forum.landschaft forum.paysage Dichte und Wahrheit 0 200 400 600m Massstab 1: 20,000 Gedruckt am 12.03.2015 14:25 http://s.geo.admin.ch/6339846c66 Landschaft und Freiraum als Chance für die Innenentwicklung www.geo.admin.ch ist ein Portal zur Einsicht von geolokalisierten Informationen, Daten und Diensten, die von öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt werden Haftung: Obwohl die Bundesbehörden mit aller Sorgfalt auf die Richtigkeit der veröffentlichten Informationen achten, kann hinsichtlich der inhaltlichen Richtigkeit, Genauigkeit, Aktualität, Zuverlässigkeit und Vollständigkeit dieser Informationen keine Gewährleistung übernommen werden.Copyright, Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2007. http://www.disclaimer.admin.ch Jahrestagung des Forum Landschaft vom Dienstag, 28. April 2015 in Ittigen Berichterstatter: Pirmin Schilliger Dichte und Wahrheit – Landschaft und Freiraum als Chance für die Innenentwicklung Tagungsbericht von Pirmin Schilliger Die Siedlungslandschaft ist im Umbruch. Die Planer, Architekten und Ingenieure sind aufgefordert, mittels Verdichtung und städtischer Innenentwicklung die Zersiedelung zu stoppen, Siedlungs- und Wohnraum mit urbanen Qualitäten zu schaffen und gleichzeitig die Landschaft aufzuwerten. Eine anspruchsvolle und vielschichtige Aufgabe stellt sich also, bei der mehrere Fragen mitschwingen: Wie lassen sich die urbanen Freiräume gegen den Siedlungsdruck verteidigen? Wo können allenfalls neue Freiräume geschaffen werden? Und was passiert bei baulicher Verdichtung an den Siedlungsrändern und in den Agglomerationen? Welche Chancen für welche neuen Landschaften bieten sich dort? Diese Fragen wurden an der Jahrestagung des Forum Landschaft am 28. April 2015 in Ittigen BE ausführlich thematisiert und diskutiert. Ist Verdichtung ein Allheilmittel oder die Büchse der Pandora? Mit dieser Frage eröffnete Philipp Krass von berchtoldkrass space & options aus Karlsruhe seinen Vortrag. Der Raumplaner unterscheidet grundsätzlich drei Stossrichtungen der Siedlungsentwicklung, bei denen sich stets andere Schwerpunkte der Qualitätsüberlegungen stellen: Bei der Siedlungserweiterung, die meist über Einzonungen an den Siedlungsrändern erfolgt, ist das Bauprojekt selbst der qualitätsentscheidende Faktor. Bei der Überbauung von Brachen bzw. deren Umnutzung ist laut Krass unbedingt der bestehende Kontext in die Planung mit einzubeziehen. Bei der inneren Verdichtung bzw. Transformation eines Quartiers ist die Aufgabe noch komplexer. «Die Herausforderung, um zu bestimmen, was die bestehende und die angestrebte Siedlungsqualität ausmacht, ist in gewachsenen Gebieten äusserst vielschichtig», betonte Krass. Diese These illustrierte er am Beispiel des Limmattales. Die Raumplaner untersuchten dort in einer Studie, wie sich das bereits stark urbanisierte Gebiet weiter verdichten liesse, und zwar ohne Einschränkung der bestehenden 1 Freiräume. Diese sollten im Gegenteil aufgewertet und besser ins Siedlungskonzept integriert werden. Im Detail kartierten die Raumorte mit Verdichtungspotenzial und entwarfen ein Szenario einer höheren Wohndichte mittels Aufstockung bestehender Mehrfamilienhäuser auf fünf Geschosse. Diesen Verdichtungsentwurf versuchten sie in das vorhandene regionale Grundgerüst aus Landschaft, Infrastrukturen und öffentlichem Raum einzubetten. «Wir fragten uns, mit was sich Dichte, ausser mit der baulichen Dichte, sonst noch gedanklich verbinden lässt», so Krass. Fürs Limmattal kamen die Planer zum Schluss, dass sich diese Region durchaus weiter verdichten lässt, bei gleichzeitiger Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität, unter der Voraussetzung jedoch, dass die noch unbebauten Zwischenräume nicht einfach als Infrastruktur der Zukunft oder Bauerwartungsland gesehen werden. Vielmehr gelte es, die Landschaft mitsamt ihren Freiräumen als Rückgrat von Wachstum und Verdichtung durch gezielte Eingriffe aufzuwerten und für die Naherholung zu erschliessen. 