Dänemark hat gewählt: Rechtsruck mit Regierungswechsel

Dänemark hat gewählt: Rechtsruck mit
Regierungswechsel
von
Andreas Storm
Die Bürgerinnen und Bürger in unserem nördlichen Nachbarland Dänemark haben bei der Parlamentswahl am gestrigen Donnerstag gleich in zweifacher Hinsicht für eine faustdicke Überraschung gesorgt:
Zunächst ist das von den Meinungsforschern in der Endphase des Wahlkampfes übereinstimmend
prognostizierte Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem regierenden ROTEN BLOCK und dem gegnerischen BLAUEN BLOCK ausgeblieben. Stattdessen haben die Dänen ganz klar für einen Regierungswechsel gestimmt. Doch der hat es in sich: Entgegen allen Vorwahlumfragen und auch im Gegensatz
zu den beiden unmittelbar nach Schließung der Wahllokale um 20 Uhr veröffentlichten „Exit Polls“
wurde die rechtsnationale DÄNISCHE VOLKSPARTEI erstmals stärkste Kraft im siegreichen BLAUEN
BLOCK. Damit haben die dänischen Wähler nicht nur die bisherige Regierung abgewählt, sondern auch
der liberalen VENSTRE des ehemaligen Regierungschefs Lars Lokke Rasmussen als der bis dahin
führenden bürgerlichen Kraft im dänischen Folketing die gelbe Karte gezeigt. Das Wahlergebnis
erscheint somit eindeutig im Hinblick auf die Absage an den ROTEN BLOCK unter der Führung der
SOZIALDEMOKRATEN von Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt. Völlig unklar ist hingegen am
Morgen nach der Wahl, wie die künftigen Kräfteverhältnisse im siegreichen BLAUEN BLOCK austariert
werden und vor allem, welche Parteien sich an der künftigen Regierung beteiligen werden.
1. Das Wahlergebnis: Triumph für die Dänische Volkspartei
Die dänischen Wählerinnen und Wähler haben den Parteien des BLAUEN BLOCKS mit einem Vorsprung
von fast fünf Prozentpunkten vor dem bislang führenden ROTEN BLOCK einen klaren Auftrag für einen
Regierungswechsel erteilt. Allerdings wurden die Machtverhältnisse innerhalb des siegreichen BLAUEN
BLOCKS völlig durcheinandergewirbelt:
-
So wurde die liberale VENSTRE (V), die aus der letzten FOLKETINGSWAHL im Jahr 2011 noch
vor den SOZIALDEMOKRATEN als stärkste Partei hervorgegangen war, mit einem Verlust von
mehr als sieben Prozentpunkten rein rechnerisch zur großen Verliererin des Wahltages. Mit
weniger als 20 % der Stimmen landete die VENSTRE dieses Mal nicht nur hinter den SOZIALDEMOKRATEN (S), sondern auch nach der DÄNISCHEN VOLKSPARTEI (DF) nur noch auf dem
dritten Platz. Die VENSTRE erzielte damit ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1990.
-
Die rechtsnationale DÄNISCHE VOLKSPARTEI (DF) konnte nach erdrutschartigen Stimmengewinnen mit mehr als 21 % der Stimmen die VENSTRE als stärkste bürgerliche Kraft ablösen.
Im Folketing stellt die DF nach den SOZIALDEMOKRATEN künftig die zweitstärkste Fraktion.
-
Die LIBERALE ALLIANZ (LA) konnte ihren Stimmenanteil um mehr als zwei Prozentpunkte ausbauen und stellt damit künftig 13 Abgeordnete im dänischen Parlament.
1
-
Die KONSERVATIVE VOLKSPARTEI (KF) konnte ihren bereits bei der letzten Wahl eingeleiteten
Niedergang auch dieses Mal nicht stoppen und erzielte mit nur noch gut drei Prozent der
Stimmen das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte.
-
Die CHRISTDEMOKRATEN (KD) scheiterten erwartungsgemäß auch bei dieser Folketingswahl
erneut an der Zwei-Prozent-Sperrklausel.
