Mittwoch,1. Juli 2015 | Fr. 3.– (inkl. MWSt) Nummer 150 | 173. Jahrgang Basler Zeitung | Aeschenplatz 7 | Postfach 2250 | 4002 Basel Tel. 061 639 11 11 | Fax 061 631 15 82 | E-Mail [email protected] Abonnements- und Zustelldienst: Postfach, 4002 Basel, Tel. 061 639 13 13 | E-Mail [email protected] Elsass/Deutschland € 2.80 Meinungen/Profile/Impressum 6–7 Region 9–15 Wetter 16 Kultur 17–24 Notfälle 20 Bestattungen 20 Fernsehen/Radio 22–23 Wirtschaft 25–29 Kino 26 Börse 28–29 Sport 30–32 Schweiz Zu teuer. Die Haltung zum Gesundheitswesen bleibt ungebrochen positiv. Dennoch werden günstigere Medikamente und ein Umdenken in der Prävention gefordert. Seite 4 Letzte Es wird heiss. Der Schweiz steht eine Hitzewelle bevor, teilweise dauert sie mehr als fünf Tage. Das heisst: Gefahrenstufe hoch, die Hitze kann die Gesundheit gefährden. Seite 8 Basel Einsprache. Der Natur zuliebe muss das Beyeler-Museum den Skulpturenweg anpassen. Seite 11 Zuckersüss. Die Kirschen sind reif. Es wird wie schon 2014 mit einem stattlichen Ertrag gerechnet. Seite 14 Simulant. 408 000 Franken Rentengelder hat ein Mann mit erfundenen Beschwerden ergaunert. Seite 15 Kultur Taktstockübergabe. Ivor Bolton wird im September 2016 neuer Chefdirigent des Sinfonieorchesters Basel. Als Erster Gastdirigent steht ihm Michal Nesterowicz zur Seite. Seite 18 Tsipras steht das Wasser bis zum Hals Griechenland will neue Rettungsmilliarden – doch die Euro-Finanzminister sagen Nein Athen/Brüssel. Dramatischer Poker im griechischen Schuldenstreit: Athen und Brüssel haben gestern Lastminute Vorschläge auf den Tisch gelegt, um die gescheiterten Verhandlungen wieder zubeleben. Griechenland brachte kurz vor Torschluss ein neues drittes Hilfs programm ins Spiel. Brüssel hatte Athen zuvor gedrängt, die Bedingungen der Geldgeber für das auslaufende zweite Hilfsprogramm doch noch in letzter Minute anzunehmen. Die EuroFinanzminister haben die Bitte Griechenlands um Verlängerung des um Mitternacht auslaufenden Hilfs programms am Abend aber abgelehnt. Dies teilte EurogruppenChef Jeroen Dijsselbloem nach einer Telefonkonfe renz mit. Damit verliert das pleite bedrohte Land endgültig den Zugriff auf Hilfsmittel von insgesamt rund 18 Milliarden Euro. Für eine erneute Verlängerung des Programms sei es zu spät, sagte Dijsselbloem. Die Eurogruppe hatte nur rund eine Stunde zu dem Thema beraten. Der fin nische Finanzminister Alexander Stubb erklärte über den Kurznachrichten dienst Twitter, dass die Bitte des grie chischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras für neue Kredite des EuroRet tungsfonds ESM dem normalen Verfah ren folgen müsse. Der ESM vergibt Dar lehen stets nur unter Auflagen. Eurogruppe wartet Referendum ab Nach Angaben Dijsselbloems wird die griechische Regierung heute einen neuen Vorschlag übermitteln. Gestern Nachmittag signalisierte Tsipras in einem Schreiben an den Eurogruppen Chef, dass er gerne ein zwei Jahre lau fendes Hilfsprogramm anfragen würde. Der Finanzbedarf Griechenlands bis 2017 bezifferte Tsipras in dem Schrei ben auf 29 Milliarden Euro. Zudem beantragte die Regierung in Athen eine Restrukturierung der Schulden. Die Eurogruppe werde noch am sel ben Tag darüber beraten. Die Bitte um ein neues Programm werde aber erst nach dem griechischen Referendum am 5. Juli