Glauben. Gemeinsam. Erleben.

Messfeier mit Militärbischof Franz-Josef
Overbeck im Zeltlager
von Lourdes
Glauben. Gemeinsam. Erleben.
Die Beweggründe, an der Internationalen Soldatenwallfahrt nach Lourdes teilzunehmen, sind
vielfältig. Die Pilger in Uniform bilden hier eine große Gemeinschaft, sie können Kraft tanken und
finden Gelegenheit zur inneren Einkehr.
Von Christine Hepner
anerkannte Wunder hat es hier gegeben – und insgeheim hofft jeder Pilger, dass der berühmteste Wallfahrtsort der katholischen Kirche auch ihm etwas ganz
Besonderes schenkt. Am Vormittag findet ein
Gottesdienst an der heiligen Grotte von Lourdes
statt. In den ersten Reihen unzählige Krankenfahrstühle. In einem davon sitzt André Wetter.
Der ehemalige Fallschirmjäger aus Delmenhorst
ist zum vierten Mal in Lourdes dabei. Begleitet
wird er von seinem früheren Kameraden, Stabsunteroffizier d.R. Thomas Liske.
Wetter und Liske sind zwei von rund 12 000
Soldatinnen und Soldaten aus mehr als 30 Nationen, die jedes Jahr im Mai für eine Woche den
Wallfahrtsort in den Pyrenäen besuchen. Seit
1958 findet hier die Internationale Soldatenwallfahrt statt. Mit dabei waren in diesem Jahr
auch wieder rund 650 Angehörige der Bundeswehr. Sie sind gekommen, um gemeinsam ihrem
Glauben nachzugehen und ein ganz besonderes
Zusammensein mit Kameraden aus aller Welt zu
erleben.
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Glauben.
Die Wallfahrt nach Lourdes ist einer der Höhepunkte im Kalender der Katholischen Militärseelsorge. Dabei ist der katholische Glaube nicht
unbedingt eine Voraussetzung, um an dieser
Erfahrung teilzuhaben. Im Gegenteil: Andersund Nichtgläubige sind hier ebenso willkommen. Militärbischof Franz-Josef Overbeck, der
die Bundeswehrsoldaten nach Lourdes begleitete, erklärt das mit den Worten: „Die Tradition der
Soldatenwallfahrt war von Anfang an mit dem
katholischen Ort Lourdes verbunden. Dieser Ort
ist eben katholisch – um jede Ecke guckt hier
eine Maria. Dennoch ist rund ein Drittel unserer
mitreisenden Soldaten evangelisch oder konfessionslos.“
„Jeder Soldat sollte, unabhängig von seiner
Konfession, einmal in Lourdes gewesen sein“, sagt
auch Hauptmann Matthias Schneider, Kasernenoffizier in der Herrenwaldkaserne Stadtallendorf,
und ergänzt: „Ich denke, dass vor allem der eine
oder andere jüngere Soldat insbesondere wegen
des einzigartigen Gemeinschaftsgefühls hierherkommt.“
Gemeinsam.
„Meine erste Wallfahrt im letzten Jahr war
super, deshalb bin ich wieder hier,“ erzählt
Hauptmann Christian Wagner vom Zentrum für
Geoinformationswesen Euskirchen. „Und auch
beim zweiten Mal ist die Zeit hier sehr intensiv.“
Wagner ist konfessionslos, wollte aber trotzdem nach Lourdes: „Die Wallfahrt an sich ist ja
das Erleben der Gemeinschaft. Hier sitzt man
abends zusammen, unternimmt gemeinsam
etwas, geht zusammen essen und trinken. Das ist
eine intensive Erfahrung gelebter Kameradschaft. Das erfährt man nicht, wenn man nur seinen normalen Dienst leistet und nach Dienstschluss nach Hause fährt.“ Das Verbandsmitglied engagiert sich in diesem Jahr als Begleiter
und Ansprechpartner für Kameraden, die das
erste Mal dabei sind.
Die Kameradschaft und gegenseitige Unterstützung wird besonders deutlich im Umgang
mit den Kranken, die das Bild des Wallfahrtsortes prägen. Während der Gottesdienste werden
die ersten Reihen für sie reserviert, zwischen
den Pilgerströmen und dem Verkehr in den
Die Bundeswehr Juni 2015
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Fotos: Hepner
Titel: 57. Internationale Soldatenwallfahrt
Vom 13. bis 19. Mai 2015 fand die 57. Internationale Soldatenwallfahrt nach Lourdes statt.
