Sicherheitserfordernisse und Bürgerrechte: Terrorismus

Sicherheitserfordernisse und Bürgerrechte:
Terrorismus- und Kriminalitätsbekämpfung
im Spannungsfeld zwischen Freiheit und Überwachung
Resümee
der Podiumsdiskussion vom
Dienstag, 09. Juni 2015
Urania, Wien
verfasst von
MAGA JOHANNA EDTHOFER
herausgegeben von
DR. GERHARD MARCHL
Keynote
ILIJA TROJANOW, Autor u.a. von „Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat
und der Abbau bürgerlicher Rechte“ (gemeinsam mit Juli Zeh)
Anschließend Podiumsdiskussion mit
ANNEGRET BENDIEK, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
MANFRED BURGSTALLER, Rechtsschutzbeauftragter beim Bundesministerium für Inneres
HANNES JAROLIM, Abg. zum Nationalrat, SPÖ-Bereichssprecher für Justiz
EVA SOUHRADA-KIRCHMAYER, Datenschutzbeauftragte des Europarates
Moderation
TESSA PRAGER, Redakteurin NEWS-Innenpolitik
Kurzzusammenfassung
Sind Sicherheit und Freiheit miteinander zu vereinbaren? Kann es gelingen, eine
ausgewogene Balance zwischen Sicherheitsbedürfnissen und Bürgerrechten zu finden? Oder
muss man die Frage gleich von vorneherein anders stellen und eine neue Logik in den derzeit
vorherrschenden Sicherheitsdiskurs bringen? Um all diese Fragen drehte sich die
Podiumsdiskussion, bei der RepräsentantInnen aus Politik und Verwaltung mit VertreterInnen
aus Literatur und Wissenschaft in einen regen Meinungsaustausch traten.
Die im Laufe der Veranstaltung entwickelten Anregungen und Ideen sollen ins SPÖParteiprogramm einfließen, das 2016 neu beschlossen wird.
Rückmeldungen / nähere Information:
Dr. Gerhard Marchl
Karl-Renner-Institut, Europäische Politik
[email protected]
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In seiner Keynote legte Ilija Trojanow (Autor u.a. von „Angriff auf die Freiheit.
Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte“, gemeinsam mit
Juli Zeh) eingangs dar, dass derzeit ein falscher öffentlicher Diskurs zum Thema „Sicherheit
und Freiheit“ geführt werde. Die an diesem Diskurs beteiligten Personen würden aufgrund
ihres fehlgeleiteten Fokus übersehen, dass es gegenwärtig einen Paradigmenwechsel gebe,
der die Massenüberwachung normalisiere. Am Ende stehe eine neue totalitäre Gefahr in Form
einer alles regulierenden „kybernetischen Regierungsform“.
Der falsche Diskurs werde vorrangig in politischen und juristischen Kreisen geführt und gehe
einerseits davon aus, dass ein Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Freiheit gefunden
werden könne. Dies sei allerdings ein Trugschluss, denn Sicherheit und Freiheit seien zwei
sehr unterschiedliche Begriffe, die nicht in eine Gleichung gepresst werden könnten. Während
Freiheit für uns die Essenz des Individuums bedeute, sei Sicherheit ein gesellschaftliches Ziel.
Das führe dazu, dass das eine nicht zugunsten des anderen eingeschränkt werden könne. Im
Grunde gehe es überdies nicht darum, ob Freiheit Sicherheit brauche. Präziser und ehrlicher
sei es, der Fragestellung nachzugehen, ob Angst Kontrolle erfordere.
Andererseits, so Trojanow weiter, habe sich der öffentliche Diskurs auch im Hinblick auf die
tatsächlich praktizierte und mögliche Überwachung auf bemerkenswerte Weise geändert. Es
werde mittlerweile nicht einmal mehr geleugnet, dass wir in einem Zeitalter der
Massenüberwachung lebten, in dem alleine die NSA alle digital aktiven BürgerInnen (zwischen
3 und 4 Mrd.) kontrolliere. Das Datensammeln und die Massenüberwachung stellten
mittlerweile eine unbestrittene Realität dar und es gehe nur noch darum, sie bei gleichzeitigem
Austarieren zwischen individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen zu verwalten.
