3X075-14 - Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung BFU

Bundesstelle für
Flugunfalluntersuchung
Untersuchungsbericht
Identifikation
Art des Ereignisses:
Unfall
Datum:
23. Juli 2014
Ort:
Oppenheim
Luftfahrzeug:
Motorsegler
Hersteller / Muster:
Sportavia-Pützer / SFS 31 Milan
Personenschaden:
eine Person schwer verletzt
Sachschaden:
Motorsegler zerstört
Drittschaden:
geringer Flurschaden
Informationsquelle:
Untersuchung durch Beauftragte der BFU
Aktenzeichen:
BFU 3X075-14
Sachverhalt
Ereignisse und Flugverlauf
Der einsitzige Motorsegler startete um 14:14 Uhr1 auf der Piste 20 des Flugplatzes
Oppenheim zu einem Übungsflug in die nähere Umgebung.
Der Flugleiter gab an, dass bis zum Verschwinden des Motorseglers aus seinem
Blickfeld der Start unauffällig verlaufen sei.
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Alle angegebenen Zeiten, soweit nicht anders bezeichnet,
entsprechen Ortszeit.
Untersuchungsbericht BFU 3X075-14
Nach Angaben von Zeugen, die sich außerhalb des Flugplatzes Oppenheim befanden, kippte der Motorsegler kurz nach dem Start rund 800 m südwestlich des Pistenendes aus einer Linkskurve ab und prallte auf den Boden.
Eine Zeugin gab an, dass der Motorsegler vor dem Abkippen in niedriger Höhe nach
Norden geflogen sein soll.
Der Pilot wurde schwer verletzt und der Motorsegler zerstört.
Blick von Süden auf die Unfallstelle
Foto: Polizei/ BFU
Angaben zu Personen
Der 72-jährige Luftfahrzeugführer war seit dem 05.04.2012 im Besitz eines unbefristet gültigen Luftfahrerscheins für Segelflugzeugführer. In die Lizenz waren die Startarten Windenstart und Schleppstart hinter Luftfahrzeugen sowie eine Berechtigung
für Reisemotorsegler (TMG) eingetragen.
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Ferner verfügte er seit dem 30.03.2012 über eine Lizenz für Luftsportgeräteführer mit
dem Eintrag für aerodynamisch gesteuerte Ultraleichtflugzeuge einschließlich Passagierflugberechtigung.
Seit 2004 war er darüber hinaus Inhaber einer unbefristet gültigen Lizenz für Hängegleiter mit den Startarten Hang und UL-Schlepp.
Das flugmedizinische Tauglichkeitszeugnis Klasse 2 war auf der Grundlage einer
Sondergenehmigung bis zum 04.04.2015 gültig. Es enthielt folgende Einträge und
Auflagen: VML (optimal korrigierende Sehhilfe), SSL (Ausschluss von Kunstflug,
Lehr- und Schleppberechtigung), VCL (nur Sichtflug bei Tag), REV (Erlöschen der
Sondergenehmigung im Falle eines Anfallsrezidiv).
Von 2001 bis 2012 lag eine Fluguntauglichkeit des Luftfahrzeugführers vor. Zuvor
war er bereits seit 1989 Inhaber eines Luftfahrerscheins für Segelflugzeugführer und
hatte in 2001 eine Lizenz für Luftsportgeräteführer mit dem Eintrag für aerodynamisch gesteuerte Ultraleichtflugzeuge erworben.
Die Gesamtflugerfahrung betrug ca. 984 Stunden bei 2 799 Starts, davon entfielen
rund 204 Stunden und 468 Starts auf Reisemotorsegler.
In den letzten 90 Tagen hatte er insgesamt 41 Starts absolviert, davon entfielen elf
Starts auf Reisemotorsegler und drei Starts auf das Muster SFS 31 Milan.
Angaben zum Luftfahrzeug
Die SFS 31 Milan ist ein einsitziger Motorsegler mit Einziehfahrwerk, der 1970 von
der Firma Sportavia-Pützer GmbH & Co. KG in Holzbauweise mit der Werknummer
6603 gefertigt wurde.
