Sabine Schäper: Vermarktlichung der Behindertenhilfe als Stärkung

03.03.2016
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Vermarktlichung der
Behindertenhilfe als Stärkung
personzentrierter Hilfesettings?
oder: Handeln in und an
Widersprüchen als Kernkompetenz
sozialer Berufe
Prof. Dr. Sabine Schäper
Katholische Hochschule NRW
Abteilung Münster
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1. Reflexionsweisen des Phänomens der
Ökonomisierung: Vom Täter-Opfer-Modell
…
Überblick
1. Reflexionsweisen des Phänomens der
Ökonomisierung: Vom Täter-Opfer-Modell zur
Gouvernementalität
Die Behindertenhilfe ist – erstens – mit dem „Terror der
Ökonomie“ (Vivianne Forrester) und den daraus
resultierenden Steuerungsstrategien des Sozialstaates
konfrontiert. Zweitens dynamisiert sie diese aber selbst –
u. a. durch den Einzug des Dienstleistungsparadigmas und
des „Kunden“-Begriffs. Drittens reproduziert und
stabilisiert sie die Ökonomisierung des Sozialen durch die
„Vermarktlichung“ nach innen in ihren eigenen
Organisationen - und zwar einschließlich der
exkludierenden Wirkungen des Marktes.
2. Gemeinsame Situationsanalyse: Ihre
Erfahrungen
3. Denk- und Handlungsoptionen in
widersprüchlichen Verhältnissen
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1. Reflexionsweisen des Phänomens der
Ökonomisierung: … zur Gouvernementalität
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„Gouvernementalität“
im Anschluss an Michel Foucault:
„Regieren“ = „(Selbst)Produktion“ von Subjektivität
 reflexiver Modus
„Bestimme dich selbst mit der Fremdbestimmung
durch mich!“
 Verknüpfung von „Regierungstechnologien“ auf den
Ebenen des Wissens, der Macht und des Selbst / des
Subjekts
 Ökonomisierung als „Regierungstechnologie“, wo
einfache Ursache-Wirkungsketten nicht mehr greifen
Die Realität ist komplexer:
 Subjekte übernehmen selbst Verantwortung für ihre
Risiken:
„Der ‚König Kunde‘ weiß ohne staatliche
Bevormundung – angeleitet durch die Gesetze des
Marktes, selbst am besten, welche medizinischen
Leistungen man sich ‚sparen‘ kann“ (Lemke 2000, 252)
Macht
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Wissen
Subjekt
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„Gouvernementalität“
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„Gouvernementalität“
 „Regierung“ von Inklusion:
 „Regierung“ von Behinderung:
Gesundheitspolitik / Biopolitik:
individuelles Risikomanagement
statt Solidarpakt
„Der ‚König Kunde‘
weiß ohne staatliche
Bevormundung …
selbst am besten,
welche medizinischen
Leistungen man sich
Bioethik, PND,
‚sparen‘ kann.“
Allokationsethik, …
(Lemke 2000)
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„Man muss die Punkte analysieren, an denen die
Herrschaftstechniken über Individuen sich der
Prozesse bedienen, in denen das Individuum auf sich
selbst einwirkt. Und umgekehrt muss man jene
Punkte betrachten, in denen die Selbsttechnologien
in Zwangs- und Herrschaftsstrukturen integriert
werden. Der Kontaktpunkt, an dem die Form der
Lenkung der Individuen durch andere mit der Weise
ihrer Selbstführung gekoppelt ist, kann nach meiner
Auffassung Regierung genannt werden.“
(Foucault 1993)
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Inklusion als Sparkonzept
„halbierte“ Inklusion:
„halbierte“ Inklusion:
Förderschule als
„Restschule“;
Konzentration auf
diejenigen
Handlungskontexte,
in denen Inklusion
„leicht zu haben ist“
Re- (statt De-)
Institutionalisierung
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„Gouvernementalität“
„Gouvernementalität“
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„halbierte“ Inklusion
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„Gouvernementalität“
Handeln unter Widersprüchen (2):
in teilhabebegrenzenden ökonomischen
Strukturen personzentriert arbeiten
 Teilhabe unter Bedingungen zunehmenden
Pflegebedarfs
 „Teilhabe“ wird im extrem vermarktlichten Handlungsfeld
der Pflege reformuliert im Sinne kompensatorischer
Verrichtungen mit sozialem Bezug (Risikofeld: Teilhabe und
Pflege vor dem Hintergrund der Pflegestärkungsgesetze)
 Im Verhältnis von Eingliederungshilfe und Pflege wird eine
wechselseitige Proportionalität konstruiert.
