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4 Wahrnehmung
Unter Wahrnehmung versteht man den Prozess der Informationsaufnahme aus Umwelt- und Körperreizen (äußere und innere Wahrnehmung) und der Weiterleitung, Koordination und Verarbeitung
dieser Reize im Gehirn. In diesen Prozess gehen individuelle Erfahrungen, Erlebnisse und subjektive Bewertungen ein. In der Regel
folgen der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen Reaktionen in der Motorik oder im Verhalten eines Menschen, die wiederum
zu neuen Wahrnehmungen führen (Zimmer 2000, 32).
Die Kinder lernen durch Experimentieren, Nachahmen und vor
allem durch das Spiel. Dies geschieht unter Einbeziehung aller Sinne
und ist die Basis für das Lernen. Man unterscheidet die körpernahen
Sinne, also die Basissinne, und die körperfernen Sinne, die Fernsinne
(Sehen, Hören).
4.1 Basissinne
Die Basissinne bilden das Fundament der körperlichen Entwicklung. Viele Störungen lassen sich auf Defizite bei den Basissinnen zurückführen und wirken sich meist negativ auf die Fernsinne aus. Zu
den Basissinnen gehören:
ƒ das taktile System
ƒ das kinästhetische System
ƒ das vestibuläre System
taktiles System
kinästhetisches
System
vestibuläres
System
Das taktile System beinhaltet alle Körpererfahrungen durch passive
oder aktive Hautberührungen und ist die Grundlage für die Wahrnehmung des eigenen Körperschemas.
Das kinästhetische System wird auch propriozeptives System genannt und umfasst die Wahrnehmung und die Regelung der Stellung,
Spannung, Lage und Bewegung des Körpers und der Körperteile.
Mit dem vestibulären System ist der Gleichgewichtssinn gemeint.
Wir erhalten Informationen darüber, in welcher Lage sich unser
Körper im Raum befindet, wie sich die Schwerkraft auf die Lage des
Körpers im Raum auswirkt und wie schnell wir uns bewegen. Diese
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Informationen werden meist mit Informationen aus dem kinästhetischen Sinn verknüpft, so dass nicht nur die Raumlage-, sondern auch
die Bewegungswahrnehmung möglich ist.
Folgende Beobachtungen lassen uns in der Frühförderarbeit auf Störungen in den Basissinnen schließen und ziehen meist eine ergotherapeutische Diagnostik nach sich:
ƒ Das Kind reagiert überempfindlich auf taktile Reizangebote oder meidet Körperkontakt.
ƒ Das Kind sucht starke Reize.
ƒ Das Kind kann Gefahren schlecht einschätzen.
ƒ Es hat Schwierigkeiten beim Gehen auf einer Langbank, auf Linien …
ƒ Das Kind meidet Höhen.
ƒ Es hat Schwierigkeiten beim Malen des eigenen Körpers. Es fehlen Körperteile.
ƒ Das Kind kann beim Haus kein Spitzdach malen, d. h., es hat die Raumdiagonale noch nicht erfasst.
ƒ Es hat Schwierigkeiten, sich in fremden Umgebungen zurechtzufinden.
ƒ Das Kind kann oben, unten usw. nicht unterscheiden.
ƒ Das Kind drückt mit dem Stift zu stark oder zu schwach auf.
Taktile Wahrnehmung
Aktive Tasterlebnisse
Übungen mit Ton, Knete, Kleister, Fingerfarben
Material: Ton, Knete, Kleister, Fingerfarben
Ablauf: Je nach Alter kann verschiedenes Material angeboten werden. Diese
Materialien eignen sich zum freien oder vorgegebenen Gestalten. Das Kind
sollte eine Einführung in das Material bekommen, anschließend kann es damit selbst gestalten und experimentieren.
Variante: Projekte, z. B. eine Fantasieburg mit Ton oder Knete gestalten.
Überraschungskiste
Material: Pappkarton, in den eine Öffnung geschnitten wird, damit die Hand
hinein greifen kann, ein Tuch zum Verdecken der Öffnung, verschiedene
Materialien: Murmeln, Knöpfe, Watte …
Ablauf: Das Kind darf in die Kiste greifen und versucht, die einzelnen Gegen-
stände zu erraten. Anschließend kann die Heilpädagogin dem Kind ein oder
zwei ausgewählte Gegenstände zum Tasten anbieten. Danach Rollentausch.
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Übungen und Fördermöglichkeiten
Abb. 1:
Tastübungen
in der
Überraschungskiste
Tastkisten
Material: Plastikkisten, die mit Sand, Steinen, Kastanien, Getreide, Wasser
u. ä. gefüllt sind (Abb. 2).
Ablauf: Das Kind darf mit den Händen und den Füßen fühlen, wenn möglich
auch in den Kisten sitzen.
Variante: Die Kisten werden zu einer Taststraße aufgebaut, durch welche
die Kinder einen Barfuß-Parcours gehen.
Bahnen legen
Material: Zwei Seile
Ablauf: Die Heilpädagogin legt dem Kind eine Form auf dem Boden vor. Anschließend geht oder fährt das Kind die Form mit der Hand nach und darf
dann selbst mit dem zweiten Seil diese Form legen.
Schätze sammeln
Material: Rollbrett, Sandsäckchen, Seile, Igelbälle, Bausteine …
Ablauf: Die Heilpädagogin verteilt verschiedene Schätze im Raum. Das Kind
fährt im Sitzen oder Liegen auf dem Rollbrett durch den Raum und sammelt
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Abb. 2: Tastkiste
Abb. 3: Das Kind
sammelt Schätze
mit dem Rollbrett
ein.
die „Schätze“, die auf dem Boden liegen, ein. Das Kind kann die Schätze in
einer Dose sammeln oder auf dem Rücken transportieren (Abb. 3).
Erlebnisweg
Material: Tastkisten: Schnee, Kastanien, Wasser, Sand, Matten, Seile, Spros-
senwand, Langbank …
Ablauf: Die Heilpädagogin baut im Turnraum einen Erlebnisweg auf. Dieser
geht beispielsweise so: Das Kind balanciert über ein Seil, zieht sich anschließend auf der Langbank entlang, dann steigt es auf die Sprossenwand, hüpft
in die Weichbodenmatte und geht danach barfuß durch die Tastkisten.
Steigerung: Dem Kind werden die Augen verbunden und es geht mit Hand-
führung über den Parcours.
Körper spüren
Kriecht ’ne Schnecke
Material: Lied mit der Melodie von „Bruder Jakob“
Ablauf: Kriecht ’ne Schnecke, kriecht ’ne Schnecke,
den Berg hinauf, den Berg hinauf
(mit der Hand den Rücken des Kindes hoch kriechen)
vorne wieder runter, vorne wieder runter
(über die Schultern bis zum Bauch wieder runter kriechen)
kitzelt dich am Bauch, kitzelt dich am Bauch.
(das Kind am Bauch kitzeln)