Grenzenlos kommunizieren? Sommergespräch der Evangelischen Akademie Tutzing Grenzenlos kommunizieren – wollen wir das wirklich? Für das Sommergespräch der Evangelischen Akademie Tutzing hatte sich Akademiedirektor Udo Hahn mit seinen beiden Gästen Johanna Haberer und Yvonne Hofstetter „die digitale Gesellschaft und ihre Herausforderungen“ vorgenommen – Fazit: Der Mensch muss inzwischen um seinen Status als Handlungssubjekt fürchten. Für die evangelische Theologin Johanna Haberer (im Kösel-Verlag ist gerade ihr Buch „Digitale Technologie – Gott und die Medienrevolution der Gegenwart“ erschienen) besteht angesichts der Allgegenwärtigkeit von Internet-Giganten wie „Google“ mittlerweile sogar „Totalitarismusverdacht“, wie sie ausführte. Die Kontrolle nehme zu, es würden „gottgleiche Ansprüche an den Menschen gestellt“ – Vorgänge also, „die wir schon aus biblischem Wissen kritisieren müssen“, so Haberer, die als Professorin für Christliche Publizistik in Erlangen lehrt. Die Juristin und Essayistin Yvonne Hofstetter, Geschäftsführerin der Teramark Technologies GmbH in München, hat beruflich mit digitalen Steuerungssystemen zu tun – sowohl im zivilen wie im militärischen Anwendungsbereich. Hofstetter publizierte den Essay-Band „Sie wissen alles – Wie intelligente Maschinen in unser Leben eindringen und warum wir für unsere Freiheit kämpfen müssen“ (C. Bertelsmann Verlag) und warnt als Insider: „Es ist längst nicht mehr der Staat, es sind private Unternehmen, die die Macht inne haben.“ Die Szenarien, die sowohl Haberer wie auch Hofstetter beim „Sommergespräch“ schilderten, ließen die Zuhörer den Atem anhalten – Hofstetter räumte auch gleich mal mit einem Grundmissverständnis auf: „Das Internet ist gar nicht dafür da, dass wir Menschen kommunizieren, wir haben es sozusagen nur gehijackt – es ist dafür das, dass Maschinen miteinander kommunizieren.“ Das „Internet of things“ sei also zum „Internet of all“ mutiert – und es seien diese Maschinen, die sich anschicken, alles „steuernd“ zu übernehmen. Bemerkenswerter Weise stünden große Dax-Unternehmen dieser Entwicklung „mit großen Augen“ gegenüber, während mittelständische den praktischen Nutzen von Anlagen-Steuerung längst begriffen haben, so Hofstetter. Johanna Haberer beschreibt die sich vollziehende „Medienrevolution“ vor allem als Eingriff in die Selbstbestimmtheit des Einzelnen: Die digitale von „Apple“ propagierte Armbanduhr des Joggers, die auf Wunsch des Arbeitgebers dessen Freizeit-Aktivitäten und Leistungsdaten übermittelt, sei so ein beunruhigendes Beispiel für „effektive Arbeitgeber“. Haberer: „Das ist kein Scherz, viele junge Menschen finden das gut!“ Yvonne Hofstetter berichtete, dass Krankenversicherungen in den USA inzwischen schon einen FacebookAccount vom Versicherten anfordern, um dessen komplettes Persönlichkeitsprofil als Daten-Grundlage für Erkrankungswahrscheinlichkeiten, also die Prognose, dass der Versicherungsfall eintritt, zu nutzen. „Google bereitet gerade die Kartografierung der Gesundheitsdaten der ganzen Welt vor“, warf Hofstetter einen Blick voraus. Wegen solcher Gefährdungen für das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen durch datensammelwütige Unternehmen und Organisationen mahnt Haberer: „Die wollen eine Delle ins Universum machen, die Welt beherrschen, und sie behaupten, sie wollen sie besser machen, wollen mir sagen, wie mein Leben auszusehen hat.“ Zwar ist die evangelische Theologin der Meinung, man werde auch diese mediale Revolution „schon irgendwie zivilisieren“ wie alle andere Revolutionen der Geschichte, doch bestehe diesmal die Gefahr einer gewissen behäbigen Geisteshaltung: „Wir fallen wieder in unsere Kommunikationsnischen, suchen uns bestätigende Umgebungen“, so Haberer, es handle sich also gerade nicht um „technik-basiertes Pfingsten“, wie man meinen könnte. Yvonne Hofstetter setzt nun genau wie Johanna Haberer auf die Ordnungskraft einer gefestigten Demokratie mit Transparenz und journalistischer Kontrolle: „Stellen Sie sich vor, wir hätten keine öffentlich-rechtlichen Sender mehr, keine Zeitungen!