Betriebsleitung Stoppt endlich den Flächenfraß! Täglich verbaut Österreich 22,4 ha wertvolle Acker- und Grünlandflächen. In 200 Jahren wären die Bauern „bodenlos“. Österreich verbaut mehr Boden als die meisten Länder in der EU. Die begehrtesten Flächen für Siedlungs- und Straßenbau sind zugleich beste Ackerböden. Was sind die Ursachen und Lösungen für dieses Problem? L etztes Jahr hatte ich hier noch den besten Rübenertrag in meiner bisherigen Zeit als Betriebsführer. Heute wächst da nichts mehr“, deutet Landwirt Huber (Name geändert) auf seinen Acker. Wir sind „Europameister“: Darauf wird aktuell ein Einkaufszentrum samt ausgedehntem Parkplatz gebaut. Unser Landwirt will anonym bleiben. Insgeheim zerdrückt er eine Träne, weil sein bester Ackerboden nun versiegelt ist – vermut8 top agrar Österreich 7/2015 lich weit über Hubers Wirtschaftsleben hinaus. Andererseits hat der Bauer zu einem äußerst lukrativen Preis verkauft. „Wenn ich es nicht getan hätte, hätten die Betreiber eben einen anderen gefunden. Klar ist mir da das Hemd näher als der Rock, überhaupt wenn der Gürtel eng sitzt“, verdeutlicht der Landwirt das zweischneidige Schwert. „Wenn öffentliches Interesse dahinter steht, ist das noch schlimmer: Weigerst du dich zum Beispiel, beim Straßenbau als einer der wenigen zu verkaufen, wirst du enteignet. Du bist die Fläche dann also ebenfalls los, bekommst aber weit weniger Geld dafür“, verdeutlicht Huber die Problematik rund um den grassierenden Flächenfraß. Nicht nur die Bauern selbst haben das Problem längst erkannt. So hat die UN-Generalversammlung zum Internationalen Jahr des Bodens erklärt. Hierzulande wird Kurt Weinberger, Generaldirektor der Österreichischen Hagelversicherung, nicht müde, mit erschreckenden Zahlen aufhorchen zu lassen. In 200 Jahren bodenlos: So hält Ös- terreich europaweit das negative Rekordniveau bei der Verbauung seiner fruchtbaren Böden. „Täglich werden in Österreich , ha Äcker und Wiesen verbaut, pro Jahr knapp ha. Das entspricht ca. , % des Ackerlandes. In Deutschland sind es im Vergleich nur , %“, verdeutlicht Weinberger. So fielen pro Jahr rund Bauernhöfe dem Bau von Straßen, Siedlungen, Einkaufszentren und Industriehallen zum Opfer. Ein weiteres Beispiel für den Bodenverbrauch ist die Supermarktfläche pro Kopf: Diese liege laut Weinberger in Österreich bei , m , in Italien oder Deutschland dagegen nur bei m . Noch erschreckender: Dem stünden laut Umweltbundesamt ha an leer stehenden Industriehallen gegenüber – „das entspricht der Fläche der Stadt Graz“, so Weinberger. Wenn dieser Trend so anhalte, werde es in Jahren keine Agrarflächen mehr in Österreich geben, warnt Weinberger regelmäßig. Der oberste Hagelversicherer weiß auch die direkten Folgen: Verbauter Boden speichert kaum Niederschlag und CO – Überschwemmungen würden häufiger und stärker, der Klimawandel würde weiter angeheizt. Daneben wären die regionale Landwirtschaft und damit der Tourismus sowie Arbeitsplätze entlang der agrarischen Wertschöpfungskette in Gefahr. landwirt Johannes Huemer. Plötzlich werde den Leuten der Verkehr zuviel und eine Umfahrung müsse her. Von den folgenden Anrainerbeschwerden in Richtung Landwirtschaft, weil es stinkt, lärmt und staubt, gar nicht zu reden. Der Landwirt gibt zu bedenken: „Natürlich brauchen wir gerade im ländlichen Raum Arbeitsplätze für die nichtlandwirtschaftliche Bevölkerung. Es kann aber nicht jeder Bürgermeister eine Autobahnabfahrt in seiner Gemeinde haben, damit sich dort Familien und Betriebe ansiedeln.“ Und Huemer ergänzt: „Auf der einen Seite würden die Orte rundherum mit Industrie- und Einkaufshallen verstellt, andererseits sterben die Ortskerne wegen der Umfahrungen aus.