Darüber hinaus sei Sicherheit im Finanzkapitalismus ein erfolgreiches Geschäftsmodell. So
habe der globale sicherheitsindustrielle Komplex im Jahr 2013 einen Umsatz von 415,53 Mrd.
US-Dollar gemacht, für das Jahr 2018 würden sogar 544 Mrd. US-Dollar prognostiziert.
Gleichzeitig gebe es kaum Qualitätskontrollen und die Effizienz von Anti-Terrorprogrammen
werde nicht evaluiert.
Als sehr bedenklich schätzte Trojanow ein, dass die Sicherheitsbehörden selbst keinerlei
Kontrolle unterlägen. Wenn dennoch rechtswidrige Praktiken der Behörden aufgedeckt
werden, führe dies weder zu einer Bestrafung der Verantwortlichen noch zu einer Denkpause.
Die Überwachungsprogramme würden im Gegenteil weitergeführt und beständig ausgebaut.
Auch das Verhältnis zwischen Individuum und staatlichen Institutionen sei im Begriff, sich
grundlegend zu ändern. Im neuen digitalen Zeitalter gebe es nur noch digitale Untertanen, die
nicht nur in Echtzeit durchleuchtet würden, sondern deren Verhalten antizipiert werden könne.
Diese BürgerInnen müssten nicht mehr überzeugt oder gar in politische
Entscheidungsprozesse eingebunden werden – es reiche, sie zu überwachen. Facebook und
Google fungierten dabei im Endresultat als Instrumente staatlicher Kontrolle. Menschen, die
sich der Durchleuchtung verweigerten, indem sie beispielsweise die neuen Technologien nicht
nützten, seien von vorneherein verdächtig.
Im Kontext der von Trojanow postulierten „neue kybernetische Regierungsform“ gehe es also
darum, die Nischen des Widerstandes nicht zu zerstören, sondern sie zu regulieren. Im
Zentrum stünde nicht die direkte Unterdrückung des Individuums, sondern die allumfassende
Durchherrschung der Gesellschaft anhand ihrer Daten. In Zeiten zunehmender Ungleichheiten
zwischen Arm und Reich könne nur auf diese Weise der soziale Frieden aufrechterhalten
werden. Ein wesentliches Herrschaftselement in diesem Komplex sei die aus der
Überwachung resultierende Selbstzensur und -kontrolle. Das Fatale daran: Man fühle sich
nach erfolgreich durchgeführter Selbstregulierung frei, weil einen niemand direkt zu etwas
zwinge.
In der anschließenden Podiumsdiskussion unter der Leitung von Tessa Prager
(Redakteurin NEWS-Innenpolitik) war zunächst Annegret Bendiek (Stiftung Wissenschaft
und Politik, Berlin) mit folgender Frage konfrontiert: Wie weit darf ein Staat im Kontext von
Terrorismusbekämpfung in die Bürgerrechte bzw. Privatsphäre von Personen eingreifen?
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Bendiek vertrat die Ansicht, dass der Staat im Kontext von Terrorismusbekämpfung so weit
gehen könne, wie die Verfassung bzw. das Grundgesetz es zuließen. Anschließend versuchte
sie, die Thematik in einem strategischen Kontext zu verorten:
Es müsse ihrer Meinung nach anerkannt werden, dass der Staat für die Durchsetzung von
Rechtsstaatsprinzipien elementar sei. Nachdem es sich um ein grenzüberschreitendes
Problem handle, sei es darüber hinaus notwendig, die Rechtssetzung im Bereich Sicherheit
europäisch bzw. im Idealfall international zu regeln.
Schließlich dürfe die strategische Partnerschaft Europas mit den USA nicht außer Acht
gelassen werden. Wir seien spätestens seit Beginn der europäischen Integration Verbündete
der USA (Stichwort: NATO). In diesem Zusammenhang stellte Bendiek die These auf, dass
alle guten rechtsstaatlichen Errungenschaften in Europa, Deutschland und Österreich in den
letzten Jahrzehnten v.a. deswegen entwickelt hätten werden können, weil wir uns nie ernsthaft
mit dem globalen sicherheitspolitischen Kontext auseinandersetzen hätten müssen. Europa
habe immer vom Deckmantel der Sicherheitsvorkehrungen der USA profitiert. Aktuell
versuche die EU allerdings, sich von den USA zu emanzipieren. Es gehe darum, eine
eigenständige europäische Sicherheitspolitik zu entwickeln.