2 Grüne Freiräume – gegen die urbane Sommerhitze Raum Karlsruhe durch. Weil die Stadt in der Rheinebene regelmässig unter der Sommerhitze leidet, stand dabei eine Frage besonders im Fokus: Wo ist unter stadtklimatischen Aspekten Verdichtung noch nario, bei dem ein Ausbau der Stadtbegrünung und des Freiraumsystems zur Dämpfung der Sommerhitze und zur Kompensation des prognostizierten Klimawandels vorgesehen ist. Und sie versuchten dessen tatsächliche Wirkung im Klimamodell abzuschätzen. Ergebzwar den Nahbereich klimaökologisch. «Insgesamt können sie aber die Hitzeproblematik von Karlsruhe nicht lösen, denn in den am stärksten überhitzten Quartieren lassen sich die strukturellen Massnahmen, die notwendig wären, gar nicht umsetzen», gab Krass zu bedenken. Aus den Fallbeispielen Limmattal und Karlsruhe, so unterschiedlich sie auch sein mögen, lassen sich gemäss Krass einige grundsätzliche Erkenntnisse ziehen. Verdichtung muss sich unter anderem auf die Fortentwicklung des Bestandes fokussieren und sollte für sogenannte «Huckepack-Lösungen» genutzt werden, bei denen Aspekte des Verkehrs, des Klimas und der Freiräume einzubeziehen sind. Krass sieht die bauliche Dichte durchaus auch als Chance für eine qualitative Dichte. Das entscheidende Kriterium bildet dabei die Vielfalt. «Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir im grossstädtischen und im regionalen Massstab überlegen, was wir mit Verdichtung sowohl für die Siedlungsgebiete wie auch für die Landschaft und die Freiräume erreichen wollen», so Krass. 3 Raumbilder und -identitäten Unmittelbar bei dieser Überlegung knüpfte Andreas Nütten in seinem Vortrag an. Der Architekt und Dozent für Kulturlandschaften an der Fachhochschule Nordwestschweiz plädiert für eine Planung, die sich nicht einfach im Blick auf nutzbare Flächenpotenziale erschöpft, sondern «die Siedlung als Landschaft denkt». Diese Landschaft versteht er als transdisziplinäres Projekt, das sämtliche Räume, also die urbanen, periurbanen und ländlichen, mit einschliesst. Voraussetzung jeglicher Planung sei es, die Qualitäten einer Landzu visualisieren. Daraus liessen sich räumlich-ästhetische Potenziale erkennen sowie Raumidentitäten festlegen und auch ablesen, wo Qualitäten zu entwickeln seien. Die Methodik, die Nütten am Beispiel der polyzentrischen Stadtlandschaft im Viereck HannoverBraunschweig-Göttingen-Wolfsburg vorstellte, ist anspruchsvoll. Einerseits gehört dazu eine funktionale Analyse des Raums nach quantitativen Kriterien. Darüber hinaus setzt sie auf eine Raumerkundung mittels Begehung, Beobachtung, Streckennotizen, Schnitrellen Merkmalen ausgehend, die dabei entdeckt werden, entsteht ein bildhaftes Argumentarium für neue Lesarten und Organisationsmuster des Raums, der jenseits der traditionellen Begriffe von Stadt und Land auf der Basis von Erreichbarkeiten in drei Zonen unterschiedlicher urbaner Intensität aufgeteilt wird», so Nütten. Aus der Methodik lässt sich überdies auch eine moderne Ästhetik der Kulturlandschaft ableiten, die moderne Entwicklungen nicht ausschliesst, sondern integriert. Die vielkritisierte und zersiedelte polyzentrische Stadtlandschaft, als welche man durchaus auch das Schweizer Mittelland sehen kann, lässt sich aufgrund der skizzierten Methodik neu ordnen, gleichsam