© Preußische Allgemeine Zeitung Ausgabe 26/15 vom 27.06.2015 Der Wochenrückblick mit Klaus J. Groth Verteidiger des Smørrebrøds / Vorsicht vor Pølser-Populisten, warum das Volk ständig mitgenommen werden muss und warum zu Griechenland nichts mehr einfällt Europa gerät aus den Fugen. Nein, nicht dort, wohin Ihre Gedanken jetzt wie unter Zwang fliegen. Nicht nur in Südsüdostost-Europa kracht es gewaltig im Gebälk. Obwohl ein Ministerpräsident dort davon faselt, eine Seefahrernation müsse sich auf neue Meere wagen, „um neue sichere Häfen zu finden“. Nun weiß man ja seit Odysseus, wie lange solche Irrfahrten bei dieser Seefahrernation dauern können. Der Ministerpräsident ist dann auch prompt in Moskau an Land gegangen, hat den passenden Hafen allerdings noch nicht entdeckt. Trotzdem liegen Sie mit Ihrer Vermutung falsch, die griechischen Geisterfahrer allein ließen Europa aus den Fugen geraten. In dem Fall kann gar nichts mehr aus den Fugen geraten, weil sowieso schon lange nichts mehr im Lot ist. Nein, das wirkliche Debakel hat sich in einer Ecke ereignet, in der man es nun wirklich nicht erwartet hat. Aber das ist ja meist so – das Unglück schlägt zu, wo man sich eigentlich sicher wähnt. Seefahrer sind die Leute, um die es hier geht, auch. Viele Inseln haben sie ebenfalls. Ansonsten aber sind die Dänen alles andere als nördliche Griechen. Das erkennt man schon daran, dass sie keinen neuen Hafen suchen, sondern ihren Hafen dicht machen wollen. Zumindest wollen sie bestimmen, wer in ihrem Hafen an Land gehen darf. Und vor allem: wer nicht! Es ist eine Katastrophe, dieses Wahlergebnis im Land der roten Pølser! Vor lauter Schrecken und Entsetzen brachte es die „Tagesschau“ fertig, in einer einzigen Nachricht vom Ergebnis der dänischen Parlamentswahl gefühlte 50 Mal zu betonen, dass nunmehr die Populisten in Dänemark an der Macht seien. Ja, wo kommen wir denn da hin? Populisten! Übler geht es kaum. Die Marxisten, Leninisten, Stalinisten und Maoisten, die mit Hilfe der neonazistischen Goldenen Morgenröte Griechenland im Griff haben, die gehen doch noch locker hin, für die darf die Partei „Die Linke“, bitteschön, mehr Solidarität einfordern. Da kann man doch nicht meckern. Hoch die Internationale Solidarität. Aber doch nicht mit Populisten. Es ist, als sei Dänemark, dieses hübsche, liebenswerte, drollige Land unter dem fröhlich flatternden Dannebrog plötzlich von Krätze und Räude, verbunden mit Schleimhusten, befallen. Über den üblen Charakter von Krätze, Räude und Schleimhusten kann es keinen Zweifel geben. Aber Populismus, wieso eigentlich Populismus? Nach der Definition des Dudens ist ein Populist ein Politiker, der die Gunst der Massen gewinnen will (und der darum Wünsche der Wähler zu seinem Programm macht). Ja, wieso, wollen das denn nicht alle Politiker? Scheinbar nicht, denn sonst könnten die einen nicht die anderen als Populisten beschimpfen. Man muss die Dinge allerdings schon ganz schön verdrehen, um aus dem Populisten einen Kampfbegriff gegen politische Gegner zu machen. Wie war das noch mal? „Alle Gewalt geht vom Volke aus“? Ach ja, Grundgesetz, Artikel 20. Angeblich eines der unerschütterlichen Fundamente des Grundgesetzes. Aber das funktioniert leider nicht, wenn das Volk zu doof ist. Wenn das Volk partout etwas anderes will, als die politischen Amtsträger in ihrem weisen Ratschluss beschlossen haben. Und das unmündige Volk, das im Zuge einer ständigen Mitleidsaktion permanent „mitgenommen“ werden muss, weil es keine Ahnung von jener „Nachhaltigkeit“ hat, an die unsere Politiker voller Selbstqualen bei Tag und bei Nacht denken. Und darum ist auch die Sache mit den PølserPopulisten so gefährlich. Weil die nicht mehr mit jedem ihr Smørrebrød teilen möchten. Das war nicht immer so. Die Dänen hatten bereits eine erstaunliche Willkommenskultur, als das Wort beim südlichen Nachbarn Deutschland noch gar nicht erfunden worden war. In Kopenhagens alternativem Wohnquartier Christiania war es immer so lustig und bunt. Irgendetwas muss einen Sinneswandel ausgelöst haben. Rätsel. Rätsel. Könnte ein Grund sein, dass die Christiania inzwischen ein vollgedröhntes