geprüft. Ein neues, drittes Hilfs programm könnte schärfere Bedingun gen haben als das bisherige, fügte Dijs selbloem hinzu. EUVertretern zufolge hat Griechenland bei der Telefonkonfe renz der Eurogruppe Vorschläge gemacht, die näher an den Forderun gen der Institutionen von EUKommis sion, EZB und IWF gelegen haben. Das bisherige Rettungsprogramm für Griechenland ist in der Nacht auf heute ausgelaufen. Laut den neuesten Angaben von Diplomaten verfallen laut Spiegel.de europäische Hilfen in der Höhe von rund 16,3 Milliarden Euro. Bisher hat Griechenland Hilfe in der Höhe von einer Billion Euro erhalten – das Land wurde zu Tode gerettet. Kein privater Kapitalgeber wird in eine Wert schöpfung in dieser Nation investieren. Neuer Direktor für das Kunstmuseum Nanomedizin. Am Basler ClinamKongress für Nanomedizin zeigte der Basler Nobelpreisträger von 1987, Susumu Tonegawa, wie man Mäuse glücklich macht. Seite 27 Nachgefragt. Novak Djokovic musste nach seinem Erstrundensieg Fragen zu Boris Becker beantworten. Seite 30 Angekommen. Der österreichische Nationalspieler Marc Janko wurde offiziell beim FCB vorgestellt. Seite 31 Wetter Region. Das Quecksilber schnellt in die Höhe, nähert sich der 40-GradMarke. Kaum irgendwo in Europa ist es so heiss. Seite 16 www.baz.ch Online. In Lyon treffen sich heute nicht staatliche Vertreter zum Weltgipfel über Klima und Territorium zur Vorbereitung des UNO-Klimagipfels vom kommenden Dezember. Wir berichten. Die Schranke, die tut, was sie will Zwei Verletzte nach einem Zusammenstoss mit dem Tram An einer offenen Bahn schranke kam es am Sonntag zu einem Zusammenstoss zwischen einem Tram und einem Auto. Die Tramführerin und die Automobilistin wurden leicht ver letzt. Der Unfall hätte nicht passieren müssen: Die Schranke, das ist im Dorf bestens bekannt, bleibt immer mal wie der oben. Man ist erstaunt, dass es an diesem Übergang nicht häufiger kracht. Der Baselland Transporte AG, wel che die Tramlinie 10 betreibt, ist die Störung der Schranke bekannt. Es gibt auch ein strenges Protokoll, wie sich der Tramführer zu verhalten hat, wenn die Schranke oben bleibt. Die Führerin, die Dienst hatte, hielt sich denn auch an die Vorgaben – bis auf den letzten Punkt: Statt im Schritttempo den Übergang zu passieren, hat sie aus unerfindlichen Gründen beschleunigt. tim Seite 14 FCB verpflichtet Kuzmanovic Basel. Der FC Basel hat in beeindru Sport 9 771420 300001 Stimmung hat gedreht Gestern Abend versammelten sich auf dem SyntagmaPlatz in Athen bis zu 12 000 Menschen, die unter dem Motto «Wir wollen in Europa bleiben» für ein Ja demonstrierten. Die Demonstranten forderten auch den Rücktritt von Minis terpräsident Tsipras und seiner Regie rung. Die Oppositionspartei Nea Dimo kratia sagt, dass es in beiden Fällen hässlich für Tsipras aussehe. Verliert er, kann er sich dem Druck zum Rücktritt kaum erwehren, gewinnt er, kann die Regierung trotzdem keine Gehälter und Pensionen mehr auszahlen und wird stürzen. SDA/M.B./fed Seite 5 Der Rückkehrer unterschreibt in Basel für fünf Jahre Wirtschaft 00150 Der Ausgang des Referendums ist derweil unsicherer denn je – wenn es überhaupt stattfindet. Gestern Abend gab es Spekulationen, Tsipras sei bereit, darauf zu verzichten. Laut Umfragen sind 50 Prozent gegen das Kreditab kommen und 41 