULEIMAN Genau. Wegen der Geburt des Retters der Welt. OMAR So sagen es jedenfalls unsere Herren. SULEIMAN Hast du etwas dagegen einzuwenden? OMAR Vielleicht irren sie sich. SULEIMAN Ihr habt den Stern doch auch gesehen. Als wir gestern in Bethlehem ankamen, war er über dieser Bleibe stehen geblieben. Ist dies nicht der Beweis, dass wir gestern Abend vor dem Haus des Messias gewesen sind? OMAR Nein. – 38 – DIE KAMELTREIBER SULEIMAN (Erstaunt) Hast du den Stern denn nicht gesehen? OMAR Doch! SULEIMAN Na also! OMAR Ich habe auch das Haus gesehen. SULEIMAN Jetzt verstehe ich dich nicht mehr. OMAR Das ist doch ganz einfach. Das Haus, das wir gesehen haben, war KEIN Palast. ACHMED Das ist das Mindeste, was man sagen kann. OMAR Ein schäbiges Haus, ein Haus von Armen. Wenn der Sohn Gottes in diese Welt kommen sollte, würde man ihn nicht in diesem verlorenen Nest finden und noch weniger in einem so armseligen Haus. SULEIMAN Willst du Gott sagen was er hätte tun sollen? OMAR Ich sage niemandem was er tun soll, Suleiman, ich denke einfach nach. Wenn der Herr der Welt „einwilligen“ sollte (hochnäsiger Tonfall) zu uns zu kommen, würde er in einem Palast wohnen, in dem schönsten Palast der Welt. Hab doch bitte ein klein wenig Ehrfurcht vor Gott. SULEIMAN Wenn Gott die Armen liebt, warum würde er nicht zu den Armen kommen, AUF IHR NIVEAU? Sind wir Gott – 39 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN unwürdiger als die Reichen? Das Geld reinigt nicht das Herz, wie du weißt. ACHMED Vielleicht. Aber, dass Gott so um die Armen besorgt ist, dass er ihre Lebensbedingungen teilt, scheint mir … (Zögern) recht unwahrscheinlich. Gott hätte damit weit über das Ziel hinausgeschossen. OMAR (Schnell) Amen, Achmed. ACHMED Was? OMAR (Langsamer) Amen … Achmed: ich bin ganz mit dir einverstanden, Achmed. SULEIMAN Omar, vorhin hast du gewollt, dass unsere Herren auf einem Fußboden schlafen, sei es auch nur für eine Nacht, nur damit sie verstehen wie es uns geht. Wenn Gott die Armen liebt, warum würde er nicht wie ein Armer kommen? Würde es nicht das beste Mittel sein, zu zeigen, dass in seinen Augen alle Menschen wichtig sind? OMAR (Ohne Überzeugung) Doch schon. SULEIMAN Möchtest du nicht von allen Menschen geachtet werden? ACHMED Suleiman, ich habe nur Angst, dass du deine Träume für die Wirklichkeit nimmst! – 40 – DIE KAMELTREIBER SULEIMAN Meine Träume für die Wirklichkeit? Der Stern, wegen ihm seid ihr wie ich seit Wochen unterwegs. Ist er nicht in Bethlehem genau über dem Haus stehen geblieben, in welchem ein Neugeborenes war? Und die geistlichen Gelehrten in Jerusalem, ihr habt sie wie ich gehört. Haben sie nicht auf Grund der prophetischen Schriften von genau diesem Dorf Bethlehem als Ort der Geburt des Messias gesprochen? ACHMED Ich gebe zu, dass dies alles seltsam ist. SULEIMAN Die Zeichen Gottes können nicht trügen. Der göttliche Gesandte ist hier. OMAR Ich weiss nicht. SULEIMAN Was weißt du nicht? OMAR Die Armseligkeit der Eltern lässt mich skeptisch; und so wie so brauche ich mehr Zeichen, um so etwas glauben zu können. SULEIMAN Der Stern genügt dir nicht? OMAR Ich bin nicht ganz von der Astronomie überzeugt. Im Himmel gibt es immer wieder unerklärliche Dinge, aber es muss ja nicht immer der Finger Gottes sein. ACHMED Dieser Stern ist dennoch ein außergewöhnliches Phänomen… und einzigartig. – 41 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN OMAR Ich bestreite es nicht, aber ich brauche Konkreteres. Ein Wunder hier auf der Erde. Und sogar eine ganze Reihe von Wundern. ACHMED Die Heilung Kranker? OMAR Zum Beispiel, aber spektakuläre Heilungen. Nicht nur Rückeneinrenken oder Fiebersenken. Von Gelähmten oder Blinden, vielleicht sogar von Toten sollte die Rede sein. SULEIMAN Du übertreibst schon wieder. Wenn das Zweifeln eine Sportart wäre, hättest du immer die Goldmedaille. OMAR Vielleicht, aber wenn es wirklich der Christus ist, dann wird man es schon irgendwie merken. Als wir in dieses Land kamen, hat man uns erzählt, dass der Gott der Hebräer in der Vergangenheit Mächtiges getan hat. Einer ihrer Propheten hätte das ganze Volk durch das Meer gefürt. Haben sie uns nicht erzählt, dass sich das Wasser in dem Moment geteilt hätte, als er seinen Stock zum Meer hin ausstreckte? ACHMED Der hiess doch Mose, nicht wahr? OMAR Ich weiss es nicht mehr, aber das ist unwichtig. Wenn ihr Gott in der Vergangenheit wirklich in dieser Weise gehandelt hat, sollte er nicht noch mehr Zeichen tun, wenn sein Messias persönlich gegenwärtig ist? SULEIMAN (Enthusiastisch) Kann schon sein. Vielleicht wird dieses Kind viele Wunder tun. – 42 – DIE KAMELTREIBER OMAR (Kalt) Vielleicht, vielleicht. Bis dahin bleibe ich bei meinen Zweifeln. ZWEITER AKT RACHEL (Die Magd bringt Brot) Na also, ihr seid also doch aufgestanden. Es wurde aber auch Zeit. ACHMED Wir haben uns gestern Abend spät schlafen gelegt. RACHEL Eure Herren auch und dennoch sind sie schon lange aufgestanden. SULEIMAN Sie sind schon wach? RACHEL Und sie diskutieren ganz eifrig. OMAR Worüber sprechen sie? SULEIMAN Ganz bestimmt über den Messias. RACHEL Über wen? SULEIMAN Über den Messias, den Retter der Welt, von dem, der geboren wurde. RACHEL Der Retter der Welt wurde geboren? SULEIMAN Genau. – 43 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN OMAR Alles unwichtig. SULEIMAN (Ausruf) Wie, unwichtig? OMAR Ganz und gar unwichtig. Ich würde gern wissen, wovon unsere Herren sprechen. RACHEL Ich weiß es nicht. Man müsste Sarah fragen. ACHMED Wer ist Sarah? RACHEL Meine Kollegin. Ich darf mich nur um die Dienerschaft kümmern. Ihr Vorrecht ist es den Herrschaften zu dienen. OMAR Da sind wir schon wieder beim Klassenunterschied! RACHEL Wie bitte? SULEIMAN Da gibt es nichts zu verstehen. Alles unwichtig. OMAR (Ausruf) Wieso unwichtig? RACHEL Ich verstehe noch immer nichts. Aber ich sehe, dass ihr jetzt hellwach seid und auch fast so lebhaft wie eure Herren. ACHMED Ich frage mich, wovon sie in dieser Morgenstunde sprechen. – 44 – DIE KAMELTREIBER OMAR Vielleicht bereiten sie einen Stadtbummel in Jerusalem vor. ACHMED Bestimmt werden sie uns bitten, sie zu begleiten. OMAR Wir können dann endlich einmal diese große Stadt besichtigen. RACHEL Das habt ihr noch nicht getan? Ich dachte, dass ihr von Jerusalem gekommen seid. OMAR Wir haben nur kurz den Palast des Herodes gesehen. Ein prächtiger Bau. Aber ich hätte auch noch gerne den Rest der Stadt gesehen und vor allem den Tempel. Wir haben ihn nur aus der Ferne gesehen. RACHEL Er ist grandios. Hier sagt man, dass es der schönste Bau der Welt sei. ACHMED Ich werde lieber einige Einkäufe machen. Meine Frau hat mich gebeten, ihr einige Stoffe und Stickereien mitzubringen. OMAR Ich werde Stapel davon kaufen… und alles wieder verkaufen, wenn wir zu Hause sind. ACHMED Immer denkst du ans Geld. OMAR Man muss sich zu helfen wissen. (Sich an Suleiman wendend) Nicht jeder bekommt Gold, Weihrauch und Myrrhe geschenkt. (Er bemerkt, dass Suleiman ihnen den Rücken zuwendet und nicht länger dem Gespräch folgt.) He, – 45 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN Suleiman, unser Besuch in Jerusalem scheint dich nicht zu begeistern. SULEIMAN Ich möchte lieber hier bleiben und dem Messias und seinen Eltern einen Besuch abstatten. OMAR Diese weite Reise und keinen Stadtrundgang durch Jerusalem? SULEIMAN Diese weite Reise und kein Besuch beim Messias? OMAR Das ist doch nur ein Baby, ein kleines Häufchen Mensch. SULEIMAN Jerusalem, das ist doch nur eine Stadt, ein kleines Häufchen Steine. (Omar und Suleiman beginnen einander zu schubsen). ACHMED Schluss ihr beide. Eure Herren werden euch kaum eine Wahl lassen. DRITTER AKT SARAH (Überstürzter Eintritt von Sarah.) Ach, ihr seid noch hier. RACHEL Was ist los, Sarah? SARAH Die Herren dieser Männer scheinen schnell Abreisen zu wollen. Sie bitten Herrn Achmed, unverzüglich zu ihnen zu kommen. – 46 – DIE KAMELTREIBER ACHMED Wo sind sie? SARAH Im Privatspeisesaal der Herberge. Da, wo man euch gestern Abend empfangen hat. ACHMED (An Omar und Suleiman gewandt) Wartet hier auf mich. (Stolpert im Hinausgehen.) Und in der Zwischenzeit, sorgt ein wenig für Ordnung. RACHEL Diese Männer würden gern wissen, wovon ihre Herren heute Morgen gesprochen haben? OMAR Von einer Besichtigung Jerusalems? SULEIMAN Von einem Besuch beim Messias? OMAR Von einer Führung: Tempelvorplatz, die Gärten des königlichen Palastes, das Amphitheater, die Stadtmauern… SARAH Nichts von alledem. Kein Besuch. Eure Herren wünschen die Gegend so schnell wie möglich zu verlassen. OMAR Die Gegend verlassen? SULEIMAN So schnell wie möglich? SARAH So schnell wie möglich. OMAR Ohne Jerusalem zu besichtigen? – 47 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN SULEIMAN Warum diese überstürzte Abreise? SARAH Ich weiß es nicht. Ich habe nicht alles begriffen. Sie sprachen von einem Traum: Gott hätte sie vor einer Gefahr für ein Baby gewarnt. SULEIMAN Der Messias wird in Gefahr sein. SARAH Der König Herodes wolle dieses Baby töten. OMAR Herodes wolle ein Kind töten? SARAH (Mit gesenkter Stimme und sich umschauend, ob niemand sie höre) Das ist ein sehr grausamer König. Jeder Rivale, wie unwichtig er auch sein mag, wird beseitigt. Er ist zu den schlimmsten Gräueltaten bereit. RACHEL (In demselben Ton) Dies wäre nicht Herodes’ erster Mord. Ein Mensch ist ihm nicht viel wert, und ein Baby noch weniger. SARAH Bei ihm muss man auf das Schlimmste gefasst sein. RACHEL Er hat mehrere Mitglieder seiner Familie getötet, sogar einige seiner eigenen Kinder. VIERTER AKT (Geräusch von sich schnell nähernden Schritten. Panik unter den Schauspielern auf der Bühne, denn sie befürchten, dass ihre Worte über Herodes gehört – 48 – DIE KAMELTREIBER worden sind. Achmed kehrt außer Atem auf die Bühne zurück. Erleichterung der anderen Schauspieler) OMAR Nun, was ist beschlossen worden? ACHMED Heute Nacht, Abreise Richtung Totes Meer. SULEIMAN Heute Nacht? ACHMED Wir werden eine wenig benutzte Strasse nehmen, die von Bethlehem aus ohne Umwege in die Wüste führt. OMAR Aber was ist passiert? ACHMED Unsere Herren hatten letzte Nacht Träume. Gott hat ihnen befohlen, nicht zu Herodes zurückzukehren. OMAR Wir werden den Palast des Herodes nicht wieder sehen? ACHMED Weder den Palast noch Jerusalem. Wir werden die Hauptstadt meiden. (Achmed zeigt auf das eine äußerste Ende der Bühne, macht dann eine Halbdrehung und zeigt auf das andere äußerste Ende) Wir werden Richtung Süden bis Tekoa fliehen, und von dort folgen wir der Strasse welche die Wüste Judäa durchquert, bis En-Gedi am Ufer des Toten Meeres. SULEIMAN Ist es vernünftig Nachts durch die Wüste zu reisen? Wir könnten von Räubern überfallen werden. RACHEL Eure größte Gefahr ist die königliche Garde des Herodiums. – 49 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN SULEIMAN Was ist das? RACHEL Ungefähr fünf Kilometer von hier hat Herodes eine Festung errichtet. Sie liegt am Rande der Wüste, auf der Straße, die nach En-Gedi führt. Dort ist ständig eine königliche Wache stationiert. ACHMED Wir werden bei Nacht reisen, damit wir nicht entdeckt werden. OMAR Sie könnten uns trotzdem erwischen SARAH Die Gefahr ist nicht ganz so gross, wie ihr meint. Die Soldaten am Herodium sollen sich nur um den Schutz des Herodes kümmern, falls es einen Aufruhr gäbe. In ruhigen Zeiten kontrollieren sie die Reisenden nicht. Da sie euch ja nicht suchen, werdet ihr Problemlos vorbeiziehen können, besonders Nachts. OMAR (Erbittert) Diese ganze Geschichte geht über meinen Verstand. Unsere Herren begeben sich auf eine unglaubliche Reise wegen einem sonderbaren Stern, reisen tausende von Kilometern, schenken Fremden ein Vermögen! Leuten die sie vorgestern noch gar nicht kannten, und jetzt, wegen eines einfachen Traums, müssen wir aus diesem Land fliehen. Wie Diebe. Dabei könnten wir mit dem König Ärger kriegen, dem wir unser Wort gegeben haben. Und Räuber könnten uns überfallen und uns die Schädel zerschmettern, bevor sie begreifen, dass wir keine einzige Goldmünze mehr in der Tasche haben. Das alles hat weder Hand noch Fuss. Stellt euch vor, was wäre, wenn jeder von uns nach – 50 – DIE KAMELTREIBER seinen Träumen leben würde. Das wäre die Herrschaft des Irrationalen. ACHMED Es reicht, Omar. Es ist genug geredet worden. Jetzt müssen wir handeln. Unsere Herren haben uns befohlen, ihr Gepäck und die Kamele für eine lange Reise vorzubereiten. Willst du ihnen gehorchen oder willst du sie verlassen? Willst du sie im Stich lassen, um eine Belohnung von Herodes einzustecken? OMAR Mach mal halb lang, Achmed. Ich bin vielleicht ein Zweifler und Materialist, aber ein Verräter bin ich noch nicht. Ich komme mit. Aber es ist doch lächerlich monatelang zu reisen und dann, kaum am Ziel, keine 24 Stunden später wieder abzureisen. Also, was soll ich tun? ACHMED Gib den Kamelen zu trinken und bereite sie für die Reise vor. (Omar verlässt die Bühne mit schleppenden Füßen.) Suleiman, räum die Sachen in diesem Zimmer auf, dann tue das Gleiche im Zimmer unserer Herren. Ich werde nach der Wegbeschreibung sehen. SARAH Unser Herbergsvater kennt die Gegend gut; er wird euch bestimmt helfen. Ich kann euch zu ihm führen, wenn ihr es wünscht. ACHMED Sehr gut. Gehen wir. (Sarah und Achmed verlassen die Bühne.) – 51 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN FÜNFTER AKT SULEIMAN (Hebt langsam die Sachen auf) So Nahe beim Messias zu sein und Bethlehem verlassen zu müssen, ohne wirklich seine Bekanntschaft gemacht zu haben, das ist doch das allergrösste Pech. RACHEL Seid ihr sicher, dass er es ist, der geboren wurde? SULEIMAN Wie sollte man sonst den Stern verstehen, der uns bis nach Bethlehem geführt hat? Was soll man von diesen Prophetenworten denken, die die Geburt des Messias in genau diesem Dorf angekündigt haben? Vielleicht gab es noch andere Zeichen? Hat sich nichts Besonderes in der Gegend ereignet? RACHEL Nein (dann zögernd)…doch! Es gab wohl einige Schafhirten, die damals eines Abends ihre Herden auf dem Feld hüteten; sie behaupteten, Engel gehört und gesehen zu haben, die ihnen die Geburt des Messias ankündigten. SULEIMAN Es sind also Hirten die so etwas behaupten? RACHEL Ja. Sie sagten, dass sie in Bethlehem, den neugeborenen Messias in Windeln gewickelt in einer Futterkrippe gefunden hätten, und zwar ganz so wie die Engel es ihnen angekündigt hatten. SULEIMAN (Nachdenklich) In einer Krippe. In Bethlehem, in der Stadt des Messias. – 52 – DIE KAMELTREIBER RACHEL Das ist es, was sie behaupteten. SULEIMAN Kann man diesen Hirten vertrauen? RACHEL Sie haben einen guten Ruf. Ich glaube nicht, dass sie bewusst lügen würden. SULEIMAN Na also! RACHEL Eigentlich habe ich diese Geschichte nie sehr ernst genommen. Sie schien mir etwas unglaublich zu sein. SULEIMAN Aber wenn Gott seine Hand im Spiel hat, dann muss es doch etwas außergewöhnlich zugehen ACHMED (Hinter den Kulissen) Suleiman, bist du bald fertig? SULEIMAN (laut) Ja, bald. (Wendet sich an Rachel) Gab es sonst noch etwas Besonderes? RACHEL Jetzt, wo du mich fragst, fällt mir ein: es war vor mehr als sechs Monaten, da erlebte die Familie eines Priesters Erstaunliches. SULEIMAN Erzähle. RACHEL Ich erinnere mich nicht mehr genau an alles, aber ein Priester wurde stumm nachdem er einen Engel im Tempel Gottes gesehen hatte. SULEIMAN Das ist alles, was du weißt? – 53 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN RACHEL Es wurde behauptet, dass der Engel ihm die Geburt eines Kindes ankündigte, welches der Wegbereiter des Messias sein würde. SULEIMAN Interessant. RACHEL Da der Priester und seine Frau alt waren und keine Kinder hatten, zweifelte der Mann an dem Wort des Engels und bat ihn um ein Zeichen. Daraufhin verlor der Priester seine Sprache. SULEIMAN Er wurde stumm? RACHEL Stumm. Die ganze Welt dachte, dass dies ein Gericht Gottes war, um ihn für seinen Unglauben zu bestrafen. SULEIMAN Das ist ein Ding! RACHEL