Der ehemalige Fallschirmjäger André Wetter ist zum viertel Mal
hier. Begleitet wird er von seinem Kameraden Thomas Liske (r.).
engen Straßen haben sie immer Vorfahrt. In den
Krankenhäusern des Heiligen Bezirkes werden
die teilweise schwerstkranken Pilger kostenlos
untergebracht und von zahllosen freiwilligen
Helfern betreut, die für diesen Dienst ihren
Urlaub opfern. Für viele Kranke ist Lourdes ein
Ort, an dem sie Kraft tanken können, denn hier
ist der Umgang mit ihnen gelebte Normalität.
„Normal“ möchte sich auch André Wetter
fühlen. Der ehemalige Berufssoldat ist bei
einem Fallschirmsprung verunglückt und seither querschnittsgelähmt. „Diese Wallfahrt
bedeutet für mich, meine Akkus aufladen zu
können. Ich brauche das einfach. In diesem Jahr
feiere ich sogar meinen Geburtstag lieber hier
als zu Hause bei meiner Familie.“ Zu Hause, da
wartet der Alltag auf den konfessionslosen Wetter. „Einmal da herauszukommen und sich dank
der medizinischen Pflege hier um nichts Sorgen
machen zu müssen, ist mein jährliches Highlight.“
Sorgen machen Wetter nicht nur die täglichen Herausforderungen, die sein Handicap mit
sich bringt, sondern auch der Kampf mit dem
ehemaligen Arbeitgeber Bundeswehr gegen sei-
ne vorzeitige Zurruhesetzung, bei dem ihn der
DBwV unterstützt. Wetters Begleiter Thomas
Liske ist von der besonderen Atmosphäre und
Hilfsbereitschaft in Lourdes begeistert, denn
„auch bei uns Fallschirmjägern steht Kameradschaft ganz oben“, so der Stabsunteroffizier d.R.
Auch Stabsfeldwebel a.D. Berthold Schlitt,
Mandatsträger in der ERH HerrenwaldSchwalm, hat die Erfahrung gemacht, dass ein
Besuch in Lourdes Kraft geben kann: „Meine
erste Begegnung mit diesem Ort liegt 15 Jahre
zurück. Damals habe ich als aktiver Soldat einen
Krankentransport mit der Transall hierher
begleitet und begriffen, dass es nicht nur um
Heilung geht. Den Kranken geht es nach ihrem
Besuch in Lourdes besser, sie erleben hier eine
Stärkung. Das gibt allen Kraft, auch mir.“
Erleben.
Während der Soldatenwallfahrt prägen Uniformen aus aller Welt das Stadtbild Lourdes‘, überall ist auch Militärmusik zu hören. Die zivilen
Pilger begegnen dem mit großem Interesse.
Hauptmann Schneider ist erstaunt: „Die Zivilisten kommen hier einfach so auf uns zu und wol-
len mal eben ein Foto mit uns machen.“ Hauptgefreiter Danny Gnade aus Stadtallendorf freut
sich ebenfalls über diesen offenen Umgang miteinander: „Was ich hier erlebt habe, ist, dass die
Zivilisten sich normal mit mir unterhalten, sich
für mich interessieren. Wenn ich bei mir zu Hause, in der Nähe von Hannover, in Uniform auf
der Straße bin, werde ich blöd angemacht.“
Auch das Leben im internationalen Zeltlager empfinden die Soldaten als angenehme Abwechslung. Hier fällt der Kontakt zu Kameraden
aus anderen Ländern leicht: Abends feiern die
Soldaten gemeinsam in der „Internationalen
Begegnungsstätte“ oder in den Straßen von
Lourdes. Selbst der anfängliche Dauerregen, der
die Zelte vollständig durchweicht hat, konnte
der Stimmung nichts anhaben.
