Montag, 28. September 2015 / Nr. 223 Kanton Luzern Neue Luzerner Zeitung Neue Zuger Zeitung Neue Nidwaldner Zeitung Neue Obwaldner Zeitung Neue Urner Zeitung «Schreib mal wieder!» B riefe schreiben sei out, heisst es allenthalben. Und angesichts von all diesen «modernen» Kommunikationsmitteln wie E-Mail, Twitter, Whats-App, Facebook und so weiter ist man geneigt, diese These zu unterstützen. Es gibt aber zumindest noch einen Hort des Widerstandes: die Politik. Hier erlebte der Brief in den 19 «Ich fühle mich unabhängig» INTERVIEW Neben seinem Amt als Ständerat führt Konrad Graber (57) viele weitere Mandate. Wie seriös und eigenständig kann er in Bern politisieren? Jetzt nimmt der CVP-Mann Stellung. INTERVIEW FLURINA VALSECCHI [email protected] Cyril Aregger, Redaktor, Ressort Kanton AUF 58 ZEILEN letzten Wochen eine wahre Renaissance. Zu verdanken ist sie in erster Linie dem Luzerner Sozial- und Gesundheitsdirektor Guido Graf. Letzten Monat äusserte er im Namen der Regierung sein Unbehagen angesichts der wachsenden Zahl der Asylbewerber, insbesondere aus Eritrea. Grafs Schreiben animierte auch die Nidwaldner Regierung, zur Feder zu greifen: Der Inhalt der Stanser Depesche dürfte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga bekannt vorgekommen sein. Es wurden die Luzerner Asylforderungen unterstützt. Auch die schweizerische SVP wurde vom Zentralschweizer Schreibeifer angesteckt und verfasste ihrerseits einen Brief an Bundesrätin Sommaruga. Der Inhalt auch hier: die Situation im Asylwesen. So ganz den gewünschten Erfolg zeigten die literarischen Werke aus der Zentralschweiz offenbar noch nicht, weshalb Guido Graf Mitte September bereits den nächsten Brief nach Bern ankündigte. Und auch das Staatssekretariat für Migration dachte wohl: «Schreib mal wieder», und gab ebenfalls in jener Woche bekannt, dass ein Brief an die Kantone verschickt worden sei – mit der Bitte, mehr Unterkünfte bereitzustellen. Die Regierungen arbeiten offenbar heftig daran, dass der Briefversand weiterhin halbwegs kostendeckend durchgeführt werden kann. Zufall, dass der Bundesrat in derselben Woche bekannt gegeben hat, dass er am Monopol der Post für Briefe bis 50 Gramm festhalten will? Briefe flattern nach Bern, gelegentlich flattert auch einer zurück. Gesprochen miteinander wird, so scheint es von aussen, kaum. Vielleicht sollten sich die Beteiligten einen Werbespruch der seligen PTT beherzigen: «Sags doch schnell per Telefon.» [email protected] NACHRICHTEN Zwei Rücktritte im Gemeinderat NEBIKON red. Gemeindepräsident Kurt Kumschick (59) und Schulverwalterin Sara Schuppan-Wüest (46) haben per 31. August 2016 ihre Demission eingereicht. Kumschick wurde gemäss «Nebiker» per 1. Februar 2005 ins Präsidium gewählt. Schuppan übernahm ihr Amt am 1. September 2008. Kandidatur eingereicht FISCHBACH red. Josef Vogel (51), Leiter Technik bei der Bell Schweiz AG, kandidiert für das Gemeindepräsidium. Er wird von der Vereinigung Pro Fischbach unterstützt. Zur Ersatzwahl vom 29. November kommt es, weil Martha Stöckli per Ende 2015 zurücktritt. Konrad Graber, Sie haben es gut! Sie sitzen als einziger bisheriger Kandidat im sichersten Sattel. Konrad Graber: Das ist Ihre Beurteilung. Ich bin bestimmt zuversichtlich, in den letzten acht Jahren habe ich in Bern etwas erreicht. Trotzdem kann ich mich jetzt im Wahlkampf nicht zurücklehnen. Ich habe meinen Sitz nicht auf sicher. National- und Ständeratswahlen 18. Oktober 2015 Wenn Sie es nicht gleich im ersten Wahlgang schaffen, wären Sie bestimmt enttäuscht. Graber: Nein, ich rechne auch für mich mit einem zweiten Wahlgang. Die Stimmen werden im ersten Wahlgang auf viele Kandidaten aufgeteilt, und das absolute Mehr ist in Luzern sehr hoch. Falls