Ein Tag im Leben von… einer Modedesign-Studentin

Ein Tag im Leben von… einer Modedesign-Studentin
Susi schaut mich aus ihren geröteten Augen mit einem frechen Lachen auf den Lippen an. „Du bist ein
bisschen zu spät“. Kein Wunder, die Hochschule liegt auch ziemlich weit draußen. Doch Susi ist mir
nicht böse und hat schon einen Haufen Aufgaben, die heute erledigt werden müssen. Seit einigen
Monaten arbeitet sie nun schon an Ihrer Bachelorkollektion; acht Semester Studium, davon zwei
Semester in fachübergreifenden Grundlagen liegen hinter ihr. Alles nähert sich dem Ende, die
Abschlusskollektion wird dabei das wohl aufwändigste Projekt, das sie während Ihres gesamten
Studiums in Angriff genommen hat. Nach langem Kampf über das Thema, Inspirationen und
Entwürfen hat Sie sich für die „Headmachine“ entschieden: Fiktion, Verarbeitung von Erlebnissen, ein
Schöpfen aus der Zeichnung.
8:00 Uhr
Susi ist schon seit einer Stunde im Arbeitsraum, den sie sich mit ein
paar anderen und ebenso fleißigen Mitstudenten teilt, die alle nur
noch eine Handbreit von Ihrem Abschluss entfernt sind. Sie hat wenig
geschlafen, alle sind erschöpft und dennoch extrem konzentriert und
beständig am Arbeiten. Zwei Stunden Schlaf sind da keine Seltenheit
mehr, um bis zur Modenschau alle Outfits zu perfektionieren und
fertig zu stellen. Susi zeigt mir einen Kimono-Bomber, den Sie auffällig
beprinted hat. Tüll, Wattierungen, Prints, Leuchtendes Neon, Pink,
Gelb, Grün blitzt mir entgegen. Auf allen Entwürfen wiederholt sich
das Element der Zeichnung, ähnlich unbeschwerten
Kinderzeichnungen, die mal Maschinengestickt oder in unterschiedlichsten Techniken gedruckt
werden. Auf geht’s also zur Heatpress.
9:30 Uhr
Leggins. Es muss noch mehr Leggins geben. Dazu müssen wir noch haufenweise Stoffe mit der
Heatpress bedrucken. Die Kollektion steht im Großen, doch ist ein Teil fertig, kann es durchaus sein,
dass der Look angepasst werden muss. Ein paar Extrateile dazukommen, sich die Arbeit wieder
verdoppelt oder schweren Herzens ein Teil gestrichen wird. Susis ehrgeiziges Ziel acht statt der
mindestens sechs geforderten Outfits zu kreieren, wird sie definitiv schaffen, gleich wieviel Schlaf es
ihr rauben wird. Also wird ein Outfit kurzerhand um Leggins erweitert. Bei der Heatpress
angekommen, wird erst einmal die Temperatur getestet. Und Tests sind, wie ich herausfinde, das A
und O für ein schlussendlich perfektes Kollektionsteil. Also wird das spezielle Druckpapier auf den
Stoff gelegt, Presse zu, ein ohrenbetäubendes Geräusch, fertig.
11:30 Uhr
Der dünne Strumpfstoff ist endlich beprinted und Susi steht vor Ihrer
überquellenden Wand der Strickproben. Gewohnt dominieren auch hier die richtig
knallenden Farben, dazu aber auch expressive Kinderspielzeugeinflechtungen,
Draht in Feinstrick, Reflektorbänder und Hundeleinen. Die Proben also wieder. Susi
hat lange daran gesessen, Ewigkeiten würde ich denken. Die Probe ist das A und O
und so entstehen aus einem und mehreren Teilen dann knielange Pullover, über die
ein einarmiger Pullover gestülpt wird, noch ein paar Bänder durch die Hose und los.
Einige Strickteile gibt sie nun an eine Kommilitonin aus dem Textildesign, sie strickt
für Susi an Handstrickgeräten die komplizierten Muster.