“ „In Oberösterreich fand die Wertschöpfung schon immer im Stall statt. Die traditionell eher flächenarmen Be- Fotos: Weninger Eiweißimport hausgemacht: „Boden ist unsere Wirtschaftsgrundlage. Verbaut man ihn, entzieht man uns unsere Grundlage“, bringen Markus Brandmayr und Johannes Huemer ihre Sorgen um den grassierenden Flächenfraß auf den Punkt. Und damit sind die Jungbauern aus Eberstalzell und Vorchdorf (OÖ) nicht allein. Die aktuelle Raumordnung scheint das größte Problem beim Thema Flächenverbrauch zu sein: „Zuerst entsteht eine Siedlung, weil viele aufs Land ziehen, um ihre Ruhe zu haben. Die Siedlung wächst und wächst“, erklärt Jung- Hannes Leblhuber, Johannes Huemer, Markus Brandmayr und Thomas Weingartner (v.l.n.r.): „Wollen den Bodenverbrauch eindämmen.“ Bauer oder Bagger: Wer gewinnt das Rennen um den Boden? triebe hier sind von der Flächenknappheit also besonders betroffen“, erklärt Thomas Weingartner. Diese würde sowohl die Bodenpreise als auch die Abhängigkeit von Eiweißimporten treiben, denn: „Was bei uns zubetoniert wird, wird woanders abgeholzt. Der indirekte Flächenimport ist also auch hausgemacht“, betont Brandmayr. Johannes Huemer ergänzt: „Wenn nicht bald etwas gegen den Bodenverbrauch passiert, ist die vielfach geforderte regionale Lebensmittelproduktion nicht mehr möglich.“ Die explodierenden Kauf- und Pachtpreise machten ein wirtschaftlich vertretbares Wachstum bald unmöglich. Dabei müsse nicht gleich ein Siedlungsgebiet entstehen, vielmehr reiche bereits dessen Planung, um das Gefüge von Bodenmarkt und örtlicher Gesellschaft zu (zer)stören. Ein weiteres Problem sei, dass die Wirtschaft gerade auf die landwirtschaftlich besten Gründe schiele: Flache Tallagen mit guter Anbindung. Beton und Teer: Markus Brandmayr ist wie sein Kollege Johannes Huemer bei der Jungbauernschaft engagiert. Dort haben die beiden bereits eine Kampagne zum Thema Bodenverbrauch gestartet: „Mit Beton und Teer bleiben unsere Teller leer“ lautet das Motto. „Vielen ist gar nicht bewusst, was durch Verbauung angerichtet wird. Ständig wird über Nachhaltigkeit geredet. Dabei speichert unser Ackerboden CO und nimmt Wasser auf – das beugt dem Klimawandel vor und schützt vor Hochwasser“, erklärt Thomas Weingartner. „Österreich muss sich zu den flächenknappen Ländern zählen. Daher sollte das Problem Bodenverbrauch umso wichtiger sein“, verdeutlicht Johannes Huemer. Auf der nächsten Doppelseite lesen Sie, was gegen den Bodenverbrauch zu tun ist. top agrar Österreich 7/2015 9 Betriebsleitung Wie ist der Flächenfraß zu bremsen? Foto: agrarfoto.at Über die Ursachen des Bodenverbrauches sind sich die Experten einig. Doch welche Taten müssen folgen, damit er endlich eingedämmt wird? W ir müssen mehr Betroffenheit in der nichtlandwirtschaftlichen Bevölkerung schaffen“, antwortet Markus Brandmayr auf die Frage, wie der grassierende Bodenverbrauch zu bremsen sei. Das gelinge durch „reden, reden, reden“. Boden als Emotion: Laut den Jungbauern Fotos: Weninger Brandmayr und Johannes Huemer brauche es für den Bodenschutz vier Partner: • Zuerst müsse das Thema in die Köpfe der Bauern. Sie sind diejenigen, die Boden verkaufen können – oder eben nicht. • Dann müsse Bodenschutz in die Köpfe der Konsumenten. Öffentlicher Druck auf die Politik zwinge diese erfahrungsgemäß schneller zum Handeln. • So komme der Bodenschutz in die Köpfe der Politiker. Sie müssten die Raumordnung optimieren. • Schließlich werde dies dann ein Thema für die Medien, was wiederum den Kreis zur Öffentlichkeit schließe. In die gleiche Kerbe schlägt Hermann Schultes, Präsident der Landwirtschaftskammer Österreich: „Wir wollen mehr Leidenschaft für das lebenswichtige Bodenthema, weil Boden eine unersetzliche Lebensgrundlage ist.“ Zudem müsse der Bodenschutz laut Brandmayr einen höheren Stellenwert haben: „Wenn ein Specht im Baum brütet, darf dieser nicht umgeschnitten werden. Dafür gibt es Fachleute. Diese 10 Siedlungen mit Einfamilienhäusern sind die flächenhungrigste aller Siedlungsformen. fehlen jedoch für den Boden.