Was derzeit fehle, so Bendiek abschließend, sei eine starke Kontrolle von Regierungen und
Geheimdiensten. Dies sei in erster Linie eine parlamentarische Aufgabe, und man müsse
daran arbeiten, Parlamente auf nationaler und europäischer Ebene dahingehend zu stärken.
Eva Souhrada-Kirchmayer (Datenschutzbeauftragte des Europarates) ging zunächst der
Frage nach, wie weit der Europarat die erlaubte Datenerfassung und -verarbeitung fasst:
Sie erklärte, dass die derzeit in Überarbeitung befindliche Europaratskonvention 108 zum
Datenschutz erstmals die Grundprinzipien des Datenschutzes europaweit festgelegt habe. Im
Unterschied zu Datenschutzpendants auf EU-Ebene gelte die Datenschutzkonvention des
Europarates säulenübergreifend, sprich für alle Bereiche. Auf EU-Ebene hingegen sei der
Bereich der nationalen Sicherheit – und somit auch die Geheimdienste – aus
Kompetenzgründen ausgenommen.
Unterschiede EU – USA:
Nachdem Souhrada-Kirchmayer Mitglied der 2013 ins Leben gerufenen Ad-hoc-Gruppe
zwischen der EU und den USA zum Datenschutz war, ging sie auch auf die Unterschiede
zwischen Europa und den Vereinigten Staaten ein: Letztere hätten eine ganz andere
Rechtsgrundlage im Bereich des Datenschutzes als die EU. Dabei gebe es im Wesentlichen
zwei Unterschiede: In den USA sei Datenschutz ein StaatsbürgerInnenrecht, in der EU ein
Menschenrecht. Daraus ergebe sich beispielsweise, dass auf Basis von diversen Gesetzen –
etwa dem Patriot Act bzw. Freedom Act, dem Foreign Information Surveillance Act oder der
Verordnung 12333 – ausländische StaatsbürgerInnen in den USA sehr weitreichend
überwacht werden dürften. Die USA hätten darüber hinaus ein anderes Verständnis vom
Verhältnismäßigkeitsprinzip. Es herrsche die Auffassung, dass erst bei der Datenauswertung
und noch nicht beim Datensammeln die Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden müsse.
Darum sei in den USA rechtlich mehr Überwachung möglich als in der EU. SouhradaKirchmayer betonte abschließend, dass „Verhältnismäßigkeit“ das Schlüsselwort für die
Grenzziehung zwischen Freiheit und Sicherheit sei.
Manfred Burgstaller (Rechtsschutzbeauftragter beim Bundesministerium für Inneres)
Übersteigt die Kontrollwut des Staates bereits jedes erträgliche Ausmaß?
Burgstaller stimmte in der Frage, wie weit der Staat bei Überwachung gehen dürfe, mit Bendiek
überein. Es sei klar, dass der Staat nur so weit gehen könne, wie es die Verfassung erlaube.
Alles andere müsse man ausdiskutieren und dabei versuchen, zwischen den konkreten
Bedürfnissen der Bevölkerung nach Sicherheit und grundlegenden Freiheitsrechten
auszutarieren.
Was allerdings nicht seinen Beobachtungen entspreche, sei die Auffassung, dass es einen
breiten Konsens gegen zu viel Überwachung gebe. Viele Menschen hätten das Gefühl, dass
in gewissen Bereichen sogar zu wenig überwacht werde. Als Beispiel nannte er die öffentliche
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Videoüberwachung. In diesem Bereich gebe es aktuell von der Bevölkerung geäußerte
konkrete Wünsche, diese zu Sicherheitszwecken auszubauen.
