Folien_Fall_2

Übungen im Obligationenrecht
Besonderer Teil
Fall 2 – Spendieren mit juristischen Tücken
Donnerstag, 3. März 2016
Fall 2 –
Spendieren mit (juristischen) Tücken
Sachverhalt
Javier
Vertrag vom 15. Januar 2015
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Fall 2 –
Spendieren mit (juristischen) Tücken
F1: Qualifikation des Vertrags vom 15. Januar 2015 (I)
 Leihe (OR 305 ff.)?
 Darlehen (OR 312 ff.)?
 Schenkung (OR 239 ff.)?
 subjektive Komponenten:
 Schenkungabsicht (animus donandi)
 Schenkungsempfangswille
 objektive Komponenten:
 Zuwendung unter Lebenden
 aus dem Vermögen des Schenkers
 ohne entsprechende Gegenleistung
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Fall 2 –
Spendieren mit (juristischen) Tücken
F1: Qualifikation des Vertrags vom 15. Januar 2015 (II)
Gemischte Schenkung, bedingte Schenkung oder Schenkung mit Auflage?
 gemischte Schenkung:
 teilentgeltliches Geschäft (bewusste u. gewollte Leistungsinäquivalenz)
 Abwandlung verkehrstypischer (vollentgeltlicher) Geschäfte
 bedingte Schenkung (OR 245 I)
 Bestand der Schenkung hängt von ungewisser zukünftiger Tatsache ab
 Suspensivbedingung (OR151), Resolutivbedingung (OR 154)
 Bedingung begründet keine Verpflichtung
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Fall 2 –
Spendieren mit (juristischen) Tücken
F1: Qualifikation des Vertrags vom 15. Januar 2015 (III)
 Schenkung mit Auflage (OR 245 I)
 auferlegtes Verhalten selbst mit Vermögenswert nicht zwingend
Gegenleistung, auch wenn in Zusammenhang mit Schenkung
 kein eigenes vermögenswertes Interesse (keine Wertschöpfung zugunsten
des Schenkers)
 Charakter der Unentgeltlichkeit muss erhalten bleiben
 Inhalt (OR 19/20, ZGB 27 II)
 Dauer (OR 247 I, ZGB 788 I Ziff. 2)
 schriftl. Schenkungsversprechen (OR 243 I) vs.
Handschenkung (OR 242 I)
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Fall 2 –
Spendieren mit (juristischen) Tücken
F2: Qualifikation des Rechts («Einwendung» oder
«Einrede») (I)
 einschlägige Normen: OR 249-251
 noch nicht vollzogenes Schenkungsversprechen:
OR 250 I 1 Ziff.1 mit Verweis auf OR 249
– OR 249 Ziff. 3: «wenn er die mit der Schenkung verbundenen Auflagen in
ungerechtfertigter Weise nicht erfüllt»
– Rechtsfolge (OR 250, Ingress): «[…] kann der Schenker das Versprechen
widerrufen und dessen Erfüllung verweigern»
 Gesetzeswortlaut OR 250 widersprüchlich: «Widerruf» (vgl. Marginalie)
bzw. «widerrufen» versus «kann … Erfüllung verweigern»
 «Widerruf/widerrufen » = üblicherweise rechtsaufhebendes
Gestaltungsrecht («Einwendung»)
 «kann […] verweigern» = üblicherweise Leistungsverweigerungsrecht
(«Einrede»)
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Fall 2 –
Spendieren mit (juristischen) Tücken
F2: Qualifikation des Rechts («Einwendung» oder
«Einrede») (II)
Funktionsweise eines rechtsaufhebenden Gestaltungsrechts («Einwendung»):
Anspruch (Recht)
Rechtsaufhebendes
Gestaltungsrecht
 Recht wird aufgehoben
Funktionsweise eines Leistungsverweigerungsrechts («Einrede»):
Anspruch (Recht)
Einrede (Gegenrecht /
Leistungsverweigerungsrecht)
Durchsetzung des Anspruchs gehemmt (Recht
und Gegenrecht neutralisieren sich)
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Fall 2 –
Spendieren mit (juristischen) Tücken
F2: Qualifikation des Rechts («Einwendung» oder
«Einrede») (III)
 «Widerruf» v. Schenkungsversprechen rechtsaufhebendes Gestaltungsrecht:
– Gesetzestext:
«F. Aufhebung der Schenkung» (Übertitel zu Art. 249-252 OR) sowie «II. Widerruf
und Hinfälligkeit des Schenkungsversprechen» (Marginalie zu Art. 250 OR)
– Systematik: Art. 250 zählt zur Gliederungsebene, welche die Marginalie
«F. Aufhebung der Schenkung» definiert
– (ferner: Entstehungsgeschichte der Norm)
 Rechtsfolge:
– Widerruf führt zu Auflösung Schenkungsversprechen «ex nunc»
– Verweigerung der Leistung durch Schenker genügt nicht
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F3: Ist der Vertrag vom 15. Januar 2015 aufgelöst?
 Geltendmachung eines Gestaltungsrechts mittels:
– einseitiger
– empfangsbedürftiger
– Willenserklärung
 Javier hat Brief an Notar Häni addressiert
 Notar Häni ≠ korrekter Adressat, da:
 ≠ Partei des Schenkungsvertrags
 ≠ (passiver) Stellvertreter von Patrick
 korrekter Adressat: Patrick (Gegenpartei/Beschenkter)

Kein rechtsgültiger Widerruf des Schenkungsversprechens.
Javier schuldet Patrick nach wie vor CHF 2 Mio.
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Fall 2 –
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F4: Was unternehmen Sie als Anwaltsperson? (I)
 Widerruf innert Jahresfrist (OR 251 I):
– Beginn Fristenlauf ab Kenntnis des Widerrufsgrunds
– keine Verjährungs- sondern Verwirkungsfrist
– Verwirkung von Amtes wegen zu beachten (≠ Verjährung, OR 142)
 Vorliegend:
 Kenntnis vom Widerrufsgrund: 25. Februar 2015
 Fristende (OR 132 II analog i.V.m. OR 77 I Ziff. 3): 25. Februar 2016
 Widerruf: Zugang Willenserklärung bei Patrick spätestens am
25. Februar 2016
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F4: Was unternehmen Sie als Anwaltsperson? (II)
Möglichkeiten der Nachfristansetzung:
 Ansetzen Frist zur Erklärung Leistungsbereitschaft
 Bedingter Widerruf des Schenkungsversprechens
 Mietzinsreduktion selber vorbereiten
 Analoge Anwendung von OR 108
Zustellmöglichkeiten:
– A-Post Plus
– Kurier
– Persönlich Vorbeibringen mit Zustellbestätigung
 Mail/SMS
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Fall 2 –
Spendieren mit (juristischen) Tücken
Zugangsprinzip (Empfangstheorie)
Machtbereich
Erklärender
Machtbereich
Empfänger
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Risiko Kenntnisnahme
t
Kenntnisnahme
Zugang WE
(Brief im Briefkasten)
Abgabe WE
(Brief einwerfen)
Brief schreiben
Entscheid Widerruf
Übermittlungsrisiko
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F5: Vertragskonforme Erfüllung vs. Verpflichtung




Prämisse: spätestens am 25. Feb. 2016 bei Patrick eingegangen
Schenkungsversprechen rechtsgültig widerrufen
Javier nicht (mehr) verpflichtet, CHF 2 Mio. zu überweisen
Schenkungsversprechen müsste neu begründet werden
≠ «Einrede»: bei Wegfall des Einredegrunds wäre Anspruch wieder
uneingeschränkt durchsetzbar
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