Der ROTE BLOCK musste gestern erhebliche Stimmeneinbußen hinnehmen und hat damit die Mehrheit
im dänischen Folketing eingebüßt. Dabei haben sich aber innerhalb des linken Parteinspektrums erhebliche Verschiebungen der politischen Gewichte ergeben:
-
Zwar konnten die SOZIALDEMOKRATEN (S) leichte Gewinne erzielen und mit 26.3 % der
Stimmen klar die liberale VENSTRE als stärkste Partei im neuen dänischen Parlament ablösen.
-
Aber sowohl der bisherige linksliberale Koalitionspartner RADIKALE VENSTRE (RV) als auch die
im vergangenen Jahr aus der Regierung ausgeschiedene SOZIALLISTISCHE VOLKSPARTEI (SF)
mussten dramatische Stimmenverluste in Kauf nehmen und wurden beide mehr als halbiert.
-
Die neugegründete Partei ALTERNATIVE (AL) schaffte nicht nur problemlos den Sprung über
die für den Einzug ins Folketing relevante Zwei-Prozent-Hürde, sondern konnte mit knapp 5 %
der Stimmen auch die beiden ehemaligen Koalitionsparteien RV und SF überholen.
-
Klarer Wahlgewinner im ROTEN BLOCK ist neben der AL auch die ROT-GRÜNE EINHEITSLISTE
(EL), die ihren Stimmenanteil auf knapp 8 % der Stimmen ausbauen konnte.
Tab. 1: Ergebnis der Wahlen zum Folketing 2015 (ohne Färöer, Grönland)
2015
Partei
2011
Veränderung
%
Sitze
%
Sitze
%-P.
Sitze
Sozialdemokraten
S
26.3
47
24.8
44
+1.5
+3
Sozialliberale
RV
4.6
8
9.5
17
-4.9
-9
Sozialistische Volkspartei
SF
4.2
7
9.2
16
-5.0
-9
Rot-Grüne Einheitsliste
EL
7.8
14
6.7
12
+1.1
+2
Alternative
AL
4.8
9
.
.
+4.8
+9
47.7
85
50.2
89
-2.5
-4
Roter Block
Venstre (Liberale)
V
19.5
34
26.7
47
-7.2
-13
Dänische Volkspartei
DF
21.1
37
12.3
22
+8.8
+15
Liberale Allianz
LA
7.5
13
5.0
9
+2.5
+4
Konservative Volkspartei
KF
3.4
6
4.9
8
-1.5
-2
Christdemokraten
KD
0.8
-
0.8
-
.
.
Blauer Block
52.3
90
49.7
86
+2.6
+4
Unabhängige Kandidaten
0.0
0.1
-
-0.1
Wahlbeteiligung
85.8
87.7
175
-1.9
175
Quelle: DR.DK: Wahlberichterstattung, 18./19. Juni 2015
2
2. Die Vorwahlumfragen: Das erwartete Kopf-an-Kopf-Rennen blieb aus
In den beiden letzten Wochen vor der Wahl deuteten alle Meinungsumfragen auf ein sehr knappes
Rennen zwischen den beiden Wahlblöcken hin. Dabei hatte bis Ende Mai 2015 über viele Monate
hinweg der BLAUE BLOCK in allen veröffentlichten Umfragen einen klaren Vorsprung vor dem linken
Lager (ROTER BLOCK). Doch mit Beginn der heißen Wahlkampfphase nach der Ende Mai erfolgten
vorzeitigen Auflösung des Parlamentes hatte sich das Bild gründlich gewandelt. Nachdem der ROTE
BLOCK den Rückstand zum BLAUEN BLOCK nahezu vollständig eingeholt hatte, schien der Ausgang der
Wahl wieder völlig offen zu sein. Die Tabelle 2 zeigt die letzten, am Vorabend der Wahl veröffentlichten
Umfrageergebnisse von fünf führenden dänischen Meinungsforschungsinstituten auf:
Tab. 2: Parlamentswahlen in Dänemark1: Letzte Vorwahlumfragen
Partei
Gallup 17.6.
Epinion 17.6.
Greens 17.6.
Voxmeter 17.6.