Aber es gab noch mehr, denn acht Tage nach der Geburt des Kindes konnte dieser Mann plötzlich wieder sprechen. SULEIMAN Acht Tage nach der Geburt? RACHEL Bei uns ist das immer der Anlass für ein großes Fest: es ist der Tag, an dem das Neugeborene seinen Namen erhält. SULEIMAN Und genau an diesem Tag konnte er wieder sprechen? – 54 – DIE KAMELTREIBER RACHEL In dem Augenblick in dem das Kind seinen Namen erhalten sollte. SULEIMAN Einfach wunderbar. Je mehr man sich damit beschäftigt, desto mehr Bestätigungen gibt es. ACHMED (Stimme hinter den Kulissen) Suleiman, kommst du bald? SULEIMAN Was die mir auf den Keks gehen. Die wissen gar nicht, was sie gerade verpassen. Wenn ich nur die Zeit hätte, mich noch mehr über diese Geburt zu informieren! ACHMED (Stimme hinter den Kulissen, etwas näher) Suleiman, kommst du, ja oder nein? SULEIMAN (Laut) Ja, ja, ich komm ja schon! (Suleiman sammelt schnell die letzten Sachen zusammen und wirft sie in den Koffer, dann wendet er sich an Rachel) Ich habe den Eindruck, dass noch viele Zeichen vor uns liegen. RACHEL Was willst du damit sagen? SULEIMAN Wenn dieses Kind wirklich der Messias ist, wird man noch viel von ihm hören … Warte ab bis er erwachsen ist! (Rachel geht zuerst hinaus, Suleiman folgt ihr, den Koffer tragend. Die Bühne wird verdunkelt.) – 55 – IN EINEM PRESSEZIMMER – 57 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN HANDLUNGSORT Dieses Stück spielt teils in der Vergangenheit, teils in der Gegenwart. Der Ort der Handlung ist Jerusalem. Genauer gesagt ein Pressezimmer in dem Journalisten (wie heute) arbeiten und sich mit den Ereignissen rund um die Geburt Jesu befassen. Der Zeitpunkt ist kurz nach der Abreise der Weisen nach Bethlehem. Einige Anachronismen bringen dem modernen Zuschauer die Geburt des Messias näher. PERSONEN REDAKTEUR MARKUS Redakteur des Naturwissenschaftlichen Ressorts. Ein reifer Mann, abwägend, genau. REDAKTEURIN DEBORA Redakteurin des Humanwissenschaftlichen Ressorts. Eine kultivierte Frau. FOTOGRAF Junger Mann, politisch links orientiert RAUMPFLEGERIN Einfach, direkt, nüchtern. DEKORATION UND MATERIAL Dekoration „wie heute“: Ein Tisch, ein Stuhl, eine Schreibmaschine (oder Computer), ein Telefon, ein Bücherregal, ein Fotoapparat, einige Fotos, ein Kleiderständer, eine Aktentasche. Kleider „wie früher“: Die Akteure sind so gekleidet, wie es im ersten Jahrhundert hätte gewesen sein können. – 58 – IN EINEM PRESSEZIMMER INSZENIERUNG Es ist wichtig, dass sich die Akteure auf der Bühne bewegen. Eine Anleitung dazu finden sie am Ende des Stücks auf Seite…. Im Skript wird immer wieder auf diese Skizzen hingewiesen. ERSTER AKT EIN ERZÄHLER MACHT FOLGENDE EILEITUNG: Vor ungefähr zweitausend Jahren, in den Hügeln Judäas, geschah Seltsames, als ein kleiner Junge geboren wurde. Viele Menschen haben schon davon gehört, da man jedes Jahr zu Weihnachten seine Geburt feiert. Heute möchten wir einen ganz neuen Blick auf diese Ereignisse werfen. Legen sie bitte ihren Gurt an, denn es geht auf eine Zeitreise! Schon bald werden wir über 2000 Jahre überbrückt haben, denn wir wollen zurück in die Vergangenheit um uns in jene Zeit zu begeben, in der die Bewohner von Jerusalem diese Geburt erlebt haben. Wir befinden uns im Pressezimmer einer großen Tageszeitung, dem Jerusalemer Tagesblatt! (Die Handlung beginnt, während die Bühne noch dunkel ist. Der Redakteur des naturwissenschaftlichen Ressorts beginnt auf der Schreibmaschine zu tippen, die Bühne erhellt sich, die Redakteurin für Humanwissenschaften tritt ein und räumt die Bücher ins Regal die sie gerade hereingetragen hat. Siehe Skizze 1, S. 78) REDAKTEUR MARKUS Das wird wirklich ein toller Artikel! (er reibt sich vor Freude die Hände) Bist du dir darüber im Klaren, dass es unter unseren drei Gelehrten zwei „Nobelpreisträger“ gibt: in Astronomie und Raumphysik? – 59 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN REDAKTEURIN DEBORA Männer, die etwas von den Sachen verstehen, was? REDAKTEUR MARKUS Das kannst du laut sagen! Ihre Entdeckungen werfen alle Theorien über die Sterne über den Haufen. Ein Stern, den sie schon lange beobachten, wandert auf einmal vor ihnen her. So etwas hat es noch nie gegeben. REDAKTEURIN DEBORA Glaubst du, dass man ihren Beobachtungen Glauben schenken wird? Sind die nicht etwas zu ungewöhnlich? REDAKTEUR MARKUS Das sind sie schon und wir Menschen lieben es gar nicht, wenn neue Theorien aufgestellt werden. Ihre Entdeckung wird noch so manchen eifersüchtig machen. Aber Tatsachen sind nun mal Tatsachen. Es ist unmöglich, ihn nicht zu sehen, diesen Stern. Schau, dort ist er (die zwei Akteure gehen zu einem virtuellen Fenster und blicken auf einen festen Punkt. Siehe Skizze 2, Seite 78) REDAKTEURIN DEBORA Das war vielleicht eine Aufregung in Jerusalem, als man erfuhr, dass sie den neu geborenen König der Juden anbeten wollten! REDAKTEUR MARKUS Ja, und das ist dieser Stern, wegen dem sie vom Orient bis zu uns, nach Jerusalem, gekommen sind. REDAKTEURIN DEBORA Unglaublich. REDAKTEUR MARKUS Unglaublich, aber wahr. Du hast ihn ja selbst gesehen (er zeigt auf das Fenster). REDAKTEURIN DEBORA Auf jeden Fall hat König Herodes die Besucher ernst genommen. Er hat unverzüglich eine ökumenische – 60 – IN EINEM PRESSEZIMMER Versammlung einberufen. Theologen aller möglichen Glaubensrichtungen eingeladen. Das war letzten Montag (drei oder vier Tage vor der Aufführung angeben, aber vermeiden Sie den Samstag, den Sabbat,). REDAKTEUR MARKUS Es kommt nicht oft vor, dass sich dieser Fuchs für religiöse Fragen interessiert. REDAKTEURIN DEBORA Dieses Mal ist er ja auch direkt betroffen: wenn der Messias kommt, dann adieu, Herodes. REDAKTEUR MARKUS Was wollte er eigentlich von den Theologen, unser Herodes? REDAKTEURIN DEBORA Sie sollten die Prophezeiungen, die sich auf den Messias beziehen, auslegen. REDAKTEUR MARKUS Und die Theologen waren mal ausnahmsweise in der Lage zu einem Thema einer Meinung zu sein (ironische Ton)? REDAKTEURIN DEBORA Man glaubt es kaum, aber dieses Mal gab es keine Abweichungen. REDAKTEUR MARKUS Ein wahres Wunder. Fast so groß wie dieser Stern. REDAKTEURIN DEBORA Lästere nicht. Wie gesagt, sie waren einer Meinung. Sie erwarten nicht nur alle den Messias, sie gaben auch alle den gleichen Geburtsort an: Bethlehem in Judäa. REDAKTEUR MARKUS Man könnte ja meinen, dass die Propheten klar und deutlich gesprochen hätten. – 61 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN REDAKTEURIN DEBORA Stimmt. Ich habe mal selbst nachgeschlagen (sie nimmt ein Buch vom Regal. Siehe Skizze 3, Seite 78). Der Prophet Micha (die Schauspielerin kann direkt aus der Bibel lesen: Micha 5,2): „Und du, Bethlehem-Ephrata, zwar klein, um unter den Hauptorten Judas zu sein; aber aus dir soll mir hervorgehen, der Herrscher über Israel werden soll, dessen Ursprung von Anfang, von Ewigkeit her gewesen ist.“ REDAKTEUR MARKUS Bemerkenswert. Vor allem da der Stern von hier aus genau in Richtung Bethlehem zieht. REDAKTEURIN DEBORA Stell dir nur vor: eine Prophezeiungen, die 700 Jahre alte ist und die sich jetzt anscheinend wirklich erfüllt! REDAKTEUR MARKUS Das wäre ja auch nicht das erste Mal, dass genaue Voraussagen gemacht worden sind. Da gab es noch andere historische Ereignisse die mit großer Präzision vorhergesagt wurden. Das Exil Israels und das Kommen der persischen, griechischen und römischen Königreiche. Ich denke da besonders an den Propheten Daniel. Seine Prophezeiungen haben sich genau so erfüllt wie er es vorausgesagt hatte. REDAKTEURIN DEBORA Da wird einem richtig mulmig zu Mute. ZWEITER AKT FOTOGRAF (Der Fotograf tritt stürmisch ein) Ich hab’s geschafft! Hier sind sie: die Gelehrten, Herodes und die Theologen (er schwenkt Fotos. Siehe Skizze 4, S. 78). – 62 – IN EINEM PRESSEZIMMER REDAKTEURIN DEBORA Das hat aber gedauert! FOTOGRAF Ach, ihr wisst schon! Bei diesen ganzen Staus. Wir haben ja schon ein Dauerchaos auf den Strassen wegen der Volkszählung von Cäsar Augustus. Das ist echt schlimm. REDAKTEURIN DEBORA Stimmt. Es scheint, als träfe sich die ganze Welt in Jerusalem. Das wird langsam echt zur Plage. REDAKTEUR MARKUS Na ja, aber das sind die Sachen die die Leute lesen wollen, und damit geht es der Zeitung gut. REDAKTEURIN DEBORA Materialist! REDAKTEUR MARKUS Man muss doch von irgend etwas leben! FOTOGRAF (Er prüft seit einigen Augenblicken seine Fotos) Seht mal hier (er zeigt auf ein Foto); da habe ich die Ankunft der Gelehrten am königlichen Palast (siehe Skizze 5, S. 78). REDAKTEUR MARKUS Zeig. Schaut euch nur mal den Herodes an. Der macht aber ein Gesicht! FOTOGRAF Na, der war vielleicht sauer als er hörte, dass die Gelehrten nach dem gerade geborenen König der Juden fragten, weil sie ihm ihre Ehrerbietung darbringen wollten. REDAKTEURIN DEBORA Das hätte ich gern gesehen. – 63 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN FOTOGRAF Das war auch sehenswert. Ich musste richtig lachen, als ich seine Trauermine sah! REDAKTEURIN DEBORA (Sie nimmt ein anderes Foto) Hier geht es ihm schon besser. Man könnte meinen er lächelt. FOTOGRAF Das war als die Gelehrten nach Bethlehem loszogen. Herodes hatte sie zu sich gebeten, als ihre Kamele schon beladen waren. Er schien wieder entspannt zu sein. REDAKTEURIN DEBORA Seltsam. REDAKTEUR MARKUS Das beunruhigt mich. FOTOGRAF Mich auch. Bei diesem Kerl weiss man nie, was zu erwarten ist. Man hatte den Eindruck, dass er eine Lösung für seine Probleme gefunden hatte. REDAKTEURIN DEBORA Ich würde gerne wissen, an welchem Hinterhalt er jetzt wieder herumbastelt. REDAKTEUR MARKUS Wie dem auch sei, wir haben hier einen Artikel erster Klasse. Was Herodes auch ausheckt, er wird sich diesen unleugbaren Tatsachen nicht widersetzen können. DRITTER AKT (Der Redakteur des naturwissenschaftlichen Ressorts schreibt weiter auf seiner Maschine, die Redakteurin des humanwissenschaftlichen Ressorts versenkt sich in eine Lektüre, der Fotograf räumt seinen Fotoapparat – 64 – IN EINEM PRESSEZIMMER auf. Die Raumpflegerin tritt diskret ein und reinigt das Zimmer. Siehe Skizze 6, S. 78). REDAKTEURIN DEBORA Da fällt mir ein: Bethlehem, ist das nicht der Ort, an dem die Hirten angeblich Engel gesehen haben? REDAKTEUR MARKUS Stimmt. Die zwei Geschichten könnten etwas miteinander zu tun haben. Aber kann man dieser Nachricht glauben? Man müsste einen Reporter an Ort und Stelle schicken, um nachzuforschen. RAUMPFLEGERIN Ich komme von dort. REDAKTEUR MARKUS Verzeihung? RAUMPFLEGERIN Ich komme von dort. REDAKTEUR MARKUS Ja, das habe ich gehört, aber von wo? RAUMPFLEGERIN Aus Bethlehem. LITERARISCHE REDAKTEURIN UND FOTOGRAF Ach? REDAKTEUR MARKUS Na nun? RAUMPFLEGERIN Ich habe eine Freundin in Bethlehem: sie ist die Frau von einem der Hirten, die die Engel gesehen haben. Sie hat mir alles erzählt. – 65 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN WISSENSCHAFTLICHER REDAKTEUR, REDAKTEURIN UND FOTOGRAF LITERARISCHE Was hat sie erzählt? (Die Redakteurin des humanwissenschaftlichen Ressorts ergreift eine Mappe – oder einen Notizblock – und macht sich Notizen.) RAUMPFLEGERIN Ihr Mann verbrachte die Nacht auf den Feldern mit einigen anderen Hirten, beim Schafehüten, als ein Engel des Herrn erschien und die Herrlichkeit des Herrn sie umleuchtete. Sie hatten ziemlich Angst. REDAKTEURIN DEBORA Das kann man verstehen. RAUMPFLEGERIN Der Engel sagte ihnen: „Fürchtet euch nicht, denn ich bringe euch ein gute Nachricht, die alles Volk sehr erfreuen wird: heute Nacht, in der Stadt Davids…“ REDAKTEURIN DEBORA (Wendet sich schnell an ihre Kollegen) Das ist Bethlehem. RAUMPFLEGERIN „… ist euch ein Retter geboren, welcher ist der Christus, der Herr. Und das ist das Zeichen, an dem ihr ihn erkennen werdet: das Kind wird, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegen.“ REDAKTEUR MARKUS In einer Krippe? RAUMPFLEGERIN In einer Krippe. Und plötzlich war bei dem einen Engel eine große Schar von Engeln, die Gott lobten und sprachen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen, die er liebt.“ REDAKTEUR MARKUS Unglaublich. – 66 – IN EINEM PRESSEZIMMER FOTOGRAF Toll! RAUMPFLEGERIN Als die Engel sie verlassen hatten, um zum Himmel zurückzukehren, gingen der Mann meiner Freundin und seine Kollegen ins Dorf, und fanden das Kind in der Krippe. Seine Eltern nannten es Jesus. REDAKTEURIN DEBORA (An ihre Kollegen gewandt) Das bedeutet Retter. REDAKTEUR MARKUS Warum lag es in einer Krippe? Ein seltsames Bett für ein neugeborenes Kind! RAUMPFLEGERIN Die Eltern waren von Galiläa gekommen wegen der Volkszählung. Da alle Hotels belegt waren, waren sie in einem Stall untergebracht. REDAKTEUR MARKUS Und niemand hat ihnen eine bessere Unterkunft angeboten? RAUMPFLEGERIN Die Eltern sind arm… REDAKTEUR MARKUS Das ist doch kein Grund. Ich finde das skandalös. Darüber müsste man einen Artikel schreiben. FOTOGRAF Wie heissen die Eltern? RAUMPFLEGERIN Josef und Maria. Sie ist die Cousine von Elisabeth, der Frau des berühmten Zacharias. REDAKTEURIN DEBORA (Sie denkt nach) Zacharias, Zacharias? Ist das der, der neun Monate lang stumm war? – 67 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN RAUMPFLEGERIN Ja. REDAKTEUR MARKUS Moment mal! Von wem redet ihr? REDAKTEURIN DEBORA Du weißt doch, Zacharias, der Priester. Der, der letztes Jahr einen Engel im Tempel gesehen und gehört hat. REDAKTEUR MARKUS Jetzt fällt es mir wieder ein. REDAKTEURIN DEBORA Nun, der Engel hat ihm gesagt, dass er einen Sohn haben würde, und das obwohl seine Frau unfruchtbar ist und beide schon recht alt sind. Dieser Sohn sollte die Ankunft des Messias vorbereiten. RAUMPFLEGERIN Und das wollte Zacharias nicht glauben. REDAKTEURIN DEBORA Er wollte ein Zeichen, nur um sicher zu sein. RAUMPFLEGERIN Es kann ja sein, dass er für seinen Unglauben bestraft wurde und deshalb stumm wurde. Wenn er einen Beweis wollte, hat er ihn ja nun bekommen! REDAKTEURIN DEBORA Dann, einige Tage nach der Geburt seines Sohnes Johannes, konnte er auf einmal wieder sprechen. REDAKTEUR MARKUS Ja, ich erinnere mich. Übrigens, hast du damals nicht vor Ort recherchiert? REDAKTEURIN DEBORA Ja. Ich habe etwa zehn Zeugen gefunden. Damals hat das für eine Menge Schlagzeilen gesorgt. – 68 – IN EINEM PRESSEZIMMER REDAKTEUR MARKUS (Sich zur Raumpflegerin umdrehend) Du sagst, dass Maria die Cousine Elisabeths ist? RAUMPFLEGERIN Ja. Sie sind auch gute Freundinnen. REDAKTEUR MARKUS Das wird ja immer besser. Das wird wirklich einen phantastischen Artikel abgeben! FOTOGRAF Nicht nur das. Es könnte auch das Ende unseres Leids bedeuten, das Ende der Römer und des Herodes. Endlich kommt der versprochene Messias. REDAKTEUR MARKUS Wie würde meine Tochter sagen? Das ist cool. LITERARISCHE REDAKTEURIN, FOTOGRAF UND HAUSFRAU Cool! Supercool... (Siehe Skizze 7, S. 78) VIERTER AKT (Das Telefon des Redakteurs des naturwissenschaftlichen Ressorts klingelt; er nimmt den Anruf entgegen. Siehe Bild 8, S. 78) REDAKTEUR MARKUS Hallo, ja? (er legt die Hand über die Sprechmuschel und wendet sich an die Anderen) Seid mal leise! Ich verstehe nichts (dann setzt er die Unterredung am Telefon fort: mit Unterbrechungen). Ja, ja, Chef… ja, aber man kann doch nicht… das kann doch nicht wahr sein, ich weigere mich… das war nicht so gemeint, Chef… ich will damit sagen, dass man doch nicht so einfach… ja, ja, ich verstehe, wie Sie wollen… gut, ich werde dafür sorgen. Sie sind der Chef. Gut, gute Nacht, Chef (er legt – 69 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN das Telefon wieder auf, wendet sich dann an die Anderen). Wir müssen alles sausen lassen. REDAKTEURIN DEBORA Was sausen lassen? REDAKTEUR MARKUS Den Artikel. REDAKTEURIN DEBORA Den Artikel? REDAKTEUR MARKUS Es gibt nichts über all diese Sachen zu melden. FOTOGRAF Das meinst du doch nicht im Ernst! REDAKTEUR MARKUS Anordnung des Chefredakteurs. FOTOGRAF In die Löwengrube mit ihm! Man kann doch nicht über solche Sachen einfach schweigen. REDAKTEURIN