(Mikro)Plastik in Binnen und Küstengewässern. Eine neue

(Mikro)Plastik in Binnen und Küstengewässern.
Eine neue Herausforderung für Analytik,
Risikobewertung und Regulatorik
Georg Reifferscheid, Christian Scherer,
Martin Wagner, Nicole Brennholt
23. Chemisches Kolloquium BfG 11./12.06.2015
Fotos: Wahrendorf, Reifferscheid, BfG
Wagner und Scherer, Universität Frankfurt
Einleitung
- (Plastik)Abfall inkl. Mikroplastik (µm-Bereich aufwärts) wird in
neuerer Zeit als gravierendes ökologisches Problem u.a. im
Gewässerbereich erkannt.
- Die Meere spielen dabei als finale Senke – u.a. bedingt durch den
Transport der Materialien aus dem Binnenbereich - eine zentrale
Rolle.
- Das Thema entwickelt sich zu einem gesellschaftlichen
Schwerpunktthema mit Auswirkungen in verschiedenste Bereiche
sozio-ökonomischer Aktivität.
- Erhebliche Wissenslücken wegen bisheriger Fokussierung auf
marine Systeme
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Produktion
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Eintrag in die Meere
2015: 4–13 Mio. t *
2025: 40-130 Mio. t *
* Jambeck et al. Science,
13.2.2015 • VOL 347 Issue 6223
Quelle: „Beach in Sharm el-Naga03“ von Vberger - Eigenes Werk.
Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Beach_in_Sharm_elNaga03.jpg#/media/File:Beach_in_Sharm_el-Naga03.jpg
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Eintrag in die Meere
Jambeck et al. Plastic waste inputs from land into the ocean
Science, 2015 • VOL 347 ISSUE 6223
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Mikroplastik
Sekundär: Plastik zerfällt durch physikalische
Verwitterung zu Mikroplastik
Sekundäres
Mikroplastik
Primär: Plastik wird bereits in mikroskopischer
Größe hergestellt (Kosmetika)
Primäres
Mikroplastik
Einige Abbildungen wurden aus der pdf-Version dieser
Präsentation entfernt. Wir bitten um ihr Verständnis.
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Lebenszyklus Mikroplastik
Bannick, Wagener & Reifferscheid. Einführungsvortrag beim Fachgespräch
der Ressortforschungseinrichtungen zu Mikroplastik, 15.07.2014
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Problem allgemein
- valide Daten über den Ist-Zustand der Belastung verschiedener
Ökosystem-Komponenten mit MP fehlen bislang weitgehend
und somit realistische Zahlen für experimentelle Ansätze und Risikobewertung
- Verwendung untersch. Methoden / Einheiten etc. => keine Vergleichbarkeit!!!
- Degradationszeiten und –prozesse weitgehend unbekannt
(welche Kunststoffe bilden überhaupt Mikroplastik (amorphe, teilkristalline?))
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Entwicklungsplan Meer
„Der Lebensraum Meer ist das größte
zusammenhängende Ökosystem der Erde,
dessen biologische Vielfalt und Funktionen
es zu schützen und zu erhalten gilt.
…..gigantische Mengen von Plastikmüll
in den Ozeanen ………. Komponenten
einer globalen Entwicklung, für die alle
Industriestaaten und damit auch
Deutschland Mitverantwortung tragen.
…….dass mariner Müll in den nächsten
Jahren eines der wichtigen Themen im
Meeresumweltschutz sein wird“
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MSRL-Maßnahmenprogramm
Anhörung zu Art. 13 MSRL (Maßnahmen) 01.04.2015 bis 30.09.2015
Entwurf
des MSRL-Maßnahmenprogramms zum
Meeresschutz der deutschen Nord- und Ostsee
Bericht gemäß § 45h Absatz 1 des
Wasserhaushaltsgesetzes
Stand: 31.03.2015
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Umweltziele
(Festlegungen für die deutsche Nordsee, 2012)
- Kontinuierlich reduzierte Einträge und eine Reduzierung der bereits
vorliegenden Abfälle führen zu einer signifikanten Verminderung der Abfälle
mit Schadwirkung für die marine Umwelt an den Stränden, auf der
Meeresoberfläche, in der Wassersäule und am Meeresboden.
- Nachgewiesene schädliche Abfälle in Meeresorganismen (insbesondere von
Mikroplastik) gehen langfristig gegen Null.
- Weitere nachteilige ökologische Effekte (wie das Verfangen und Strangulieren
in Abfallteilen) werden auf ein Minimum reduziert.
