BUNTES WOCHENENDE Sonnabend, 10. Oktober 2015 Seite W 1 Warme Hände für Dänemarks Königin und ihr Volk Ein Besuch in der ältesten Handschuhfabrik der Welt Von Christoph Schumann Randers – Der kommende Winter wird kalt. Das hofft jedenfalls Arne Vejrum. „In den vergangenen drei Jahren war es viel zu mild “, sagt der 79-jährige Inhaber der Randers Handskefabrik, „zu mild für unsere Handschuhe.“ Die kühle nordische Jahreszeit ist seit Generationen das wirtschaftliche Rückgrat der 1811 in der Hafenstadt Randers in Ostjütland gegründeten Traditionsunternehmens – wenn auch bei weitem nicht das einzige. Denn neben kuschelig warmen Fäustlingen aus isländischem Schafsfell fertigt die mit mehr als 200 Jahren Firmengeschichte heute älteste Handschuhmanufaktur der Welt rund 50 Modelle für fast alle Gelegenheiten. Darunter Damenhandschuhe in jeder denkbaren Farbe für festliche Anlässe, klassische Autofahrer- und Motorradhandschuhe sowie neuerdings auch wind- und wasserdichte Fingerlinge für Radfahrer – mit Reflexstreifen und Membran. Insgesamt umfasst die Kollektion 1000 Varianten aus mehr als 20 verschiedenen Lederarten wie Lamm, Rind, Hirsch, Wildschein und unzähligen mehr. Rund 65 000 Paar Handschuhe verkauft der dänische Spezialist im Jahr weltweit, der seit 1927 in der Hand der Familie Vejrum ist. Arne Vejrum gehört mit seinem kürzlich verstorbenen Bruder zur vierten Generation und ist mit seinen mehr als 50 Jahren in der Branche nach wie vor Ideengeber, Produktentwickler und oberster Qualitätskontrolleur in einer Person. Ein halbes Jahrhundert, in dem der quirlige Däne mehr als einen Umbruch in seinem Lebens-Handwerk erlebt hat: „Vor 40 Jahren gab es in Dänemark noch etwa zehn Handschuhfabriken. Heute sind wir allein.“ Spurlos ist die Zeit aber auch an Randers Handsker nicht vorbeigegangen, auch wenn ein Besuch in Arne Vejrum mit seiner “Lieblingsnähmaschine”, einer rund 100 Jahre alten Singer, auf der heute nur noch Einzelexemplare gefertigt werden – zum Beispiel die dänische Königin. Fotos: Schumann den Firmenräumen in der Vestergrave 18 mit der historisch anmutenden Einrichtung aus alten Kontormöbeln, schweren Holzregalen oder dem schweren Tresor fast wie eine Zeitreise wirkt: Waren zu Spitzenzeiten zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg am alten Stammsitz in der Altstadt von Randers bis zu 50 Näherinnen und Angestellte mit Produktion und Vertrieb in Europas Metropolen und nach Übersee befasst, sind es heute noch gut 15, so Vejrum. Schon länger entsteht der größte Teil der Ware bei Auftragnehmern in Ländern wie Ungarn oder ChiDas Mädchen mit den Handschuhen ist seit vielen Jah- na. ren die Werbefigur der dänischen HandschumanaufakLediglich einitur in Randers. ge hundert Spe- zialmodelle aus besonders feinem Leder wie die klassischen Fäustlinge finden alljährlich ihren Weg aus der eigenen Gerberei und von den klassischen Nähmaschinen in Randers zu Trägern im Land – erkennbar sind die „echt“ dänischen Handschuhe an der kleinen rot-weißen Flagge an der Naht. Alle aber erhalten das ikonische Logo: die Abbildung der „Dame mit den Handschuhen“, ein Ende des 19. Jahrhunderts entstandenes Firmenplakat im Miniformat. Arne Vejrum: „Preislich wären wir angesichts der Löhne hierzulande nicht mehr konkurrenzfähig. Ein Standard-Damenhandschuh müsste statt jetzt 70 Euro mehr als das Doppelte kosten.“ Dass die Qualität unabhängig vom Herstellungsland erhalten bleibt, gehört zu den höchsten Grundsätzen des jung gebliebenen Firmenpatriarchen. Zumal Name und Anspruch verpflichten: Seit dem Jahr 2000 gehört Randers Handsker – deren Schönheit schon so unterschiedliche Größen wie die französische Königin Marie-Antoinette oder US-Musiker Miles Davis zu schätzen wussten – offiziell zu den ausgewählten „Königlichen Hoflieferanten“ des däni- Handwerk mit langer Tradition I m dänischen Randers werden schon seit dem 13. Jahrhundert Handschuhe genäht. Das 1811 von einem lokalen Kaufmann gegründete Randers Handsker gehörte im 19. Jahrhundert zu den großen Marken in ganz Europa. Bekannt waren Handschuhe aus Randers besonders für ihren charakteristischen Duft und ihre Weichheit. In mehr als 200 Firmenjahren haben sechs Generationen Randers Handsker geführt. schen Königshauses. Handschuhe für Kronprinz Frederik, Kronprinzessin Mary und Königin Margrethe II. werden ausschließlich auf der besten Nähmaschine des Hauses gefertigt, einer alten Singer mit mechanischem Antrieb: „Deren feinen Stich setzt immer unsere erfahrenste Kollegin, die mit 59 Jahren über das nötige Gefühl und viel Liebe zum Detail verfügt“, sagt Vejrum, zu dessen Kunden auch die Offiziere der königlichen Leibgarde und andere dänische Militärs zählen. Während diese ihre WunschHandschuhe persönlich erhalten, findet das dänische Volk die originalen Randers Handsker in Modeboutiquen und Kaufhäusern, vor allem aber in den beiden Stammgeschäften an der Brødregade in Randers sowie an Kopenhagens weltberühmter Einkaufsmeile Strøget. Geht es nach Arne Vejrum, soll dies noch lange so bleiben. „Ich bin heute optimistischer als noch vor fünf Jahren, dass wir als Spezialist überleben können“, sagt Vejrum. „Wir müssen nur weiterhin Tradition, Perfektion und Trends wirkungsvoll verknüpfen – dann kann unser aussterbendes Gewerbe auch in den nächsten Jahrzehnten überleben.“ Irgendwann möchte Vejrum sein „Kind“ Randers Handsker darum gern in jüngere Hände geben. Die Suche nach einem Nachfolger hat schon begonnen.
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