DEBORA Das ist doch DER Artikel des Jahrhunderts! FOTOGRAF Das Ende des Herodes. REDAKTEURIN DEBORA Das Ende unserer Leiden. RAUMPFLEGERIN Das Kommen des Retters der Welt. REDAKTEUR MARKUS Ich weiss, ich weiss. Ich wollte es ihm ja auch erklären (er zeigt auf das Telefon); er hat aber nichts davon wissen wollen. Anordnung des Königs. Pressezensur. Grund: Staatssicherheit. – 70 – IN EINEM PRESSEZIMMER FOTOGRAF Der Mistkerl! Er will nur nicht, dass die ganze Welt erfährt, was sich ereignet. Staatssicherheit, Staatssicherheit, dass ich nicht lache! Es geht doch nur um seinen Kopf. REDAKTEURIN DEBORA Deshalb sah er so zufrieden aus! Er hat sich einen Plan ausgedacht wie aus dem Messias kein König wird. REDAKTEUR MARKUS Wie dem auch sei, aus dem Artikel wird auf jeden Fall auch nichts. FOTOGRAF Das können wir doch nicht zulassen. Der Artikel muss ganz schnell raus. Er ist machtlos, wenn alle Bescheid wissen. REDAKTEUR MARKUS Wenn wir auch nur das Geringste über die Sache veröffentlichen, werden wir rausgeschmissen. Der Chefredakteur hat mir das klipp und klar gesagt. Und obendrein könnten wir ins Gefängnis kommen, lebenslänglich, mit Folter. REDAKTEURIN DEBORA Du wirst dich doch nicht einschüchtern lassen, oder? REDAKTEUR MARKUS Was sollen wir denn machen? (die Raumpflegerin nimmt die Reinigung ohne Überzeugung wieder auf. Siehe Bild 9, S. 78) FOTOGRAF Das ist feige. REDAKTEUR MARKUS Vielleicht. FOTOGRAF Wieso „vielleicht“? DAS IST feige. – 71 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN REDAKTEUR MARKUS Na ja, wenn die Fakten ein wenig eindeutiger wären… REDAKTEURIN DEBORA Wie, „eindeutiger“? REDAKTEUR MARKUS Na ja, wie es scheint, sind diese Gelehrten nicht ganz sauber… LITERARISCHE REDAKTEURIN UND FOTOGRAF Nicht ganz sauber? REDAKTEUR MARKUS Das hat der Chef mir gesagt. Er hat seine Quellen in der Regierung. Es scheint, dass die Gelehrten Herodes angelogen haben. LITERARISCHE REDAKTEURIN UND FOTOGRAF Sie haben gelogen? REDAKTEUR MARKUS Sie haben ihm versprochen, ihm Nachricht über den Messias zu bringen. Aber nach ihrem Besuch in Bethlehem sind sie ins Ausland geflohen. Das ist doch verdächtig! Vielleicht waren sie politische Aufwiegler? REDAKTEURIN DEBORA Diese Nobelpreisträger? REDAKTEUR MARKUS Heutzutage ist ja alles möglich. REDAKTEURIN DEBORA Und der Stern? REDAKTEUR MARKUS Welcher Stern? REDAKTEURIN DEBORA Der Stern am Himmel (sie bewegt sich auf das Fenster zu. Siehe Bild 10, S. 78) – 72 – IN EINEM PRESSEZIMMER REDAKTEUR MARKUS Ein Zufall. REDAKTEURIN DEBORA Eben noch hast du von einem Wunder gesprochen. REDAKTEUR MARKUS Das war vorhin. Ich habe meine Meinung geändert. REDAKTEURIN DEBORA Und die Schriften der Propheten? REDAKTEUR MARKUS Solche Texte richtig zu verstehen ist keine einfache Sache. REDAKTEURIN DEBORA Alle Theologen sind aber einer Meinung. REDAKTEUR MARKUS Ganz so einig sind sie sich nicht mehr. LITERARISCHE REDAKTEURIN UND FOROGRAF Was? REDAKTEUR MARKUS Ja, ja. Einige verstehen die Texte jetzt anders, wie ich eben erfahren habe. REDAKTEURIN DEBORA Unglaublich! FOTOGRAF Das sieht ganz nach Herodes aus. Politischer Druck. Dieser Mistkerl! Ich hasse ihn. RAUMPFLEGERIN Und die Hirten? Die Engel? REDAKTEUR MARKUS Wer kann Hirten schon vertrauen? Vergiss nicht, es war Nacht, alles war dunkel. RAUMPFLEGERIN Alles war hell. – 73 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN REDAKTEUR MARKUS Sie waren müde… sie haben geträumt. RAUMPFLEGERIN Aha! Und alle träumen dasselbe? REDAKTEUR MARKUS Zufall! RAUMPFLEGERIN Feigling. REDAKTEUR MARKUS Kann sein, aber ich habe eine Familie, einen verantwortungsvollen Posten. Man braucht mich. Ich kann keine unnötigen Risiken eingehen. REDAKTEURIN DEBORA Ich will meine Stelle nicht verlieren (der Fotograf schaut sie erstaunt an). Ich habe Riesenopfer gebracht, bis ich sie hatte: die Studien, schlecht bezahlte Probezeiten (Zögern). Und dann frage ich mich… (Siehe Bild 11, S. 78) FOTOGRAF (Mit etwas aggressivem Ton) Was? REDAKTEURIN DEBORA Ich frage mich, ob es nicht klug wäre abzuwarten… wenigstens bis wir besser informiert sind. FOTOGRAF Abwarten, abwarten. Damit überliessen wir Herodes das Feld. Genau jetzt müssten wir handeln. REDAKTEURIN DEBORA Herodes ist zu stark. Was sollen wir die Helden spielen! Das bringt doch nichts. FOTOGRAF Meinst du wirklich? – 74 – IN EINEM PRESSEZIMMER REDAKTEURIN DEBORA Man muss vorsichtig nachdenklich). sein (der Fotograf bleibt RAUMPFLEGERIN Und die Wahrheit? Was macht ihr damit, mit der Wahrheit? Der Messias ist gekommen, er ist da. Bald wird das Königreich Gottes gegründet werden. Die Zeichen sind unwiderlegbar. Das habt ihr doch selbst gesagt. REDAKTEUR MARKUS Bei dir steht ja nichts auf dem Spiel. RAUMPFLEGERIN Darum geht es nicht. REDAKTEUR MARKUS Jeder kann tun und lassen was er will, aber ich halte mich an die Anordnungen. (Er dreht sich zur Redakteurin des humanwissenschaftlichen Ressorts um und wartet auf ihre Reaktion. REDAKTEURIN DEBORA (Nach leichtem Zögern) Vielleicht sollte ich das auch tun… (Schweigen, dann drehen sich die beiden Journalisten zum Fotografen um). FOTOGRAF (Er scheint überrascht) Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll. RAUMPFLEGERIN Feiglinge, ihr seid alle Feiglinge. Hier geht es um die Wahrheit. Und ihr achtet auf eure Ruhe, eure finanziellen Vorteile, auf das was die Leute sagen, und auf eure kleinen politischen Spielchen. Der Retter der Welt ist da! Ja, Gott ist dabei das Allergrösste das er je getan hat zu tun, und ihr habt nichts besseres zu tun, als – 75 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN nach Ausreden zu suchen, damit ihr tun und lassen könnt was ihr wollt. WISSENSCHAFTLICHER REDAKTEUR Das reicht jetzt! Halt den Mund! Wir haben genug von dir gehört. Schliesslich bist du nicht angestellt, um hier Reden zu schwingen, sondern um zu putzen. Hier ist jetzt alles sauber: also los, verzieh dich! Vielleicht wirst du anderswo gebraucht. RAUMPFLEGERIN (Sie zögert, dann nachdenklich) Vielleicht wirst du anderswo gebraucht. Das stimmt vielleicht sogar. Es gibt viele Leute, die die gute Nachricht hören sollten. Vielleicht werden sie mir zuhören (sie schüttelt ihren Staublappen aus, dann verlässt sie die Bühne. Siehe Bild 12, S. 78) REDAKTEUR MARKUS (Er hustet wegen des Staubs. Nach einem Schweigen) Ruhe! (Pause) Ich glaub’, ich geh’ zum Tempel, zum Abendgebet. REDAKTEURIN DEBORA Ich komme mit. (dann dreht sie sich zum Fotografen um). Und du, kommst du auch mit? FOTOGRAF Ich weiss nicht so recht. Geht ohne mich (Redakteur und Redakteurin gehen. Siehe Bild 13, S. 78). Ich muss nachdenken. Der Stern, die Prophetenworte, die Engel…, Herodes, das Gefängnis… Mein Schädel brummt. Gott gibt es, dessen bin ich sicher, aber es ist trotzdem nicht leicht zu entscheiden welcher der richtige Weg ist. Ich habe den Eindruck, dass ich heute eine Entscheidung treffen muss. (Er bleibt gedankenverloren mitten auf der Bühne. Dann Dunkelheit). – 76 – IN EINEM PRESSEZIMMER INSZENIERUNG 1 2 3 4 5 Eingang Bücherregal Kleiderständer Büro Stuhl 6 7 8 9 – 77 – Telefon Schreibmaschine Notizblock Virtuelles Fenster THEATER FÜR WEIHNACHTEN Handlung 1 ------------- Handlung 2 - - - - - - - - - > N - Redakteur des naturwissenschaftlichen Ressorts H - Redakteurin des humanwissenschaftlichen Ressorts F- Fotograf R- Raumpflegerin – 78 – IN EINEM PRESSEZIMMER MÖGLICHE BOTSCHAFT NACH DEM STÜCK DAS KOMMEN CHRISTI UND DER EMPFANG DEN DIE MENSCHEN IHM BEREITEN Vor zweitausend Jahren ist Gott in der Person Jesu Christi in unsere Welt gekommen. Er kam, um unserer Menschheit einen neuen Aufbruch zu schenken. Welcher Empfang ist ihm damals bereitet worden? Wie wird er heute empfangen? Sie sahen drei Einstellungen diesem Kind gegenüber: Zuwendung, Abwendung und Unentschiedenheit. Man könnte diese Verhaltensweisen mit dem vergleichen was in einem Bahnhof passiert, kurz vor der Abfahrt des Zuges. Einige Passagiere sind schon eingestiegen, andere kamen zum Bahnsteig und sind dann wieder gegangen, denn sie waren sich sicher, dass dieser Zug nicht für sie ist. Und wieder andere zögern. Sollen sie schon jetzt einsteigen? Wo wartet es sich besser auf den Freund? Im Zug oder auf dem Bahnsteig? EINE GROßE ZAHL VON UNENTSCHIEDENEN Heute haben sich einige von ihnen im Zug Gottes niedergelassen. Ich spreche von denen, die sich voll und ganz für den christlichen Glauben entschieden haben. Andere sind nicht hier, weil sie wieder weggegangen sind. Ich denke an diejenigen, die Jesus Christus fest und ohne Zögern abgelehnt haben, und die niemals umkehren werden. Dann gibt es noch eine grosse Zahl von Unentschiedenen. Sie sind schon auf dem Bahnsteig, und nicht mehr weit vom Zug entfernt. Einige von ihnen, obwohl sie mehr oder weniger regelmäßig zur Kirche gehen, haben niemals Jesus Christus als ihren Erretter angenommen. Andere beten schon gelegentlich in der Stille ihres Herzens in der – 79 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN vagen Hoffnung, dass irgendein höheres Wesen sie hört. Ja, heute gibt es viele Unentschiedene, und man fragt sich, warum sie so sehr zögern in den Zug des Lebens zu steigen. EINDEUTIGE ZEICHEN Einige sind sich nicht im Klaren über den Zug selbst: wird er tatsächlich abfahren? Der versprochene Bestimmungsort, wird er wirklich erreicht? Aber wie wir hervorgehoben haben: die Zeichen sind eindeutig, unwiderlegbar. Gott will nicht, dass die Menschen sich irren oder dass sie seine Handschrift nicht erkennen. Die Zeichen, die es rund um die Geburt Jesu gab, sind nur ein Bruchteil von alledem, was Gott getan hat, um uns zu überzeugen. Zeit seines Lebens hat Jesus Hunderte, sogar Tausende von Wundern vollbracht. Dreiunddreißig davon sind in den Evangelien niedergeschrieben: Heilungen von Blinden, von Taubstummen, von Gelähmten und anderen Kranken. Er hat einen Toten auferweckt der schon vier Tage im Grab lag, sechshundert Liter Wasser in Wein verwandelt, einen Sturm durch ein Wort beruhigt, und er lief mehrere Kilometer auf dem Wasser eines großen Sees. Die meisten dieser Wunder sind bei helllichtem Tag geschehen, als er von großen Menschenmengen umgeben war. Diejenigen, die seine Worte nicht annehmen wollten, hat er gebeten, seine Werke zu beachten: „Wenn ich nicht die Werke meines Vaters tue, so glaubt mir nicht! Tue ich sie aber, so, wenn ihr auch mir nicht glaubt, glaubt doch den Werken, damit ihr erkennt und glaubt, dass der Vater in mir ist und ich in ihm“ (Johannes 10.37-38). Das größte aller Zeichen aber ist seine eigene Auferstehung. Die vier Evangelien berichten uns davon – 80 – IN EINEM PRESSEZIMMER in allen Einzelheiten. Jesus starb an einem Kreuz, aber Gott hat ihn von den Toten auferweckt und damit den Beweis erbracht, dass Jesus der Sohn Gottes ist, der, seit Jahrhunderten durch die Propheten verheißene, Messias. DIE FURCHT VOR DEN KONSEQUENZEN Die Abfahrt und der Bestimmungsort des Zugs sind folglich klar, und doch zögern viele Menschen einzusteigen. Im Theaterstück geht die von den Zeichen überzeugte Person Risiken ein: Verlust der Arbeitsstelle, Gefängnisaufenthalt, Folter. Heute, in unseren westlichen Ländern, muss unser Glaube nicht so teuer bezahlt werden. Statt offener Verfolgung gibt es Spott und Verachtung. Was werden nur die anderen denken, wenn ich zur Kirche gehe, wenn ich meine Bibel lese, wenn ich Christ werde? Was werden sie sagen, wenn ich mich ernsthaft mit dem Glauben befasse? „ Du armes Kerlchen, hast dich wohl beschwatzen lassen. Du glaubst doch nicht diesen Märchen! Wirst Du etwa religiös auf deine alten Tage?“ Von deinem Benehmen her dachten andere, dass du ungläubig oder eine Skeptiker bist, jemand der immer einen kühlen Kopf bewahrt und alles mit Mass tut. Und jetzt bist du gezwungen diesem Image treu zu bleiben. Die Furcht vor dem was Andere sagen könnten lähmt uns. So manch einer würde liebend gern in den Zug des Lebens steigen, aber er traut sich nicht. AUF MORGEN VERSCHIEBEN Man verschiebt dann die Entscheidung auf später: auf den folgenden Tag, auf die nächste Woche, auf das Ruhestandsalter, aufs nächste Jahr. Aber indem wir uns einige Unannehmlichkeiten ersparen wollen, gehen wir das Risiko ein, alles zu verlieren. Die Zukunft gehört uns nicht. Wer weiß denn, wie viele Tage er noch zu – 81 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN leben hat? Einige werden ganz plötzlich hinweggerafft. Christus wird unvermutet wiederkommen. Dann wird es zu spät sein. Also, soll die Entscheidung aufgeschoben werden? Nun, der Zug kann jeden Augenblick ohne uns abfahren. Übrigens, wer sagt uns denn, dass es Morgen leichter sein wird sich zu entscheiden als heute? DIE ENTSCHEIDUNG SOLLTE JETZT GEFÄLLT WERDEN Wenn ihnen heute klar wurde wie eindeutig die Zeichen damals waren, sind Sie dem Zug Gottes ein Stück näher gekommen. Aber geben Sie sich nicht damit zufrieden. Tun Sie den entscheidenden Schritt: Vertrauen Sie Ihr Leben Jesus an. Vor ungefähr zweitausend Jahren zu Weihnachten ist Gott gekommen, um der Menschheit einen Neuanfang zu schenken. Wäre es nicht wunderbar, wenn Sie zu Weihnachten einen Neuanfang erleben würden? Den Aufbruch zu einem ewigen Leben mit Gott? – 82 – MISSION ERDE – 83 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN HANDLUNGSORT Das Stück spielt im Himmel, wenige Tage vor der Geburt Jesu. Einige Engel sind sehr beschäftigt. Sie sollen bald vom Himmel zur Erde fliegen um den Menschen die große Nachricht der Menschwerdung Gottes zu überbringen. PERSONEN DER ENGEL GABRIEL Edelmütig, väterlich, trägt ein grell gelbes Kleid. ENGEL HIERONYMUS Genre „Reisebegleiter“, weißes Kostüm, großer gelber Gürtel (10 cm). Er ist Gabriels Assistent. ENGEL LOGIKUS, DER LOGISCH DENKENDE Chef der kleinen Musikantengruppe, rotes Kostüm, schmaler roter Gürtel. ENGEL AFFECTUS, DER ZARTFÜHLENDE Weißes Kostüm, schmaler blauer Gürtel. ENGEL PRAKTIKUS, DER PRAKTISCH VERANLAGTE Weißes Kostüm, schmaler grüner Gürtel. DEKORATION UND MATERIAL Die Engel haben lange Kleider aber keine Flügel. Die Farbe der Gewänder und der Gürtel unterscheidet sie voneinander. Mit Ausnahme von Gabriel, dessen Rolle durch einen Mann interpretiert wird, können die anderen Rollen durch Männer oder Frauen besetzt werden. Keine besondere Dekoration zu Beginn. Die drei Musikantenengel sitzen auf Stühlen; jeder hält eine Geige. Nach einer Weile wird eine Art Fernrohr auf die – 84 – MISSION ERDE Bühne gebracht. Es werden auch ein Reisekoffer, ein Hirtenmantel und eine aufgerollte Landkarte benötigt. ERSTER AKT EINLEITUNG DES ERZÄHLERS Heute werden Sie in einem Theaterstück mit dem Titel „Mission Erde“ die Gelegenheit haben, Bekanntschaft mit Engeln zu machen. Engel waren sehr aktiv anlässlich der Geburt Christi vor ungefähr zweitausend Jahren. Wer sind diese himmlischen Wesen? Was machen sie den lieben langen Tag? Was wissen sie? Und vor allen Dingen, was wissen sie ÜBER UNS MENSCHEN? Sie werden dies sehen und hören, da die folgende Szene im Himmel einige Tage vor der Geburt Jesu spielt. (In der Dunkelheit betreten die Engel Logikus, Affectus und Praktikus die Bühne. Nach einigem Quietschen der Instrumente [die Engel stimmen ihre Geigen] geht das Licht auf der Bühne an.) ENGEL LOGIKUS (Er klatscht und bittet um Stille) Meine Freunde, wie Sie wissen, wird unser historisches Konzert, unsere Erdreise, unsere „Mission Erde“ in 11 Tagen stattfinden. (Beachten Sie: geben sie hier die Zahl der Tage an, die zwischen der Theatervorstellung und Weihnachten liegen, plus einen Tag.) ENGEL PRAKTIKUS Chef! ENGEL LOGIKUS Ja? ENGEL PRAKTIKUS In 10 Tagen. – 85 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN ENGEL LOGIKUS (Schaut auf seine Uhr) Stimmt, in 10 Tagen, auf die Stunde genau. ENGEL PRAKTIKUS Ich habe nämlich einen Kalender, mit dem ich Berechnungen rückwärts machen kann. ENGEL AFFECTUS Ich habe auch einen. Er hat kleine Fenster, von denen ich jeden Tag eins öffnen kann um