Das Luftfahrzeug verfügt über eine freitragende, einteilige Tragfläche mit Kastenholm
und Sperrholz-Torsionsnase. Höhen- und Seitenleitwerk sind ebenfalls aus Holz gefertigt und können abgeschraubt werden. Die Flossen sind sperrholzbeplankt, die
Ruder stoffbespannt.
Die SFS 31 Milan wurde von einem Rectimo-4-AR-1200-Motor angetrieben.
Der Motorsegler war in Deutschland zum Verkehr zugelassen und befand sich in privater Halterschaft.
Die letzte Prüfung der Lufttüchtigkeit erfolgte am 10.08.2013. Die Gesamtbetriebszeit
betrug 3 676 Stunden bei 4 089 Landungen.
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Das Luftfahrzeug hatte ein maximal zulässiges Gesamtgewicht von 440 kg.
Die Abflugmasse wurde anhand der zur Verfügung stehenden Daten (Leermasse,
Gewicht des Luftfahrzeugführers, Gepäck, Kraftstoff) ermittelt und betrug in Abhängigkeit des mitgeführten Kraftstoffvorrats mindestens 455 kg.
Beim Start befanden sich mindestens 29 Liter Kraftstoff (Super Plus) an Bord.
Meteorologische Informationen
Die Bodensicht betrug bei wolkenlosem Himmel über zehn Kilometer. Der Wind kam
mit ca. acht Knoten aus 070 Grad und die Lufttemperatur lag bei ca. 28 Grad Celsius.
Die Routinewettermeldungen (METARs) der nahe gelegenen Stationen Frankfurt
(EDDF) und Mannheim (EDFM) lauteten:
METAR EDDF 231220 080/14 kt 9999 SCTTCU060 BKN255 28/14 Q1016
METAR EDFM 231220 060/12 kt VRB 030/090 9999 CAVOK 29/13 Q1015
Funkverkehr
Es bestand Funkverbindung mit der Flugleitung in Oppenheim. Der Funkverkehr
wurde nicht aufgezeichnet.
Angaben zum Flugplatz
Der Flugplatz Oppenheim (EDGP) liegt ca. ein Kilometer südöstlich der Stadt Oppenheim. Er befindet sich in einer Höhenlage von 279 ft AMSL und verfügt über eine
800 x 30 m lange Grasbahn mit der Ausrichtung 020/200 Grad.
Flugdatenaufzeichnung
Der BFU stand ein mobiles GPS zum Auslesen zur Verfügung. Der Unfallflug wurde
nicht aufgezeichnet. Die Radaraufzeichnungen der Flugsicherungsorganisation ermöglichten keine Rekonstruktion des Flugweges.
Unfallstelle und Feststellungen am Luftfahrzeug
Die Unfallstelle des Luftfahrzeuges befand sich rund 800 m südwestlich der Flugplatzgrenze von Oppenheim auf einem abgeernteten Getreidefeld.
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Das ca. 50 m lange und bis zu 10 m breite Trümmerfeld erstreckte sich in etwa von
Ost nach West. In der Mitte dieses Feldes befand sich das Rumpfsegment des Motorseglers.
Das Rumpfvorderteil mit dem Cockpit war zerstört und der Motor war samt Motorträger und Brandschott aus dem Rumpf herausgerissen.
Der hintere Teil des Rumpfes mit dem Leitwerksträger war optisch intakt und mit dem
Leitwerk nach Osten ausgerichtet.
Höhen- und Seitenruder waren angeschlossen und gesichert. Die Steuerung im
Rumpfvorderteil war zerstört, die Sicherungen vorhanden und funktionstüchtig. Die
Höhenruder-Trimmung im Cockpit stand auf „kopflastig“
Der Rumpftank war deformiert und lag ca. 25 m westlich des Rumpfes und enthielt
ca. einen Liter Kraftstoff. Es fanden sich Hinweise auf ausgetretenen Kraftstoff. (Bindemitteleinsatz durch die Feuerwehr).
