Selbstfahrende Autos Wie sie die Welt erobern HEUTE 13.5.2015 Was heute passiert Ausland Die EU gibt weitere Details zu ihrem Aktionsplan zur Flüchtlingskrise bekannt. Die darin enthaltene Quote, wie die Flüchtlinge auf die verschiedenen EU-Länder verteilt werden, ist umstritten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte befasst sich mit der Klage eines «Blick»-Journalisten zur Meinungsfreiheit. Sport Im Halbfinal der Champions League empfängt Real Madrid Juventus Turin zum Rückspiel. Frage des Tages Trauen Sie sich in ein selbstfahrendes Auto? Ja Nein Stimmen Sie online ab unter der Rubrik «Mehr/Mitmachen» www.aargauerzeitung.ch www.bzbasel.ch www.basellandschaftliche.ch www.solothurnerzeitung.ch www.grenchnertagblatt.ch www.limmattalerzeitung.ch www.oltnertagblatt.ch Das Ergebnis erscheint in der nächsten Ausgabe. Ergebnis letzte Tagesfrage Wir haben gefragt: Schweizer Jugendliche treien wengier Sport. Sind sie zu faul? Nein 41% Ja 59% Video des Tages Die Swisscom zeigt das erste selbstfahrende Auto auf Schweizer Strassen. TWEET DES TAGES Gestern wurden in der Schweiz erstmals in diesem Jahr über 30 Grad gemessen. Für Irene Thali zu früh. «Gestern der erste Sommertag, heute der erste Hitzetag – muss denn das nun auch mit dem Wetter so schnell gehen?» Freihändig durch Zürich Swisscom präsentierte gestern das erste selbstfahrende Auto in der Schweiz. Die «Nordwestschweiz» war mit dabei: Wie es sich anfühlt, wenn der Fahrer die Hände vom Steuer nimmt. VON CARLA STAMPFLI Eingequetscht sitze ich nun da: auf dem Rücksitz des selbstfahrenden Autos. Ganz alleine bin ich nicht, zwei Journalisten sind neben mir. Auch Fahrer und Beifahrer sind da, sie werden aber wenig zu tun haben. Dennoch fühle ich mich ausgeliefert. Ich frage mich, ob ich dem Volkswagen Passat – besser gesagt – der Technik vertrauen kann? Den Sensoren, mit denen das Auto ausgerüstet ist? Den Kameras, die an der Innenseite der Windschutzscheibe angebracht sind? Und dem rotierend, futuristisch aussehenden Ungetüm, das auf dem Dach des VWs montiert ist? Das «Ungetüm», wie Tinosch Ganjineh, Chef des deutschen Innovationslabors Autonomos, erklärt, ist ein Laser-Scanner. Dieser verfügt über 64 Laserstrahlen, die Autos, Passanten sowie andere Verkehrsteilnehmer erkennen, besser: erkennen sollen. Denn noch gelingt es mir nicht, den Datenströmen zu vertrauen, die der Laser-Scanner und die anderen technischen Einrichtungen produzieren. Der Puls steigt beim Einbiegen Tinosch Ganjineh hat das selbstfahrende Auto mitentwickelt. Heute ist er aber nicht nur Wissenschafter, sondern auch unser Sicherheitsfahrer. Er beobachte den Verkehr und könne, falls nötig, jederzeit die Kontrolle wieder übernehmen, sagt er. Seine Worte beruhigen mich etwas. Weniger angespannt, aber neugierig warte ich auf das, was kommt. Vom Vorplatz des Betriebsgebäudes der Swisscom in Zürich Herdern gehts los. Rund zehn Minuten wird die Fahrt dauern. Wir sind startklar! Noch hat Ganjineh die «Macht»: über die Software, über den Computer, über das Auto. Ich bin leicht enttäuscht. «Nur bis wir in die Hauptstrasse einbiegen», sagt er. Doch dann biegt das Auto ein. Mein Puls steigt. Nein! Sagt meine innere Stimme. Nicht die Hände vom Steuer nehmen! Ganjineh nimmt die Hände