Zur Geschichte des „Hengstenberg-Projekt

Zur Geschichte des „Hengstenberg-Projekt-Berichts”
oder:
Hengstenberg heute– ein Vorwort
In unserer Zeit beengter Lebens- und Spielräume haben immer weniger Kinder die Möglichkeit, sich in ihrem Bewegungsdrang frei und natürlich zu entfalten. Sie haben nur noch selten
Gelegenheit, auf Bäume zu klettern, über Gräben zu springen, auf Mäuerchen zu balancieren.
Damit einher geht der gewaltige Einfluß der Mediengesellschaft auf unser tägliches Leben,
die insbesondere unsere Kinder aufgrund ihrer vorherrschenden Angebote einer audiovisuellen Dauerberieselung (Computer/Fernsehen etc.) aussetzt und sie von sich weg zum Stillsitzen verführt. Beides zusammen führt zu einer grundlegenden, immer deutlicher zu Tage
tretenden Disbalance bei Kindern , die man bildlich so ausdrücken könnte: Werden auf der
einen Seite die Augen- und Ohrensinne überfüttert, bleiben die Leibessinne unterernährt. Die
dramatischen Folgen dieser Fehl-Entwicklung, bzw. Fehl-”Erziehung” von Kindern sind u.a.:
zunehmende Haltungsschäden, Verhaltensauffälligkeiten, Einschränkugen der Bewegungsund Konzentrationsfähigkeit, Lese- und Schreibschwächen. In den Unfallstatistiken der
Landesunfallkassen schlägt sich das Drama von Kindern ohne Kindheit, wie namhafte BewegungstherapeutInnen die Situation von Kindern von heute auf den Punkt bringen, wie folgt
nieder: 1. Immer mehr Kinder können schlicht nicht mehr gehen. Sie stolpern über ihre
eigenen Beine. 2. Sie verletzen sich, weil sie potentielle Hindernisse auf dem Weg einfach
nicht mehr wahrnehmen. Und 3.: Sie verunfallen beim Fallen, weil sie schlicht nicht mehr
fallen können.
Angesichts dieser wachsenden Not vieler Kinder unserer Zeit, deren gestörte Persönlichkeitsentfaltung ein Ausdruck ihrer gestörten Bewegungsentwicklung ist, bekommt das Spiel- und
Bewegungskonzept von Elfriede Hengstenberg wachsende Aktualität und wachsenden
Zuspruch.
Die dritte Neuauflage des „Hengstenberg-Projekt-Berichts” gibt uns Gelegenheit, nochmals
mit Freude und Dankbarkeit auf den bisherigen Weg zu blicken:
Im Sinne der Arbeit von Elfriede Hengstenberg begann die Basisgemeinde Wulfshagenerhütten ab 1991 die „Hengstenberg-Bewegungsmaterialien” (Balancier- und Klettermaterialien, Hocker, Hühnerleiter, Kippelhölzer usw.) in ökologischer Verarbeitung nachzubauen bzw.
weiterzuentwickeln. Dabei wurde sie begleitet und unterstützt von einer ihrer Schülerinnen,
Ute Strub, sowie von Uli Tritschler und Walter Plagge (vgl. Kurzporträts im Anhang).
Nach einem Jahr ausgiebiger Tests mit Kindern und Erwachsenen wurden diese Spiel- und
Bewegungsmaterialien überarbeitet.
In den Jahren 93/94 begann die Basisgemeinde Wulfshagenerhütten mit der „HengstenbergArbeit” im Sinne eines Modell-Projekts: Nach intensiver Einführung wurden 22 öffentliche
und private Einrichtungen (Kindergärten, -tagesstätten, Grundschulen) mit „HengstenbergBewegungsmaterialien” ausgestattet. Die Aufgabe war, über einen Zeitraum von ca. 1-2 Jahren herauszufinden, unter welchen Bedingungen Erwachsene und Kinder mit diesen Materialien umgehen sollen, damit sie erstens sicher sind und zweitens sich heilsam auf die
Entwicklung der Gesamtpersönlichkeit der Kinder auswirken können.
Seit 1996 liegt die Auswertung der “Projektberichte” vor. Das Ergebnis war auf allen Ebenen
positiv und ermutigte alle an diesem Weg Beteiligten weiterzugehen. Das hiess für uns: In die
Produktion von „Hengstenberg-Materialien” einzusteigen, weitere „Projekte” einzurichten sowie durch ein gezieltes Angebot praxisorientierter Bewegungsfortbildung im Sinne Hengstenbergs weiteren Boden vorzubereiten.