dann Bilder von der Erde zu sehen. Sie haben schöne Blumen auf der Erde: rote, blaue, gelbe mit kleinen braunen Punkten… ENGEL LOGIKUS (Klatscht und bittet um Stille) Die Zeit, die uns bleibt, ist begrenzt und muss für Besseres genutzt werden. Folglich bitte ich euch um eure ungeteilte Aufmerksamkeit. Die letzten Proben werden im grossen Auditorium stattfinden mit dem großen Chor und dem Orchester. Heute Abend werden wir an den Stellen arbeiten die uns noch etwas Mühe machen. ENGEL PRAKTIKUS Den vierten und den achtzehnten Takt. ENGEL LOGIKUS Vor allem den vierten, zwanzigsten zu vergessen. ohne den sieben und ENGEL PRAKTIKUS Wir spielen sie doch gut. ENGEL LOGIKUS Wir werden sie dennoch proben… (Eine Türklingel ertönt). (Mit kräftiger Stimme) Herein! (Dann, sich an die beiden Anderen wendend) Bevor wir anfangen, werden wir Besuch von dem gnädigen Herrn Gabriel haben. Er möchte jeder Gruppe noch ganz gezielte Instruktionen erteilen. (Der praktische Engel ordnet seine Frisur und – 86 – MISSION ERDE seinen Gürtel. Gabriel tritt ein, gefolgt von Hieronymus, der einen Reisekoffer und eine Karte trägt. Der Engel Praktikus stellt die Neuankömmlinge den anderen beiden Engeln vor.) Der gnädige Herr Gabriel und sein Sekretär, Herr Hieronymus. ENGEL AFFECTUS UND ENGEL PRAKTIKUS Sehr erfreut! (die drei Musikerengel drücken Gabriel und Hieronymus die Hand) GABRIEL Werte Freunde, es ist schon viele Monate, was sage ich, Jahre her, seit ihr euch auf die „Mission Erde“ vorbereitet. Ihr und eure Kollegen haben mit Fleiss und Ernst gearbeitet. Sie haben Ihr Bestes gegeben. Im Namen unseres Herrn bedanke ich mich ganz herzlich. Es ist jetzt der richtige Moment, euch den Zweck und den Grund dieser irdischen Reise mitzuteilen. (Die drei Musiker schauen einander zufrieden an.) Das Erlösungswerk unseres Herrn, das ganz große, das entscheidende, dasjenige, das die Geschichte des Universums in ein Vorher und ein Nachher aufteilen wird, hat begonnen. DIE DREI MUSIKENGEL Hurra! GABRIEL (Hebt die Hand, und unverzüglich herrscht Ruhe) Es sind bald neun Monate vergangen, seit sich unser Herr auf den Weg zu den Menschen gemacht hat. Kein Auge hat ihn gesehen, aber in 14 Tagen wird er aus dem Schoß derjenigen, die ihn trägt, herauskommen und die Söhne Adams werden ihn zum ersten Mal sehen können. Und euer Auftrag ist es dieses Ereignis anzukündigen. DIE DREI MUSIKENGEL Hurra! – 87 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN GABRIEL (Erhebt die Hand, Schweigen) Hieronymus, kannst du mir die Karte von der Erde bringen? (Hieronymus bringt die Karte und rollt sie aus. Alle betrachten sie aufmerksam). Hier ein Blick auf den Planeten Erde. Ihr erkennt die abgerundete Form des Erdballs, die Kontinente und die Ozeane. Ihr werden hier in Palästina sein, am Schnittpunkt dreier Kontinente. HIERONYMUS Wie Sie sehen, liegt Palästina am Ufer des Mittelmeers. GABRIEL Ich bitte euch diese Karte gut anzuschauen. (Die drei Musikerengel beugen sich vor, um besser zu sehen.) In dem Falle, in dem ihr den Kontakt zu der Hauptgruppe verlieren solltet, könnt ihr jetzt den Ort des Geschehens wieder finden. ENGEL PRAKTIKUS Wenn wir erst einmal auf der Erde sind, dann könnten wir ja die Leute nach unserem Weg fragen. ENGEL LOGIKUS Das sollte nicht schwierig sein, da wir ja jetzt auch die Sprache der Menschen sprechen. HIERONYMUS Das könnte schief gehen. Die Adresse, wo ihr hin sollt, ist der großen Mehrheit der Irdischen unbekannt. ENGEL LOGIKUS Was? ENGEL PRAKTIKUS Der Ort der Geburt des Herrn… ENGEL AFFECTUS … ist den Menschen unbekannt? – 88 – MISSION ERDE GABRIEL Euer Erstaunen überrascht mich kaum. Eure Unwissenheit über Menschen ist groß. Um euch zu helfen, haben wir etwas mitgebracht, dass euch ermöglichen wird, sich mit den Bewohnern des Planeten Erde vertraut zu machen (Gabriel gibt Hieronymus ein Zeichen, der eine Art Fernrohr aufbaut, welches er zuletzt auf die Bühne gebracht hat). ENGEL PRAKTIKUS Ein seltsamer Apparat. ENGEL LOGIKUS Wozu dient er wohl? ENGEL AFFECTUS Die Farbe ist schön, aber die Form nicht so sehr. Es mangelt ihr an Harmonie. ENGEL LOGIKUS Das, was zählt, ist die Ausführung. HIERONYMUS So, ich habe es eingestellt. GABRIEL Meine Freunde, hier ist ein Teleskop. ENGEL PRAKTIKUS Ein Tele was? GABRIEL (Er artikuliert langsam) Ein Te-le-skop. HIERONYMUS Skop kommt vom griechischen „skopeo“, was soviel bedeutet wie: beobachten, sehen. Und „tele“ könnte mit „fern“ übersetzt werden. Dies ist ein Instrument, das uns erlaubt zu beobachten, was sich in der Ferne, auf der Erde bei den Söhnen Adams abspielt. – 89 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN ENGEL AFFECTUS Darf ich mal reinschauen? GABRIEL Dafür haben wir es mitgebracht. ENGEL PRAKTIKUS (Indem er sich zu dem Engel Logikus umdreht) Ihnen die Ehre, Chef. ENGEL LOGIKUS (Nähert sich dem Apparat und schaut hinein. Schweigen, dann bewundernder Pfiff) Großartig. Was ist das? HIERONYMUS Jerusalem, die Hauptstadt Israels. ENGEL LOGIKUS Zu was dienen diese hohen Mauern, die die Stadt umgeben? HIERONYMUS Damit schützen sich die Bewohner vor anderen Völkern. ENGEL AFFECTUS Sich gegen andere Völker schützen? Sind sie nicht alle Brüder? GABRIEL Schon, aber die Menschen sind auch hochmütig. ENGEL PRAKTIKUS Was bedeutet „hochmütig“? Ich habe dieses Wort hier noch niemals gehört. GABRIEL Nein, wir sind von dieser Schwäche, die den Menschen anhaftet, verschont geblieben. Bei den Adamiten möchte Jeder wichtiger und grösser als der Andere sein. – 90 – MISSION ERDE HIERONYMUS Manche üben psychologischen Druck aus; andere schrecken nicht davor zurück, Gewalt anzuwenden. ENGEL PRAKTIKUS (Nachdenklich) Also wollen voreinander schützen? die Menschen sich ENGEL LOGIKUS (Immer durch das Teleskop schauend) Sie müssen sich wirklich fürchten, wenn sie solche Mauern errichten. ENGEL AFFECTUS Darf ich sehen? ENGEL LOGIKUS (Er lässt ihm seinen beeindruckend. Platz) Bitte schön, es ist GABRIEL Diese Mauern sind der sichtbare Teil ihrer Ängste. ENGEL LOGIKUS Was wollen Sie damit sagen? GABRIEL Tief in ihrem Innersten bauen sie noch mehr Schutzwälle auf. Sie schützen sich so vor Spott und Kritik. HIERONYMUS Jeder lernt, von frühester Kindheit und Jugend an, sich gegen diese tückischen, durch den Hochmut der anderen gesteuerten Angriffe zu schützen. ENGEL LOGIKUS Welch eine Bescherung! ENGEL AFFECTUS (Er beobachtet die Erde durch das Teleskop) Der Tempel, an dem sie bauen, wird einmal prächtig sein. – 91 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN GABRIEL Sie restaurieren ihn nur und vergrössern die Anlagen. ENGEL AFFECTUS Das andere große Gebäude ist auch ein Meisterstück. HIERONYMUS Das ist der Palast des Königs Herodes. ENGEL AFFECTUS Gehen wir dorthin um die Geburt des Herrn anzukündigen? GABRIEL Nein. Ihr geht in die Felder die ein kleines Dorf umgeben… HIERONYMUS … namens Bethlehem. ENGEL AFFECTUS (Seinen Platz am Teleskop dem Engel Praktikus überlassend) Seltsam, der Palast von Jerusalem hätte doch gut zu der GROSSEN Neuigkeit gepasst, die wir aukündigen. ENGEL LOGIKUS Wird es auf dem Feld von Bethlehem Könige geben, denen wir diese große Neuigkeit sagen werden? ENGEL AFFECTUS Könige mit Kronen aus Gold, geschmückt mit vielen schönen kostbaren Edelsteinen: Diamanten, Smaragden… ENGEL LOGIKUS … Saphiren, Rubinen? ENGEL PRAKTIKUS Wie viele Könige wird es da geben? GABRIEL Keinen. – 92 – MISSION ERDE ENGEL LOGIKUS Und Prinzen? GABRIEL Keinen. ENGEL PRAKTIKUS Keinen? GABRIEL Keinen. ENGEL LOGIKUS Ich verstehe: der Herr zieht es zweifellos vor, uns zu den geistlichen Oberhäuptern zu senden. ENGEL PRAKTIKUS Logisch: ihre Funktion ist viel ehrenvoller als die der Könige. Sind die Priester nicht die Vermittler zwischen Gott und den Menschen? ENGEL LOGIKUS Wie viele Priester werden anwesend sein? ENGEL PRAKTIKUS UND ENGEL AFFECTUS Wie viele? GABRIEL Es wird keine geben. DIE DREI MUSIKENGEL Was? ENGEL LOGIKUS Keinen einzigen? GABRIEL Keinen. ENGEL AFFECTUS Aber zu wem werden wir geschickt? ENGEL PRAKTIKUS Wer sind wohl die Menschen, denen wir die gute Nachricht ankündigen dürfen? – 93 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN GABRIEL Ihr werdet zu Schafhirten gesandt. ENGEL PRAKTIKUS Zu Schafhirten? ENGEL LOGIKUS Zu Schafhirten? ENGEL AFFECTUS Zu Schafhirten? GABRIEL So ist es. HIERONYMUS Ich habe euch eins ihrer Gewänder mitgebracht, damit ihr sie leicht erkennen könnt. (Er öffnet den Koffer und holt einen Schäfermantel heraus. Der Engel Affectus probiert ihn an.) ENGEL LOGIKUS Das ist nicht das Gewand eines Königs. ENGEL AFFECTUS Nicht das eines Prinzen. ENGEL PRAKTIKUS Nicht das eines Gouverneurs. ENGEL LOGIKUS Nicht das eines Priesters. ENGEL AFFECTUS Er ist warm. ENGEL PRAKTIKUS … aber dieser Duft! ENGEL LOGIKUS Es duftet nach Schaf (er hält sich die Nase zu). HIERONYMUS Damit habt ihr nicht gerechnet, was? – 94 – MISSION ERDE GABRIEL Wir wollen euch die Sache erklären: die Söhne Adams sind hochmütig. HIERONYMUS Hochmütig, versteht ihr? ENGEL LOGIKUS Jeder will der Erste sein. ENGEL AFFECTUS Der Wichtigste. ENGEL PRAKTIKUS Der Reichste und der Stärkste. ENGEL LOGIKUS Der Schönste und Intelligenteste. ENGEL AFFECTUS Der Berühmteste und Beliebteste. GABRIEL Das habt ihr gut verstanden. Der Herr ist dabei in ihre Welt zu gehen, um sie von diesem Hochmut zu heilen der so tief in ihrem Wesen verankert ist. HIERONYMUS Und zusätzlich zu dem Preis, den er für ihre Erlösung zahlen möchte, will er auch ein Beispiel hinterlassen. Um sie von ihrem Hochmut zu befreien, wird er zu einfachen Mitteln ihrer Welt greifen. ENGEL LOGIKUS Einfache Hirten. ENGEL PRAKTIKUS Ein kleines Dorf. GABRIEL Eine bescheidene Familie. HIERONYMUS Eine einfache Krippe. – 95 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN ENGEL AFFECTUS Eine Krippe? HIERONYMUS Ja, der Messias wird in einem Stall geboren werden. GABRIEL Wie der große Prophet Jesaja es ihnen vorausgesagt hat vor sieben hundert Jahren. (Gabriel und Hieronymus öffnen eine Bibel und lesen; die Schauspieler könen aus einer Bibel lesen) „Der Messias wuchs auf wie ein Schoß, wie ein Wurzelspross aus dürrem Erdreich… HIERONYMUS … Er hatte keine Gestalt und keine Pracht; wir sahen ihn, aber sein Anblick gefiel uns nicht… GABRIEL … Verachtet war er und verlassen von den Menschen… HIERONYMUS …wie einer, vor dem man das Angesicht verbirgt, so verachtet war er… GABRIEL …und wir achteten seiner nicht… HIERONYMUS … Doch wahrlich, unsere Krankheit trug er, und unsere Schmerzen lud er auf sich“ (Gabriel schließt die Bibel). GABRIEL Wie der Herr es selbst sagen wird: Glückselig sind die geistlich Armen, denn ihrer ist das Himmelreich. HIERONYMUS Sie werden den Herrn erkennen, denn sie werden nicht durch diesen übermäßigen Hochmut verblendet sein. ENGEL LOGIKUS Die Weisheit des Herrn ist wunderbar! – 96 – MISSION ERDE ENGEL PRAKTIKUS Einfach wunderbar! ENGEL LOGIKUS Ich freue mich jetzt darauf, zu diesen Hirten zu gehen. ENGEL AFFECTUS Zu diesen Menschen, auf denen die Gnade Gottes ruht! (Freude der Engel) ZWEITER AKT GABRIEL (Nach einer Pause) Wir kommen zu einer anderen Sache. Der Hochmut ist nicht die einzige Schwäche, die der Menschheit anhaftet. Es gibt eine andere, ebenfalls ernste Krankheit, die mit ihr mehr oder weniger direkt verbunden ist. HIERONYMUS Diese Krankheit ist schrecklich. Sie zerstört die Menschheit und es ist unsere Pflicht, euch vor ihr zu warnen. ENGEL AFFECTUS Ist sie ansteckend? HIERONYMUS Für die Menschen ja. Für uns nicht. ENGEL PRAKTIKUS Um was handelt es sich? GABRIEL Der Fachausdruck ist euch wahrscheinlich unbekannt, denn diese Krankheit kommt in unserer himmlischen Welt des Lichts nicht vor. Ich spreche vom Unglauben. – 97 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN ENGEL AFFECTUS Unglauben? ENGEL PRAKTIKUS Was ist das? LIGISCHER ENGEL Was sind die Symptome dieser Krankheit? GABRIEL Der Unglauben ist schwierig zu definieren. Sagen wir, es ist eine Art Allergie gegen alle Worte Gottes, eine Art von spontaner Zurückweisung dessen, was Gott sagt, ein Zweifeln an der Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit der göttlichen Worte. ENGEL PRAKTIKUS (In einem erbosten Ton) Sie meinen, dass die Menschen Gott nicht mehr glauben? HIERONYMUS Sie glauben Gott nicht mehr, und es kommt noch schlimmer. Sie sind auch noch stolz auf jeden Zweifel den sie bekannt geben können. ENGEL LOGIKUS Das gibt es doch nicht! HIERONYMUS Sie sagen, dass der Unglaube wissenschaftlich sei. GABRIEL Sogar ihre religiösen Führer sind von diesem Krebs befallen, der das Leben zerstört. HIERONYMUS Ohne Gott verschwindet aller Sinn des Lebens. GABRIEL Einige dieser sogenannten theologischen Experten möchten all die Menschen lächerlich machen, die es wagen, alle Worte Gottes zu glauben. – 98 – MISSION ERDE ENGEL AFFECTUS Das bleibt mir ja die Spucke weg. GABRIEL Setzen wir uns (Gabriel, Hieronymus und der logische Engel setzen sich). ENGEL PRAKTIKUS Ich habe betrübliche Dinge über die Söhne Adams gehört, aber dieses übertrifft sie alle: nicht die Worte unseres Herrn zu glauben. Wie können sie so etwas nur wagen? GABRIEL Ich sehe, dass es gut war euch zu warnen, denn die Menschen, zu denen ihr euch begeben werdet… ENGEL AFFECTUS Die Hirten. GABRIEL … könnten auch vom Unglauben befallen werden. ENGEL LOGIKUS Sind diese Menschen nicht sorgfältig ausgesucht worden? HIERONYMUS Sicherlich, aber man kann nie ganz ausschließen, dass einige Menschen unserer Botschaft gegenüber skeptisch sein werden. GABRIEL Ich habe das selbst erlebt. Es war vor ungefähr einem Jahr, anlässlich einer meiner irdischen Missionen. Ich wurde in den Tempel Gottes gesandt, den ihr vorhin durch das Teleskop gesehen habt. Und zwar zu einem Mann namens Zacharias, einem Priester vom Stamm Abijas. Während er Gott im Tempel diente, kündigte ich ihm an, dass seine nicht mehr ganz junge und – 99 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN unfruchtbare Frau ihm einen Sohn gebären werde, der die Ankunft des Herrn vorbereiten soll. ENGEL PRAKTIKUS Und dann? GABRIEL Statt sich zu freuen zweifelte er. ENGEL AFFECTUS Er zweifelte? ENGEL LOGIKUS Hat er Sie auch erkannt? Hat er wirklich begriffen, dass Sie ein Bote des Gottes waren? HIERONYMUS Unser Herr Gabriel war ihm im Tempel Gottes begegnet. Klarer kann das nicht sein. ENGEL PRAKTIKUS Was haben Sie gemacht? GABRIEL Als er nicht glauben wollte und ein Zeichen verlangte, habe ich ihm die nötigen Beweise geliefert. Da er das was Gott sagte nicht hören wollte, sagte ich ihm, dass man seine Stimme fortan nicht mehr hören werde bis sich das Wort Gottes erfüllen würde. HIERONYMUS Er wurde unverzüglich stumm. GABRIEL Also konnte er, zu seinem Leidwesen, feststellen, dass man dem Wort eines wahren Boten Gottes immer vertrauen kann. ENGEL PRAKTIKUS Eine ausgezeichnete Beweisführung!. ENGEL LOGIKUS Werden denn die Hirten in derselben Weise reagieren? – 100 – MISSION ERDE GABRIEL Ich weiß es nicht recht. Der Herr allein weiß alle Dinge. Alles, was ich euch sagen kann, ist, dass diese Krankheit sehr verbreitet ist unter den Menschen. Sogar Zacharias, einer ihrer Besten, war von ihr befallen. Folglich ist es unsere Aufgabe, euch auf dieses Übel aufmerksam zu machen. ENGEL PRAKTIKUS Das ist ganz in Ordnung so. ENGEL LOGIKUS Haben wir da nicht ein Problem? Da die Menschen ungläubig sind und da wir nur zu Hirten gesandt werden, die nicht besonders von ihren Zeitgenossen geachtet werden, wird unsere Botschaft überhaupt von der Welt angenommen werden? Werden die Menschen wirklich erkennen, dass der Messias gekommen ist? GABRIEL Beruhigt euch. Der Herr wird sich nicht auf das Zeugnis seines Engelchors beschränken. HIERONYMUS Seit kurzem glänzt ein neuer Stern am Himmel der Menschen (Hieronymus rückt das Teleskop zurecht, der Engel Logikus schaut, gefolgt von den Engeln Affectus und Praktikus. Sobald der Engel Logikus durch den Apparat geschaut hat, gehen die