vom Steuer. Das Auto fährt auf der rechten Fahrbahn. Von links passieren uns andere Autos, auf dem Radstreifen fährt ein Radfahrer. Obwohl ich einge- quetscht bin, Körperwärme von links und rechts abbekomme, läuft es mir kalt den Rücken runter. Wir fahren freihändig durch Zürich! Während ich mich daran gewöhnen muss, dass der «Sicherheitsfahrer» die Hände in die Höhe streckt, fährt uns der Computer sicher durch Zürich. Das Steuer dreht sich wie von Geisterhand. Welche Impulse das Auto verarbeiten muss, zeigt der Laptop auf dem Schoss des Co-Piloten. Daniel Göhring, Teammitglied von Autonomos, kontrolliert den Status von Gaspedal, Bremse und Lenkung. Auto fährt im Zeitlupentempo Aus der Vogelperspektive sind auf dem Bildschirm die Umrisse unseres Autos zu sehen, ebenso die nähere Umgebung. Graue Linien, rote, gelbe und grüne Punkte. Ich fixiere den Bildschirm und versuche, die Aussenwelt zu abstrahieren. «Die Gelben sind die anderen Verkehrsteilnehmer», sagt Göhring und zeigt auf ein Häufchen Punkte, die sich entlang der virtuellen Strasse bewegen. Befinden sich hingegen Hindernisse vor dem Auto, so seien diese rot. Rot ist auch die Ampel, auf die wir zusteuern. Der VW bremst ab, er nähert sich langsam dem vorderen Fahrzeug. Weit mehr als drei Meter dahinter halten wir an. Ich atme auf. Kurze Zeit später schaltet das Lichtsignal auf Grün, wir nehmen die Fahrt wieder auf – fast im Zeitlupentempo. «Das Auto ist defensiv programmiert», erklärt Tinosch Ganjineh zum Fahrstil. Jedoch, sagt der Wissenschafter, könne man den Computer auch so programmieren, dass es sportlich fährt. Die Autofreaks wird es freuen. Ich bin aber froh, dass es gemütlich durch die Strassen geht. Selbstständig setzt das Auto den Blinker, wir fahren auf den Vorplatz. Der Chef des Innovationslabors schaltet den Motor aus. Kann ich dem selbstfahrenden Auto vertrauen? Ich weiss es nicht. Auf alle Fälle hat mich das Auto in seinen Bann gezogen. Ein Video von der Testfahrt finden Sie online. Fahrer und Beifahrer sind nur zur Sicherheit an Bord: Der Computer steuert das Das grosse Vernetzen Der Plan hinter dem selbstfahrenden Swisscom-Auto «Swisscom hat nicht die Absicht, Autos zu bauen.» Mit diesen Worten begrüsste ein Firmensprecher die in Scharen angereisten Journalisten in Zürich zur Präsentation des ersten selbstfahrenden Autos in der Schweiz. Nicht nur die deutschen Medienvertreter fühlten sich ein wenig an jenen legendären Satz des damaligen DDR-Staatsoberhaupts Walter Ulbricht erinnert, der angekündigte: «Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten» – und es dann doch tat. Dem grössten Schweizer Telekomanbieter darf man das jedoch schon glauben. Doch wenn Swisscom künftig keine eigenen Autos bauen will, was will der Telekommunikationskonzern dann mit einem selbstfahrenden Prototypen (der passenderweise aus Berlin angereist ist)? Die Antwort darauf ist eindeutig: Es ist die immer weiter um sich greifende Digitalisierung. Sie schweisst vormals getrennte Branchen zusammen. Ob Autobauer, Telekommunternehmen oder Energiekonzerne – die Tätigkeiten überschneiden sich immer stärker. Fahrzeuge kommunizieren schon heute mit ihren Fahrerinnen und Fahrern. Bald schon tauschen sie Daten mit anderen Fahrzeugen und mit der Infrastruktur. Und