indem die Idee des Gartenstadtmodells ins 21. Jahrhundert übertragen wird. Nütten spricht von der Landschaftsmetropole, die sowohl aus verdichteten Räumen als auch vielen Freiräumen besteht. Oder im Zusammenhang mit dem Modell, das er für den Metropolitanraum Zürich entwickelt hat, von der «Metro-Garten-Stadt». Darin lösen sich die traditionellen Widersprüche von Stadt und Land auf. Stattdessen sieht das Konzept der Metro-Garten-Stadt ein komplementäres System vor, bei dem alle 4 Entwicklungsentscheidungen im gesamträumlichen und nachhaltigen Kontext diskutiert werden. Dabei entsteht ein neues Bild von Stadt und Land als einer kontrastreichen urbanen Landschaft des 21. Jahrhunderts. Damit ist auch die Frage, ob der Ausdruck Landschaftsmetropole ein Begriffswiderspruch oder ein zukunftsfähiges Modell ist, bloss noch rhetorischer Art - unter der Voraussetzung, dass die Planer und Architekten im Bewusstsein um die räumlichästhetischen Potenziale der Siedlung als Landschaft handeln. Der Park als alter und neuer Leitbegriff Laurent Daune, Professor für Landschaftsarchitektur an der Genfer Fachhochschule für Landschaft, Ingenieurwesen und Architektur (hepia), erinnerte in seinem Vortrag über die neuen räumlichen Kontinuitäten in der Agglomeration zuerst an jene Pioniere, die Landschaft früh schon als Chance für die urbane Innenentwicklung begriffen und Freiräume in die Stadtentwicklung einbezogen haben. Bereits 1878 entwarf Frederik Law Olmsted in Boston (USA) ein System von Parks, die über Spazierwege miteinander verbunden sind. In Daunes näherer Umgebung, der Agglomeration Genf, waren Maurice Braillard und Albert Bodmer eigentliche Wegbereiter, die Landschaft früh in der Siedlungsplanung mitdachten. Braillard tat 5 dies mit der Aufteilung der Landschaft in landwirtschaftliche, öffentliche und forstwirtschaftliche Flächen, die er als leitendes Prinzip im regionalen Masterplan 1936 einsetzte. Bodmer, der diesen Masterplan ein Jahr später umsetzte, schied unter der Rubrik «landwirtschaftliche Zonen und Grossgrundbesitz» nebst den landwirtschaftlichen Flächen auch grüne Promenaden und grosse Parks aus. Letztere spielen in der aktuellen Stadtplanung und der Verdichtungsdiskussion laut Daune wieder eine zentrale Rolle. «Der Park muss, ob als Agglo-Park, urbaner Naturpark, linearer Park, urbaner Park oder Landwirtschaftspark, zum Leitbegriff werden», forderte er. Dieser Park steht als Synonym für alle von der Bevölkerung genutzten grünen Freiräume, wie sie für die Wohn- und Lebensqualität einer Stadt unabdingbar sind. Deren Erhalt ist allerdings, wie Daune weiter ausführte, keineswegs gesichert. Um die vielen aufgrund des Siedlungsdrucks gefährdeten grünen Freiräume zu bewahren, müsse Bewusstsein entgegengestellt werden, was jedoch nicht einfach automatisch passiere. Die Bewohner müssten vielmehr noch lernen, ihre wirklichen Bedürfnisse zu erkennen und zu verteidigen. Daune wies ausserdem darauf hin, wie sehr letztlich die grünen Freiräume unter Nutzungsdruck stehen. Zum Beispiel müssen sie die Nachfrage einer unentwegt wachsenden Bevölkerung nach Erholung in der Natur abdecken, die Biodiversität bewahren und nicht zuletzt für ein angenehmes Stadtklima sorgen, indem sie die Luft säubern, mente, die Mobilität in der Landschaft ermöglichen. Daune legt Wert darauf, dass dabei wirkliche Verbindungen geschaffen werden und nicht «diese fragmentarischen und disparaten Verknüpfungen in einer atomisierten Landschaft, wie sie heute üblich sind.» Die Verbindungen zwischen den Siedlungsräumen und der Landschaft sind gemäss Daune an den funktional-räumlichen Zusammenhängen, dem räumlichen Nutzungsmuster und der landschaftlichen Textur zu orientieren. Daune sieht drei Grundtypen – durchquerend, durchstossend, insulär – der Verknüpfung des Archipels Stadt mit dem Umland, dessen offene Flächen gleich einem unumstösslichen Monument zu schützen seien. 