Sie wiedergewählt werden: Wie lange machen Sie noch weiter? Graber: An einer Wahlveranstaltung sagte ich kürzlich: «Wenn ich 65-jährig bin, dann feiere ich Halbzeit.» (lacht) Das tönt fast wie ein Sesselkleber ... Graber: ... nein, nein, Spass beiseite, ich will damit nur sagen, es gefällt mir so gut, dass ich jetzt nicht ans Aufhören denke. Ich möchte vier weitere Jahre nach Bern, und dann schauen wir weiter. Was haben Sie in Bern erreicht? Graber: Es gibt keinen einzelnen grossen Erfolg. In Bern muss man auch über ganz kleine Dinge, die man bewegen kann, glücklich sein. Im Projekt zur zukünftigen Finanzierung des öffentlichen Verkehrs (Fabi) etwa ist es nur schon ein Erfolg, dass Georges Theiler und ich eine gute Ausgangslage für den Durchgangsbahnhof Luzern schaffen konnten. Trotzdem sind wir von der Realisierung noch weit entfernt. Als das Bundesgericht den Standort Luzern aufgeben wollte, haben wir erfolgreich interveniert. Aber auch da ist die Sache noch nicht definitiv. In der Politik ist es eben wie im Orientierungslauf. Sie sprechen Ihr grosses Hobby an. Welche Parallelen gibt es? Graber: Nicht immer ist der direkteste Weg der schnellste. Wenn man etwa einen Bach überqueren muss, dann überlegt man sich, ob man direkt durchs kalte Wasser geht und nachher nasse Füsse hat oder ob man sich irgendwo eine kleine Brücke sucht. Sie sind Ständerat, Verwaltungsratspräsident der Emmi, und bei der CSS sitzen Sie im Verwaltungsrat. Die Liste Ihrer Ämter ist noch viel länger. Wie viele Stunden hat Ihr Tag? Graber: Mein Tag hat gleich viele Stunden wie Ihrer. Mein Pensum für den Ständerat sieht so aus: die Hälfte der Arbeitstage, die Hälfte der Wochenenden und die Hälfte der Abende. Anfangs Legislatur erhalte ich eine Terminliste für die Kommissionssitzungen und Sessionen. Es kommt mir manchmal vor, als würden wir auf einem Fliessband sitzen. Man wird eingeteilt, alles ist perfekt organisiert, selbst die Akten bekomme ich ungefragt zum Studium zugeschickt. Fliessband? Das erinnert mich eher an «ausgeliefert sein». Graber: Ein Stück weit ist das richtig, aber der Parlamentsbetrieb würde im Chaos enden, würde jeder nach Lust und Laune arbeiten. Diese Organisation hat den Vor- CVP-Ständerat Konrad Graber in seinem Büro in Luzern – als OL-Läufer mit Karte und Kompass in der Hand. Bild Roger Grütter teil, dass ich meine anderen Mandate vorausplanen und deshalb auch gut miteinander vereinbaren kann. Können Sie all Ihre Ämter überhaupt seriös ausführen? Graber: Ja. Wenn dem nicht so wäre, dürfte ich es nicht machen. In Spitzenphasen kann ich andere weniger dringende Arbeiten etwas zurückzustellen. Zudem habe ich die operative Führung in der Treuhandgesellschaft BDO und auch das Mandat als Verwaltungsratspräsident der VBL abgegeben. Aber es ist so: Die Spontaneität leidet. Wenn jemand mit mir zu Mittag essen will, dann ist das nicht einfach sofort möglich. Diese Freiheit vermisse ich. dem ich ein Gehalt in der Höhe eines Geschäftsleitungsmitgliedes erhalte. Im Gegenzug werden mir die Infrastruktur und die für die Ausübung dieser Mandate erforderliche Zeit zur Verfügung gestellt. Zur 2. Gotthardröhre: Sie kämpfen an vorderster Front gegen das Bauprojekt und somit gegen die eigene Bundesrätin, Doris Leuthard, und gegen die eigene Partei. Das hat mächtig Ärger gegeben. Graber: Hinter den Kulissen tönt die Kritik meistens weniger dramatisch. Mit Doris Leuthard habe ich ein gutes Einvernehmen, auch wenn wir uns in diesem Punkt nicht einig sind. Die Parolenfassung der CVP erfolgt erst noch Ende November. Ich suche die Konfrontation nicht, aber ich traue, zu meiner «In Bern muss man Meinung zu stehen. auch über ganz Das wird in unserer Partei akzeptiert. kleine Dinge, Der