Zur Frage der Unabhängigkeit des Rechtsschutzbeauftragten beim BMI:
Die Unabhängigkeit des Rechtsschutzbeauftragten sei gesetzlich garantiert. Das wichtigste
Element, diese Unabhängigkeit auch real abzusichern, sei der Bestellungsmodus. Dabei
müsste der/die KandidatIn viele qualifizierte Kontrollen durchlaufen, und auch die drei
stärksten Parlamentsparteien hätten durch die drei NationalratspräsidentInnen ein
Mitspracherecht. Weitere Faktoren, um die reale Unabhängigkeit des Rechtsschutzbeauftragten zu garantieren, seien auf individueller Ebene angesiedelt. So brauche man
Durchsetzungskraft und Engagement. Ein Ausschlussgrund sei hingegen die Neigung zu
vorauseilendem Gehorsam.
Die vom Rechtsschutzbeauftragten überprüften Fälle:
Relevant im Zusammenhang mit der Thematik „Sicherheit und Freiheit“ seien in erster Linie
Fälle, welche sogenannte erweiterte Gefahrenerforschungen beträfen. Diese würden faktisch
nur von Verfassungsschutzbehörden vorgenommen, und es gehe dabei um die präventive
Überwachung von Personen, gegen die noch nichts Konkretes vorliege. Der Bereich der
erweiterten
Gefahrenerforschungen
solle
nun
durch
das
neue
Polizeiliche
Staatsschutzgesetz 1 wesentlich umfassender als bisher geregelt werden. Nach der
momentanen Rechtslage dürften bei Verdacht auf künftige schwere Kriminalität nur
Gruppierungen in einem den praktischen Bedürfnissen entsprechenden Ausmaß überwacht
werden, und dies selbstverständlich nur nach vorheriger Ermächtigung durch den
Rechtsschutzbeauftragten. Die Überwachung von Einzelpersonen hingegen dürfe derzeit nur
dann vorgenommen werden, wenn sie sich öffentlich für Gewalt ausgesprochen oder sich
bereits spezifische Mittel und Fähigkeiten zur Gewaltausübung angeeignet hätten, und
überdies die ernste Befürchtung bestehe, dass sie künftig schwere weltanschaulich oder
religiös motivierte Gewalttaten begehen würden. Das greife namentlich im Blick auf
zurückgekehrte JihadistInnen eindeutig zu kurz. Das neue Staatsschutzgesetz werde aller
Wahrscheinlichkeit nach die Überwachung von Einzelpersonen in deutlich erweitertem
Umfang erlauben.
Hannes Jarolim (Abg. zum Nationalrat, SPÖ-Bereichssprecher für Justiz) ging in erster Linie
auf das geplante Polizeiliche Staatsschutzgesetz und die Rolle der SPÖ ein:
Er bestätigte, dass der aktuelle Entwurf zum neuen Staatsschutzgesetz weit reichende
Eingriffe erlauben würde, die keiner richterlichen Kontrolle unterlägen, weswegen er nicht sehr
glücklich mit dem geplanten Gesetz sei. Gerade die erweiterte Gefahrenerforschung habe ein
enormes Potential für Bespitzelung, und es brauche auf jeden Fall noch Änderungen, z.B.
beim Vorhaben, die Überwachung von Gruppen auf Einzelpersonen auszudehnen. Er hoffe,
dass der nächste überarbeitete Entwurf viele von diesen problematischen Punkten nicht mehr
enthalten werde, und zeigte sich zuversichtlich, dass man am Ende des Tages eine Lösung
finden werde.
Jarolim wies darauf hin, dass es sehr wohl heftige Diskussionen innerhalb der Koalition und
auch der SPÖ über das neue Staatsschutzgesetz gegeben habe, sie seien nur nicht in vollem
Ausmaß in die Öffentlichkeit getragen worden. Wichtig seien in erster Linie Transparenz und
eine öffentliche Diskussion. Es gehe immerhin alle an, wie Sicherheit organisiert werde, wo
Sicherheit herkomme und was sie tatsächlich bedeute. Auch eine jährliche Evaluierung der
Sicherheitsmaßnahmen insgesamt sei notwendig. Dadurch könne man rechtzeitig erkennen,
wenn es in einem Bereich völlig absurde Entwicklungen gebe. Dies habe sich beispielsweise
im Zusammenhang mit der Causa der TierschützerInnen ereignet. Auf Basis einer
Das neue Polizeiliche Staatsschutzgesetz wurde Ende Juni 2015 vom Ministerrat beschlossen. Die
Verabschiedung durch den Nationalrat ist für den Herbst 2015 geplant. Der Gesetzesentwurf ist auf der
Website des Parlaments abrufbar: http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/I/I_00763/index.shtml
(Stand: 27.8.2015).