hier kommt die Swisscom ins Spiel: Zwar ist mit dem heutigen Prototyp Laserstrahlen und Radar tasten die Umgebung des VW ab – und erlauben eine detaillierte Darstellung. noch kein Geld zu verdienen. Doch wenn die «sprechende Infrastruktur» erstmals steht und Autos anfangen, sich zu unterhalten, macht derjenige das beste Geschäft, der die Bedürfnisse am besten kennt. Deshalb sammelt die Swisscom bereits Daten. Und weil der Verkehr künftig mitkommuniziert, sammelt die Swisscom heute schon Verkehrsdaten. Ein Geschäftsmodell wird wohl erst in zehn Jahren daraus. Doch von den heutigen Erkenntnissen erhofft man sich einen Vorsprung gegenüber der Konkur- Auch die Grossen machen mit Die Auto-Industrie lehrt ihre Fahrzeuge das autonome Fahren – noch gibt es jedoch Bedenken VON PETER RUCH KEYSTONE/ENNIO LEANZA Auto selbstständig. Computer am Steuer Selbstständiges Fahren ist teilweise schon Alltag renz. Die Kritik, die staatsnahe Swisscom nutze ihre Stellung aus und baue mit dem Engagement im Automobilbereich jetzt schon am künftigen Monopol, weist das Unternehmen zurück: «Jede Firma hätte das tun können, was wir tun», heisst es. Autos bauen wird die Swisscom wohl auch künftig nicht. Ja. Der Plan ist – verkürzt gesagt – dem Auto einen Mobilfunkvertrag zu verkaufen. Und dazu will sie heute schon wissen, wie dessen Bedürfnisse künftig aussehen werden. (FHO) Für die Schweiz ist es eine Premiere, in einigen US-Bundesstaaten sind selbstfahrende Autos bereits seit längerem im Einsatz. Google testet sein putziges Gefährt in einigen US-Bundesstaaten. 20 Stück sind es insgesamt. Zusammen legten sie bereits 2,7 Millionen Kilometer zurück, 1,5 Millionen davon steuerte der Computer. In 11 Unfälle waren sie während der vergangenen Jahre verwickelt – keinen davon verursachten sie selbst. Das optische Gegenstück bildet der wuchtige «Freightliner»-Truck, den Mercedes-Benz vor gut einer Woche über den HooverStaudamm in der Nähe von Las Vegas schickte – fahrerlos, versteht sich. Und es geht noch Eines von 20 im Einsatz stehenden Google-Autos. Der Freightliner von Mercedes-Benz. KEY Der Muldenkipper von HO Caterpillar. eine Nummer grösser: In Australien hat der Baufahrzeughersteller Caterpillar 45 fahrerlose 250Tonnen-Muldenkipper im Einsatz – allerdings nicht auf öffentlichen Strassen, sondern auf abgesperrten Baustellen der Minenindustrie. Alltäglich sind autonome Transportfahrzeuge bereits in grossen Containerhäfen wie zum Beispiel in Hamburg. Damit sich selbstfahrende Autos auch bald auf den öffentlichen Strassen frei bewegen können, werden derzeit verschiedene Vorstösse angestrengt. Das Engagement der Swisscom zählt dazu. Eine weitere Anstrengung unternimmt Deutschland: Die Autobahn 9 soll noch in diesem Jahr zur Teststrecke werden. (FHO) Kürzlich fuhr ein Audi in den USA 900 Kilometer von Palo Alto nach Las Vegas. Am Lenkrad und am Fahrpedal einzig ein Computer. Völlig autonom glitt der A7 über die Highways und durch den Verkehr – problemlos, der hinter dem autonomen Audi fahrende Begleittross musste nie eingreifen. Audi schaffte es auch, einen Wagen ohne Piloten um eine Rennstrecke rasen zu lassen – und Mercedes schickte eine SKlasse ohne Fahrer über die legendäre Strecke, die Bertha Benz einst mit dem allerersten