“ Durch die digitale Revolution werde jedoch nicht nur diese Grundordnung in Frage gestellt, sondern „das christliche Menschenbild angegriffen“ – der alte Kapitalismusfehler also, skizziert Hofstetter: „Dass man den Menschen nur als Faktor sieht, als interaktive Maschine.“ Die schleichende Degradierung des Menschen vom handelnden Subjekt zum als Datenmenge „behandelten“ (und „gehandelten“!) Objekt ist längst im Gange und verstößt somit gegen die im Grundgesetz, Artikel 1, garantierte Menschenwürde – Haberer: „Der Mensch darf nicht Mittel zum Zweck werden.“ Moderator Udo Hahn stellte prompt die Frage nach dem Eigenbeitrag des Menschen zu solchen Entwicklungen, der freiwillig seine Privatsphäre ausbreitet: „Wissen die User eigentlich, was sie da tun?“ Johanna Haberer macht sich in diesem Punkt kein Illusionen: „Sie ahnen es wohl, aber es ist ihnen egal.“ Es herrsche eine „gewisse Wurstigkeit vor“ im Umgang mit den digitalen Versuchungen. „Wir verhalten uns als die bequemen Tiere, die wir sind.“ Hahns Nachfrage, ob womöglich das kritische Bewusstsein verloren gegangen sei, beantwortete Yvonne Hofstetter mit einem klaren Ja: Seit den Zeiten der Volksbefragung in Deutschland (1988) habe es einen „Mentalitätswandel“ gegeben: „Wir verwechseln die heutige komplette Konsum-Freiheit mit der Freiheit des Menschen.“ Es gebe allenfalls „dieses diffuse Gefühl von Überwachung“ als Reflex. Haberer erinnert sich an die frühen neunziger Jahre, als hierfür offenbar die Weichen gestellt worden waren: Die Schwelle dessen, was man nach außen kommunizierte, sei damals „Stück für Stück abgebaut worden – und das wurde sogar noch als Emanzipation verstanden!“ Ein spätes Echo auf die deutsche Nazi-Vergangenheit womöglich, so Haberer. Udo Hahn insistierte: Wissen bedeute also Macht? „Der CEO von Google wird heute im Kanzleramt empfangen wie ein Staatschef, da bildet sich eine Art von Supra-Staat heraus“, hatte Hofstetter beobachtet. Macht, so Hofstetter, entfalte sich „überall dort, wo sich Künstliche Intelligenz, lernende Maschinen ansammeln“, also etwa im kalifornischen Silicon Valley. Auch im Keller des eigenen Unternehmens „Teramark Technologies“ habe sie schon „so einen Jurassic Park“ von Steuerungssystemen und Robotern, deutete die Geschäftsführerin an. Doch sie verwies auch auf einen Nutzen solcher intelligenten Lenkungssysteme, etwa im urbanen Bereich: Optimierte Logistik von Lieferfahrzeugen könne für weniger Stau sorgen, weniger Umweltbelastung, weniger Kosten, Zeitersparnis. Beim Strom-Management gebe es bereits Ähnliches, so Hofstetter, doch manchmal wisse man noch gar nicht, wie zusammengeschaltete, miteinander kommunizierende Systeme reagieren: Der 2006 gesetzlich zugelassene Hochfrequenzhandel an der Börse sei so ein befremdliches Beispiel – „Flash Crashs in Millisekunden, da geht sehr viel schief.“ Auf die von Udo Hahn in den Raum gestellte Frage, was jeder Einzelne denn tun könne zur Verteidigung der digitalen Deutungshoheit, gab es von beiden Gesprächspartnerinnen gleich mehrere Vorschläge: „Wir müssen unsere Kinder wieder zur Freiheit erziehen“, so Yvonne Hofstetter, was momentan an vielen Schulen passiere, sei „Abstrafung für freies Denken, das nicht dem Lehrplan entspricht“. Charakterformung, das Heranbilden souverän mit „Big Data“ umgehender Persönlichkeiten ist also das Gebot der Stunde. Die Verlierer der „Medienrevolution“ werden laut Johanna Haberer gerade jene sein, die „nur ihr eigenes DatenMonument“ abgeben. Der gegenüber unkontrollierter Datenerfassung weiterhin sensible, aufgeklärte und autonom handelnde Mensch sei gefragt, der seinerseits die Politik dazu zwingt, eine „grundrechtssichere“ Gesetzgebung zu formulieren, denn: „Wir marginalisieren gerade unsere Rechte“, konstatiert Hofstetter. Auf die Technologen sollte man da lieber nicht blind vertrauen: „Die wollen weiterhin alles machen dürfen, was technologisch möglich ist.“ Akademieleiter Udo Hahn sieht auch weiterhin größten Diskussionsbedarf zum Thema „Medienrevolution“ und bilanzierte: „Ich hoffe, wir gehen nicht als Kulturpessimisten auseinander.“ Thomas Lochte Hinweis: Das Sommergespräch wird in der Reihe „Denkzeit“ auf ARD-alpha am 1. August 2015, 22.30 Uhr, ausgestrahlt
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