Gespräche weiter.) ENGEL LOGIKUS Den können fast alle Menschen sehen.. HIERONYMUS Genau. GABRIEL Ferner kündigen die Heiligen Schriften ganz genau die Ereignisse an, die dort unten demnächst stattfinden – 101 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN werden. Da muss man sich nur die Mühe geben um es nachzulesen. HIERONYMUS Der Prophet Micha, ein Zeitgenosse Jesajas, hat ihnen den Ort der Geburt des Retters angezeigt. GABRIEL In der Tat werden sich die außergewöhnlichsten Zeichen in etwa dreißig Jahren ereignen, wenn der Messias alt genug sein wird um seinen Dienst anzutreten. HIERONYMUS Dann wird es hunderte von Zeichen geben, die seine Worte bestätigen werden. (alle Schauspieler stehen jetzt) GABRIEL Die verblüffendsten Wunder wird unser Herr tun. HIERONYMUS In aller Öffentlichkeit, damit keiner sie verpasst. GABRIEL Niemand wird sie leugnen können, so dass auch die grössten Zweifler überzeugt werden. ENGEL PRAKTIKUS Wunderbar. ENGEL AFFECTUS Ehre sei Gott Musikengeln). (große Freude unter den drei ENGEL LOGIKUS Die Seuche wird eingeschränkt werden. ENGEL PRAKTIKUS Ja, die Seuche des Unglaubens wird gestoppt werden. HIERONYMUS Unglücklicherweise nicht. – 102 – MISSION ERDE GABRIEL Selbst wenn viele glauben werden, die Einflussreichsten werden sogar diese Zeichen leugnen. DIE DREI MUSIKENGEL Was? GABRIEL In der Tat, im allerwichtigsten Moment werden ihn alle im Stich lassen. ENGEL AFFECTUS Nicht doch! ENGEL PRAKTIKUS Selbst seine treuesten Freunde? HIERONYMUS Selbst seine treuesten Freunde. GABRIEL Einer von ihnen wird ihn verraten (der Engel Affectus und der Engel Praktikus setzen sich). ENGEL LOGIKUS Aber dann wird alles aus sein. Werden die Menschen ihn dann endgültig abschreiben? GABRIEL Nein, denn nachdem viele sich von ihm abwenden, wird er ein letztes Zeichen setzen. HIERONYMUS Das außergewöhnlichste, das aufsehenserregendste. GABRIEL Er wird seinen Freunden, und allen Menschen, die ihn ernsthaft suchen, ein unerschütterliches Fundament für ihren Glauben geben. ENGEL LOGIKUS Um was handelt es sich? – 103 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN GABRIEL Christus wird den Tod besiegen. Nach der Kreuzigung wird er sich vierzig Tage lang lebendig seinen Freunden zeigen. HIERONYMUS Mehr als fünfhundert Personen werden ihn lebend sehen. GABRIEL Er wird handfeste Beweise seiner Auferstehung geben. HIERONYMUS Sie werden ihn aus der Nähe sehen, sie werden ihn berühren können, sollten sie es wünschen, er wird ihnen Nahrung zubereiten. ENGEL LOGIKUS Vierzig Tage soll das dauern. Aber wird dieses Zeichen auch für die künftigen Generationen überzeugend sein? GABRIEL Natürlich. Mehrere Augenzeugen Ereignisse SCHRIFTLICH festhalten. werden diese HIERONYMUS Und diese Schriften werden von Generation zu Generation weitergegeben. Man wird sie sogar in alle Sprachen für alle Völker übersetzen. GABRIEL Immer wieder wird es Leute geben die nichts unversucht lassen um diese Zeugen zum schweigen zu bringen. Sie werden es mit Drohungen, Macht und Gewalt versuchen, denn ihre schwachen Argumente werden nur diejenigen überzeugen, die von den Beweisen nichts wissen. – 104 – MISSION ERDE HIERONYMUS Aber alle die ernsthaft nach der Wahrheit suchen, werden durch diese Zeugnisse überzeugt werden. Der Herr selbst hat dies versprochen. ENGEL LOGIKUS Großartig. ENGEL PRAKTIKUS Der Herr ist wunderbar. ENGEL AFFECTUS Der Herrn sei gelobt! ENGEL LOGIKUS Wenn ich die Sache richtig verstehe, dann ist unsere „Mission Erde“ nur eine der Taten Gottes von denen es noch viele geben wird. GABRIEL Das ist richtig. ENGEL PRAKTIKUS Das ist wie ein grosses Feuerwerk. Welche Ehre daran teilhaben zu dürfen. GABRIEL Wir teilen eure Freude. Nun müssen wir aber weiterziehen, um noch die anderen Engel des Chors und Orchesters zu informieren. HIERONYMUS Schade, dass ich euch nicht begleiten kann, aber ich werde eure Mission aus der Ferne verfolgen (er nimmt das Teleskop und klemmt es sich unter den Arm). GABRIEL Bis bald. HIERONYMUS Und gute Reise. – 105 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN ENGEL LOGIKUS Bis bald, gnädiger Herr Gabriel; bis bald, geehrter Herr Hieronymus. ENGEL AFFECTUS Danke für Ihren Besuch (Gabriel und Hieronymus gehen). ENGEL PRAKTIKUS Danke. (Sich an den logischen Engel wendend) Chef, das ist großartig. Ich könnte vor Freude tanzen. ENGEL LOGIKUS Ich auch, nur… (Zögern). ENGEL PRAKTIKUS Ja? ENGEL LOGIKUS Ich hoffe, dass viele demütig genug sein werden, um das Heil unseres Herrn anzunehmen. ENGEL AFFECTUS Hoffen wir es. Nichts wäre schlimmer, als wenn sie das Werk Gottes zurückweisen würden. (Pause und bekümmerte Gesichter der drei Musikerengel.) ENGEL PRAKTIKUS (Mit Enthusiasmus) Aber eins dürfen wir nicht vergessen. Wenn sie das Evangelium annehmen… ENGEL LOGIKUS Ja? ENGEL PRAKTIKUS Wenn sie das Evangelium annehmen, dann werden wir eines Tages alle diese Menschen hier bei uns begrüßen können. ENGEL AFFECTUS Ja. – 106 – MISSION ERDE ENGEL LOGIKUS Sie werden hier all die Herrlichkeiten des himmlischen Königreichs bestaunen können. ENGEL PRAKTIKUS Sie werden für immer bei uns leben. ENGEL AFFECTUS Ja, das wird lange dauern. ENGEL LOGIKUS SEHR lange. – 107 – FLUG 3001 – 109 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN HANDLUNGSORT Die Handlung findet in moderner Zeit statt, in der Kabine erster Klasse eines Linienflugzeugs. In ein paar Tagen ist Weihnachten. Das Flugzeug bereitet sich zum Start vor. PERSONEN DER ARME: Einfacher Mann, großmütig, gläubig. DER REICHE: Materialistisch, hochmütig. DIE GATTIN (des Reichen): Wie der Ehemann, kann aber ihre Angst nicht verstecken sobald eine Gefahr droht. DER GEHOBENE ANGESTELLTE: Bereit zum Dialog, denkt nach, schenkt nicht jedem Wort sein Vertrauen. DAS KIND: Spontan, seine Fragen bewirken Verlegenheit; sagt, was die anderen denken. Sein Name: Christoph (oder Christine, wenn es sich um eine Tochter handelt). DIE MUTTER: gibt acht auf den guten Schein. DIE STEWARDESS: Bleibt ihrer Rolle treu. STIMME DES KAPITÄNS: Man hört nur seine Stimme; er erscheint niemals auf der Bühne. ANONYME STIMME, die den Schluss spricht. DEKORATION, MATERIAL UND GERÄUSCHE Sechs gleich aussehende Stühle, alle mit einem Sicherheitsgurt ausgestattet; drei Sessel. Ein Kostüm für die Stewardess. Ein großes Paket in Geschenkpapier verpackt (zum Beispiel 70x40x40 cm). – 110 – FLUG 3001 Geräusche: (1) Lärm der Triebwerke, (2) Gong für die Durchsagen (Erlaubnis zum Rauchen, zum Gurtfestmachen/-abnehmen), (3) Krachen (für die Panne), (4) Schlussbotschaft (feierliche Stimme). INSZENIERUNG Die sechs Stühle sind paarweise in drei Reihen links auf der Bühne aufgestellt, nicht parallel zum Bühnenrand, sondern leicht diagonal, damit man die Passagiere besser sehen kann. Die drei Sessel stehen rechts, im Halbkreis. Ein virtueller Gang trennt die Stühle von den Sesseln. Zu Beginn des Stücks nehmen die Passagiere ihre Plätze ein (dann bereitet sich das Flugzeug zum Start vor): in der ersten Reihe befinden sich das Kind links (an einem virtuellen Fenster) und seine Mutter rechts; in der zweiten Reihe sitzt der Angestellte links, der Platz rechts ist frei; in der dritten Reihe sitzen der Reiche und seine Gattin. ERSTER AKT EINLEITUNG DES ERZÄHLERS Weihnachten. Weihnachten ist eine Zeit zum Innehalten, eine Zeit zum Nachdenken, mitunter auch eine Zeit um zu Reisen. All das können Sie mit unserem Theaterstück unternehmen. Wir laden Sie ganz herzlich zum „Flug 3001“ ein. Sie reisen natürlich in der neuesten Errungenschaft der Wissenschaft und sogar in der ersten Klasse, da es ja X ist, der Sie heute einlädt (den Namen der veranstaltenden Organisation angeben). Machen Sie von Ihrer Vorstellungskraft gebrauch, und das Bühnenbild ist perfekt gestaltet. Der Flug 3001 startet gleich. Willkommen an Bord! – 111 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN (In der Dunkelheit: Geräusch eines Flugzeugs das abhebt. Daraufhin wird das Licht allmählich heller; die Passagiere sitzen auf ihren Stühlen; Gong und Mikrofondurchsage der Stewardess.) DIE STEWARDNESS (Sie ist nicht sichtbar) Meine Damen und Herren, das Rauchverbot gilt für den gesamten Flug. Wir bitten Sie, sich des Rauchens zu enthalten, sei es auf ihrem Platz oder in den Toiletten. Sie können jetzt ihren Gurt öffnen und Ihren Sitz vorübergehend verlassen. (Bewegung bei einigen Passagieren. Der Reiche und seine Gattin lassen sich in den Sesseln nieder.) DAS KIND Mama, schau, ich habe den Gurt ganz alleine aufbekommen; warte, ich kann dir helfen. (Pause, dann den Reichen und seine Gattin in den Sesseln sehend) Oh! Ich werde mich auch in einen Sessel setzen. DIE MUTTER (Sie hält ihr Kind zurück) Nein, Christoph, du kannst nicht dorthin gehen. DAS KIND Und warum nicht? DIE MUTTER Du bist nur ein Kind. DAS KIND Na und? Ich kann mich benehmen; und ich werde aufpassen, und nichts schmutzig machen. DIE MUTTER Ich habe nein gesagt. DAS KIND Aber ich werde niemanden stören. – 112 – FLUG 3001 DIE MUTTER Christoph, darum geht es nicht. Dein Flugschein hat nur die Hälfte von dem eines Erwachsenen gekostet. Das heisst, dass du hier sitzen darfst, aber du kannst nicht über Sessel verfügen. DAS KIND Das ist ungerecht. Ich doch mehr als ein halber Erwachsener. DIE MUTTER Du bist mir das Liebste in der Welt. Übrigens, dein Platz ist der beste. Du sitzt am Bullauge. DAS KIND Bullauge, was ist das? DIE MUTTER Das Fenster eines Flugzeugs. Schau, wie klein die Häuser sind (sie lenkt seine Aufmerksamkeit um, indem sie ihm die Landschaft zeigt). DIE GATTIN Glücklicherweise dürfen die Kinder nicht in die Sessel. Die hüpfen so viel herum, dass man keinen Frieden mehr hätte. DER REICHE Ich meine, dass Kinder in der ersten Klasse nichts zu suchen haben. Ich brauche Frieden und Ruhe. Nach unserer Ankunft muss ich mehrere Verträge unterschreiben, die Millionen einbringen, und ich muss im Besitz aller meiner Kräfte sein, um über die letzten Einzelheiten verhandeln zu können. DIE GATTIN Vielleicht könnten sie eine „Superklasse“ einrichten. Und dort wäre es absolut still. – 113 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN DER REICHE Ich wäre bereit, das Doppelte für solch einen Service zu bezahlen. ZWEITER AKT (Die Stewardess tritt ein, gefolgt von dem Armen, der ein großes Paket trägt.) DIE STEWARDNESS Hierher, mein Herr. Hier ist die Kabine erster Klasse. Der Sitz 2 B ist frei. DER ARME (Verwundert pfeifend) Das ist gar nicht schlecht hier; so etwas kann man schlecht ablehnen. Einen schönen guten Tag, die Damen und Herren (niemand antwortet). Guten Tag (Stille; der Reiche und seine Gattin wenden sich ab; der Arme ist darüber etwas verdutzt). Wo kann ich das Paket hinlegen? DIE STEWARDNESS Ich habe Ihnen schon gesagt, Sie werden es auf dem Schoss halten müssen. DER ARME Ah, ich dacht, es würde hier genug Platz geben. DIE STEWARDNESS Mein Herr, die sperrigen Gepäckstücke müssten eigentlich bei den Koffern sein. DER ARME Aber… dort könnte es beschädigt werden. DER REICHE (Aggressiver Ton) Solche Gepäckstücke sind nicht in den Kabinen zugelassen. – 114 – FLUG 3001 DAS KIND (Sich umdrehend) Mama, schau! Das große Paket! DER ARME (Schaut den Reichen und das Kind an) Na, jetzt geht es mir schon viel besser. Die Leute hier können also doch sprechen. Ich dachte, alle Welt sei taub und stumm hier (der Reiche zuckt die Achseln und wendet sich wieder ab). DAS KIND Sie da, was haben sie denn da drin in ihrer Kiste? DER ARME Das ist eine Überraschung: ich will jemandem eine Freude machen. Es ist ein Weihnachtsgeschenk. DIE MUTTER Christoph, lass den Herrn in Ruhe. Er möchte nicht gestört werden. DER ARME Aber er stört überhaupt nicht. Christoph, das ist ein schöner Name. DAS KIND Finden Sie? DER ARME Aber ja doch! Jedes mal wenn man dich ruft, spricht man vom Retter der Welt. DAS KIND Von wem? DER ARME Vom Retter der Welt, dem Messias, Christus. Christ, Christoph. DAS KIND Ach so! – 115 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN DER ARME Kennst du Jesus? Den Christus, den Sohn Gottes, denjenigen, der in die Welt gekommen ist, um die Menschen von ihren Sünden zu retten? Zu Weihnachten feiert man seine Geburt. DIE MUTTER Christoph, ich habe dich gebeten den Herrn nicht zu stören (die Mutter nimmt das Kind bei der Schulter oder beim Arm und bringt es dazu sich zu setzen). DER ARME Aber er stört mich nicht. (Als er sieht, dass das Kind verschwunden ist, zuckt der Arme die Achseln, und versucht es sich auf seinem Platz gemütlich zu machen. Das Paket ist ihm dabei immer im Weg. Er versucht es auf seine Knie zu halten, dreht es hin und her, in dem Versuch die beste Lage ausfindig zu machen. Schließlich steht der Arme auf und legt das Paket auf den freien Sessel.) DER REICHE (Wendet sich an den Armen) Was machen Sie da? Die Stewardess hat Sie gebeten, es auf dem Schoss zu halten. DER ARME Hier stört es doch niemanden, oder? DER REICHE Ja! Mich! DER ARME Warum? DER REICHE Weil…. DER ARME Weil was? – 116 – FLUG 3001 DER REICHE Weil… (Schweigen, dann) Es könnte sein, dass ich in ein paar Minuten den Platz wechseln möchte. DER ARME Dann kann ich das Paket irgendwo anders hinlegen. DER REICHE Die Stewardess hat Sie gebeten, Ihr Gepäckstück auf dem Schoss zu halten, also halten Sie es auf dem Schoss (verärgerter Tonfall). DER ARME Man muss sich doch nicht gleich wegen so’ner kleinen Sache aufregen. Ich will niemanden stören. Dann behalte ich eben das Paket auf meinem Schoss. (Der Arme lässt sich umständlich auf seinem Sitz nieder; der höhere Angestellte macht sich ganz klein, da er zwischen dem Fenster und dem Armen mit dessen Paket eingeklemmt ist.). DER ANGESTELLTE (Erhebt sich schließlich und fragt:) Mein Herr, würden Sie mich bitte vorbei lassen? (Der Arme steht auf und macht dem Angestellten Platz, der sich in den Gang stellt.) Wenn es ihnen nichts ausmacht überlasse ich Ihnen gerne meinen Sitzplatz. Sie können dann Ihr Paket ablegen. Ich gehe zu dem Sessel dort drüben. DER ARME Das ist wirklich sehr liebenswürdig von Ihnen. DER REICHE (Wendet sich an den Angestellten) Warum haben Sie das getan? DER ANGESTELLTE Mögen Sie Frieden? Ich auch; und manchmal muss man ein Zugeständnis machen, um des lieben Friedens Willen. – 117 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN DER REICHE Vielleicht haben Sie Recht (allgemeines Schweigen). DER ARME (Wendet sich an den Angestellten) Ganz gemütlich hier, besonders ohne dieses Paket auf dem Schoss; wenn ich gewusst hätte, dass es keine großen Schränke für mein Geschenk gibt, hätte ich es bei meinen Koffern gelassen. DER ANGESTELLTE Fliegen Sie zum ersten Mal? DER ARME Ja, zum allerersten Mal; für so etwas habe ich kein Geld. DER ANGESTELLTE Und dann fliegen Sie auch noch in der ersten Klasse? DER ARME Die zweite war voll belegt. Und da sie einen Reisenden zu viel an Bord hatten, haben sie mich gebeten, in der ersten Klasse zu reisen. DIE GATTIN (Zu ihrem Mann) Sie hätten irgend jemand anderes nehmen können. DER ARME Wegen meinem großen Paket haben sie sicher gedacht, dass ich hier weniger stören würde, bei dem Platz. Ich bin wirklich gesegnet. DAS KIND (Es hat sich seit einer Weile umgedreht und fragt nun seine Mama) Was bedeutet „gesegnet“? DIE MUTTER Glück haben. DER ARME In der ersten Klasse reisen, und das gratis. – 118 – FLUG 3001 DER ANGESTELLTE Gratis? Sie haben doch Ihren Flugschein in der Touristenklasse bezahlen müssen. DER ARME Nein. Ich habe bei einem Wettbewerb gewonnen. Der erste Preis eines Seifenherstellers war eine Flugreise in der zweiten Klasse. DER REICHE Das ist mal wieder unsere Konkurrenz. Sie äffen uns immer nach. Nur wir, wir verschenken eine Reise erster Klasse. Qualität verpflichtet. DER ANGESTELLTE (Wendet sich an den Armen) Sie haben wirklich Glück: eine kostenlose Flugreise, und jetzt sind Sie sogar in die erste Klasse befördert worden. Sie haben vielleicht ein Glück! DER ARME Man könnte vielleicht