Das Phantom - Wolschner.de

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MONTAG, 30. NOVEM BER 2015
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Das Phantom
FEINDBILDER Wer als angeblicher Anhänger des Salafismus ins Fadenkreuz der Behörden gerät, der hat es schwer: Für den Staatsschutz
gibt es offenbar weder Unschuldsvermutung noch andere rechtsstaatliche Bedenken. Das zeigt der Fall des Bremers Bilal M.
VON KLAUS WOLSCHNER
Es ist ein trüber Samstagnachmittag, 20 Stunden nach dem
Beginn der Terrornacht in Paris. An der Wohnungstür von
Bilal M. in Bremen-Aumund stehen zwei Polizeibeamte, Staatsschutz. Ist Bilal M. da? Nein.
Seine Frau mit den vier Kindern
ist da, sie telefoniert nach ihrem
Mann, der kommt nur ein paar
Minuten später. Nur zur Kontrolle, sagen die Männer vom
Staatsschutz. Nur zur Sicherheit. Bilal M. ist aufgebracht,
weil die Beamten mit Schuhen
seine Wohnung betreten haben.
Aber eigentlich ist er erregt wegen der monatelangen Schikane: „Mein Name ist gebrandmarkt. Was wirft man mir vor?“,
fragt er. „Gibt es irgendwann
vielleicht eine öffentliche Klarstellung, mit der mein Name
reingewaschen wird?“
Für die Polizei ist Bial M. ein
„registrierter Salafist“. Zum Vorwurf gemacht wird ihm seine
religiöse Überzeugung, sonst
letztlich nichts. Bremens Innensenator Ulrich Mäurer, SPD, erklärte nach den Anschlägen in
Paris, es gebe in Bremen „Hintergrundaktionen“, über die er
sich aber öffentlich nicht äußern werde. Offenbar waren solche Hausbesuche bei Verdächtigen gemeint, Hausbesuche wie
bei Bilal M. Der Sicherheitsapparat ist also beschäftigt, aber
warum ist Bilal M. ein Verdächtiger? Auch acht Monate nach
dem Bremer Terroralarm Ende
Februar (siehe Kasten) gibt es
keinerlei Indiz für irgendetwas.
Der Verfassungsschutz hat ein
Phantombild von Bilal M., aber
keine Vorstellung, hat keine Ahnung, wie Männer wie er ticken.
„Ich liebe den Koran“
Die taz hat Bilal M. besucht,
mehrfach, auf seinem Sofa gesessen, den Tee getrunken, den
seine Frau servierte. Was heißt
Salafist? „Ich liebe den Koran,
ich liebe Mohammed“, sagt
Bilal M. „Salafi“ heiße Vorfahren. Eigentlich seien alle Muslime, die sich an den „Vorfahren“ orientieren, Salafisten.
Gleichzeitig betont der Mann,
der in Neukölln geboren ist
und die libanesische wie die
deutsche Staatsangehörigkeit
besitzt, dass seine Familie „auf
eine moderne Art religiös“ sei
– „alle meine Schwestern haben das Gymnasium besucht“.
Hamsa, der kleine Sohn, springt
vom Sofa: „Ich bin Spider-Man!“,
ruft er. Überall liegen Handys,
das scheint das wichtigste Spielzeug der Kinder zu sein. Die größere Tochter hilft im Haushalt.
An der Wand hängen zwei Tafeln mit arabischen Schriftzeichen. Im Zentrum schmückt
ein moderner großer Flachbildschirm die Wand, auf dem gerade das Video einer traditionell
arabischen Hochzeit läuft.
Der Verfassungsschutz hat
Bilal M. als einen der beiden
„Haupttäter“ des 28. Februar
2015 ausgemacht. Des Tages,
an dem angeblich französische
Terroristen auf dem Weg nach
Bremen waren, um hier die Synagoge, den Dom und anderes in
die Luft zu sprengen. 60 Maschinenpistolen der Marke „Uzi“ sollen in der Gemeinde des „Islamischen Kulturzentrus“ (IKZ)
verteilt worden sein. Der Innensenator ließ Polizeibeamte mit schussbereiten Kriegswaffen auf dem
Marktplatz aufmarschieren und den IKZ-Gebets-
raum stürmen. Kein Franzose
wurde angetroffen, bis heute
keine Uzi in Bremen gefunden.
Die Durchsuchung der Moschee am Breitenweg ist inzwischen von einem Gericht für
rechtswidrig erklärt worden.
In der Ermittlungsakte gegen
Bilal M. stehe nichts drin außer
den Hirngespinsten des Verfassungsschutzes, sagt der Rechtsanwalt Eberhard Schulz. Man
werde die Ermittlungen möglicherweise noch in diesem
Herbst abschließen, das immerhin bestätigt die Staatsanwaltschaft. Also reicht es offenbar nicht einmal zu einer Anklageschrift.