Prozent dafür. Ein Schweizer aus den Südstaaten. Mit Josef Helfenstein hat Regierungspräsident Guy Morin gestern den künftigen Direktor des Kunstmuseums vorgestellt. Die Wahl des erfahrenen Museumsmanns wird allseits gelobt. Helfenstein leitet die Menil Collection in Houston seit zehn Jahren und hat sich in der Museumswelt und beim Publikum höchsten Respekt verschafft. In seiner Direktionszeit konnte er die Publikumszahlen verdoppeln. hm Foto Nicole Pont Seiten 3, 17 Basel-Stadt und Baselland stehen vor einer neuen Beziehungskrise Basels Politiker sind fast geschlossen für ein Ultimatum an Baselland Bättwil. Von Joël Hoffmann, Franziska Laur und Alessandra Paone Basel/Liestal. Die neue Spitalstrategie sollte die beiden Basel näher zusam menbringen. Doch nun könnte sie das Gegenteil bewirken: Offenbar wusste der Baselbieter Gesundheitsdirektor Thomas Weber (SVP) nicht, dass die Basler Regierung die Spitalfusion an den im Baselbiet umstrittenen Uni vertrag koppelt. Zwar kannte Weber die Befindlichkeiten der Basler, doch eine schriftliche Vereinbarung gibt es nicht. Mitglieder der grossrätlichen Ge sundheitsdirektion von links bis rechts stellen sich derweil hinter ihren Regie rungsrat. Es sei kaum möglich, eine gemeinsame Spitalholding zu führen, wenn Baselland aus dem Univertrag aussteigen würde. Sie erstaunt die Aus sage von Gesundheitsdirektor Lukas Engelberger nicht, dass es mit einer Spi talkooperation schwierig werden wür de, falls das Baselbiet in diesem Jahr tatsächlich den Univertrag kündigte. Das verlangen einzelne Politiker. Die Baselbieter Regierung müsste den Ver trag in diesem Jahr kündigen, damit der Austritt auf Ende 2017 vollzogen wer den könnte. Andernfalls könnte sie erst in vier Jahren aussteigen. Ohne die Uni Trägerschaft müsste Baselland für seine Studierenden nur 40 statt der heutigen 160 Millionen aufwenden. Fusionsskeptische Basler Basler Politiker hoffen jedoch auf ein Zustandekommen der SpitalKoope ration. Wie diese aussehen könnte, darüber haben einzelne Politiker schon klare Vorstellungen: «Einen einzigen Verwaltungsrat, eine gemeinsame Spi talleitung mit einem gemeinsamen Budget. Ansonsten geht das Kräftemes sen und die Aufteilung der Disziplinen weiter», sagte Lorenz Nägelin (SVP). Er wie auch Urs Müller (Grünes Bündnis) stellen jedoch die Tagesklinik auf dem Bruderholz infrage. «Das Ambulato rium ist eine reine Gesundstossung der Finanzen auf Kosten der Prämienzah ler», sagt Müller. Bei ambulanten Ein griffen müsse die Krankenversicherung den ganzen Betrag allein übernehmen, bei einem stationären Aufenthalt ist der Kanton verpflichtet, 55 Prozent an den Kosten zu übernehmen. So sei zu befürchten, dass die Krankenkassenprä mien höher werden. Seite 9 ckender Manier auf den Abgang von MittelfeldTaktgeber Fabian Frei rea giert und von Inter Mailand Zdravko Kuzmanovic verpflichtet. Der serbische Internationale spielte bereits bis 2007 für Rotblau, bevor er auszog, um sich in den grossen Ligen zu behaupten. Dabei bestritt er in acht Jahren für die AC Fio rentina, den VfB Stuttgart und zuletzt für Inter annähernd 300 Wettbewerbs spiele. Nun ist er 27 – und kehrt damit im besten FussballerAlter ans Rhein knie zurück, wo er beim FCB gleich einen FünfJahresVertrag unterschrieb. Da Kuzmanovic noch bis 2017 an die Italiener