12:30 Uhr
Es wird viel überlegt: Wie lang soll dieses Teil werden? Wohin kommt dieses
Muster? Wattierung? Nicht? Bunter, enger, kleiner? Mein Kopf dreht sich. Es
ist Anprobe. Die betreuenden Dozentinnen kommen vorbei und Susi zeigt
eine weit geschnittene Hose. Der Schnitt ist von einer Weste Ihres Opas
inspiriert. Ich muss kurzerhand reinsteigen, mit kritischen Blicke diskutieren
alle über die Oberflächengestaltung, Absteppungen, Stickereien. Vielleicht
doch kürzen? Mode heißt vor allem eines: Idee haben, sich ausprobieren,
ein Probeteil machen, ändern, ändern. Ach ja – und ändern.
13:30 Uhr
Susi ist nach der Anprobe nicht zufrieden. Sie sagt, in solchen Momenten kämen die Zweifel, die in
diesem vollgestopften und nach Stoff riechenden Raum fast greifbar werden. Wir setzen uns kurz in
den grünen Innenhof.
Was nach dem Studium wird? Daran denken hier einige, aber so richtig wissen tut es wohl niemand.
Wozu die ganze Arbeit? Will man sich dieser Industrie gänzlich hingeben? Eine so kleinteilige,
stundenlange Arbeit, das Anpassen und vor allem entschiedenes Auswählen dominieren später wohl
auch den Designeralltag. Das weiß Susi durch Praktika bei internationalen Topmarken. Da fliegt auch
mal ein Teil, an dem über Wochen gearbeitet wurde, mit einem Fingerschnippen aus dem FashionWeek Programm. Aber Sie ist ehrgeizig. Und sie wisse, dass Mode ein Spiel ist.
15:00 Uhr
Es soll ein Pullover werden. Klingt eigentlich erst einmal nicht aufregend, hätte er nicht überlange
weiße Ärmel mit Wattierung, ein hauchzartes, schmales Rumpfteil und ein Futter aus
gepatchworkten, beprinteten Badeanzugstoff. Einmal durchatmen und wir breiten die Schnitte aus.
Drei Rollen mit mehreren Teilen. Zuerst printe ich weiter an den Badeanzugstoffen, während Susi die
langen Ärmel zuschneidet. Die Leggins müssen warten, da eine Schneiderin den Pullover nähen soll.
Alleine würde Susi es zeitlich nicht schaffen, alle Teile selbst zu nähen.
16:30
Mal wieder etwas Unvorhergesehenes. Kein Teil, das einem nicht
Probleme bereitet, stöhnt Susi: „Nun kann der Print nicht gut
genäht werden, der Stoff ist zu elastisch. Und eine Spezialmaschine
nicht da“ Susi fasst sich an den Kopf, denkt kurz nach und näht
dann unter Zug zusammen. Ich schneide die Wattierungen für die
Arme, Schnitt auf die Watte legen, feststecken schneiden. Danach
das feine Rumpfteil, hier muss noch die Nahtzugabe mit ganzer
Vorsicht auf den feinen Stoff punktiert werden.
18:30 Uhr
Futter geschafft. Nun werden die Kanten gestutzt, dann die Schnittteile zugeschnitten. Ich werde
fertig und Susi heftet schon die Watte in losen, schnellen Handstichen an den weißen Oberstoff. Wir
arbeiten an einem Tisch im Flur, da der Raum zu eng geworden ist, um alle Stoffe auszubreiten.
Zwischendurch schnell nach dem Strick schauen, den Schnitt für den nächsten Pullover drapiert Susi
schon an der Puppe. Wir stecken, legen den dünn drapierten Jersey aus und erstellen den langen
Pullover, der ähnlich einem Kleid dem männlichen Model überstülpt werden soll. Passend dazu
hängen schon erste Probeteile verschiedener Herren-Röcke an der überladenen Kleiderstange.
20:00 Uhr
Gerade fertig mit der Schnitterstellung werde ich müde und verabschiede mich. Susi hat auch jetzt
noch ein Lächeln auf den Lippen. Sie macht wohl noch zwei, drei Stunden weiter. Morgen um acht
will Sie dann bei der Schneiderin sein, davor vielleicht nochmal nach den Schnitten schauen, ein
Termin bei der Frau mit der Stickmaschine – es bleibt viel zu tun.
Ob sie alles schaffen wird? Ehrgeiz hat sie und den sehe ich bei allen in diesem Raum. Ob auch mal
Tränen fließen? Ja. Wer nicht dafür brennt, kann gleich wieder gehen, sagt Susi. Aber Leidenschaft ist
vielleicht das Wichtigste.