„Recht und Alter“ - Das Phänomen der „alternden Gesellschaft“ im

„Recht und Alter“ Das Phänomen der „alternden
Gesellschaft“ im Strafverfahrensrecht
Sebastian Kretzschmann, LL.M.
Universität zu Köln
Rechtswissenschaftliche Fakultät
Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht
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Inhalt
I. 
Vorbemerkungen
II.  Problemfelder im Strafverfahrensrecht
1. 
Im Ermittlungsverfahren
2. 
Im Hauptverfahren
3. 
Im Vollstreckungsverfahren
III.  Fazit
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I. Vorbemerkungen
Überblick: Regelungsgegenstände des Straf- und Strafverfahrensrechts
Strafrecht:
-  Umfasst alle Regelungen der Frage nach der grundsätzlichen Strafbarkeit.
-  Enthält u.a. zahlreiche Verbotsnormen (wie z.B. Mord, Körperverletzung, Diebstahl,
Raub, Beleidigung etc.)
-  Großteil des Strafrechts geregelt im „Strafgesetzbuch“ (StGB)
Strafverfahrensrecht:
-  Umfasst alle Regelungen, die den „formalen Rahmen“ bzw. Verfahrensablauf betreffen:
Z.B.: Wie und unter welchen Voraussetzungen darf die Staatsanwaltschaft/Polizei
Ermittlungen einleiten, welche Gerichte sind zuständig, welche Rechte und Pflichten
haben Beschuldigte/Zeugen, wie läuft der Gerichtsprozess ab, usw.
-  Einschlägiges Regelungswerk: „Strafprozessordnung“ (StPO)
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Überblick: Die 5 Stadien des Strafverfahrens
1.  Ermittlungsverfahren
-  Vorbereitungsmaßnahmen vor und für einen möglichen Prozess
-  Gibt es überhaupt Anhaltspunkte für strafrechtlich relevante Tat? Wenn ja, genaue
Sachverhaltsaufklärung: Wer ist Beschuldigter oder Zeuge? Gibt es weitere
Beweismittel bzw. wie lassen sie sich in rechtlich zulässiger Weise beschaffen?
2.  [Zwischenverfahren]
3.  Hauptverfahren
-  Durchführung eines (öffentlich wahrnehmbaren) Prozesses, an dessen Ende idR
eine gerichtliche Entscheidung steht (z.B. Verurteilung oder Freispruch).
4.  [Rechtsmittelverfahren]
5.  Vollstreckungsverfahren
-  Wenn (unanfechtbare) Entscheidung ergangen ist, wird die verhängte Strafe (ggf.
zwangsweise) durchgesetzt.
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In welche Verfahrensstadien wirkt die Problematik einer
„alternden Gesellschaft“ hinein?
Grundsätzlich: in alle 5 (überwiegend unmittelbar, teilweise nur mittelbar)!
5 Beispiele:
-  Ermittlungsverfahren
-  Recht der Untersuchungshaft am Beispiel der sog. „Fluchtgefahr“
-  Recht der Beschuldigtenvernehmung
-  Hauptverfahren
-  Besetzung der Gerichte
-  Rechtsinstitut der sog. „notwendigen Verteidigung“
-  Strafvollstreckung
-  Verzicht auf Strafvollstreckung?
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Recht der Untersuchungshaft am
Beispiel der „Fluchtgefahr“
Untersuchungshaft: Inhaftierung eines Beschuldigten vor und/oder während (s)eines
Prozesses zur Sicherstellungen einer ordnungsgemäßen Verfahrensdurchführung.
Im Kern zwei Voraussetzungen: (1) Dringender Tatverdacht und (2) Haftgrund.
è Haftgrund der Fluchtgefahr: Liegt vor, wenn eine höhere Wahrscheinlichkeit für die
Annahme spricht, ein Beschuldigter werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die
Erwartung, er werde sich ihm stellen.
è Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls.
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Generelle Beurteilungsindizien:
für Fluchtgefahr: z.B. hohe Straferwartung, fehlende persönliche/berufliche
Bindungen, gute Beziehungen ins Ausland, kein fester Wohnsitz oder häufiger
Wohnsitzwechsel
gegen Fluchtgefahr: möglicherweise Alter und (damit verbunden) schlechter
Gesundheitszustand?
è Falls Anerkennung von Alters- und Gesundheitsbelangen: Konsequenzen?
è Ersatzloser Wegfall von U-Haft oder Alternativen?