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Rechtsgrundlage, die eigentlich mafiöse
TierrechtsaktivistInnen verfolgt worden.
Organisationen
im
Visier
habe,
seien
Ilija Trojanow sah sich durch die Aussagen der ReferentInnen in seiner Grundbehauptung
bestätigt, dass derzeit tatsächlich ein falscher Diskurs geführt werde. Eine Diskussion auf der
Metaebene werde zwar als Wunsch geäußert, de facto gebe es sie derzeit aber weder in Politik
noch Jurisprudenz. Nicht einmal auf dem Podium sei es gelungen, sie zu führen. Man dürfe
das Terrain nicht PolitikerInnen und JuristInnen überlassen, da diese legalistisch
argumentieren würden und den aktuellen Paradigmenwechsel nicht verstünden, sprich die
zunehmende totale Durchleuchtung der Gesellschaft auf Basis des technologischen
Fortschritts. Im momentan hegemonialen Diskurs werde nicht thematisiert, dass wir es seit
fünfzehn Jahren mit einem kontinuierlichen Abbau bürgerlicher Rechte und einer
gleichzeitigen Verschärfung der Gesetze und Regeln im Sicherheitsbereich zu tun hätten.
Ob die Mehrheit der Bevölkerung mehr Überwachung wolle, sei vor diesem Hintergrund
ebenso völlig irrelevant. Menschenrechte seien dazu da, um Minderheiten zu schützen, also
auch die Minderheit der Freiheitsliebenden. Generell müsse man die Bedürfnisse der
Bevölkerung nach mehr Überwachung hinterfragen, da Bedürfnisse manipulierbar seien und
Panikmache das übrige dazu tun würde.
Trojanow warnte nochmals vor einer totalitären Gefahr in dem Sinne, dass künftig alle
Bereiche unseres Lebens durchleuchtet werden würden. Dabei gehe es eigentlich gar nicht
um Terrorismus, sondern um einen Paradigmenwechsel, der den Terrorismus benutze, um
sich durchzusetzen. All diese Fragen müssten dringend diskutiert werden, sonst sehe die
Zukunft tatsächlich nicht sehr rosig aus.
Diskussion mit dem Publikum:
Die Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum drehten sich um folgende Themen: die
generelle Situation und Entwicklung der Überwachung in unserer Gesellschaft, die Rolle des
Staates und seiner Institutionen, die ökonomische Dimension von Sicherheit, das Thema
Forschung und Sicherheitsindustrie, das neue österreichische Polizeiliche Staatsschutzgesetz
und die Rolle der SPÖ, die Evaluierung von Anti-Terrormaßnahmen und der Fall der
TierschützerInnen.
Im Hinblick auf die generelle Situation und Entwicklung der Überwachung in unserer
Gesellschaft wurde einerseits die Ansicht vertreten, dass nicht alles schlechter geworden sei.
Es gebe auch Versuche, der zunehmenden Überwachung einen Riegel vorzuschieben. V.a.
im rechtlichen Bereich habe sich viel getan. Die bereits erwähnten Entscheidungen des EuGH
im Fall von Google und der Vorratsdatenspeicherung seien ein Beispiel dafür, dass sich
Höchstgerichte stärker für Grund- und Freiheitsrechte einsetzen würden.
Andererseits wurde – im Einklang mit Trojanow – die derzeitige Situation als sehr bedenklich
eingeschätzt. Man müsse der Bevölkerung klar machen, welche Gefahren sich aus der
zunehmenden Überwachung ergäben. Gerade die jüngere Generation müsse darauf
aufmerksam gemacht werden, nicht alles im Internet preiszugeben.