Wilke 17.6.
%
Sitze
%
Sitze
%
Sitze
%
Sitze
%
Sitze
S
25.9
46
24.5
43
24.4
43
25.9
46
24.0
42
RV
5.2
9
5.2
9
5.6
10
4.6
8
5.2
9
SF
5.3
9
5.3
9
5.4
9
6.3
11
5.5
10
EL
8.0
14
9.3
17
8.5
15
9.8
17
9.0
16
AL
4.8
9
4.9
9
5.2
9
4.5
8
5.5
10
ROT
49.2
87
49.2
87
49.1
86
51.1
90
49.2
87
V
20.6
36
20.6
36
20.9
37
19.6
35
19.8
35
DF
18.1
32
18.0
32
18.5
33
17.2
30
17.5
31
LA
7.1
13
7.5
13
7.6
13
7.7
14
7.8
14
KF
3.8
7
3.9
7
3.3
6
3.5
6
4.7
8
KD
1.1
-
0.7
-
0.6
-
0.9
-
1.0
-
BLAU
50.7
88
50.7
88
50.9
89
48.9
85
50.8
88
Quelle: ELECTOGRAPH.COM: Denmark General Election, Stand: 18. Juni 2015
-
Zwar sagten vier der fünf Institute richtigerweise eine Mehrheit für den BLAUEN BLOCK voraus.
Lediglich Voxmeter prognostizierte fälschlicherweise einen Vorsprung von fünf Mandaten für
den ROTEN BLOCK. Allerdings wurde der massive Vorsprung des bürgerlichen Lagers von
keiner einzigen Umfrage auch nur näherungsweise richtig erfasst. So betrug der höchste in den
Vorwahlumfragen gemessene Vorsprung für den BLAUEN BLOCK lediglich 1.8 Prozentpunkte
(GREENS), während das tatsächliche Wahlergebnis 4.6 Prozentpunkte ausweist. Mit anderen
Worten: Statt des erwarteten Kopf-an-Kopf-Rennens zwischen den beiden Blöcken haben die
dänischen Wähler mit einer deutlichen Mehrheit für den BLAUEN BLOCK votiert.
-
Völlig unterschätzt wurde in allen Vorwahlumfragen der massive Stimmenzuwachs für die
DÄNISCHE VOLKSPARTEI (DF). Kein einziges Institut hatte richtig vorausgesagt, dass die liberale
VENSTRE (V) sogar noch hinter die DÄNISCHE VOLKSPARTEI auf den dritten Platz im dänischen
Parteiengefüge zurückfallen würde. Offenbar hat ein beachtlicher Teil der DF-Wähler seine
Wahlabsicht in den Vorwahlumfragen nicht preisgegeben.
1
Die Angaben beziehen sich auf das Kernland Dänemark, d.h. alle Angaben ohne die Ergebnisse für Färöer und
Grönland.
3
3. Die „Exit Polls“: Der Rechtsruck wurde völlig unterschätzt
Die beiden dänischen Fernsehsender DR und TV2 hatten unmittelbar nach der Schließung der
Wahllokale um 20 Uhr die Ergebnisse der Wahltagsbefragungen („Exit Polls“) veröffentlicht. Beide
Prognosen sagten zwar richtigerweise einen Wahlsieg für den BLAUEN BLOCK voraus. Allerdings
wurde – wie schon bei den Ergebnissen der Vorwahlumfragen – das Ausmaß der Stimmengewinne
für die DÄNISCHE VOLKSPARTEI (DF) ebenso unterschätzt wie die Größenordnung des Vorsprungs
des siegreichen bürgerlichen Lagers im neuen dänischen Folketing. Beide „Exit Polls“ sahen fälschlicherweise die liberale Venstre (V) vor der DF als stärkste Kraft im siegreichen BLAUEN BLOCK. Die
Tabelle 3 vergleicht die Ergebnisse der beiden „Exit Polls“ mit dem tatsächlichen Wahlergebnis:
Tab. 3: Parlamentswahlen in Dänemark2: „Exit Polls“ und Wahlergebnis
Partei
Wahlergebnis
18.6.