§  Stichwort: Elektronische Fußfessel; Hausarrest
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Recht der Beschuldigtenvernehmung
Anknüpfungspunkt: § 136a StPO - Regelung über verbotene Vernehmungsmethoden
-  U.a. unzulässig: Täuschung! (= Bewusste Irreführung über Sach- und Rechtslage)
-  Hingegen zulässig: Kriminalistische List (z.B. Stellen von Fangfragen)
Rechtliches Problem: Anspruch auf ein faires und rechtsstaatliches Verfahren
è Verstoß gegen das Fairnessgebot, wenn ältere (geistig nicht mehr voll befähigte)
Beschuldigte kriminalistischer List unterzogen werden?
è Konsequenz: Genereller Verzicht auf Anwendung kriminalistischer List oder lediglich
restriktive Handhabung?
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Wiss. Mit. Sebastian Kretzschmann, LL.M.
Besetzung der Gerichte
Regelfall im Erwachsenenstrafrecht:
Besetzung der Gerichte mit Berufsrichter(n) und ggf. zusätzlichen Laienrichtern
Sonderregelung im Jugendstrafrecht:
Prozessbeteiligte, insbesondere die Laienrichter sollen „erzieherisch befähigt und in der
Jugenderziehung erfahren“ sein (§ 35 II S. 2 JGG).
Schaffung einer analogen Regelung auch in der „Altengerichtsbarkeit“?
-  Zunächst: Besteht überhaupt ein Bedürfnis zur Schaffung einer Gerichtsbarkeit
speziell für ältere Menschen?
-  Wenn ja: Welche Anforderungen sind an die Sozialkompetenz der Richter zu
stellen?
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Notwendige Verteidigung
Ausgangspunkt: § 140 StPO
Vor den unteren Gerichten (Amtsgerichten) besteht meist in Strafsachen kein sog.
„Anwaltszwang“. D.h. in kleineren Fällen steht es einem Beschuldigten frei, sich selbst
ohne rechtsanwaltliche Hilfe zu verteidigen. Erst auf höherer Ebene mit „bedeutenderen“
rechtlichen Konsequenzen wird eine anwaltliche Vertretung (zwingend) notwendig.
Rechtliches Problem im Falle älterer Beschuldigter:
Verstoß gegen verfassungsrechtliches Fairnessprinzip, wenn Beschuldigter aufgrund
höheren Alters (und damit möglicherweise geistig eingeschränkter Verfassung) nicht in der
Lage ist, „gegnerische“ Prozessführungstaktiken zu erkennen und daraufhin entsprechend
eigene Verteidigungsstrategien zu entwickeln?
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Strafvollstreckung
Ausgangsfrage:
Besteht ein Bedürfnis nach einer (unanfechtbar) ergangenen belastenden gerichtlichen
Entscheidung auf eine sich anschließende Strafvollstreckung – also im Falle eines auf
Freiheitsstrafe lautenden Urteils – auf eine Inhaftierung des älteren Beschuldigten zu
verzichten? Falls ja, welche Möglichkeiten an „Haftsurrogaten“ wären denkbar?
Idee ist deutschem Recht grundsätzlich nicht fremd:
-  § 60 StGB – Absehen von Strafe: Gerichtlicher Schuldspruch erfolgt, auf Ausspruch
einer Strafe wird jedoch verzichtet. (Zwar kein genuin vollstreckungsrechtliches
Problem, aber thematisch vergleichbar)
-  § 116 StPO – Aussetzung des Vollzugs eines Untersuchungshaftbefehls: Ein UHaftbefehl ergeht, wird jedoch im Einzelfall nicht vollstreckt, da weniger
einschneidende Maßnahmen zur Verfahrenssicherung als ausreichend erachtet werden.
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Fazit
-  Das Phänomen der „alternden Gesellschaft“ gibt Anlass aktuell bestehende
Gesellschaftsbedürfnisse kritisch zu hinterfragen und entsprechende künftige
Bedürfnisse frühzeitig zu identifizieren und angemessen zu verrechtlichen.
-  Im Strafverfahrensrecht kann an zahlreichen Stellen über eine alterskonformere
Anpassung seiner Normen nachgedacht werden, um auch künftig eine
verfassungsrechtlich legitimierte Strafrechtsprechung zu gewährleisten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! J
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Kontaktdaten
Sebastian Kretzschmann, LL.M.
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Albertus Magnus Platz
50923 Köln
Email: [email protected]
www.iss.uni-koeln.de
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