Die Rolle des Staates und seiner Institutionen war umstritten. Es wurde darauf
hingewiesen, dass der Staat es nicht immer gut mit uns meine und häufig der Gegenspieler
der BürgerInnen sei. Das Parlament sei darum umso mehr als Kontrollorgan gefragt. Allerdings
werde der Parlamentarismus derzeit aufgrund des Klubzwangs von den Parteien eher
geknebelt. Es brauche dringend ein Klima, in dem die Abgeordneten tatsächlich sagen
könnten, was wahr sei.
Nicht außer Acht gelassen werden dürfe die ökonomische Dimension von Sicherheit: mit
Sicherheit und Überwachung werde Geld gemacht. Dabei tauchte die Frage auf, wie
demokratische Kontrolle ausgeübt werden könne, wenn Demokratie und Wirtschaft immer
mehr verwachsen würden. Als Beispiel wurde herangezogen, dass die deutsche
Bundeskanzlerin Deutschland unlängst als „marktkonforme Demokratie“ bezeichnet habe. Es
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wurde die Meinung vertreten, dass die Ursache für die zunehmende Überwachung der
Finanzkapitalismus sei.
Zum Thema Forschung und Wissenschaft gab es zwei konträre Wortmeldungen. Es wurde
kritisiert, dass Forschung, die sich kritisch mit dem Demokratie- und dem Sicherheitsbegriff
auseinandersetze, keine Chance auf (EU)-Förderungen habe. Das führe dazu, dass
sozialwissenschaftliche bzw. soziologische Herangehensweise in der Sicherheitsforschung
unterrepräsentiert seien. Demgegenüber wurde argumentiert, dass das österreichische
Förderungsprogramm für Sicherheitsforschung (KIRAS/BMVIT) sehr wohl sozial- und
geisteswissenschaftliche Forschungen zur Thematik unterstütze.
Ein weiterer Beitrag widmete sich dem Thema der Sicherheitsindustrie. Es wurde kritisiert,
dass Kontrolle immer häufiger als Komfort verkleidet sozusagen durch die Hintertür
hereinkomme. Der Sicherheitsindustrie selbst gehe es nur darum, solche „komfortablen
Spielzeuge“ herzustellen. Als Beispiel dafür wurde das in Diskussion befindliche Bargeldverbot
genannt. Unter dem Vorwand, Steuerhinterziehung bekämpfen zu wollen, solle das
Einkaufverhalten der BürgerInnen dadurch transparent gemacht werden. Auf der anderen
Seite wurde angemerkt, dass die Sicherheitsindustrie nicht per se etwas Schlechtes sei, da
sie immerhin auch Arbeitsplätze schaffe.
Im Zusammenhang mit dem geplanten neuen Polizeilichen Staatsschutzgesetz stellte sich
die Frage, warum und wie es überhaupt zu dem derzeitigen umstrittenen Gesetzesentwurf
gekommen sei. Es wurde die Rolle der SPÖ beim Entstehen des Gesetzesentwurfs kritisiert
und bemängelt, dass dieser keine rote Handschrift trage. Aber auch im Zusammenhang mit
anderen Sicherheitsfragen wurde die SPÖ dazu aufgefordert, sich aktiver in
Entscheidungsprozesse einzubringen. Wünschenswert seien soziologische Lösungen
anstelle von juristischen für die Sicherheits- und Überwachungsthematik. Darüber hinaus
brauche es analog zum Neoliberalismus einen Neosozialismus, wobei ebenfalls die SPÖ
gefragt sei.
Es wurde ein Projekt vom „Arbeitskreis Vorratsdaten“ vorgestellt. Ziel des Projekts sei es, eine
Evaluierung der Anti-Terrorgesetze in Österreich vorzunehmen. Die auf diese Weise erstellte
überwachungsstaatliche Gesamtrechnung solle bis September dieses Jahres fertig sein. An
Burgstaller und Jarolim wurde die Frage gerichtet, ob sie Interesse an den Ergebnissen hätten
und sich vorstellen könnten, damit weiter zu arbeiten.
In einer Wortmeldung wurde kritisiert, dass permanent vom Verfassungsschutz gegen
TierschützerInnen ermittelt werde. Im Verfassungsschutzbericht gebe es jedes Jahr ein
Kapitel über militante Tierrechtsorganisationen, welches ausschließlich Verwaltungsstrafen
enthalte. Neonazistische Gruppierungen hingegen würden nicht in dem Ausmaß vorkommen.