Emanzipatorische Diskurse von sozialen Bewegungen
werden „aufgegriffen, aber reformuliert und
entkontextualisiert“ (Schultz 2003, 455)
 Leitidee „Inklusion“ wird reformuliert
 die Gesellschaft delegiert – erneut – die Verantwortung für
die Umsetzung der Leitidee – paradoxerweise – an
spezialisierte Institutionen
Handeln unter Widersprüchen (1): Inklusion
in aussondernden Verhältnissen inklusive Strukturen
und Gemeinwesen gestalten (Stein 2011)
Inklusion „impliziert letztlich das Vorhandenseins
eines Gemeinsinns, dessen Fehlen aber gleichzeitig
als Grund für aussondernde Prozesse gesehen
werden muss“ (Stein/Krach/Niediek 2010, 9).
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„Gouvernementalität“
 von der Institutions-
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Handeln unter Widersprüchen (3):
 in teilhabebegrenzenden ökonomischen
Strukturen personzentriert arbeiten
…
Adressat*in
Leistungs-
Leistungs-
träger
anbieter
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„Gouvernementalität“
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 … zur Personzentrierung
Das „Selber-Wollen“ geht dabei eine günstige
Verbindung mit der gesellschaftlichen Forderung
Adressat*in
des „Sollens“ ein (…). Die Verbindung von
individuellen Zielen der Person und den
Steuerungsinteressen der Sozialhilfeträger
ermöglicht es, dass sich individuelle
Hilfeplanung nicht als ein
Repressionsinstrument, sondern als ein Mittel
zur Selbst-Aktivierung darstellt.“ (Niediek 2011,
163)
Leistungs-
Adressat*in
träger
… aber: das Prinzip Personzentrierung gerät
unter die Räder der Budgetierung
… aber…
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„Gouvernementalität“
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• Positionen werden nicht (wie z.B. im strukturfunktionalistischen denken) dem einen oder anderen Akteur
starr und exklusiv zuordnet: sie „grassieren“ im Diskurs
zwischen den Akteuren und sind hier wie da sichtbar.
• Sozialer Wandel ist ein soziokultureller
„Transformationsprozess, der durch Diskurse vermittelt
wird“ (Keller 2008, 279).
• Professionelles Selbstverständnis, Rollenbilder,
Handlungslogiken sind Bestandteile von
Aushandlungsprozessen, die den Diskurs hervorbringen und
die selbst durch den Diskurs hervorgebracht, fortgeschrieben
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oder verändert werden.
• Teilhabe darf nicht erst nach der Intervention, sondern
muss mit ihr beginnen  Partizipation beginnt in
Hilfeplanverfahren (vgl. Dobslav 2012)
• Analyse von Hilfeplangesprächen (vgl. Dobslav 2015) zeigt:
- Adressat*innen bekommen fertige Ziel präsentiert,
die sie „abnicken“ können
- Steuerung der Gespräche liegt bei den Expert*innen
- Faktoren wie erlernte Hilf- und Bedürfnislosigkeit und
soziale Erwünschtheit „schlagen zu“
- Schon die Gesprächseröffnung kann ausgesprochen
teilhabehinderlich sein.