“ Jungbauer Johannes Huemer fragt sich, ob Boden zu billig ist. Denn in Wien, wo das Gegenteil der Fall sei, werde in die Höhe und in die Tiefe gebaut. „Bei uns am Land baut man in die Fläche. Die Folge sind z. B. überdimensionierte Parkplätze bei Supermärkten, die so gut wie nie voll sind“, kritisiert Huemer. Der Höhepunkt: Während die Wirtschaft immer neue Standorte auf der grünen Wiese erschließe, stünden daneben Industriehallen leer. Laut Huemer sei es daher wichtiger denn je, dass Bauern in der Gemeindepolitik vertreten sind, um mitreden zu können. Dennoch würden die Jungbauern die Raumordnung auf einer höheren Ebene ansiedeln. Denn Bürgermeister würden möglichst viele Betriebs- Kurt Weinberger, Generaldirektor der Österreichischen Hagelversicherung warnt: „Wäre die Welt dieser Apfel, markierte der grüne Punkt unsere Agrarflächen.“ top agrar Österreich 7/2015 und Wohnansiedlungen in ihren Gemeinden forcieren und daher den Bodenverbrauch eher unterstützen. Raumordnung im Bund: „Die Raumordnung muss daher überregional geregelt werden. Damit meinen wir die Bundesstatt der Landesebene“, geben Brandmayr und Huemer mit Verweis auf Bayern bedenken, das so groß ist wie Österreich. Nachsatz: „Die Frage ist, wer sich das politisch anzugreifen traut – und wer die Reaktionen aushält.“ Kurt Weinberger, Generaldirektor der Österreichischen Hagelversicherung, wünscht sich einen Finanzausgleich zwischen den Gemeinden. Das soll den Wettbewerb unter den Bürgermeistern nach neuen Gewerbegebieten – und damit Kommunalsteuern – einbremsen. Diese Forderung teilen auch Brandmayr und Huemer. Bautätigkeiten sollten laut den beiden Junglandwirten – wenn überhaupt – nur nach einem Punktesystem gefördert werden, ähnlich jenem der Investförderung. „Etwa, wenn der Bauträger Maßnahmen zur Sanierung oder Revitalisierung von leerstehenden Hallen oder Flächen trifft“, erklärt Huemer. Zudem müsse vorgeschrieben werden, wieviel Fläche für bestimmte Bauten verbraucht werden darf. „Rund um Einkaufszentren gibt es meist viele unproduktive Flächen. Auch der Straßenbau ist sehr flächenfressend“, erklärt Brandmayr. Dazwischen blieben viele Schnell gelesen • Österreich ist Europameister im Bodenverbrauch. ha Baulandreserve. Diese Flächen sind bereits umgewidmet worden und werden derzeit agrarisch bewirtschaftet, dürfen aber jederzeit verbaut werden.“ • Täglich werden über 20 ha verbaut – etwa ein Bauernhof. Flächen unter „Agrarschutz“: Im Na- • Doch es gibt Lösungen – die Politik muss sie nur aufgreifen. zerschnittene Flächen übrig, die einen steigenden Aufwand für die nächsten Bauerngenerationen bedeuten würden. „Es ist jedenfalls nicht bodenschonend, neben Supermärkten große Parkplätze zu errichten, da Autos auch oberhalb oder unterhalb des Marktes parken könnten“, schlägt Schultes vor. Weinberger erinnert in Ergänzung an eine Wiederbelebung von Ortskernen. Kammerpräsident Schultes fordert wiederholt klare Raumordnungsrichtlinien, was die Widmung von Bauland betrifft: So sollten zuerst unverbaute Baulücken oder Industriebrachen verbaut werden, ehe neues Bauland gewidmet wird: „In Österreich gibt es derzeit bereits turschutz findet Schultes eine weitere Idee zum Bodenschutz: „In Österreich stehen % der Fläche unter Naturschutz. Landwirtschaftliche Flächen unterliegen bisher jedoch keinem besonderen Schutz. Nach naturschutzähnlichem Muster könnten agrarische Vorrangflächen eingerichtet und Böden für die landwirtschaftliche Produktion geschützt werden“, schlägt Schultes vor. Wie gute Raumordnung funktioniert, weiß Friedrich Quirgst, Bürgermeister von Deutsch-Wagram (NÖ). Die Stadtgemeinde im Speckgürtel Wiens ist begehrtes Ziel junger Familien: Nah an der Hauptstadt, dennoch ländlich geprägt. Entsprechend hoch wäre die jährliche Zuwachsrate. Doch Bürgermeister Quirgst bremst diese bewusst ein: „Unsere Maxime ist, die Lebensqualität zu heben“. Das Wachstum basiert auf Verdichtung sowie auf einem örtlichen Entwicklungs- LK-Präsident Hermann Schultes regt an, Flächen unter „Agrarschutz“ zu stellen. konzept, das Baulücken im bestehenden Siedlungsraum schließt. „Wir setzen auf eine geschlossene Bauweise“, so Quirgst, dessen Raumordnung deshalb fast ohne Umwidmungen von Agrarland auskomme. „Das steigert die Lebensqualität und vermindert den Bodenverbrauch Lukas Weninger und damit Kosten.“
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