sagen, dass ich gesegnet bin. DAS KIND Mama, was bedeutet „gesegnet“? DIE MUTTER Glück haben. DAS KIND Aber der Herr mit dem großen Paket scheint zu sagen, dass es nicht das Gleiche ist. DIE MUTTER Also ich sehe da keinen Unterschied; und dann ist das alles unwichtig. DAS KIND Hallo, Sie da! Was ist das: „gesegnet“? DIE MUTTER Christoph! – 119 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN DER ARME Ich bin froh, dass du gute Fragen stellst. Siehst du, Christoph, wenn Gott einem Menschen Gutes tut, dann sagt man, dass dieser Mensch gesegnet ist. Gott gibt auf jeden Menschen Acht, aber ganz besonders auf diejenigen, die ihm ihr Vertrauen schenken. DAS KIND Und Sie haben Gott ihr Vertrauen geschenkt? DIE MUTTER (Sanfter) Christoph! DER ARME Aber sicher. Weil er der Ursprung alles Lebens ist, dann ist es selbstverständlich dass er geehrt wird. Und dann kommt noch etwas dazu: wenn man bedenkt, wie groß seine Liebe zu uns ist, dann fällt es schwer, ihn nicht zu lieben; und das Vertrauen ist dann etwas das ganz Natürlich ist. DER ANGESTELLTE Und dann hat Gott Sie belohnt, und Ihnen eine Reise erster Klasse organisiert (ironischer Tonfall). DER REICHE Um in der ersten Klasse zu fliegen brauche ich keinen Gott. Wenn ich es will, kann ich mir diesen Luxus täglich leisten. DER ARME Dieser Flug in der ersten Klasse ist nur eine kleine Zugabe. Gott gibt mir viel mehr, und dies alle Tage meines Lebens. Dinge, die sich der reichste Mann der Welt nicht leisten kann. DIE GATTIN Ich möchte nicht neugierig sein. Aber darf man wissen, wovon Sie reden? – 120 – FLUG 3001 DER ARME Ich meine die innere Ruhe, Frieden; die Liebe zu meinem Nächsten, eine feste Hoffnung was die Zukunft betrifft. DER REICHE Mir gibt das Geld alle Sicherheit die ich brauche. Die Liebe zum Nächsten ist nicht wichtig. Sie ist oft nichts anderes als Schwäche. Zum inneren Frieden muss ich sagen, das ich schon vor langer Zeit gelernt habe, meine Gefühle zu unterdrücken. DIE GATTIN Da haben Sie es. Man kann auch gut ohne Ihren Gott zurechtkommen. DER REICHE Ich habe alles, was ich zum Leben brauche, aber auch ALLES, ALLES, wirklich ALLES (drückendes Schweigen). DRITTER AKT (Plötzlich flackert das Licht, geht aus und wieder an. Unregelmässige Triebwerkgeräusche, die Passagiere werden etwas hin und her geschüttelt, einige Ausrufe wie: „Mein Gott, Mama, was geht hier vor sich, ich habe Angst, iiieee“, dann kehrt Ruhe zurück.) DIE GATTIN Was war das, Liebling, was ist passiert? DER REICHE Keine Ahnung. DIE GATTIN Unternimm doch etwas. Wir haben das Recht zu wissen was hier vorgeht. Wir fliegen erste Klasse. – 121 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN DER REICHE (Er ruft) Fräulein, Fräulein! Stewardess! Kommen Sie oder was? DER ANGESTELLTE Regen Sie sich nicht so auf. Die hat jetzt zu tun. Wir werden schon hören was los ist sobald sie es kann. DER REICHE (In heftigem Ton) Ich rege mich nicht auf, aber man hat doch das Recht zu wissen was los ist. Fräulein! Stewardess! STIMME DES KAPITÄNS (Gong für die Durchsage, dann Stimme des Kapitäns) Meine Damen und Herren, hier spricht der Kapitän. Eines unserer Triebwerke hat einige Störungen. Wir versuchen den Schaden zu beheben, und sind zuversichtlich, dass es uns bald gelingen wird. Unser supermoderner Apparat ist so ausgerüstet, dass alle Schäden behoben werden können. Es gibt keinen Grund zur Sorge; in einigen Minuten ist alles wieder in Ordnung. DER REICHE Siehst du, Liebling. Alles geht in Ordnung. DAS KIND Du, Mama, sagen sie die Wahrheit? DIE MUTTER Aber ja, mein Liebling, aber ja. DAS KIND Werden wir sterben? DIE MUTTER Aber nein. Du hast den Kapitän gehört. Unsere Maschine ist die modernste; sie kann mit allen Problemen fertig werden. – 122 – FLUG 3001 DAS KIND Aber wenn das Flugzeug so gut ist, warum hat es Probleme? DIE GATTIN (Wendet sich an die Mutter) Können Sie Ihr Kind nicht zum Schweigen bringen? Seine Fragen machen mich krank. DIE STEWARDNESS (Sie kommt im Laufschritt herein und knipst einen Schalter an, dann macht sie kehrt.) DER REICHE Hallo! Fräulein! Was ist passiert? Ist alles wieder in Ordnung? DIE STEWARDNESS (Außer Atem und mit einer gewissen Unruhe in der Stimme) Alles ist in Ordnung; Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, ES IST ALLES IN ORDNUNG (betont die letzten Worte fast schreiend). DAS KIND Mama, schau: da ist Feuer auf dem Flügel. DER ARME Ein Triebwerk brennt! (Alle Passagiere stürzen auf die Fenster zu). DER REICHE (Schreiend) Was ist los? Fräulein, was ist los? DIE STEWARDNESS Ich weiß es nicht, mein Herr. Wir haben noch nie Probleme mit dieser Maschine gehabt. (Und fast schreiend) Bleiben Sie ruhig, bewahren Sie Ruhe; jeder kehre an seinen Platz zurück. Sobald wir mehr wissen, geben wir Ihnen Bescheid. Entschuldigen Sie mich, aber ich werde anderswo gebraucht. (Sie verlässt die Bühne) – 123 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN DER REICHE Ruhe bewahren! Ruhe bewahren! Das ist doch die Höhe! Wir könnten alle sterben, und dann solle man die Ruhe bewahren. DIE GATTIN (Sich an den Ehemann wendend) Sprich nicht von Sterben, das macht mich krank. DER ANGESTELLTE Es könnte aber stimmen. Machen wir uns nichts vor. DER REICHE Man gibt ein Vermögen aus, nur um mit der letzten Errungenschaft der Wissenschaft zu fliegen, und jetzt sollen wir alle sterben. DAS KIND Mama, ich habe Angst (es beginnt zu schluchzen). DER ARME (Erhebt sich und ergreift die Hand des Kindes) Christoph, hast du Angst? DAS KIND Ja, ich habe Angst. DER ARME Deine Angst ist verständlich. Aber hast du an Weihnachten gedacht? DAS KIND An Weihnachten? DER ARME Ja, Weihnachten. An Weihnachten ist Gott zu den Menschen gekommen. Er selbst ist Mensch geworden, um uns zu helfen, um uns zu retten. An Weihnachten sagt Gott uns, dass er die Menschen liebt, dich, mich, alle Menschen, die Kinder und die Erwachsenen. In Jesus ist das wie wenn Gott uns die Hand hält, um uns zu helfen. Noch besser, er fasst unsere Hand um uns zu – 124 – FLUG 3001 führen, uns zu ermutigen, uns zu beschützen. Diese Hand, die er einmal ergriffen hat, wird er keinen Augenblick loslassen. DAS KIND Dann werden wir nicht sterben? DER ARME Derjenige, der die Hand Jesu ergreift, wird für immer bei ihm bleiben, selbst wenn er sterben sollte, denn wir müssen ja alle eines Tages sterben. Aber an dem Tag, an dem er stirbt, wird Jesus nicht seine Hand loslassen, er wird an seiner Seite bleiben. DAS KIND Wie das denn? DER ARME Jesus hat den Tod überwunden. Und er hat versprochen, dass alle, die ihm Vertrauen schenken, den Tod überleben werden. Jesus wird sie vom Tod ins Leben zurückbringen und sie werden für immer bei ihm sein. DAS KIND Für immer? DER ARME Für immer. DIE MUTTER Ihre Worte tun uns gut. DER ARME Sie sind wirklich wahr. DER REICHE Das ist doch alles ein Riesenquatsch! DIE GATTIN Liebling! – 125 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN DER REICHE Ja doch, Quatsch. Gott hilft niemandem. In diesem Leben ist man selbst der Mann. Ich habe mich immer alleine durchgeschlagen, und so meinen Platz an der Sonne erobert. DER ANGESTELLTE Dieser Platz ist jetzt recht wackelig. DER REICHE Wie bitte? DER ANGESTELLTE Das Sie auf dem selbst eroberten Platz sitzen hilft ihnen jetzt wenig. DER REICHE Sie Schlauberger. Wenn dieses Flugzeug abstürzt, wird es Ihnen nicht besser gehen als mir. DER ARME Jetzt geht es mir nicht besser als Ihnen. Aber was kommt später auf Sie zu? DER REICHE Wie, später? DER ARME In der Ewigkeit. DER REICHE In der Ewigkeit? DER ARME Was in der Ewigkeit stattfinden wird ist nicht das gleiche für alle. DER ANGESTELLTE Wer weiss denn überhaupt, was in der Ewigkeit los sein wird? – 126 – FLUG 3001 DER ARME Jesus, der Christus, derjenige, der vom Himmel gekommen ist und in den Himmel zurückgekehrt ist. DIE MUTTER Und was sagt er? DER ARME „Wer an mich glaubt, wird nicht sterben, sondern besitzt ewiges Leben.“ Glaubt an Jesus Christus und ihr werdet das ewige Leben haben. DAS KIND Das einfach zu glauben, ist das genug? DER ARME Zu glauben, dass er Leben schenken kann, ist alles was man tun muss. Wer möchte ihm vertrauen? DAS KIND Ich. DER ARME Wer noch…? VIERTER AKT (Schweigen, die Schauspieler schauen einander an, dann erstarren alle im gleichen Augenblick. Das Licht geht langsam aus. In der Dunkelheit wird folgendeBotschaft mit ernster Stimme über die „Lautsprecher“ des Flugzeugs übertragen. Der Sprecher bleibt unsichtbar.) EINE ANONYME STIMME Unsere Geschichte hört hier auf. Sie endet dort, wo UNSERE Geschichte beginnt; denn unser Leben ist ein Langstreckenflug, dessen Bestimmungsort und Dauer – 127 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN uns nicht bekannt sind. Wohin gehen wir? Was ist der Sinn des Lebens? Was erwartet uns nach dem Tod? Unser Leben ist nicht nur voller Fragen. Wir fürchten uns auch noch vor den Antworten. Weihnachten ist wie ein Scheinwerfer in der Nacht. An Weihnachten kommen wir nicht umhin als wir einmal an die Geburt dessen zu denken, der den Tod überwunden hat. Derjenige, der an Jesus Christus glaubt, wird nicht sterben, sondern ewiglich leben. Wer möchte ihm Vertrauen? Wenn Sie ihm Ihr Vertrauen schenken, dann ist das so als sässen Sie in diesem Langstreckenflugzeug das durch nichts von seinem Weg abgebracht werden kann. Ihr Bestimmungsort ist sicher, denn der Kapitän hat noch nie einen Fehler begangen, und wird es auch in Zukunft nicht tun. Denn der Kapitän ist Jesus Christus, der Sohn Gottes. – 128 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE – 129 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN HANDLUNGSORT Das Stück spielt im 21. Jahrhundert in einem Industrieland, in dem Weihnachten gefeiert wird. Der erste Akt spielt sich im Büro eines Industriellen ab, aber die Bühnenaustattung kann sehr einfach sein: ein Bürotisch und zwei Stühle. Die Bühne könnte auch ganz ohne Möbel sein. Der zweite Akt spielt in einem Maleratelier. Drei Staffeleien werden auf der Bühne gebraucht. Es ist ihnen freigestellt weitere Gegenstände, die in einem Atelier vorzufinden sind, zu benutzen. PERSONEN HERR REICHARD Ein Industrieller, erster Vorsitzender der Gesellschaft „Vereinte Armbanduhren AG“. Sorgt sich um nichts weiter als um seine Gewinne, Materialist. Er ist wie ein Geschäftsmann gekleidet: Krawatte, Anzug. FRIEDHELM Herr Reichards Sekretär. Möchte keinen Ärger; beschwichtigend. Gut gekleidet, aber nicht so chic wie sein Arbeitgeber. Die Krawatte muss nicht sein. HERR SCHWARZ, MALER Engagierter Christ. Von Natur aus enthusiastisch. HERR WEISS, MALER Idealist, mag alles Religiöse; er lebt in seiner eigenen Welt. HERR KREUZ, MALER Engagierter Christ. Möchte den Dingen auf den Grund gehen. JOSEPHINE Raumpflegerin. Nüchtern. – 130 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE Das Geschlecht der Schauspieler ist unwichtig. Eine Frau kann die Rolle des Industriellen besetzen, die dann „Frau“ REICHARD sein wird. Eine Frau kann auch Friedhelms Rolle übernehmen, die dann den Vornahmen „Frida“ erhält. Was die Rolle der Raumpflegerin betrifft, kann sie auch von einem Mann besetzt werden (Da es eine Weihnachtsaufführung ist, sollte man es vermeiden ihn „Joseph“ zu nennen). ERSTER AKT EINLEITUNG DES ERZÄHLERS Das Stück besteht aus zwei Akten. Die Handlung hätte in den letzten Wochen irgendwo in Deutschland (oder der Schweiz) stattfinden können. Sie beginnt im Büro eines Industriellen (der Vorhang geht auf). HERR REICHARD (Er geht auf und ab und überlegt laut) Nur nichts dem Zufall überlassen. Also, es bleiben uns noch vier Monate. Wir dürfen jetzt keine Zeit mehr verlieren. FRIEDHELM (Kommt leise herein) Hm! Herr REICHARD. Sie haben mich gerufen? HERR REICHARD Treten Sie ein, Friedhelm. Ich denke gerade über das Projekt „Dreifacher Dezember“ nach. Sie wissen doch, worum es sich handelt? FRIEDHELM Um Ihren Wunsch, den Umsatz im Monat Dezember zu verdreifachen. HERR REICHARD Das ist mehr als ein Wunsch. Das ist eine Strategie. Im vergangenen Jahr haben wir im Dezember 25% unseres – 131 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN Jahresumsatzes gemacht. Dieses Jahr müssen wir uns unbedingt bis auf 30 % steigern. FRIEDHELM Das wird nicht leicht sein bei dieser Rezession. HERR REICHARD Leicht, auf keinen Fall. Aber mit Öffentlichkeitsarbeit ist alles möglich. einer guten FRIEDHELM (Ungläubig) Ist alles möglich? HERR REICHARD (Friedhelm bleibt träumerisch) Das, was wir tun müssen, ist, unserem Produkt die Weihnachtsstimmung anzuheften. FRIEDHELM Si wollen unserem Produkt die Weihnachtsstimmung anheften? HERR REICHARD Ja, die Weihnachtstimmung. Unser Produkt muss ganz eng mit Weihnachten verbunden werden. Der Weihnachtsduft muss unser Produkt förmlich durchdringen. FRIEDHELM (Ungläubig) Wie soll denn der Weihnachtsgeist unser Produkt durchdringen?! HERR REICHARD Durch eine Art von transzendentaler Salbung. (Enthusiastisch) Unser Absatz wird sich vervielfachen. Vielleicht werden wir sogar die 30 % überschreiten. FRIEDHELM Und wie werden Sie Ihre ARMBANDUHREN mit der Weihnachtsstimmung „salben“? – 132 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE HERR REICHARD Ich werde nichts mit den Uhren machen. Das Produkt ist eigentlich unwichtig. Alles hängt von der Öffentlichkeitsarbeit ab. Mit einer guten Werbung verkauft man alles was man will. FRIEDHELM (Erstaunt) Alles, wirklich? HERR REICHARD Wir müssen sofort herausfinden wo der Ursprung des Weihnachtsfestes ist. Dann verbinden wir die Uhren mit der wahren Weihnachtsstimmung, und die Sache ist gelaufen! FRIEDHELM (Zögernd) Und was wissen Sie über den Ursprung des Weihnachtsfestes? HERR REICHARD Die Jahreszahl ist ganz unwichtig. Von Bedeutung ist es das Wesen des Weihnachtsfestes zu erkennen, seinen Ursprung. FRIEDHELM So wie ich Sie kenne, haben Nachforschungen getrieben. Sie schon Ihre HERR REICHARD Genau. FRIEDHELM Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen? HERR REICHARD (Langsam) Weihnachten feiert man in der Schweiz, in Frankreich, in Deutschland, in… FRIEDHELM (Schneller)… in Italien, in Spanien… – 133 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN HERR REICHARD In den USA, in einigen afrikanischen Ländern. FRIEDHELM Ja und? HERR REICHARD Aber in Indien, in Japan und in Saudiarabien wird Weihnachten nicht gefeiert. FRIEDHELM Ja und? HERR REICHARD Was ist allen Ländern, die Weihnachten feiern, gemein? FRIEDHELM Tja… (Zögern) HERR REICHARD Es sind alle christliche Länder. FRIEDHELM Ja. HERR REICHARD Weihnachten ist eng mit dem Christentum verknüpft. Weihnachten ist eine Creation, eine Schöpfung des Christentums. Folglich muss unsere Werbung irgendwie einen christlichen Hauch erhalten. FRIEDHELM Interessant. HERR REICHARD Dann wird es genügen, unsere Armbanduhren in diesem christlichen Rahmen zu präsentieren, und der Verbraucher verknüpft dann unweigerlich die Uhr mit Weihnachten. – 134 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE FRIEDHELM Wer Ihre Armbanduhr kauft, erwirbt auch ein Stück Weihnachten. HERR REICHARD Genau. Und jetzt, wo Sie meine Idee verstanden haben, müssen wir einige Künstler ausfindig machen, die vom christlichen Geist durchdrungen sind. FRIEDHELM (Das Publikum anschauend) Das dürfte nicht allzu schwer sein. HERR REICHARD Wir werden jedem den gleichen Auftrag geben: die Weihnachtsstimmung in einem Gemälde einfangen. FRIEDHELM … und wir werden dann das Beste auswählen. HERR REICHARD …und wir legen einige unserer prächtigen Armbanduhren daneben. (Stolz schaut er seine Armbanduhr an) Sie sind einfach prächtig, nicht wahr? FRIEDHELM Gewiss. HERR REICHARD Es sind die besten. Sie verkaufen sich gut. FRIEDHELM Davon bin ich überzeugt. Aber die Qualität Ihrer Armbanduhren ist doch ganz unwichtig (erstaunter Blick von Herr REICHARD), denn mit der richtigen Werbung verkauft man alles. HERR REICHARD (Genervt) Gehen Sie, verschwinden Sie. Und sagen Sie auch den