Quelle: Chris Jordan (via U.S. Fish and Wildlife Service Headquarters) /
CC BY 2.0 - Albatross at Midway Atoll Refuge Photo taken by Chris Jordan
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Albatross_at_Midway_Atoll_Refuge_%288
080507529%29.jpg
Quelle: http://www.noaanews.noaa.gov/stories2005/s2429.htm. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia
Commons https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Albatross_at_Midway_Atoll_Refuge_%288080507529%29.jpg
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Bestehende Maßnahmen
…… zur Erreichung der operativen Ziele
Eine Reihe bestehender nationaler und europäischer Vorgaben haben bereits die
Verringerung der Einträge von Abfällen in die Meere zum Ziel. Dazu gehören:
- Abfallwirtschaft: Pfandsysteme erweitern; Deponierungsverbot für Kunststoffe;
flächendeckende Erfassung von Verpackungen im Verbund mit Verwertungsund Recyclingquoten, Abfallvermeidungsprogramm des Bundes unter
Beteiligung der Länder gemäß den Vorgaben der Abfallrahmenrichtlinie (RL 11
2008/98/EG).
- Weitergehende Abwasserbehandlung
- Verbot der Einbringung von Abfälle in die Hohe See
- Vorgaben für Hafenauffangeinrichtungen, Mülltagebücher und
Müllbehandlungsplänen (RL 2000/59/EG)
- IMO: MARPOL Anlage V und Hafenstaatkontrollen, Nordsee als Sondergebiet
mit Verbot des Einbringens jeglicher Schiffsabfälle
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Neue Maßnahmen
Um das Umweltziel „Meere ohne Belastung durch Abfall“ zu erreichen, enthält das
MSRL-Maßnahmenprogramm für die deutsche Nordsee neue Maßnahmen (LAWABLANO-Maßnahmenkatalog):
- Verankerung des Themas Meeresmüll in Lehrzielen, Lehrplänen und -material
(UZ5-01)
- Modifikation/Substitution von Produkten unter Berücksichtigung einer
ökobilanzierten Gesamtbetrachtung (UZ5-02)
- Vermeidung des Einsatzes von primären Mikroplastikpartikeln (UZ5-03)
- Reduktion der Einträge von Kunststoffmüll, z. B. Plastikverpackungen, in die
Meeresumwelt (UZ5-03)
- Müllbezogene Maßnahmen zu Fischereinetzen und -geräten (UZ5-04)
- Etablierung des „Fishing-for-Litter“-Konzepts (UZ5-05)
- Reduzierung bereits vorhandenen Mülls im Meer (UZ5-06)
- Reduzierung des Plastikmüllaufkommens durch lokale ordnungsrechtliche
Vorgaben (UZ5-07)
- Reduzierung der Emission und des Eintrags von Mikroplastikpartikeln (UZ5-08)
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Plastik in Bundeswasserstraßen
„Fishing for Litter“/ Plastikabfall am Beispiel der Mosel
12.000 m³
deutscher Teil
nur Koblenz
Bei großen Hochwässern geht
mit den Wassermassen deutlich
mehr Unrat über die Wehre und
gelangt so fast ungehindert in
den Rhein.
Mengen derzeit nicht
abschätzbar.
600 m³
600 m³
Treibgut davon
gesamt Plastik*
Treibgut
gesamt
30 m³
davon
Plastik*
* Schätzung durch RWE
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Forschungsbedarf
Abstimmungsbedarf
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Fachgespräch der RFE Juli 2014
BMVI
Meer und
Binnengewässer
BMUB
Lebensmittel
BMEL
Boden
BMWi
Materialien
Fisch / Meer / Agrar
Forschung
BMBF
Boden
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Kunststoffe in der Umwelt
Betroffene Rechtsbereiche
- Wasserrecht
- EU-MSRL
- WHG, u.a. AbwasserVO, TrinkwasserVO
- Bodenschutzrecht, u.a. BundesbodenschutzVO
- Abfallrecht, u.a. VerpackungsVO, Kompost-, KlärschlammVO
- Düngemittelrecht, u.a. DüngemittelVO
- Produktrecht
- Lebensmittelrecht
- und weitere …
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Fachgespräch der RFE
Relevanz
Quellen
Plastikmüll
Umwelt
Kosmetik
Kategorien und Wissenslücken
Wirkung
Was: Additive?
POPs?
Kontaminanten?
Nanopartikel?
Methoden
Maßnahmen
Identifizierung
Regulierungen?
(z.B. Freisetzung)
Verbote?
Quantifizierung
(z.B. in Kosmetik)
Verbraucher,
Mensch, Tier
Textilien
Reifenabrieb
Medien
(Wasser, Boden,
Luft, Lebensmittel)
Akkumulation?