Ein Propellerblatt war abgerissen und zersplittert, das zweite Propellerblatt befand
sich unbeschädigt auf der Nabe und stand auf kleinster Steigung. Teile der Motorverkleidung lagen vor dem Motor.
Die Schultergurte befanden sich offen im Rumpf, die Beschläge waren mit dem
Rumpf verbunden. Die Schultergurte hatten nahezu die maximal mögliche Länge.
Der Bauchgurt war samt Beschlägen aus dem Rumpf herausgerissen und offen. Die
beiden Hälften lagen ca. einen Meter voneinander entfernt.
Ein Segment der Tragfläche lag zum Teil unter dem hinteren Teil des Rumpfes, der
linke äußere Teil der linken Tragfläche wies Beschädigungen auf.
Das Querruder war herausgerissen und die Ober- und Unterseite der Tragfläche war
beschädigt. Die Rippen waren gebrochen und die Oberfläche gesplittert. Das linke
Querruder war angeschlossen und gesichert.
Das Instrumentenbrett lag zusammen mit dem Motor vor dem Rumpf, es war deformiert. Einzelne Instrumente waren herausgerissen und lagen westlich des Rumpfes.
Funkgerät und Transponder waren eingebaut.
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Unfallstelle
Foto: BFU
Aufgrund des hohen Zerstörungsgrades im vorderen Bereich des Cockpits konnten
keine Aussagen über die Stellung der Hebel gemacht werden.
Der Brandhahn wurde in einer Zwischenstellung (etwa in der Mitte zwischen Auf / Zu)
vorgefunden. Die Cockpithaube war in mehrere Teile zerbrochen und lag beim
Rumpf.
Das Fahrwerk war beim Aufschlag herausgerissen worden, der Fahrwerkskasten lag
einige Meter östlich des Rumpfes, der Reifen befand sich unter der rechten Tragfläche. Dort wurde auch das GPS gefunden.
Teile des Fahrwerks und der Fahrwerksaufhängung lagen im Bereich ca. 20 m östlich des Rumpfes. Der größte Teil des Hauptfahrwerks befand sich 7,40 m östlich
des Rumpfes.
Die Untersuchung des Motors ergab keine Auffälligkeiten. Er war durch den Aufschlag erheblich beschädigt worden.
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Die Propellerverstellung war verbogen, der Zahnkranz des Anlassers abgerissen und
nach hinten gedrückt.
Die Stößelrohre waren zum Teil verbogen und beide Ventildeckel aus den Halterungen herausgesprungen. Der Vergaser war zerstört und aufgerissen, es befand sich
kein Kraftstoff darin.
Der Kraftstoff-Filter im Filterbrandhahn enthielt eine geringe Menge Kraftstoff. Der
Benzinfilter war frei von Verschmutzungen.
Die Zündkerzen wiesen ein rehbraunes Verbrennungsbild auf. Die Ölstandkontrolle
ergab, dass ausreichend Motoröl im Triebwerk vorhanden war.
Brand
Es entstand kein Brand.
Zusätzliche Informationen
In der Fachliteratur finden sich zum Thema „Dampfblasenbildung“ u.a. folgende Angaben:
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An Tagen mit hohen Lufttemperaturen besteht die Gefahr, dass Teile des
Kraftstoffsystems so heiß werden, sodass ein hoher Anteil des Kraftstoffs verdampft. Als Folge kann es zur Bildung von Dampfblasen kommen, durch welche die Kraftstoffversorgung unterbrochen werden kann.
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Unverbleites Superbenzin neigt aufgrund seiner Zusammensetzung eher zur
Bildung von Dampfblasen als verbleites Flugbenzin (Avgas).
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Ein Faktor, der die Wahrscheinlichkeit von Dampfblasenbildung erhöht, ist das
kurzzeitige Abstellen eines zuvor in Betrieb befindlichen Motors. Nach dem
Abstellen kann es zu einem Anstieg der Temperatur bis zum Siedepunkt
kommen, da keine Kühlung mehr vorhanden ist.