%
Sitze
„Exit Poll“: TV2
18.6.
%
Sitze
„Exit Poll“: DR
18.6.
%
Sitze
S
26.3
47
25.5
45
25.7
45
RV
4.6
8
5.1
9
5.2
9
SF
4.2
7
5.1
9
5.0
9
EL
7.8
14
8.4
15
7.8
14
AL
4.8
9
4.9
9
4.9
9
ROT
47.7
85
49.0
87
48.6
86
V
19.5
34
20.0
35
20.2
36
DF
21.1
38
18.1
32
18.5
33
LA
7.5
13
8.2
15
8.2
14
KF
3.4
6
3.6
6
3.3
6
KD
0.8
-
1.0
-
1.1
-
BLAU
52.3
90
50.9
88
51.3
89
Quelle: ELECTOGRAPH.COM: Wahlberichterstattung 18. Juni 2015; eigene Berechnungen
Der Sachverhalt, dass der massive Stimmenzuwachs für die DÄNISCHE VOLKSPARTEI sowohl in allen
Vorwahlumfragen als auch in den Wahltagsbefragungen („Exit Polls“) systematisch unterschätzt
worden ist, könnte – wie bereits angedeutet - ein klarer Hinweis darauf sein, dass sich ein Teil der DFWählerschaft offenbar außerhalb der Wahlkabine nicht offen zu seiner Wahlabsicht bekennt. Hier sind
in den nächsten Wochen ausführliche Analysen über die unzureichende demoskopische Abbildung des
Wählerpotentials der nunmehr stärksten Partei im BLAUEN BLOCK notwendig, um die Prognosequalität der Wahlumfragen bei künftigen Wahlen verbessern zu können.
4. Ausblick: Dänemark vor dem Regierungswechsel
Die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt hat noch in der Wahlnacht die Konsequenzen
aus der Niederlage des ROTEN BLOCKS gezogen und ist sowohl vom Amt der Regierungschefin als auch
vom Parteivorsitz der SOZIALDEMOKRATEN (S) zurückgetreten. Der große Wahlsieger des gestrigen
Abends, Kristian Thulesen Dahl (DF), kündigte bereits an, dass seine DÄNISCHE VOLKSPARTEI (DF) eine
Regierung unter der Führung des Spitzenkandidaten des BLAUEN BLOCKS, Lars Lokke Rasmussen (V),
2
Die Angaben beziehen sich auf das Kernland Dänemark, d.h. alle Angaben ohne die Ergebnisse für Färöer und
Grönland.
4
voraussichtlich von außen unterstützen werde. Damit wird vermutlich der große Verlierer des Abends
zum absoluten Gewinner: Während die liberale Venstre vom ersten auf den dritten Platz im dänischen
Parteiengefüge abgestürzt ist und ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 25 Jahren erzielt hat, dürfte der
liberale Parteivorsitzende schon in Kürze von der dänischen Königin den Auftrag zur Regierungsbildung
erhalten.
Die Ironie der Zeitgeschichte besteht darin, dass auch vor vier Jahren die Wahlverliererin auf diesem
Wege den Sieg einfahren konnte: Helle Thorning-Schmidt erzielte für die SOZIALDEMOKRATEN im Jahr
2011 das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte, konnte aber Dank des Erfolges ihrer Partnerparteien im ROTEN BLOCK den Wechsel herbeiführen und eine Regierung bilden.
Am Morgen nach der Wahlnacht erscheint vorerst nur eines klar: Lars Lokke Rasmussen, der liberale
Amtsvorgänger der scheidenden Ministerpräsidentin, wird schon bald die Regierungsgeschäfte übernehmen. Mit welchen Koalitionspartnern er künftig regieren wird und vor allem, ob die siegreiche
DÄNISCHE VOLKSPARTEI in die Regierung eintreten oder diese doch nur von außen tolerieren wird, wie
sie es bereits im letzten Jahrzehnt mehrfach getan hat, ist zur Stunde noch völlig offen. Damit dürfte
die Regierungsbildung in den nächsten Tagen wohl noch einige Überraschungen bereit halten.
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