Hausdurchsuchung mit
Playmobil
Bilal M. ist also unschuldig, jedenfalls nach den Grundsätzen
eines Rechtsstaates. Über Monate wurde er dennoch vom
Verfassungsschutz beobachtet,
auch Jasmin, seine selbstbewusste junge Frau. „Das nervt“,
sagt sie, permanent dieses Gefühl der Überwachung. Und sie
ist besorgt wegen der Wirkung
auf die Kinder: „Der Kleine
spielt schon im Kindergarten
mit Playmobil Hausdurchsuchung.“
Bilal M. hat einen Realschulabschluss und zwei handwerkliche Ausbildungen. Seinen Job als Elektroinstallateur
aber hat er verloren: Der Chef
hatte mehrfach Besuch von den
Fahndern bekommen, die erklärten, was für einen gefährlichen Mann man da beschäftige.
Bilal M. wurde arbeitslos, bekam neue Arbeit als Sicherheitsmann und Dolmetscher in einer
Flüchtlingsunterkunft. Da er
fließend Deutsch und Arabisch
spricht, war er bestens qualifiziert für diese gut bezahlte Arbeit. Bis er rausflog – nach einem Anruf des Staatsschutzes.
Dann wollte er in Schwanewede,
Kreis Osterholz, bei der Flüchtlingsbetreuung anheuern – wieder intervenierten die Bremer
Behörden.
Seit einigen Wochen hängen in Bremer Flüchtlingsunterkünften steckbriefartige Fotos von fünf Männern. Einer
davon ist Bilal M. Der Leiter der
Unterbringung in der GerhardRohlfs-Straße zeigt das Foto
den Flüchtlingen und sagt, sie
sollten sich besser von diesem
Mann fernhalten. Ein Hausverbot wurde aber nicht ausgesprochen, dafür gibt es auch gar keinen Grund. Aber das arabische
Wort für „Hausverbot“ steht neben dem Foto, handgeschrieben.
„Das ist das Foto, das die Polizei
von mir während der zweistündigen Verhaftung
im Februar aufgenommen hat“,
sagt Bilal M.
An jenem
Samstag
kam er
wieder
frei,
weil
es
keine konkreten Vorwürfe gab.
Freigelassen wurde er offenbar
aber nur zur weiteren Observation.
Anfrage bei der Polizei: Was
war in dem Flüchtlingswohnheim passiert? Warum hängt da
dieses Steckbrief-Foto? Die Polizei hält sich bedeckt: „Die genannten Hausverbote sind hier
bekannt und werden seitens der
Abteilung für Staatsschutz befürwortet“, so lautet die offiziöse Auskunft. Aber wie kommt
ein Foto aus einer Fahndungsakte in der Gerhard-RohlfsStraße an die Wand? „Wenn wir
ein Foto der Polizei aushängen,
dann steht da Polizei drüber.“
Also kann nicht sein, was nicht
sein darf – und das Foto hängt
doch da. Weitere Auskünfte gibt
es keine, es gehe um ein laufendes Ermittlungsverfahren. Wird
denn wegen irgendeines Vorfalls in dem Flüchtlingsheim ermittelt? Nein. Die Polizei mauert. Das Foto zu überlassen wäre
möglicherweise rechtswidrig.
Im Haus der Bremer Sozialsenatorin, zuständig für Flüchtlingsunterkünfte, ist zu erfahren, dass die Polizei auf solche
Hausverbote „dränge“, weil es
für das Instrument eines „Betretungsverbots“ keine gerichtsfeste Begründung gebe.
Beim Träger, dem Arbeiter-Samariter-Bund, heißt es ganz
schlicht: Die Fotos hängen in
allen Übergangseinrichtungen
– angebracht habe sie „irgendwie die Polizei“. Das deckt sich
mit dem, was die privaten Sicherheitsleute sagen.
Nächstenliebe
unter Verdacht
Vor acht Wochen
war Bilal M. tatsächlich mal in
der Gerhard-Rohlfs-Straße.
Er
hat geholfen, 20
blaue Plastiksäcke mit Kleiderspenden ins Büro
zu bringen. „Das
war meine Idee“,
sagt Lisa D., „ich
habe im Kreis meiner Freundinnen
gesagt, sie sollten
doch mal ihre Kleiderschränke aufräumen. Berge sind
zusammengekommen.“ Die Leute von
der Flüchtlingsunterkunft seien erfreut gewesen. Und Bilal M.
hat übersetzt, als
Lisa D. Frauen
und
Der Terror von Bremen
■■Am Morgen des 28. Februar 2015 patrouillieren in der
Bremer Innenstadt, auf dem
Marktplatz und vor der Synagoge
Polizisten mit Maschinenpistolen
im Anschlag. Es gebe ernst zu
nehmende Hinweise auf geplante Anschläge von islamistischen
Gewalttätern, erklärt Innensenator Ulrich Mäurer (SPD). 60
Uzi-Maschinenpistolen seien in
Kreisen des „Islamischen Kulturzentrums“ (IKZ) verteilt worden,
heißt es unter Berufung auf Quellen des Verfassungsschutzes.