Künstlern, dass es nicht nur ein Bild sein soll, das die Weihnachtsstimmung vermittelt, sondern auch – 135 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN ein Bild, das überdurchschnittlich überraschendes Bild. gut ist, ein FRIEDHELM Überraschend? HERR REICHARD Ja, es soll das Auge des Verbrauchers anziehen. (Das Licht geht aus (oder die Schauspieler verlassen die Bühne). Ende des ersten Akts. Neues Bühnenbild.) ZWEITER AKT ERZÄHLER Acht Tage später in dem Arbeitszimmer von Herrn REICHARDS Fabrik. (Die Bühne erhellt sich, die drei Maler arbeiten, jeder an seinem Bild. Sie stehen so, dass ihre Malereien nicht vom Publikum gesehen werden können.) MALER WEISS (Er radiert mit aller Kraft an seinem Bild, ruft dann) Josephine, Fräulein Josephine, können Sie mir drei neue Radiergummis bringen? JOSEPHINE (Sie tritt ein und bringt Herrn Weiss die gewünschten Sachen) Hier. (Herr Weiss nimmt die Radiergummis entgegen und radiert weiter an seinem Bild) Sie könnten sich bedanken. (Herr Weiss wirft ihr einen kurzen Blick zu, ohne mit dem Radieren aufzuhören) Bei dem Tempo, in dem Sie radieren, werden Sie alle Radiergummis in der nächsten halben Stunde verbrauchen. Sie haben von Anfang an nichts anderes getan als: radieren, radieren, radieren. – 136 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE MALER WEISS Irrtum. (Er macht eine Pause in seinem Radieren, erhebt sich, geht zu Maler Kreuz, borgt sich von ihm einen sauberen Pinsel, benutzt die Palette von Herrn Kreuz, um den Pinsel mit einer Farbe zu versehen, kehrt zu seinem Bild zurück, macht dort einen Farbtupfer auf seine Leinwand, gibt den Pinsel an Maler Kreuz zurück, krempelt seine Ärmel hoch und beginnt zu radieren) JOSEPHINE Ein kleiner weißer Punkt auf einem weißen Blatt! Man kann sich schon fragen, wann Sie endlich mit dem Malen anfangen? MALER WEISS Ich bin schon sehr bald fertig. JOSEPHINE Was? MALER SCHWARZ (Wechselt das Thema) Fräulein Josephine, können Sie mir einen Topf mit schwarzer Farbe und einen mit gelber Farbe bringen? JOSEPHINE Ja (sie verlässt Herrn Weiss kopfschüttelnd und nähert sich Herrn Schwarz). MALER SCHWARZ Schwarz S-207 und Gelb G-35. JOSEPHINE Schwarz S-207 und welches Gelb? MALER SCHWARZ G-35. Nehmen Sie die beiden leeren Töpfe. Ich benötige die Farben die diesen Nummern entsprechen. JOSEPHINE Sie haben zwei Farbtöpfe geleert? – 137 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN MALER SCHWARZ Der Hintergrund, Fräulein, der Hintergrund. Schwarz für den Hintergrund, ein dickes Schwarz für das ganze Bild und hier die Motive in Gelb: die Farbe des Lichts, der Hoffnung, des Lebens. JOSEPHINE Ach so. MALER SCHWARZ Die Farben haben symbolischen Charakter. Gelb strahlt wie das Licht, und zeugt vom Leben und der Hoffnung. JOSEPHINE Und die schwarze Farbe? MALER SCHWARZ Schwarz steht für den Tod. JOSEPHINE Brr (leicht ängstlich). MALER SCHWARZ Das Gelb durchdringt den schwarzen Hintergrund. Das Licht vertreibt die Finsternis. JOSEPHINE Interessant (macht sich bereit, mit den zwei leeren Töpfen hinauszugehen, als Herr Kreuz sie ruft). MALER KREUZ Wenn Sie schon Farbe holen, können Sie mir doppeltes Rot R2 bringen? Ich habe meinen ersten Topf fast geleert. JOSEPHINE Doppeltes Rot R2? MALER KREUZ Rot extrarot. – 138 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE JOSEPHINE (Besorgt studiert sie die Gesichtszüge von Herrn Kreuz) Was ist mit ihnen, ist Ihnen nicht wohl? MALER KREUZ Es geht schon. JOSEPHINE Sie sind ganz rot. MALER KREUZ (Er betastet sein Gesicht) Ich schwitze ein wenig, diese Wärme. JOSEPHINE Entspannen Sie sich. Lassen Sie sich etwas Zeit. MALER KREUZ Unmöglich. Ich bin ganz von meinem Thema ergriffen. JOSEPHINE Das versetzt Sie in einen solchen Zustand? MALER KREUZ Wie sollte man dabei gleichgültig bleiben können! (Josephine zuckt die Achseln und verlässt die Bühne) (Wenig später treten Herr REICHARD und Friedhelm ein) FRIEDHELM Meine Damen, meine Herren (die Begrüssung dem Geschlecht der Maler anpassen). Ich stelle Ihnen Herrn REICHARD vor, den Direktor unserer Gesellschaft „Vereinte Armbanduhren AG“. DIE DREI MALER Sehr erfreut. FRIEDHELM Herr REICHARD kommt, um zu sehen, wie Sie mit Ihren Projekten vorankommen. – 139 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN MALER SCHWARZ Aber ich bin doch noch gar nicht fertig. HERR REICHARD Machen Sie sich nichts daraus. Lassen Sie sich Zeit. Ich komme nur, um mir über Ihre Arbeiten ein Bild zu machen. FRIEDHELM (Vertraulich zu Herrn REICHARD) Jeder hat ein anderes Motiv gewählt. HERR REICHARD Das ist sehr gut. Unsere Künstler sollen versuchen durch alle ihnen zur Verfügung stehenden Mittel die Weihnachtsstimmung einzufangen. FRIEDHELM Herr Schwarz ist am Weitesten vorangeschritten. MALER SCHWARZ Der Hintergrund und die Hauptpersonen sind fertig, aber ich muss noch einige Einzelheiten ausarbeiten. FRIEDHELM Beeindruckend, diese Farben. Eine Krippe, wenn ich mich nicht täusche. MALER SCHWARZ Das ist richtig. FRIEDHELM Trotz der vielen Symbole tritt das Zentralmotiv sehr gut hervor. MALER SCHWARZ Danke. FRIEDHELM Es ist grossartig. Was REICHARD? halten – 140 – Sie davon, Herr DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE HERR REICHARD Ergreifend. Diese Farben! Einfach … ergreifend. FRIEDHELM (Zu Herrn REICHARD gewandt) Er ist sehr bekannt für die gelungenen Farbeffekte. MALER SCHWARZ Das Gelb auf schwarzem Hintergrund ist das Licht, das die Finsternis vertreibt. Das ist das Weihnachtsmotiv: Gott hat seinen Sohn in die Welt gesandt, um die Menschen von ihren Sünden zu erretten. HERR REICHARD Sehr gelungen. MALER SCHWARZ Weihnachten ist wirklich ein außerordentliches Fest. Bedenken Sie nur: Gott ist Mensch geworden und ist auf die Erde gekommen, um uns zu retten. Sie und mich und alle Menschen. Ist das nicht außerordentlich? (Der Künstler hüpft oder tanzt vor Freude) HERR REICHARD Ich sehe, dass Sie wirklich in Ihrem Thema aufgehen. MALER SCHWARZ Von ganzem Herzen (tanzt oder hüpft immer noch). Gott ist in unsere Welt gekommen. Das Licht hat in der Finsternis geleuchtet. (Der Künstler bleibt plötzlich still stehen und schaut Herrn REICHARD an) Sie sehen besorgt aus, Herr REICHARD. (Leicht beunruhigt) Sie glauben doch an die Botschaft von Weihnachten? HERR REICHARD (von der Frage überrascht, ein wenig verlegen) Aber ja doch, ja, sicher,… wie alle Menschen. MALER SCHWARZ Wie alle Menschen? Also glauben Sie nicht. – 141 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN HERR REICHARD (Leicht aggressiv) Wie das? MALER SCHWARZ Die Menschen feiern Weihnachten für die Geschenke, nicht für Jesus. Jeder denkt nur an sich selbst, bestenfalls an seine kleine Familie. Weihnachten ist nicht mehr das Fest des Retters der Welt, sondern ist das Fest des Geldes, das Fest der Geschäftsleute geworden. HERR REICHARD (NOCH AGGRESSIVER) DAS REICHT JETZT. ICH HABE SIE NICHT ANGESTELLT, UM REDEN ZU SCHWINGEN, SONDERN UM ZU MALEN. MALER SCHWARZ Mein Gemälde vermittelt eine Botschaft. Es möchte aussagen, dass das Leben in diese Welt gekommen ist. FRIEDHELM Ja, wir haben verstanden. MALER SCHWARZ Also gefällt Ihnen mein Gemälde? HERR REICHARD Es gefällt mir, aber es eignet sich nicht für mein Vorhaben. MALER SCHWARZ Warum? HERR REICHARD Zu klassisch. MALER SCHWARZ Zu klassisch? HERR REICHARD Ja, diese Darstellung einer Krippe. MALER SCHWARZ Sie ist aber doch grundlegend. – 142 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE HERR REICHARD Aber nicht sehr originell. FRIEDHELM Trotz der Symbolik? HERR REICHARD Trotz der Symbolik. MALER SCHWARZ Früher war eine Krippenszene vielleicht nicht sehr originell, aber heute sieht man sie so gut wie nirgendwo mehr. Die Schaufenster sind voller Weihnachtsmänner, Weihnachtstannen und dem ganzen Krimskrams den man zu Weihnachten den Menschen unterjubeln möchte. HERR REICHARD Sie haben nicht ganz Unrecht. MALER SCHWARZ Ich habe sogar Recht. HERR REICHARD Vielleicht, aber Ihr Bild ist zu klassisch. Es hebt sich nicht genug von den bekannten Weihnachtsklischees ab. MALER SCHWARZ Es gefällt Ihnen nicht? HERR REICHARD Sagen wir, dass ich es nicht zu dem gewünschten Zweck gebrauchen kann. FRIEDHELM (An Herrn Schwarz gewandt) Auf jedem Fall danken wir Ihnen für all Ihre Mühe und ich bin sicher, dass Sie einen Abnehmer für ein solch gutes Werk finden werden. – 143 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN MALER SCHWARZ (Leicht traurig) Danke. HERR REICHARD (Nickt Herrn Schwarz zu, dann sagt er zu Friedhelm) Dann wollen wir uns eines der anderen Kunstwerke ansehen. (Er kommt zum Bild von Herrn Weiss, sagt dann erstaunt) Sie haben ja noch gar nicht angefangen! MALER WEISS Ich bin fertig. HERR REICHARD Aber die Leinwand ist ganz weiß. MALER WEISS Sie haben es erfasst. FRIEDHELM Sie machen sich über uns lustig. MALER WEISS Ich meine es sehr ernst. HERR REICHARD Da verlange ich aber eine Erklärung. MALER WEISS Weihnachten, das ist genau so wie ich es dargestellt habe. HERR REICHARD Eine weiße Leinwand! JOSEPHINE (Inzwischen ist sie mit einigen zurückgekehrt) Sie haben den Schnee darstellen wollen? MALER WEISS Nein. Die Hoffnung! MALER SCHWARZ Die Hoffnung! Welche Hoffnung? – 144 – Farbeimern DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE MALER WEISS Die Hoffnung. Die GANZ GROSSE HOFFNUNG. FRIEDHELM Was meinen Sie damit? MALER WEISS Alles. MALER SCHWARZ Nämlich? MALER WEISS Ich kann nichts weiter dazu sagen. Worte würden nur mein ganzes Konzept verstümmeln. JOSEPHINE Verstümmeln? Aber da ist doch gar nichts zu verstümmeln! HERR REICHARD Und das da ist die christliche Hoffnung? MALER WEISS Zum Beispiel. FRIEDHELM Das haben Sie alles beim Lesen der Bibel entdeckt? MALER WEISS Nein. FRIEDHELM Aber Sie haben doch die Bibel gelesen? MALER WEISS Nein. FRIEDHELM Aber ich habe Sie gebeten, die biblischen Berichte zu lesen, damit Sie von der Weihnachtsstimmung ergreifen werden. MALER WEISS Ich weiß. – 145 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN FRIEDHELM Und Sie haben es nicht getan? MALER WEISS Nein. Wozu denn auch? FRIEDHELM Wegen der geistlichen Stimmung, dem Hauch von tausenden von Jahren Christentum MALER WEISS Diese Stimmung kann man nicht verspüren. HERR REICHARD Warum nicht? MALER WEISS Es gibt viel zu viele unterschiedliche Interpretationen. MALER SCHWARZ Sie kennen also unterschiedliche Interpretationen? MALER WEISS Genau. MALER SCHWARZ Und sie wissen das ohne jemals die Bibel gelesen zu haben? FRIEDHELM Ja, wie können Sie das wissen? MALER WEISS Ich weiß es einfach. HERR REICHARD Woher? MALER WEISS Ich weiß es. Alle Religionen sind gleich. Warum soll man sich da mit den Details aufhalten? Das kann doch nur das Konzept der Hoffnung beeinträchtigen. Man soll nicht immer alles verstehen wollen. Glaube genügt, glauben Sie einfach. – 146 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE FRIEDHELM Und was soll ich glauben? MALER WEISS Stellen Sie nie Fragen, sondern glauben Sie einfach (Herr Weiss versenkt sich wieder in seine Arbeit und beginnt zu radieren). HERR REICHARD Er hat Recht: es nütz nichts Fragen zu stellen, wir kommen sowieso nicht weiter. MALER SCHWARZ Sein Universum ist ein einziges Vakuum. FRIEDHELM (An Herrn REICHARD gewandt) Ich denke das dieses „Meisterstück“, wenn man es so nennen kann, nicht zu Ihrem Konzept passt. HERR REICHARD Es ist originell. JOSEPHINE Das ist aber auch schon alles, was man dazu sagen kann. FRIEDHELM Originell, aber ein wenig leer. Und der Bezug zu Weihnachten ist nicht sehr offensichtlich. MALER SCHWARZ Es gibt gar keinen Bezug. HERR REICHARD Dann wollen wir zu dem dritten Künstler gehen. (Er nähert sich dem dritten Bild und erschrickt stark). Ja was! FRIEDHELM (An Herrn REICHARD gewandt) Ist alles OK? – 147 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN HERR REICHARD (Er fängt sich wieder und nähert sich Herrn Kreuz) Aber was haben Sie da gemalt? MALER KREUZ Eine Hand. HERR REICHARD Das sehe ich auch. MALER KREUZ Eine durchbohrte Hand. MALER SCHWARZ Durchbohrt von einem Nagel. JOSEPHINE Und überall dieses Rot. MALER KREUZ Das Rot des Blutes. HERR REICHARD Dann habe ich mich also nicht getäuscht. FRIEDHELM … und deshalb sind Sie so stark erschrocken? JOSEPHINE Dazu besteht ja Grund genug. FRIEDHELM Eine von einem Nagel durchbohrte Hand, eine von Blut umgebene Hand. JOSEPHINE Ergreifend. MALER SCHWARZ Bemerkenswert. HERR REICHARD Und was stellt diese Hand, der Nagel und das Blut dar? – 148 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE MALER KREUZ Die Kreuzigung Jesu. Jesus ist am Kreuz gestorben, sein Blut hat er vergossen. JOSEPHINE Ich verstehe. HERR REICHARD Und was hat das mit Weihnachten zu tun? Wenn ich mich noch recht an den Religionsunterricht erinnere, dann ist Jesus an Ostern gestorben und nicht an Weihnachten. MALER KREUZ Das ist richtig. FRIEDHELM Ich habe Sie doch gebeten, ein Bild zu malen das etwas mit Weihnachten zu tun hat. MALER KREUZ Das ist richtig, und das habe ich auch getan. HERR REICHARD Da komme ich nicht mehr mit. JOSEPHINE Ich auch nicht. MALER KREUZ Sie dürfen nicht Weihnachten von Ostern trennen. HERR REICHARD Wieso? Unterscheiden Sie nicht zwischen Weihnachten und Ostern? MALER KREUZ Nein, sie gehören zusammen. Als ich die Berichte von der Geburt zu lesen begann, war ich so von der Geschichte ergriffen, dass ich einfach nicht aufhören konnte. Ich habe gelesen und gelesen, bis zum Schluss. Bis zum Tod Christi am Kreuz. – 149 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN FRIEDHELM UND DAS SCHLUSSBILD HAT SICH BEI IHNEN FESTGESETZT. MALER KREUZ Ich bin bei dem ausdruckstärksten Bild aus dem Leben Jesu geblieben. Wenn man das Evangelium aufmerksam liest, erkennt man, dass der ganze Lebensbericht so aufgebaut ist, das alles zum Tod Jesu hin führt. JOSEPHINE Alles führt zum Tod Jesu hin? MALER KREUZ Ja, als Jesus in die Welt gekommen ist, als er Mensch geworden ist, dann war das nur deshalb, weil er von Anfang an die Absicht hatte, an unserer Stelle zu sterben. FRIEDHELM Und dessen sind Sie sich sicher? MALER KREUZ Lesen Sie doch die Texte selbst. Er ist gekommen, um uns zu retten. MALER SCHWARZ Das ist sicher. MALER KREUZ Die Weihnachtsgeschichten bestätigen es. MALER SCHWARZ Das ist die Weihnachtsfreude. MALER KREUZ Wie hätte Jesus die Menschen retten können, ohne ihre Schuld auf sich zu nehmen? Er ist an unserer Stelle gestorben. Das ist der Grund seiner Menschwerdung. Das war sein Projekt von seinem Aufbruch an. FRIEDHELM Interessant. – 150 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE MALER KREUZ Die Lebensgeschichte Jesu ist ein Ganzes. Man kann nicht nur ein kleines Bisschen davon nehmen und den Rest links liegen lassen. MALER SCHWARZ Viele Menschen tun aber genau das. MALER KREUZ Sie verstümmeln das Bild von Jesus; sie verändern es. Für viele Menschen ist Jesus kaum mehr als ein kleines Baby. MALER SCHWARZ Dabei ist er der Retter der Welt. MALER KREUZ Das ist es, was ich mit der gekreuzigten Hand ausdrücken wollte. MALER SCHWARZ Genial. JOSEPHINE Ergreifend. FRIEDHELM Originell (an Herrn REICHARD gewandt). HERR REICHARD (ZÖGERND) ORIGINELL, JA. ERGREIFEND, JA. MALER SCHWARZ Hier besteht eine Beziehung zu Weihnachten. HERR REICHARD Zu Weihnachten, vielleicht. MALER SCHWARZ Es ist das beste Bild HERR REICHARD Kann schon sein. – 151 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN FRIEDHELM Dann nehmen Sie es? HERR REICHARD Absolut nicht. (An Lacroix gewandt) Ihr Bild ist originell, ergreifend, und es besteht ein Bezug zu Weihnachten, wenn Sie meinen. Aber dieses Bild gefällt mir nicht. Es erschreckt mich. Das Blut, dieses Blut, das da fließt, und dieser Nagel, der die Hand durchbohrt. Dieses ganze Leiden. Sie meinen doch nicht, dass die Leute meine Armbanduhren kaufen werden weil solche Gedanken in ihnen wach gerufen werden? FRIEDHELM Wahrscheinlich nicht. HERR REICHARD Sie werden nichts kaufen. Denken Sie