Es stelle sich die Frage, ob das verhältnismäßig sei.
Abschließende Statements und Beantwortung der Publikumsfragen:
Burgstaller machte deutlich, dass entgegen mehrerer Diskussionsbeiträge keineswegs alles
am Staatsschutzgesetz negativ sei. Viele Dinge, die bislang im Graubereich gelegen hätten,
würden mit dem neuen Gesetz eine sichere Rechtsgrundlage bekommen. Der
Gesetzesentwurf werde darüber hinaus, soweit er wisse, durch SPÖ-Einflussnahme in einigen
kritischen Punkten entschärft werden.
Das vorgestellte Evaluierungsprojekt fand er sehr interessant und meinte, dass er sich
bemühen werde, die Ergebnisse in die Diskussionen miteinfließen zu lassen.
Klar zurück wies er die Aussage, dass der österreichische Staat ein Gegenspieler der
BürgerInnen sei. Beunruhigt zeigte er sich jedoch über die ungeheuren Überwachungsmöglichkeiten, die der technologische Fortschritt mit sich bringe. Vor allem das Einschleichen
von Kontrolle durch zusätzlichen Komfort stelle eine erhebliche Gefahr dar.
Zum Vorwurf unterlaufener Unverhältnismäßigkeiten im Zusammenhang mit den TierschützerInnen meinte er, dass die Causa nicht in den Kompetenzbereich des Rechtsschutzbeauf6
tragten beim BMI falle, da sie sich nicht im sicherheitspolizeilichen Bereich abspiele. Ob
Verwaltungsübertretungen von TierschützerInnen jährlich im Verfassungsschutzbericht
erörtert würden, wisse er nicht.
Bendiek bestätigte, dass es eine starke Verflechtung von Politik und Wirtschaft gebe. Die
Bezeichnung Deutschlands als „marktkonforme Demokratie“ sei daher gerechtfertigt. Merkels
Programm sei es, den Status Deutschlands als größte Volkswirtschaft Europas beizubehalten.
Für die Mehrheit der Deutschen erscheine dieses Vorhaben erstrebenswert.
Zum Thema Überwachung meinte sie, dass die digitale Revolution nicht aufzuhalten sei. Sie
berühre Bereiche der wirtschaftlichen Wertschöpfungskette, der sozialen und gesellschaftlichen Kommunikation und der Sicherheit. In allen drei Bereichen werde der Staat in Zukunft
eine andere Rolle zu spielen haben.
Auch die Tatsache, dass es schon 2016 die meisten InternetnutzerInnen in Asien geben
werde, dürfe nicht vergessen werden. Das Internet sei so aufgebaut, dass es durch die
NutzerInnen wesentlich mitgestaltet werden könne. Das bedeute, dass die Internetstrukturen
in Zukunft auch maßgeblich durch andere Regionen dieser Welt bestimmt würden. Kritische
Stimmen seien sehr wichtig, aber es dürfe auch das große Bild nicht vergessen werden.
Europa müsse im globalen Wettbewerb konkurrenzfähig bleiben und Regeln, Normen und
Standards mitgestalten können. Dafür brauche es Parlamente, die sich gegenüber der
Exekutive selbst ermächtigten.
Trojanow vertrat den Standpunkt, dass die technologische Entwicklung nicht zwangsläufig zu
mehr Transparenz führen werde. In dem Maße, in dem wir Transparenz herstellten, könnten
wir Transparenz auch wieder technisch unterbinden. Die weiße Weste des Staates sei
ebenfalls Illusion, denn Staatsverbrechen überstiegen Individualverbrechen um ein
Millionenfaches. Egal, ob es sich um punktuelle Verbrechen handle, wie beispielsweise beim
Fall der TierschützerInnen, oder ob es massenhafte Verbrechen seien wie etwa im Dritten
Reich: es müsse dringend versucht werden, Staaten daran zu hindern, Verbrechen zu
begehen.