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2. Gemeinsame Situationsanalyse
Erweiterung der Foucaultschen Perspektive:
Situationsanalyse (Adele Clarke)
Handeln unter Widersprüchen: Partizipation
Wo Teilhabe draufsteht, muss Teilhabe (nicht)
drin sein … (vgl. Dobslav 2015)
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Leistungsanbieter
Leistungsanbieter
Leistungsträger
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„Gouvernementalität“
 … zur Personzentrierung
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3. Denk- und Handlungsoptionen
in widersprüchlichen Verhältnissen
2. Gemeinsame Situationsanalyse
Erweiterung der Foucaultschen Perspektive:
Situationsanalyse (Adele Clarke)
Das heißt:
 Weder Anbieter noch Adressat*innen sind nur Opfer der
Ökonomisierung, sondern Akteure und Träger von Positionen
im Diskurs.
 Täter-Opfer-Dichotomien führen zu keiner Lösung, sondern nur
in die Ohnmacht.
 Was bleibt: Verstehen der diskursiven Dynamiken und (selbst-)
kritische Reflexion
„… dann ist die Kritik die Bewegung, in welcher sich das
Subjekt das Recht herausnimmt, die Wahrheit auf ihre
Machteffekte hin zu befragen und die Macht auf ihre
Wahrheitsdiskurse hin. Dann ist die Kritik die Kunst der
freiwilligen Unknechtschaft, der reflektierten
Unfügsamkeit. In dem Spiel, das man die Politik der
Wahrheit nennen könnte, hätte die Kritik die Funktion der
Entunterwerfung.“ (Foucault , Was ist Kritik?, 1992, 15)
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3. Denk- und Handlungsoptionen
in widersprüchlichen Verhältnissen
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Möglichkeiten für sich und andere schaffen,
- Widersprüche und Ambivalenzen zu verstehen,
- in Widersprüchen reflexions- und handlungsfähig zu
bleiben
- das Handeln unter Widersprüchen zu erlernen, zu
denken, zu erproben, zu erforschen, zu beraten, …
Haltung, aus seiner Unmündigkeit herauszutreten“,
das "Gegenstück zu den Regierungskünsten, gleichzeitig
ihre Partnerin und ihre Widersacherin, als Weise ihnen zu
misstrauen, sie abzulehnen, sie zu begrenzen und sie auf
ihr Maß zurückzuführen, sie zu transformieren, ihnen zu
entwischen oder sie immerhin zu verschieben zu suchen
(...): die Kunst nicht dermaßen regiert zu
werden." (Foucault 1992, 12)
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3. Denk- und Handlungsoptionen
in widersprüchlichen Verhältnissen
Kritik ist eine „individuelle und zugleich kollektive
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Literatur
Perspektiven: Was ist zu tun?
a) … aus der Perspektive der Adressat*innen
b) … aus der Perspektive der Praxis / Anbieter
c) … aus der Perspektive der / durch die
Leistungsträger
d) … aus der Perspektive der Ausbildung
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e) … aus Ihrer Perspektive
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Dobslav, Gudrun (2012): Wenn Teilhabe das Ziel ist, muss auch Teilhabe der Weg
sein! In: Teilhabe 51: 3, 100-103
Dobslaw, Gudrun; Pfab, Werner (2015): Kommunikative Strategien in
Teilhabegesprächen. In: Teilhabe 54: 3, 114-119
Foucault , Was ist Kritik? 1992
Kaller, Reiner (2008): Wissenssoziologische Diskursanalyse, Wiesbaden.
Lemke, Thomas (2000), Die Regierung der Risiken. Von der Eugenik zur
genetischen Gouvernementalität, in: Bröckling / Krasmann / Lemke (Hg.):
Gouvernementalität der Gegenwart - Studien zur Ökonomisierung des Sozialen,
Frankfurt a.M., 227-264.
Niediek, Imke (2010): Das Subjekt im Hilfesystem, Wiesbaden.
Niediek, Imke (2011): Mechanismen von Teilhabe und Ausschluss im Kontext
individueller Hilfeplanung. In: Teilhabe 50: 4, 161-166
Anne-Dore Stein / Stefanie Krach / Imke Niediek (Hg.) (2010): Integration und
Inklusion auf dem Weg ins Gemeinwesen. Möglichkeitsräume und Perspektiven.
Anne-Dore Stein (2011): Inklusion in der Hochschuldidaktik, Frankfurt a.M.
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