Automobil hinter sich gebracht hatte. Doch nicht nur die deutschen Premium-Anbieter forschen mit Hochdruck am autonomen Automobil, es sind quasi alle Hersteller involviert. Technisch wäre es heute schon machbar, das autonome Automobil. In den vergangenen Jahren hat die Radar- und Laser-Technik grosse Fortschritte gemacht. Fahrzeuge können auf den Zentimeter genau selbst parkieren, sie halten auf der Autobahn selbstständig die Spur und den richtigen Abstand – sie kennen dank der Weiterentwicklung der Navigationssysteme auch ihren Weg und wo es noch freie Parkplätze gibt. Probleme bei Regen und Schnee Grau ist, allerdings, alle Theorie und grün nur des Lebens Baum: Die Technik funktioniert fehlerfrei nur bei strahlendem Sonnenschein. Starker Regen oder ein wenig Schnee beeinträchtigt die «Sicht» dieser elektronischen Helferlein schon ziemlich stark. Es wäre aber, ebenfalls rein theoretisch, heute schon möglich, dass die Autos untereinander kommunizieren könnten, einander warnen vor Eisglätte oder einem Unfall hinter der nächsten Kurve. Doch da gibt es noch rechtliche Probleme. Die Fragen des Datenschutzes, etwa, sind noch nicht geklärt – und wem die unfassbare Menge an Daten gehört, die solch ein autonomes Automobil erfassen kann. Gemäss der Wiener Strassenverkehrskonvention von 1968 muss der Fahrer sein Gerät jederzeit beherrschen können – und ausserdem haftet er, wenn er einen Unfall verursacht. Wenn nun ein Computer lenkt, kann der Fahrer dann wirklich noch eingreifen? Und wer trägt die Schuld, wenn ebendieser Computer einen Unfall baut. Ist es der Besitzer des Wagens, der allerdings kaum mehr Einflussmöglichkeiten hat, oder der Hersteller, der diesen «Piloten» programmiert hat? Das sind schwierige rechtliche Fragen, über die sich derzeit alle Auto-Hersteller ihre Gedanken machen. Ganz besonders in den Vereinigten Staaten, wo schon Millionenklagen drohen, wenn die Kundschaft nicht gewarnt wird, dass der gerade frisch servierte Kaffee heiss sein könnte. Die Rechnung ist ganz simpel: Ein tödlicher Unfall nach einem Fehler des fahrenden Computers – und der «fehlbare» Hersteller Wenn nun ein Computer lenkt, kann der Fahrer dann wirklich noch eingreifen? Wer trägt die Schuld, wenn ebendieser Computer einen Unfall baut? wäre wohl ruiniert. Der Kunde allerdings ist wohl aber auch nicht bereit, die Verantwortung zu übernehmen, er kennt ja schon die Computerprobleme beim Synchronisieren des Druckers. Es zeichnet sich deshalb ab, dass die Produzenten in Zukunft mehr Juristen als Ingenieure einstellen müssen, sollten sie wirklich das autonome Fahren propagieren wollen. Es ist also noch ein steiniger Weg bis hin zum autonomen Fahren. Und wie fragte sich ein hochdekorierter Fahrwerksingenieur von BMW kürzlich: «Weshalb soll ein Auto-Hersteller das autonom fahrende Fahrzeug propagieren? Wenn alle hintereinander herfahren, geführt von einem Verkehrsleitsystem, dann kommt es ja auch nicht mehr auf Design, Fahrwerk oder Motorenleistung an.» Genau da setzen Google und Apple an, die schon wohl schon bald ihre ersten eigenen Autos vorstellen werden – selbstfahrend, selbstverständlich. Ist das die Zukunft von Mercedes? Eine Designstudie des deutschen Autobauers. HO
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