6 «Ideale Verdichtung gelingt nur, wenn es grosszügige offene Flächen in nächster Nähe zu den Siedlungen gibt», betonte Daune weiter. Er appellierte an die Planer und Architekten, im grösseren Massstab zu denken. Nur so seien die räumlichen und funktionalen Zusammenhänge zwischen Stadt und Landschaft klar zu erkennen und die Bedürfnisse sämtlicher Anspruchs- und Nutzergruppen auf draussen zu verteilen. Die von den Referenten Laurent Daune, Andreas Nütten und Philipp Krass angeschnittenen Themen wurden im Rahmen der parallelen Nachmittagssessions in drei Gruppen weiter vertieft. Session A: Verdichtung Der Moderator Urs Steiger, Präsident Forum Landschaft, legte den Fokus auf den städtebaulichen Megatrend und die damit verbundenen sozialen und räumlichen Auswirkungen. Zum Einstieg betonte Jürgen Hengsberger, metron AG, «Verdichtung ist nicht böse, sondern bedeutet, zusätzliche Wohneinheiten auf gleicher Fläche zu generieren und die Quartierqualitäten zu fördern.» Er stellte Verdichtung anhand der metron Dichtebox vor, einem vielseitig 7 schungsprojekt in einem Musterquartier hervorgegangen ist und aus sieben Tools besteht. Es soll Lösungen aufzeigen zwischen einem einheitlichen Siedlungsbrei und einem «Barcelona-Block», einem sehr dichten Stadtkörper. Die Dichtebox liefert von der Quartieranalyse bis zur planungsrechtlichen Umsetzung in vier Teilschritten (Datenregister – Potenzialübersicht – Interventionsmöglichkeiten – rechtliche Umsetzung) qualitätsvolle Verdichtung von vorher 52 Einw/ha zu 90 Einw/ha. Hengsberger kam aber auch zum Schluss, dass der grösste Feind der Verdichtung der Nachbar sei, denn «im Kontext von Eigentum funktionieren die Leute oft irrational.» Als nächstes referierte Christian Wagner von der HTW Chur über Orts- und Freiraumplanung in der direkten Demokratie. Einzonungsstopp und innere Verdichtung sind die derzeitigen Hauptthemen der Schweizer Raumplanung, die pittoresken Bündner Dörfern Sorgen bereiten. Locker bebaute historische Dorfkerne mit denkmalgeschützten Bauten und malerischen Gärten stehen für die Identität des Ortes, sind aber im gültigen Zonenplan als Kernzonen 8 ausgeschieden und damit Baugebiet. Am Beispiel der Gemeinde Wahrung der Identität dar, der in einem demokratischen Entwicklungsprozess unter dem Motto «örtliche Identität vor globalem Bauen» mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, einem Team der HTW Chur und dem kantonalen Amt für Raumentwicklung ARE GR angegangen wurde. Fachleute der HTW Chur wiesen im Fall von Scharans auf die drohende Gefahr hin, dass unter dem Druck des neuen RPG zahlreiche Obstgärten und charakteristische Gebäude verschwinden und mit «Neubauten von globalem Einerlei» bebaut werden könnten. Doch wie sollten private Grundeigentümer, die breite Bevölkerung, die Behörden und ein eher träger Verwaltungsapparat vom dringenden Handlungsbedarf überzeugt werden? Und wie sähe dann die Alternative in der Ortsplanung aus? «Wir lernen rückwärtsorientiert: wir basteln uns ein Bild der Zukunft aus dem Bausatz der Erinnerungen», so Wagner. Das Beispiel Scharans zeigt lichen Raum. Die ortsprägenden Obstwiesen im Siedlungsgebiet werden mittels Auszonung geschützt und im Landumlegungsverfahren an anderer Stelle, wo eine zusätzlich verdichtete Bauweise Potential hat, wieder zugefügt. Die umfassende Partizipation der Bevölkerung, das