Milchverarbeiter Emmi und die Krankenkasse CSS haben klare politische Interessen. Da können Sie kaum die man bewegen mehr unabhängig Sie machen sich als kann, glücklich sein.» möglicher CVP-Bunpolitisieren? Graber: Alle Parladesrat unmöglich. mentarier müssen eiGraber: Wer nur mit nen Eid ablegen, dass wir fürs Land Ambitionen für ein anderes Amt politisiert, schauen. Und wenn man zu einem The- ist unglaubwürdig. Ich halte es wie Alphons ma spricht, wo eigene Interessen dahinter- Egli, der ehemalige Luzerner CVP-Bundesstecken, muss man das deklarieren. In rat sass viele Jahre im Ständerat. Als er mir Bern wird aber das Know-how, das man zu meiner Wahl gratulierte, schrieb er: «Der aus dem Berufsleben mitbringt, sehr ge- Ständerat ist das schönste Amt, das die schätzt. Nicht goutiert wird, wenn man Schweizerische Eidgenossenschaft vergeben kann.» Das sehe ich genauso. Eigeninteressen verfolgen würde. Sie haben so viele Kontakte in Bern, da können Sie ja indirekt lobbyieren. Graber: Ich fühle mich sehr unabhängig. Die erwähnten Mandate hatte ich schon vor meiner Wahl in den Ständerat. Man hat mich als Wirtschaftsprüfer engagiert und nicht wegen meiner späteren Berner Kontakte. Zudem wird oft vergessen, dass es in der Politik selten Schwarz oder Weiss gibt. Am Schluss muss jeder und jede Kompromisse eingehen. Als Ständerat verdienen Sie rund 100 000 Franken, bei Emmi erhalten Sie gut 200 000 Franken. Stichwort Transparenz: Wie viel Honorar bringen Ihnen Ihre Mandate ein? Graber: Sämtliche Honorare gehen seit jeher an meinen Arbeitgeber BDO, von Zum Schluss: Wie gefällt Ihnen eigentlich die neue Nationalhymne? Graber: (lacht) Es ist ja schön, wenn solche Projekte lanciert werden. Aber wir haben doch auch noch andere Sorgen in unserem Land! Ich finde den vielleicht etwas veralteten Text gar nicht so schlecht, das Stichwort «Alpenglühn» zumindest kann ich mit einem gewissen Heimatgefühl und Bergerlebnissen verbinden. Ist die neue Formulierung «Weisses Kreuz auf rotem Grund» denn wirklich so viel besser? www... Ständerat: Die Reihenfolge der Interviews zu den Luzerner Ständeratskandidaten wurde ausgelost. Alle bereits erschienenen Interviews finden Sie unter www.luzernerzeitung.ch/wahlenluzern Von Emmi bis CSS ZUR PERSON flu. Seit 8 Jahren ist Konrad Graber (57) CVP-Ständerat. Zuvor sass der eidgenössische Wirtschaftsprüfer 20 Jahre im Luzerner Kantonsrat. Er ist Verwaltungsratspräsident der Emmi, Mitglied im Verwaltungsrat der Krankenkasse CSS und der Treuhandgesellschaft BDO AG in Luzern. Weitere Mandate: Forum Gesundheit Schweiz, Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz, Informationsdienst für den öffentlichen Verkehr (Litra). Er ist verheiratet und wohnt in Kriens. Wahlen: Vergleichen Sie Ihr Profil mit demjenigen von Konrad Graber auf www.luzernerzeitung.ch/wahlhilfe Viel Lob von links und rechts David Roth, SP-Präsident: «Konrad Graber ist ein gutes Beispiel dafür, dass es sich lohnt, erfahrene und gut vernetzte Ständeräte nach Bern zu schicken. Ich schätze seine ruhige Art und das Engagement gegen eine zweite Gotthardröhre. Er ist in der Lage, zwischen politischen Lagern Brücken zu bauen. Trotzdem konnte er wenig für den Kanton Luzern herausholen, weil ihm bislang ein Pendant auf der linken Seite fehlt.» Franz Grüter, SVP-Präsident: «Konrad Graber ist ein schlauer Fuchs und ein stiller Schaffer. Er kann sich aber auch sehr gut darstellen, wenn hinter den Kulissen Kompromisse ausgehandelt werden müssen. Sachund Dossier-Kenntnisse sind die schärfsten Waffen dieses umgänglichen und stets freundlichen Mannes. Unverständlich bleibt seine ablehnende Haltung zur zweiten Röhre am Gotthard.»
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