Trojanow unterstrich noch einmal, dass man dem Verfassungsschutz oder den
Geheimdiensten nicht vertrauen solle. Die gesammelten Daten würden von diesen
Institutionen nicht objektiv ausgewertet, sondern für ihre Zwecke manipuliert und
instrumentalisiert. In Zeiten der Transparenz gebe es im Großen und Ganzen keine
Notwendigkeit mehr für die Existenz von Geheimdiensten. Darüber hinaus existiere auch keine
wissenschaftliche Evaluierung, die ihren Nutzen belege.
Auf EU-Ebene sei es nötig, endlich neue BürgerInnenrechte zu definieren, die für das digitale
Zeitalter adäquat seien. Hier passiere viel zu wenig und es gehe viel zu langsam voran.
Letztlich müsse man sich aber vor allem gegen das herrschende System stellen, das sich
immer mehr in Richtung Überwachung und Kriminalisierung bewege. Es sei ein internationaler
Trend, dass mit den Gesetzen soziale Bewegungen kriminalisiert und Widerstand – auch
innerhalb von Demokratien – sukzessive eingedämmt werde.
Auch Souhrada-Kirchmayer betonte, dass es im VfGH und im EuGH in letzter Zeit zu einer
großen Sensibilisierung gegenüber der Grundrechtsproblematik gekommen sei. Generell
gebe es bei den Höchstgerichten einen Trend in Richtung einer verstärkten
Grundrechtsfreundlichkeit.
Genau wie Burgstaller bezeichnete auch sie eine Evaluierung der Anti-Terrormaßnahmen in
Österreich als unterstützenswertes Projekt. In diesem Zusammenhang wies sie auch auf die
sogenannte „Sunset Legislation“ hin, welche bei sensiblen Materien – und somit auch im
Sicherheitsbereich – ins Auge gefasst werden könne. Dabei handle es sich um befristete
Gesetze, die bei Nichteintreten der Wirkung wieder auslaufen würden. Eine Datenschutzfolgenabschätzung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sei ebenfalls ein gutes
Instrument. Fortschritte brauche es letztlich auch auf rechtlicher Ebene. Moderne
Datenschutzgesetze müssten so bald wie möglich die alten Gesetze ersetzen.
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Unabdingbar sei nicht zuletzt eine grundsätzliche Diskussion darüber, in welche Richtung man
angesichts der digitalen Entwicklungen gehen wolle. Man könne beispielsweise sogenannte
PETs (Privacy Enhancing Technologies) vermehrt zum Einsatz bringen, die darauf
ausgerichtet seien, Datenschutzprobleme wieder zu reduzieren.
Jarolim war ebenfalls der Meinung, dass die Sensibilität der Höchstgerichte im Hinblick auf
Datenschutz in letzter Zeit zugenommen habe. Zudem könne das österreichische
Datenschutzrecht als eines der stärksten in der EU eingestuft werden.
Gleichzeitig zeigte er sich aber verständnisvoll für die geäußerten Sorgen, zumal es in diesem
Bereich derzeit keine Zukunftsvision gäbe. Darum verstehe er auch den Ärger von Teilen der
Bevölkerung über die diesbezügliche Regierungspolitik.
Die vorgestellte Evaluierung von Anti-Terrormaßnahmen in Österreich fand Jarolim ebenfalls
sehr interessant. Er könne sich vorstellen, dass es dazu eventuell eine Enquete im Nationalrat
geben könnte, um die für das Projekt nötige Öffentlichkeit herzustellen.
Jarolim bedauerte, dass das Staatsschutzgesetz bis dato weniger in der Öffentlichkeit
diskutiert wurde, als dies notwendig gewesen wäre. Grundsätzlich sei natürlich ein Gesetz
nötig, aber ein solches, für das man sich nicht genieren müsse und dessen Standards einem
entwickelten Rechtsstaat entsprechen. Daher hoffe er, dass die Kritikpunkte und Forderungen
der SPÖ durchgesetzt werden. Allerdings könne man davon ausgehen, dass das
Staatsschutzgesetz auch dann nicht alle zufrieden stellen werde.
Im Zusammenhang mit dem TierschützerInnenprozess tat Jarolim seinem Unmut darüber
kund, dass Tierrechtsorganisationen im Verfassungsschutzbericht vorkämen. Es könne nicht
sein, dass sie sozusagen zum nationalen Feind erkoren würden.
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