nur mal nach! Eine meiner Armbanduhren am Handgelenk eines Gekreuzigten! Nein. Kein Mensch würde meine Produkte kaufen. Ich benötige einen Werbeträger, der die Anmut, die Zärtlichkeit, das Wohlbefinden, die Behaglichkeit ausdrückt. Wenn man die Menschen überzeugen möchte ein Vermögen auszugeben, dann werden sie das niemals tun wenn Für sie damit das Gefühl des Leidens verbunden ist. MALER KREUZ Sie haben mir nichts über diesem Aspekt gesagt. HERR REICHARD Ich dachte, dies verstehe sich von selbst. Ich pfeife auf Weihnachten. Alles, was ich will, ist, meine Armbanduhren zu verkaufen und davon sogar viele verkaufen. FRIEDHELM Sie werden kein Bild behalten? – 152 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE HERR REICHARD Auf keinen Fall das letzte. (Er zeigt auf das Bild von Maler Kreuz, dann dreht er sich nach demjenigen von Maler Schwarz um.) Das erste ist schön, aber zu klassisch. (Er wendet sich demjenigen von Maler Weiss zu, dreht es in alle Richtungen, dann) Vielleicht könnte dieses hier von Nutzen sein. JOSEPHINE Das weiße Bild? Aber es ist ganz und gar leer! HERR REICHARD Eben, wenn ich mitten in dieses Bild eine meiner Armbanduhren aufhänge, dann richten sich alle Blicke auf das Objekt. Die Menschen werden die ganze Schönheit meiner Uhren erkennen. Die grosse Leere schaffen, um nichts als nur die Armbanduhr zu sehen. Die Idee ist nicht schlecht. MALER WEISS (Erwacht aus seiner Erstarrung) Aber das ist es nicht, was ich ausdrücken wollte. HERR REICHARD Das ist nicht wichtig, ich werde Sie gut bezahlen. JOSEPHINE Ein weißes Blatt bezahlen! HERR REICHARD Fertig mit dem Gerede, meine Entscheidung ist gefallen (Herr REICHARD nimmt das weiße Bild, übergibt es Michel und verlässt dann die Bühne). (Das Stück kann hier enden. Die anderen Schauspieler verlassen nun auch die Bühne, überrascht und verärgert über die Entscheidung des Industriellen.) – 153 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN ZWEITER SCHLUSS (Es könnte noch eine Szene folgen. Josephine bleibt alleine auf der Bühne.) JOSEPHINE Das sind doch alles Spinner! Ich frage mich wer von den Beiden der Grösste ist: der Sieger des Wettbewerbs oder Herr REICHARD. Der eine malt das grosse Nichts und der andere will an das grosse Geld kommen. Eigentlich sind beide arm dran. (Beim Reden räumt sie auf) Schade, dass sie mich nicht nach meiner Meinung gefragt haben. (Als sie plötzlich auf den Papierkorb (Abfalleimer) stösst, geht sie hin und her und betrachtet ihn von allen Seiten.) Ich glaube, ich habe hier ein gutes Symbol für Weihnachten. (Sie stellt den Mülleimer gut sichtbar, mitten auf der Bühne hin. Sie hält sich die Nase zu weil irgend etwas schlecht riecht. Schließlich legt sie einen Schal darauf.) FRIEDHELM (Während Josephine den Schal zurechtzupft, kehrt Michel zurück, um etwas zu suchen. Josephine sieht ihn nicht. Michel beobachtet die Frau, dann) Aber was machen Sie da? JOSEPHINE (Plötzlich auffahrend, dann) Ich stelle Weihnachten dar. JOSEPHINE Ein Mülleimer? JOSEPHINE Ein Mülleimer mit einer Kinderdecke. FRIEDHELM Aha! JOSEPHINE Weihnachten in unserer Gesellschaft ist vom Gott des Materialismus geprägt. Nie sind die Mülleimer so voll – 154 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE wie zu Weihnachten. Das da ist Weihnachten (sie zeigt auf den Mülleimer). FRIEDHELM Und die Decke? JOSEPHINE Beim echten Weihnachten dreht sich alles um das Kommen des Sohnes Gottes in unsere Welt, nicht wahr? FRIEDHELM Ja. JOSEPHINE Aber der Messias ist nicht mit Krawatte und Anzug gekommen (sie berührt geringschätzig die Krawatte von Michel), noch weniger mit einer Königskrone auf dem Kopf. Er ist in einem Stall geboren worden. Stellen Sie sich so etwas einmal vor. Eine Mutter bringt ihr Kind in einem Stall zur Welt! Da ist es schmutzig, da stinkt es, die Ansteckungsgefahr ist riesengross. Wenn jemand in einem Stall zur Welt kommt, dann ist das wie als wenn er auf einer Müllhalde geboren wird (sie zeigt auf den Mülleimer mit der Babydecke). FRIEDHELM Stimmt, so habe ich das noch nie verstanden. JOSEPHINE Das kommt daher, dass Sie noch nie wirklich über Weihnachten nachgedacht haben. Sehen Sie, vor zweitausend Jahren wurde Jesus verachtet. Er ist in einem Stall geboren, und dann an einem Kreuz gestorben. Und heute hat sich nichts grundlegend geändert. FRIEDHELM Meinen Sie wirklich? – 155 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN JOSEPHINE Wie ist es denn bei Ihnen? Welchen Platz hat Jesus in Ihrem Leben inne? FRIEDHELM (Zögernd) Nun, ich weiß es nicht so genau. Ich müsste mal über diese Frage nachdenken. JOSEPHINE Wenn er nicht den ersten Platz einnimmt, sind Sie nicht besser als die, die es zuliessen dass Maria in einem Stall ihr Kind zur Welt brachte, oder als die, die Jesus gekreuzigt haben. FRIEDHELM Sie gehen da ein wenig zu weit. Ich hege eine gewisse Hochachtung für Jesus. JOSEPHINE Eine Hochachtung, das ist nicht genug. Wenn Jesus nicht wegweisend in Ihrem Leben ist, dann ist er nichts weiter als ein nützlicher Gegenstand der früher oder später im Müll endet. (Sie wirft eine Konservenbüchse oder etwas anderes in Richtung Mülleimer, aber der Gegenstand fällt nicht hinein. Michel bückt sich, um ihn in den Eimer zu werfen.) Lassen Sie nur. Das ist nicht wichtig. Beschäftigen Sie sich mit dem Wesentlichen. Bringen Sie Jesus aus Ihrer Vergessenheit heraus. Er allein kann das ewige Leben geben (Josephine verlässt die Bühne). FRIEDHELM (Er sieht Josephine nach, schaut die Konservenbüchse in seiner Hand an, zögert, wirft sie in den Mülleimer. Er greift nach dem Tuch auf dem Mülleimer, nimmt sie, schüttelt sie, drückt sie gegen sich, dann sagt er, die Decke betrachtend) Ein neuer Start. (Nach einem Augenblick des Schweigens wiederholt er noch lauter) Ein neuer Start. (Das Licht verlöscht, oder der – 156 – DAS WEIHNACHTSGEMÄLDE Schauspieler verlässt dann die Bühne mit eng an sich gepresster Decke.) – 157 – EIN GESCHENK: ANNEHMEN ODER VERWEIGERN? – 159 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN HANDLUNGSORT Die Szene spielt in moderner Zeit in der Küche eines Ehepaars ohne Kind am 24. Dezember. Die Mahlzeit steht bevor; die Frau deckt den Tisch; der Mann liest die Zeitung. Das Stück enthält ein wichtiges symbolisches Element: ein durch die Post gebrachtes Geschenk Gottes. PERSONEN EIN MANN EINE FRAU STIMME EINES NACHRICHTENSPRECHERS STIMME EINES PASTORS STIMME GOTTES DEKORATION UND MATERIAL Ein Tisch, zwei Stühle, ein Radio, ein großes Postpaket (zum Beispiel 25x25x25 cm). Die aus dem Radio kommenden Nachrichten sollten gut verständlich sein. Die Personen die nur ihre Stimmen zu Einsatz bringen können eine Verstärkeranlage benutzen. Ihre Texte können auch auf Band gesprochen werden um im geeigneten Moment abgespielt zu werden. EINLEITUNG Der Mann sitzt am Tisch und liest Zeitung. Die Frau deckt den Tisch. Im Radio das auf dem Tisch steht spielt Weihnachtsmusik. Die Musik wird unterbrochen und der Nachrichtensprecher ist zu hören. – 160 – EIN GESCHENK: ANNEHMEN ODER VERWEIGERN ? DIE STIMME DES NACHRICHTENSPRECHERS Guten Abend, meine Damen und Herren. Heute, am ersten Weihnachtsfeiertag richtet sich die Aufmerksamkeit der Welt auf das schreckliche Attentat, das die Botschaft der Vereinigten Staaten in Berlin verwüstet hat (die Hauptstadt des Landes angeben). Die Zahl der Opfer steht immer noch nicht endgültig fest. Die Bombe soll in einem Weihnachtspaket versteckt gewesen sein. Es werden 7 Tote und 23 Verletzte gemeldet (die Haustürklingel ertönt). Die Bergungsarbeiten in dem eingestürzten Flügel des Botschaftsgebäudes sind noch nicht abgeschlossen. DER MANN (Er schaltet das Radio aus) Ist da jemand an der Tür? (Die Klingel ist ein zweites Mal zu hören. Der Mann steht auf und verlässt die Bühne. Nach 10 bis 20 Sekunden kommt er zurück. Er sieht froh aus und trägt ein Paket.) Es war der Briefträger, Liebling. Er hat uns ein Paket gebracht: „Per Express und Einschreiben“. Das ist ein toller Weihnachtsabend. Es gibt doch noch wirklich nette Menschen auf der Welt. DIE FRAU Von wem ist es? DER MANN (Er liest die Adresse des Absenders, antwortet dann erstaunt) Nanu! Seltsam. DIE FRAU Ja? DER MANN Das Paket kommt von einem gewissen „H.U.“ „Immanuel für die engsten Freunde“, und dann in Klammern: „Jemand, der Sie liebt und Ihnen Gutes – 161 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN will“, „Büro: Golgathastraße, Jerusalem“. (Nach einem Zögern) Kennst du jemanden in Israel? DIE FRAU (Sie überlegt kurz, zuckt dann die Achseln) Nein. Aber „Golgatha“ kommt mir irgendwie bekannt vor. DER MANN Mir auch; das hat doch irgendetwas mit Ostern zu tun. DIE FRAU Du könntest Recht haben. Das bringt uns aber nicht weiter. DER MANN (Fröhlich, er schickt sich an, das Paket zu öffnen) Es ist eigentlich unwichtig ob wir den Absender kennen oder nicht. Ein Paket macht Freude, besonders wenn es von einem lieben Menschen kommt der uns Gutes will. DIE FRAU (Sie stößt einen Schrei des Erschreckens aus. Der Mann lässt das Paket fallen. In dem Moment, in dem das Paket aufschlägt, schreit die Frau wieder und flüchtet hinter den Rücken ihres Mannes.) DER MANN (Erstaunt und beunruhigt) Was ist los, Liebling? DIE FRAU (Sie schluchzt, dann) Ich habe auf einmal solche Angst. Es könnte doch sein, dass vielleicht (Zögern)… dass da drin eine dieser schrecklichen Bomben ist, so eine Bombe wie die die in Berlin explodiert ist. DER MANN (Er überlegt schnell) Aber nein, Liebling. Wer würde uns Böses wollen? Wir sind anständige Leute (er wendet sich wieder dem Paket zu). – 162 – EIN GESCHENK: ANNEHMEN ODER VERWEIGERN ? DIE FRAU Warte, öffne es nicht. Man kann nie wissen. Wir leben in einer verrückten Welt. Sogar in Deutschland (den Namen des Landes anzeigen, in dem das Stück spielt), kann man nicht mehr in Frieden leben. Wieso bist Du so sicher, dass das keine Bombe ist? DER MANN Aber Liebling… DIE FRAU Bei diesen kostenlosen Geschenken ist doch immer etwas faul. Ich nehme keine mehr an. Übrigens, diesen „H.U.“ oder „Immanuel“ kenne ich nicht. Er sagt, dass er uns gut gesonnen ist. Das ich nicht lache. Ich kenne all die, die mich lieben. Zahlreich sind sie gerade nicht, oder bist du etwa anderer Meinung? DER MANN Du hast Recht. Heutzutage gibt es so gut wie keine Liebe. Und von der selbstlosen Liebe gibt es noch weniger. Aber vielleicht ist dieser „H.U.“ die Ausnahme. Vielleicht sendet er uns wirklich ein Geschenk aus der Golgatha-Straße in Jerusalem. DIE FRAU (halb überzeugt) Vielleicht. Vielleicht liebt uns wirklich irgendjemand und will uns Gutes. Das käme uns schon gelegen (ändert ihre Einstellung, Stimme etwas härter) Aber ich sage es noch einmal: es könnte gefährlich sein dieses Paket zu öffnen. Und dann, haben wir es wirklich nötig ein Geschenk zu erhalten? Haben wir nicht alles, was wir brauchen? Nahrung, Kleidung, Auto, Fernsehen, Haus, Bankkonto und Altersversorgung. DER MANN Du hast eigentlich Recht. Was fehlt uns schon? Ich wüsste nicht was. – 163 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN DIE FRAU Na also, dann lass die ganze Geschichte fallen. Lass das Paket zu. DER MANN (Er zögert) Wie du willst. (Er stellt das Paket hin, kehrt zum Tisch zurück, schaltet das Radio ein.) DIE STIMME DES NACHRICHTENSPRECHERS Was den Regionalslalom für Junioren betrifft (oder eine ganze andere harmlose lokale Information), so musste er abgesagt werden aufgrund schlechter Witterungsverhältnisse. Sehr verehrte Hörer, das waren die Nachrichten. Heute ist der 24. Dezember und die Christenheit feiert die Geburt ihres Gründers. Aus diesem Anlass fragen wir einen Pastor sich KURZ (betont dieses Wort) über dieses Thema zu äußern. DIE STIMME DES PASTORS Die Geburt Jesus Christi ist eines der wichtigsten Ereignisse der Weltgeschichte. Unsere Jahresangaben beziehen sich auf dieses Ereignis. Weihnachten bedeutet, dass der Herr des Universums in unsere Welt gekommen ist: Jesus von Nazareth, auch genannt Immanuel, zu deutsch: Gott bei uns. Der Herr des Universums hat sich nicht an seinen göttlichen Privilegien festgeklammert, sondern ist zu uns auf Erden gekommen um zu dienen. Seine Liebe hat alles übertroffen, was wir uns hätten vorstellen können, als er für unsere Sünden am Kreuz von Golgatha gestorben ist. Nachdem er sein Leben geopfert hat, ist er drei Tage später, zu Ostern, wiederauferstanden. DER MANN (Er schaltet das Radio aus) Jetzt verstehe ich was das zu bedeuten hat. „Golgatha“, das ist der Ort an dem Jesus gestorben ist. „Immanuel“ bedeutet „Gott bei uns“; und – 164 – EIN GESCHENK: ANNEHMEN ODER VERWEIGERN ? „H.“ und „U.“ sind die Anfangsbuchstaben von „Herr des Universums“. Liebling, dieses Paket kommt von Gott, dem Herrn des Universums. Ein Geschenk von Gott, juchhee (er lässt seine Freude ausbrechen). DIE FRAU (Schaltet das Radio wieder an) DIE STIMME DES PASTORS Gott bietet uns ein neues Leben in Jesus Christus an. Er bietet uns das schönste Geschenk an, das es gibt: das ewige Leben. Werden Sie dieses kostenlose Geschenk annehmen, werden Sie zu Jesus kommen, damit er Ihnen dieses neue Leben gibt und Ihre Existenz verwandelt? Werden Sie ihn annehmen als Retter und Herrn? DIE FRAU (Sie schaltet das Radio aus) Mir ist ganz unheimlich zumute! DER MANN Wieso? DIE FRAU Ja, diese Worte. DER MANN Welche Worte? DIE FRAU Verwandlung… neues Leben. DER MANN Ja und? DIE FRAU Willst du etwa verwandelt werden? Ich nicht. Jede Änderung birgt eine Gefahr in sich. Ich weiß, wer ich jetzt bin; aber wenn man mich verwandelt, dann ist alles neu und unbekannt. – 165 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN DER MANN Alles wird nicht unbekannt sein; Jesus hat den Weg gezeigt. DIE FRAU Und was hat es ihm gebracht? Nicht als Ablehnung …, Leid…, das Kreuz. Das ist wahrlich kein Erfolg. Und übrigens, warum sollen wir überhaupt etwas ändern? Wir haben doch alles was wir brauchen. DER MANN Stimmt. Uns fehlt eigentlich nichts, selbst für unsere alten Tage ist gesorgt. Wir haben alles, was wir brauchen… bis zum Tod. DIE FRAU (Sie macht eine Kehrtwendung) Sprich nicht davon. DER MANN Wovon? DIE FRAU Vom Tod. DER MANN Warum? DIE FRAU Bei dem Wort habe ich Angst. Da spüre ich so einen Druck auf der Brust. Fast so etwas wie Panik. DER MANN Herzklopfen. DIE FRAU Schweissausbruch. DER MANN Gänzehaut. DIE FRAU Kälte. – 166 – EIN GESCHENK: ANNEHMEN ODER VERWEIGERN ? DER MANN Einsamkeit. DIE FRAU Wo bin ich? DER MANN Das reicht jetzt. DIE FRAU Ja, denken wir nicht mehr daran. Heute ist Festtag. DER MANN Festtag oder Feiertag? DIE FRAU Ein Festtag. DER MANN Was genau wird denn gefeiert? DIE FRAU Ich weiß nicht. Es ist nur wichtig, dass wir feiern. Wir sollen fröhlich sein. DER MANN Das wird nicht leicht sein. DIE FRAU Dann streng dich ein bisschen an. Komm, folge mir. Ein Schluck Sekt, und die Welt ist wieder in Ordnung (der Mann und die Frau verlassen die Bühne; das Licht konzentriert sich auf das Paket). DIE STIMME GOTTES (Es ist wichtig, dass die Stimme Gottes anders klingt als die Stimmen die schon zu hören waren) Was kann man dazu sage? Das Leben, das ich euch anbiete, ist nicht immer leicht. Wenn jemand mit mir leben will, der muss sich selbst verleugnen, sein Kreuz auf sich nehmen, und mir nachfolgen. Das Leben mit mir ist zwar nicht leicht, aber denke daran: es ist das Leben. Ich bin der Weg, die – 167 – THEATER FÜR WEIHNACHTEN Auferstehung und das Leben, und außer mir gibt es keinen anderen Weg. Nun, wie entscheiden sie sich? Werden sie das Geschenk annehmen oder verweigern? (einige Augenblicke Stille, dann verlöscht das Licht). – 168 – Alle Bücher von Daniel Arnold: www.danielarnold.org Zehn andere Theaterstücke auf Französisch: Théâtre pour Noël, volume 2, Editions Emmaüs, 1806 St-Légier, Schweiz Bibel Kommentar auf Deutsch: Rätselhafte Glaubenshelden. Eine Gesamtbetrachtung des Buches der Richter: www.Amazon.de – 170 –
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