Toxikologische
Untersuchungen
Wo: Gewebe?
Organe?
Zellkern?
Weitere…?
Wie: Akut /
Langzeiteffekt?
Standardisierung von
Methoden?
Verbesserung
Kläranlagen?
Definition?
???
Wissenslücken derzeit in allen Bereichen
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Expertengespräch
BMBF 27.5.2015
Ziele:
- Identifikation wesentlicher Hebel für die Vermeidung von Plastikeinträgen
in die Umwelt
- Ableitung von Forschungs- und Handlungsbedarf für das BMBF
- Identifikation und Vernetzung relevanter Akteure / Ressorts
- Mitgestaltung der internationalen Agenda (Aktionsplan
G7-Wissenschaftsministerkonferenz Okt. 2015)
derzeitige
Aktivitäten
Hebel
Stoffflüsse
internationales Vorgehen
Lecks
alternative Materialien
Kosten
Wissenslücken
Priorisierung
Wirkungsforschung
Methoden
Verbraucher
Standards
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Verlässlichkeit bisheriger Studien
(Bsp. Donau / Österr.Plastikfracht)
4,2 t MP pro Tag
110 kg MP pro Tag
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Projekt BfG: Mikroplastik und dessen
Zersetzungsprodukte in
Bundeswasserstraßen und Küstengewässern –
Herkunft, Verbleib, Wirkung
Partner
BfG-intern: FF G3 (Dr. Reifferscheid, Dr. Brennholt), G2 (Prof. Ternes), U4 (Prof. Koop)
BfG-extern: Universität Frankfurt (Dr. Wagner, Prof. Oehlmann)
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Kernfragen
Quellen im Detail
Identifizierung
Quantifizierung / Bilanzierung
Wirkung auf aquatische Umwelt
Relevanz
Maßnahmen
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Mikroplastik
in Bundeswasserstraßen
Erste Befunde und aktuelle Probenahmestellen
- Dichteseparation und visuelle Inspektion
- Mikroplastik und andere Mikromaterialien aus Sedimenten
Elbe
(A)
Neckar (C)
34 MP-Partikel/kg
32 MP-Partikel/kg
Mosel (B)
Rhein (D)
46 MP-Partikel/kg
64 MP-Partikel/kg
Fotos aus: Wagner; Brennholt, Buchinger, Reifferscheid et al., Microplastics in surface waters: Immense gaps of knowledge call for research. ESEU 2014
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Aufnahme von Plastik
Fluoresbrite© YG
Microspheres (polystyrene)
1 µm, 10 µm and 90 µm
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Lichtblicke
Rasante Entwicklung und seltene Einmütigkeit
The prosecutor for the state of New York characterized the ban as a "common-sense legislation that will stop the
flow of plastic from ill-designed beauty products into our vital waters, preserving our natural heritage for future
generations. “New York Attorney General Eric T. Schneiderman, February 11, 2014
“America’s plastics makers agree that litter doesn’t belong in our oceans, waterways or any part of our natural
environment.” - Steve Russell, American Chemistry Council, Vice President of Plastics; February 15, 2013
1972
Patent
1990er
2008
2009
2011
Kampagne I:
North Sea
Foundation
Anwendun
g als
Ersatzstoff
für
natürliche
Stoffe
Scientific
warnings I,
(Gregory,
1996
2010
2012
2013
Kampagne II:
Plastic Soup
Foundation
Nature:
plastic waste
to be classified
as hazardous.
Unilever
Scientific
warnings II,
(Fendall and
Sewell, 2009)
Rasante Entwicklung und seltene Einmütigkeit.
2014
2015
2016
2017
Illinois ban, Vorschläge für New York State, Ohio,
Californien, US-Kongress.
Int. Unternehmens-Verzicht wächst
Rossmann,
dm,
Colgate,
Lush,
Biotherm,
Unilever,
Johnson
&
Johnson,
Beiersdorf
,
Body
Shop,
L‘Oreal,
Procter&
Gamble
DE Unternehmensverband beschließt Ausstieg
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Foto: Reifferscheid / BfG
Stakeholder
Politik, Umweltverwaltung, NGO,
Unternehmen, Wissenschaft, Wasser-,
Abfallwirtschaft, Forschungsförderung.
Themenblöcke
Quellen und Senken
Umweltbelange
Risikowahrnehmung
Handlungsoptionen
21/22.6.2016 Bundespresseamt Berlin
Ziel
Europäischer Bestandsaufnahme zu Plastikmüll in Binnengewässern mit Blick auf
Forschung, Risikowahrnehmung und
Handlungsoptionen.
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit
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