Kein Grund zu Optimismus Für riskantes Denken plädiert Hans-Ulrich Gumbrecht. In seinem Vortrag im Rahmen der Humboldt-Professur demonstrierte er das Faszinosum solchen Denkens, das die Zukunft als Gefahrenkorridor sieht. SWP OTFRIED KÄPPELER | 12.12.2015 Humboldt-Professor Hans-Ulrich Gumbrecht im Stadthaus. Fotograf: Matthias Kessler Als Literaturwissenschaftler ist der Deutschamerikaner Hans-Ulrich Gumbrecht eine weltweit anerkannte Größe. Als Publizist verschafft er sich oft auch in deutschen Zeitungen Gehör und gehört dabei zu jenen, die polarisieren. Nicht zuletzt wegen seines riskanten Denkens. Geboren 1948 in Würzburg, promovierte er in Konstanz, wurde bereits mit 26 Jahren als Professor an die Uni Bochum berufen und lehrt heute Komparatistik - vergleichende Literaturwissenschaft - an der privaten Stanford University in Kalifornien. Freies Denken koppelt sich bei Hans Ulrich Gumbrecht in wunderbarer Weise mit freier Rede. Seinen begrifflich nicht einfachen Vortrag im Stadthaus, wo er im Rahmen der Humboldt-Professur "Zur Diagnose der globalen Gegenwart" sprach, hielt er etwa in Rede. Was das Denken der Gegenwart von dem der Vergangenheit unterscheidet, ist, dass seit Ende des 18. Jahrhunderts ein historisches Denken präferiert wurde. Dieses Denken bot, sagt Gumbrecht, grundsätzlich für die Zukunft "einen offenen Horizont an Möglichkeiten". Wenn man so will, konnte man auf die Zukunft bauen. Heute, so diagnostiziert Gumbrecht, haben wir eine "breite Gegenwart", in der das historische Weltbild nicht mehr funktioniere und die Zukunft "nicht mehr als Möglichkeit" gesehen werden könne, "sondern als eine Art Korridor der Gefahren", die auf den Einzelnen zukommen. Das diagnostische Muster erläuterte Gumbrecht am Beispiel von Barak Obamas zwei Regierungsperioden, die sich so ganz unterschiedlich ausnehmen: Die erste Regierungsperiode sei noch ganz vom historischen Weltbild bestimmt, vom "Yes, we can", also von einer zu meisternden Zukunft. In der zweiten Periode sei Obama zum Krisenmanager einer breiten Gegenwart ohne programmatische Zukunft geworden. Die Welt sei ein Feld von Kontingenz, die uns, als Freiheit begriffen, überfordere. Die in sich stringenten Gedankengänge Hans-Ulrich Gumbrechts sind hier sehr verkürzt wiedergegeben. Und wenn seine Zeitdiagnose darauf hinausläuft, dass es keinen nachhaltigen Grund für Optimismus gebe für die Menschheit, so hat der Vortrag doch nachhaltig die Möglichkeit der Geisteswissenschaften mit ihren erklärenden und analysierenden Möglichkeiten wiedergegeben. Riskantes Denken mit solcher Stringenz bietet für jeden Hörer Anknüpfungspunkte zur weiteren Reflexion.
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