gebunden war, müssen die Basler eine Ablösesumme bezahlen, die nicht mehr als zwei Millionen Euro betragen soll, ergänzt durch allfällige, leistungsabhängige Bonuszahlungen. Klar ist: Der in Thun geborene Kuzma novic kommt auch nach Basel, um seine Karriere neu zu lancieren. Zuletzt lief es ihm nicht mehr nach Wunsch. Geht es ums Sportliche, dann hat der FCB damit die Lücken adäquat gefüllt, die durch die Abgänge von Frei und Fabian Schär sowie durch den Rücktritt von Marco Streller entstanden sind. Und menschlich? Zumindest der neue Angreifer Marc Janko wirkt bei seinem ersten Auftritt diesbezüglich als Gewinn. olg Seiten 31, 32 Imhof-Haus wird endlich saniert Streitfall über mangelhafte Sanierung endet mit Vergleich Binningen. Jahrelang haben sich die Gemeinde Binningen und die ausfüh renden Unternehmen um die Sanierung des ImhofHauses gezankt. Nun scheint endlich das letzte Kapitel dieses Bau debakels geschrieben zu sein: In einem Vergleich einigen sich die Parteien über die fälligen Sanierungskosten von 108 000 Franken. Erst 2008 wurde die letzte Sanierung durchgeführt. Damit kamen die Unternehmen dem Willen der Gemeinde nach, die eine Entschädi gung forderte. Als die Einigung im Einwohnerrat publik wurde, zeichnete Gemeindeprä sident Mike Keller das Bild einer unschuldigen Gemeinde. Recherchen der BaZ zeigen jedoch, dass diese in den Verhandlungen eine merkwürdige Rolle spielte. Projektbeteiligte sehen sich nicht als Schuldige. bgy Seiten 13, 15 Thema. | Mittwoch,1. Juli 2015 | Seite 3 «Es gibt nichts Permanentes mehr» Der designierte Direktor des Kunstmuseums Basel will die Dauerausstellung aktualisieren Von Raphael Suter und Christoph Heim von einem Traumjob reden, aber ich habe an einer Trauminstitution gearbeitet. Für mich ist aber das Kunstmuseum Basel genau so eine Trauminstitution. Weshalb? Was mich in Basel besonders beeindruckt, ist das Zusammenspiel von öffentlicher und privater Unterstützung. Am Kunstmuseum ist über Jahrhunderte hinweg eine Sammlung gewachsen und gepflegt worden und gleichzeitig gibt es hier immer auch wieder visionäre Projekte wie ein Schaulager. Eine Institution, die auf der ganzen Welt einmalig ist, aber durch das Treasure-House-Prinzip der Menil Collection beeinflusst worden ist. Und Basel hatte das erste Museum für Gegenwartskunst in der Schweiz. Auch die Fondation Beyeler ist einzigartig. Ernst Beyeler wollte damals mit Renzo Piano den gleichen Architekten, der auch das Gebäude für die Menil Collection gebaut hat. Sie haben an der Medienkonferenz gesagt, dass Sie sich immer nur vorstel len konnten, im Kunstmuseum Basel zu arbeiten und nirgendwo anders. Meinen Sie das wirklich? Mit anderen Worten: Sie hat die Heraus forderung einer Neubespielung des Kunstmuseums gereizt? Ja genau. Ich gab in Texas ein Projekt auf, das wirklich mein Baby ist. Es entsteht dort ein einzigartiges Zeichnungsmuseum, das erst eröffnet wird, wenn ich schon meine Stelle in Basel angetreten habe. Auch hier in Basel reizt mich die zusätzliche Dimension des Erweiterungsbaus. Ich suche die Challenge – ganz ehrlich. Man muss aber auch festhalten, dass heute jedes Museum einem dauernden Druck und ständig neuen Herausforderungen ausgesetzt ist. Jedes Museum – nicht nur in Basel – muss sich immer wieder legitimieren. Das ist