■■Am Abend werden die Wohnungen von zwei in Bremen
lebenden „Haupttätern“ durchsucht, die Betroffenen kommen
nach wenigen Stunden wieder
auf freien Fuß. Die eine Durchsuchung erfolgt aufgrund eines
vier Wochen früher ergangenen
Durchsuchungsbeschlusses,
die andere wegen „Gefahr im
Verzug“.
■■Auch die Gebetsräume des IKZ
werden gestürmt und mit Hunden durchsucht. Am Ende halten
die Ermittler nicht eine einzige
Uzi in Händen, haben keinen
Terroristen vorzuweisen. Nicht
einmal ein belastender Zettel
wird gefunden.
■■Am 1. März gilt die Terrorgefahr als vorbei, FußballBundesligist Werder Bremen
spielt wie geplant gegen den VfL
Wolfsburg (und verliert 3:5). Die
Linken-Bundestagsabgeordnete
Ulla Jelpke erklärt, die Polizei sei
„Opfer ihrer eigenen Paranoia“
geworden.
■■Am 9. Juli befindet das Bremer
Landgericht: Die Durchsuchung
des IKZ war rechtswidrig. Innensenator Mäurer unterstreicht,
dass sich dadurch nichts an der
Bewertung der Bedrohungslage
Ende Februar ändere – und auch
nicht an der Beurteilung des IKZ.
■■Bekräftigen will Mäurer dies
am kommenden Dienstag, 1. Dezember, bei seiner Vernehmung
vor dem Parlamentarischen
Untersuchungsausschuss. Wie es
zur offenbar kolossalen Fehleinschätzung der Sicherheitsbehörden kommen konnte, ist für den
Ausschuss kein Thema.
Kinder fragen wollte, ob sie spezielle Wünsche hätten, Spielzeug vielleicht, Kosmetika. „Wir
haben zusammengelegt, für
mehr als 100 Euro Hula-HoopReifen, Hygieneartikel und anderes gekauft“, erzählt Lisa D. Alles wurde mit ihrem Auto zum
Flüchtlingsheim geschafft. Bilal
M. hat geholfen, auch seine
Frau: Sie erklärte einer schwangeren Syrerin, welche Medikamente ihr der Arzt verschrieben hat, dass das in Deutschland üblich sei und überhaupt
nicht schlimm.
Wurde dabei auch missioniert? „Quatsch“, sagt Lisa D.,
„ich bin deutsch und christlich.
Wir haben überhaupt nicht über
Religion gesprochen.“ Zumal:
„Die meisten Flüchtlinge sind
Kurden.“ Auch für Christen und
Yeziden unter den Flüchtlingen
haben Bilal M. und seine Frau
gedolmetscht, selbstverständlich, „viele meiner Freunde sind
Yeziden“, sagt er.
Auch Lisa D., die Christin,
nennt er seine Freundin. Sie
bekam zwei Wochen nach der
Hilfsaktion einen Anruf vom
Staatsschutz: Sie sei doch in der
Flüchtlingsunterkunft gewesen:
Was sie da gemacht habe, mit
wem, und so weiter. Sie erzählte
der Polizei von der gut gemeinten Aktion. Wenige Tage später
hingen die Steckbriefe im Flur
der Unterkunft.
„Das schadet vor allem den
Muslimen“
Unschuldig, wenn es nach den
Grundsätzen des Rechtsstaats geht:
Bilal M. verlor trotzdem mehrere
Jobs und darf kein Bremer
Flüchtlingsheim betreten Foto: kawe
Was denkt so ein „registrierter
Salafist“, dem die Polizei unterstellt, er habe eine große Terroraktion in Bremen geplant,
über die Terrornacht in Paris?
„Mein erster Gedanke galt den
Opfern und ihren Angehörigen“, sagt Bilal M. „Es gibt in
so einem Krieg keine Sieger.“
Es sei eine „große Katastrophe,
wer kann eine so böse Phantasie haben“? Und dann stellt er
die Frage, wem so was nutzt
und schadet. Klar: „Das schadet
den Muslimen. Wir sind die Geschädigten.“ Die Muslime würden noch weiter in die Ecke gedrängt. Aber warum macht der
„Islamische Staat“ das? „Das waren nicht Muslime, sie werden
nur ausgenutzt“, sagt Bilal M.
„Anders kann ich mir das nicht
erklären.“ Solche Morde seien
mit seinem Verständnis von Islam unvereinbar.
Eigentlich will Bilal M. nur in
Ruhe mit seiner Familie leben.
Dazu gehört, seinen Glauben zu
praktizieren. „Jedem seine Religion“, sagt er. Und fragt wieder:
„Warum muss ich mich immer
rechtfertigen für etwas, womit ich nichts zu tun habe?
Habe ich acht Monate
nach diesem Tag
im Februar nicht
ein Recht auf
eine öffentliche Klarstellung? Auf
eine Entschuldigung?“