Immer wieder wird die Kameradschaft hervorgehoben. Hauptgefreiter Gnade berichtet:
„Die Rangunterschiede sind hier weniger wichtig als in deutschen Kasernen. Stattdessen geht
es um gelebte Kameradschaft. Schon während
der Herfahrt im Zug hat man sich gegenseitig
mit dem Gepäck geholfen und hier im Zeltlager
ist es auch so: Wenn man etwas braucht, zum
Bewegender Anblick: Lichterprozession mit
Tausenden Soldaten im Heiligen Bezirk
In Lourdes begegnen die zivilen Pilger den
Soldaten aus aller Welt mit großem Interesse.
Das Wasser aus der Quelle von Lourdes gilt als heilkräftig.
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Die Bundeswehr Juni 2015
Titel: 57. Internationale Soldatenwallfahrt
Oben: Christian Wagner (r.) mit Kameraden im Heiligen Bezirk
Unten: Kevin Schefold erhält während der Messfeier das Sakrament
der Firmung.
Beispiel Nähzeug oder ein Brillenputztuch,
bekommt man es gleich von zwei Seiten
gereicht.“ Hauptmann Schneider ergänzt: „Wir
haben zwar die militärische Hierarchie und es
duzt nicht gleich jeder jeden. Aber hier trifft man
auch den Oberstleutnant in der Stadt, man trinkt
ein Bier zusammen. Man steht sogar mit einem
General oder dem Militärbischof zusammen.
Das hat man sonst kaum im täglichen Dienst.“
Ein besonders emotionaler Moment für viele
Teilnehmer der diesjährigen Soldatenwallfahrt
war die Firmung einer ihrer Kameraden. Hauptgefreiter Kevin Schefold ist derzeit beim evangelischen Militärpfarramt eingesetzt. Das
Sakrament der Firmung wollte der katholische
Marinesoldat in diesem besonderen Rahmen im
Kreis seiner Kameraden empfangen. Am Abend
davor hatte Schefold noch gemeinsam mit seinem Firmpaten an der heiligen Grotte gebetet.
Bei all dem Trubel und der Kommerzialität,
die den Wallfahrtsort Lourdes inzwischen
erreicht haben, finden sich immer auch noch
Orte der Ruhe und inneren Einkehr. Vor allem im
Morgengrauen oder in der Abenddämmerung
sieht man Soldaten in sich versunken im Gebet
an der Grotte stehen, den Kreuzweg gehen oder
eine Kerze anzünden. Militärbischof Overbeck:
„Lourdes ist für mich auch ein Platz, an dem
man zur Ruhe kommen kann. Solche Orte hätte
ich gern mehr im Alltag.“
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Oben: Moment des Gebetes und der inneren Einkehr
Unten: Matthias Schneider (r.), Danny Gnade (2. v.l.) und
Berthold Schlitt (l.) mit Kameraden im Zeltlager der Soldaten
Ziel von Millionen Pilgern aus aller Welt
D
er Aufstieg des am
Fuße der Pyrenäen
gelegenen Städtchens
Lourdes zum weltweit meistbesuchten katholischen Wallfahrtsort begann im Jahr
1858. Damals wurde das 14jährige Hirtenmädchen Bernadette Soubirous in einer
Grotte bei Lourdes Zeugin
mehrerer Marien-Erscheinungen. Zunächst glaubte niemand dem Hirtenmädchen,
doch 1862 erkannte eine
kirchliche Untersuchungskommission die Erscheinungen schließlich an und genehmigte die Verehrung „Unserer Lieben Frau von Lourdes“.
Während einer der Marien-Erscheinungen grub Bernadette in der Grotte eine Quelle
aus. Schon bald wurden Spontanheilungen gemeldet, woraufhin das Quellwasser als wundertätig galt. Bis heute wurden durch die Wallfahrer rund 7 000 Wunderheilungen gemeldet, von denen die katholische Kirche 69 offiziell anerkannt hat.
Ende des 19. Jahrhunderts kamen auch erste Pilger aus dem Ausland. Bei der Grotte entstand ein Heiliger Bezirk mit mehreren Kirchen und einem Prozessionsplatz. Die nach
schwerer Krankheit früh verstorbene Bernadette wurde später heilig gesprochen.
1944 pilgerten erstmalig französische Soldaten nach Lourdes. Diese nationale Pilgerreise wurde 1958, als sich die Marien-Erscheinungen zum hundertsten Mal jährten, zur Internationalen Soldatenwallfahrt ausgeweitet. Als solche ist sie heute einer der jährlichen
Höhepunkte im Wallfahrtskalender von Lourdes.
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