Einverständnis der Eigentümerinnen und Eigentümer und die Mehrheitsfähigkeit der vorgeschlagenen Massnahmen sind Voraussetzung für die basisdemokratisch erfolgten und baukulturell begründeten Veränderungen in der laufenden Ortsplanrevision. lichkeit im Dorf» einige Resultate ihrer Forschung an der WSL mit der Frage, wie die Resultate einer repräsentativen Umfrage in der ganzen Schweiz zur Verdichtungsdiskussion beitragen können. Der Fragebogen enthielt keine direkten Fragen zur Verdichtung, aber sehr viele Fragen zur Landschaft in der Wohnumgebung mit der Ausgangs-situation «Die Schweiz – eine Stadt». Die Debatte zur Stadtfeindlichkeit und Landliebe hat schon angefangen mit dem Village Suisse an der Expo 1900 in Paris oder Stadtland Schweiz von Angelus Eisinger. Gleichzeitig wissen wir auch, dass die Dörfer beliebt sind; Dorforientierung spielt eine wichtige Rolle im öffentlichen 9 Diskurs, eine «Erstarkung der Sehnsucht nach der heilen Welt», auch im Kontext mit der Globalisierung. Zudem gibt es eine lange Tradition der Idee der Schweiz als ländlichem Bauernstaat. Gemäss ihrer Umfrage bei 1208 Personen möchten 72% der Bevölkerung im Dorf wohnen, obwohl die grosse Mehrheit in der Agglomeration lebt. Am Wohnort erwünscht sind Grünelemente, Gärten, im Dorf auch schöne Landschaft und Aussicht, in der Stadt sind öffentliche Plätze, Restaurants, öffentlicher Verkehr und Sportmöglichkeiten wichtig. Es gibt auch Widersprüche: Man möchte zu Fuss dem Auto im Grosszentrum. Fazit: Grün und Begegnungsmöglichkeiten sind wichtig, «Dorf und Kleinstadt werden mit Beschaulichkeit assoziiert», so Stroebele. 10 Session B: Siedlung als Landschaft denken Der Formel «Siedlung als Landschaft denken» gingen in der Session B drei weitere Referenten, deren Ausführungen anschliessend im Plenum diskutiert wurden, nochmals auf den Grund. Zuerst stellte Reto Camenzind vom Bundesamt für Raumentwicklung ARE das Agglomerationsprogramm der 3. Generation vor, für welches die Projekte bis 2016 beim Bund einzureichen sind. Das ursprünglich als Infrastrukturfonds für den Agglomerationsverkehr entstandene Instrument hat sich im Laufe der Jahre gewandelt. «Im Fokus steht mittlerweile nicht einfach bloss der Verkehr, sondern darüber hinaus auch der Zusammenhang zwischen Siedlung, Landschaft und Natur», präzisierte Camenzind. Nebst den Verkehrsverbindungen sind also auch Seepromenaden, Parks, grüne Freiräume, biologische Korridore usw. zum Thema geworden. Beim Beitragssatz, den der Bund auszahlt, spielt die Wirksamkeit des Programms eine entscheidende Rolle, wobei der Erhalt der Natur und die Gestaltung der Landschaft wesentliche Kriterien sind. Die Forderung des Bundes lautet also, über die Programme auch Natur- und Landschaftsaspekte in den Agglomerationen zu koordinieren und umzusetzen. «Das Bewusstsein über die Bedeutung von Natur und Landschaft in der Agglomeration ist gewachsen; wir rechnen folglich damit, dass die Qualität der Programme der 3. Generation in dieser Hinsicht im Vergleich zu denjenigen der 2. Generation nochmals wesentlich höher sein wird», hofft Camenzind. Wie das im Detail geschehen kann, erläutert der Fachbericht «Natur und Landschaft in Agglomerationsprogrammen: Beitrag zur Umsetzung», den das ARE kürzlich herausgegeben hat. Walter Schenkel, Geschäftsführer des Vereins Metropolitanraum Zürich, gab einen Einblick in das Projekt eines siedlungsnahen Freiraumnetzes. Eigentlich handelt es sich um eine Studie der Planwerkstatt AG Zürich über den Metropolitanraum Zürich, der sich vom Vierwaldstätter- bis zum Bodensee über acht Kantone mit annähernd drei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern erstreckt und laut Prognosen in den nächsten 25 Jahren um weitere 300’000 Personen wachsen dürfte. «Wir haben aus der Raumanalyse und den dabei gewonnenen Erkenntnissen heraus einen Leitfaden für Kantone und Gemeinden entwickelt. Es ist ein praxisorientiertes Instrument, das ihnen aufzeigt, wie sie trotz Wachstum und Verdichtung 11 ihre Freiräume erhalten und aufwerten können», erklärte Schenkel. Ein übergeordnetes Ziel der Planung soll es sein, durch die Schaffung attraktiver Freiräume, die am Siedlungsrand oder siedlungsnah liegen und zu Fuss oder mit dem Velo in 10-30 Minuten erreichbar sind, den Freizeitverkehr auf der Strasse wesentlich zu reduzieren. Ein wichtiges Resultat der Studie ist nicht zuletzt die Dokumentation einer äussert vielfältigen Freiraum-Landschaft, die aber heute unter starkem Druck steht. Um diese zu erhalten und ins siedlungsnahe Freiraumnetz einzubinden, schlagen die Autoren der Studie verschiedene gestalterische Aufwertungsmassnahmen vor, bis zur Ausscheidung von Parks. Architektin Cristina Woods von Verzone Woods Architects, Rougemont VD, die unter anderem an den Fachhochschulen Genf und Freiburg unterrichtet, ging in ihrem Vortrag schliesslich der Frage nach, wie Siedlungen zu gestalten sind, damit sie in einem Kontext zur umgebenden Landschaft stehen. «Es gibt dafür kein Rezept, sondern nur situative und angepasste Lösungen, welche die jeweils unterschiedlichen Siedlungsstrukturen, Landschaftstypen und die deutlich. Die landschaftlichen Zutaten urbaner Qualität und Verdichtung erläuterte Woods folgerichtig mittels Beispielen. Der Streifzug führte vom bereits erwähnten Parksystem von Boston über Kopenhagen (Fingerplan), Freiburg i.Br. (Vauban-Quartier), Las Margas, Latas (Touristen-Resort in den südlichen Pyrenäen) bis nach Huesca (Spanien) in ein Quartier, das so verdichtet wie grün ist. Die abschliessende Diskussion im Plenum kreiste um die Frage, ob und wie allenfalls die Grenzen zwischen Landwirtschafts- und Verknüpfungen bzw. der Nutzung der Freiräume zur siedlungsnahen Erholung optimal Rechnung zu tragen. 12 Session C: Neue Räume in der Agglomeration Das interdisziplinäre Projekt «Freiraumnetze» von HSR und HSLU wurde von Michael Schulze, wissenschaftlicher Mitarbeiter der HSR, vorgestellt. Er widmete sich der Frage, wie Freiräume in suburbanen Gebieten beschaffen sind und wie sie wahrgenommen und genutzt werden und zeigte dazu verschiedene mögliche Raumqualitäten auf. Er stellt fest, dass die «Summe der zersplitterten Freiräume ein Netz bilden, das eine multifunktionale Nutzung erlaubt». Die Innovation des Projekts liegt in der Überlagerung der planungswissenschaftlichen mit der sozialwissenschaftliche Perspektive in Bezug auf die Gestaltung und die Nutzung von Freiräumen im suburbanen Raum. Anhand von zwei untersuchten Gemeinden (Schlieren und Rapperswil-Jona) werden konkrete Handlungsempfehlungen für Planung und Praxis abgeleitet. Pascal Gysin von pg landschaften, Sissach, stellte den Landschaftspark Wiese vor, ein Projekt der IBA Basel 2020. Das Naherholungsgebiet soll mit verschiedenen Massnahmen für die Bewohnerinnen und Bewohner von Lörrach, Weil am Rhein und Basel auf lange Sicht gesichert werden. Doch wie soll dieses Ziel erreicht werden? Um das Gebiet bei der Bevölkerung bekannt zu machen, wurden als erstes Instrumente des Marketings eingesetzt. Das Gebiet bekam einen Namen – den Wiesenpark – und eine gemeinsame Charta, um den Raum zu fördern und gesellschaftlich zu verankern. Als blauer Faden führt eine Storyline durch den Park, es wird ein gemeinsames Ziel in Form des Slogans «wir bewahren die Natur, die