normal und richtig. Ich will kein perfektes Haus übernehmen. Ein solches gibt es auch gar nicht. Wie stellen Sie sich das Bespielen der drei Häuser denn vor? Ich kann und will dazu noch nicht allzu viel sagen. Am Anfang steht sicherlich der Dialog mit denjenigen, die das Haus gut kennen, das heisst mit den Kuratoren. Ich glaube aber nicht an eine permanente Schausammlung. Es gibt nichts Permanentes mehr, heute muss man ständig aktualisieren. Sie wollen also nicht mehr zwischen Dauerausstellung und Wechselausstel lung unterscheiden. Ähnlich wie in der Fondation Beyeler, wo die Werke der Sammlung in die Sonderausstellungen integriert werden? Ja, aber dort sieht man die Sammlung gar nicht mehr oder höchstens fünf Prozent. In Houston haben wir pro Jahr acht Wechselausstellungen gemacht und jede stand in einem Zusammenhang zur Sammlung. Die Rekontextualisierung und die Konfrontation zwischen alten und zeitgenössischen Werken ist sehr wichtig. Man kann einen Holbein neu entdecken, wenn man ihm ein Werk gegenüberstellt, das 500 Jahre jünger ist. Überzeugende Direktorenwahl Von Christoph Heim BaZ: Herr Helfenstein, Sie scheinen in Houston sehr glücklich zu sein. Was hat Sie veranlasst, Ihren Traum jetzt aufzu geben und nach Basel zu kommen? Josef Helfenstein: Ich möchte nicht Das tönt vielleicht etwas arrogant und ist sicherlich nicht so gemeint. Aber es ist einfach so, dass sich hier ein Wunsch erfüllt hat, von dem ich gar nicht richtig zu träumen wagte. Ich hätte auch nie gedacht, dass ich einmal in Texas leben würde. Dort habe ich damals keinen Menschen gekannt, aber gespürt, dass die Aufgabe dort für mich stimmt. So ist es auch in Basel. Ich weiss, dass mich hier eine komplexe Aufgabe erwartet. Das Museum bekommt mit dem dritten Haus ein neues Profil und muss sich in einem extrem dichten Umfeld mit grosser Konkurrenz bestätigen. Ich sehe diese Konkurrenz aber nur positiv, denn die vielen Institutionen tragen zum Image Basels als Kunststadt bei. Kommentar Kompetent und engagiert. Der 58-jährige Josef Helfenstein ist ein leidenschaftlicher Museumsmann. Diese Art von inszeniertem Dialog stelle ich mir vor. Erst wenn die Bilder aus der Sammlung in einen neuen Kontext gestellt werden, sehen sie die Museumsbesucher wieder. Das ist total faszinierend. In Houston waren Sie auch für das Fund raising zuständig. Haben Sie nicht Angst, dass Sie in Basel vor allem Geld für den erweiterten Museumsbetrieb sammeln müssen? Ich glaube nicht, dass ich als Fundraiser nach Basel geholt worden bin. Ich meine, man hat mich wegen meiner Vision gewählt. Aber ich habe auch keine Angst vor dem Fundraising. In Texas konnte ich mir anfänglich überhaupt nicht vorstellen, dass ich das machen soll und kann. Als ich nach Houston kam, beruhigte man mich, ich müsse mich nicht um die Geldbeschaffung kümmern. Das war dann natürlich nicht so. Ich habe das Fundraising gezwungenermassen gelernt und der Ertrag hat sich verdreifacht – auch weil ich das Stiftungsvermögen nicht antasten wollte. Wenn man mit Leidenschaft für ein Projekt eintreten kann, ist Fundraising fast normal. Man hat es dabei mit intelligenten und engagierten Leuten zu tun, die eine Institution aus ideellen Gründen unterstützen wollen. Deshalb habe ich in diese Richtung auch keine Berührungsängste. Die Betriebskosten