Altenheim ist? Jedenfalls wollen viele Dänen – vielleicht – etwas genauer an den Grenzen hinsehen, wer da zu ihnen und in die angesagten Quartiere strebt. Nun hat Dänemark ja nicht unbedingt viele feste Landesgrenzen. Eigentlich nur eine. Weil der Rest von Wasser umschlossen ist. Aber dies eine, kleine Stück hat Dänemark eben doch und das grenzt ausgerechnet an Schleswig-Holstein. Weshalb der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) schon mal vorsorglich nach der Parlamentswahl erklärte, er lehne permanente Kontrollen an der Grenze zwischen Deutschland und Dänemark ab. Das kann er gerne, weil die Dänen auf ihrer Seite der Grenze machen können, was sie für richtig halten. Das haben sie schon mal getan. So sind sie, die dänischen Populisten. Dabei tut die deutsche Bundespolizei doch schon, was sie kann. Pausenlos hindert sie Schlepper und Drogenkuriere an der Weiterreise nach Dänemark. Aber das ist den Dänen offenbar noch nicht genug. Wahrscheinlich haben auch sie die beeindruckende Zahl der Ganoven zur Kenntnis genommen, die während der Grenzkontrollen zur Zeit des G7-Gipfels in Bayern erwischt wurden. Weshalb ja selbst in Bayern einige (wenige) Leute auf den Gedanken kamen, wieder regelmäßig an den Grenzen zu kontrollieren. Aber das war dann auch ganz schnell wieder vom Tisch. Grenzüberschreitungen als künstlerische Aktion sind selbstverständlich etwas ganz anderes. Künstler dürfen, was andere Menschen nicht dürfen. Und auch nicht tun. Weil sie die Grenzen des Anstandes kennen. Weil sie wissen: Wer auf Dauer tolerant sein möchte, der muss gelegentlich auch Grenzen der Toleranz aufzeigen. Sonst verkommt vor lauter Toleranz der letzte Rest Anstand. In Berlin wurde am Wochenende vom „Zentrum für politische Schönheit“ vorgemacht, wie man aus dem Elend und Tod tausender Asylbewerber im Mittelmeer ein krachendes Event macht. Um den Toten „ihre Würde zurückzugeben“, sollten angeblich Leichen exhumiert und in Berlin vor dem Kanzleramt erneut bestattetet werden. Mit allem Tamtam einer großen Totenfeier. Was dann vorsorglich amtlich untersagt wurde – man kann ja nie wissen, wie weit die Provokation getrieben werden soll. Das Event selbst fand dann statt, weil es „unsere Schuld“ ist, weil wir es „unseren Toten“ schuldig sind. In den Feuilletons sinnierten die Kulturredakteure mit wohlgesetzten Worten über die Zulässigkeit einer solchen Aktion. Regen wir uns nicht weiter auf. Schließlich wollte die blasphemische Aktion genau diese Reaktion provozieren. Aber dann drängt sich doch der Gedanke auf, dass an dem gleichen Tag in der gleichen Stadt zum ersten Mal offiziell der Opfer von Flucht und Vertreibung gedacht wurde – und dass diesmal auch die Flüchtlinge aus Ostpreußen, aus Pommern, aus Schlesien, aus dem Sudentenland mit eingeschlossen waren. Mit eingeschlossen, immerhin. 70 Jahre nach dem Ende des Krieges, immerhin. Wenn Sie jetzt fragen, warum Sie an dieser Stelle noch nichts über die griechische Schuldenkrise lesen konnten, schließlich hat das Gezerre und Gewürge die Schlagzeilen der Woche bestimmt, dann ist die Frage berechtigt. Aber offen gestanden, zu Griechenland fällt einem nichts mehr ein. Nach dem sogenannten Sondergipfel schon gar nicht. Nach vier Stunden ist wieder außer Spesen nichts gewesen, die Hängepartie geht weiter. Nicht einmal zu den üblichen Formulierungen der so zuversichtlichen wie nichtssagenden Vorhersagen reichte das Ergebnis aus. Selbst jene Politiker, die jedes Ereignis durch einen Kommentar würdigen, blieben diesmal sprachlos. Nichts kann man nicht kommentieren. Das Gezerre und Gewürge geht also weiter, weil wieder einmal von den bockigen Halbstarken aus Athen die Hausaufgaben nicht rechtzeitig abgeliefert wurden. Nun müssen die neuen Vorschläge (die so neu gar nicht sind und deren Ertrag eher zweifelhaft erscheint) wieder von den Experten geprüft und gerechnet werden, müssen die Termine verschoben werden. Wieder ein allerletztes Mal. Bis zum nächsten Mal. Wie bei einem Zeitungsroman von mäßiger Qualität kann jetzt schon versprochen werden: Fortsetzung folgt (leider!).
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