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Dampfblasenbildung wird durch Schütteln von heißem Kraftstoff sowie durch
Vibrieren des Kraftstoffsystems begünstigt.
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Untersuchungsbericht BFU 3X075-14
Beurteilung
Das Luftfahrzeug war ordnungsgemäß zum Verkehr zugelassen und nachgeprüft.
Eine Untersuchung von Zelle und Triebwerk lieferte keine Hinweise auf technische
Mängel.
Die Zuladung und der Schwerpunkt lagen außerhalb der im Flughandbuch angegebenen Grenzen. Der verantwortliche Luftfahrzeugführer hatte die erforderliche Lizenz
zur Durchführung des Fluges.
Mit 41 Flügen auf verschiedenen Mustern in den letzten 90 Tagen, davon elf Starts
auf Reisemotorseglern und drei Starts auf dem Muster SFS 31 Milan, hatte er prinzipiell einen guten aktuellen Übungsstand.
Auch hinsichtlich seiner Gesamtflugerfahrung von knapp 1 000 Flugstunden und
rund 2 800 Starts, verfügte der Luftfahrzeugführer insgesamt über eine routinierte
Flugerfahrung.
Aufgrund einer 11-jährigen Flugpause bis 2012, bedingt durch eine Fluguntauglichkeit, müssen bei der fliegerischen Gesamtkompetenz dennoch Abstriche bzw. Einschränkungen angenommen werden.
Sein flugmedizinisches Tauglichkeitszeugnis war mit mehreren Auflagen versehen.
Die medizinischen Hintergründe der Auflagen lagen der BFU vor. Die Umstände des
Unfallhergangs einerseits und die gesundheitliche Disposition des Piloten andererseits schließen einen Zusammenhang nicht aus.
Der Unfallhergang ließ sich durch die Zeugenaussagen nur bedingt rekonstruieren.
Auf Grundlage der gemachten Beobachtungen ist aber davon auszugehen, dass der
Motorsegler entweder nach Einleiten einer Umkehrkurve abkippte oder der Pilot
durch den Verlust der Handlungsfähigkeit die Kontrolle über das Luftfahrzeug verlor.
Als technisches Problem wäre auch eine Unterbrechung der Kraftstoffversorgung infolge Dampfblasenbildung denkbar. Die äußeren Rahmenbedingungen mit einer Lufttemperatur von knapp 30 Grad und ein Durchschütteln des heißen Kraftstoffs mit
Vibrieren des Kraftstoffsystems durch das Rollen auf dem Grasplatz Oppenheim
schließen auch diese Möglichkeit nicht aus.
Durch die erhöhte Zuladung und die Lage des Schwerpunktes außerhalb des zulässigen Bereichs wurde das Abkippen beim Fliegen einer Umkehrkurve begünstigt.
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Schlussfolgerungen
Der Unfall ist darauf zurückzuführen, dass das Luftfahrzeug im Anfangssteigflug infolge eines überzogenen Flugzustandes abkippte und auf den Boden prallte.
Untersuchungsführer:
Klaus-Uwe Fuchs
Untersuchung vor Ort:
Martin Rulffs
Braunschweig, 1. Juni 2015
Die Untersuchung wird in Übereinstimmung mit der Verordnung (EU)
Nr. 996/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über die Untersuchung und Verhütung von Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt und dem Gesetz über die Untersuchung von Unfällen und Störungen beim Betrieb ziviler Luftfahrzeuge (FlugunfallUntersuchungs-Gesetz - FlUUG) vom 26. August 1998 durchgeführt.
Danach ist das alleinige Ziel der Untersuchung die Verhütung künftiger
Unfälle und Störungen. Die Untersuchung dient nicht der Feststellung des
Verschuldens, der Haftung oder von Ansprüchen.
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Bundesstelle für
Flugunfalluntersuchung
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