Kultur schiedene Altersgruppen attraktiv sein und die Besucherströme müssen intelligent gesteuert werden: Fauna und Flora sind in eher ruhigen Gebieten thematisiert, wo Kinder die Natur beobachten können. Anderswo erfahren Besucher viel Wissenswertes übers Trinkwasser, und Nutzergruppen wie Skater und Rugbyspieler drängen ebenfalls in den Park. Dabei muss aber klar sein, dass der Park, der seit 10 Jahren besteht, geschützt ist. Die Frage, für wen der Wiesenpark sein soll, beantwortet Gysin so: «Für Alain aus Basel, der im Jahr 2020 sechs Jahre alt sein wird und wissen will, wie echte Blumen riechen; für Melanie aus Weil, die kein Geld hat, um in den Ferien zu verreisen; für Magdalena aus Lörrach, welche die Natur und die Kunst liebt.» 13 Das abschliessende Referat aus der Feder von Anne-Lise Cantiniaux widmete sich dem Projekt für einen Parc Agro-Urbain de BernexIdee eines grossen Parks als Herzstück eines grossen städtebaulichen Entwicklungsgebietes an der Peripherie der Stadt Genf. 2011 bewilligte der Grosse Rat des Kantons Genf einen entsprechenden Rahmenkredit. 2012 und 2013 wurde dann ein Ideenwettbewerb durchgeführt, aus dem der Vorschlag des Büros Verzone Woods Architects als Sieger hervorging. Der Park umfasst eine Fläche von acht Hektaren, welche mehrheitlich landwirtschaftlich genutzt werden. Die künftige Bewirtschaftung soll deshalb zusammen mit lokalen Bauern erfolgen. Aktuell wird das Projekt konkretisiert. Kanton, Gemeinden und zukünftige Bewirtschafter arbeiten an der rechtlichen Sicherung, der Finanzierung und am Nutzungskonzept. Die Realisierung soll dann 2017 - 2019 erfolgen. Die anschliessende Diskussion drehte sich in erster Linie um die Frage, wie man vorhandene Räume in Wert setzen und auf Dauer sichern und weiterentwickeln kann und wie sich die Nutzer einbringen können. Dazu ist ein intensiver Dialog und ein partizipativer Prozess nötig. Da können auch die Nutzer Druck machen, damit sich etwas bewegt. Um zu entscheiden, was welchen Wert hat, forscht die ETH zu Landschaftsleistungen und arbeitet an einem «Wertebaukasten». 14 Schlussfazit Fazit der reichhaltigen Inputs dieser Tagung: Die Wohn- und Erholungsbedürfnisse der Bevölkerung sind zweifellos eine grosse Herausforderung für die Planer und Architekten, ebenso das unentwegte Wachstum. Es mangelt nicht an vielen guten Ansätzen und Ideen, auch in der verdichteten Siedlungslandschaft hohe Lebensqualität, Ästhetik und Identität zu erzielen. Um die Chancen zu nutzen, braucht es aber stets angepasste regionale Lösungen, die aufs Bild und den eigentlichen Charakter der bestehenden Landschaft abgestimmt werden. Allenfalls sind zur Umsetzung der Konzepte in Zukunft andere als die herkömmlichen Instrumente notwendig. «Über Qualität entscheiden am Schluss viele Details», folgerte Urs Steiger, Präsident des Forum Landschaft. Pirmin Schilliger Barbara Marty (Session A) Peter Wullschleger (Session C) 15 Speakers Corner Den lebhaften Abschluss der Jahrestagung bildete wiederum der so genannte Speakers Corner. Im Rahmen dieser Plattform wurden im Fünfminutenrhythmus sieben Projekte und landschaftliche Anliegen vorgestellt. Urs Gantner, Bioterra, gab ein Plädoyer für die grüne Stadt ab. «Verdichten wir doch die Stadt mittels Greening», forderte er. Die Vision von der Gartenstadt zur Stadt im Garten illustrierte er eindrücklich am Beispiel Singapur. Die asiatische 5-Millionenmetropole ist für Gantner eine Ideen-Fundgrube und Inspirationsquelle für Stadtbegrünung und urbane Gärten. Alma Sartoris präsentierte das Projekt «Landschaft für eine Stunde», ein Pilotprojekt der 3. Generation des Agglomerationsviert