steigen durch den Erweiterungsbau. Brauchen Sie auch mehr Personal für die Umsetzung Ihrer Vision? Das ist eine gute Frage. Ich weiss es noch nicht. Die Findungskommission hat mir aber sehr professionell die wichtigsten Eckwerte vermittelt. Verglichen mit amerikanischen Verhältnissen ist der Personalbestand im Kunstmuseum eher bescheiden. Doch weil das Haus wirklich Topleute hat, funktioniert es trotzdem bestens. Aber Sie haben mehr Ausstellungsflä che, da werden auch mehr Sonder schauen erwartet als bisher. Dazu kann ich noch nichts sagen, auch wenn ich schon einige Ideen habe. Es braucht sicherlich einige neue Stellen. Aber ich will zuerst mit Bernhard Mendes Bürgi und dem Personal reden. Wie wichtig war der Findungskommis sion die Tatsache, dass Sie von einem privaten Museum kommen? Es ist vielleicht ein Missverständnis. In den USA wird die Menil Collection nicht als Privatmuseum wahrgenommen. Das war so, bevor ich gekommen bin. Heute ist das völlig anders. Wir sind ein öffentliches Museum, das nicht einmal Eintritt verlangt. Ich wollte das aus ideellen Gründen und konnte meine Stiftung auch davon überzeugen. Ein Eintritt würde von der Substanz dieses Museums ablenken. Man erlebt hier sofort die Kunst. Da würde eine Kasse oder ein Gift Shop nur stören. Das ärgert mich an anderen Museum, wo der Souvenirladen das Erste ist, was man sieht. In Houston ist Ihnen eine deutliche Stei gerung der Besucherzahlen gelungen. Was ist Ihr Erfolgsrezept, und lässt sich das auch auf Basel anwenden? Es gibt kein bestimmtes Rezept. Der Publikumserfolg in manchen Museen hat ja auch seinen Preis, denn er bedingt ein enormes Marketingbudget. Wer mit öffentlichen Geldern arbeitet, muss mit den Mitteln sparsamer umgehen. In Houston machen wir mit der Menil Collection eines der unpopulistischsten Programme von ganz Amerika. Trotzdem ist es uns gelungen, jedes Jahr zehn Prozent mehr Besucher anzuziehen. Aber mir geht es gar nicht so sehr um die Besucherzahlen. Heute dreht sich alles nur noch um Quantitäten. Man darf sich allerdings nicht allzu sehr in die Vergleiche zwischen den Institutionen verbeissen. Wie sehen Sie denn die Zusammen arbeit mit anderen Institutionen in Basel, beispielsweise mit der Fondation Beyeler? Fotos Nicole Pont Ich kenne Sam Keller. Wir haben uns in den USA kennengelernt. Er ist ein toller, unkomplizierter Typ. Aber ich freue mich auf alle Kollegen in Basel. Wir haben alle ähnliche Probleme, und deshalb sind der Austausch und die Zusammenarbeit für mich sehr wichtig. Das Kunstmuseum ist jüngst durch den Abgang der Sammlung Staechelin in die internationalen Schlagzeilen geraten. Wie haben Sie diese Entwicklung ver folgt und haben Sie Ruedi Staechelin schon einmal getroffen? Nein, Herrn Staechelin kenne ich persönlich nicht. Ich finde es natürlich enorm schade, dass diese Sammlung für das Museum verloren geht. Das ist aber heute leider überhaupt kein Einzelfall. Kunst ist leider ein Fetisch des Kunstmarktes geworden und es wird mehr über den materiellen Wert eines Kunstwerkes gesprochen als über den ideellen. Das ist eine Tendenz, die nicht gut ist, die man aber nicht verhindern kann. Das Kunstmuseum Basel hat jedoch immer noch eine enorme Tiefe und Substanz. Und es wird sicherlich auch neue Schenkungen geben. Ich persönlich bin sehr