Heute, 12 Jahre nach der Erprobungsphase der “Hengstenberg-Arbeit” im öffentlichen Raum,
arbeiten landesweit ca. 1500 Einrichtungen mit Impulsen dieser Arbeit: neben öffentlichen
Einrichtungen für Kinder (Kindergärten, -tagesstätten, Grundschulen), Eltern-Kind-Gruppen,
privaten Haushalten, heilpädagogischen und ergotherapeutischen Praxen auch erste Sporthochschulen in Osnabrück, Vechta, Braunschweig, Bayreuth und Magdeburg.
Das Jahr 2000 markierte die Übereinkunft mit dem TÜV und den Beginn der Zusammenarbeit
mit dem GUVV. Diese Tatsache unterstreicht die mittlerweile gewachsene und weiter
wachsende gesellschaftliche Akzeptanz der “Hengstenberg-Arbeit”.
Dieser kurze Überblick über die „Hengstenberg-Bewegung” der letzten Jahre, deren Kernstück und Angelpunkt gewiss der vorliegende „Hengstenberg-Projekt-Bericht” darstellt, zeigt
deutlich – wir sind auf einem guten Weg:
• die wertvolle, jahrzehntelange Arbeit von Elfriede Hengstenberg neu ins Bewusstsein von
Eltern,
ErzieherInnen, sowie von Dozenten und Fachleuten der Psychomotorik zu bringen;
• das Bewegungskonzept von Elfriede Hengstenberg als wesentliche Ergänzung bisherigen
Psychomotorikunterrichts in die Praxis der Bewegungserziehung in Kindertagesstätten und
Grundschulen zu verankern, sowie
• die Arbeit von Ergo- und PhysiotherapeutInnen durch die „Hengstenberg-Materialien”
wesentlich zu unterstützen.
Unser Dank gilt zuerst unseren Freunden Uli Tritschler, Walter Plagge und insbesondere Ute
Strub. Letztere hat mit der Herausgabe des Buches ENTFALTUNGEN 1991 über Elfriede
Hengstenbergs Lebenswerk die Initialzündung für die „Hengstenberg-Bewegung” gegeben.
Ihre Fortbildungsangebote schaffen zusammen mit den ergänzenden Angeboten von Uli
Tritschler, Walter Plagge und der Basisgemeinde Wulfshagenerhütten u.a. Raum für diese
„Bewegung” im In- und Ausland.
Unser Dank gilt den ErzieherInnen, TherapeutInnen und Eltern jener Einrichtungen, die bereit
waren, sich an unserem „Modell-Projekt” zu beteiligen. Dies bedeutete für sie: Mut zum Probieren, Offenheit für neue Erfahrungen, besonderes Engagement in der Begleitung der
Kinder, Bereitschaft für Zusatzaufgaben (u.a. die gesammelten Erfahrungen zu reflektieren
und zusammenzufassen), Bereitschaft, sich von uns begleiten zu lassen. Die Frucht ihrer
Bereitschaft ist der „Hengstenberg-Projekt-Bericht”. Er wurde uns zur Grundlage für alle
weiteren Schritte.
Unser Dank gilt allen Kindern, die sich spielerisch auf die „Hengstenberg-Materialien” einliessen im Rahmen von Bewegungsstunden und Freispiel, dabei ihre Experimentier- und
Bewegungsfreude neu fanden, bzw.weiter entfalten liessen und so – auf der spielerischen
Suche nach ihrem Gleichgewicht in einer Atmosphäre des Zutrauens – einen neuen Zugang
zur „Qualität der Bewegung” fanden.
Unser Dank gilt all denen, die in der Zwischenzeit dazugekommen sind und sich auf das
Bewegungskonzept von Elfriede Hengstenberg eingelassen haben: Neben zahlreichen ErzieherInnen, Ergo- und PhysiotherapeutInnen u.a. auch einige Fachleute der Psychomotorik:
Ernst J. Kiphard, Renate Zimmer, Gerd Regel, Gerd Recke, Sabine Herm, Cornelia M.
Kopelsky, Gerburg Fuchs, Andrea von Gosen u.a.
Damit unsere „Geschichte des aufrechten Gangs” weitergeschrieben werden kann, sind wir
weiterhin darauf angewiesen, mit den beteiligten Einrichtungen und Einzelpersonen in einem
echten, lebendigen Austausch bleiben zu können. Wir freuen uns über jedes lebendige
Zeichen, über jedes Echo und jede Begegnung vor Ort.
Wulfshagenerhütten, im Frühjahr 2003
Basisgemeinde Wulfshagenerhütten eG / 24214 Gettorf / Tel.: 04346-368010 / www.basisgemeinde.de