und sensibilisiert alle notwendigen Schlüsselakteure für jene Erholungsbedürfnisse, die in allernächster Nähe zur Siedlung angeboten werden. Und es erarbeitet im Sinne eines Massnahmenplanes konkrete Vorschläge, um die Übergangsräume zwischen Siedlung und Landschaft attraktiver zu machen. Christine Badertscher vom Schweizer Bauernverband (SBV) appellierte an die Konsumentinnen und Konsumenten, regionale Produkte zu unterstützen und dafür den Bauern auch faire Preise zu bezahlen. Eine wirtschaftlich überlebensfähige Landwirtschaft sei die beste Garantie für den Erhalt einer schönen und für die Stadtbewohner als Naherholungsgebiet zunehmend wichtigeren Kulturlandschaft, argumentierte sie. Sophie Rudolf von der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) warb für das «Forum für Wissen 2015». Das Tagungsthema dieser Veranstaltung an der WSL (1. Dezember 2015) lautet «Von der Siedlungsentwicklung zur Landschaftsgestaltung». Vorgestellt werden laut Programm unter anderem drei Szenarien, welche die in den nächsten Jahrzehnten zu erwartende Zersiedelung modellieren. Entwickelt wurden sie im Rahmen des NFP 68 «Nachhaltige Nutzung der 16 Ressource Boden». Der Schwerpunkt der Tagung liegt in der Frage, wie die Siedlungsentwicklung in der Schweiz in eine landschaftsverträgliche und nachhaltige Richtung gesteuert werden kann. Bruno Vanoni, Fonds Landschaft Schweiz (FLS), stellte ein erstes Pilotprojekt im Rahmen der Sensibilisierungs- und Fördertätigkeit des FLS zum Thema Siedlungsrand vor. Die FLS-Kommission erwägt, nach dessen Abschluss eine eigentliche Förderkampagne für Siedlungsrand-Projekte zu lancieren. Urs Steiger informierte über das Projekt «Umweg Landschaft», das vom gleichnamigen Verein initiiert und getragen wird. Es zielt auf ein Angebot von eigentlichen Landschaftsparcours, die die Begegnung und Auseinandersetzung mit der Landschaft vertiefen und fördern sollen. Die Landschaftsparcours sollen möglichst ohne Installationen auskommen, sondern vielmehr über moderne mediale Mittel (Smartphone-App, Land-Art usw.) gesteuert werden. Nach der aktuellen Vorprojektphase sollen 2016 erste Pilotparcours bereit sein. Schliesslich machte Peter Wullschleger, Geschäftsführer BSLA, auf die Kampagne «Gartenjahr 2016 – Raum für Begegnungen» aufmerksam. Ziel dieser landesweiten Aktion sei es, die Bevölkerung für die Bedeutung der Gärten als Freiräume in urbanen Gebieten zu sensibilisieren. Die Trägerschaft hat bereits ein Programm zusammengestellt, doch die Agenda ist noch nicht ganz voll. Gesucht und willkommen sind also weitere Akteure, die Veranstaltungen und Aktionen durchführen möchten. 17 Impressum Herausgeber Forum Landschaft, Laupenstrasse 7, Postfach, 3001 Bern Berichterstatter Pirmin Schilliger Barbara Marty (Session A) Peter Wullschleger (Session C) Layout Marion Regli, Forum Landschaft Fotos Titelseite: Karte der Stadt Aarau, Gewinnerin Wakkerpreis 2014 (Swisstopo http://map.geo.admin.ch) S. 2/3: Feuerthalen/Langwiesen Rheinaufwärts (Stefan Marty) S. 5: Köniz (Barbara Marty) S. 7: Bern Brünnen (Barbara Marty) S. 8: Neubauquartier in Hinwil ZH (Barbara Marty) S. 10: Stadt St. Gallen (St. Gallen Bodensee Tourismus) S. 12: Bern Liebefeld (Barbara Marty) S. 14/15: Verwaltungsgebäude in Bern Liebefeld (Barbara Marty) Download http://www.forumlandschaft.ch Kontakt / Bestellung Forum Landschaft Haus der Akademien, Laupenstrasse 7, Postfach, 3001 Bern http://www.forumlandschaft.ch Juli 2015 18 forum.landschaft Haus der Akademien Laupenstrasse 7 Postfach 3001 Bern +41 (0) 31 306 93 48 http://www.forumlandschaft.ch
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