glücklich über die Fotosammlung Herzog mit ihren grossartigen Beständen, auf die wir künftig Zugriff haben. Ich habe es im Gespräch mit der Findungskommission bedauert, dass das Kunstmuseum keine seriöse Abteilung für Fotografie hat, was ich für wichtig erachte. Diese Lücke wird jetzt glücklicherweise geschlossen. Werden Sie den Kontakt zu Ruedi Staechelin suchen? Selbstverständlich. Aber nicht nur zu ihm, sondern zu allen Leihgebern. Das ist auch meine Rolle als Museumsdirektor. Die Mäzene und Leihgeber haben massgeblich zur Substanz dieser Kulturstadt beigetragen, und deshalb möchte ich sie auf jeden Fall bald kennenlernen. Darauf freue ich mich sehr. Mit der Wahl von Josef Helfenstein ist Basel ein Coup gelungen. Der neue Direktor ist renommierter Kunsthistoriker und erfolgreicher Museumsmann zugleich. Er bringt als Direktor der Menil Collection in Houston das Wissen und die Erfahrung mit, um das grösste und bestausgestattete Kunstmuseum der Schweiz, das ab nächstem Jahr über drei Häuser verfügt (den Altbau, den Erweiterungsbau und das Museum für Gegenwartskunst), in die Zukunft zu führen. Die Findungskommission des Kunstmuseums hat hervorragende Arbeit geleistet. Mit der Präsentation des neuen Direktors durch Regierungspräsident Guy Morin machte die Regierung gestern zudem klar, dass die Querelen bei der Wahl von Bernhard Mendes Bürgi Vergangenheit sind. Der Kampf um Bürgi war ein Kampf zwischen dem Museum und Maja Oeri als der grössten Leihgeberin und Geldgeberin des Museums sowie der SP- Regierungsrätin Veronika Schaller, die sich die Direktorin nicht von der Berufungskommission vorschreiben lassen wollte und Bürgi, damals Leiter der Kunsthalle Zürich, installierte. Inzwischen hat Maja Oeri dem Kunstmuseum den Bau des Erweiterungsbaus zur Hälfte finanziert, wobei gerne vergessen geht, dass sie nicht nur die 50 Millionen für den Neubau, sondern auch 20 Millionen für den Kauf des alten, inzwischen Ein Direktor, der das grösser werdende Haus in eine produktive Zukunft führt. abgerissenen Burghofs bezahlte. Maja Oeri ist mit ihren Stiftungen die unbestreitbar dominierende Figur am Kunstmuseum, die jeden Ausbauschritt des Museums mit hohen Geldbeträgen unterstützt und mit ihrer Finanzkraft und ihrer Kunstsammlung die Ausstellungstätigkeit des Kunstmuseums wesentlich fördert. Ohne sie würde das Museum nie dort stehen, wo es heute steht. Josef Helfenstein wird den Basler Kunstmuseums-Dampfer zwischen den Interessen von Staat und Privaten mit strategischem Geschick hindurchsteuern müssen, wobei eine seiner Hauptaufgaben darin besteht, die so unterschiedlichen privaten Leihgeber, seien das nun grössere oder kleinere Sammler, bei Laune zu halten. Schön wäre, wenn die Anzahl an Sammlern, die dem Museum ihre Unterstützung zusichern, nicht ab-, sondern zunähme. Vielleicht gelingt es ihm gar, das Museum so aufzustellen und zu bespielen, dass der durch den Verlust der Staechelin-Leihgaben so eklatant gewordene Mangel an Impressionisten und Nachimpressionisten gar nicht mehr spürbar ist. Denn es geht um nichts Geringeres, als ein Museum, das um 30 Prozent Ausstellungsfläche gewachsen ist, mit anregenden und tiefsinnigen Ausstellungen zu bespielen. Wir sind gespannt. [email protected] Seite 17
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